Kiezspaziergang

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Kiezspaziergang
berliner Ansichten
Berliner ansichten
Aufbruch in der
Gropiusstadt
Kontrastprogramm: Raus aus
der Haustür und
rein in die Natur. In
Gropiusstadt ist das
möglich
Der R’n’B-Sänger Ayman wohnt in der Hochhaussiedlung
im Süden Berlins. Er ist bewusst aus der Innenstadt wieder
hergezogen – und fühlt sich wohl.
[ Text ] Kirsten Niemann [Fotos ] PAblo CAstagnola
W
enn Ayman morgens
aufwacht, hört er die
Vögel singen. Aus seinem Schlafzimmerfenster genießt er einen weiten Blick über
die Häuser der Gropiusstadt. Das Gemeinschaftshaus. Das Ärztehaus.
Das Einkaufszentrum. Das Wohnhochhaus Ideal mit
seinen 30 Stockwerken, eines der höchsten Wohnhäuser in Deutschland. Wer ganz oben lebt, kann
bis zum Fernsehturm am Alex schauen, den Teufelsberg und die Hochhäuser in Marzahn sehen.
Der 34-jährige R’n’B-Sänger, den seine Fans nur
bei seinem Vornamen nennen, ist erst vor wenigen
Monaten hierher gezogen. Doch fremd ist ihm die
Trabantenstadt im Süden Berlins nicht: Der gebürtige Berliner mit tunesischen Wurzeln ist in der Gropiusstadt aufgewachsen. Vor zwölf Jahren lockte ihn
die Innenstadt. „Viele meiner Musikerfreunde wohnen auch jetzt noch in Mitte oder Charlottenburg“,
sagt der kräftige Mann mit der sanften Stimme. „Ich
wollte wieder zurück, hier ist mein Zuhause.“ Er
freut sich über die grüne Umgebung und die günstige Miete, die Nähe zu seiner Familie und zu ein paar
alten Freunden, die noch immer hier wohnen.
Aktiv: Im degewo-Stadion
trainieren die Footballer der
Berlin Bears (li), auf
dem Abenteuerspielplatz
Wutzky spinnt Helga, so wird
sie von allen nur genannt,
Schafwolle für Filzarbeiten
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stadtleben 3/2009
des Jugend- und
Play it again: Den Probenraum
Üben mieten.
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Sänger Ayman
Geplant war die Gropiusstadt zwischen 1962
und 1975 als bessere und komfortable Wohngegend,
als ein Ort, durch den „Licht, Luft und Sonne“ fluten
sollten. Die Berliner benötigten Wohnraum nach
dem Krieg, die Siedlung sollte ein moderner Gegenpol werden zur für Berlin typischen Blockrandbebauung mit ihren dunklen Innenhöfen und
schlechten Wohnstandards. Federführend war der
Bauhaus-Gründer Walter Gropius, der bereits in den
1950er-Jahren Pläne für das Projekt anfertigte. Doch
der Mauerbau 1961 verhinderte die ursprünglich
beabsichtigte Ausdehnung der Siedlung und zwang
zum Umdenken: Gropius, der eigentlich kein Gebäude über fünf Stockwerke errichten wollte, musste
nun in die Höhe bauen. Ende der 1970er-Jahre hatte
die Großsiedlung ein Imageproblem. 90 Prozent der
Wohnungen waren nur mit Wohnberechtigungsschein zu bekommen. Das Viertel, in dem mehr als
30.000 Menschen auf 265 Hektar lebten, wurde zu
einem sozialen Brennpunkt.
