Ansprache zur Goldenen Konfirmation
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Ansprache zur Goldenen Konfirmation
Ansprache zur Goldenen Konfirmation Am Himmelfahrtstag (5. Mai 2016) In der Michaelskirche Gerstetten Liebe Festtags-Gemeinde, liebe Jubelkonfirmandinnen und Jubelkonfirmanden, am 20. März des Jahres 1966 haben sich hier in der Michaelskirche 24 Buben und 22 Mädchen versammelt, um sich von Pfarrer Bieler konfirmieren zu lassen. Die Jungs im ersten Anzug, mit der ersten Fliege oder der ersten Krawatte, und die Mädchen in festlichen Kleidern aus Samt oder Satin und dieser wunderbaren Frisur, die man auf ihrem Konfirmationsfoto auf unserer Homepage und im aktuellen Gemeindebrief bewundern kann. Erinnern Sie sich noch an den Tag Ihrer Konfirmation, an das Wetter, das Fest im Kreise Ihrer Familie, an den vorhergehenden Konfirmandenunterricht und überhaupt an das Jahr 1966, in dem so viel in unserem Land passiert ist? Ich helfe ihnen ein wenig auf die Sprünge: Zwei Wochen vor dem Sonntag Ihrer Konfirmation äußert beispielsweise der Beatle John Lennon gegenüber einem Reporter des Londoner Evening Standards einen Satz, der später in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Er sagte nämlich: Die Beatles seien mitlerweile „more popular than Jesus“ – also bekannter als Jesus Christus himself – und läutete damit den Anfang vom Ende der Ära der Fab Four ein. Während hier in der Bundesrepublik Männer und Frauen bereits seit dem Mai des Jahres 1957 – zumindest in den Augen des Gesetzes – gleichberechtigt waren, entscheiden sich unsere Schweizer (Kanton Basel) und Französischen Nachbarn erst im Jahr Ihrer Konfirmation dazu, Männern und Frauen ein und dieselben Rechte zuzugestehen. In demselben Jahr scheitert dann ein wenig später eine Abstimmung über das Frauenwahlrecht im Schweizer Kanton Zürich, so dass es nochmals ganze 24 Jahre dauern sollte, bis im Jahr 1990 wirklich alle Schweizerinnen wählen durften. Im Oktober 1966 scheitert die Schwarz-gelbe Koalition Ludwig Erhardts und macht Raum für eine GroKo (Große Koalition) unter Kurt Georg Kiesinger, dem bisherigen Ministerpräsidenten BadenWürttembergs. Beerbt wird er dort von einem ehemaligen Marinerichter namens Hans Filbinger, über den sollte Jahrzehnte später dann noch ein weiterer Ministerpräsident und heutiger EnergieKommissar der Europäischen Union stolpern. Und im November 1966 – vielleicht erinnern Sie sich – kommt es im frisch fertiggestellten Kernreaktor des Atomkraftwerkes Gundremmingen zu einem ersten kritischen Störfall. Die Eröffnung läuft in dem darauffolgenden Jahr dann ohne weitere Zwischenfälle ab. Sportlich war auch ganz schön was los in dem Jahr ihrer Konfirmation. Nicht nur ein Fußball-Mythos entstand 1966: Die Dortmunder Borussia gewinnt mit einem 2:1-Sieg über den FC Liverpool als erste deutsche Mannschaft überhaupt den Europapokal der Pokalsieger. Wenige Wochen später feiern die 60er aus München nach einem 1:1 gegen den Hamburger Sportverein im Stadion in der Grünwalder Straße ihre erste deutsche Fußballmeisterschaft. Und an den 30. Juli des Jahres 1966 werden Sie sich wohl noch sehr gut erinnern – auch wenn damals wohl noch niemand ahnte, dass dieser Abend in die Fußball-Annalen eingehen würde: Denn in der 11. Minute der Verlängerung des WM-Finales zwischen England und Deutschland fällt das sog. Wembley-Tor und beschert den Engländern ihren ersten und bisher einzige WM-Titel. Wow. Ich denke, die meisten