ein mythos des terrors
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ein mythos des terrors
ERICH FEIGL Die Geschichte des armenischen Extremismus ist ein Mythos im eigentlichen Sinn des Wortes: etwas Sagenhaftes, Erdichtetes, zur Sage Gemachtes. Dabei handelt es sich aber um etwas absolut Lebendiges und Wirksames, wie der Terror und seine furchtbaren Auswirkungen beweist. Ein Armenier namens Aram Andonian hat zu Beginn der zwanziger Jahre eine Dokumentensammlung (eigentlich waren es Fotografien von Dokumenten) herausgegeben, die er als Beweis für die Absicht der osmanischen Regierung vorlegte, das armenische Volk ausrotten zu wollen. Es handelte sich dabei um Befehle, die den Wahntaten eines Hitler oder Himmler durchaus entsprachen. Franz Werfel hat in gutem Glauben seinen herrlichen Roman Die vierzig Tage des Musa Dagh zur Gänze auf diesen Mordbefehlen aufgebaut. Zu spät erkannte er, einer Fälschung aufgesessen zu sein. Zu groß war die Furcht vor Repressalien, um den Irrtum öffentlich zu bekennen. Das Bild zeigt armenische Kinder vom Musa Dagh, dem Schauplatz dieses Romans, wo heute noch - trotz der Ausrottung - eine blühende armenisch-türkische Gemeinde lebt. EDITION ZEITGESCHICHTE • SALZBURG - FREILASSING ein mythos des terrors Univ.-Prof. Dr. Afif Erzen, Jahrgang 1913, erhielt nach Abschluß seiner Gymnasialzeit in Sivas als Jahresbester ein Stipendium für das Studium in Deutschland. Nach dem Vorstudium (Deutsch am Gymnasium Züllichau) studierte Afif Erzen ab 1934 an den Universitäten von Berlin (bei Wilhelm Weber), Jena (bei Fritz Schachermeyer, bei dem er bereits an einer Dissertation über „Metallgewinnung und Metallverarbeitung in Ostanatolien" arbeitete; die Übersiedlung Schachermeyers nach Heidelberg verhinderte aber deren Abschluß) sowie in Leipzig bei Helmut Berve („Das Alexanderreich", „Griechische Geschichte") wo er seine Studien mit einer Doktorarbeit über „Kilikien bis zum Ende der Perserherrschaft" im Jahre 1940 beendete. Im Jahre 1944 habilitierte sich Afif Erzen an der Universität Istanbul (Geschichte des Altertums), wurde im Jahre 1955 korrespondierendes und 1968 ordentliches Miglied des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin und war bis 1983 Vorstand der Abteilung Grundwissenschaften der Geschichte des Altertums an der Universität Istanbul. Afif Erzen hielt Gastvorlesungen an den Universitäten von Bonn, München, Erlangen, Münster, Würzburg und Tübingen, zuletzt vor allem über seine Ausgrabungen in Чavuшtepe und Ainos. Im Jahre 1967 gründete Professor Erzen in Van das Zentrum für Geschichts- und Archäologieforschung und im Jahre 1969 in Edirne jenes für Südosteuropaforschungen. Beide Institute stehen in Beziehung zur Geschichte der Herkunft und Bedeutung des armenischen Volkes, der Haik, sowie dessen historischer Entwicklung. Den internationalen Ruhm Professor Erzens begründete seine Ausgrabung von Чavuшtepe, der bedeutendsten urar-täischen Fundstätte unserer Zeit. Zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen zu seiner langjährigen Grabung in Чavuшtepe brachten Afif Erzen weltweite Anerkennung. Die wichtigsten Werke von Afif Erzen: „Ankara im Altertum" (Ankara, 1946) „Die Gründung der Stadt Istanbul und deren Namen" (Belleten 1953) „Das Besiedlungsproblem Pamphylien im Altertum" (Arch. Anz. 1973) „Zypern in der Geschichte des Altertums" (Belleten 1976) „Das Marmarameer und die Meeresenge in der Geschichte des Altertums" (Südosteuropaforschungen I, 1972) „Чavuшtepe I" (Türk Tarihi Kurumu, Ankara 1978) und, im gleichen Institut, „Eastern Anatolia and Urartians" (1979) Dazu zahlreiche Aufsätze über seine Ausgrabungen in Ainos (Enez, Thrakien) und vor allem über seine Grabungen in Van (Zitadelle), Toprakkale und Yukarskale, alle in Verbindung mit seinen urartäischen Forschungen, zum Teil gemeinsam mit dem Sumerologen Prof. Dr. Emin Bilgig von der Universität Ankara. In diesem Zusammenhang sei noch besonders Erzens Arbeit über „Das Neu-Urartäische in der Region Van" (Ankara, 1979) sowie das Erscheinen von „Чavuшtepe II" (Ankara, 1986) - ein Höhepunkt im Gelehrtenleben Afif Erzens - erwähnt, faßt es doch die Ergebnisse jahrzehntelanger Grabungstätigkeit im urartäischen Чavuшtepe zusammen. ERICH FEIGL ein mythos des terrors Armenian Extremism: Its Causes and Its Historical Context EDITION ZEITGESCHICHTE Prof. Erich Feigl (Wien 1931) begann noch während seines Studiums schriftstellerisch tätig zu werden, wendete sich aber bald dem Dokumentarfilm zu, eine Arbeit, die ihn in den Bannkreis der Religionen und Kulturen des Mittleren und Fernen Ostens sowie Mittelamerikas brachte. Er schuf TV-Serien wie „Reise in die frühchristliche Welt", „Die Erben der frühchristlichen Welt", „Die Weltreligionen", „Telegalerie" oder „Menschen und Mythen"; mehrere Filme aus diesen Serien erhielten den Staatspreis. Einzelne TV-Monographien wie „Musil von Arabien" oder „An den Strömen des Paradieses" (über die Religionsgemeinschaften des Zweistromlandes), sowie Erich Feigls TV-Dokumentationen über Ursprung und Untergang des Osmanenrei-ches („Woher sind die Türken gekommen" und „Wohin sind die Türken gegangen"), aber auch die berühmten TV-Dokumentationen über Kaiserin Zita („Die Kronzeugin" sowie „Kaiserin Zita", 1986 erstmals ausgestrahlt) brachten Professor Feigl immer wieder in die Bannmeile der tragischen Ereignisse von 1915 und die Geschichte und Hintergründe der armenischen Tragödie. Das geschah übrigens auch im Zuge der schriftstellerischen Arbeit Erich Feigls als Buchautor. Sowohl seine großen Biographien „Kaiser Karl" und „Kaiserin Zita" als auch seine Bücher über „Musil von Arabien" und „Athos Vorhölle zum Paradies" waren mit Studien zur Geschichte des Osmanischen Reiches - besonders in seiner Endphase — verbunden. Allmählich reifte der Plan, über den Ursprung und die Hintergründe der Tragödie des armenischen Volkes in Anatolien eine Monographie aus der Sicht eines profunden Kenners Anatoliens und seiner orientalischen Umwelt zu verfassen, zumal Professor Erich Feigl alle Schauplätze und zahllose Zeugen - aus allen Lagern - aus eigener Anschauung seit Jahrzehnten kennt. Vorbereitungsarbeiten waren schon sehr weit gediehen, als ein entsetzliches Ereignis - die Ermordung des türkischen Arbeitsattaches Erdogan Özen in Wien, am 20. Juni 1984, der ein persönlicher Freund des Autors war - Erich Feigl veranlaßte, eine umfassende filmische Dokumentation über jenen „Mythos des Terrors" herzustellen, der schon so viele unschuldige Leben auf dem Gewissen hat. Nach Beendigung der über ein Jahr währenden Dreharbeiten verfaßte Prof. Erich Feigl das nun vorliegende Buch, das fast ausschließlich Fotomaterial aus der Hand des Autors enthält und die Wurzeln des Armenierterrors freilegt, eines Terrors, der in erster Linie der überwältigenden Mehrheit jener Armenier schadet, die mit dem Schreckensregiment einer winzigen Minderheit unter ihnen nicht fertig zu werden mag, vielleicht auch aus Ungewißheit über die wahren Zusammenhänge, die zum armenischen Terror führten und führen. Das gilt erst recht für die breite Öffentlichkeit, die außer einigen Schlagworten über „Völkermord" und „Armeniermassaker" und immer neue armenische Terroranschläge nichts oder nur sehr wenige - oft falsch interpretierte - Fakten kennt. Dieses Buch zeigt offen und völlig ungeschminkt die historischen und zeitgeschichtlichen Zusammenhänge auf; die überraschenden Ergebnisse mögen dazu beitragen, das wahre Gesicht des Terrors zu zeigen und künftiges Unheil abzuwenden. EIN MYTHOS DES TERRORS 2 Eine Bilddokumentation von Erich Feigl EIN MYTHOS DES TERRORS Armenischer Extremismus: Seine Ursachen und Hintergründe EDITION ZEITGESCHICHTE • FREILASSING - SALZBURG © Edition Zeitgeschichte im Druckhaus-Nonntal-Bücherdienst D-8228 Freilassing, Georg-Wrede-Straße 49, Postfach 1490 Der Nachdruck der Bilder und Texte ist nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages gestattet. 1. Auflage Dezember 1986 Lektorat und Herstellung: Dr. Elisabeth Nowak, Adnet Reproduktionen: Repro Fuchs, Salzburg Satz, Druck und Bindung: Druckhaus Nonntal, Salzburg Printed in Austria 4 DEM ANDENKEN MEINES FREUNDES ERDOЬAN ÖZEN GEWIDMET Ein persönliches Wort zum Geleit „Bist du wahnsinnig geworden?” „Sind Sie lebensmüde?” Das waren die Kommentare von Freunden und Bekannten, als sie hörten, ich arbeite an einer Dokumentation über Hintergründe und Ursachen des armenischen Terrors. Warum ausgerechnet ich mich eines solchen gefährlichen Stoffes annähme . . . wäre das nicht eine Sache, die sich Türken und Armenier untereinander ausmachen sollten? Alle meine Freunde betrachteten mein Unternehmen als gefährlich, ja bedrohlich. Übrigens kam ich sehr bald zu der Erkenntnis, daß es diese Bedenken, ja Ängste sein müssen, die bisher verhinderten, daß es unvoreingenommene Versuche zur Klärung der Hintergründe armenischen Terrors gibt: offenbar haben die Menschen Angst vor Repressalien, und überlassen die ganze Problematik dadurch wieder den Vertretern der rücksichtslosen Gewaltanwendung, die fast das gesamte Feld der einschlägigen Literatur beherrschen; in so gut wie jeder Publikation, die sich mit der armenischen Frage oder dem armenischen Terrorismus beschäftigt, werben die Autoren um „Verständnis” für den Terror, was ähnlich merkwürdig ist wie wenn sich Terrororganisationen nach einem Anschlag zu einer „Verantwortung” bekennen. Ich selber kam vor vielen Jahren zum ersten Mal in den Bannkreis des türkisch-armenischen Spannungsfeldes, als ich einen meiner zahlreichen Dokumentarfilme über orientalische Religionsgemeinschaften drehte und dabei mit dem damaligen armenischen Katholikos von Sis, der in dem eleganten Beiruter Vorort Antelias residierte, zusammentraf. Er sprach damals feierlich von zwei Millionen von den Türken hingemordeten Armeniern, und ich nahm die Worte Seiner Heiligkeit sehr ernst und bildete viele Jahre lang danach auch meine Meinung. Im Laufe der Zeit sah ich mehr und mehr von der Welt, gewann liebenswürdige, symphatische und hochgebildete armenische Freunde, gewann türkische Freunde. Ohne es eigentlich zu wollen, weil es nie meinen unmittelbaren Aufgabenbereich berührte, geriet ich bei meinen zahllosen Filmarbeiten in Anatolien und im Nahen Osten, sei es nun in Istanbul oder Van, Bagdad, Teheran oder gar in den Vereinigten Staaten, in den Dunstkreis der „armenischen Frage”, wobei ich bald die Beobachtung machte, daß Wortwahl und Argumentation meiner Gesprächspartner in geradezu geometrischer Proportion zur Entfernung von der Türkei an Schärfe zunehmen; während sich Türkei-Armenier oder solche, die zwischen einem Wohnort in Istanbul und irgendwo in Europa hin- und herpendeln, äußerst gemäßigt und verständnisvoll äußern, können sich andere, die noch nie in ihrem Leben einen Türken gesehen haben und in Los Angeles oder Rio leben, sehr heftig und einseitig äußern. Meine persönliche Beziehung zu dem Themenkreis änderte sich von einer Sekunde auf die andere, als ich die Nachricht von einer Bombenexplosion vor der türkischen Botschaft an der Wiener Prinz-Eugen-Straße hörte. Dabei 6 war der türkische Arbeits- und Sozialattache Erdogan Özen ums Leben gekommen. Erdogan Özen habe ich gut gekannt. Er war ein begeisterter, hingebungsvoller Arbeiter gewesen, einer, der seiner beruflichen Aufgabe, türkischen Gastarbeitern in Österreich zu helfen und sich um ihre Probleme zu kümmern, nach bestem Wissen und Gewissen nachgekommen ist. Da war aber, so wie ich ihn kannte, noch mehr: oft habe ich ihn über seinen damals elfoder zwölfjährigen Sohn Murad sprechen gehört, sah die Liebe in seinen Augen, die ihn mit seinem Kind und seiner Frau Monika verband. Erdogan Özen war viele Jahre nach dem Ersten Weltkrieg zur Welt gekommen und hatte mit den tragischen Ereignissen von 1915, bei denen so viele Armenier und Moslems umgekommen waren, nicht die Spur zu tun, und ich verbürge mich auf Grund meiner Freundschaft mit ihm und allem, was ich daraus über ihn zu wissen glaube, daß er, wäre er damals in die Nähe verfolgter oder bedrängter Armenier gekommen, mit Sicherheit geholfen hätte. In dem gleichen Augenblick, da ich die Nachricht von dem Tode Erdogans hörte, faßte ich den Entschluß, etwas zu tun, etwas, was im Bereiche meiner Möglichkeiten liegt. Nach gründlicher Beschäftigung mit dem Thema und zahllosen Begegnungen drehte ich über diesen „Mythos des Terrors” eine Filmserie und schrieb das nun vorliegende Buch, das - zumindest in seinem umfangreichen Bildteil - aus der Filmarbeit herauswuchs. Es handelt sich um einen „Mythos” . . . im eigentlichen Sinne des „Wortes”, um etwas Sagenhaftes, Erdichtetes, „zur Sage Gemachtes”: und dabei absolut Lebendiges, Wirksames, wie der Terror und seine entsetzlichen Auswirkungen beweisen. Historiker oder Kommentatoren tragen heutzutage wenig oder nichts zur Klärung der Umstände bei, unter denen so viele Armenier einen tragischen Leidensweg antreten mußten, damals, 1915, - damals, als auch so viele Moslems den gleichen Weg in Krankheit, Elend und Tod gingen, Menschen, von denen heute so gut wie keine Rede mehr ist, obwohl sie mindestens genau so litten wie ihre armenischen Mitbürger. Der Schlüssel zum armenischen Terror ist die Geschichte. Geschichte ist die Ursache des armenischen Terrors, und gleichzeitig sein einziges Heilmittel. Der armenische Terror steht und fällt mit einem bestimmten Geschichtsbild. Nur wenn es gelingt, dieses Geschichtsbild, das sich die (meist sehr jugendlichen) „Kämpfer” für die Sache „Armeniens”, für „Gerechtigkeit” oder auch für einfache Rache zurechtgelegt haben, besser: das