Wie häufig werden bei akutem Husten „Reserveantibiotika

Transcrição

Wie häufig werden bei akutem Husten „Reserveantibiotika
H. J. Fiegen
M. Sielk
S. Brockmann
A. Altiner
Wie häufig werden bei akutem Husten
„Reserveantibiotika“ verordnet?
Originalarbeit
372
How often do GPs Prescribe Fluroquinolones and other Broad-Spectrum
Antibiotics for Acute Cough?
Zusammenfassung
Abstract
Einleitung: Akute Infektionen des oberen Respirationstraktes
gehören zu den häufigsten Erkrankungen, aufgrund derer Patienten ihren Hausarzt konsultieren. Besonders, wenn dabei ein
akuter Husten im Vordergrund steht, werden dann in etwa der
Hälfte der Fälle – bei sonst gesunden Patienten – Antibiotika verordnet. Die Verordnung eines Antibiotikums bei akutem infektbedingtem Husten ist aber wegen des allenfalls marginalen Nutzens bei Gefährdung des Patienten durch mögliche Nebenwirkungen medizinisch nicht sinnvoll. Ungerechtfertigte Gabe von
Antibiotika schadet aber nicht nur den Patienten, durch den ungezielten Einsatz wird auch die weitere bakterielle Resistenzentwicklung begünstigt. Auf Makro-Ebene findet sich seit Jahren
eine Entwicklung hin zur Verordnung „moderner“ Breitspektrumantibiotika vor allem vom Typ der Fluorchinolone. Es soll
nun untersucht werden, ob sich ein entsprechendes Phänomen
auch bezogen auf die Diagnose „akuter Husten“ in der Hausarztpraxis findet. Methode: Sekundärauswertung der Verordnungen
der Kontrollgruppe innerhalb einer weiter angelegten Interventionsstudie zur Förderung eines reflektierten und zurückhaltenden Antibiotikagebrauchs. Da die Kontrollgruppe innerhalb der
Studie keinerlei Intervention erfuhr, sollen die Antibiotika-Verordnungen der Kontrollgruppe (32 Hausärzte) in zwei Erhebungszeiträumen – November 2003 bis März 2004 (T1) und Januar 2005 bis März 2005 (T2) – dargestellt und analysiert werden. Ergebnisse: Von den 497 Patienten, die im Erhebungszeitraum T1 ein Antibiotikum erhielten, verteilten sich die Verordnungen wie folgt: 14,9 % Penicilline, 7,4 % Cephalosporine, 30,2 %
Tetracycline, 28,8 % Makrolide, 16,3 % Chinolone, 2,4 % sonstige.
Von den 587 Patienten, die im Erhebungszeitraum T2 ein Antibiotikum erhielten, verteilten sich die Verordnungen wie folgt:
Background: Acute respiratory tract infections are one of the
commonest reasons for encounters in general practice. If cough
is the major symptom antibiotics are prescribed in about 50 %
of all cases. However, prescribing antibiotics for acute cough is
not justified by medical evidence as antibiotics have only a marginal effect on the course of this disease. Furthermore antibiotics
can harm patients by side effects. Unjustified prescribing does
also play an important role in the development of bacterial resistance. Prescribing data from national surveys showed for
years a trend towards the prescription of “newer” broad-spectrum antibiotics, in particular fluroquinolones. We examined if
this phenomenon does also appear in GPs’ antibiotic prescriptions for acute cough. Methods: Secondary analysis of the prescription-data of the control-group (32 GPs) of a randomized intervention trial. Prescriptions were recorded during Nov.
