Meine Führhunde - Blindenhundeschule

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Meine Führhunde - Blindenhundeschule
Meine Führhunde
von Giuseppina Barone
Stiftung Schweizerische Schule
für Blindenführhunde Allschwil
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Tel +41 (0)61 487 95 95
Fax +41 (0)61 487 95 90
Markstallstrasse 6
CH-4123 Allschwil
www.blindenhundeschule.ch
Allschwil, September 2014
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Meine Führhunde
von Giuseppina Barone
Ich ging mit dem Langstock durch die lange Hauptstrasse von
La Chaux-de-Fonds. Die Sonne schien. Sie blendete mich, denn
damals mochte ich noch keine Sonnenbrille tragen. Ich erledigte ein
paar Einkäufe, ich war ganz zufrieden. Doch als ich nach Hause
kam, bemerkte ich, wie müde und angespannt ich eigentlich war.
Mein ganz kleiner Sehrest, der mir aber doch oft half, zum Beispiel
ein stehendes Auto auf dem Gehsteig, eine Person oder sonst
einen Gegenstand wahrzunehmen, hatte in letzter Zeit zunehmend
abgenommen.
Ich war, glaube ich, keine schlechte Langstockläuferin. Seit meiner
Schulzeit hatte ich gelernt, den Langstock zu benutzen. Doch an
diesem Tag wurde mir bewusst, wie viel Konzentration und wie viel
Anspannung mir meine tägliche Mobilität abverlangte. Schon
damals legte ich viel Wert darauf, selbstständig meinen Alltag zu
bewältigen. Nicht dass ich Hilfe ablehnte, im Gegenteil, mir war
jede Hilfe, die ich benötigte, willkommen. Aber ich wollte selbst entscheiden, wann ich einkaufen, zum Coiffeur oder ganz einfach
spazieren gehen wollte.
Ich traf mich oft mit Freunden. Besonders mit meiner Freundin Ida,
mit der ich regelmässig zum Einkaufen und Tandemfahren unterwegs war. Ich genoss diese Momente sehr und ich wusste, dass
dies auf Gegenseitigkeit beruhte. Unsere Freundschaft besteht
noch heute. Kurz, an guten Freundschaften fehlte es mir nicht.
Nun sass ich, nachdem ich meine Einkäufe weggeräumt hatte, fix
und fertig mit einer Tasse Kaffee in meiner Küche und musste mir
eingestehen, dass dies nicht das erste Mal war, dass ich ein Gefühl
von Frustration empfand.
Ich hatte Freunde, die bereits schon einen Führhund hatten und zufrieden mit ihm waren. Allmählich fing ich an, mich mit dem Thema
«Führhund» auseinanderzusetzen. Dies tat ich ein wenig schüch3/32
tern, denn eigentlich dachte ich, ein Führhund wäre nichts für mich,
man muss schliesslich bei Wind und Wetter hinaus. Ich erkundigte
mich bei meinen Freunden, wie es so sei mit einem Führhund. Ich
hatte keine Ahnung, wie man einen Hund hält, und ich glaube,
damals habe ich die unmöglichsten Fragen gestellt. Es waren nicht
mal Fragen betreffend der Führarbeit, denn alle schwärmten, wie
toll ihr Führhund führe, wie sicher sie sich fühlten und wie zügig sie
unterwegs seien. Nein, mich interessierten ganz andere Dinge, wie
zum Beispiel: Was macht man, wenn der Hund Flöhe oder Zecken
hat, was, wenn er erbricht? Das kommt doch hin und wieder vor?
Irene, die ihren Führhund anhimmelte, sagte mir mal: «Wenn du
deinen eigenen Hund hast, hast du ihn auch gern und das Erbrochene aufputzen wirst du einfach können.» Sie hatte recht. Heute
weiss ich auch mit Zecken umzugehen. Flöhe haben meine Hunde
keine gehabt, aber ich wüsste, dass ich meinen Vierbeiner duschen
und mit einem Spezialshampoo behandeln müsste.
«In etwa zwei Jahren bin ich auch mit einem Führgeschirr
unterwegs.»
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Es vergingen mindestens zwei Jahre, bis ich mich bei der Blindenführhundeschule Allschwil meldete. Diese Zeit war aber wichtig. Ich
konnte meine Freunde befragen, so viel ich wollte, und sie gaben
mir stets geduldig Antwort. Besonders Irene hatte mich damals sehr
unterstützt. Irene arbeitete in der SBS, der Schweizerischen
Bibliothek für Blinde und Sehbehinderte. Als ich einmal während einer Woche im Hotel Solsana in Saanen Urlaub machte, wusste sie
davon, und schickte mir ein Blindenschriftbuch über eine blinde
Frau mit ihrer Führhündin Emma.
Noiraud, unser schwarzer Kater, lebte damals noch. Mein Ex-Mann
und ich hingen sehr an ihm. Er war liebenswert und anhänglich,
aber mit Hunden konnte er überhaupt nichts anfangen. Ich glaube,
er hätte sie eher angegriffen. Einige Male hatten wir es versucht.
Ein Freund von uns kam zu uns mit seinem Hund, aber Noiraud
zeigte die Krallen. Wir mussten ihn einsperren, es war zu gefährlich, er hätte den Hund angegriffen.
Im Januar 1996 erkrankte Noiraud. Er wurde immer ruhiger, erbrach sich oft und mochte nicht mehr spielen. Wir bemerkten, dass
etwas nicht mit ihm stimmte. Am 3. Februar brachten wir ihn zum
Tierarzt. Die Realität traf uns mit voller Wucht. Noiraud hatte einen
Tumor an der Niere, mindestens so gross wie eine Mandarine. Der
Tierarzt sagte offen, man könne ihn operieren, aber wahrscheinlich
würde dies nichts nützen, da die zweite Niere bereits auch angegriffen sei. Was nun, warten, bis er starb? Nein, das war keine
Lösung. Erstens, Noiraud litt, zweitens wollte ich nicht eines
Abends nach Hause kommen und ihn tot vorfinden. Wir mussten
also schnell handeln. Einmal zu Hause, beschlossen wir, ihn einschläfern zu lassen. Noiraud schlief in meinen Armen ein. Es war
schrecklich, aber wir wollten ihn bis zum Schluss begleiten.
Die folgenden Wochen waren wirklich schlimm. Gewöhnlich, wenn
ich nach Hause kam, begrüsste mich Noiraud jedes Mal miauend
und sich an meine Beine schmiegend. Nun war er nicht mehr da,
die Wohnung war leer.