ihnen vorgesagt wurde, denn selbst können sie die Geschichte ja kaum erforschen, nur dann kann es gelingen, dieses Unglück „Mythos des Terrors” zu bannen und in ein neues Bild des gegenseitigen Verzeihens und Verstehens umzugestalten. Es gibt, meines Erachtens, nur diesen Weg der Korrektur eines Geschichtsbildes; denn die Jungen, die Unerfahrenen, die Idealistischen, die Blüte der begeisterungsfähi- gen armenischen Jugend wird ja auf dieses grauenhafte Schlachtopferfeld des Terrors gehetzt; die alten, erfahrenen Rattenkönige, die diese Jugend mißbrauchen, wissen ohnehin längst, was gespielt wurde und wird. Jeder junge Mensch, der ein Terrorkommando übernimmt, braucht eine raison d’etre, eine Philosophie und einen Beweggrund, aus denen heraus er den allfälligen eigenen Tod, lebenslangen Kerker oder Jahre der Haft riskiert. Während aber die Terroristen anderer Gruppierungen, seien es nun die Mitglieder der IRA, der seinerzeitigen MAU MAU oder irgendeiner Terrororganisation auf Timor oder in Südafrika, letztlich auf ein Stück Land, auf Machtausübung innerhalb bestimmter Grenzen hinarbeiten, ist im Falle des armenischen Terrors dieses Motiv wohl kaum vorhanden; selbst der verrückteste Terrorist wird nicht meinen, „Großarmenien” zu erreichen, wie es vor zweitausend Jahren für einige wenige Jahrzehnte bestand, außerdem wäre es gerade diesen Leuten in Ostanatolien wohl viel zu langweilig. Nein: armenische Terroristen stellen heutzutage einen einmaligen Sonderfall dar, weil ihr Geschichtsbild, ihr Wissensstand von dem, was 1915 und vorher und nachher geschah, ihre einzige Rechtfertigung ist. Ihr Motiv ist Rache, Rache für etwas, was - in ihren Augen, nach ihrem Wissensstand - selbst die Ermordung eines Menschen wie Erdogan Özen rechtfertigt, ja sogar in Kauf nimmt, daß völlig unbeteiligte, unwissende Passanten, Flugpassagiere, Warenhausbesucher oder Polizisten verletzt oder gar getötet werden, auch Generationen nach dem „Anlaß”. Die armenische Geschichtsauffassung wird übrigens weitgehend von der öffentlichen Meinung geteilt. Das ist weder ein Wunder noch soll das ein Vorwurf sein. So gut wie alle Informationen, die es über die tragischen Ereignisse des Jahres 1915 gibt, stammen aus armenischen Quellen oder zumindest von Menschen, die von vornherein über die damaligen, gleichzeitigen und noch viel größeren Leiden der Moslems entweder nichts wissen oder zumindest vorgeben, darüber nichts zu wissen; sie werden auch kaum oder nur sehr einseitig über die Vorgeschichte zur Tragödie von 1915 Stellung beziehen. Ich habe im Laufe meiner Vorarbeiten zu diesem Buch und meinen Filmen nach bestem Wissen und Gewissen Erkundigungen eingezogen und dabei auch zahllose Menschen kennengelernt, denen ich höchsten Respekt zolle; Seiner Seligkeit dem armenisch-apostolischen Patriarchen Schnorkh Kalustian von Istanbul zum Beispiel, oder den Ärzten und Pflegern im armenischen Spital der gleichen Stadt . . . ich nenne sie hier stellvertretend für viele, noble Armenier, die ich kenne, wie etwa die armenischen Bauern und ihre Familien auf dem durch Werfel weltberühmt gewordenen Musa Dagh oder armenische Gelehrte. Ich lernte allerdings im Zuge meiner Forschungstätigkeit auch andere Menschen kennen. Dabei erinnere ich mich besonders an Herrn Dr. Gerard Libaridian, den Leiter des armenischen Zorian-Institutes, mit dem ich in seinem Büro in Cambridge, Massachusetts, eine unendlich interessante, stundenlange Unterredung hatte. Dr. Gerard Libaridian ist ein brillanter Mann, sprühend vor Geist, Wissen, Können und Selbstbewußtsein. Über die Begegnung und die Unterhaltung mit ihm könnte man ein anregendes Theaterstück schreiben. Im Laufe des faszinierenden Gespräches, bei dem ich die aufregendsten Äußerungen meines Gastgebers notierte, erwähnte er mehrmals auch die sogenannten „AndonianPapiere”. Ein Armenier namens Aram Andonian hat zu Beginn der zwanziger Jahre eine „Dokumentensammlung” (eigentlich waren es Photographien von „Dokumenten”) herausgegeben, die er als „Beweis” für die Absicht der osmanischen Regierung vorlegte, das armenische Volk ausrotten zu wollen. Im Grunde genommen handelte es sich um „Befehle”, die den späteren Wahntaten eines Hitler oder Himmler durchaus entsprachen. Franz Werfel hat - ursprünglich selbstverständlich in gutem Glauben - seinen herrlichen Roman „Die vierzig Tage des Musa Dagh” zur Gänze auf diesen „Mordbefehlen” der osmanischen Regierung aufgebaut; zu spät kam er drauf, einer Fälschung aufgesessen zu sein, und aus Furcht vor erwarteten armenischen Repressalien wagte er es auch nicht, seinen Irrtum öffentlich zu bekennen. Da ich naturgemäß davon ausgehen konnte, daß Herr Dr. Libaridian von der Tatsache dieser Fälschung weiß, wollte ich über diesen Gegenstand auch kein einziges überflüssiges Wort verlieren, gab es doch so viele andere, in meinen Augen bessere Gesprächsthemen. Merkwürdigerweise blieb er aber bei diesem Buche des Aram Andonian und seinen „Dokumenten” hängen, worauf ich endlich einwarf: „Aber Herr Doktor Libaridian, Sie wissen doch so gut wie ich, daß diese ,AndonianPapiere’ Fälschungen sind!” Ich werde weder die Antwort Libaridians noch seinen Gesichtsausdruck dabei vergessen, als er auf meine Vorhaltung schlicht und kurz antwortete: „And?” „Und?” Ja . . . und ich werde diese Antwort nie vergessen, diese nicht einmal kalte, nein, sondern ganz beiläufige Antwort eines, der längst schon wieder bei anderen Strategien angelangt ist, bei dem der Schnee von gestern (sofern es sich um eine bestimmte Propagandamasche handelt) nicht einmal weggeräumt wird, weil er von selbst in der Geschichte versickert und dabei - wer weiß? vielleicht sogar noch einmal Brunnen vergiftet! Es ist eine winzige, ganz winzige Minderheit von Armeniern, die den Terror betreibt und idealistisch gesinnte, begeisterungsfähige Jünglinge für irrationale Motive und Ziele mißbraucht. Tragisch-komisch dabei ist, daß jene Drahtzieher selber an den Fäden mächtiger Puppenspieler, wenn man will „Schachspieler” hängen, und auch nichts anderes sind als läppische Schachfiguren im Spiel der Großmächte, die ihre armenischen Bauernopfer darbringen, wenn es dem Gambit gerade zu nützen scheint. 7 EINFÜHRUNG Von Afif Erzen, Istanbul Kaum eine Vorgangsweise ist der historischen Wahrheitsfindung abträglicher, als Geschichte mit Geschichten zu vermischen, oder gar zu verwechseln. Es ist dies ein ähnlich gefährlicher Irrweg wie die Vermischung oder Verwechslung von Politik mit Gewaltanwendung. Diese liegt aber leider nur allzuoft Forderungen von Interessensgruppen (kaum von Völkern, denn die lieben den Frieden) zugrunde, die „historisches Land” für sich reklamieren. Solche „historische Ansprüche” haben noch immer Krieg bedeutet, oder zumindest Terror, eine häßliche Abart des Krieges. Recht auf Souveränität und Unabhängigkeit besteht dann, wenn damit das Recht einer Mehrheit verbunden ist. Alles andere würde nur unseren allgemein anerkannten, demokratischen Grundsätzen widersprechen. Daß sogar die armenischen Apologeten eines „armenischen Staates” auf türkischem Boden dieser Gesinnung huldigen, beweist ihre Parteinahme für die Zyperngriechen gegenüber der türkischen Minderheit. Alle zeitgenössischen armenischen Ansprüche auf das türkische Ostanatolien, denen so gerne ein oberflächlicher, „rechtlicher” Schimmer beigegeben wird, leugnen einfach die Tatsache, daß diese Forderungen das Völkerrecht verletzen, weil in dem eingeforderten Gebiet so gut wie keine Armenier leben. Das übliche Argument, daß dort einmal Armenier gelebt hätten, ist wohl richtig, berücksichtigt aber nicht die Tatsache, daß auch vor 1915 die Armenier in dem von ihnen beanspruchten Land nur eine kleine Minderheit - etwa ein Sechstel der Bevölkerung - dargestellt haben, eine Minderheit, die schon lange vor der Ankunft der Sel8 dschuken in Anatolien, also schon seit fast einem Jahrtausend, über keine wie immer geartete staatliche Souveränität verfügte und außerdem - wie es ihre eigenen Volksführer immer wieder bestätigten - im Jahre 1915 im „Kriegszustand” mit ihrer eigenen, osmanischen Regierung lag, also einen Bürgerkrieg vom Zaune gebrochen hatte, der gerade in Ostanatolien, in Van, unter der islamischen Bevölkerung ein wahres Blutbad anrichtete. Eine andere, ebenso gefährliche, wie der historischen Wahrheit abträgliche Mythenbildung betrifft den Versuch, die Ansprüche der Armenier auf Ostanatolien mit ihrer angeblichen „Abstammung” von den Urartäern zu begründen. In so gut wie jeder von armenischer Seite veröffentlichten oder geförderten Publikation findet sich in mehr oder weniger klarer Form eine Geschichtsdarstellung, die den Eindruck erweckt, die Geschichte der Haik - so nennen sich die „Armenier” selber - in Ostanatolien reiche bis in das 2. Jahrtausend vor Christus zurück. Sie vereinnahmen nämlich in ihre eigene Geschichte - jene der Haik - einfach auch die Geschichte der Urartäer und jener, die vor den Urartäern in Ostanatolien lebten. Das gelingt umso leichter, als viele Zeitgenossen die Bewohner der historischen Landschaft Armenien mit „den Armeniern” verwechseln, die sich selber, wie erwähnt, „Haik” nennen, und nur eines unter zahllosen Völkern bilden, die im Laufe der Geschichte in der historischen Landschaft Armenien lebten oder leben. Der entscheidende Versuch gewisser armenischer Historiker oder Propagandisten, zwischen dem Volk der Haik und dem politischen und geschichtlichen Anspruch auf die historische Landschaft Armenien eine Brücke zu bauen, ist die Einvernahme der Geschichte Urartus, nachdem der noch ältere Versuch, sich mit Hilfe der Araratlegenden als die ersten legitimen Erben Noahs darzustellen, auf Grund seiner offenkundigen Absurdität scheiterte. Seit fast 3000 Jahren dient dieser vom Urartäerkönig Menua angelegte Schamram-Kanal der Bewässerung der Ebene von Van den unterschiedlichsten Völkern und Herren: Urartäern, Medern, Armeniern, Persern, Römern und Byzantinern, Seldschuken, Osmanen und allen Turkstämmen, die hier seit Anbeginn wohnten. Die geographischen und historischen Voraussetzungen Das Land, um das es in diesem Zusammenhang geht, Ostanatolien, ist ein Gebiet zerklüfteter Gebirge und Hochebenen, dessen dramatisch anmutendes Gesamtbild stark vom übrigen Anatolien abweicht. Seine durchschnittliche Höhe beträgt 2000 m, im Vergleich zu bloß 1000 m im restlichen Anatolien. Der niedrigste Punkt ist die Igdir-Ebene mit 875 m Seehöhe. Der Vansee, der das Bild Ostanatoliens beherrscht, entstand vor Zeiten nach einem Ausbruch des Vulkans Nemrud, dessen Lavamassen den Abfluß aus dem Becken verhinderten. Während ein großer Teil Ostanatoliens nach Norden, in den Kaspischen See durch die Flüsse Kura und Aras entwässert wird, fließen Euphrat und Tigris nach Süden, in den Golf. Diese Ströme spielten beim Entstehen der großen Kulturen Mesopotamiens eine Hauptrolle, brachten sie doch nicht nur ihre Wasser, sondern auch fruchtbare Erde aus Ostanatolien ins Zweistromland. Ostanatolien, dessen Grenze im Westen die Ausläufer des Taurusgebirges bilden, spielt auch eine Hauptrolle in der Geschichte der Turkvölker und der mit ihnen verwandten Volkschaften. Höhlenzeichnungen in Ostanatolien, deren Ursprung bis in das 15. Jahrtausend vor Christus zurückgeht, belegen die uralte Verbindung der Bewohner Ostanatoliens mit den Menschen Innerasiens, besonders des Altaigebietes, einer Wiege der Turkvölker, sowie anderen Ballungszentren dieser Rasse. Dank umfangreichen Ausgrabungen in der Gegend um Elazig, die während des Baues des Keban-Dammes vorgenommen wurden (in dieser Gegend entspringen Euphrat und Tigris), wissen wir heute, daß seit dem 4. Jahrtausend vor Christus eine sehr starke kulturelle Einheit innerhalb des Landes zwischen Kaukasus im Norden, dem Urmiasee im Osten, Nordsyrien im Süden und der Gegend um Malatia-Elazig bestand. Die Kulturen dieser Zone, die ein so gewaltiges Gebiet umfaßt, tragen je nach den Schwerpunkten der Ausgrabungstätigkeit und der Reichhaltigkeit der Funde Namen wie „Kura-Aras-Kultur”, „Yanik-Kultur”, „Karaz-Kultur”, „Frühe transkaukasische Kultur”, „Ostanatolische frühe bronzezeitliche Kultur” oder „Frühe hurritische Kultur”. Allen diesen Kulturen gemeinsam ist die Tatsache, daß ihre Träger hurritischen Ursprungs waren, also einer Kulturgemeinschaft angehörten, deren Sprache ähnlich jener ist, die die Völker der Ural-Altaiischen Sprachenfamilie sprechen; zu ihnen gehören auch die Türken. Die Hurri-ter waren asiatischen Ursprungs. Es ist daher richtig, die vorher genannten Kulturen, die alle im Schoße der Hurriter entstanden, „Frühe hurri tische Kultur” zu nennen. Die Hurriter bildeten auch jene kulturelle Basis, auf der später das Königreich von Urartu erwuchs. Das Urartäische Reich währte vom Beginn des 1. Jahrtausends vor Christus an über mehr als drei Jahrhunderte und umfaßte das Hochland Anatoliens, den Nordwesten Irans sowie Transkaukasien und im Süden die Urfa-Halfati-Region, Mauerquadern von Cavus,tepe-Sardurihinili dokumentieren: da sind zunächst die mit unglaublicher Präzision zusammengesetzten Bausteine der Mauern der Königsburg aus der Zeit Sardurs II. (764-735 vor Christus), der Sardurihinili errichten ließ, und endlich die von dem Großbrand gezeichneten Steine der Burg, der in der letzten Dekade des 7. Jahrhunderts vor Christus - wahrscheinlich im Jahre 609 - infolge der Eroberung der Burg durch die Skythen und die darauffolgende Plünderung und Brandstiftung entstand. Im Schutt unterhalb der Mauern fanden die Ausgräber unter Leitung von Prof. Afif Erzen Tausende skythische Pfeilspitzen . . . Für eine nachfolgende