2003–Mar. 2004 (T1) and Jan.–Mar. 2005 (T2). Results: In T1
497 out of 852 patients received the subsequently listed antibiotics: 14.9 % penicillines and aminopenicillins, 7.4 % cephalosporins, 30.2 % tetracyclines, 28.8 % macrolides, 16.3 % fluroquinolones, 2.4 % others. In T2 587 out of 886 patients received the
subsequently listed antibiotics: 10.3 % penicillines and aminopenicillins, 7.0 % cephalosporins, 29.3 % tetracyclines, 34.8 % macrolides, 17.0 % fluroquinolones, 1.6 % others. Conclusions: The notable trend towards the prescription of broad-spectrum antibiotics was also found in GP’s prescriptions for acute cough. The observed prescription rates for macrolides and fluroquinolones
were even higher as those found on an overall national level.
Institutsangaben
Arzt für Allgemeinmedizin, Stolberg
Korrespondenzadresse
Dr. H. J. Fiegen · Arzt für Allgemeinmedizin · Steinweg 1–11 · D-52222 Stolberg ·
E-mail: [email protected]
Bibliografie
Z Allg Med 2005; 81: 372–376 · © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
DOI 10.1055/s-2005-836893
ISSN 0014-336251
10,3 % Penicilline, 7,0 % Cephalosporine, 29,3 % Tetracycline, 34,8 %
Makrolide, 17,0 % Chinolone, 1,6 % sonstige. Schlussfolgerungen:
Die seit längerem auf Makro-Ebene beobachtete Entwicklung
hin zur Verordnung „moderner“ Breitspektrumantibiotika vor
allem vom Typ der Fluorchinolone und auch Makrolide spiegelt
sich in den hier untersuchten Verordnungsdaten für akuten Husten deutlich wieder. Der Verordnungsanteil dieser Substanzen
liegt dabei sogar noch höher als bei den Untersuchungen auf nationaler Ebene.
Key words
Prescribing · antibiotics · fluroquinolones · acute cough · general
practice
Hintergrund
In der hier dargestellten Untersuchung soll mittels der Sekundärauswertung einer Interventionsstudie zur Förderung eines
reflektierten und zurückhaltenden Antibiotikagebrauchs bei
akutem Husten ein tiefergehender Einblick über die AntibiotikaVerordnungen bei sonst gesunden Patienten gewonnen werden.
Akute Infektionen des oberen Respirationstraktes gehören zu
den häufigsten Erkrankungen, aufgrund derer Patienten ihren
Hausarzt konsultieren. Besonders, wenn dabei ein akuter Husten
im Vordergrund steht, werden dann in etwa der Hälfte Fälle – bei
sonst gesunden Patienten – Antibiotika verordnet.
Originalarbeit
Schlüsselwörter
Verordnungsverhalten · Antibiotika · Fluorchinolone · akuter
Husten
Methode
Dieses Verschreibungsverhalten widerspricht der wissenschaftlichen Evidenz, die allerhöchstens einen marginalen Nutzen von
Antibiotika bei akutem unkomplizierten Husten erkennen lässt
[1, 2]. In allen Studien zur Wirksamkeit von Antibiotika bei akutem infektbedingten Husten fanden sich – unabhängig von vermuteter viraler oder bakterieller Genese – bestenfalls geringe
Beeinflussungen des Krankheitsverlaufs. Bei einer durchschnittlich etwa zehn Tage andauernden Erkrankung wurde unter Antibiotikatherapie der symptomatische Zeitraum durchschnittlich
nur um etwa 12 Stunden verkürzt. Die Verordnung eines Antibiotikums bei akutem infektbedingten Husten ist also wegen
des allenfalls marginalen Nutzens bei Gefährdung des Patienten
durch mögliche Nebenwirkungen medizinisch nicht sinnvoll.