Allmählich dachte ich immer öfter über einen Führhund nach. Ich
merkte nach und nach, dass ich einen Führhund nicht nur «für die
Führarbeit» wollte, sondern ich wünschte mir einen Kameraden,
eine Beziehung zu diesem Hund. Dies war, glaube ich, der ent5/32
scheidende Punkt. Wie oft hatte ich, gerade von sehenden Menschen, den Satz gehört: «Nimm einen Führhund, das ist doch einfacher!» Doch gerade dieses Wörtchen «einfacher» verlieh mir eine
gewisse Skepsis. Ein Führhund ist kein Hilfsmittel, das man
abends, wenn man müde nach Hause kommt, in eine Ecke stellen
kann. Ein Führhund ist eben ein lebendiges Hilfsmittel, mit seinen
Bedürfnissen und Gefühlen. Wenn man nicht bereit ist, eine
Beziehung, eine enge Bindung zum Hund aufzubauen, wird die
Führarbeit nicht funktionieren. Und gerade diese Beziehung, diese
Bindung wünschte ich mir nun.
Ich rief also die Blindenführhundeschule an. Eine sympathische
Dame, ich weiss wirklich nicht mehr, wer sie war, gab mir Auskunft.
Wir vereinbarten einen Termin, sie schickte mir aber zuerst eine
Broschüre in Blindenschrift mit Erklärungen betreffend der Schule
und einigen Beiträgen von Führhundehaltern.
Als ich dann diese Broschüre erhielt, sass ich an einem regnerischen Tag voller Neugierde und Erwartung in meiner Stube und las.
Nun wusste ich, dass ich mich für einen Führhund entscheiden
würde. Es waren nicht nur die faszinierenden Berichte, sondern
auch die Tatsache, wie die Schule mit den Hunden arbeitete, wie
sie aber auch auf die Bedürfnisse von uns Blinden und Sehbehinderten einging.
Eine Zuchthündin mit ihren Welpen.
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Der Besuch in Allschwil
Es war ein wunderschöner sonniger Frühlingstag, der 20. März
1996, als ich die Blindenführhundeschule besuchte. André Meyer,
einer der Führhunde-Instruktoren, zeigte mir die Schule, die damals
einiges kleiner war. Bei den Welpen kam eine Hundemami auf
mich zu. Ich muss erwähnen, dass ich damals eher ängstlich auf
Hunde reagierte. Also wusste ich nicht, wie ich sie streicheln sollte.
Aber André versicherte mir, dass sie mich bestimmt nicht beissen
würde. Also streichelte ich ihr über den Kopf. Mit Plato, einem fast
fertig zum Führhund ausgebildeten blonden Labrador, durfte ich
einen kleinen Spaziergang mit dem Führgeschirr machen. Damals
konnte ich noch nicht ahnen, wie toll das sein wird, wenn der
eigene Führhund führt, aber trotzdem fand ich das Gefühl, von
einem Führhund geführt zu werden, herrlich.
Die Blindenführhundeschule in Allschwil.
André forderte mich auf, das Hörzeichen «Banca» zu sagen. Bald
darauf hielt Plato an und legte seinen Kopf auf eine Sitzbank.
Super, jetzt musste ich ihn loben mit «Brava».
Beim Mittagessen plauderten André und ich über alles Mögliche.
Auch ihm stellte ich viele Fragen. «Machen Sie sich keine Sorgen,
fragen Sie, was sie wollen», forderte er mich auf. André wollte
wissen, weshalb ich einen Führhund wolle und ob ich Kontakt zu
Führhundehaltern hätte. Also erzählte ich ihm von meinem Wunsch,
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meine Mobilität zu verändern, vom Wunsch, einen Kameraden, eine
Beziehung zum Hund zu wollen.
André gab mir auch praktische Tipps, zum Beispiel, gute Regenbekleidung anzuziehen. Ich sollte mir weiter ein Paar gute Turnschuhe
gönnen. Nicht, dass er etwas gegen meine Lackschuhe hätte, aber
mit der Zeit würde ich es sicher angenehmer finden, in bequemen
Schuhen unterwegs zu sein. Heute muss ich oft schmunzeln, wenn
ich Schuhe einkaufen gehe. Ich mag hübsche «Schüeli» nach wie
vor und ziehe sie auch immer wieder gerne bei einem Stadtbummel
oder abends im Ausgang an. Aber meine tägliche «Schuhkultur»
hat sich, seit ich Hunde habe, schon ein wenig geändert. Ich bevorzuge nun eher bequeme, wenn möglich wasserfeste Schuhe. Na ja,
auch da gibt es einige hübsche Modelle, oder?
Ich glaube übrigens, dass André meine Vorliebe für Schuhe bemerkt hatte, denn in Bezug aufs Führgeschirr gab er mir unter
anderem den Rat: «Gönnen Sie Ihrem Führhund gelegentlich mal
ein neues Führgeschirr. Wenn Schuhe nicht mehr neu oder gar
kaputt sind, möchte man sie schliesslich auch ersetzen.» Also,
mein erster Führhund Tenno bekam, wie auch Basil, hin und wieder
ein neues Führgeschirr.
Wenig später gesellte sich Lorenz Casparis, der damalige Leiter der
Instruktoren, zu uns. Auch mit ihm wurden ein paar wichtige Punkte
besprochen, ich weiss nicht mehr genau, was. Aber eines weiss ich
noch: Ich wollte einen Führhund von Allschwil.
Die Blindenführhundeschule in Allschwil aus der Vogelperspektive.
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Vorfreude auf meinen ersten Führhund
Danach folgte ein Jahr des Wartens, während dem ich meine Umgebung, zum Beispiel Familie, Freunde und Teilnehmer von Veranstaltungen, die ich damals besuchte, bewusst darauf vorbereitete,
dass ich demnächst mit einem Führhund unterwegs sein würde. Da
ich damals Punktschriftunterricht erteilte und ich diese Tätigkeit
entweder bei mir zu Hause, in der Beratungsstelle oder beim
Schüler ausüben konnte, musste ich mich mit keinem Arbeitgeber
auseinandersetzen.
Die meisten freuten sich mit mir, erkundigten sich über die Schule
und die Haltung des Hundes. Ein befreundetes Ehepaar und meine
Familie kamen auch mal bei einem Besuchstag in der Führhundeschule mit.