Besiedlung während des nächsten Jahrtausends fand sich nicht die Spur eines Hinweises, was übrigens auch für die anderen urartäischen Großbauten gilt. zeitweise sogar die Gegend um Aleppo, sowie im Westen das Land bis Malatia-Elazig. Lange Zeit herrschte die Ansicht vor, der Ursprung der hurritischen Kultur - und damit auch der urartäischen Kultur läge im transkaukasischen Nordwestiran. Folgerichtig nahm man an, daß sich die hurritische Kultur von Norden nach Süden, bis in die syrischen Gebiete hinein, ausbreitete. Heute aber steht fest, daß es in der Gegend von Elazig eine vorzüglich entwickelte neolithische Kultur gab, älter als die durch Funde nachgewiesene chalkolithi-sche Kultur, und daß jene neolithische Kultur Ostanato-Die Macht und Ohnmacht des Urartäerreiches, wie sie sich in den 9 Hochfläche des Burgberges von Чavuшtepe, wo Professor Afif Erzen die urartäische Doppelfestung Sardurihinili ausgrub. liens in ungebrochener Entwicklung, mit stark ausgeprägten, spezifisch anatolischen Zügen, fortwirkte. Die Entdeckung von frühen paläolithischen Steinwerkzeugen in Eskini-Sefini durch Professor Dr. Kilic Kokten sowie weitere Entdeckungen in Pulur und Tepecik, die eine Besiedlung in den Jahren zwischen 6000 und 5500 vor Christus nachweisen, weisen auch schlüssig nach, daß der Ursprung der frühen hurritischen Kultur in Ostanatolien liegt. Von dort, von Ostanatolien aus, breitete sich schließlich das Hurritische nach Nordsyrien, Transkaukasien und zum Urmiasee hin aus. Die für das türkische Volk, ja alle türkischen Stämme so wichtige Technik des Rundbaus stammt aus hurritischem Erbe. Keilschriftentäfelchen, die im Harbur-Tal gefunden wurden, beweisen, daß Hurriter zu Beginn des 3. Jahrtausends vor Christus bereits in Ostanatolien lebten, also etwa zur Zeit der Akkadier. Gegen Ende des 3. Jahrtausends vor Christus stießen indoeuropäische hethitische Stämme über Transkaukasien nach Ostanatolien vor. Die Niederlassung der Hethiter in Anatolien um 2000 vor Christus brachte verschiedene Änderungen im Leben der Hurriter Ostanatoliens. Metalle und der Handel mit ihnen gewannen rasch an Bedeutung, doch trotz einer gewissen Verlegung der Wirtschaftsbasis, auch auf Viehzucht, blieb die hurritische Kultur im wesentlichen unverändert, was sicher auch durch das schützende Gebirgsland mitbewirkt wurde. Vom Beginn des Bronzezeitalters an wuchs die ostanatolische Bevölkerung stetig und immer mehr stabile Dorfgemeinschaften bildeten sich heraus. Da Weideland allmählich knapp wurde, entstand jener halbnomadische Lebensstil, der zum Teil Ostanatolien bis heute prägt. Im 10 Die in Urartäisch - einer asiatischen, agglutinierenden Sprache, die starke Ähnlichkeiten mit der Ural-Altaischen Sprachfamilie, vor allem mit dem Türkischen aufweist - abgefaßte Gründungsinschrift von Sardurihinili, übrigens in unglaublich gutem Zustand erhalten - wurde von Afif Erzen entdeckt und von Emin Bilgic. (Sumerologe an der Universität Ankara) übersetzt: Zeile 1 Diesen Tempel hat Sardur, der Sohn des Argischti, dem Gotte Irmuschini <errichtet. So sagt Sardur> 2 Da ich meines Vaters Thron bestieg, sagt Sardur <etwas Derartiges hat man in vorhergegangenen Zeiten> noch nie errichtet. 3 Ich habe dort dem Gotte Haldi einen Tempelthron <aufgebaub Dem Gotte Irmuschini und für diese Festung 4 habe ich von dem Hoschap-Fluß einen Kanal <erbauen lassen und mit> Weingärten, Feldern und Gemüsegärten diese neue Stadt <Gebäude habe ich dort 5 umgeben. Diese prächtigen selbst errichtet) 6 Als Namen der Stadt habe ich Sardurihinili (Sardurstadt) gewählt. Sardur sagt . . . 7 Dorfhäuser, die sich vorher hier befanden, habe ich für alle Zeiten hier neu errichtet. 8 Diese Stadt habe ich dem Gotte Irmuschini <geweiht> und die Tore dem Gotte Haldi, wegen des Reichtums. 9 Der Sohn des Argischti (Sardur II.) hat mit Hilfe der Größe und Macht des Gottes Haldi diesen Tempel errichtet 10 <Ich> mächtiger König, ich großer König, ich großer König (sie!) der Biai-Länder*). Der Herr dieser Stadt und von Tuschpa, Sardur bin ich. Laufe einer lange anhaltenden Trockenperiode verdichtete sich die Besiedlung besonders auf der Hochfläche um den Vansee. Trotz der wenigen schriftlichen Zeugnisse aus jener Zeit steht fest, daß während des 2. Jahrtausends vor Christus der Mittelpunkt des hurritischen Siedlungsgebietes um den Vansee lag. So wie hurritische Namen in den Kültepe-Texten aufscheinen (1950 bis 1790 vor Christus) fand man hurritische Inschriften auch in den MariDokumenten der mittleren Euphrat-Region, die in das Zeitalter Hammurapis gehören. Der Einfluß hurritischer Kultur und Religion auf die Hethiter läßt sich durch hurritische Texte, die in Hattusa (Bogazköy, 1450 bis 1180 vor Christus) gefunden wurden, nachweisen. Hurritische Elemente beeinflußten die hethi-tische Religion und Mythologie. Hurritische Götter und Göttinnen nehmen in den Yazilikaya-Texten der hethiti-schen Felsbilder (13. Jahrhundert vor Christus) eine wichtige Rolle ein. Die Götter der Hurriter spielten im hethitischen Pantheon eine wichtige Rolle, vor allem die hurritische Hauptgöttin Hepat und ihr Gemahl Teschup, der uns später - im urartäischen Götterhimmel - als Teischebe wieder begegnet. Später degenerierte das Land der Hurriter zu einem Vasallen- und Pufferstaat zwischen Hethitern und Assyrern. Aber im 13. Jahrhundert vor Christus erwuchs den Assyrern, die sich schon im vollen Besitze der Macht wähnten, in einer rasch heranwachsenden Allianz mehrerer Fürstentümer Ostanatoliens, in der urartäische und nairische Kräfte die Hauptrolle spielten, ein gefährlicher neuer Gegner, ja Rivale. Die Urartäer Die ältesten Quellen, die von den Urartäern berichten, sind assyrischen Ursprungs. Der assyrische König Salmanassar (1274 bis 1245 vor Christus) berichtet, daß er in den ersten Jahren seiner Regierungszeit einen Feldzug gegen die Urartäer unternommen habe. Die Inschrift erzählt von nicht weniger als acht Ländern und 51 Städten, die er (im Jahre 1274 vor Christus) zerstört haben will, was auf die Zersplitterung der Urartäer im Bergland Ostanatoliens hinweisen mag. Später berichtet der Assyrerkönig Tukulti-Ninurtta I. (1244 bis 1208 vor Christus) über die Eroberung Nairischen Landes (Nairi und Urartu scheint weitgehend identisch zu sein) und den Sieg über 40 Könige, die in der Gegend des Vansees residierten. Sicher handelte es sich dabei um Fürsten der urartäischen und nairischen Stämme, die zwischen Euphrat und Urmiasee - mit der Gegend um den Vansee als natürlichem Mittelpunkt - herrschten; sie müssen hurritischer oder protourartäischer Herkunft gewesen sein. Dabei muß die Tatsache, daß Hurriter und Urartäer gleichen Ursprungs sind, eine große Rolle gespielt haben, weil die urartäische Sprache weder semitischen noch indoeuropäischen Ursprungs ist, sondern eine dem hurri- Blick von der Burg Sardurihinili-Чavuшtepe auf das Dorf Чavuшtepe, das sich an genau der gleichen Stelle befindet wie das urartäische Dorf; auch die von den Urartäerkönigen angelegten Bewässerungskanäle dienen heute ihrem Zweck wie vor dreitausend Jahren. Im Dorf fanden sich außer einigen zu christlich-armenischen Grabsteinen umgemeißelten urartäischen Inschriftensteinen so gut wie keine armenischen Siedlungsspuren. tischen verwandte asiatische Sprache. Sowohl die Morphologie als auch die Phonologie, Syntax und der Wortschatz des Urartäischen sind mit dem Hurritischen eng verwandt. Gerade diese Sprachverwandtschaft ist ein schlagender Beweis für die gemeinsamen Wurzeln der Hurriter und Urartäer. Sie sind zwei Zweige am gleichen Stamm, mit gemeinsamer Wurzel in der Vergangenheit. Offensichtlich kamen diese Verwandten in zwei aufeinanderfolgenden Einwanderungswellen aus Asien über Transkaukasien nach Anatolien. Die sprachlichen und kulturellen Unterschiede scheinen, abgesehen von der zeitlichen Einwanderungswelle, in der Tatsache zu liegen, daß die Urartäer von Anfang an eher in den Bergen zu siedeln pflegten. Es herrscht heute die Meinung vor, daß die Hurriter aus den Steppen und dem Hochland von Zentralasien eingewandert sind (so wie schon Jahrtausende vorher jene Prototürken, die die Felszeichnungen in den Höhlen und an den Felswänden Ostanatoliens hinterließen) und daß die Urartäer auf dem gleichen Wege nach Ostanatolien gelangten, sich aber seit der Mitte des 3. Jahrtausends vor Christus von den Hurritern bereits getrennt hatten. Eindeutig ist auch das Urartäische eine asiatische Sprache; eng verwandt mit der gleichfalls agglutinierenden hurritischen Sprache. Auch die Götterwelt der Hurriter und Urartäer ist weitgehend identisch. Hier sei darauf hingeweisen, daß die Hauptstadt der Urartäer – unübersehbar die Burg von 11 Univ.-Prof. Dr. Afif Erzen, der Ausgräber von Чavuшtepe-Sardurihinili mit seiner Frau und treuen Helferin Fikriye sowie seinem Assistenten Erol Bey auf dem Burghügel von Sardurihinili. Van, die auf ihrem Felsen thront - in alter Zeit den Namen „Tuschpa” trug, also der Göttin Tuschpuea zugehörig. Neben dem Haupt- und Kriegsgott Haldi regierten 78 Götter und Göttinnen die Himmel der Hurriter und Urartäer, deren entsprechende Namen allein die Zusammengehörigkeit der beiden verwandten Völker dokumentieren: der Wettergott Tescheba der Hurriter heißt bei den Urartäern Taschpuea; seine Gemahlin Hepat wird zur Huepa. Eine ähnliche enge Beziehung, ja Identität besteht zwischen Urartäern und den Nairi. Die tatsächliche politische Vereinigung der nairischen und urartäischen Fürstenstämme und die daraus entspringende politische Union fand um die Mitte des 9. Jahrhunderts vor Christus statt. Der Assyrerkönig Salmanassar III. (858 bis 824 vor Christus) hatte bereits mit einem König der Urartäer zu kämpfen, der alles Land zwischen Euphrat- und Tigrisquellen beherrschte: Aramu. Kurz darauf profilierte sich König Sardur I. (840 bis 830) als der eigentliche Gründer des Königreiches Urartu. Sardur I. errichtete auch die urartäische Hauptstadt Tuschpa - heute Van, genauer gesagt die Burg von Van auf ihrem gewaltigen Felsmassiv. Tuschpa - Van blieb Hauptstadt der Urartäer bis zum Untergang des Reiches. Sardurs I. Sohn Ischpuini und dessen Sohn Menua dehnten die Macht Urartus bereits bis nach Aserbaidschan und zum Urmiasee aus. Die Inschriften werden nun bereits in urartäischer Sprache verfaßt, und aus ihnen geht auch hervor, daß sich Urartus Könige als ebenbürtig mit jenen Assyriens fühlten. Dazu mag wohl auch beigetragen haben, daß die Urartäer damals ihre Macht bis vor die Tore Ninives ausdehnten und die Gegend der Tigrisquel12 len beherrschten . . . vorher noch unbestritten assyrischer Machtbereich. Die Zeit des Urartäerkönigs Menua, über dessen Herrschaft wir dank einer reichen Fülle von Texten, mehr als 100, gut unterrichtet sind, ist durch vorzügliche Verwaltung und große Sozialbauten geprägt, auch durch die Fertigstellung eines 51 km langen Bewässerungskanals, der noch heute voll seinen Dienst versieht. Später schrieb man den Kanalbau der sagenumwobenen Königin Semiramis zu. Offensichtlich war die Erinnerung an die Glanzleistungen der urartäischen Herrscher verblaßt. Romantische Vorstellungen europäischer Reisender, die von der Existenz eines einstigen urartäischen Reiches keine Ahnung mehr hatten, schrieben übrigens auch den Prachtbau der Burg von Van „der Königin Semiramis” zu. In der Zeit von König Argischti L, Sohn des Menua (790 bis 765 vor Christus), wuchs die Macht Urartus abermals. Argischti I. drang über Gümrü (heute Leninakan) und Erivan hinaus bis tief in den Kaukasus vor. Von den Inschriften an der Fassade seiner Grabkammer, die den Charakter eines Rechenschaftsberichtes über seine Regierungszeit tragen, wissen wir auch, daß er die Ebene zu Füßen des Ararat eroberte. In der Zeit von König Sardur II. (764 bis 735 vor Christus) erreichte Urartus Macht ihren absoluten Höhepunkt. Auch dank der damals geschwächten Position der Assyrer stieg Urartu zur führenden Kraft der Region auf. Sardur II. rühmte sich, sogar den Assyrerkönig Assurnina-ri V. geschlagen zu haben. Im Osten eroberte er Trans-kaukasien und die urartäischen Armeen drangen bis Kulha vor, wahrscheinlich ist damit Kolchis gemeint. Inschriften aus der Zeit Sardurs II. gibt es vom Euphrat bis Aserbaidschan, vom Kaukasus bis Aleppo und Mos-sul, ja selbst am Kaspischen See und am Urmiasee. In jener Zeit erreichten die Urartäer so gut wie deckungsgleich die Ausdehnung des Einflußbereiches ihrer hurriti-schen Vettern. Die unglaublichste Leistung König Sardurs II. ist aber die Ausbreitung seiner Macht im Westen, wo er Urartus Grenzen über Kommagene hinaus in die Gegend von Malatia vorschob, wo sich bei dem heutigen Dorf Habib Uschagi die westlichste urartäische Inschrift befindet. Mit nordsyrischen Fürstentümern baute Sardur II. eine politische Front gegen die Assyrer auf, die allerdings bereits kurz darauf, als der kraftvolle Assyrerkönig Tiglat-pileser III. den Thron bestieg, zusammenbrach. Bei Sam-sat, am Ufer des Euphrat, mußte Sardur II. eine schwere Niederlage hinnehmen und Tiglatpileser verfolgte den geschlagenen Urartäer bis Tuschpa (Van), dessen Burg er allerdings nicht einnehmen konnte. Trotzdem bildet die Regierungszeit von Sardur II. - der übrigens die Niederlage gegen die Assyrer recht gut überwunden zu haben scheint - auch auf dem Gebiete der Bautechnik einen unüberbietbaren Höhepunkt. Sardur II. ist der Erbauer von Sardurihinili (Чavuшtepe). Vom Gugunafluß her ließ er eine Kanalzuleitung bauen und krönte den Doppelhügel mit einer gewaltigen, durch Wehrgänge verbundenen Festung, die auch gleichzeitig als luxuriöser Landsitz diente. Ich habe auf dem Doppelhügel von Cavugtepe jahrzehntelang die Ausgrabungen geleitet und dort den politischen „Armenismus”, der schon immer gerne seine Ansprüche von den Urartäern abgeleitet hat, in einer ganz besonderen Weise kennengelernt. In armenischen Kreisen spukt für Чavuшtepe-Sardurihinili die Bezeichnung „Haikapert” herum, also „Festung der Haik”. Nun, ich habe in der gesamten Ausgrabungstätigkeit auf dem gewaltigen Doppelhügel nicht die leiseste Spur einer armenischen Präsenz wahrgenommen. Bloß zu Füßen der Burg, im Dorf, fanden sich zwei urartäische Inschriftensteine, in die irgendwann einmal Kreuze geschlagen worden waren, sonst nichts. Sehr stark hingegen sind die Spuren der islamischen Besiedlung, besonders im 13. Jahrhundert, vor allem Überreste von Keramik, die sehr stark auf die ilhanidische Keramik von Tahte Süleiman im Iran hinweisen. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch kurz -obwohl es nicht zur unmittelbaren Problematik der frühen Geschichte Ostanatoliens gehört - auf den überragenden Einfluß der türkischen Kunst auf die Baukunst der Armenier in Ostanatolien hinweisen. So gehen die armenischen Bauwerke in ihrem Rundstil eindeutig auf den Rundstil der Turkvölker zurück, die zur Zeit etwa der Erbauung von Ahtamar, als die Armenier unter den abbasidischen Kalifen von Bagdad lebten, die eigentliche Macht ausübten. Denn wie im Kairo der Fatimiden hatten auch im Bagdad der Abbasiden die Mamluken - die türkischen Heerführer und ihre Streitkräfte - das Heft fest in der Hand und bestimmten auch den aus Asien kommenden, immer an die Zelte ihres einstigen Nomadenlebens erinnernden Baustil. Doch zurück zu den entscheidenden Fragen der urartäischen Geschichte und ihrer Nachwirkungen in Ostanatolien. In der Zeit von König Rusa I. (735 bis 714 vor Christus) mußten die Urartäer abermals eine schwere Niederlage durch die Assyrer hinnehmen, als König Sargon II. von Assyrien mehrere urartäische Provinzen eroberte. Dennoch konnte Urartu noch seine Unabhängigkeit bewahren, vor allem dank des Auftretens der Skythen, die zunächst vor allem den Assyrern stark zusetzten und für eine Weile Urartu dadurch entlasteten. Nach einer Verteidigungsallianz der gemeinsam bedrängten Assyrer und Urartäer bot schließlich König Sardur III. von Urartu (645 bis 635[?] vor Christus) den Assyrern eine Art Anschlußpakt an, der de facto die Hegemonie Assyriens über Urartu einleitete. Die große Zeit Urartus neigte sich dem Ende zu, allerdings auch jene Assyriens. Trotz der unüberwindlichen politischen und militärischen Probleme Urartus künden zahlreiche Inschriften aus jener Zeit dennoch von einem Weiterblühen der Kultur und der Bautätigkeit, was besonders für die Regierungszeit der Urartäerkönige Sardur IV. und Erimenas gilt. Doch das Ende der Großmächte war nicht mehr aufzuhalten. Im Jahre 609 brach das Assyrerreich zusammen, und das durch den Kollaps dieser einstigen Supermacht verursachte Vakuum riß auch Urartu in den Untergang. Unmittelbar nach dem Ende des Assyrerreiches drangen die Skythen in Urartu ein, die Funde auf der Festung Sardurihinili-Чavuшtepe beweisen, daß das Reich unter den Schlägen der skythischen Angreifer zusammengebrochen ist. Die Skythen ließen sich in dem eroberten Land allerdings nicht nieder, sondern zogen nach Ägypten weiter, während das urartäische Land unter die Kontrolle der Meder kam. Vom Urartäischen Reich war nach dem Angriff der Skythen so gut wie nichts übrig geblieben. Die überlebenden Urartäer zogen sich in höhergelegene Bergregionen zurück, und allfällige Reste urartäischer Macht wurden durch die Meder liquidiert. Trotzdem ist es auffallend, daß nach dieser Katastrophe die überlebenden Urartäer ihre Kultur, wenn nun auch nur mehr auf dörflicher Grundlage, bemerkenswert gut bewahren konnten. Von der Übernahme des gewaltigen Erbes der Urartäer, wie es sich etwa in den Ruinen der Festung Cavugtepe manifestiert, kann allerdings keine Rede sein. Nachfolgende Kulturvölker haben weder in Чavuшtepe noch an anderen urartäischen Zentren wie Toprakkle oder Adilcevaz nennenswerte Spuren hinterlassen. Zu Beginn des 6. Jahrhunderts vor Christus wurden die einst von Urartu beherrschten Landstriche zum Streitobjekt zwischen Lydiern und Medern, bis schließlich die Meder die Macht übernahmen. Es scheint, daß das der Zeitpunkt ist, zu dem armenische Stämme, die wahrscheinlich aus der Balkangegend oder Thrakien stammen und dort von den Illyrern vertrieben worden sein mochten, in Ostanatolien einwanderten. Sie werden zum ersten Mal in einer Inschrift von Darius genannt - im 6. Jahrhundert vor Christus -, in dessen Machtbereich sie zu jenem Zeitpunkt schon gehörten. Ihre indoeuropäische Sprache nahm im Laufe der Zeit gewisse Züge der alten, nicht-arischen anatolischen Sprachen an, ohne daß die „Haik” deswegen „Urartäer” geworden wären. Die indogermanischen Haik (Armenier) können in etwa als „Zugeheiratete” ohne Sprach- oder Blutsverwandtschaft mit der aus Asien stammenden, aus der asianiden Sprachwelt kommenden, hurritisch-urartäischen Großfamilie angesehen werden, während die Turkvölker mit jenen „prototürkischen” Völkern der hurritisch-urartäischen Welt die gleiche asiatische Erbmasse teilen. Für die spätere Entwicklung und das gemeinsame, friedliche Zusammenleben so vieler Völker und Rassen auf dem Boden Anatoliens, vor allem in der Zeit des Osmanischen Reiches, waren diese Tatsachen völlig belanglos; alle Völker des Osmanenreiches genossen das gleiche Ansehen, ja man fragte nicht einmal nach einer „völkischen” Herkunft, weil die für die Sultane-Kalifen ohne jedwedes Interesse war. 13 Erst die tragische Entwicklung im Zuge des Aufkommens der Nationalstaaten und der Nationalitätenfragen ließ die Frage nach „rassischer Herkunft” und allenfalls daraus gefolgerten „Ansprüchen” aufkommen. Das ist auch der Grund, warum ich diese Fragen gerne beantwortete, ohne daraus irgendwelche Schlüsse auf Wertigkeiten zu ziehen. Vor Gott sind alle Menschen gleich und das Gebot der Liebe und der Verständigung gilt heute mehr denn je zuvor, gerade im Angesicht des Terrors, der mit blinder Wut Ansprüche durchsetzen will, die nicht bestehen. *„Biai” ist die Selbstbezeichnung der Urartäer; „Urartu” kommt aus dem Assyrischen und wurde vor dem 10. Jahrhundert vor Christus noch „Uruartu”, später jedoch „Urartu” geschrieben. Der Name der Stadt Van dürfte von der Selbstbezeichnung der Urartäer als „Biai” (Vi-á-i) kommen. Der hurritisch-urartäische Wettergott Tescheba - Taschpouea auf seinem Trägerstier; nach Tuschpuea hieß das alte Van „Tuschpa” -, ein signifikantes Zeichen für die ursprünglichen Besitzverhältnisse in Ostanatolien lange vor der Einwanderung kleinerer indogermanischer Armenierstämme im 6. Jahrhundert vor Christus. 14 Die - noch in assyrischer Sprache - mit den Zeichen der Keilschrift abgefaßte Gründungsinschrift der Urartäerburg Tuschpa -Van, in der König Sardur I. seine Verdienste verewigt. Die gewaltigen Kalksteinblöcke in der alten Hafenzone der Urartäerburg folgen der hurritischen Bautradition; der obere Block trägt die Gründungsinschrift. Die Urartäer waren im Altertum weithin berühmt für ihre Kunst der Metallverarbeitung sowie ihre Pferdezucht. Kriegswagen des Gottes Haldi, 8. Jahrhundert vor Christus, urartäisch. Ein Weberknecht, in Beton gegossen, als Denkmal einer Geschichtsbeugung im kalifornischen Montebello; zu Stein gewordene Unwahrheit. Es ist das Mahnmal eines grausamen Mythos, des Mythos vom häßlichen Türken. Hekatomben Unschuldiger wurden bereits auf diesem Altar übersteigerten Nationalgefühls geopfert. Zweck der Verkündigung der Botschaft vom häßlichen Türken und des Befreiungskrieges ist, so wie im 19. Jahrhundert, die Errichtung eines armenischen Nationalstaates auf einem Gebiet, wo die Armenier noch niemals in der Geschichte über eine Mehrheit verfügt haben, in Anato-lien. Der Mythos des Terrors armenischer Prägung verfügt selbstverständlich, wie jeder pervertierte Kult, über eigene, kanonische Schriften: Es sind dies die „Documents officiels concernant les Massacres Armeniens”, die Aram Andonian im Jahre 1920 herausgegeben hat, und Franz Werfeis „Vierzig Tage des Musa Dagh”, ein Roman, der ganz auf den von Andonian veröffentlichten Dokumenten aufbaut. Fest steht aber, daß die „Documents officiels”, die nachweisen sollen, daß die osmanische Regierung einen allgemeinen Mordbefehl gegen die Armenier erlassen habe, von A bis Z gefälscht sind - was heute nicht einmal mehr von den Rädelsführern der armenischen antitürkischen Kampagne bestritten wird. Die Liturgie der armenischen Terroristen erschöpft sich in den litaneihaften, ständigen Wiederholungen falscher Opferzahlen, wobei es auf ein oder zwei Millionen noch nie angekommen ist, sowie in der Darbringung von Menschenopfern. Türkische Diplomaten fallen diesen Opferhandlungen ebenso anheim wie Historiker, die gegen die Geschichtsbeugung ankämpfen, oder wohlhabende Armenier, die sich weigern, den Terroristen ihren Tribut zu zollen; der Terror trifft aber auch völlig Unbeteiligte, die zufällig in den Exekutionsbereich einer armenischen Terrorgruppe geraten. 15 Die zentrale Geschichtsverfälschung, um die sich der gesamte armenische Mythos des Terrors dreht, ist die ständig wiederholte Behauptung, die osmanische Regierung hätte eineinhalb Millionen Armenier umbringen lassen. Hier, auf der Inschrift von Montebello in Kalifornien, gehen die Erbauer des Monuments sogar noch einen Schritt weiter und behaupten, der Genozid - also der Völkermord — sei „by the Turkish governement” (von der türkischen Regierung) angeordnet worden, obwohl es im Jahre 1915 noch längst keine türkische Regierung gegeben hat. Der Zweck der Übung ist klar: es soll die moderne Türkei in Zusammenhang mit Dingen gebracht werden, die auch schon für die Osmanen nicht zugetroffen haben. Tatsache ist, daß nach den Aufständen von Muш, und Van im März des Jahres 1915, die Zehntausende moslemische Opfer forderten und Bürgerkrieg bedeuteten, von der osmanischen Regierung ein Umsiedlungsbefehl erlassen wurde. Durch die kriegsbedingten Wirren an den Fronten und die ununterbrochenen Aufstände kamen viele Armenier um — allerdings betrugen die islamischen Verluste an Menschenleben ein Vielfaches. Niemand fragte bis heute nach dem Schicksal der Moslems, die den von armenischen Terroristen angezettelten Unruhen zum Opfer fielen. 18 Das Gotteshaus der „First Armenian Church” in Watertown, Mass., wo Vartan Hartunian als Prediger wirkt. Im Jahre 1968 veröffentlichte Pastor Vartan Hartunian aus Watertown in der Nähe von Boston die Erinnerungen seines Vaters, Pastor Abraham H. Hartunian, in denen er seine Erlebnisse aus den Wirren der Kriegs- und Nachkriegszeit schildert, zunächst die Türken verdammend, schließlich aber, vor der Einnahme Izmirs durch die Truppen Kemal Atatürks, verflucht er die christlichen Mächte und ihre Repräsentanten: „Leid komme über dich, ungerechte Diplomatie! Schamlose, niedrige, hinterlistige Diplomatie! Die griechische Nation verriet ihre Leute und lieferte sie an die Türken aus, damit sie von jenen erwürgt werden! Ich speie dich an, höllische Diplomatie! Wie verrückt liefen wir durcheinander und sagten einandern: Jene niedrigen, mörderischen Moslem-Türken behandelten uns besser als diese europäischen Christen! Hätten wir das vorher gewußt, wir wären bei den Türken geblieben!” Die Einsicht kam spät, die Einsicht, daß nicht die Türken, sondern die Griechen den Invasionskrieg von 1921 begonnen hatten, mit all seinen tragischen Folgen, kam ihm nie; Verständnis für das Verhalten der Türken, die von ihren armenischen Mitbürgern mitten in den Wirren und den Bedrohungen des Ersten Weltkrieges hinterrücks angegriffen worden waren und sich mit den Ententemächten verbündeten, schon gar nicht. Abraham H. Hartunians Sohn, der einflußreiche armenisch-protestantische Prediger Vartan Hartunian von der „First Armenian Church”, kennt deshalb auch keinen armenischen Terror, sondern bloß sogenannten Armenierterror. Diese jungen Menschen - in vielerlei Hinsicht gewiß völlig unschuldig in den Mordkreis geraten - wurden von ihren terroristischen Ausbildnern mit Hilfe des absurden Mythos vom Ausrottungsbefehl, den die osmanische Regierung erteilt haben soll, zu Verbrechern erzogen. Die einzigen, die aus dieser Handlungsweise Profit ziehen, sind die Drahtzieher des armenischen Terrors. Sie führen mit freiwilligen - und noch mehr unfreiwilligen - Zuwendungen durch wohlhabende Armenier ein sorgloses Leben, während die von ihnen verführten armenischen Terroristen Kopf und Kragen riskieren, für einen absurden Mythos. Eines der wichtigsten Anliegen bei allen Terrorakten und den darauffolgenden Berichten in den Zeitungen, im Rundfunk und im Fernsehen ist, daß als Ursache des Terroraktes der Völkermord von 1915 erwähnt wird, ein Ziel, das stets erreicht wird und die Terroristen zu immer neuen Gewalttaten anreizt, hier mit dem Zwischentitel „1915 killings recalled” (Die Tötungen von 1915 in Erinnerung gerufen). „The Liberation of our Homeland” - die Befreiung unseres Heimatlandes - ist mehr als eine todbringende, gängige Phrase, es ist die Lebenslüge der Drahtzieher des Aus dem „Boston Herald” vom 24. Oktober 1982: Fünf Gesichter des Terrors Vier Armenier wurden in Los Angeles verhaftet. Von links: Karnig Sarkissian, Dikran Berberian, Viken Hovsepian und Viken Jakubian. Ein fünfter, der verdächtigt wird, diesem armenischen Terrorkommando anzugehören, Stefan Johannes Dadalian, rechts, wurde vom FBI in Boston verhaftet. 