von Ihnen werden sich noch gut zurückerinnern an das Jahr 1966 und eben auch an Ihre eigene Konfirmation. Als Sie zusammen mit Pfarrer Biehler hier in die Michaelskirche eingezogen sind, sich im Gottesdienst zum Glauben an Gott bekannt, das „Bleiben in dieser Gemeinde“ versprochen haben und danach eingesegnet also für ihr kommendes Leben geistlich zugerüstet wurden. Damals, vor 50 Jahren, bei Ihrer Konfirmation, da waren Sie die „Kleinen” in der Gemeinde – so wie die Konfirmandinnen und Konfirmanden der vergangenen beiden Konfirmationssonntage ja auch. Gerade an der Schwelle zum „groß werden”, vielleicht kräftig von der Pubertät geplagt. Manchmal lieb, manchmal kratzbürstig. Eine Lebensphase, in der man wechselweise seine Eltern stolz werden lässt oder in die Verzweiflung treibt. Ein moderner Eltern‐Ratgeber für den Umgang mit Kindern in diesem Alter trägt den Titel: „Und plötzlich sind sie 13 oder: Die Kunst, einen Kaktus zu umarmen.“ Und in manchen Ländern vergleicht man tatsächlich Menschen im Konfirmandenalter mit einer Kaktusfrucht: Nach außen hin kompliziert, wiederborstig, unnahbar, und doch innen ganz weich und verletzlich. Als kleine Kakteen sind Sie auch mal losgezogen. Was hat sich nicht alles in diesen Jahrzehnten getan. Sie sind nicht der gleiche Kaktus wie damals geblieben, Sie haben sich entwickelt, jeder hat seinen eigenen Weg gefunden, jeder hat seine eigene Persönlichkeit. Um im Bild des Kaktus zu bleiben: So unterschiedlich wie die verschiedenen Gattungen dieser stacheligen Pflanze aussehen, so unterschiedlich sind Sie. Wobei das mit der „stacheligen” Pflanze eigentlich auch schon nicht ganz stimmt. Denn nicht jeder Kaktus ist voller Stacheln. So haben Sie vielleicht auch im Laufe ihres Lebens entdeckt, dass man ohne Stacheln auch gut durchs Leben kommt, dass man gut damit fährt, wenn man Vertrauen schenkt und einem vertraut wird. Dass Beziehungen da gelingen, wo man offen ist, wo man seine Verletzlichkeit nicht verbirgt. Dass da eine Nähe und gegenseitige Verlässlichkeit entsteht, die einen manchmal an das erinnert, was Jesus in der Bergpredigt gemeint hat, wo er zum Vertrauen aufruft und zur Liebe gegenüber Freund und sogar dem Feind. Aber vielleicht ist es auch anders gekommen, und Sie haben ihre Stacheln behalten, Ihre Wehrhaftigkeit und die offensive Bereitschaft, denen, die einem weh tun könnten Paroli zu bieten. Zu oft muss man ja erleben, dass Arglosigkeit, Offenheit und Gutmütigkeit ausgenutzt werden. Auch schon als Kind und Jugendlicher kann einem das widerfahren. Da ist so mancher lieber ein stacheliger Kaktus geblieben. Vielleicht so einer, der zwar Stacheln hat, aber zugleich von so einem weichen weißen watteartigen Flaum umgeben ist. Ich denke, Sie kennen diese Kakteen. Man hat selbst hat ja in der Regel Aspekte von beiden: Man will offen sein, Nähe zulassen, und zugleich nicht wehrlos sein. Das ist schwierig, weil der Andere unter dem kuscheligen Flaum den Stachel nicht sieht und man so einen anderen verletzt, ohne es zu wollen. Wir sehen, es ist nicht einfach. Es gibt nicht „die” richtige Lösung. Man muss seinen eigenen Weg finden und gehen. Liebe Jubelkonfirmandinnen und Jubelkonfirmanden, zu dem Gepäck auf diesem Lebensweg gehört der Glaube an Jesus Christus. Damals haben Sie hier in der Gerstetter Michaelskirche gemeinsam vor Gott und der versammelten Gemeinde versprochen, diesen Glauben mit Leben zu füllen und Ihr eigenes Leben mit diesem Glauben. Erfahrungsgemäß