Am 20. Januar 1997 erhielt ich endlich den langersehnten Anruf
aus Allschwil. Andy Suter, Tennos Instruktor, teilte mir mit, sie hätten nun einen Führhund, der zu mir passen würde. Im nächsten
Moment sagte ich vor Aufregung überhaupt nichts. «Ja, wollen Sie
denn noch einen?», ertönte Andys Stimme. «Ja, ja natürlich», antwortete ich und wollte prompt alles über Tenno wissen. So erfuhr
ich, dass er eben Tenno hiess, ein mittelgrosser Rüde war und,
was ich mir eigentlich wünschte, aber nicht geäussert hatte, ein
schwarzer Labrador war. Er wurde am 11. Februar 1995 geboren.
Andy und ich vereinbarten einen Termin, damit ich Tenno und ihn
selbst kennenlernen sollte.
Meine Vorfreude war gross. Meine Leute erfuhren sehr schnell von
Tenno. Jetzt konnte ich diesem zukünftigen Führhund, der bald in
mein Leben treten würde, endlich einen Namen zuordnen.
Als ich Tenno das erste Mal sah, war er schüchtern. Ich fand das
eigentlich normal, denn er kannte mich schliesslich noch nicht.
Andy fuhr mit uns an einen ruhigen Ort, wo ich Tenno nun richtig
anfassen und mit ihm einen Spaziergang an der Leine machen
konnte.
Ich habe Tenno 4-mal besucht, bevor er am 11. März 1997 definitiv
zu mir kam.
Wenn ich heute zurückdenke, empfinde ich diese Vorfreude ganz
speziell. Alle freuten sich mit mir. Mein Schwager zum Beispiel
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erinnert sich gerne, dass er der erste in der Familie war, der Tenno
gesehen hat. Er hat mich einmal nach Allschwil gefahren, so durfte
er dabei sein, als Andy mir einiges zeigte. Meine Schwester erinnert
sich, wie wir loszogen, um Regenjacke und Rucksack einzukaufen.
Als dann die Einführung begann, war ich bestens ausgerüstet. Andy
und Sonya – Sonya Ghenzi war damals in der Lehre als Führhundeinstruktorin und wurde von Andy betreut – brachten mir
Tenno samt Zubehör wie Futter und Futternapf, Hundebettchen
«Posto», Pflegetischchen «Tavo» genannt, mit Hundebürste und
Kamm, Leine und dem Führgeschirr.
Es war eine schöne, wenn auch anstrengende Zeit. Wir waren von
morgens bis abends unterwegs. Tenno musste mein Wohnviertel
und meine alltäglichen Wege kennenlernen. Ich hingegen musste
lernen, Tenno zu vertrauen. Das war nun wirklich nicht immer einfach. Ich war es gewohnt, mit dem Langstock stets selber die Initiative zu ergreifen. Und nun war ich nicht mehr allein unterwegs und
musste mich daran gewöhnen, mit meinem Führhund im Team zu
arbeiten und ihm die richtigen Befehle im richtigen Moment zu
geben.
Andy Suter, Blindenführhundeinstruktor, mit Tenno.
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Eine neue Herausforderung
Während der ganzen Einführung war immer schönes Wetter. Unsere gute Laune war aber, glaube ich, nicht nur eine SchönwetterAngelegenheit. Sonya, Andy und ich verstanden uns gut. Sie
gingen beide auf meine Bedürfnisse ein. Wenn ich zu müde wurde,
gingen wir etwas trinken oder machten Feierabend. Für mich begann eine neue Herausforderung. Ich habe neue Wege entdeckt,
zum Beispiel war mir nicht bewusst, dass ich zu Fuss in den Wald
gehen konnte und nicht erst auf den Bus warten musste. Andy hat
mir den kürzeren Fussweg gezeigt.
Überhaupt merkte ich, dass ich zu Fuss oft schneller unterwegs
war, auch wenn ich in die Stadt ging, denn die Distanzen sind in
La Chaux-de-Fonds wesentlich kürzer als in Basel, da die Stadt
einiges kleiner ist. Tenno und ich waren in 15 Minuten im Wald wie
auch in der Stadt. Ich erinnere mich, wie ich auf einmal bemerkt
habe, dass ich, wenn ich den Bus verpasste, zu Fuss viel schneller
am Ziel ankam, anstatt noch 10 Minuten auf den nächsten Bus zu
warten. Das freute Andy sehr!
Nach der ersten Einführungswoche durfte ich das Führgeschirr
noch nicht benutzen. Ich musste Tenno an die Leine nehmen und
so spazieren gehen. Als dann nach der zweiten Woche die Einführung vorbei war, freute ich mich riesig auf den Moment, wo wir uns
als Führgespann zeigen durften. Doch dies war nicht immer so einfach. Ich brauchte nun meine Zeit, mich daran zu gewöhnen, dass
Tenno und ich ein Team waren, dass er seinen eigenen Kopf hatte;
und ich kann euch sagen, Tenno hatte manchmal sein stures Köpfchen.
Eine Führhundeinstruktorin pflegt oft zu sagen: «Für einen langjährigen Langstock- Läufer kann die Anfangszeit mit seinem Führhund
den Anschein haben, dass er eher in seiner Mobilität einen Schritt
zurück geht. Wenn dann diese Phase vorbei ist, macht er zwei
Schritte vorwärts.» Das kann ich durchaus bestätigen. Aber auch
diese Phase haben wir überstanden. Ich lernte Tenno immer besser
kennen. Ich wusste, welche Wege er besonders gerne ging und
welche eher nicht. So konnte ich mich darauf vorbereiten, um ihn zu
motivieren. Tenno mied gerne Apotheken und Drogerien, aber mit
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viel Motivation konnte ich ihn dazu bringen, mir freudig und
schwanzwedelnd die gewünschte Tür anzuzeigen. Da sich die
meisten Verkäuferinnen sowieso freuten, ihn zu sehen, und ihn
streicheln wollten, war dies natürlich auch eine positive Erfahrung
für Tenno.
Ich merkte auch, wie wichtig es ist, den Hund nicht die eigene
negative Stimmung spüren zu lassen. Er fühlt sich dann verunsichert und dies kann die Führarbeit beeinflussen.
In meiner Nachbarschaft
gab es viele Kinder verschiedenen Alters. Es hat
mich immer erstaunt, wie
schnell Kinder begreifen,
dass sie den Führhund,
wenn er am Führgeschirr
ist, nicht streicheln dürfen.
