Predigt Karfreitag 2010 Lk. 23,26
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Predigt Karfreitag 2010 Lk. 23,26
Predigt Karfreitag 2010 Lk. 23,26-30 Frauen unter dem Kreuz - Frauen in der Nachfolge Jesu Münster St. Bonifatius – Friederike Grote, Pastorin Gnade sei mit euch von dem der da war, der da ist und der da kommt, Jesus Christus. Amen. Tausende hingerichtet, liebe Gemeinde, und diese Schlagzeile zwei Tage vor Karfreitag in unserer Zeitung. Seit fast 2000 Jahren denken wir Christen und Christinnen an diesem Tag, am Karfreitag, an Jesus, der ans Kreuz genagelt wurde, hingerichtet auf die damals übliche Methode der Todesstrafe – gekreuzigt. Wir denken daran und wir klagen darüber und wir weisen darauf hin, dass er ungerechterweise hingerichtet wurde und wir sind fassungslos über diesen grausamen Tod Jesu. Und noch heute: Tausende hingerichtet. Die Todesstrafe wird immer noch ausgesprochen und vollstreckt, jeden Tag, nicht nur an dem einen Tag vor 2000 Jahren vor den Toren Jerusalems, sondern auch heute wird vermutlich irgendwo auf unserer Erde ein Mensch hingerichtet. 2008 so berichtet amnesty international wurden 2390 Menschen in China hingerichtet, sechs bis sieben Personen jeden Tag allein in China. Für das Jahr 2009 hat China keine Angaben gemacht, aber in 18 weiteren Ländern wurden mindestens 714 Menschen auf dem elektrischen Stuhl oder mit der Giftspritze oder mit dem Strick ums Leben gebracht. Jesus damals gekreuzigt und heute – Tausende zum Tode verurteilt und abertausende, die umkommen in den Kriegen der Welt, in Natur-Katastrophen, bei Terroranschlägen, wie diese Woche in Moskau oder die verhungern. Und all die nimmt Jesus in den Blick, auf all die weist Jesus hin, als er sein Kreuz tragend sich an die klagenden Frauen wendet, die ihn begleiten auf dem schweren Weg raus aus Jerusalem, auf dem Weg nach Golgatha, so berichtet es das Lukasevangelium. Menschen auf der Suche, Menschen auf dem Weg, so haben wir die Reihe unserer Passionsandachten in diesem Jahr genannt. Einige Menschen aus der Passionsgeschichte haben uns in diesen Wochen begleitet oder wir haben sie begleitet. Heute sind es die Frauen, die Jesus auf seinem Kreuzweg nachfolgen, die Frauen, die verharren unter dem Kreuz, die wollen wir heute begleiten, auf die wollen wir heute einen Blick werfen. Es folgten ihm aber Frauen, die klagten und beweinten ihn. Jesus aber wandte sich um zu ihnen und sprach: Ihr Töchter von Jerusalem, weint nicht über mich, sondern weint über euch selbst und über eure Kinder. Denn siehe, es wird die Zeit kommen, in der man sagen wird: Selig sind die Unfruchtbaren und die Leiber, die nicht geboren haben, und die Brüste, die nicht genährt haben! Wahrhaftig ein Karfreitagstext, so hoffnungslos kommt er daher. Es ist kaum zu glauben, dass es Jesus ist, der da spricht. Die Frauen sind ganz gefangen in ihrem Leid, im mitleiden mit Jesus, sie weinen und klagen, sie drücken das Leid aus. Was würden wir als Reaktion Jesu erwarten? „Fürchtet Euch nicht“ – vielleicht. So oft und in so vielen Situationen hat er Trost zugesprochen, aber hier jetzt kein Trost, kein Verständnis, sondern eher Anklage: Was weint ihr über mich? Ihr seid doch selbst daran beteiligt, ihr seid doch gefangen in dem System, das so viel Leid anrichtet. Klagt über Euch und über all das Leid das weiterhin geschehen wird. Und tatsächlich: Tausende hingerichtet, abertausende umgekommen. Was für eine grausame Vision, die Jesus da den Frauen an den Kopf wirft. Und dann kommt es noch schlimmer: Selig sind die Unfruchtbaren und die Leiber, die nicht geboren haben, und die Brüste, die nicht genährt haben! Eine Seligpreisung aus dem Munde Jesu, die keine Seligpreisung ist, sondern eigentlich die Umkehrung davon, die Ironie einer Seligpreisung, verdrehte Welt. „Ihr werdet klagen darüber, dass ihr Kinder in die Welt gesetzt habt, weil die Welt so grausam ist“, sagt Jesus mit diesem Satz. Und auf eine Person trifft das schon in dieser Situation zu. Seine Mutter ist dabei bei den Frauen zu denen Jesus das sagt. Seine Mutter begleitet ihr Kind, das sie geboren hat und an ihren Brüsten genährt, das sie hat aufwachsen sehen und in die Welt ziehen, in das sie alle Hoffnung der Welt gesteckt hat, sie begleitet ihr Kind in den Tod. Wenn es so weit kommt, wenn wir uns wünschen keine Kinder mehr zu haben, dann ist das für mich der Inbegriff der Hoffnungslosigkeit. Wie grausam ist es Kinder leiden zu sehen und nichts machen zu können. Wie grausam war es für die Juden, die mit ihren Kindern ins KZ kamen, nicht nur die eigenen