Ungerechtfertigte Gabe von Antibiotika schadet aber nicht nur
den Patienten, durch den ungezielten Einsatz wird die weitere
bakterielle Resistenzentwicklung begünstigt. Hier zeigt sich ein
klarer Zusammenhang zwischen regionalem bzw. länderspezifischem Antibiotika-Verordnungvolumen und nachgewiesenen
bakteriellen Resistenzraten [3]. Obwohl die Verordnung eines
Antibiotikums in der Regel also nicht nötig ist, werden diese
doch häufig verordnet. Im Rahmen größer angelegter Surveillance-Studien fand sich auf nationaler und internationaler Ebene
ein seit Jahren bestehende Entwicklung hin zur Verordnung
„moderner“ Breitspektrumantibiotika vor allem vom Typ der
Fluorchinolone [4]. Diese Antibiotika sollten allerdings auch bei
schwereren bakteriell bedingten Atemwegsinfektionen, also z. B.
bei Pneumonie, in der ambulanten Versorgung normalerweise
nicht angewendet werden, insbesondere, um weitere Resistenzentwicklungen nicht zu beschleunigen. Fluorchinolone sollten
als „Reserveantibiotika“ in Ausnahmefällen den Patienten vorbehalten bleiben, bei denen aufgrund schwerer Vorerkrankungen mit beispielsweise bereits häufigen Antibiotikavorbehandlungen oder anderer Faktoren (z. B. Aspirationspneumonie) die
Gefahr besteht, dass hier sonst eher ungewöhnliche Keime (z. B.
Anaerobier, Pseudomonaden etc.) eine Rolle spielen.
Im Rahmen einer Interventionsstudie zur Reduzierung nicht-indizierter Antibiotika-Verordnungen bei akutem Husten (CHANGE)
dokumentierten die teilnehmenden Hausärzte (aus mehreren
Regionen in Nordrhein und Westfalen-Lippe) in mehreren Erhebungszeiträumen jeweils über 6 Wochen alle Konsultationen
mit Patienten, die sie aus Anlass eines bisher nicht ärztlich behandelten akuten Hustens aufsuchten. Ausschlusskriterien waren: Alter unter 16 Jahre; chronischer Husten jeder Genese oder
chronische Lungenerkrankung (COPD, Asthma, Emphysem);
kein Erstkontakt aufgrund des Hustens; nachgewiesenes Immundefizit (z. B. durch HIV oder Tumorleiden); fehlende Einwilligungsfähigkeit. Dokumentiert wurden obligatorisch: Alter des
Patienten, Geschlecht, Dauer des Hustens bis zum Zeitpunkt der
Konsultation, Raucher ja/nein, Fieber, Einschätzung des Schweregrades der Erkrankung durch den Hausarzt auf einer Skala
von 1–4, sowie die im Rahmen der Konsultation verordneten
Medikamente. Fakultativ wurden alle dem Hausarzt relevant erscheinenden Untersuchungsergebnisse und weitere Faktoren
dokumentiert. Die Ärzte beendeten die jeweilige Dokumentationsphase, wenn 30 Patienten in die Studie aufgenommen worden waren oder die Erhebungsdauer von 6 Wochen erreicht war.
Da die Kontrollgruppe innerhalb der Studie keinerlei Intervention erfuhr, sollen die Antibiotika-Verordnungen der Ärzte der
Kontrollgruppe in zwei Erhebungszeiträumen, 1. November 2003
bis März 2004 (T1) und 2. Januar 2005 bis März 2005 (T2), dargestellt und analysiert werden. Mittels explorativer Statistik
wurde darüber hinaus getestet, ob sich patientenseitige Prädiktoren für die Verordnung eines Chinolons bei akutem Husten
identifizieren lassen. In die hier dargestellte Analyse wurden
die 32 Hausärzte der Kontrollgruppe eingeschlossen, welche die
Studie vollständig entsprechend des Studienprotokolls abschlossen. Im Rahmen des Studienmonitorings wurden nach beiden Erhebungszeiträumen alle Teilnehmer telefonisch kontaktiert und
stichprobenartig die Übereinstimmung der StudiendokumentaFiegen H et al. Wie häufig werden … Z Allg Med 2005; 81: 372 – 376
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tion mit den eigenen Praxisaufzeichnungen für jeweils drei Patienten verglichen.
Ergebnisse
Originalarbeit
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Von den 32 Hausärzten der Kontrollgruppe wurden im Erhebungszeitraum T1 852 Patienten (Alter 16–90 (1 47,8), 54,3 %
Frauen) dokumentiert, die den Einschlusskriterien entsprachen.
