B 6690 11111181)5111111111,111111
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B 6690 NAT Neue Zeitschrift far Gesellschaftsrecht Geschaftsfiihrende Herausgeber Prof. Dr. Holger Altmeppen Prof. Dr. Alfred Bergmann Prof. Dr. Wulf Goette Prof. Dr. Jurgen Gotz Prof. Dr. Joachim Hennrichs Prof. Dr. Dieter Leuering Prof. Dr. Peter 0. Millbert Dr. Kersten von Schenck Dr. Sven H. Schneider Prof. (em.) Dr. Dres. h. c. Harm Peter Westermann Dr. Hildegard Ziemons www.nzg.beck.de C.H.BECK 15/2016 19. Mai 2016 19. Jahrgang S. 561-600 Aus dem Inhalt B.-W. Schmitz/U. H. Schneider Die Griindung von Briefkastengesellschaften als Beratungspflicht fiir Anwalte und Leitungsaufgabe fiir das Management? 561 M. Gehrlein Leitung einer juristischen Person durch juristische Person? 566 R. Stangl Klagen gegen den Akzessorietatsverlauf — Prozesstaktiken und Prozessrisiken bei einer GbR 568 M. Backes/J. Knop 7. Praktikerseminar auf dem Osterberg 572 E Burmeister/K. Schmidt-Hero Beurkundungsbediirftigkeit des Zustimmungsbeschlusses bei einer Veraufgerung des gesamten Vermagens einer Personengesellschaft? 580 B GH Pfandungs- und Uberweisungsbeschluss bei sammelverwahrter Inhaberschuldverschreibung 588 OLG Dfisseldorf Keine kostenrechtlich unrichtige Sachbehandlung bei Beurkundung des Gesellschafterbeschlusses fiber die Veraufgerung des gesamten KG-Vermogens 589 BFH Testamentarisch angeordnete Verzinsung als Einkiinfte aus Kapitalvermogen 594 11111181)5111111111,111111 572 Backes/Knop, Praktikerseminar Osterberg NZG 15/2016 Aufsatze b) Sonstiges Verhalten im Erstprozess Weitere Hebei, urn dem Dritten seine zweite Klagechance durch eine Ausweitung der Wirkungen des Erstprozesses auf die Gesellschaft zu verbauen, bietet die ZPO dem Anwalt der Gegenseite nicht. Doch sollte dieser im Laufe des Erstprozesses neben der Kombination aus isolierter Feststellungsklage der Gesellschaft und Verbindung bzw. Aussetzung noch weitere Aspekte im Buick haben: Zum einen kann sich eine Verzogerungstaktik anbieten. Denn die Verjahrung der Gesellschaftsschuld hat der Dritte durch seine Klage gegen die Gesellschafter noch nicht gehemmt.55 Die Verzogerung des Erstprozesses kann ihm von daher gefahrlich werden. Zum anderen mag der Austausch von Gesellschaftern ein adaquates Mittel sein, wenn die Gesellschaft eine GbR ist. Denn der Dritte kann sich nur solange aus dem Erstprozess heraus einen Zugriff auf deren Gesellschaftsvermogen erhoffen, wie er in diesem Prozess gegen alle aktuellen Gesellschafter Titel erlangt (s. o.). Entsprechend kann deren Austausch den Sinn des Erstprozesses vereiteln. Drittens muss der Anwalt beim Abschluss von Vergleichen unbedingt auf eine Gesamtbereinigung hinwirken, die die Schuld der Gesellschaft mit umfasst. Ansonsten droht ihm, dass der Dritte nach vermeintlich einvernehmlicher Erledigung der Sache einen weiteren Prozess gegen die Gesellschaft anstrengt. ■ 55 So die herrschende Lehre; vgl. Roth in Baumbach/Hopt, § 129 Rn. 2; MiiKoHG13/Schmidt, § 129 Rn. 9; Steitz in HenssleilStrohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2014, HGB, § 129 Rn. 7. Rechtsanwalte Dr. Marcus Backes und Dr. Johannes Knop* 7. Praktikerseminar auf dem Osterberg Zu Beginn des WS 2015/16 luden die TObinger Corps zum 7. Osterberg-Seminar ein. Erneut konnten sie eine Vielzahl von anerkannten Professoren und Praktikern als Vortragende gewinnen, die auf hOchstem Niveau zu aktuellen gesellschafts-, steuer- und insolvenzrechtlichen Fragen referierten. Wegen der plotzlichen Erkrankung des (zwischenzeitlich wieder genesenen) Schirmherrn der Veranstaltung, Prof. Dr Hans Joachim Priester, Obernahmen kurzfristig Dr. Eberhard Vetter (10In), Dr. Hansjorg Heppe (Dallas) und Dr. Jurgen Tielmann (Hamburg) die Moderation der jeweiligen Segmente vor wahrend und nach dem Mittagessen. Prof. Dr. Georg Streit (Munchen) fuhrte wie in den Vorjahren durch den insolvenzrechtlichen Teil. I. Die Genesis europaischen Unternehmensrechts als Herausforderung in Deutschland Professor Dr. Peter Hommelhoff, Universitat Heidelberg Zum Auftakt der Veranstaltung sprach Hommelhoff iiber die Auswirkungen des europaischen Unternehmensrechts auf die deutsche AG. Sein Referat wurde zwischenzeitlich unter dem Titel „Aktuelle Impulse aus dem europaischen Unternehmensrecht: Eine Herausforderung fur Deutschland" in der NZG 2015, 1329, veroffentlicht; auf den Aufsatz sei bier verwiesen. Wie auf dem Osterberg iiblich, wurde im Anschluss an den Vortrag lebhaft diskutiert. Dabei besprach man insbesondere die in Briissel erkennbare verstarkte Ausrichtung auf das monistische Verwaltungssystem des britischen Gesellschaftsrechts. Hommelhoffs Sorge, dass das dualistische System der deutschen AG durch die EU nicht als gleichwertige Alternative angemessen beachtet werde, fand breite Zustimmung. Auch die seit der Abschlusspriifungs-Richtlinie erweiterte Rolle des Prilfungsausschusses (Audit Committee), die zwangslaufig zu einer Schwachung des AR-Vorsitzenden fiihre, wurde kritisiert. Nach dem Vortrag von Hornmelhoff teilten sich die Seminarteilnehmer in zwei Arbeitsgruppen und verfolgten die nachsten vier Vortrage in den Gruppen fur Insolvenzrecht (nachfolgend II und III) sowie Handelsund Gesellschaftsrecht (nachfolgend IV und V). II. Gesellschaftsrechtliche Treuepflichten in der Sanierung und Insolvenz Dr. Alexander Naraschewski, Rechtsanwalt, Notar und Attorney-at-Law (New York), Wilhelmshaven Laut Naraschewski verdrangten Gesellschafts- und Insolvenzrecht einander nicht, sie beeinflussten und modifizierten sich; das eine konne nicht ohne das andere betrachtet werden. Untersucht man die gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten in der Sanierung und Insolvenz, werde man grundsatzlich mit drei Fragen konfrontiert: Welche Rolle spielen die Anteilsinhaber uberhaupt wahrend der Unternehmenskrise? Was fur Treuepflichten haben die Anteilsinhaber in der Unternehmenskrise? Was