Taunus Zeitung, 19.05.2014 Zu Gast im Hohen Haus

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Taunus Zeitung, 19.05.2014 Zu Gast im Hohen Haus
Taunus Zeitung, 19.05.2014
Zu Gast im Hohen Haus
Von David Schahinian
Freunde der Realsatire erlebten bei einer szenischen Lesung mit Roger Willemsen in der
Kronberger Stadthalle ungewohnte Einblicke in den Deutschen Bundestag.
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Roger Willemsen Foto: hrho
Kronberg.
„Mief! Mief! Mief!“ Man wünscht sich in die Zeiten von Herbert Wehner (SPD) zurück,
wenn man hört, wie uninspiriert selbst ins Persönliche gehende Debatten heutzutage im
Bundestag geführt werden. Der Zwischenruf kam von Volker Kauder (CDU), und er war
eines von vielen denkwürdigen Erlebnissen, die der Publizist Roger Willemsen in seinem
Jahr auf der Zuschauertribüne im Parlament für sein Buch „Das Hohe Haus“
niederschrieb. Auszüge daraus präsentierte er am Freitagabend in der Kronberger
Stadthalle, flankiert von der Schauspielerin Annette Schiedeck und dem HörfunkModerator Jens-Uwe Krause.
Sie spielten sich die Bälle zu und verliehen so den Schlagabtauschen, die inhaltlich
meist dürftig geführt wurden, die satirische Würze. Der eloquente Willemsen versteht es,
beobachtete Details in treffende Worte zu kleiden – etwa, wie Angela Merkel (CDU) ihre
rote Henkeltasche heranzieht, „als handele es sich um ein angeleintes Tier“. Vorlagen
lieferten vor allem aber die Debatten, die hier zur Lachnummer wurden. Als gutes Stück
Unterhaltung werden sie offensichtlich geschätzt: Das Buch führt seit Wochen die
Bestsellerlisten an, die Stadthalle war ausverkauft, und auf den Plätzen saßen
Erwachsene aller Generationen.
Manchmal blieb Willemsen, der auch abseits der Fernsehkameras etwas
Schelmenhaftes besitzt, in dem Jahr jedoch der Humor im Halse stecken. Über 17 586
Anträge auf Genehmigung des Exports von Waffen und Rüstungsgütern hatte der
Bundessicherheitsrat im Jahr 2011 zu entscheiden. Obwohl die Bundesregierung von
einer „äußerst restriktiven“ Export-Zulassung spreche, seien lediglich 105 Anträge
abgelehnt worden. Die Diskussion darüber und der Rückzug fast aller
Bundestagsparteien auf „humanitäre Absichten“ und „realpolitische Zwänge“ sei, so
Willemsen, „auch noch ein Jahr später ein Tiefpunkt aller Debatten“, die er im Hohen
Haus verfolgt habe.
Andere Perspektive
In der Pause lobte ein Zuschauer, dass man den Politikbetrieb hier einmal „aus einer
ganz anderen Perspektive“ erlebe. Willemsens Schilderungen sind oftmals spottend, und
letztlich ist es im Bundestag ähnlich wie in der Kommunalpolitik: Ein Großteil der Arbeit
wird an anderen Orten, in den Ausschüssen, gemacht. Etwas mehr Würde für das Hohe
Haus würde man sich nach den rund zwei Stunden in der Stadthalle jedoch wünschen.
„Ein Affentheater, das können Sie schreiben“, zitiert Willemsen einen
Sicherheitsbeamten während einer Abstimmung, ob Peter Ramsauer (CSU) herbeizitiert
werden soll. Der sitzt zu dieser Zeit längst auf der Regierungsbank, aber der
Hammelsprung wird unbeirrt fortgeführt. Nach der Lesung, in der die Protagonisten sich
weitgehend an das geschriebene Wort hielten, eilte Willemsen ins Foyer der Stadthalle,
wo er seine Bücher signierte. In kurzen persönlichen Gesprächen zeigte er sich so, wie
man die Parlamentarier in Berlin gerne sehen würde: volksnah.