Im Erhebungszeitraum T2 wurden von den 32 Hausärzte 886 Patienten (Alter 16–90 (1 42,3), 54,0 % Frauen) dokumentiert, die
den Einschlusskriterien entsprachen. Die Antibiotika-Verordnungsrate bei den dokumentierten Patienten betrug während
T1 insgesamt 58,3 % und während T2 insgesamt 66,3 %.
In T2 war unter den Patienten, die ein Antibiotikum erhielten,
gegenüber T1 der prozentuale Anteil an Patienten mit Fieber
(59,1 % zu 41,2 %, p = 0,001) und die vom Arzt subjektiv eingeschätzte Krankheitsschwere (2,6 zu 2,4 auf einer Skala von 1 bis
4, p = 0,006) signifikant höher (Mann-Whitney-U-Test). Die Hustendauer vor Konsultation unterschied sich nicht signifikant (4,8
zu 4,4, p = 0,235). Von den 497 Patienten, die im Erhebungszeitraum T1 ein Antibiotikum erhielten, verteilten sich die Verordnungen wie folgt (Abb. 1): Neun Patienten (1,8 %) erhielten Benzylpenicilline (Penicillin V), 62 Patienten (12,5 %) Aminobenzylpenicilline (Amoxicillin) und drei Patienten (0,6 %) Aminobenzylpenicilline + Betalaktamasehemmer (Amoxicillin/Clavulansäure, Ampicillin/Sulbactam). 37 Patienten (7,4 %) erhielten Cephalosporine, 150 Patienten (30,2 %) Tetracycline (Doxycyclin)
und 143 Patienten (28,8 %) Makrolide (Erythromycin, Roxithromycin, Azithromycin, Clarithromycin). Sulfonamide (Cotrimoxazol) erhielten neun Patienten (1,8 %) und Lincosamide (Clindamycin) wurden drei Patienten (0,6 %) verordnet. Chinolone (Ciprofloxacin, Levofloxacin, Moxifloxacin) erhielten 81 Patienten
(16,3 %).
Abb. 1 Anteil der einzelnen Antibiotikaklassen am Gesamt-Antibiotika-Verordnungsanteil in den Erhebungszeiträumen T1 und T2 (s. Text)
bei Patienten mit akutem Husten.
chend eines Rankings mit A–AF (A entspricht dem Hausarzt mit
der niedrigsten Antibiotikaverordnungsrate insgesamt, B dem
Hausarzt mit der zweit niedrigsten Verordnungsrate usw.) gekennzeichnet, um diese in Abb. 3 – 5 identifizieren zu können.
Abb. 3 zeigt unter Beibehaltung der Einteilung von A–AF entsprechend der Gesamt-Verordnungsrate das entsprechende
Ranking für Chinolone, Abb. 4 das Ranking für Makrolide und
Abb. 5 entsprechend für Tetracykline.
Aufgrund der besonderen Stellung der Chinolone sollen diese näher differenziert werden. Die während T1 in 81 Fällen verordneten Chinolone teilen sich auf in: Ciprofloxacin (n = 19), Levofloxacin (n = 12) und Moxifloxacin (n = 50). Die während T2 in
100 Fällen verordneten Chinolone teilen sich auf in: Ciprofloxacin (n = 13), Levofloxacin (n = 13) und Moxifloxacin (n = 74).