passiert, wenn fur die anstehenden Sanierungsmagnahmen nicht die erforderlichen Gesellschaftermehrheiten erreicht werden? Treuepflichten seien keine bide Neben-, sondern mitgliedschaftliche Hauptleistungspflichten. Sie sind fundamentaler Bestandteil des Gesellschaftsrechts — unabhangig von der Rechtsform — und bestehen nicht nur gegeniiber der Gesellschaft sondern auch gegeniiber den anderen Anteilsinhabern. Auch gebe es eine Treuepflicht in Bezug auf den Gesellschaftszweck. Der genaue Umfang der Treuepflichten (und ihrer Schranken) konne nicht schematisch festgelegt werden, sondern ergabe sich immer aus dem Einzelfall auf Grund einer umfassenden Abwagung der widerstreitenden Interessen der Gesellschafter und der Gesellschaft. Die hochstrichterliche Rechtsprechung zu Treuepflichten in der Sanierung von Personengesellschaften sei stark von BeDer Autor Backes ist als zertifizierter Sanierungs- und Restrukturierungsexperte Partner, der Autor Knop ist Associate der Luther RechtsanwaltsgeFlischaft mbH in Hamburg. — Zu den bisherigen Seminaren auf dem Osterberg, s. Weitzmann/Kupsch, NZG 2015, 340; Naraschweski/T. Schmidt, NZG 2014, 295; Tielmann, NZG 2013, 173; Rottnauer, NZG 2012, 339; Backhaus, NZG 2011, 416; Hartmann, NZG 2010, 211. Backes/Knop, Praktikerseminar Osterberg NZG 15/2016 573 Aufsatze sonderheiten des jeweiligen Falls abhangig.1 Die aus der bisherigen Rechtsprechung abzuleitende Schlussfolgerung fur die Praxis miisse lauten: „Ob ein Anteilseigner zur Mitwirkung bei der Sanierung verpflichtet ist und ob er aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden kann, falls er nicht bereit ist, an der Sanierung mitzuwirken oder im Zusammenhang freiwillig aus der Gesellschaft auszuscheiden, ist eine Frage des Einzelfalls." Dariiber hinaus betone der BGH immer wieder die gesellschaftsrechtlichen Gestaltungsmoglichkeiten durch den Gesellschaftsvertrag; er konne bereits das Ausscheiden eines sanierungsunwilligen Anteilseigners vorsehen. Eine Pflicht zum Ausscheiden konne sich aber auch mittelbar aus den jedem Gesellschaftsverhaltnis immanenten Treuepflichten ergeben.2 Eine ausdriickliche vertragliche Regelung sei also nicht immer zwingend erforderlich; fur die Gestaltungspraxis ist sie aber zu empfehlen. Bei Kapitalgesellschaften begriindeten die gesetzlichen Regelungen zur Einberufung einer Gesellschafter- bzw. Hauptversammlung bei einem halftigen Verlust des Stamm-/Grundkapitals (vgl. § 49 III GmbHG, § 92 I AktG) zwar keine Treuepflicht bzw. stiinden diese mit Treuepflichten nicht unmittelbar im Zusammenhang. Jedoch zeigten die Regelungen, dass die Anteilsinhaber von Kapitalgesellschaften bewusst in eine etwaige Sanierung eingebunden werden sollen. Treuepflichten der Anteilsinhaber bestehen erst bei der Abstimmung fiber MaSnahmen zur Sanierung und konnen dabei eine entscheidende Rolle spielen. Beispiele sind die Pflicht zur Zustimmung zur Kapitalherabsetzung, der Verzicht auf eine Falligstellung eines Gesellschafterdarlehens, die Stundung von Gewinnanspriichen und die Erklarung eines Rangriicktritts zur Abwendung der Uberschuldung bzw. der Verzicht auf die Geltendmachung des Geschaftsfiihrergehalts, wenn keine Notwendigkeit der Leistung bestand und diese auch nicht erbracht wurde. Die Treuepflichten der Anteilsinhaber im Insolvenzverfahren erlauterte Naraschewski anhand des Ablaufs und der dabei ergangenen Rechtsprechung im Suhrkamp Fall. Die Suhrkamp Verlag GmbH und Co. KG wurde durch Insolvenzplan unter Eingriff in die Gesellschafterrechte in eine AG umgewandelt. Hier ging es im Kern urn die Frage, ob und in welchem Umfang im Rahmen eines Insolvenzplans gem. § 225 a InsO die Rechte der Gesellschafter eingegriffen werden kann. Die Eigentumsrechte der Anteilsinhaber miissen in diesem Zusammenhang auf Grund der Sozialbindung des Eigentums hinter der Sanierung zuriickstehen. Der von Naraschewski detailliert dargestellte Ablauf des Verfahrens und die dabei getroffenen gerichtlichen Entscheidungen fiihrten zu einer lebhaften Diskussion. III. Besicherte Gesellschafterdarlehen im Fokus des Insolvenzrechts Professor Dr. Wolfgang Marotzke, Universitat Tubingen Marotzke verglich zunachst die Legitimation des § 135 InsO nF mit der des 135 InsO aF. Durch Streichung des Tatbestandsmerkmals „kapitalersetzend" sei die gesetzgeberische Zwecksetzung der weitreichenden Anfechtungsmoglichkeiten des § 135 I InsO zumindest zweifelhaft geworden. Teilweise werde die Anfechtbarkeit der Besicherung bzw. Riickfiihrung von Gesellschafterdarlehen nach § 135 I InsO damit begriindet, dass die Haftung des Anteilseigners beschrankt sei; gerade deswegen miissen Besicherung bzw. Riickfiihrung anfechtbar sein. Teilweise werde auch vertre- ten, dass die Anfechtbarkeit Sanktion fur — unwiderleglich vermuteten — Missbrauch der Haftungsbeschrankung sei oder sich der Zweck gegeniiber der Anfechtung bei eigenkaptialersetzenden Gesellschafterdarlehen gar nicht geandert habe. D. h., die Krisenfinanzierung werde nun lediglich unwiderleglich vermutet. Marotzke hegt an diesen Begriindungsansatzen erhebliche Zweifel. Er ging besonders auf das weggefallene Tatbestandsmerkmal „kapitalersetzend" ein und fiihrte aus, dass es friiher keine Benachteiligung von zur Darlehenshingabe bereiten Gesellschaftern gegentiber zur Darlehenshingabe bereiten Banken gegeben habe, da ein Gesellschafterdarlehen wegen des Tatbestandsmerkmals „kapitalersetzend" nur dann den einschneidenden Wirkungen der §§ 39 I Nr. 5, 135 InsO unterlegen habe, wenn es wahrend einer die Aussicht auf ein normales Bankdarlehen illusorisch machenden „Krise" der Gesellschaft gewahrt (oder stehen gelassen) worden sei. Nach der heute mageblichen Neufassung des § 135 I Nr. 2 InsO sei jedoch die wahrend des letzten Jahres vor dem Eroffnungsantrag erfolgte Riickzahlung eines Gesellschafterdarlehens auch dann ohne Weiteres anfechtbar, wenn das Darlehen keinen