Dennoch erinnert sich
der Sänger gerne an seine
Jugend. An das Café Sieben an der Johannisthaler
Chaussee, wo sich damals
die Jugend traf. An die heißen Sommerferientage im
Schwimmbad an der Lipschitzallee. Oder an die
lauen Abende, an denen
sie mit Lampions, Grill
und gekühlten Getränken
auf den 85 Meter hohen
Rudower Müllberg zogen. Damals öffnete sich
ihnen zur einen Seite
der Blick über den Mauer­
streifen bis zum Flughafen Schönefeld. „Zur anderen schauten wir auf die Skyline der Gropiusstadt
und fühlten uns wie in Manhattan.“ Heute amüsiert
er sich über diesen Vergleich. Andererseits mag er
kaum verstehen, dass das Leben in einer Großsiedlung bei so vielen Leuten verpönt sein soll. „In den
USA oder in Asien finden die Leute so etwas modern
und urban.“
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Ross & Reiter:
Reitlehrer Mile
Zelenika bietet im
Reitzentrum in
der Gropiusstadt
Übungsstunden und
Ausritte für Groß
und Klein
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berliner Ansichten
Berliner ansichten
Ein Bummel durch den Kiez
Auf der
Bühne: Im
Gemeinschaftshaus gibt es ein
Kindertheater
In der GroSSsiedlung im Süden Berlins wohnen über 35.000 Menschen. Wer nicht will,
braucht die Gegend zum Einkaufen oder für Freizeitbeschäftigungen nicht zu verlassen.
Gropiusmeile
Der Lauf- und Bewegungsparcours
misst insgesamt sieben Kilometer und
wurde im Mai eröffnet. Nicht nur Joggen und Nordic Walking ist möglich:
Zahlreiche Geräte spornen zu Muskel-,
Fitness- und Dehnübungen an.
Jeder darf mitmachen
stadtleben 3/2009
Fritz-Erler-Allee 110, 12351 Berlin,
Tel. 67 12 31 51, Di bis So ab 10 Uhr
Johannisthaler Chaussee, Ecke Kölner Damm,
12353 Berlin, jeden Sonntag 8.30 bis 16 Uhr
Reitzentrum Gropiusstadt
Ob in Einzelstunden oder in der Gruppe – hier wird jeder das Reiten lernen.
Auch Ausritte möglich. 60 Minuten Unterricht 12 Euro, Einzelstunde 17 Euro.
Waschhaus-Café
Längst nicht nur ein Ort, an dem Wäsche gewaschen werden kann. Hier
wird nichts von oben diktiert, jeder darf
sich einbringen und mitmachen – sei
es bei Hoffesten, Pflanzaktionen oder
Kölner Damm 1, 12353 Berlin, Tel. 604 60 44,
www.reitzentrum-gropiusstadt.de
Ida-WolfKrankenhaus
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Fritz-Erler-Allee 93, 12351 Berlin,
Tel. 66 62 56 99
Gärtnerei Schumann
Große Gärtnerei mit einem schönen
Angebot an Topfpflanzen für einen
bunten Balkon. Auch Brautsträuße,
Trockenblumen und Grabschmuck
werden hier auf Bestellung gefertigt.
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Aima Supermarkt
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Gropiusmeile
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Aima Supermarkt
Türkischer Supermarkt mit landestypischen Spezialitäten. Neben frischem
Obst und Gemüse sind hier auch
Fleisch- und Wurstwaren erhältlich,
vor allem Geflügel und Lamm.
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Eugen-Bolz-Kehre 12, 12351 Berlin,
Tel. 60 25 91 50
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Wutzkyallee
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Spielrunden. Gemeinsames Frühstück,
Frauentreff, EDV- und Mutter-KindGruppen stehen auf dem Programm.
Johannisthaler Chaussee 224/230,
12351 Berlin, Tel. 602 56 86, Mo bis Fr 7 bis
18 Uhr, Sa 7 bis 16 Uhr, So 10 bis 12 Uhr
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Leben viele Menschen zusammen, hilft ein Kommunikations-Knotenpunkt verschiedene Interessen zusammenzuführen. Die degewo betreibt deshalb ein eigenes
Stadtteilmanagement, das im Vor-Ort-Kundenzentrum angesiedelt ist. Zu dessen wichtigsten Aufgaben zählen die
Pflege und der Ausbau von Kontakten zu den Akteuren
vor Ort: zu Schulen, Kitas, Jugendheimen, Vereinen, sozialen Einrichtungen aber auch engagierten Bewohnern.
Kundenzentrum Süd, Stadtteilmanagement,
Joachim-Gottschalk-Weg 1, Tel. 26485-2145
Flohmarkt
Gut besuchter Markt. Neben Hausrat,
Büchern und Kleidung finden sich hier
auch Antiquitäten, Kleinmöbel und
Sammlerstücke.