19 armenischen Terrors, weil die Armenier niemals in der Geschichte in Ostanatolien oder sonst wo auf dem Boden des Osmanenreiches über eine Mehrheit verfügten; es gibt keinen einzigen Bezirk, ja keine einzige Stadt, die sie als „homeland” in diesem Sinne bezeichnen können. Der Besitzer der Tankstelle in Kalifornien, die er „AM” nennt, ist sicher, daß Ani den Türken zum Opfer gefallen ist, wie der Besitzer des Wagens, der meint, Ahtamar sei von den Seldschuken den Armeniern abgenommen worden. In Wahrheit fielen alle die halb-unabhängigen armenischen Fürstentümer Anatoliens schon Generationen, mindestens aber Jahrzehnte vor den Türken den Byzantinern, Mamluken oder Kreuzrittern zum Opfer. Überall waren die Türken von den Armeniern als Befreier vom byzantinischen Joch begrüßt worden; die türkisch-armenische Freundschaft hielt auch bis tief ins 19. Jahrhundert. Ein bezeichnender Leserbrief in einer der zahllosen armenischen Wochenschriften in den Vereinigten Staaten: „Die Befreiung unseres Heimatlandes Am 12. März 1985 übernahmen drei armenische Freiheitskämpfer die türkische Botschaft in Ottawa, Kanada, und hielten sie viereinhalb Stunden lang. Über Telephon gaben sie ihre Forderungen bekannt, die lauteten: die Türkei muß das armenische Land freigeben und den Völkermord an den Armeniern zugeben. Die Medien berichteten umfassend. Nichtsdestoweniger fahren die Medien fort, und das trotz der klar ausgesprochenen Forderungen, die Zielsetzung der armenischen Sache (zumindest teilweise) als Racheakt darzustellen. Zwei Wochen darauf wurde die Drohung ausgesprochen, im Untergrundbahnsystem von Toronto würde eine Bombe gelegt, wollte man die drei nicht sofort auf freien Fuß setzen. Wieder reagierten die Medien mit umfassender Berichterstattung. Und wieder wurde das Ziel der armenischen Sache falsch als Rache ausgedeutet. Wenn wir als Ziel unserer Aktivitäten die Anerkennung des Völkermordes fordern, ist es ganz klar, daß die Öffentlichkeit annimmt, wir suchen einfach Rache. Nichtsdestoweniger wird die öffentliche Meinung unsere Sache nicht mehr als Racheakt ansehen, wenn wir klar und deutlich sagen, daß unser Hauptziel die Befreiung unseres Heimatlandes ist. Deshalb ist es unabdingbar für alle Armenier, seien sie nun Lobbyisten im Kongreß, Straßendemonstranten, Freiheitskämpfer im Rahmen militärischer Aktionen oder Wortführer in den Medien, daß unser Ziel die Befreiung des von den Türken besetzten Armeniens ist sowie die Anerkennung des Völkermordes durch die Türkei und nicht Rache. Garen Yeghparian Ara Khanjian Woodside, N. Y.” 20 Illustration aus Abraham H. Hartunians Buch „Neither To Laugh nor To Weep” mit dem Untertitel Familie Hartunian im jähre 1920 (von Familie Hartunian überlassen). Die Aussagekraft dieses Fotos steht in krassestem Widerspruch zu den Erzählungen Abraham Hartunians über die Ereignisse und seine persönlichen Erlebnisse in jener Zeit. Die zentrale Geschichtsverfälschung, um die sich der gesamte armenische Mythos des Terrors dreht, ist die ständig wiederholte Behauptung, die osmanische Regierung hätte eineinhalb Millionen Armenier umbringen lassen. Hier, auf der Inschrift von Montebello in Kalifornien, gehen die Erbauer des Monuments sogar noch einen Schritt weiter und behaupten, der Genozid - also der Völkermord - sei „by the Turkish governement” (von der türkischen Regierung) angeordnet worden, obwohl es im Jahre 1915 noch längst keine türkische Regierung gegeben hat. Der Zweck der Übung ist klar: es soll die moderne Türkei in Zusammenhang mit Dingen gebracht werden, die auch schon für die Osmanen nicht zugetroffen haben. Tatsache ist, daß nach den Aufständen von Mu§ und Van im März des Jahres 1915, die Zehntausende moslemische Opfer forderten und Bürgerkrieg bedeuteten, von der osmanischen Regierung ein Umsiedlungsbefehl erlassen wurde. Durch die kriegsbedingten Wirren an den Fronten und die ununterbrochenen Aufstände kamen viele Armenier um - allerdings betrugen die islamischen Verluste an Menschenleben ein Vielfaches. Niemand fragte bis heute nach dem Schicksal der Moslems, die den von armenischen Terroristen angezettelten Unruhen zum Opfer fielen. Illustration aus Abraham H. Hartunians Buch „Neither To Laugh nor To Weep” mit dem Bildtext Mutter und Kind (zur Verfügung gestellt von Harry S. Nakashian und John K. Garabedian). Keine Silbe wird in dem haßerfüllten Buch über die Leiden der islamischen Bevölkerung verloren, die ein Vielfaches an Menschenleben und Leid zu beklagen hatte; keine Silbe wird darüber verloren, daß der Bürgerkrieg von 1915 von armenischen Terrorkommandos begonnen worden war. 21 Die Armenier und ihr sogenannter Terror Erklärung von Rev. Vartan Hartunian, Watertown, Mass.; abgegeben am 12. 8. 1985. Wie reagieren Armenier auf den Terror? Was denkt ein armenischer Pastor über den armenischen Terror? „Was die sogenannten armenischen Terroristen und die Anschläge auf türkische Diplomaten betrifft, kann ich nur sagen, daß wir das aus Vernunftgründen verurteilen. Armenier stimmen darin überein, daß es für solche Taten keine Zustimmung gibt und daß man ihnen energisch entgegentreten sollte . . . und das ist unser Vernunftstandpunkt; aber in der Seele des Armeniers gibt es auch einen tiefen Schmerz, seit 70 Jahren. Dieser Schmerz kommt nicht nur von den schrecklichen Taten der Türken, die schließlich zum Völkermord führten, sondern auch von der amtlichen Leugnung dieses Tatbestandes. Im ganzen Zusammenhang dieses Schmerzes gibt es im Herzen der Armenier eine Art Gerechtigkeitssinn, einen irrationalen Gerechtigkeitssinn, der befriedigt zu sein scheint, wenn solche Attentate stattfinden . . .” Offenbar ist es nicht Terror, sondern bloß sogenannter Terror, so lange andere Menschen umgebracht werden. Die vorgeschriebene „Offenbarungstafel” vor der Kirche des einflußreichen Predigers Vartan Hartunian, der nur vom sogenannten armenischen Terror spricht. Die Eroberung und Zerstörung von Ani „durch die Türken” gehört zu den Basislegenden armenischer Terroristen und ihrer geistigen Motivation. In Wahrheit wurde das armenische Fürstenrum Ani Jahrzehnte vor dem Einfall der Seldschuken von den Byzantinern okkupiert und später durch Erdbeben zerstört. 22 Armenien: Mythos und geschichtliche Wirklichkeit „. . . und im siebenten Monat, am siebzehnten Tage des Monats, ruhte die Arche auf den Bergen von Ararat”, erzählt die Bibel. „Gehe aus der Arche, du und mit dir deine Frau, deine Söhne und die Frauen deiner Söhne. Alles Lebende von allen Wesen, die bei dir sind, Vögel und Vieh und alles Gewürm, das auf dem Boden kriecht, laß mit dir herausgehen, damit sie wimmeln auf der Erde, fruchtbar sind und sich mehren auf der Erde.” Die frühen armenischen Chronisten wie Moses von Khoren oder Thomas Ardsruni und andere schrieben, das armenische Volk stamme von Noach ab, dessen Arche ja am Ararat gelandet sei; im heiligen Eifer scheint man dabei übersehen zu haben, daß - wenn überhaupt jemand von Noach kommt - alle Menschen in gleicher Weise von ihm abstammen müssen. Manche Länder leiten ihre Namen von ihren Bewohnern ab; Frankreich, England, Deutschland oder die Türkei bezeichnen Gegenden, in denen Franzosen, Engländer, Deutsche oder Türken zu Hause sind. Ländernamen wie Amerika, Bolivien oder Ecuador bezeichnen eine geographische Zone, ohne auf den Ursprung der Menschen dort einzugehen. Im Altertum gab es in Anatolien zahlreiche Provinznamen, die gleichzeitig für die Bewohner dieser Regionen galten, wie etwa Paphlagonien, Pamphylien oder Kappadokien; die Bewohner einer solchen Provinz gehörten keineswegs einem einheitlichen Stamm an, aber man benannte sie nach der gemeinsamen Wohnlandschaft. Wie bei zahllosen anderen Landschaftsnamen auch kennzeichnete der Name „Armenien” eine geographische Zone, kein Volk. Die Armenier nennen sich selber in ihrer Sprache „Haik” und geben schon dadurch zu erkennen, daß die Landschaft Armenien keineswegs ihr Ursprungsland ist. Woher die „Haik” (sing. „Hai”) kommen, ist nicht genau bekannt. Alles deutet darauf hin, daß sie aus dem Westen einwanderten und sich in kleinen Gruppen schließlich östlich des Euphrat niederließen. Die Sprache der Armenier ist im wesentlichen indoeuropäisch, hat sich aber nach der Einwanderung mit nicht-arischen, anatolischen Sprachen vermischt. Manche Gelehrte (wie J. Karst, Die vorgeschichtlichen Mittelmeervölker) meinen, daß armenoide Stämme einst an der nördlichen Ägäis, im nördlichen Thessalien und dem anschließenden Illyrien - also auf dem Balkan beheimatet waren. Nach ähnlicher Ansicht wären die Armenier Abkömmlinge phrygisch-thrakischer Stämme, die infolge illyrischen Drucks nach Osten abwanderten. Obwohl es so gut wie sicher ist, daß die Armenier ursprünglich auf dem Balkan oder in Thessalien wohnten, ist die Zeit ihrer Einwanderung nach Anatolien nicht genau feststellbar; an ihrem Herkunftsort hinterließen sie Zu beiden Seiten eines tief eingeschnittenen Canons im Süden 23 Bisutun (Behistun): Das Aquarell Sir Robert Ker Porters aus dem Jahre 1818 zeigt den Felsberg mit der Königsinschrift des Darius in Westpersien. von Van, an der Grenze zu Hakkari, befinden sich die Höhlen von Yedisalkrm, knapp 80 m oberhalb des Talbodens. Die Felszeichnungen sind größtenteils mit dunkelroter oder brauner Farbe ausgeführt. Bilder von Göttern, Göttinnen mit unverhältnismäßig großem Geschlechtsteil, tanzende menschliche Figuren, Sonnenund Wildmotive und Jagdszenen mit inzwischen ausgestorbenen Tierarten herrschen vor. Eine Darstellung der Muttergottheit, die auf einem Tier steht, repräsentiert die älteste bekannte Zeichnung einer „Herrscherin der Tierwelt” in Anato-lien überhaupt. keine Spuren, die Zeit der anatolischen Einwanderung liegt sicher nicht vor dem 6. Jahrhundert vor Christus. Am Ende des 5. Jahrhunderts vor Christus (401 bis 400) erzählt Xenophon in seiner „Anabasis” von den Armeniern im Zusammenhang mit anderen anatolischen Stämmen. Die erste Erwähnung der Armenier überhaupt findet sich in der dreisprachigen (iranisch, babylonisch und elamitisch) Inschrift von Behistun, Westiran, in der der Perserkönig Darius (485 vor Christus) Armenien als eine seiner Satrapien aufzählt. Diese Erwähnung hat geradezu symbolischen Charakter, brachten es doch die armenischen Gemeinschaften so gut wie nie in ihrer Geschichte über den Status von Satrapien oder bestenfalls halb-unabhängigen Fürstentümern hinaus. 24 Bisutun (Behistun): Darstellung des Gottes Ahura Mazda auf der Felswand mit der dreisprachigen Königsinschrift des Darius. Unterhalb des Basreliefs sind die Repräsentanten der tributpflichtigen Stämme zu sehen, darunter auch ein Armenier. Die prähistorischen Kulturen Ostanatoliens ein Schlüssel zum Verständnis der Geschichte Anatoliens Von seiner geopolitischen Lage her ist Ostanatolien eine Schlüsselregion der Weltgeschichte. Im Süden liegt Mesopotamien (die Wasser des Zweistromlandes, Euphrat und Tigris, entspringen in Ostanatoliens Bergen!), im Osten der Iran, im Norden der Kaukasus und im Westen Zentralana tolien. Folge dieser einmaligen Lage ist, daß seine eigenen, erst in jüngster Zeit enträtselten Kulturen wie jene der Urartäer und ihrer Vorläufer, der Hurriter, in engster Beziehung zu den sie umgebenden Kulturen Mesopotamiens oder des Iran oder Zentralanatoliens standen. Bis über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus wußte man über die prähistorische Besiedlung Ostanatoliens so gut wie nichts. Als in Westeuropa uralte Höhlenmalereien entdeckt wurden, schien es, als handle es sich dabei um die ältesten Zeugnisse der Kunst der Menschheit überhaupt; dann wurden Höhlenzeichnungen in den Steppen Asiens und in Afrika entdeckt. Erst vor kurzem entdeckten türkische Altertumsforscher Zeugnisse ältester, dichter Besiedlung Ostanatoliens. Das Hochland von Ostanatolien wies alle Voraussetzungen für die Jäger und Sammler jener Zeit auf: dichte Wälder, überreiche Wildbestände, Wasser. Sensationell war die Entdeckung zahlloser Felsbilder in den vergangenen Jahren. Die ostanatolischen Felsbilder zeigten die frühgeschichtliche Entwicklung dieser Region plötzlich in einem völlig neuen Licht. Die Darstellungen von Göttern, Adoranten, Wild und Jägern sind zum Teil 15.000 Jahre alt. Die Felszeichnungen Ostanatoliens kommen hauptsächlich in vier Landkreisen vor: um Malatya-Adiaman, bei Kars, in der Gegend um Van sowie in den Bergen von Hakkari Dr. Oktay Belli, Mitglied der Türkischen Historischen Gesellschaft (Türk Tarih Kurumu), entdeckte die Felszeichnungen der Van-Region, die in der Zeit zwischen 15.000 und 7000 vor Christus entstanden sind. In der Thrakische Landschaft unweit von Edirne. Wahrscheinlich stammen die Armenier, die zwischen dem 6. und 4. Jahrhundert vor Christus in Anatolien einwanderten, aus dem Balkangebiet, vielleicht aus Thrakien. Die indogermanischen Armenier hinterließen allerdings an ihrem Herkunftsort keinerlei bis heute erfaßbare Spuren; möglicherweise wird die intensive Forschungstätigkeit der Archäologen in Südosteuropa in absehbarer Zeit Antwort auf die Frage nach der Herkunftsgegend der Armenier geben können. 