Im Rahmen der explorativen Statistik (Mann-Whitney-U-Test)
testeten wir, ob zwischen der Gruppe der Patienten, die ein Chinolon erhielten, und den Patienten, denen ein anderes Antibiotikum verordnet wurde, Unterschiede in den Patientencharakteristika bestanden. Nach unseren Vorannahmen erschienen uns
der Gruppenvergleich (und die Testung) folgender Patientencharakteristika sinnvoll: Durchschnittsalter, durchschnittliche
Krankheitsschwere, Anteil von Patienten mit Fieber, durchschnittliche Dauer des Hustens bis zur Konsultation des Hausarztes und die Geschlechterverteilung. Nach Korrektur der
p-Werte nach Bonferroni-Holm (zum Gesamtniveau von p <
0,05) zeigten sich folgende signifikanten Unterschiede in den
beiden Gruppen (in Klammern die bereits korrigierten p-Werte):
Durchschnittsalter bei den Patienten, die Chinolone verordnet
bekamen: 49,3, andere Antibiotika: 43,1 (p < 0,005). Vom Arzt
auf einer Skala von 1 bis 4 beurteilte Krankheitsschwere bei den
Patienten, die Chinolone verordnet bekamen: 2,8, andere Antibiotika 2,4 (p < 0,005). Fieberanteil bei den Patienten, die Chinolone verordnet bekamen: Chinolone: 59,7 %, andere Antibiotika
49,0 % (p = 0,03).
Abb. 2 zeigt die Gesamt-Verordnungsraten für jeden der
32 Hausärzte. Entsprechend der jeweiligen Gesamt-AntibiotikaVerordnungsrate wurden die Hausärzte aufsteigend entspre-
Keinen signifikanten Unterschied zeigten die Gruppenvergleiche
(p-Werte unkorrigiert) von Frauenanteil (53,1 zu 55,6 %, p = 0,55)
und Dauer der Symptomatik (4,5 Tage zu 4,6 Tage, p = 0,81).
Von den 587 Patienten, die im Erhebungszeitraum T2 ein Antibiotikum erhielten, verteilten sich die Verordnungen wie folgt
(Abb. 1): Sechs Patienten (1,0 %) erhielten Benzylpenicilline (Penicillin V), 53 Patienten (9,0 %) Aminobenzylpenicilline (Amoxicillin) und zwei Patienten (0,3 %) Aminobenzylpenicilline + Betalactamasehemmer (Amoxicillin/Clavulansäure, Ampicillin/Sulbactam). 41 Patienten (7,0 %) erhielten Cephalosporine, 172 Patienten (29,3 %) Tetracycline (Doxycyclin) und 204 Patienten
(34,8 %) Makrolide (Erythromycin, Roxithromycin, Azithromycin, Clarithromycin). Sulfonamide (Cotrimoxazol) erhielten vier
Patienten (0,7 %) und Lincosamide (Clindamycin) wurde fünf Patienten (0,9 %) verordnet. Chinolone (Ciprofloxacin, Levofloxacin,
Moxifloxacin) erhielten 100 Patienten (17,0 %).
Fiegen H et al. Wie häufig werden … Z Allg Med 2005; 81: 372 – 376
Abb. 3 Anteil der verordneten Chinolone (bezogen auf alle jeweils pro
Praxis verordneten Antibiotika). Erhebungszeitraum T1 und T2 gepoolt.
Abb. 4 Anteil der verordneten Makrolide (bezogen auf alle jeweils pro
Praxis verordneten Antibiotika). Erhebungszeitraum T1 und T2 gepoolt.
Abb. 5 Anteil der verordneten Tetracycline (bezogen auf alle jeweils
pro Praxis verordneten Antibiotika). Erhebungszeitraum T1 und T2 gepoolt.
Originalarbeit
Abb. 2 Antibiotika-Verordnungsrate bei Patienten mit akutem Husten in 32 Praxen sortiert von der niedrigsten (A) bis zur höchsten Verordnungsrate (AF). Erhebungszeiträume T1 und T2 gepoolt.
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Diskussion
Die hier dargestellten Ergebnisse sind aufgrund der selektierten
Stichprobe an Ärzten und Patienten vorsichtig zu interpretieren.