Leiden auszuhalten, sondern die Kinder leiden zu sehen. Sie kennen bestimmt den Film „Das Leben ist schön“, in dem der leidende Vater seinem Sohn im KZ die schönen Seiten des Lebens zeigt, immer wieder mit Humor und Spaß das Leid nicht groß werden lässt. Er selbst stirbt im KZ, aber sein Kind, dem öffnet er die Augen für das Schöne im Leben, sein Kind wird befreit zum Leben. Wie schwer ist es für die Kinder, die unter Gewalt, Krieg, Hunger in unserer Welt leiden und wie grausam ist das für die Mütter, für die Eltern, stellvertretend für alle anderen, das mit ansehen zu müssen. Selig sind die Unfruchtbaren und die Leiber, die nicht geboren haben, und die Brüste, die nicht genährt haben! Ja, wenn es so weit kommt, dass wir uns wünschten ein Kind wäre nicht geboren, dann herrscht Hoffnungslosigkeit, dann herrscht das Kreuz von Karfreitag. Ob Jesus diese Sätze gesagt hat, damals auf dem Weg nach Golgatha, wer weiß. Lukas hat es so berichtet. Aufgeschrieben wird das Lukasevangelium erst ca. 80 n. Christus, also fast 50 Jahre nach der Kreuzigung und 10 Jahre nach der Zerstörung Jerusalems. Für die Gemeinde, für die Lukas das Evangelium aufschreibt, für die ist der Krieg noch ganz nah, die haben am eigenen Leibe erfahren, dass mit dem Leid, das Jesus auf sich genommen hat, nicht alles Leid aus der Welt gewichen ist. Für die Gemeinde damals und für uns heute stehen diese Sätze Jesu im Lukasevangelium. Jesus ist nicht bescheiden und er beschönigt nicht, er ist realistisch. Solange es Menschen gibt, werden sie auf der Erde leiden, solange es Menschen gibt, werden Menschen Leiden verursachen. Jesus dreht sich um zu den weinenden und klagenden Frauen und spricht sie an: Ihr Töchter Jerusalems … Darin steckt gleichzeitig viel Hoffnung. Jesusalem war das Sinnbild für Zion, für die heile Welt, war der Ort, wohin alle Völker ziehen sollten. Von dort aus sollte der Schalom, der umfassende Friede für die ganze Welt ausgehen. Diese Hoffnung war eingezogen mit Jesus in die Stadt Jerusalem als das Volk in freudig begrüßt hat mit den Hosianna-Rufen. Und nun zieht er, die menschgewordene Hoffnung gebeugt vom Kreuz wieder aus der Stadt hinaus, vermutlich begleitet auch von den Rufen „Kreuzigt ihn“. Die Frauen rufen das nicht, sie klagen und weinen. Und Jesus verbietet ihnen nicht zu klagen, nein eigentlich spornt er sie an weiter zu klagen. Ich stelle mir vor, dass sie weiter klagen, sie gehen nicht weg, sie kehren dem Leid nicht den Rücken und sie schließen nicht die Augen auch nicht vor all dem Leid, das Jesus noch ankündigt. Sie bleiben da bei Jesus. Und so heißt es am Ende des Berichtes von der Kreuzigung bei Lukas: Es standen die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren und sahen das alles. Sie harren aus mit ihm. Sie bleiben unter dem Kreuz. Sie haben schmerzlich begriffen, dass Jesusnachfolge Kreuzesnachfolge ist. Sie bleiben bis zum bitteren Ende. stumm werden wir immer wieder zu der Volksmasse, die neugierig zuschaut, statt laut zu klagen. Aber auch zu uns sagt Jesus: Weint, trauert, aber bleibt nicht in der Traurigkeit stecken. Sondern steht auf, nehmen euer „Kreuz“, nehmt euer Leben in die Hände. Lasst mein Sterben für euch fruchtbar werden, wachst, gestaltet euer Leben, eure Welt in meinem Sinn. „Ihr Töchter Jerusalems“, gebt die Hoffnung nicht auf, bleibt nicht bloß Klageweiber, sondern Zeuginnen für das Leben, gegründet auf Liebe und Gerechtigkeit, damit diese verdrehte Seligpreisung nicht erlitten, nicht ausgesprochen werden muss. Mit seinem Hinweis auf all das Leid, dass noch folgen wird, nimmt Jesus all die mit auf seinen Weg, die ihm folgen in dem Leid. Und wir gehen oft schweigend hinterher, lassen geschehen, was geschieht, warten ab, hoffen, dass es nicht so schlimm kommen wird. Wir sind daran gewöhnt, hinzunehmen, mitzulaufen, ohne aufzuschreien, ohne zu weinen und zu klagen. Allzu In diesem Sinne wollen wir heute auch Abendmahl miteinander feiern, als Stärkung auf unserem Weg in der Nachfolge des gekreuzigten und auferstandenen Jesus – damit seine Leidenschaft auch unsere werde. Amen. Karfreitag ist ein Tag zum Klagen und nicht zum Schweigen, ein Tag, an dem das Lamm Gottes nicht stumm geschlachtet wird, sondern ein Tag an dem der Tod ans Kreuz genagelt wird und wir uns erinnern an Jesu Leidenschaft für ein Leben in Liebe und Gerechtigkeit – eine Leidenschaft, die nicht vor dem Leiden zurückschreckt, sondern stärker ist als er Tod. Und der Friede Gottes, der größer ist als alles, was wir uns vorstellen können, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.