Eröffnung der
Gropiusmeile im Juni
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wird deutlich, wie weitläufig das Viertel
ist. Am besten nutzt man deshalb das
Fahrrad. Sein erstes Rad habe er damals
auf dem Flohmarkt an der Johannisthaler Chaussee gekauft, erinnert sich Ayman. Auf dem Mauerradweg, der vor vier
Jahren an der Großsiedlung entlang planiert wurde, fahren
inzwischen nicht nur die Bewohner der Gropiusstadt.
Der Sänger hält sich nicht nur mit Radeln in Form. Regelmäßig joggt er über die Gropiusmeile, ein Trimmpfad,
der kürzlich im Rudower Wäldchen eröffnet wurde. Wenn
Eichhörnchen Aymans Weg kreuzen, fühlt er sich wie im
Wald. „Das habe ich in der Innenstadt am meisten vermisst:
die Natur, die schon vor der Haustür beginnt.“
engagiert in der Gropiusstadt
Wutzkyallee 88–98, 12353 Berlin,
Tel. 661 62 09, www.wutzky-jukuz.de
Bettys Café
Kinderfreundliche Strandbar mit Biergarten im Sommer. Das amerikanisch
angehauchte Lokal serviert freitags alle
Burger für 3,90 Euro. Sonntags lohnt
der große Brunch.
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nen engagierten Schulen, Kitas, Sportvereinen und Jugendklubs.
Im Winter ziehen die Kleinen mit Ski und Schlitten auf den Rodelberg am Joachim-Gottschalk-Weg. Im Sommer sausen sie durch
die vierzehn Meter lange Stahlrutsche. Aus dem Übungskeller des
Wutzky-Jukuz wummern Bass und Schlagzeug einer lokalen Band,
hier dürfen die Kids Krach machen. Das kulturelle Herz der Gropiusstadt schlägt jedoch im Gemeinschaftshaus am Bat-Yam-Platz.
Kindertheater, Klassische Konzerte, Yoga- und Entspannungskurse.
In der angeschlossenen Bibliothek wird regelmäßig im kleinen
Kreis vorgelesen. Wer Entertainment und ein wenig Rummel sucht,
den zieht es in die Gropiuspassagen. Das größte Einkaufszentrum
Berlins wurde 1994 als „Aufwertungsmaßnahme“ und neue „Stadtmitte“ in die Gropiusstadt gepflanzt. Hier gibt es auch das einzige
Kino im Viertel. Kein Bewohner muss die Gropiusstadt verlassen,
wenn er nicht will. Ein riesiger Grünzug mit Wiesen und Parkwegen schiebt sich oberhalb der U-Bahn durch die Häuserzeilen. Hier
Bat-Yam-Platz 1, 12353 Berlin. Tel. 68 09-1416,
Di bis Fr 10 bis 18 Uhr
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Das Angebot für Familien mit Kindern ist beachtlich mit sei-
»In Asien und den
USA finden Leute
Siedlungen aus
Hochhäusern toll.«
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Doch seit fünf Jahren tut sich
etwas in der Gropiusstadt. „Die
Fassaden sind viel bunter, viel
freundlicher geworden“, hat Ayman festgestellt. Auch die Hauseingänge wurden erweitert, heller und freundlicher gestaltet. Neu ist für Ayman auch Bettys Café
an der Fritz-Erler-Allee, das im Sommer zur Strandbar wird. Während die Kinder im Sand spielen, entspannen sich die Eltern in den
Hollywoodschaukeln beim Sonntagsbrunch.
Gemeinschaftshaus
Es ist das größte Veranstaltungszentrum im südlichen Neukölln. Neben
Konzerten und Theateraufführungen
werden auch Werkstätten und Kurse
angeboten.
Foto: Catrin Bach Grafik: KircherBurkhardt Infografik
Schöne Aussichten: Aym
an hat
sich bewusst für das Leben
Großsiedlung entschieden. Bat in der
Yam
Israel ist Partnerstadt von Neu in
kölln
Jugendzentrum Jukuz
Die Einrichtung mit ihrem Abenteuerspielplatz besteht seit 15 Jahren. Gesangs- und Musikunterricht, Technikgruppen, Einweisung im Umgang mit
Musikrechnern: Hier können sich Kids
mit nahezu allem beschäftigen, was sie
interessiert. Jungen Musikern stehen
auch Proberäume zur Verfügung.
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