Eigenkapitalersatzcharakter hatte, an seiner Stelle also auch ein normales Bankdarlehen erhaltlich gewesen ware. Die althergebrachte Verschiedenbehandlung von Gesellschafterdarlehen einerseits und Bankdarlehen andererseits sei vor dem Hintergrund der geanderten Gesetzeslage nicht mehr zu rechtfertigen. Dies rief bereits die ersten Wortmeldungen hervor, die Marotzke dazu veranlassten, sich von seinem Skript, dessen Langfassung jetzt in DB 2015, 2431 (Teil 1), und DB 2015, 2495 (Teil 2), publiziert ist, zu Ibsen und den Vortrag im Dialog mit der Arbeitsgruppe fortzufiihren. IV. Managerhaftung in Kartellfallen Professor Dr. Stefan Thomas, Universitat Tiibingen Thomas fiihrte anschaulich durch das Thema, indem er mit dem Beispiel des Schienenkartells, bei dem es zu exorbitanten Strafzahlungen far die betroffenen Unternehmen gekommen war, begann. Thomas ging dann auf die verschiedenen Haftungsregime und die Tatsache, dass sie nebeneinander bestehen, ein. So gebe es einerseits die personliche BuSgeldhaftung des Vorstands bis zu einem Betrag iHv 1 Mio. Euro nach §§ 9, 130 OWiG, § 81 GWB und andererseits die Buf3geldhaftung des Unternehmens gem. § 30 OWiG, § 81 GWB. Alternativ konne die Kommission nach Art. 23 der Verordnung 1/2003 im Unternehmensverbund sowohl gegen die Konzernmutter als auch gegen beteiligte Konzerntochter Geldbu8en bis zu einem Betrag iHv 10 % des Konzernumsatzes verhangen, flit die die jeweiligen Konzernunternehmen als Gesamtschuldner haften. SchlieElich ist in § 33 III GWB eine Schadensersatzpflicht des Unternehmens normiert. Vor diesem Hintergrund stelle sich nun ua die Frage, ob der Vorstand oder Geschaftsfiihrer gegeniiber der Gesellschaft auf Erstattung der Geldbul?e hafte, die von der Kartellbehorde gegeniiber dem Unternehmen verhangt wurde. Ein solcher Fall beschaftige derzeit die Gerichte. Das LAG Dfisseldorf habe die Frage verneint. Ein Rechtsmittel sei beim BAG anhangig. Im Ergebnis sprach sich Thomas im Einklang mit dem LAG Dusseldorf gegen eine Regresshaftung des Vorstands aus. Hierfiir miisse beriicksichtigt werden, dass die an das Unternehmen gerichtete Bulge einen eigenen Sanktions1 2 Vgl. insbes. BGHZ 183,1 = NZG 2009, 1347 — Sanieren oder Ausscheiden; BGH, NZG 2011, 510, and BGH, NZG 2015, 995. Vgl. BGH, NZG 2015, 995. 574 Backes/Knop, Praktikerseminar Osterberg NZG 15/2016 Aufsatze zweck verfolge, der das Unternehmen und dessen Anteilseigner treffen solle. Dazu gehore auch die Abschopfung rechtswidrig erlangter Kartellgewinne. Diese unternehmensspezifischen Sanktionszwecke wiirden vereitelt, wenn das Unternehmen die But auf den Manager abwalzen konne. Der Vorstand konnte andernfalls mitunter sogar seinen D&O-Versicherer auf Erstattung in Anspruch nehmen, was freilich vom jeweiligen D&O-Bedingungswerk abhange. Kategorisch ausgeschlossen sei dies aber nicht. Im Ergebnis wiirde dann der D&O-Versicherer die an das Unternehmen gerichtete Bulk tragen. Das sei im Ergebnis schief, betonte Thomas. Thomas hob aber auch hervor, class dies jedoch keine „Haftungsimmunitiit" des Vorstands in Kartellfallen bedeute. Der Gesellschaft konne namlich durch eine vom Vorstand zu vertretene Kartellverletzung ein Haftungsschaden gegeniiber betroffenen Kunden entstehen. Diesen gegeniiber hafte die Gesellschaft nach § 33 III GWB i. d. R. auf Schadensersatz. Ein solcher Schaden konne je nach Lage des Falls die erzielten Kartellgewinne sogar ubersteigen. Dieser Haftungsschaden sei nach § 93 II AktG regressierbar und konne deswegen im Ergebnis den Vorstand und damit auch den D&O-Versicherer treffen. Erneut flange die versicherungsrechtliche Deckung in derartigen Fallen vom jeweiligen Bedingungswerk und der Art der Tatbegehung a b. Im Ergebnis bestiinden damit jedoch in Kartellfallen immer auch erhebliche Organhaftungsrisiken. An Thomas'Vortrag schloss sich eine lebhafte Diskussion zu Haftungsszenarien fur Vorstande und deren Versicherbarkeit an. V. Aktuelle Entwicklungen bei der Durchsetzung und Abwehr von Kartellschadensersatzanspriichen Dr. Kathrin Westermann, Rechtsanwaltin, Berlin Westermann knupfte thematisch unmittelbar an den Vortrag von Thomas an, wobei Westermann sich auf die von Thomas ausgesparte Schadensersatzpflicht des Unternehmens konzentrierte. Schadenersatzprozesse infolge von Kartellrechtsverstaen flatten in Europa in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. Dies sei darauf zurtickzufiihren, dass die Kartellbehorden aktiv Hinweise darauf geben, dass die Moglichkeit zur Geltendmachung von Schadensersatz bestehe. AuSerdem habe sowohl der deutsche als auch der europaische Gesetzgeber die Durchsetzung von Kartellschadensersatz kontinuierlich erleichtert. Daneben sei far Unternehmen auch die Griindung von Gesellschaften, deren Zweck allein in der Durchsetzung von Kartellschadensersatzanspruchen bestehe, sehr gefahrlich. Westermann fiihrte ebenfalls den Schienenkartellfall beispielhaft an. Daneben erorterte sie weitere Beispiele von in jiingster Vergangenheit aufgespiirten Kartellen, so zB im Rahmen von Aufziigen und Fahrtreppen, Zement und Luftfracht. Danach ging Westermann auf die einzelnen problematischen Tatbestandsmerkmale eines etwaigen Schadensersatzanspruchs ein. Dabei hob sie hervor, dass gerade die Darlegung des erlittenen Schadens besonders bedeutend ist. Dabei stellte sie sowohl den Einwand der Weiterwalzung des Schadens als auch das Problem dar, ob auch so genannte Preisschirmeffekte (Preiserhohungen durch KartellauBenseiter) zu einem ersatzfahigen Schaden fiihren konnen. Daneben betonte sie die im Einzelnen diffizilen Verjahrungsbestimmungen sowie bisher weitgehend ungeklarte Fragen der gesamtschuldnerischen Haftung. Filr alle Punkte — Darlegung des Schadens, Verjahrung und gesamtschuldnerische Haftung — spielen die Regelungen der europaischen Kartellschadensersatz-Richtlinie eine entscheidende Rolle, da diese einem potenziellen Klager sowohl bessere