Die Gesamt-Antibiotika-Verordnungsrate der hier untersuchten
Hausärzte liegt mit 58 bzw. 66 % höher, als in einer anderen von
uns durchgeführten Untersuchung, in der eine Antibiotika-Verordnungsrate von etwa 50 % gefunden wurde [5]. Zu einem Teil
lassen sich diese im Vergleich relativ hohen Verordnungsraten
durch das In-Kraft-Treten des GMG 2004 erklären, für 2005
auch zusätzlich durch die im Dokumentationszeitraum aufgetretene Infektionswelle mit einem höherem Anteil von Patienten
mit Fieber und höherer durchschnittlicher Krankheitsschwere
[6, 7]. Abb. 2 zeigt allerdings auch, dass in der hier untersuchten
Stichprobe möglicherweise typische „Antibiotika-Niedrigverschreiber“ unterrepräsentiert sind.
Seit Jahren lässt sich in den Untersuchungen auf Makroebene
(nationale Verordnungsraten) eine Entwicklung hin zur Verordnung „moderner“ Breitspektrumantibiotika vor allem vom Typ
der Fluorchinolone und auch neuerer Makrolide erkennen. Der
Verordnungsanteil dieser Substanzen liegt in der hier dargestellten Untersuchung sogar deutlich höher, als bei den Untersuchungen für alle ambulanten Verordnungen (Diagnose-unabhängig) auf nationaler Ebene. Hier könnte man annehmen, dass
dieser Unterschied vor allem durch die hier nur untersuchten
Verordnungen für Atemwegsinfekte bedingt sein könnte. Jedoch
liegt der Anteil der verordneten Fluorchinolone und Makrolide
mit 16 respektive 30 % doppelt so hoch, wie noch bei Untersuchungen auf Praxisebene (bei akutem Husten) aus den Jahren
2001 und 2002 [5, 8].
Etwa 1/4 der Ärzte verordneten 3/4 der Chinolone (Abb. 5). Der in
anderen Untersuchungen beschriebene Zusammenhang zwischen hohem Lebensalter und Chinolonverordnung ließ sich
auch in unserer Untersuchung bestätigen [9]. Außerdem zeigten
sich die Krankheitsschwere und Fieber als mögliche Prädiktoren
für eine Chinolonverordnung. Im Gesamtbild erscheint allerdings als entscheidender Faktor für die Verordnung einer bestimmten Antibiotika-Substanz – hier der Chinolone – bei akutem Husten – das durch individuelle „Vorlieben“ geprägte Verordnungsmuster der Ärzte. Abb. 3 – 5 zeigen, dass es dabei allerdings keine einheitlichen Muster zu geben scheint; so gibt es
etwa auch unter den „Antibiotika-Vielverschreibern“ Hausärzte,
die überwiegend Tetracycline verordnen, oder auch „Niedrigverschreiber“, die relativ häufig Chinolone verordneten. Eine genaue Aussage darüber, warum einzelne Hausärzte gehäuft bestimmte Antibiotika verordnen, lässt sich auf dem Boden der
hier dargestellten Analyse daher nicht treffen. Die Vermutung,
dass „erfolgreiches“ Pharma-Marketing hier auch eine Rolle
spielt, liegt jedoch nahe. Bei den Ärzten, die viele verschiedene
Antibiotika-Substanzen verordnen, könnten auch andere FakFiegen H et al. Wie häufig werden … Z Allg Med 2005; 81: 372 – 376
toren, wie z. B. mangelndes Wissen über tatsächliche Resistenzlagen oder auch eine gewisse Indifferenz bezüglich Antibiotika
überhaupt eine Rolle spielen. Spekulativ könnte man sogar noch
einen Schritt weiter gehen: Es könnte auch sein, dass den Ärzten
die Nutzlosigkeit der Antibiotika-Gabe bei akutem Husten
durchaus bewusst ist und dies zu einer gewissen Gleichgültigkeit in Bezug auf die spezielle Auswahl eines Antibiotikums
führt.
Warum sollte man aber überhaupt in der Praxis gerade mit der
Verordnung von Fluorchinolonen so zurückhaltend sein?