Wenn ich aber vor der
Haustür stand und Tenno
kein Führgeschirr anhatte,
kamen sie sofort und wollten ihn streicheln. Das war
immer so, auch wenn sich
mit der Zeit alle an Tenno
gewöhnt hatten. An Streicheleinheiten hat es ihm
wohl nie gefehlt!
Ich erinnere mich an den
zweiten Einführungstag, da
hatten Andy, Sonya und ich
mit Tenno morgens schon
«Wenn ich gross bin, werde ich auch
einiges geleistet, als es
Blindenführhund.»
während der Mittagspause
an meiner Tür klingelte und 6 Kinder dastanden, weil sie Tenno besuchen wollten. Ich liess sie reinkommen, erklärte ihnen, dass ich
Tenno noch nicht gut kenne, also sollten sie nicht stürmisch, sondern behutsam auf ihn zugehen. Das hat wunderbar funktioniert,
alle sassen auf dem Boden und spielten mit Tenno.
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Reaktionen der Mitmenschen
Der Frühling verging im Nu. Täglich war ich mit Tenno unterwegs,
und so verbesserte sich unsere gemeinsame Führarbeit von Tag zu
Tag. Ich merkte allmählich, dass ich Tenno vertrauen konnte, und
dies bewirkte, dass wir schneller durch die Strassen huschten.
Andy kam immer wieder, um mit uns entweder neue Wege zu
gehen oder schon Gelerntes zu verbessern. Er war meistens zufrieden mit uns.
Nebst der Führarbeit und gegenseitigem Kennenlernen haben
Tenno und ich einige Schwierigkeiten überbrücken müssen. Da ich
noch keine Erfahrung mit einem Hund hatte, musste ich mich an
das Verhalten des Hundes gewöhnen. Da war zum Beispiel die
Problematik beim Freilauf. Tenno gehorchte an einigen Tagen gut,
doch dann rannte er plötzlich weg, meistens um etwas zu fressen,
und kam erst zurück, wenn er genug davon hatte. Er blieb nie sehr
lange weg, höchstens ein paar Minuten, aber für mich dauerte es
eine Ewigkeit, bis er wieder da war. Einerseits machte ich mir Sorgen, wo er steckte und was er wohl zusammenfrass, andererseits
war ich oft auch frustriert. Schliesslich wollte ich den Spaziergang
geniessen und freute mich, wenn Tenno frei sein konnte. Und er
macht sich einfach davon! Mir wurde bewusst, dass eine sehende
Person ihren Hund rechtzeitig abrufen kann, was bei uns Blinden,
trotz Glöckchen am Halsband, nicht immer rechtzeitig gelingt. Wenn
Tenno dann endlich zurückkam, musste ich ihn trotzdem loben und
nicht am «Krägli» schütteln, wie ich es oft am liebsten getan hätte.
Ich musste auch klare Grenzen setzen. Tenno hat versucht, aufs
Sofa und aufs Bett zu steigen, da musste ich ihm klarmachen, dass
dies nicht erwünscht ist. Mit einem bestimmten «no» musste ich ihn
runterschicken. Dies hat Tenno verstanden.
Auch in meinem Bekanntenkreis gab es anfangs Situationen, in
denen ich Klartext reden musste. «Darf er wirklich kein Stückchen
Kuchen haben? Er schaut doch so herzig», hiess es oft. Sehr
schnell merkte ich, wie wichtig der Dialog ist. Es geht nicht nur darum, dass er nichts bekommt, sondern auch darum, anderen klar zu
machen, weshalb das so wichtig ist. Nebst der Gesundheit und dem
Gewicht des Hundes hat es auch praktische Aspekte. Ich möchte
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zwei Beispiele erzählen:
Ich besuchte regelmässig die Kreativgruppe des SBV – Schweizerischer Blindenverband – Sektion Neuenburg. Im Verlauf des Nachmittags war es üblich, eine Zvieripause zu machen. Da ich während
des Zvieris Tenno sowieso bei mir an der Leine hatte, merkte ich,
dass jemand immer wieder einen Brocken fallen liess. Dies kann ja
gelegentlich passieren, aber es fällt auf, wenn es regelmässig vorkommt. Ohne irgendjemanden zu verdächtigen, erklärte ich der
ganzen Gruppe: «Mein Führhund begleitet mich überallhin, sei es
beim Einkaufen oder im Restaurant, daher bin ich darauf angewiesen, dass er sich benimmt. Das heisst, dass er nicht ständig bettelt
und sabbert. Ich kann beim Zvieri nicht mehr dabei sein, wenn das
ewige Füttern nicht aufhört.» Dies hat gewirkt. Tenno wurde nicht
mehr unter dem Tisch gefüttert.
Zwei angehende Blindenführhunde im Grünen.
Das zweite Ereignis war gewissermassen ziemlich lustig: Wir
sassen in einem eher gehobenen Restaurant. Die Wirtin war begeistert von Tenno. Bevor wir unseren Apéro bekamen, erhielt er
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sein Wasser. Die Gäste waren beeindruckt, wie ruhig Tenno unter
dem Tisch lag, während wir ein herrliches Abendessen genossen.
Im Verlauf des Abends kam eine Frau mit einem Stück Rindsfilet an
unseren Tisch und fragte: «Darf ich ihrem lieben Hund, der schon
seit einiger Zeit so brav unter dem Tisch liegt, als Belohnung ein
Stück von meinem Rindsfilet geben? Ich mag ohnehin nicht alles
aufessen, es würde mich freuen, wenn er es bekäme.» Natürlich
war sie sehr enttäuscht, als ich ihr Angebot freundlich, aber bestimmt, ablehnte. Sie setzte sich einen Moment zu uns, so konnte
ich ihr erklären: «Sie sind erstaunt, wie friedlich mein Hund unter
dem Tisch liegt, während rings um ihn herum alle essen? Dies gehört auch zur Erziehung, die er in der Führhundeschule erhalten
hat, damit der Führhundehalter problemlos mit seinem Führhund
auswärts essen gehen kann. Den besterzogenen Hund kann man
aber auch sehr schnell verziehen, indem man ihn ständig füttert.»
Wir hatten ein gutes Gespräch, aber sie wollte nicht locker lassen.
Zum Schluss bot sie mir an, das Filet in eine Alufolie einzuwickeln,
sodass ich es Tenno zu Hause geben könne. Letztlich weiss ich
nicht, was aus diesem Stück Filet geworden ist, aber in Tennos
Magen ist es nicht gewandert.
Die engsten Bekannten und meine Familie haben das Nichtfüttern
des Hundes immer respektiert.