25 Die Zeichnungen stammen von prototürkischen Stämmen, die vor Tausenden Jahren in Ostanatolien lebten. Türkische Nomadenstämme beherrschen noch immer das Bild der Bergregionen Ostanatoliens (das untere Foto zeigt Felszeichnungen aus der Kurbanaga-Höhle unweit von Camiшli, Bezirk Kars). Gegend von Yedisalkim, in den Hakkari-Bergen, finden sich in den Höhlen hoch oberhalb der Talböden auch Götterbilder prähistorischer Herkunft. Über die Menschen, die jene Kunstwerke schufen, gibt es heute eindeutige Hinweise. Denn ähnliche Felszeichnungen wurden in Ost-Aserbaidschan, in Kohistan, in der Altai-Region sowie in Sibirien gefunden. Die Dichte des Vorkommens dieser Felszeichnungen weist eindeutig darauf hin, daß sie prototürkischen Ursprungs sind; die Menschen, die diese Zeichnungen ausführten, gehörten zu frühen türkischen nomadischen und halbnomadischen Stammesverbänden. Ähnlich verhält es sich mit den stilisierten Zeichnungen aus dem Gevaruk-Tal (Hakkari) and auf dem Plateau von Tirschin. Die Felszeichnungen aus Gevaruk und Tirschin sind insoferne von besonderer Bedeutung, als sie große Ähnlichkeit mit den Zeichnungen und Zeichen der Cunni-Höhle bei Erzurum und auf den Steinblöcken des Zeustempels von Aizani (Чavdarhisar, bei Kütahya) aufweisen; sie stammen von alttürkischen Familienverbänden jener Gegend. Die jüngsten Entdeckungen machen augenfällig, daß schon in prähistorischer Zeit ein Zusammenhang zwischen Ostanatolien und den künstlerischen und kulturellen Zentren der Steppen Aserbaidschans und Sibiriens sowie der Bergregionen des Altai, der Heimat der Turkvölker, bestand. Seit prähistorischen Tagen besteht bis in die jüngste Zeit eine lebendige Verbindung wandernder und halb-nomadischer türkischer und prototürkischer Stämme zwischen Innerasien und Anatolien. Asien ist die Heimat der Yurte. „Yurt” ist ein türkisches Wort und bedeutet gleichzeitig so viel wie Zelt und Heimat. Yurtenähnliche „Bienenkorbhäuser” in Anatolien sind eine Schöpfung der Hurriter, Vorläufern der Urartäer, deren Bereich zwischen Kaukasus, Urmiasee und der Gegend um Malatya-Elazig lag. Dieser Kulturzone wurden verschiedene lokale Namen gegeben, wie Kura-ArasKultur oder Karaz-Kultur; Träger dieser Kultur gehörten in den Kreis der ural-altaiischen Völkerfamilie, zu der auch die Türken zählen. Die Frühe Hurritische Kultur wie auch die Hurritische Kultur bildeten die Grundlage für das darauffolgende Urartäische Reich. Ein charakteristischer Zug der hurritischen Kultur war das Rundhaus ähnlich den Rundzelten der halbnomadischen Hurriter. Rundhäuser hurritischen Typs gibt es heute noch in der Gegend von Urfa und Haran. Die späteren türkischen Kuppelbauten der osmanischen Zeit wirken wie eine logische Weiterentwicklung der Yurte und des Bienenkorbhauses. Daß die Osmanen die von den Römern und Griechen entwickelte Technik des Großkuppelbaues mit solcher Begeisterung übernahmen und weiterbildeten, hängt sicher mit der althergebrachten Vorliebe der Turkvölker für Rundhäuser und Yurten zusammen. Ostanatolische Landschaft oberhalb des Vansees: in urartäischer Zeit bedeckten noch dichte Wälder diese Höhen, die schon früh abgeholzt wurden. 26 Prototürkische Felszeichnungen aus Camышlы. Eine Yurte der Yörüken in Zentralanatolien. - Bienenkorbhäuser in Südanatolien (Haran). - Die Vorliebe der Osmanen für Kuppelbauten entwickelte sich folgerichtig aus dem Leben in Yurten und Rundhäusern. 27 Keilschrift vom Burgfelsen von Van, aus dem 8. Jahrhundert vor Christus. Die Hauptstadt des Reiches Urartu trug den Namen Tuschpa, nach einer den Hurritern und Urartäern gemeinsamen Gottheit Tischeba. Gründer des Reiches von Urartu war König Sardur I. (840-830 vor Christus), er errichtete auch die Burg von Van - damals Tuschpa. Der Name „Ararat”, der von den Hebräern erwähnt wird, ist Urarat in den Qumran-Texten, ist Urartu im Assyrischen. Die Urartäer nannten sich selbst Biainili - von diesem Wort leitet sich der Ortsname „Van” ab. (Blick vom urartäi-schen Burgfelsen auf die von den Armeniern im Jahre 1915 zerstörte osmanische Altstadt von Van.) Anatolien hat schon viele Herren gesehen: hethitische Vorherrschaft im Zeichen des Doppeladlers, Perser, Alexander den Großen, Griechen, Römer, Byzantiner, Araber, Mamluken und schließlich Seldschuken und Osmanen. Sie alle herrschten über die historische Landschaft „Armenien” in Ostanatolien, eine Landschaft, deren Name nichts mit dem Anspruch der Armenier (die sich selbst Haik nennen und wahrscheinlich vom Balkan stammen) zu tun hat, zumal die Haik dort niemals über eine Mehrheit verfügten. Eine Königsinschrift von der Burg Van, Ostanatolien. Seit kurzem ist die urartäische Schrift weitgehend entziffert. Es steht nun eindeutig fest, daß Urartäisch als Sprache asiatischen Ursprungs klassifiziert werden muß; sie gehört, wie das Türkische, zu den agglutinierenden Sprachen. Sprachforscher sind der Ansicht, daß die Hurriter aus den Steppen und Gebirgen Zentralasiens nach Anatolien kamen - wie die Urartäer, die sich um die Mitte des 3. Jahrtausends v. Chr. von den Hurritern trennten. Es steht heute eindeutig fest, daß das Hurritische wie das Urartäische mit der indoeuropäisch armenischen Sprache nichts zu tun hat -außer, daß nach der armenischen Einwanderung gewisse Elemente des Urartäischen aufgesetzt wurden. Armenisch gehört zur Satem-Gruppe der indoeuropäischen Sprachen, wohingegen das Urartäische auch noch durch seine Eigenheit, durch das Anhängen von Suffixen an eine vorgegebene Wurzel neue Wörter zu bilden, Ähnlichkeiten mit den ural-altaiischen Sprachen aufweist. 28 29 Der Glorreiche Koran, Sure II/63: All denen - seien es Gläubige, Juden, Christen oder Sabäer - wenn sie nur an Gott glauben, an den Jüngsten Tag, und das Rechte tun, wird einst Lohn von ihrem Herrn, und weder Furcht noch Traurigkeit wird über sie kommen. Das Bild zeigt die Religionsgemeinschaft der Sabäer bei einer Taufe am Tigris; der Koran erwähnt die Sabäer gleich viermal. Als „Schriftbesitzer” gelten Mohammed auch die Juden und Christen, die vom Islam auch stets als solche respektiert wurden. Nach der Eroberung Ostanatoliens durch die Araber wurden die Kalifen von Damaskus Herren der Armenier. Bild: Die Omaijadenmoschee von Damaskus. Die „Teufelsanbeter”, die in den Bergen von Ostanatolien und im irakischen Zagrosgebirge ihre Kultstätten haben, gehörten zu den merkwürdigsten Religionsgemeinschaften des Osmanenreiches; ihr stark mit schamanistischen Elementen untersetzter Kult setzt sich aus zoroastrischen, christlichen, jüdischen und islamischen Bestandteilen zusammen. Obwohl sie im Sinne des Korans kaum „Schriftbesitzer” genannt werden konnten, bewahrten auch sie ihre Eigenart über alle Wirrnisse hinweg. 30 In den gewaltigen Herrschaftsbereich der Osmanenkalifen gehörte nicht nur die sunnitische Mehrheit der Reichsbevölkerung, sondern auch eine zahlenmäßig wohl weit weniger starke, auf Grund ihrer Strukturen und geheimen Verbindungen und Verzweigungen aber doch sehr einflußreiche schiitische Minderheit. Das Bild zeigt den Scheich der schiitischen Sekte der Schebek aus der Gegend um Mossul, damals eines der wichtigsten Zentren osmanischer Machtausübung im Zweistromland. Seine Heiligkeit, der Patriarch Mar Addai II. der „Kirche des Ostens” (Nestorianer) in Bagdad. Ein junger Sabäer aus Bagdad; Mohammed erwähnt die Sabäer ausdrücklich im Koran als „Schriftbesitzer” wie Juden und Christen. Die nestorianischen Christen (die den Beschluß des Konzils von Ephesos, Maria „Gottesmutter” zu nennen, nicht anerkannten) wären von der byzantinischen Staatsmacht und der griechischorthodoxen Kirche völlig aufgerieben worden, hätten sie nicht bei den zoroastrischen Persern und später bei den omaijadischen, abbasidischen und osmanischen Kalifen Schutz und Zuflucht gefunden. Die Katastrophe brach über sie erst herein, als sie während des Ersten Weltkrieges mit den Russen ähnlich gemeinsame Sache machten wie die Armenier und den Türken in den Rücken fielen. Sie mußten sich aus den Bergen von Hakkari zurückziehen; die Mehrheit, ungefähr 40000 nestorianische Christen (sie nennen sich selber „Kirche des Ostens”), lebt heute im Irak. 31 Jahrhundertelang herrschten die abbasidischen Kalifen, die in Bagdad oder Samarra residierten, über die christlichen Armenier Ostanatoliens. Vankale (die Burg von Van auf ihrem charakteristischen Felsen), die Seelandschaft des urartäischen Herzlandes und die Vanebene von den unteren Hängen des Susan-Daь, einer der späteren Fluchtburgen der Urartäer, gesehen. 32 Seldschuken, Mongolensturm und Osmanen Kaiser Romanos IV. Diogenes (1068 bis 71), einem tüchtigen und umsichtigen Feldherrn, fiel die fatale Aufgabe zu, die in übertriebenem Expansionsbestreben begangenen Fehler des Bulgarentöters und des „Monomachos” Konstantin auszugleichen . . . und er scheiterte daran. Überall im Osten des Byzantinischen Reiches begrüßte die der ewigen Steuerbelastung und des widerwärtigen religiösen Drucks müde Bevölkerung die türkischen Seldschuken als kleineres Übel - wenn nicht gar als Befreier. Bei Mantzikert (Malazgirt), wenige Wegstunden nördlich des Vansees, endete die Entscheidungsschlacht zwischen Seldschuken und Byzantinern mit einer vernichtenden, völligen Niederlage des Romanos Diogenes, der - es war das erste Mal in der Geschichte von Byzanz - als Kaiser in Gefangenschaft gehen mußte. Der ritterliche Sieger, Alp Arslan, schloß mit Romanos IV. Diogenes einen Vertrag, doch den Kaiser ereilte, kaum nach Konstantinopel zurückgekehrt, ein typisches Schicksal, das die Politik der Byzantiner sprichwörtlich werden ließ: die verräterische Gegenpartei ließ ihm trotz schriftlichem, von der Kirche gegengezeichnetem Garantieschreiben mit glühenden Eisen die Augen ausbrennen. „Erst dieses ungeheuerliche Nachspiel machte die Niederlage von Mantzikert zu einer wahren Katastrophe”, schreibt Georg Ostrogorsky über jenes Ereignis, denn der zwischen Alp Arslan und Kaiser Romanos IV. geschlossene Vertrag war nun hinfällig geworden. Der Weg für die türkischen Seldschuken lag offen - schon zwei Jahre später war Konia (Zentralanatolien!) Hauptstadt des rumseldschukischen Reiches . . . und die geschäftstüchtigen armenischen Händler und die nicht minder tüchtigen armenischen Handwerker folgten schon ihren neuen Herren auf dem Fuße, betrieben Handel und webten Teppiche und erfreuten sich einer religiösen und bürgerlichen Freiheit wie nie zuvor. Der alles verheerende Mongolensturm machte zwei Generationen später dem aufblühenden Rumseldschukenreich ein jähes Ende. Im Jahre 1236 verwüsteten die Mongolen das blühende Ani, - und keineswegs die türkischen Seldschuken, die unter dem Mongolensturm genau so litten wie alle anderen Volksgruppen Ost- und Mittelana toliens. In einer „offiziellen Publikation” des „Katholikosats von Kilikien”, im Libanon herausgebracht, heißt es: „Im Jahre 1065, als das Armenische Königreich gleichzeitig mit der Zerstörung seiner Hauptstadt Ani durch die Seldschuken im Jahre 1065 unterging . . .”: kein Wunder, daß zahllose Armenier, die die Publikationen ihrer Kirchen gutgläubig lesen, die Wahrheit über den Zusammenbruch der letzten, halbunabhängigen armenischen Fürstentümer in Ostanatolien, der Jahrzehnte vor der Ankunft der Seldschuken eintrat, nicht kennen . . . Bild oben: Blick von der osmanischen Festung Hoschap-Güzelsu, die als Grenzbefestigung nach Osten gegen die Perser diente. 33 Symbole der Machtausübung nach dem Zusammenbruch der letzten, halbunabhängigen armenischen Fürstentümer, der Byzantiner und der Seldschuken: ein mongolisches Wappenzeichen sowie das Sinnbild der türkischen Herrschaft, der „Schwarzen Hammel” (13. und 14. Jahrhundert nach Christus). Zum Schaden aller hat der extreme Nationalismus der armenischen Führungsschicht ein weiteres Zusammenleben dieses Volkes mit den anderen Völkern und Stämmen Ostanatoliens verhindert. Die gewaltige Burg von Hoschap bildete einen osmanischen Sperriegel gegen die stets angriffsbereiten Perser. Hoschap ruht auf urartäischem Fundament. „Der Löwe von Patnos”, Bronze, urartäisch, frühes 8. Jahrhundert vor Christus. (Alle Objekte aus dem Museum in Van.) 34 Das Schlachtfeld von Malazgirt, nördlich des Vansees: Hier vernichtete ein seldschukisches Reiterheer unter der Führung von Alp Arslan im Jahre 1071 die byzantinische Armee und nahm Kaiser Romanos IV. Diogenes gefangen. Den Türken stand der Weg nach Anatolien offen, auch dank der Tatsache, daß die Byzantiner die armenischen Puffer-Fürstentümer längst unterworfen hatten. Der seldschukische Friedhof von Ahlat am Vansee, ein Symbol der friedlichen Zusammenarbeit zwischen den seldschukischen Eroberern und den Haik, die endlich die byzantinische Herrschaft, die ständige religiöse Verfolgung bedeutet hatte, losgeworden waren. Ein Gotteshaus der armenisch-orthodoxen Gemeinde von Kayseri, dem römischen Caesarea in Zentralanatolien. Hier wurde der junge Parther Gregor zum Christentum bekehrt, der als „Gregor der Erleuchter” und Bekehrer des armenischen Volkes in die Geschichte einging. Für den Kunsthistoriker ist es schwierig, ja mitunter unmöglich, die wechselseitigen Einflüsse von iranischer, türkischer, byzantinischer oder arabischer Kunst zu analysieren. Fest steht, daß das Reich der Kalifen, die in Kairo, in Damaskus oder Bagdad residierten, unter sehr starkem mamlukischem - also türkischem - Einfluß stand. Fest steht auch, daß gerade das friedliche Zusammenleben von Türken und Armeniern herrliche Ergebnisse zeitigte. 