Informationsquellen verschaffen als auch Erleichterungen hinsichtlich der Verjahrungseinrede enthielten. So beginne die Verjahrung nicht vor Beendigung der Zuwiderhandlung und der Kenntnis bzw. des Kennenmiissens des kartellrechtswidrigen Verhaltens als Schadenereignis. Auch betrage die Verjahrungsfrist mindestens fiinf Jahre; kartellrechtliche Ermittlungen hemmten aber die Verjahrung und das Ende der Hemmung trete friihestens ein Jahr nach der Verfahrensbeendigung ein.3 In Bezug auf die gesamtschuldnerische Haftung sei die in der Kartellschadensersatz-Richtlinie vorgesehene Privilegierung der Kronzeugen relevant, die zukiinftig nur noch gegeniiber ihren unmittelbaren und mittelbaren Abnehmern oder Lieferanten haften sollen.4 VI. Die Landesverfassungsgerichte — die unbekannten Staatsorgane Dr. Giinter Paul, President des HessStGH, Frankfurt a. M. Paul brachte beim Mittagessen den Seminarteilnehmern das unbekannte Staatsorgan Landesverfassungsgericht am Beispiel des HessStGH (StGH) naher. Jeder Staat benotige systematisch ein Verfassungsgericht; ein Staat definiere sich iiber Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt. Die Staatsverfassung regele die Verteilung der Staatsgewalt. In der Bundesrepublik benotige daher jedes Bundesland (als Staat) ein Landesverfassungsgericht, das iiber die Beachtung der Staats- bzw. Landesverfassung wache. Dem folgte ein kurzer Exkurs in das (Staats)Gewaltenverstandnis von Montesquieu. So habe dieser zwischen drei Gewalten unterschieden: der Legislative, Exekutive und Judikative. Dem wiirden in Hessen der Landtag, die Landesregierung und die Landesgerichte (einschlieglich des Verfassungsgerichts) entsprechen. Montesquieus Verstandnis sei heute aber itherholt. So stiinden zunachst Regierung und Mehrheit im Parlament gemeinsam der parlamentarischen Opposition gegeniiber. Dariiber hinaus habe Montesquieu die „vierte Gewalt", also die Presse bzw. Medien, (noch) nicht beachtet. Und genau darum unterlagen diese bis heute keiner vergleichbaren demokratischen Kontrolle. Die deutsche Judikative sei gem. Art. 19 IV GG in „Fachgerichte" und Verfassungsgerichtsbarkeit unterteilt. Der Rechtsweg stehe immer offen. So gebe es in der Regel eine inhaltliche Uberprilfung zB von Verwaltungshandeln; deren Grenze sei nur erreicht, wenn der Verwaltung Ermessen eingeraumt werde. Mache dies die Bundesrepublik Deutschland aber zum Rechtsstaat? Dabei miisse zwischen „Rechtsstaatszielen" und „Gerechtigkeit" unterschieden werden. So handele es sich bei Gerechtigkeit, Rechtsordnung und Rechtssicherheit urn Antonyme, die sich gegenseitig nie in vollen Einklang bringen lassen. Denn Einzelfallgerechtigkeit alleine wiirde ins Chaos fiihren, ohne eine Rechtsordnung wiirde es Blutrache geben und ohne Rechtssicherheit wiisste niemand, was er diirfe und was nicht. Daher sei die Bundesrepublik Deutschland nicht als „Rechtsstaat" sondern besser als „Rechtswegestaat" zu bezeichnen. Sodann ging Paul ins Detail und erlauterte die Funktion der Landesverfassungsgerichte am Beispiel des StGH. Das Land 3 4 Vgl. Art. 10 Kartellschadensersatz-RL. Vgl. Art. 11 Kartellschadensersatz-RL. Backes/Knop, Praktikerseminar Osterberg NZG 15/2016 Aufsatze (bzw. der Staat) Hessen sei bereits vor der Entstehung des Grundgesetzes gegriindet worden. Dabei sei man von der Entstehung der spateren Bundesrepublik ausgegangen und habe in Art. 153 II HV vorgesehen, dass kiinftiges Recht einer deutschen Republik hessisches Landesrecht breche; dies entspricht Art. 31 GG. Die Zustandigkeit des StGH sei beinahe identisch mit der des BVerfG. Der Pri.ifungsmaEstab sei aber nur die Hessische Verfassung (HV). Es konne auch nur gegen Entscheidungen der obersten hessischen Gerichte vorgegangen werden. Friiher hatte nur die Vereinbarkeit mit hessischem Recht iiberpriift werden konnen; heute konne auch die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz und Bundesrecht uberpruft werden, wenn das Grundgesetz und die HV identische Grundrechte garantierten. Der StGH schiitze die hessischen Burger und die HV; dabei wiirden die Burger vor verfassungswidrigem Handeln der Landesverwaltung und die HV gegen die hessische Regierung bzw. das hessische Parlament geschutzt. Das Verhaltnis bei der Uberprufung zum Bundesrecht sei durch einen Geltungsvorrang des Bundesrechts gekennzeichnet und zum Unionsrecht von einem Anwendungsvorrang desselbigen. Dabei gelte der Vorrang fur jedes Bundesrecht, auch fiir Verordnungen, nicht nur fur Gesetze. Sofern die Vereinbarkeit mit Bundesrecht zweifelhaft sei, bestehe eine Vorlagepflicht des Gerichts. Hinsichtlich der Vereinbarkeit mit Europarecht bestehe eine Vorlagepflicht, wenn es auf die entsprechende europarechtliche Regelung im konkreten Fall ankomme. Fiir das Europarecht an sich bestehe eine vollig andere Situation als fur das Landesrecht, denn es handele sich nicht um ein Staatsvolk, ein Staatsgebiet und eine Staatsgewalt, sondern um viele Volker, viele Staatsgebiete und einen Staatenbund mit vielen Staatsgewalten. Nach Ansicht zB des ehemaligen Prasidenten des BVerfG Prof. Dr. HansJurgen Papier sei eine Verfassung fur Europa deswegen gar nicht moglich. Heute gebe es daher aus diesen Griinden auch nur einen europaischen Verfassungsvertrag. Zum Abschluss erlauterte Paul einen Sonderfall. Sollte es zu einem Versto1 der Regierung gegen die demokratische Grundordnung kommen, habe der StGH die Regierung abzusetzen. Er als President des StGH miisse dann die Regierungsgewalt ubernehmen; Paul hoffe, dass ihm dies erspart bleibe. VII. Die Erbschaftsteuerreform im Fokus — Stand der Diskussion und Fahrplan Professor Dr. Gerhard Winter, Rechtsanwalt und Fachanwalt fEir Steuerrecht, MEilheim an der Ruhr 575 sen; zuletzt in den Entscheidungen vom 7.11.2006$ und 17.12.2014.6 Beide Male sei das jeweils geltende Erbschaftsteuerrecht fur verfassungswidrig erklart worden. Fur das derzeit geltende Erbschaftsteuerrecht sei auf Grund der letzten Entscheidung des BVerfG bis zum 30.6.2016 eine mit dem Grundgesetz in Einklang stehende (Neu)Regelung zu schaffen.7 Sie erging wegen der unverhaltnismagigen Ausgestaltung der Verschonungsregeln fur Betriebsvermogen. Die Verschonungsregelung, die dabei zur Anwendung kam (und vorfibergehend auch noch kommt), sei verfassungswidrig, da sie teilweise mit dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz unvereinbar war bzw. ist. Dann erlauterte Winter die noch geltenden, aber fur verfassungswidrig erklarten Verschonungsregelungen. So gebe es die Regel- und die Antragsverschonung. Sodann ging Winter auf die geplanten Neuregelungen aus dem RefE vom 2.6. 