An einem sonnigen Julimorgen stiegen Tenno und ich in den Zug
und fuhren zu einer meiner Schwestern, Mary, ins Baselbiet. Sie
hatte uns ein paar Tage zu sich eingeladen. Das war eine Begrüssung, als wir aus dem Zug stiegen. Tenno kannte Mary bereits. Er
freute sich so sehr, sie zu sehen, dass er an ihr trotz Führgeschirr
hochsprang.
Dies löste natürlich ein Lachen und einen «Jöö-Effekt» bei den umstehenden Leuten aus. Wir verbrachten 3 wunderschöne lustige
Tage bei ihr. Es war ziemlich heiss, so gingen wir eher frühmorgens
und abends mit Tenno spazieren. Aber Tenno musste jedes Mal
furchtbar hecheln. Da hatte Mary die gute Idee, ihn mit dem Gartenschlauch abzuspritzen, danach wollten wir es uns im Garten
gemütlich machen. Ein paar Tage vorher hatte sie die Fensterscheiben frisch geputzt. Aber dies beachtete Tenno wohl kaum,
denn er schüttelte sich nach dem Abspritzen so ausgiebig, dass
meine Schwester nur noch verdattert dastand und «ihren» Tenno
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«du Säuludi» nannte. Mir war es peinlich. Aber Mary versicherte
mir: «Mach dir bloss keine Sorgen. Er kann doch nichts dafür.
Diese Fenster kann ich ein andermal wieder putzen.»
Zusammen spielen macht Spass!
Anna, meine jüngere Schwester, hatte sich schon immer vor Hunden gefürchtet. Aber diese Angst konnte sie dank Tenno ein wenig
bewältigen. Sie mag es heute auch nicht, wenn ein fremder Hund
auf sie zugeht, aber meine Hunde hat sie stets gemocht.
Ich erlebe oft, dass Leute, die ängstlich Hunden gegenüber sind
oder gar gebissen wurden, gerne meinen Führhund streicheln
wollen, um diese Angst zu überwinden.
Tennos Patenfamilie wohnte in Riehen. Wenn ich irgendwo in den
Urlaub fuhr, wo ich Tenno nicht gut mitnehmen konnte, durfte er zu
ihnen in die Ferien. Sie freuten sich riesig, ihn wieder einmal bei
sich zu haben, und ich wusste, dort ist er aufgewachsen, es könnte
ihm nicht besser gehen.
Tenno war bereits ein Jahr bei mir, als ich meinen Urlaub in Sizilien
verbrachte. Mir taten diese Ferien gut und Tenno hatte es bei seiner Patenfamilie auch gut gefallen. Mich hat es aber trotzdem sehr
gerührt, als Tenno, einmal zu Hause, sich voller Freude in die
Führarbeit stürzte, zumal ich mich anfangs oft fragte, ob er wirklich
gerne führe.
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Der Abschied
Tenno war 7½ Jahre lang mein Führhund, mein Begleiter. Seine
Führarbeit hat er stets zuverlässig gemeistert. Beim Freilauf nahm
ich ihn bei kritischen Stellen, zum Beispiel, wenn wir uns einem
Bauernhof näherten, an die Leine, da ich keine Lust hatte, dass er
wiedermal davon rannte, um etwas zu fressen.
Manchmal war Tenno auch eine Stütze für mich, besonders dann,
wenn es mir nicht besonders gut ging. Da war Tenno! Er brauchte
Zuneigung, er musste hinaus, ich konnte mich nicht einfach verkriechen und das war gut so.
Schon immer mochte ich es, im Wald spazieren zu gehen, und nun,
da ich meinen Führhund hatte und Andy mir einige schöne Wege
gezeigt hatte, konnte ich dies auch ohne sehende Begleitung tun.
Das genoss ich sehr.
Aber auch mit Freunden habe ich oft schöne Wanderungen unternommen. Der Jura ist bekanntlich ein wunderschönes Gebiet. In
Arosa haben Tenno und ich mal bei einer Wanderwoche mitgemacht.
Die Jahre vergingen schnell. Tenno wurde älter und damit auch
schreckhafter. Dazu kam, dass er mit den Jahren an Arthrose litt.
Gelegentlich musste ich ihm, da er stark hinkte, Medikamente verabreichen. Im August 2004 bemerkte ich, dass Tenno nach unserem Spaziergang nur noch in den Bus steigen wollte, anstatt wie
gewohnt zügig nach Hause zu spazieren. Manchmal blieb er während der Führarbeit ohne ersichtlichen Grund abrupt stehen. Eines
Tages rief ich Andy an. Wir vereinbarten einen Termin, damit er
sich Tennos Zustand anschauen konnte.
Andy erläuterte mir manches über die Veränderungen und das Verhalten des älter werdenden Hundes. In mir krampfte sich alles zusammen. «Kannst du nichts tun, Andy? Nimm ihn ein paar Tage in
die Schule zurück, um die Führarbeit aufzufrischen, dann wird es
bestimmt wieder besser», meinte ich. Aber Andy erklärte mir, dass
dies nichts nützen würde. «Tenno leidet unter Arthrose, er erschrickt oft. Dies bessert sich nicht im Alter», sagte er. Ich war
überzeugt, dass ich Tenno nach seiner Pensionierung behalten
würde. Na ja, dann nehme ich Tenno an die Leine und benutze
eben wieder den Langstock, dachte ich.
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Aber es kam anders. In meinem Leben veränderte sich einiges. Ich
wusste, ich würde nach Basel umziehen, ich würde im Restaurant
«Blindekuh Basel» arbeiten.
Was tun? Tenno für die Pensionierung behalten oder weggeben?
Was ist besser? Das fragte ich mich stets. Tenno hing an mir, ich
an ihm. Wenn ich an die Pensionierung dachte, kamen Schuldgefühle in mir hoch. Er hatte mich jahrelang geführt, wir hatten es gut
miteinander. Jetzt, da er älter wurde und seine Gesundheit nicht
mehr optimal war, sollte ich ihn weggeben? Diese Vorstellung fand
ich einfach schrecklich.
Aber ich wurde seitens der Schule gut unterstützt. Andy versicherte
mir immer wieder, dass man für Tenno eine gute, liebenswerte
Familie finden würde, dass ich keinesfalls egoistisch sei, falls ich
mich für einen Halterwechsel entscheide. Letztlich muss man sich
klar überlegen, was das Beste für den Hund ist. Sollte ich ihm
diesen Umzug und was das alles mit sich bringen würde an Stress,
neue Wege, neue Arbeitsstelle und, und, und zumuten?