35 Juden im Osmanenreich Bericht des Botschafters Ihrer Majestät aus Istanbul nach London: No. 350 Sir A. H. Layard an den Marquis von Salisbury No. 148 Konstantinopel, 13. April 1880 (In London eingelangt am 23. April 1880) My Lord, ich beehre mich, mit gleicher Post Eurer Lordschaft einen Bericht über das Vilayet Angora (Ankara) zu überreichen, den Herr Vizekonsul Gatheral verfaßt hat und den ich vom Generalkonsul Wilson erhielt, der gleichzeitig vorschlägt, Gatherals Brief drucken zu lassen. Schlußformel A. H. Layard. (m. p.) F. O. 424/106, p. 306, No. 151 Türkei No. 23 (1880) p. 121, No. 72 Beilage zu No. 350 Bericht über die Bevölkerung, Industrien, Gewerbe, Handel, Landwirtschaft, Öffentliche Arbeiten, Instandhaltung und Regierung der Stadt und Provinz von Angora, Anatolien; von Vizekonsul Gatheral, Auszug. Die Bevölkerung dieser Stadt und Provinz ist gering (hundert Jahre später sollte Ankara an die zwei Millionen Einwohner haben . . .), besonders angesichts der Weite und Fruchtbarkeit dieses Landstrichs. In den vergangenen fünf Jahren hat die Bevölkerungszahl ständig abgenommen, weil während der Hungersnot von 1873 bis 74 viele abwanderten und die Einberufungen für den Krieg von 1877 bis 78 auch stark ins Gewicht fielen. Die Erzeugnisse der Provinz Angora konnten in den vergangenen drei Jahren von den christlichen Händlern auch nicht gut abgesetzt werden, was ein weiterer Grund für die Abwanderung nach Konstantinopel und andere Teile Anatoliens war. Eine türkische Volkszählung nimmt auf Frauen oder Kinder männlichen Geschlechts unter 15 Jahren keine Rücksicht und listet ausschließlich die Moslems auf, die militärdienstpflichtig sind, während sie bei den Christen die Zahl jener nennt, die eine Militärdienst-Ersatzsteuer zahlen. Die letzte Volkszählung fand 1877 statt und ihre Gesamtzahl betrug 449.242 Menschen. Diese Zahl mit drei multipliziert (das ist das Verfahren des Red-house, des protestantischen Presse- und Missionshauses in Istanbul) ergibt eine Gesamtsumme von 1,347.726 Seelen. Sie teilen sich auf folgende Gemeinschaften auf: Moslems, Grego36 rianische (orthodoxe) Armenier, Katholische Armenier, Protestantische Armenier, Griechen, Juden und Zigeuner. Nach dem gleichen Verfahren ergibt das folgende Zahlen: Moslems, wehrdienstpflichtig 393.074 Moslemische Gesamtbevölkerung 1,179.222 Christliche Militärdienst-Ersatzsteuerzahler Gregorianische Armenier 33.445 Römisch-katholische Armenier 3.985 Protestantische Armenier 660 Juden 280 Zigeuner 262 Gesamtzahl der Nicht-Moslems 168.501 Gesamtzahl der Männer 449.241 Gesamtbevölkerung in Vilayet Angora 2.229.570 Die verschiedenen Rassen haben so verschiedene Ursprünge wie ihre Glaubensbekenntnisse. Die Moslems stammen größtenteils von jenen Kämpfern ab, die das Vilayet Angora von den Byzantinern eroberten, A. D. 1344 bis 45, unter Sultan Murad, der damals in Bursa regierte. Die Armenier sind das Ergebnis einer Einwanderung aus dem Osten während des 15. Jahrhunderts; in jüngster Zeit wurden sie in Römische Katholiken und Protestanten unterteilt; die führenden katholischen Familien wurden im Jahre 1830 von Sultan Mahmud aus Istanbul ausgesiedelt; ihr Reichtum, ihre Intelligenz und ihre Handelsbeziehungen mit Europa trugen viel zum Wohlstand der Stadt bei; später hatte eine energische Jesuitenpropaganda, von Rom aus geleitet, beträchtlichen Erfolg, doch nachher verloren sie ihre Expansionskraft, weil sie sich in Altkatholiken und Katholiken aufspalteten, wie in Europa; das Schisma wurde inzwischen wohl nach außen hin beigelegt, aber die ränkesüchtigen Gefühle zueinander blieben bestehen. Sie scheinen auch keinen Erfolg mehr bei ihrer Proselytenmacherei zu haben. Die Protestanten sind das Ergebnis der amerikanischen Missionsanstrengungen während der vergangenen zwanzig Jahre. Sie sind zwar immer noch gering an Zahl, aber als Gemeinschaft sind sie besser ausgebildet, ehrlicher und anständiger als irgendeine der anderen christlichen Sekten und sie nehmen rapide an Zahl und Einfluß zu. Die orthodoxen oder gregorianischen Armenier sind, als Gemeinde, unwissend, abergläubisch und arm, aber zahlreicher als alle anderen Unterteilungen. Die kleine jüdische Gemeinde hier ist fast durchwegs blondhaarig und spricht ein verkommenes Spanisch; sie ist offensichtlich iberischen Ursprungs, während der Ursprung der wenigen nomadischen Zigeunerstämme, die kommen und gehen so wie in Europa, auch in Anatolien ein großes Geheimnis bleibt. (Der Rest des Briefes beschäftigt sich mit interessanten, aber im Zusammenhang mit dem Problemkreis dieses Buches weniger relevanten Einzelheiten aus der Provinz Ankara.) „Die kleine jüdische Gemeinde hier ist fast durchwegs blondhaarig und spricht ein verkommenes Spanisch; sie ist offensichtlich iberischen Ursprungs . . .”, berichtete der britische Vizekonsul Gatheral an seinen Botschafter in Istanbul, der sich beeilte, die präzisen Aufzeichnungen Gatherals über das Vilayet Angora (Ankara) sofort an seinen Außenminister in London weiterzuleiten. Die blondhaarige Judengemeinde mit ihrem „bastard Spa-nish” war tatsächlich iberischen Ursprungs. Die katholischen Könige hatten ja nicht nur mit Arabern und allen Moslems auf der Iberischen Halbinsel radikal aufgeräumt, sondern schließlich auch eine Endlösung mit den Juden des christlichen Königreiches ins Auge gefaßt. Seit 1412 hatten Juden entwürdigende Abzeichen an ihrer Kleidung zu tragen, seit 1480 verfolgte sie die Inquisition mit Todfeindschaft; der Großinquisitor setzte schließlich die Enteignung und Ausweisung von 300.000 Juden durch. Sie fanden in Marokko, vor allem aber im Osmanischen Reich Zuflucht; der Sultan schickte ihnen sogar seine eigenen Schiffe, um ihnen rascher zu helfen. Ähnlich großzügig kam die türkische Regierung den jüdischen Flüchtlingen aus Deutschland und den von Hitler beherrschten Ländern entgegen und gewährte Zehntausenden Asyl. 29. Mai 1453: Osmanische Truppen erobern unter Führung von Sultan Mechmed II. die Hauptstadt des Byzantinischen Reiches Konstantinopel - das „zweite Rom”. Der osmanische Sultan rettete im Jahre 1492 zehntausenden spanischen Juden das Leben: als die Inquisition an die Auslöschung der Juden ging, nahm der Sultan die sephardischen „Hispaniolen” im Osmanenreich auf. „Die kleine jüdische Gemeinde hier ist fast durchwegs blondhaarig . . .” 37 Das griechisch-orthodoxe Patriarchat Vor der Eroberung von Byzanz durch Sultan Mechmed Fatih im Jahre 1453 war der Herrschaftsbereich des griechisch-orthodoxen Patriarchen auf das Stadtgebiet von Konstantinopel zusammengeschrumpft. Das änderte sich schlagartig, als Konstantinopel-Istanbul nach dem 29. Mai 1453 Hauptstadt des Osmanischen Reiches wurde. Wohl mußte der Patriarch die Kirche der Hagia Sophia räumen - sie wurde in eine Moschee umgewandelt -, doch der Machtbereich und die Machtfülle des griechisch-orthodoxen Patriarchen erreichte unter den osmanischen Sultanen Ausmaße, wie er sie nie zur Zeit der byzantinischen Kaiser gehabt hatte. Der griechischorthodoxe Patriarch regierte wie ein nationaler König über alle griechisch-orthodoxen Bürger des osmanischen Weltreiches; die Griechen des „Phanar”, des Stadtviertels von Istanbul, in dem sich bis heute das griechisch-orthodoxe Patriarchat befindet, gehörten, so wie die nicht minder tüchtigen Armenier, zu den angesehensten, wohlhabendsten und einflußreichsten Bürgern des Osmanischen Reiches. Eine tragische Entwicklung setzte erst ein, als das Königreich Griechenland und vor allem die Regierung Venizelos nach dem Ersten Weltkrieg versuchte, den Traum von einem „Griechischen Großreich” zu verwirklichen. Im Mai 1919 besetzten die Griechen Izmir (Smyrna) und stießen mit ihren Invasionstruppen nach Zentralanatolien vor, immer in der Hoffnung, das in sich zusammenbrechende Osmanenreich als leichte Beute zu gewinnen. Der Widerstand der Türken unter Kemal Atatürk und Ismet Inönü machte aber den hochfliegenden Plänen der Griechen im Jahre 1922 ein Ende. Die Invasionsarmee mußte Kleinasien schimpflich räumen; vor der Flucht setzten die Verlierer noch Izmir-Smyrna in Brand, um den einrückenden Türken nur „verbrannte Erde” zu hinterlassen. Die Armenier Izmirs - die 1915 nicht umgesiedelt worden waren, hatten die Toleranz der Türken schlecht gelohnt . . . Nach dem Zusammenbruch der griechischen Offensive wurde ein Bevölkerungsaustausch vereinbart; Kleinasiens Griechen übersiedelten nach Griechenland, Griechenlands Türken nach Anatolien und Thrakien. Dieser Bevölkerungsaustausch schwächte naturgemäß die Stellung des ökumenischen Patriarchats in Istanbul. Nach dem Putsch der griechischen Militärjunta im Jahre 1974 verließen abermals viele Griechen Istanbul, so daß die Bedeutung des griechisch-orthodoxen Patriarchats (und das ausschließlich durch die rücksichtslose Expansionspolitik Athens) heute stark geschmälert ist, wenngleich das Ansehen von Persönlichkeiten wie Patriarch Athenagoras oder Patriarch Demetrios unabhängig von der Tagespolitik oder äußeren Einflüssen uneingeschränkt fortbesteht. 38 Die Kirche der Göttlichen Weisheit - Aghia Sophia; von Mechmed dem Eroberer in eine Moschee, von Kemal Atatürk in ein Museum umgewandelt; Seine Heiligkeit Patriarch Demetrios; die griechischorthodoxe Kirche am Taksim (erbaut im 19. Jahrhundert); im Vordergrund das von dem Italiener Canonica im Jahre 1928 geschaffene Denkmal der Republik. Das armenisch-orthodoxe Patriarchat Liebevoll nannten sie die osmanischen Sultane-Kalifen ihre „treuesten Untertanen”. Unter der Herrschaft der Seldschuken und Osmanen, zwischen dem 11. und 19. Jahrhundert, hatten die Armenier ihre glücklichste, große Zeit. Heute bilden die Türkei-Armenier die größte, immer noch in Wirtschaft, Kunst, Technik, Medizin, Handel und Handwerk hoch angesehene Minderheit. Sie genießen die gleichen Rechte und tragen die gleichen Pflichten wie andere türkische Bürger auch, gleichgültig welcher Herkunft. Vor dem Entstehen der Armenischen Frage - die mit dem russischen Diktat von San Stefano, 1878, zur Welt kam bestand die armenische Bevölkerung des Osmanenreichs aus vier sehr unterschiedlichen Gruppen: In Istanbul und Izmir lebten die einflußreichen Amiras, wohlhabende, hochgebildete Armenier. In Anatolien wohnten die Kavaragan, die Provinzler, wohlbestallte Handwerker, Händler, deren Einfluß auch in den Städten spürbar war. Die Bauern wieder unterschieden sich in den Lebensgewohnheiten kaum von ihren islamischen Mitbürgern; zu guter Letzt kamen noch die Bergbewohner, die sich besonderer Rechte, ja sogar innerhalb der Autonomie des armenischen Millets einer gewissen zusätzlichen Freiheit, ja halben Unabhängigkeit erfreuten; die osmanische Zentralverwaltung ließ sie so lange es ging und so lange es tragbar war völlig ungeschoren. Leider setzten die armenischen Revolutionäre und einige protestantische Eiferer gerade in diesen halb-unabhängigen Dorfgemeinschaften mit ihrer maßlosen nationalistischen Hetze alle Mittel der Demagogie ein, um Unruhe zu stiften; der Armenieraufstand von Zeitun ist dafür bezeichnend. Patriarch Schnorkh Kalustian, geistliches Oberhaupt der TürkeiArmenier. Im Osmanenreich entsprachen seine Machtbefugnisse denen eines „nationalen Königs”; ihm unterstanden alle monophysitischen Christen des Reiches und die Zigeuner. Jede Gemeinschaft (im Türkischen Milkt) des Osmanenreiches verfügte über weitgehende Autonomie und verwaltete sich selbst. Der armenisch-orthodoxe Patriarch von Istanbul war Herr über alle Christen, die nicht der griechisch-orthodoxen Kirche angehörten. Das waren neben seinen eigenen Gregorianern vor allem die monophysitischen Kirchen des kleinasiatisch-afrikanischen Raums wie die Jakobiten und Syrer sowie die Kopten Ägyptens. Da man damals die Zigeuner als „Kopti” bezeichnete (in der Meinung, sie stammten aus Ägypten), wurden auch alle Zigeuner des Osmanenreiches zivilrechtlich dem armenischen Patriarchen von Istanbul unterstellt. Eine weitere Konfessionsgruppe unter armenisch-orthodoxer Herrschaft waren die Bogomilen des Balkans und deren Gründerväter, die Paulikianer, die sich in kleineren Gemeinden noch in Ostanatolien hielten und manichäisches Gedankengut pflegten. Die Geschichte der historischen Provinz Armenien und der zahlreichen Volksgruppen, die sie bewohnten, beginnt im Zeichen des Kampfes um die Weltherrschaft zwischen Orient und Okzident. Als die Haik, Indogermanen, die wahrscheinlich aus dem Balkan und aus Thrakien kamen, im 6. Jahrhundert vor Christus in Ostanatolien in die historische Provinz Armenien einwanderten, geschah das zu einem Zeitpunkt, da das urartäische Reich unter den Schlägen der Skythen zusammenbrach. Die neu eingewanderten, indogermanischen Haik vermischten sich teilweise mit den ansässigen Urartäern, deren asianide (wie das Türkische agglutinierende) Sprache so wie ihre überragende Kultur auf das indogermanische Armenisch einen gewissen Einfluß ausübte. Noch während ihrer Einwanderung gerieten die Haik -die Armenier - unter medische Herrschaft und im Jahre 550 nahm Großkönig Kyros das alte Land der Urartäer samt den neu eingewanderten Haik in Besitz. Die erste Erwähnung der Armenier - bereits als unselbständiges, unter persischer Herrschaft stehendes Volk - findet sich in der Felsinschrift von Behistun im Zusammenhang mit den Triumphmeldungen über die Siege des Darius (486 vor Christus). Im 4. Jahrhundert vor Christus stand Armenien (mit all den Völkern und Stämmen und Vermischungen, die dort lebten) unter der Herrschaft der Achämeniden, und anschließend jener der Seleukiden; als die Parther die Vorherrschaft erlangten, mußte der armenische Prinz Tigran als Geisel an den parthischen Hof. Tigran II. (95 bis 55 vor Christus) gelang es, sich von den Parthern frei zu machen und ein unabhängiges Reich Armenien zu schaffen. Seine Hauptstadt war Tigranakert (heute Silvan, südwestlich des Vansees). Tigran II. vermählte sich mit der Tochter des Königs von Pontus, Mithridates VI. Eupator, und beging den verheerenden Fehler, sich mit Mithridates gegen Rom aufzulehnen. 