gelingt das den Konfirmanden ganz unterschiedlich gut. Und so komme ich wieder auf diesen Kaktus. Denn das ist ja eine Pflanze, die darauf ausgerichtet ist, sehr lange ohne Wasser, ohne Pflege und ohne Aufmerksamkeit zu überleben. Und viele Menschen kennen in ihrer eigenen Biographie Zeiten, in denen ihr Glaube eine sehr spärlich begossene Pflanze war. Wo alle möglichen Dinge die eigene Zeit und Aufmerksamkeit beanspruchten – und der Glaube, das Beten, die Gemeinde vor Ort eine Nebenrolle spielten oder gar völlig aus dem Blickfeld geraten sind. Vorhin im Psalm 1 haben wir von einem Menschen gehört, der sich ganz bewusst auf Gott verlässt und dessen Leben – auch dessen Glaubensleben – so einem imposanten, früchtetragenden Baum gleicht, der seine Wurzeln tief im wasserreichen Boden hat und dessen Blätter deshalb niemals verwelken. Es ist wunderbar, so etwas zu erleben. Aber es gibt eben auch die Erfahrung, dass der eigene Glaube kein Apfelbaum mit saftigen Früchten ist, sondern zur unbegossenen Trockenpflanze mutiert – zum stacheligen Kaktus, der im eigenen Leben scheinbar nutzlos herumsteht. Und doch geht er nicht ein – das ist ja das Besondere: Er hat Geduld, er geht nicht so schnell zugrunde – er trägt immer einen Vorrat an Wasser in sich, lebt auf einem niedrigen Niveau weiter. So öde und unansehnlich dieser Kaktus auch aussehen mag: Er ist da! Das Potential dieses Glaubens‐Kaktus schlummert ungehoben im eigenen Leben – man sollte es eben nicht übersehen, dass es noch da ist. Da denke ich an Berichte von Menschen, die in der Wüste verdurstet sind. Sie waren von Kakteen umgeben – aber sie haben nicht erkannt, dass in diesen Pflanzen das steckt, was ihnen letztlich das Leben hätte retten können. Heute, am Fest der Jubelkonfirmation bietet sich damit auch die Gelegenheit, neu zu überlegen, welche Rolle dieser alte Kaktus „Gaube” in ihrer gegenwärtigen Lebensphase haben soll. Mit wie viel Zeit will ich ihn gießen, mit wie viel Gottvertrauen will ich ihn düngen, mit wie viel Hingabe ihn pflegen? Soll er Kaktus sein, auf dem Abstellgleis, auf Sparflamme; für alle Fälle? Oder doch eher ein Baum, gepflanzt an Wasserbächen, der seine Früchte bringt – regelmäßig, und eben nicht nur in den Krisenzeiten des Lebens? So ein Nachdenken über die Rolle des eigenen Glaubens jetzt und vor allem in Zukunft ist ein Aspekt so eines Konfirmationsjubiläums. Ein anderer wichtiger Punkt ist der Blick zurück. Auf das, was da so alles war. Das Gute, das Schwere und das Schöne. So ein Kaktus fristet ja ein sehr unspektakuläres Dasein. Eher selten hat man daheim mal jemanden zu Besuch, der begeistert aufspringt und ruft: „Mensch, hast du einen wunderschönen Kaktus auf deinem Fensterbrett.” Es ist halt ein Kaktus …. Vielleicht haben Sie auch den Eindruck, dass das eigene Leben auch nichts Besonderes, nichts Außergewöhnliches war. Sie haben keine Bildzeitung gefüllt und die Massen haben Sie auch nicht bewundert. Es war halt ein normales Leben. Aber hie und da ist dann doch alles anders. Zumindest beim Kaktus: Es kündigt sich schon ein bisschen vorher an: Eine unscheinbare Knospe … und dann entdeckt man: Mein Kaktus blüht. Er, dieses langweilige Pflänzchen am Fenster, er bringt eine wundervolle, bezaubernd farbenprächtige Blüte hervor, mit filigranen Blättern, die fast jeden in ihren Bann ziehen. Manchmal sind diese Blüten sogar größer als der Kaktus selbst. Und eigentlich weißt man gar nicht, wie das jetzt dazu kommt: Es ist