Also habe ich mich für den Halterwechsel entschieden. Tenno kam
zu einer Familie ins Baselbiet, das hatte ich mir auch so gewünscht.
Und Tenno hat noch ein paar schöne Jahre verbracht bei Leuten,
die ihn auch sehr gern hatten. Ich habe Tenno einige Male gesehen
während dieser Zeit.
Ein Führhund im Ruhestand.
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Eine Zeit ohne Führhund
Nach Tennos Pensionierung verging mehr als ein Jahr, bis mein
zweiter prachtvoller Führhund Basil in mein Leben kam. Aber ich
habe diese Zeit gebraucht. Nun musste ich meine Mobilität auffrischen.
Ich war froh, dass meine beiden Mobilitätstrainer, Daniel in
La Chaux-de-Fonds und Priska in Basel, mich dabei mit Rat und
Tat unterstützten. Anfangs war ich irritiert über die vielen Hindernisse, die mir plötzlich im Weg standen. Oft erschrak ich, wenn mein
Langstock gegen einen Pfosten schlug, und nervte mich auch dementsprechend. Priska bemerkte mal lachend: «Das ist doch der
Zweck des Langstocks, damit nicht du gegen den Pfosten rennst.»
Priska war überzeugt, dass ich nach meinem Umzug nach Basel,
nachdem ich die Trauerzeit von Tenno verarbeitet hätte, bestimmt
wieder einen Führhund wollte. Aber sie sprach zum Glück nicht
ständig davon. Nur gelegentlich liess sie eine kleine Bemerkung
fallen. Wie zum Beispiel, als sie mit mir mein neues Wohnviertel erkundete, da erwähnte sie so nebenbei: «Rabättli mit Robidogs gibts
hier zur Genüge, praktisch, oder, Giusi?»
Das Positive an meiner hundelosen Zeit war, dass ich meinen Umzug organisieren konnte und dass ich morgens nicht früh hinaus
musste. Gerade dies genoss ich sehr, da die letzten Wintermonate
in La Chaux-de-Fonds recht winterlich waren. Ich konnte die Schulung in der «Blindekuh» mitmachen, ohne gross zu überlegen:
«Was mache ich mit meinem Hund?». Ich wollte nicht, dass er tagelang nur drinnen sitzt. Also war ich in meiner damaligen Situation
froh, keinen Führhund zu haben. Ich konnte mich in Basel neu integrieren, mich einleben.
Rückblickend denke ich, dass diese Lebensphase, trotz viel Belastung, auch spannend und schön war. Alte Freundschaften sind wieder erwacht, neue habe ich dazugewonnen. Seit Langem lebte ich
wieder allein, aber einsam war ich nicht. Im Gegenteil, nach einem
schönen Abend mit Freunden oder Familie freute ich mich stets,
wieder in meiner Wohnung zu sein und die Ruhe zu geniessen.
Auch die Tatsache, dass ich damals keinen Führhund hatte, war für
mich von Bedeutung. Keine Verpflichtungen, ausser arbeiten und
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meinen alltäglichen Tätigkeiten nachzugehen. Wenn ich mal den
ganzen Tag nicht raus wollte, ging ich eben nicht hinaus.
Und Tenno wusste ich in guten Händen. Während der ersten Monate war ich telefonisch oder per E-Mail mit der Familie in Kontakt. Als
ich dann in Basel wohnte, habe ich ihn mehrmals gesehen. Er verbrachte sogar ein Wochenende bei mir, als seine Familie an einer
Hochzeit eingeladen war. Das war beeindruckend: Ich hatte mich
gefreut, ihn bei mir zu haben, und da meine Geschwister ihn auch
sehen wollten, verbrachten wir den Samstagabend bei ihnen im
Garten, denn es war Sommer. Als er sonntags abgeholt wurde,
ging er ohne Weiteres mit. Also wusste ich, Tenno fühlt sich wohl in
seinem neuen Zuhause.
Allmählich spürte ich immer öfters den Wunsch in mir aufkeimen,
wieder einen Führhund zu haben. So rief ich eines Tages die Führhundeschule an und freute mich, bald mit Liliane Dill einen Termin
zu bekommen. Ich hatte Tenno wirklich gern und doch wusste ich,
dass ich gewisse Dinge einfach nicht mehr wollte. Zum Beispiel,
dass Tenno nicht alleine zu Hause bleiben konnte. Das hatte er im
Verlauf der Jahre total verlernt. Da ich ihn ohnehin immer dabeihatte, habe ich dies zu spät bemerkt. Mich hat es oft gestresst,
wenn er im Freilauf plötzlich davonrannte. Mit Liliane konnte ich
über das alles sprechen. Ich spürte, sie verstand mich. Besonders
schätzte ich, dass sie und auch Lorenz mir vertrauten. «Nimm dir
Zeit. Wenn du so weit bist, bekommst du einen passenden Führhund», sagten sie. Und so war es auch.
Hunde in Ausbildung.
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Die Anfangszeit mit Basil
Liliane Dill, die zuständige Instruktorin für Führhundeanwärter, und
ich waren so verblieben, dass ich evtl. eine kleine schwarze Hündin
bekommen sollte.
Und dann, an einem Tag im Februar 2006, erfuhr ich von Basil.
Nicht eine kleine Hündin, sondern einen kleinen schwarzen Rüden
sollte ich bekommen.
Am 1. März habe ich Basil in der Führhundeschule besucht. Martin
Kurz, sein Instruktor – er war damals noch in der Lehre als Instruktor und wurde von Lorenz Casparis betreut –, holte mich an der
Tramhaltestelle in Allschwil ab. In der Schule stiess Lorenz zu uns.
Martin erzählte mir einiges über Basil: Basil brauchte zwar am Anfang seiner Ausbildung ein wenig Zeit, bis er, wie Martin es formulierte, «den Knopf» öffnete und anfing, sich zu entfalten. Jetzt würde er aber zügig am Führgeschirr arbeiten. Er sei ein eher ruhiger
Hund.