2015 und dem RegE vom 8.6.2015 ein. Ein zu andernder Aspekt der derzeitigen Gesetzeslage sei, dass die Lohnsummenregelung nur bei Betrieben mit mehr als 20 Beschaftigten zur Anwendung kame. Dies sei eine zu weitreichende Freistellung, da 90 % aller Betriebe in Deutschland weniger als 20 Beschaftigte batten. Nunmehr sei deswegen nur noch eine Freistellung von Betrieben mit nicht mehr als drei Beschaftigten vorgesehen. Nur so sei unter Berucksichtigung verschiedener weiterer Faktoren sicherzustellen, dass sich der Anteil an Betrieben, die von der Lohnsummenregelung ausgenommen wiirden, auf unter 50 % beliefe. Die Neuregelung sehe eine gestaffelte Lohnsummenregelung vor. Beim Erwerb grof3er begiinstigter Vermogen (mehr als 26 Mio. Euro pro Erwerber bzw. mehr als 52 Mio. Euro pro Erwerber in Fallen von Familienunternehmen) solle in Zukunft ein Wahlrecht bestehen. Erwerber derartiger Vermogen konnten zwischen einer individuellen Verschonungsbedarfspriifung und einem Verschonungsabschlagsmodell wahlen. Fur die individuelle Verschonungspriifung komme es auf die Haltefrist von sieben Jahren und die von der Mitarbeiterzahl abhangige Lohnsumme an. Die Steuer solle erlassen werden, sofern die Steuerschuld bezogen auf das begiinstigte Vermogen nicht aus 50 % des verfiigbaren Vermogens des Erben beglichen werden konne. Das verfiigbare Vermogen setze sich aus dem beim Erben bereits vorhandenen, nicht begiinstigten Vermogen einschlief3lich seines Privatvermogens und dem mit dem Erbe bzw. der Schenkung Ubergegangenen, nicht begiinstigten Vermogen zusammen. Dies benachteilige aber den Sparer, so Winter, denn im Erbfalle werde er auf Grund seines vorhandenen Privatvermogens mitunter mehr belastet als derjenige, der in Erwartung einer Erbschaft selbst nie private RUcklagen gebildet habe. Winter begann seinen Vortrag mit einem Fazit: Das alte Erbschaftsteuerrecht sei verfassungswidrig und das neue werde es wohl auch sein. Das jahrliche Steueraufkommen der Erbschaftsteuer betrage ca. S Mrd. Euro; dem stiinde ein jahrlicher Verwaltungsaufwand von 2,5 bis 3 Mrd. Euro gegendber. Die Erbschaftsteuer gehore daher seit jeher zu den besonders umstrittenen Steuerarten. Die von der Besteuerung Betroffenen fuhlten sich oft ungerechtfertigterweise doppelt besteuert, da das aufgebaute Vermogen bereits aus versteuerten Einkiinften herriihre. Freunde der Erbschaftsteuer berufen sich auf die Sozialpflichtigkeit des Eigentums; die Erbschaftsteuer schaffe eine gesellschaftspolitisch notwendige Umverteilung, urn die Kluft zwischen Arm und Reich nicht grofger werden zu lassen. Im Verschonungsabschlagsmodell seien wiederum die Unterschiede hinsichtlich der Lohnsummen und Haltefristen fur die Regel- bzw. Optionsverschonung zu prufen. Mit diesen Regelungen wolle die Regierung der durch das BVerfG gemachten Vorgabe fur eine Bedarfsprufung begegnen. Ohne Feststellung der Verschonungsbediirftigkeit konne eine Steuerbefreiung auf Grund der Gra& der Betrage nicht hingenommen werden. Der Gesetzgeber gehe davon aus, dass nur noch 1 % der Erwerbe von begunstigtem Vermogen ither der Grenze von 26 Mio. Euro liegen werde. Par familiengefiihrte Unternehmen lage die Priifschwelle bei 52 Mio. Euro, da gerade graere familiengefuhrte Unternehmen zu Das Erbschaftsteuerrecht sei in der Vergangenheit wiederholt Gegenstand verfassungsrechtlicher Uberpriifung gewe- 6 7 5 BVerfGE 117, 1 = NJW 2007, 573. BVerfGE 138, 136 = NZG 2015, 103. Id. 576 NZG 15/2016 Backes/Knop, Praktikerseminar Osterberg Aufsatze einer hoheren Eigenkapitalausstattung neigen, urn eine bessere Stabilitat in Krisenzeiten zu gewahrleisten; zudem wiesen sie haufig gesellschaftsvertragliche Bestimmungen iiber Entnahme-, Verfiigungs- und Abfindungsbeschrankungen auf. Diese vertraglichen Regelungen miissten aber zehn Jahre vor sowie 30 Jahre nach dem Zeitpunkt der Steuerentstehung vorliegen, da nur dann ein erhohtes Verschonungsbediirfnis anzuerkennen sei. Die lange Zeitspanne soil einer durchschnittlichen Generationenfolge entsprechen. Mit der Einfiihrung einer Abgrenzung des begiinstigten von nichtbegiinstigten Vermagen werde der Begriff des Verwaltungsvermogens ersetzt. Es komme nunmehr auf eine Abgrenzung an, die sich am Hauptzweck der Betatigung orientiere. Die Betrachtung sei tatigkeitsbezogen. Wirtschaftsgiiter seien begunstigt, wenn sie unmittelbar zur AusUbung der entsprechenden Tatigkeit des Betriebs genutzt wiirden. Betriebsnotwendig seien alle Wirtschaftsgiiter, die zu mehr als SO % dem Hauptzweck des Betriebs dienten. Finanzmittel seien begiinstigt, soweit ihr gemeiner Wert nach Abzug des gemeinen Werts der Schulden 20 % des anzusetzenden gemeinen Wertes des Betriebs oder der Gesellschaft nicht uberstiegen. Nicht mehr moglich solle es sein, Steuerersparnisse iiber eine Konstruktion von Tochtergesellschaften zu erlangen, in dem der Wert des begiinstigten Vermagens mehrfach in Anspruch genommen werde. Denn es erfolge eine konsolidierte Betrachtung im Wege einer Verbundvermogensa ufstellung. Kritik am Gesetzentwurf werde vor allem geaufgert, weil die Reform nicht aufkommensneutral sei; der RegE gehe auf Grund der Neuregelung von einer Erhohung des Steueraufkommens von ca. 200 Mio. Euro jahrlich