einfach passiert, ohne eigenes Zutun. Schauen Sie doch mal zurück auf die Kaktusblüten Ihres Lebens. Auf die schönen, die guten Zeiten, die ihnen geschenkt wurden. Manches Besondere war vielleicht auch hart erarbeitet, durch Entbehrungen erkauft – aber oft ist vieles ein Geschenk: Dass Mühen sich gelohnt haben. Dass man nach langer Zeit doch noch den richtigen Partner gefunden, Kinder oder gar Enkel bekommen hat. Dass eine bedrohliche Krise ausgestanden wurde. Zu oft vergessen wir über den Dingen des Alltags den Blick auf das, was wirklich gut war, und damit oft auch die Dankbarkeit, die damit verbunden ist sowie die Kraft, die daraus entspringen kann. Wenn Sie heute an diesem Tag zurückblicken auf die letzten 50 Jahre, das halbe Jahrhundert, das nun mittlerweile seit dem Tag Ihrer Konfirmation vergangen ist, werden da sicher manche Erfahrungen sein, die Sie dankbar erinnern und andere, mit denen es kaum möglich ist, den „Frieden“ zu finden. Heute an diesem Tag gilt es aber zugleich, den Blick nach vorne zu richten: Auf die Zeit einer neuen, der sog. nachberuflichen Lebensphase mit allen Herausforderungen und Möglichkeiten. Wir sind ja nicht nur die Menschen, die wir bis hierher geworden sind, wir sind zugleich auch die Menschen, die wir noch werden können. Manches liegt noch vor uns – auch wenn wir nicht wissen, was genau und wie viel Zeit uns bleibt. Vielleicht hilft im Blick auf die ungewisse Zukunft, die da in ihrem letzten Lebensdrittel noch vor Ihnen liegt, das Bild des Kaktus, denn ein Kaktus ist ja eine Wüstenpflanze. Er ist da ganz speziell. Er braucht nicht alles, was diese unsere Welt zu bieten hat, für sein Glück. Er kommt mit sehr sehr wenig aus. Es muss halt das Richtige sein: Ein bisschen Wasser, einige Mineralien. Die Frage, was im Leben wirklich zählt, ist für ihn grundlegend – wie sie auch mit zunehmendem Lebensalter immer grundlegender und existenzieller wird. Wenn ich an die grundlegenden Dinge meines Lebens denke, fühle ich mich ein bisschen selbst ertappt, weil ich oft in der Versuchung stehe, mein Leben mit allerlei Dingen anzufüllen und dann zu hoffen, dass es dadurch irgendwie (noch) besser wird und vielleicht noch mehr aufblüht. Aber dann merke ich: Vieles ist Kosmetik und Ästhetik – das, was man wirklich braucht, sind einige wenige Basics, wie beim Kaktus eben; dann kann das Leben nämlich auch im kargen Boden Blüten entfalten. Sie als Goldene Konfirmanden haben da allein durch ihre Biographie und Lebenserfahrung vielleicht auch durch das eigene Erleben von Zeiten des Mangels oft schon ein sehr direktes Gespür für das, was wirklich im Leben zählt. Schenkt man dem Verfasser des ersten Psalmes, den wir vorhin miteinander gesprochen haben, Glauben, so ist liest sich die Antwort auf die Frage nach den Basics gelingenden Lebens recht einfach, denn der schreibt: „Glückselig der Mensch, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen […] sondern hat Lust am Gesetz des Herrn. […] Der ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit.“ Ich wünsche Ihnen für ihren weiteren Lebensweg Mut und Vertrauen auf Gott, damit er Sie auch weiterhin begleitet: Dass er dabei ist, wenn Sie Ihre Wege wählen, und sie beschützt, wenn Sie diese Wege dann gehen. So „vertraut den neuen Wegen, / auf die uns Gott gesandt! Er selbst kommt uns entgegen. / Die Zukunft ist sein Land. Wer aufbricht, der kann hoffen / in Zeit und Ewigkeit. Die Tore stehen offen. / Das Land ist hell und weit.“ Amen.