Und dann führte mich Martin zu Basil. So ähnlich wie bei Tenno war
es auch bei Basil: Er kannte mich noch nicht und da Basil eher
zurückhaltend war, begrüsste er mich nicht überschwänglich. Ich
durfte einen kleinen Spaziergang am Führgeschirr mit ihm machen,
durfte ihn kämmen und bürsten. Am Ende des Nachmittags, als wir
gemütlich in der Cafeteria sassen und Basil an meinen Füssen lag,
wusste ich: Diesen Hund möchte ich näher kennenlernen. Am
15. März kam mich Martin mit Basil besuchen. Wir vereinbarten,
dass Basil Ende März ein Wochenende bei mir zu Hause verbringen sollte, dann könnte ich mich definitiv entscheiden. Ich habe
mich nach diesem Wochenende für Basil entschieden und habe es
nie bereut. Es war rührend, wie Basil anfangs bei mir zu Hause
scheu war. Er folgte mir überallhin und wollte immer in meiner Nähe
sein.
Ein schöner, unvergesslicher Frühling begann. Ich wohnte in Basel,
an der Grenze zu Allschwil. Da ich bereits schon einen Hund gehabt hatte und der Umgang mit einem Hund für mich nicht neu war,
durfte ich Basil immer wieder übers Wochenende bei mir haben.
Führen durfte er mich nicht, da er seine Ausbildung noch nicht be21/32
endet hatte. Ich nahm ihn aber als Begleithund überall mit, machte
schöne Spaziergänge mit ihm und genoss meine Abende mit ihm
zu Hause, wenn ich nicht in der «Blindekuh» arbeitete. Allmählich
merkte ich, dass Basil sich bei mir daheim fühlte. Er fing an, seine
Lieblingsplätzchen zu haben, und wenn ich abends etwas kochte,
lag er nicht ständig bei mir in der Küche, sondern schnarchte auf
seinem «Posto». Oft brachte Martin ihn zu mir nach Hause. Aber es
kam auch vor, dass ich ihn in Allschwil abholte. Es war so schön,
wie er sich dann freute, mit mir zu kommen.
Im Juni hatte Basil seine Ausbildung abgeschlossen und wurde
mein Führhund.
Es folgte eine schöne Zeit, mit Basil als Führhund und Freund an
meiner und meines Partners Norberts Seite.
Blindenführhund Basil.
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Basil
Aber auch die Jahre mit Basil vergingen viel zu schnell. Es mag
vielleicht blauäugig klingen, aber Basil war für mich der ideale
Führhund. Er führte mich zuverlässig überallhin. Ich brauchte ihn
nicht ständig zu motivieren, falls ich mal einen anderen Weg als
gewohnt gehen wollte. Er hatte einen guten Appell im Freilauf. Basil
begleitete mich, so wie Tenno, überallhin, er war fast immer dabei,
er gehörte zu mir. Ging ich arbeiten, einkaufen, zum Coiffeur, zum
Arzt usw., war er bei mir. Die Leute hatten ihn gern, da er ruhig und
anhänglich war. Für mich war es nie eine Hürde, ihn bei mir zu
haben.
Giuseppina Barone wird von Basil geführt.
Die Verbundenheit zwischen Basil und mir war speziell. Vielleicht
lag es daran, dass wir uns in gewissen Dingen ähnlich waren. Basil
brauchte eine bestimmte Zeit, um sich während der Ausbildung zu
entfalten, aber dann wurde er ein toller Führhund. Manchmal geht
es mir ähnlich, ich brauche Zeit, um mich zu entfalten. Basil ging
nicht so ohne Weiteres auf fremde Menschen und Hunde zu, er
wollte sie zuerst kennen. Aber dann, wenn er sie mochte, zeigte er
dies voller Freude. Ich bin auch so. Basil und ich gingen gerne spazieren, aber er kam auch freudig mit mir in die Stadt und legte eine
Engelsgeduld an den Tag, während ich Kleider anprobierte oder an
einem Parfüm roch. Irgendwann wollte er nach Hause und seine
Ruhe geniessen. Na ja, das konnte ich ihm nicht verdenken.
Allmählich wusste ich, was Basil besonders gern mochte oder wen
er besonders gern hatte. Da war zum Beispiel meine Coiffeuse, bei
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der er sich wohlfühlte. Oder Norberts Cousine Margret, die im Saarland zu Hause ist. Er begrüsste sie besonders stürmisch. Basil
liebte das Saarland. Wir haben viele schöne Stunden im Wald in
Altenwald bei Sulzbach verbracht, da konnte er sich austoben.
Meistens kehrten wir in unser Stammlokal direkt im Wald ein, um
ein kühles Bierchen oder ein feines Nachtessen zu geniessen.
Auch dort waren wir mit Basil stets willkommen. Der Chef des Hauses, Martin, war total vernarrt in Basil. Er nahm sich immer Zeit, ihn
ausgiebig zu streicheln. Letzten Sommer, als Basil so richtig
schmutzig war, da er in einer Pfütze herumgetobt hatte, durfte er
ihn sogar mit dem Gartenschlauch abspritzen.
Das IBZ Internationales Blindenzentrum in Landschlacht war auch
ein Paradies für unseren Basil. Er konnte in den Feldern herumspringen und von den Bäumen heruntergefallene Äpfel fressen, die
er gut verdaute.
Basil liess ich in anderer Obhut, wenn ich irgendwo Urlaub machte,
wo es für ihn zu stressig oder langweilig gewesen wäre, zum Beispiel beim Besuch fremder Städte. Wenn ich ein oder zwei Tage
einen Kurs besuchte, überlegte ich mir immer, ob es Sinn machte,
ihn mitzunehmen, da er sowieso den ganzen Tag drinnen sitzen
musste. Deshalb ist es für mich wichtig, mindestens zwei Familien
zu kennen, bei denen ich meinen Führhund in besten Händen
weiss.
Jeder Hund hat, so wie der Mensch, seine positiven und negativen
Eigenschaften. Es wäre wahrscheinlich falsch ausgedrückt, wenn
ich sagen würde, Basil hatte nur positive Seiten. Tatsache ist aber,
dass ich von Anfang an bei ihm kaum negative entdecken konnte.
Und nun kam der Moment des Abschieds. Man kann nicht alle Gefühle in Worte fassen, da könnte man ein Buch schreiben.
Es ist okay, dass es die Pensionierung für unsere Führhunde gibt.
Es sind Arbeitshunde und irgendwann dürfen sie ihren wohlverdienten Ruhestand geniessen. Ob man den Hund behalten kann oder
nicht, hängt von der Lebenssituation und der Möglichkeiten des
Führhundehalters ab. Ich musste Basil weggeben.
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Es fing an Silvester 2012 an. Basil hatte schreckliche Angst vor
dem Feuerwerk. Er zitterte und konnte sich nur unter dem Tisch
einigermassen beruhigen. Ich war verzweifelt. Er tat mir leid und ich
wusste, er wird bald pensioniert. Ich hatte das Gefühl, etwas wird
mir weggerissen.