aus. Auch werde kritisiert, dass das Gesetz auf die Zahl der tatsachlich Beschaftigen abstelle und nicht auf entsprechende Vollzeitaquivalente. So sei ein Betrieb mit vier Halbtagsbeschaftigten gegenuber einem Betrieb mit zwei Vollzeitbeschaftigten benachteiligt. Fiir Beteiligungsgesellschaften konne es zu Mehrbelastungen kommen, da bei der Beteiligung an Kapitalgesellschaften nur fur qualifizierte Beteiligungen eine Begiinstigung gewahrt werden konne. Die Anforderungen, die das Gesetz hinsichtlich des Begriffs „Familienunternehmen" formuliere, damit die Prufschwelle von 52 Mio. Euro zur Anwendung komme, seien in der Regel nicht erfiillbar. Adgerdem stelle die Uberprufung die Finanzverwaltung vor ein administratives Problem: Die individuelle Verschonungsbedarfspriifung konne ebenfalls den Rahmen der Moglichkeiten der Finanzverwaltung sprengen, da eine aufwendige, detaillierte Bewertung des gesamten Privatvermagens des jeweiligen Erwerbers notwendig sein werde. Aufgerdem werde die Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens nicht zu sachgerechten Ergebnissen fiihren. Die Verhinderung der ubermafgigen Zuordnung von Liquiditat zum begUnstigten Vermogen konne zu zufalligen und nicht sachgerechten Ergebnissen fiihren, da die Zuordnung auf den Stichtag der Steuerentstehung zu erfolgen habe. Um einer etwaigen Verscharfung des Steuerrechts zuvor zu kommen, sei bereits jetzt ein Wettlauf der Vererbenden bei der Unternehmensiibertragung zu beobachten. Da die Verfassungsgemafgheit der neuen Regelungen bereits zum jetzigen Zeitpunkt fraglich sei, werde sich das BVerfG wohl in absehbarer Zeit erneut mit dem Erbschaftsteuerrecht befassen mUssen. Da der Gesetzgeber dann bereits seit gut 20 Jahren an der Schaffung eines verfassungskonformen Erbschaftsteuerrechts gescheitert sei, konne man gut argumentieren, dass der Gesetzgeber sein Recht auf die Erhebung einer solchen Steuer verwirkt habe. VIII. Zur Unabhangigkeit der Mitglieder von Kontrollorganen nach deutschem und amerikanischem Recht Dr. Richard Backhaus, Chefsyndikus, Lubeck und Dr. Hansjorg Heppe, Attorney-at-Law, Dallas Backhaus und Heppe referierten zu den Unterschieden bei der Unabhangigkeit der Mitglieder von Kontrollorganen nach deutschem und amerikanischem Recht. Der Vortrag lebte neben der fachlichen Thematik davon, dass sich die beiden Referenten in stetigem Wechsel die Mlle zuspielten und es dadurch schafften, die Teilnehmer auch noch am vorgerUckten Nachmittag vor der letzten Pause zu begeistern. Zunachst stellten sie die Grundlagen der Corporate Governance in Deutschland und den USA dar. Zunachst ging Backhaus auf das in Deutschland geltende dualistische System und die grundsatzliche Trennung zwischen Geschaftsleitung durch den Vorstand sowie dessen Uberwachung durch den AR ein. Dabei nannte er die gesetzlichen Grundlagen, die diese Trennung sichern; so zB fur das Verbot der Uberkreuzverflechtung,8 die „cooling off" Periode von zwei Jahren9 sowie die Empfehlungen des Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK).1° Heppe widmete sich sodann den USA. Auf Grund der Tatsache, dass das (Gesellschafts-)Recht in den USA foderalistisch ausgestaltet ist, nahm er auf die Regelungen des Staates Delaware Bezug. Das dort geltende Gesellschaftsrecht (Delaware General Corporation Law, DGCL) sei sehr liberal; es gelte aber das monistische System. Die shareholder wahlten das Board of Directors in der Hauptversammlung per resolution. Das Board wiederum bestimme per resolution die officers. Bei der Ausgestaltung der Gesellschaft werde den shareholders grofge Vertragsfreiheit eingeraumt. Eine Folge dieser Vertragsfreiheit seien Usancen, die zu best practices wiirden und damit quasi gewohnheitsrechtliche Dimensionen annahmen. Das Board of Directors, bestehend aus den members of the board (directors) und dem Chairman (of the Board), bilde — jedenfalls in der Publikumsgesellschaft — grundsatzlich drei Committees, namlich das Audit Committee (PrUfungsausschuss), das Compensation Committee (Vergiitungsausschuss) und das Nominating Committee (Nominierungsausschuss). Backhaus berichtete beim Seitenblick nach Deutschland, dass es im Geltungsbereich des MitbestG einen verpflichtenden Vermittlungsausschuss" geben miisse. Der DCGK empfehle aufgerdem einen PrUfungs- und einen Nominierungsausschuss und rege Ausschiisse zur Strategie des Unternehmens, der Vergutung von Vorstandsmitgliedern und Investitionen und Finanzierungen an. Darilber hinaus sei (auch in Deutschland) das monistische System durchaus bekannt, so sei die SE grundsatzlich monistisch ausgestaltet, werde in Deutschland aber meist dualistisch umgesetzt. Heppe wendete sich dann der Frage zu, ob das Board of Directors nicht nur Vertretungsorgan sondern auch Kontrollorgan der Gesellschaft sei. Dies mUsse anhand der Funktion des Boards und des in den USA entwickelten Gewohnheitsrechts beurteilt werden; grundsatzlich wiirde das Board die officers (Geschaftsleitung) „directen" und „ordern". Die Organschaft, also die Trennung von Geschaftsleitung und Aufsicht in der deutschen AG, fande in der (Delaware) Cor8 § 100 II Nr. 3 AktG. 9 Id. 10 Vgl. § 161 AktG. 11 Vgl. § 27 III MitbestG. Backes/Knop, Praktikerseminar Osterberg Aufsatze poration kein Aquivalent. Die den shareholdern eingeraumte Vertragsfreiheit fordere vielmehr den Zuschnitt auf eine Fiihrungsperson, namlich die Personenidentitat von Chairman, President und CEO (so genannter inside director). Umsetzungsverluste im Rahmen von Boardbeschliissen sollen so vermieden werden; der inside director kann das Unternehmen nach seinen Vorstellungen unmittelbar gestalten. — Zur Vermeidung und Verminderung von strukturellen Interessenkonflikten gabe es nunmehr aber auf Grund von best practices und Usance den so genannten Lead Director. Der Lead Director ist ein independent director, der den Boardvorsitz immer dann iibernirnmt, wenn eine (mogliche) Interessenkollision beim Chairman, President und CEO besteht. Independent directors sind die checks and balances on corporate insiders. Die Funktion des Lead Directors ist daher heute in rule 303A.03 des NYSE Listed Company Manual/ rule 5605 (b) (2) der NASDAQ Listing Rules verankert. „Unabhiingigkeit" bedeute in den USA also zunachst unabhangig vom Unternehmen zu sein; dh directors nehmen nicht als officers am Management der Gesellschaft teil bzw. haben mit dem Unternehmen keine (n) „material relationship, former status or family membership, or" andere Verbundenheit, die sie in ihrem Urteilsvermogen beeintrachtigen konnte. In Deutschland sei es „gutes Recht" des kontrollierenden Aktionars, den Aufsichtsrat mit den „eigenen Leuten" zu besetzen. Backhaus legte die Empfehlungen des DCKG fur borsennotierte Gesellschaften dar, nach denen zB relevante Beziehungen von Kandidaten zu Unternehmen, Organen oder wesentlich beteiligten Aktionaren oder die angemessene Anzahl von unabhangigen Aufsichtsratsmitgliedern offengelegt werden miissen. Auf?erdem solle kein gleichzeitiger Vorsitz im Aufsichtsrat und im Priifungsausschuss vorliegen und der Vorsitzende im Prilfungsausschuss solle unabhangig und kein ehemaliges Vorstandsmitglied vor Ablauf der „cooling off" Periode sein. Backhaus fasste zusammen, dass das deutsche Corporate Governance-System der AG trotz der strukturellen organschaftlichen Trennung partiell durch Unabhangigkeitsanforderungen erganzt werde. Diese erfassten allerdings nur den unabhangigen Finanzexperten12 oder seien wegen ihrer Verankerung im DCGK unverbindlich. Die USA versuchten, im monistischen System der Corporation durch das Konzept des Lead Directors eine tatsachliche Trennung von Management und Aufsicht zu institutionalisieren. Erst wenn es um die Einrichtung der zuvor benannten Board Committees (Ausschiissen) gehe, wiirden die Uberlegungen hinsichtlich der Unabhangigkeit vergleichbar. Heppe trug sodann zum amerikanischen Verstandnis des Unabhangigkeitsbegriffs und wie dieses nach rule 303A.02 (b) des NYSE Listed Company Manual (bzw. 5605 (a) (2) NASDAQ Listing Rules) abgepriift wird, vor. Backhaus zeigte auf, dass in Deutschland nach § 100 V AktG auf eine Definition des Begriffs „unabhangig" bewusst verzichtet werde. Nach dem DCGK sei ein Aufsichtsratgsmitglied aber insbesondere dann nicht als unabhangig anzusehen, wenn es in einer personlichen oder einer geschaftlichen Beziehung zu der Gesellschaft, deren Organen, einem kontrollierenden Aktionar oder einem mit diesem verbundenen Unternehmen stehe, die einen wesentlichen und nicht nur voriibergehenden Interessenkonflikt begriinden konne. Trotz dieser Formulierung sei aber die Frage, welche Person „unabhangig" sei, im Einzelfall schwer zu beantworten. Im Ergebnis stellten Backhaus und Heppe fest, dass sich die Ansatzpunkte fur die Bestimmung der Unabhangigkeit in NZG 15/2016 577 beiden Rechtskreisen deckten. Die Regelungen im NYSE Listed Company Manual bzw. den NASDAQ Listing Rules seien durch klare Regelbeispiele — anders als das deutsche AktG — einfach handhabbar. Backhaus fragte auf?erdem, ob der DCGK nur dazu diene, dem Investor die Struktur des Unternehmens (normal/anormal) aufzuzeigen. Seiner Ansicht nach werde die Institution des Stimmrechtsberaters — so genannter proxy advisor — in Zukunft eine gredere Rolle einnehmen.13 Tielmann fasste abschlief?end zusammen, dass in den USA im Ergebnis strengere Anforderungen an die Unabhangigkeit und das „cooling off" gestellt wiirden. IX. Die kulturellen und organisatorischen Herausforderungen einer Rechts- und ComplianceFunktion Dr. Peter Hemeling, Chefsyndikus, Munchen Hemeling begann seine Ausfuhrungen mit der Feststellung, dass jedes Unternehmen Gewinn- und Umsatzwachstum generieren wolle und solle. Der Erfolgsdruck und entsprechende Anreizsysteme erhohen jedoch auch das potenzielle Risiko eines systematischen oder individuellen Fehlverhaltens im Unternehmen. Nach Hemeling fat das notwendige Sicherheitssystem eines korrespondierenden Risikomanagements auf zwei Saulen: Die erste Sanle sei eine angemessene Unternehmenskultur, die zweite Saule eine ordnungsgemge Organisation. Die angemessene Unternehmenskultur setze voraus, dass der Vorstand eines Unternehmens verstehe, was Legalitat bedeute und welche Pflichten sich hieraus fur ihn ergeben. Ein Negativbeispiel sei in der Vergangenheit die Korruption von deutschen Unternehmen im Ausland gewesen. So sei das entsprechende OECD-Abkommen in Deutschland zwar vor dem Jahre 2000 gesetzgeberisch umgesetzt gewesen, faktisch sei es aber danach weiterhin zu Schmiergeldzahlungen im Ausland gekommen. Dies sei zum Teil auf Unkenntnis und fehlendes Bewusstsein zuruckzufuhren; in einigen Fallen hatten die Verantwortlichen aber auch nicht den Mut gehabt, ungeachtet drohender ErgebniseinbuSen ein Fehlverhalten abzustellen. Wichtig sei auch die Bodenhaftung. Ein Vorstand diirfe keinen Realitatsverlust erleiden bzw. sich in einen Elfenbeinturm zuriickziehen. Alle Fiihrungskrafte miissen sich klar dariiber sein, dass das Recht absolut sei und sich kein Unternehmen — und sei es noch so machtig — dariiber hinwegsetzen konne. Dies gelte umso mehr, als es heute far grofge Gesellschaften nicht mehr um Millionen- sondern urn Milliardenstrafen und Schadensersatz gehe. Unternehmensleiter mussten daher — etwa im Rahmen der regelmadigen Fiihrungskraftetreffen — authentisch eine klare Sprache sprechen, sich ihrer Vorbildfunktion bewusst sein und fur nicht akzeptable Verhaltensweisen eine konsequente zero tolerance-Politik an den Tag legen. Einer der graten Fehler sei es, eine Art „Schein-Compliance" zu etablieren oder zu dulden. So ware es kein gutes Zeichen, wenn fur sensible Themen immer wieder Arbeitsgruppen aufgesetzt werden, die auch nach langerer Tatigkeit zu keinen klaren Ergebnissen oder Entscheidungen fiihren. Ebenso alarmierend ware eine Mentalitat nach dem Motto „Dann protokollieren Sie das doch einmal!". 