Originalarbeit
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Die typischen unerwünschten Wirkungen der Fluorchinolone,
wie gastrointestinale Störungen (Übelkeit, Diarrhö, Erbrechen,
Bauchschmerzen) sowie Leberfunktionsstörungen, können auch
bei anderen Antibiotika vorkommen. Die seltenen Nebenwirkungen, nämlich Verlängerung der QT-Zeit sowie Achillessehnenrupturen (meist bei längerer Anwendung) und auch ZNSReaktionen (Krampfanfälle, Erregungszustände, Verwirrtheit
und Halluzinationen) machen allerdings – gerade bei weniger
schwerwiegenden bakteriellen Infektionen – eine genaue Nutzen-Schaden-Abwägung notwendig [10]. Der entscheidende
Grund aber, Fluorchinolone nicht zu verordnen, ist das unnötig
breite Wirkspektrum bei gleichzeitig nicht vorhandenem Vorteil
gegenüber den typischen bakteriellen Erregern bei tiefen Atemwegsinfektionen bzw. bei Pneumonie. (Ciprofloxacin ist wegen
der bekannten unzureichenden Aktivität gegenüber S. pneumoniae sogar kontraindiziert.)
Fluorchinolone stellen (noch) bei Infektionen mit (überwiegend
gramnegativen) Enterobakterien (zum Beispiel Escherichia coli,
Klebsiellen, Proteus spp. und Enterobacter spp.), ferner auch bei
Legionellen, Staphylokokken und Chlamydien wertvolle „Reserveantibiotika“ dar. Durch den ungezielten Einsatz ist jedoch
eine zunehmende Resistenzentwicklung zu befürchten. Dass
hier auch unnötige Kosten verursacht werden, soll nur am Rande
bemerkt werden.
Schlussfolgerungen
Unter realen Praxisbedingungen wird eine gewisse Anzahl von
Antibiotika-Verordnungen (geschätzt etwa 5–10 %) bei akutem
Husten auch bei sonst gesunden Patienten nicht zu unterschreiten sein. Es wird immer Patienten geben, bei denen eine Pneumonie nicht sicher genug auszuschließen ist oder auch Patienten
mit besonders hartnäckigen Verläufen und hohem Leidensdruck,
bei denen dann doch die Verordnung eines Antibiotikums –
idealerweise im Rahmen einer partizipativen Entscheidungsfindung – indiziert erscheint. In diesen Fällen wären dann – wie in
den entsprechenden Leitlinien empfohlen wird – Amoxicillin
und Doxycyclin, ggf. auch Makrolide bei Penicillin-Allergie die
Mittel der Wahl [11, 12]. Diese Botschaft, dass bei akutem Husten
normalerweise gar keine Antibiotika, wenn aber doch, dann
Amoxicillin oder Doxycyclin verordnet werden sollten, ist in
sich jedoch etwas paradox. Zumal auch diese Empfehlungen
nicht auf „harter Evidenz“ beruhen, sondern eher auf dem Hintergrund der Vorbeugung weiterer Resistenzentwicklungen zu
sehen ist. Vergegenwärtigt man sich das übergeordnete Ziel,
nämlich, dass bei akutem Husten von Hausärzten in Zukunft
deutlich weniger Antibiotika verordnet werden, kann man zu
dem Schluss kommen, dass die sinnvollste Strategie zur Eindämmung der Verordnung von „Reserveantibiotika“ bei akutem Husten wohl ein Hinwirken auf ein reflektiertes und zurückhaltendes Antibiotika-Verordnen generell ist.
Interessenkonflikte: keine angegeben.
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Zur Person
Dr. H. Jörg Fiegen,
Jahrgang 1967, verheiratet. Studium der Humanmedizin von 1988–1994 in Aachen. Seit 1.7.2005
niedergelassen als Facharzt für Allgemeinmedizin
in eigener Praxis in Stolberg bei Aachen. Seit 2003
Doktorand in der Abteilung für Allgemeinmedizin
des Universitätsklinikums Düsseldorf.
Fiegen H et al. Wie häufig werden … Z Allg Med 2005; 81: 372 – 376

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