Martin Kurz, Basils Instruktor, riet mir, Basil gut zu beobachten, wie
er auf Geräusche reagiert. Der Knallerei kann man eventuell ausweichen, aber nicht immer. Baustellen wurden für Basil auch ein
Stressfaktor. Er war immer so tüchtig am Führgeschirr, aber sobald
er einen Pressluftbohrer hörte, wollte er nicht weiterführen, ich
musste ihm das Führgeschirr ausziehen und ihn an der Leine weitergehen lassen. In dieser Hinsicht war das Jahr 2013 für mich und
auch für Norbert ein schwieriges Jahr. Da war stets bereits die
Trauer, dass Basil irgendwann geht. Wir wussten noch nicht, wohin
er gehen würde. Erst als wir seine zukünftige Familie kennenlernten
und spürten, dort wird es ihm gut gehen, dort wird er mindestens so
viel Liebe und Zuneigung bekommen wie bei uns, konnten wir
dieser Situation zuversichtlicher entgegenblicken.
Es folgte eine sanfte Übergabe. Die Familie durfte ihn hin und wieder hüten. Allmählich merkten wir, dass Basil sich freute, wenn sie
ihn abholten. Und gerade diese Tatsache half uns sehr, denn wir
wollten das Beste für unseren Basil. Als wir bei ihnen zum Abendessen eingeladen waren, spürten wir, dass er sich wie zu Hause
fühlte.
Trotzdem war der Tag, an dem Basil endgültig abgeholt wurde,
furchtbar.
Ich bin eine überzeugte Führhundehalterin. Ich schätze den Führhund für meine Mobilität, ohne den emotionalen Aspekt zu vergessen. Ich habe meine Hunde geliebt. Zwei Dinge geben mir die Kraft,
loszulassen: die Tatsache, dass es der Führhundeschule ein wichtiges Anliegen ist, die Hunde bei guten Menschen unterzubringen,
und dass es für den Hund gut ist, seine letzten Jahre möglichst
ohne Stress zu verbringen. Das geht doch uns Menschen in gewissen Massen auch so, oder?
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Zorrino
Als ich mich von Basil trennen musste, hätte ich nie gedacht, dass
ich je wieder einen Hund so lieb gewinnen würde wie ihn. Ich freute
mich, als mir Martin Kurz von Zorrino erzählte, den er ebenfalls
ausgebildet hatte. Als ich ihn dann das erste Mal sehen sollte, war
ich doch sehr gespannt auf ihn. Wir kannten uns noch nicht, es gab
also noch keine Beziehung zwischen uns.
Anfang Februar begann dann die Einführung. Es war schon meine
dritte Einführung, also war einiges vertraut. Ein wesentlicher Unterschied lag darin, dass ich meine Wege bereits kannte, Zorrino
musste sie aber noch kennenlernen. Es ist immer spannend, wenn
sich Führhundehalter und
Führhund
gegenseitig
kennenlernen.
Zorrino musste sich an
meine Gangart gewöhnen,
ich mich an seine. Ich entdeckte seine Führart, die
übrigens nicht viel anders
ist wie bei Basil, denn
Zorrino ist zügig und freudig unterwegs. Zorrino ist
ein wenig wilder als Basil.
Vor allem im Freilauf rennt
er gerne herum. Während
Basil andere Hunde kaum
interessierten, geht Zorrino
mit Freude auf sie zu und
fordert sie zum Spielen
auf, was meistens möglich
ist. Während der Führarbeit verlange ich jedoch
Disziplin und das hat
Zorrino gut verstanden. Zu
Giuseppina Barone unterwegs mit Zorrino. Hause ist Zorrino ruhig,
ausser er will mit uns spielen und das machen wir dann auch gerne
mit ihm, Norbert und ich. Da Zorrino Plüschtiere liebt, liegen nun
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auch welche in der Wohnung herum. Sein Plüschschwein, welches
er schon bei seiner Patenfamilie hatte, ist selbstverständlich auch
dabei.
Gemeinsam kuscheln.
Der quirlige Zorrino ist sehr verschmust. Die Abende verbringen wir
oft auf dem Boden auf einer Decke liegend, denn Zorrino braucht
viel Körperkontakt. Er kuschelt sich in meinen Arm und ich geniesse
die Ruhe, höre ein Hörbuch oder Musik. Dasselbe mag er auch mit
Norbert. Er mag ihn auch sehr gern und das ist gut so, denn für
Norbert war Basils Verlust eine schwierige Erfahrung. Ich hatte das
bereits mal erlebt mit Tenno. Ich wusste, dass ich für meinen Basil,
auch wenn es mich innerlich zerriss, den richtigen Entscheid getroffen hatte.
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Basil und Zorrino haben viel Ähnlichkeit miteinander. Ich kann mit
Zorrino alles unternehmen, wie ich es mit Basil gemacht habe.
Auch er kommt gerne mit mir in die Stadt, um einzukaufen, aber wir
geniessen auch unsere Spaziergänge in der Natur.
Zusammen ausruhen.
Zorrino in Spiellaune.
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Trotzdem sind die beiden Hunde auch unterschiedlich und das
macht es spannend. Basil war ein kleiner Professor, es erstaunt
einen nicht, dass er super führen konnte. Zorrino ist ein lustiger,
immer auf Spiel und Spass eingestellter Hund, und trotzdem, sobald er das Führgeschirr anhat, macht er seine Arbeit sehr gewissenhaft. Also ich staune!
Vielleicht mag sich der eine oder andere fragen, welchen Hund ich
lieber hätte. Aber solch tiefe Beziehungen lassen sich nicht
messen. Dazu kann ich nur sagen: Basil war und bleibt ein unvergesslicher Führhund, aber Zorrino hat mich und auch Norbert ebenfalls erobert. Er hat uns so viel Freude, so viel Trost geschenkt,
dass wir ihn genauso lieb haben.
Ein tolles Team!
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Basil und Zorrino.
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BESUCHSTAG
Jeden 1. Samstag eines Monats
um 15.00 Uhr
in der Blindenführhundeschule in Allschwil
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Weitere Informationen finden Sie
auf unserer Website
www.blindenhundeschule.ch
oder über unser Sekretariat.
Stiftung Schweizerische Schule
für Blindenführhunde Allschwil
[email protected]
Tel +41 (0)61 487 95 95
Fax +41 (0)61 487 95 90
Markstallstrasse 6
CH-4123 Allschwil
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