12 Vgl. § 100 V AktG. 13 VgI. dazu auch schon Heppe/Tielmann, WM 2011, 1883 (1890). 578 NZG 15/2016 Bremer, Bericht aus BrOssel Bericht Eine ordnungsgema& Geschaftsorganisation, die so genannte sound organization, setze eine transparente Organisation mit eindeutigen Zustandigkeiten/Verantwortlichkeiten und effektiven Prozessen voraus. Dabei masse auch klar sein, welche Leitungsaufgaben bzw. Verantwortlichkeiten nicht delegierbar seien. Zur ordnungsgemagen Geschaftsorganisadon gehore ferner ein wirksames Risikomanagement und ein hinreichendes internes Kontrollsystem fur die wesentlichen Risikobereiche. Zu den Kontrollfunktionen zahlen in jedem Fall das Risikomanagement, die Compliance und die Revision sowie — im Falle einer Versicherung — die aktuarielle Funktion. Bei der Implementierung im Unternehmen bestehe die grate Herausforderung darin, fur das Unternehmen geeignete und realistische Standards zu setzen und die Wirksamkeit der Kontrollfunktionen in alien Unternehmensbereichen herzustellen. Konzeptionell werde im Risikomanagement zwischen der 1st line of control, der 2nd line of defense und der 3rd line of defense unterschieden. Die 1st line of control liege bei den operativen Geschaftseinheiten selbst und sei nach Uberzeugung vieler Vorstande das entscheidende Element: Jeder Mitarbeiter im operativen Geschaft masse Eigenverantwortung und Risikobewusstsein haben, urn keine unnotigen Risiken einzugehen. Die Kontrollfunktionen auf der 2nd line of defense sollen einen unabhangigen oversight sicherstellen. Dementsprechend sind eine unmittelbare reporting line an den Vorstand und die Unabhangigkeit vom operativen Geschaft zwingende Voraussetzungen dieser Kontrollfunktionen. Die 3rd line of defense werde schlidlich durch die interne Revision dargestellt, die traditionell auch das Funktionieren der Oversightfunktionen auf der 2nd line of defense zu iiberpriifen habe. Gerade in graen Unternehmen werde es immer wichtiger, dass alle Kontrollfunktionen im Rahmen des internen Kontrollsystems zusammenarbeiten und im Sinne von checks and balances auch gegenseitig auf ihre Wirksamkeit achten. In den graen Unternehmen habe das Thema Legalitat in der Zwischenzeit eine so grae Bedeutung erlangt, dass ein entsprechendes Grundverstandnis im Vorstand notwendig sei; zunehmend werde auch eine juristische Expertise in die Geschaftsleitung geholt. Das nachste Praktikerseminar wird am 21.10.2016, wie gewohnt unter der Leitung von Professor Dr. Hans Joachim Priester (bzw. Professor Dr. Georg Streit hinsichtlich des insolvenzrechtlichen Teils), auf dem Tubinger Osterberg stattfinden. Dabei soil ua Professor Dr. Jens Ekkenga aus Gief3en vortragen. • Bericht Rechtsanwalt Jan Bremer* Neuere Entwicklungen aus Brussel I. EU-Kommission veroffentlicht Richtlinienvorschlag zur Steuertransparenz zu versetzen, das Steuerverhalten multinationaler Unternehmen zu verfolgen. Spiegelbildlich soil dies den Unternehmen den Anreiz geben, Steuern dort zu zahlen, wo der entsprechende Gewinn erwirtschaftet wurde. Die Europaische Kommission hat am 12. April einen Richtlinienvorschlag zur Steuertransparenz bei multinationalen Unternehmen vorgestellt. Schon seit geraumer Zeit wird im Auf den konkreten Vorschlag bezogen sollen die genannten politischen Briissel fiber die Steueroptimierungsstrategien in- multinationalen Unternehmen den auEerhalb der EU gezahlternationaler Konzerne kontrovers diskutiert. Dabei war die ten Gesamtsteuerbetrag in aggregierter Form veroffentDiskussion vor allem durch die so genannte „Luxemburg lichen. Allerdings sieht der Vorschlag strengere AnforderunLeaks-Affare" und jiingst durch die „Panama-Papers" befeu- gen in Bezug auf die Transparenz der Geschaftstatigkeit der ert worden. Der nun vorgelegte Vorschlag stiitzt sich auf die Unternehmen in Landern vor, „die die internationalen Stanumfangreiche Arbeit der Kommission zur Bekampfung der dards fur verantwortungsvolles Handeln im Steuerbereich Steuervermeidung durch Unternehmen in Europa. Nach nicht einhalten". Damit sind so genannte „Steueroasen" geSchatzungen der EU-Kommission entgehen den EU-Mit- meint. Schon in ihrer externen Steuerstrategie hat die EUgliedstaaten durch aktive Steuervermeidungspolitik von Un- Kommission ihren Anspruch formuliert, so schnell wie mogternehmen jahrlich Steuereinnahmen iHv 50-70 Mrd. Euro. lich eine EU-weite schwarze Liste mit Steueroasen aufzustelErganzend zu friiheren Vorschlagen, mit denen der Informa- len. tionsaustausch zwischen Steuerbehorden verbessert werden soil, sollen nun in der EU tatige multinationale Unternehmen Konkret wird mit dem Vorschlag die Rechnungslegungsmit weltweiten Einnahmen von mehr als 750 Mio. Euro pro richtlinie (RL 2013/34/EU) dahingehend geandert, dass groJahr verpflichtet werden, aufgeschliisselt nach den einzelnen 13e Unternehmensgruppen jahrlich einen Bericht veroffentMitgliedstaaten darzulegen, wo in der EU sie ihre Gewinne lichen miissen, in dem sie die erwirtschafteten Gewinne, die erzielen und Steuern bezahlen. Dieses so genannte „Country noch zu zahlenden und die gezahlten Steuern je Mitgliedstaat by Country Reporting" war bereits im Rahmen frilherer offen legen. Diese Angaben sollen fiinf Jahre Lang verfugbar Regulierungsvorschlage aufgegriffen worden und ist im bleiben und Hintergrundinformationen (Umsatz, BeschaftigGrundsatz beispielsweise bereits in der Transparenzrichtlinie te und der Art der Geschaftstatigkeit) eine fundierte Analyse (fur die extrahierende Industrie) sowie fur Finanzinstitute im ermoglichen und fiir jeden EU-Mitgliedstaat sowie fur CRD-IV-Regelwerk angelegt. Mit der branchenubergreifen- Steueroasen veroffentlicht werden. Ferner mussen fur die den Verpflichtung zu einer landerspezifischen, offentlichen Berichterstattung wird beabsichtigt, die Burger in die Lage * Der Autor ist Leiter des DAI-Biiros in Briissel.