40 Als der Armenierkönig Tigranes sich weigerte, dem römischen Heerführer Lucullus seinen Schwiegervater Mithridates, den größenwahnsinnig gewordenen Herrscher des Pontos, auszuliefern, zog Lucullus gegen „Tigranesstadt”. Die eisenbedeckten Lanzenreiter des Tigranes allein waren zahlreicher als die gesamte Streitmacht des Lucullus, über die die Armenier höhnten, sie sei „für eine Gesandtschaft zu groß, für ein Heer aber zu klein”. Am einzigen Schlachttag, dem 9. Oktober 69, vernichteten die Römer die zwanzigfach stärkere Streitmacht des Tigranes; der römische Heeresbericht meldete, es seien so gut wie keine Römer, sondern nur Armenier gefallen. Tigranes konnte unerkannt entkommen und traf sich wieder mit seinem Schwiegervater Mithridates, den später seine eigenen Leute umbrachten; die unterworfenen Völker fielen von dem Zwingherrn Tigranes ab und huldigten den Siegern Lucullus und Pompejus. Schon im Jahre 69 vor Christus besiegte der römische Feldherr Lucullus den Armenierherrscher Tigran II. - und der kurze Traum einer armenischen Unabhängigkeit war ausgeträumt. Wenn heute Haik sich gelegentlich auf jene kurze Episode wirklicher Armenierherrschaft in Ostanatolien berufen und armenische Terroristen darauf Herrschaftsansprüche begründen, ist das genauso originell, als wollten italienische Mafiosi in den USA sich als Nachfolger der Römer - genauer des Lucullus oder Trajan -aufspielen oder als Erben der Sieger von Tigranakert die Macht in Ostanatolien ergreifen . . . In Mitteleuropa könnten die Ungarn Wien beanspruchen, weil dort einmal Mathias Corvinus kurze Zeit regiert hat - die Kette der Beispiele ließe sich endlos fortsetzen. Wollte jedes Volk Gebiete beanspruchen, wo es irgendwann einmal in der Geschichte geherrscht hat, müßte so gut wie die ganz Erde evakuiert, umgesiedelt, in endlose Kriege verwickelt werden. Nach wechselvollen Jahrhunderten, in denen zeitweise die Römer (Trajan, Nero, Hadrian, Diokletian) oder die persischen Sassaniden die Vorherrschaft in Ostanatolien ausübten, ernannte Kaiser Diokletian Tiridates III. zum König von Armenien. Gregor Parthev, ein Parther, predigte das Christentum. Neueste Forschungsergebnisse deuten darauf hin, daß Armenien erst nach der Bekehrung Kaiser Konstantins, also erst nach 313 - wahrscheinlich im Jahre 314 -, auf Geheiß von König Trdat (Tiridates) das Christentum annahm. Die Missionierung Armeniens war wahrscheinlich von Edessa (dem heutigen Urfa) ausgegangen; christliche Gemeinden sind seit dem 2. Jahrhundert in Armenien nachweisbar. Der große Bekehrer war Gregor Parthev Lusarevic, der Erleuchter, keineswegs ein Angehöriger des Volkes der Haik, sondern ein Armenier im eigentlichen Sinne, also ein Bewohner der Provinz Armenien, allerdings parthischen Ursprungs. Gregor lebte als Flüchtling vor den Persern im römischen Caesarea (Kayseri) und trat dort zum Christentum über. König Tiridates ließ Gregor zunächst verfolgen, nahm aber schließlich selber das Christentum an und mit ihm allmählich das Volk von Armenien. Der Triumph des Christentums, das im Römerreich und in seinem Vorfeld, in Georgien wie in Albanien (Kaukasus) und Armenien, rasch Fuß faßte, beunruhigte die Perser zutiefst. Julian der Apostat, der mit den Persern vielleicht fertig geworden wäre, starb überraschend und sein Nachfolger Jovian überließ die Kaukasusländer und Armenien den Persern kampflos. Nach dem Tode von Kaiser Theodosius im Jahre 395 wurde das Römische Reich in ein West- und ein Ostreich geteilt. Vergeblich bemühten sich die armenischen Fürsten, ständig unter der unduldsamen, zeitweise fanatisch antichristlichen Religionspolitik der Sassaniden leidend, um mehr Bewegungsfreiheit. In der Entscheidungsschlacht von Avarayr, im Jahre 451, erlag der Armenierführer Vardan Mamikonean den Persern; vergeblich hatte er die Hilfe Ostroms (der Byzantiner) erfleht. Im gleichen Jahr - in dem armenischen Schicksalsjahr 451 - fand das IV. Ökumenische Konzil zu Chalzedon (heute Kadiköy, gegenüber Istanbul) statt. Wegen der tragischen Kriegslage konnten die Christen von jenseits der byzantinischen Grenzen an dem Konzil nicht teilnehmen; die kaiserliche Politik, die offizielle Politik des byzantinischen Klerus, errang zu Chalzedon unan- Als die Kirche von Ahtamar im 10. Jahrhundert errichtet wurde, standen die in Ostanatolien ansässigen Armenier und deren Fürsten unter der Oberhoheit der abbasidischen Kalifen von Bagdad, die ihrerseits wieder unter der Vormachtstellung der an ihrem Hofe lebenden und Kunst und Kultur (nicht nur das Militär!) beherrschenden „Mamluken”, türkischen Angehörigen der Militär- und Verwaltungskaste, standen. Sie beeinflußten sowohl den seldschukischen wie auch den armenischen Baustil mit ihren klassischen Rundbauten. gefochten den Sieg und setzte ihre christologische Lehrmeinung von den zwei Naturen in Christus, der Göttlichen und der Menschlichen, durch; die „Monophysiten”, vor allem die Armenier, aber auch die Syrer, die ägyptischen Kopten, ihre südlichen Nachbarn in Äthiopien und die indische Kirche wie auch die damals in Persien sehr stark vertretenen Nestorianer erkannten die Beschlüsse des Konzils von Chalzedon nicht an. Zwischen Byzanz und den Armeniern sollte es infolge dieses Konflikts zu einer für beide Teile folgenschweren, Dauerthemen armenischer Kunst: Der ständige Kampf gegen die Perser, von den Tagen der Einwanderung in Ostanatolien bis zur Schlacht bei Чaldiran, als die Osmanen im Jahre 1514 die Perser vertrieben. Illustration aus dem Codex 189 vom Vansee: Die Haik im Jahre 451 im Kampf gegen die Perser. Bei Awarair verloren die Haik nicht nur eine Schlacht, sondern auch die Blüte ihres kampffähigen Adels unter Vartan Mamigonian (Darstellung aus dem 16. Jahrhundert zum Kanon des hl. Vartan und seiner Gefährten, Mechitaristenkloster, Wien). Das gleiche Thema, die verlorene Schlacht von Avarair, mit den Augen des 19. Jahrhunderts gesehen (Georg Drah, 1888): Der Perserkönig Yadzegert II. versuchte im Jahr 451 (ausgerechnet zum Zeitpunkt des Konzils von Chalzedon) die Haik zurück in den Mazdaismus zu zwingen. Das gelang nicht, aber die Haik gerieten durch ihre Nichtteilnahme am Konzil von Chalzedon in ein Schisma. Mechitaristenkloster, Wien. 41 ja verheerenden Feindschaft kommen; die Byzantiner sahen voll Hohn zu, wenn Armenien geschwächt wurde, und übersahen dabei, daß sie damit ihr Vorfeld gegenüber dem persischen Erzfeind - aber auch gegenüber den aus dem Osten heranstürmenden neuen Völkern - opferten. Im Jahre 484 wurde Persien von den aus dem Osten heranstürmenden Persern entscheidend geschwächt; als eine Generation später in Ostrom Kaiser Justinian an die Macht kam, blieb nicht einmal eine Spur armenischer Unabhängigkeit über; die Macht wurde zwischen Persern und Byzantinern geteilt, und Kaiser Maurizius siedelte gar zahlreiche Armenier in Thrakien - wahrscheinlich ihrem Ursprungsland - an. Nach der Auseinandersetzung der Perser und Römer um die Vorherrschaft in Armenien teilten sich Araber und Ostrom in der Machtausübung, bis im Jahre 1040 Byzanz den letzten Rest armenischer Selbständigkeit auslöschte. Noch im Jahre 630 schmiedete Kaiser Heraklios Pläne zur Kirchenunion mit den monophysitischen Armeniern, doch schon zehn Jahre später nahmen ihm die Araber diese Sorgen ab, indem sie in Ostanatolien eindrangen und die Macht der Byzantiner brachen. Gelegentliche Machtgewinne der Byzantiner, so unter Kaiser Justinian II. (685 bis 695), verführten sie nur zu Versuchen, die Armenier mit Brachialgewalt in die griechisch-orthodoxe Reichskirche pressen zu wollen. Schließlich teilten sich Byzantiner und Araber die Herrschaft über Armenien, ähnlich wie es schon vorher, zwischen Römern und Persern, ein Übereinkommen zur Machtausübung in Ostanatolien und im angrenzenden Kaukasus gegeben hatte. Bei seiner Krönung zum König von Armenien erhielt Fürst Aschkot seine Insignien von Arabern und Byzantinern gemeinsam; Armenien blühte als ein halbunabhängiger Pufferstaat zwischen Arabern und Byzantinern und fuhr dabei gar nicht schlecht. Die Klugheit armenischer Castell und Moschee der Semiramis bei Wan. Aus der Kunstanstalt des Bibliographischen Instituts in Hildshausen, A. D. MDCCCXXXXIX (1849) Fürsten, die die Grenzen ihrer Macht - und des Machund Erreichbaren - kannten, war immer der beste Garant für ein Wohlergehen der Haik gewesen. In jener Zeit entstanden die Prachtbauten von Ani und die Kirche der Insel Ahtamar im Vansee. Die Oberherrschaft der Kalifen von Damaskus - oder später Bagdad -war durchaus erträglich, keinem Araber fiel es auch nur im Traume ein, die Armenier wegen ihres monophysitischen Glaubens zu bedrängen, im Gegenteil, sie übertrugen den Armeniern sogar die Oberaufsicht über die heiligen Stätten Jerusalems. Die Armenier erreichten unter den Bagratiden unter byzantinischer und arabischer Vorherrschaft eine Blüte Glückliche Kinder, Wasser, frisches, sauberes Wasser, Hirten und Herden, Freiheit . . . das ist türkisch-anatolischer Lebensstil seit urdenklichen Zeiten. 42 ihrer Kultur. Ani wurde vollendet, die Kirche von Ahtamar blühender Sitz armenischer Katholiki. Doch die Byzantiner konnten es nicht lassen, die monophysitischen Armenier immer kürzer an die Kandare zu nehmen. Schon kamen immer neue, immer beunruhigendere Nachrichten über neue, junge Völker, die aus dem Osten, über Persien, nach Westen vorstießen; doch die Byzantiner, anstatt den armenischen Pufferstaat zu fördern und zu stärken, zwangen den Fürsten von Ani, Hovanes Smbat, ihnen Ani vollständig und uneingeschränkt zu vermachen. Die byzantinische Expansionspolitik unter Basileos II., dem „Bulgarentöter”, der sich nach seinem Triumph auf dem Balkan als ebenso erfolgreicher Feldherr im Kaukasus und in Armenien betätigte, fand unter seinem Nachfolger, Kaiser Konstantin IX., in Armenien ihren krönenden Abschluß: Konstantin IX. Monomachos, ein rücksichtsloser orthodoxer Eiferer, annektierte das „ketzerische” Ani und verleibte es dem rechtgläubigen Byzantinerreich ein. In armenischer Lesart heißt das: „König Gagik II. wird in Konstantinopel zur Übergabe des Reiches gezwungen.” 1045 - ein armenisches Schicksalsjahr. Seit 1045 gibt es in Ostanatolien, in der historischen Landschaft Armenien, weder ein selbständiges noch ein halbselbständiges armenisches Fürsten- oder Königtum, nicht die Spur einer armenischen Selbstverwaltung oder gar Selbständigkeit. Die Gregorkirche des Tigran Honent Es gehört zu den Mythen armenischen Selbstverständnisses, daß „die Türken” die Hauptstadt der Bagratidendynastie vernichtet hätten. Die geschichtliche Wahrheit: spätestens seit 772 nach Christus stand die ursprünglich urartäische Stadt unter arabischer Vorherrschaft. Nach dem Vordringen der Byzantiner, Plünderung der Stadt durch die Georgier und weiterer Schwächung des Fürstentums mußte Hovhannes Smbat seine Hauptstadt vertraglich den Byzantinern vermachen; ein Abkommen, das Basileos II. der „Bulgarentöter” im Jahre 1041 einlösen wollte. Als die Armenier ihren Verpflichtungen nicht nachkommen wollten, schickte der Byzantinerkaiser Konstantin Monomachos zwei Armeen nach Ani und brach gemeinsam mit dem Araberfürsten von Dwin den armenischen Widerstand - im Jahre 1045 öffneten Patriarch und Gouverneur von Ani den Byzantinern die Stadttore, womit der letzte Rest armenischer Unabhängigkeit in Ostanatolien verschwunden war. Der Seldschukenführer Alp Arslan drang erst 1065 - also volle zwei Jahrzehnte später - bis Ani vor und kämpfte nicht gegen die Armenier, sondern gegen die Byzantiner, die damals gemeinsam mit den Arabern die Herrschaft über Ostanatolien noch ausübten. Es war Kaiser Basileos II., der Bulgarentöter, und schließlich Kaiser Konstantin IX. Monomachos, der jede Art armenischen politischen Eigenlebens in Ostanatolien auslöschte - und niemand sonst. 43 Der Triumph der Osmanen in Ostanatolien und Kilikien Ohne auf die Geschichte der armenischen Fürstentümer in Kilikien hier näher eingehen zu können, genügt die Feststellung der Tatsache, daß es zur Zeit der Übernahme der Macht in Kilikien durch die Osmanen - im Jahre 1512 durch Sultan Selim I. - schon seit 137 Jahren nicht die Spur eines unabhängigen oder halbunabhängigen armenischen Fürstentums in Kilikien gab; Sis war schon im Jahre 1375 von den Mamluken erobert worden. Der Kampf um die Vorherrschaft in Ostanatolien sowie um die angrenzenden Gebiete im Süden und Südosten des osmanischen Herrschaftsgebietes endete am 23. August 1514 mit der Schlacht bei Caldiran, in der Sultan Selim I. (1512-1520) die persischen Safawiden vernichtend schlug und die gesamte historische Provinz Armenien von einer Machtausübung noch so subalterner Armenierfürsten war schon seit einem halben Jahrtausend keine Rede mehr - unter osmanische Kontrolle brachte. Fast auf den Tag genau zwei Jahre später, am 24. August 1516, öffnete Selim I. durch die siegreiche Schlacht bei Merdsch Dabik, unweit Aleppo, für die Osmanen die Tore nach Syrien; Selims Nachfolger Suleiman der Prächtige eroberte dann Rhodos, Aserbaidschan und den gesamten Kaukasus, das Zweistromland (das erst im Ersten Weltkrieg wieder verlorenging) und Ungarn; erst die Wiener brachten ihn im Jahre 1529 zum Stehen. Für die Armenier, die in der Folge der osmanischen Expansion, stets auf den Fersen der siegreichen Armeen, ihren kaufmännischen und handwerklichen Bereich auf ein Hundertfaches ihres ostanatolischen Wirkungsbereiches ausgedehnt hatten, brach ein goldenes Zeitalter an. Die Insel Ahtamar mit ihrer berühmten Heiligkreuzkirche. Als das Gotteshaus im 10. Jahrhundert errichtet wurde, stand Ostanatolien mit seinem armenischen Fürstentümern unter der Herrschaft der abbasidischen Kalifen, die in Bagdad residierten. Vor den Abbasiden gehörte Ostanatolien mit seinen Volkschaften in den Machtbereich der omaijadischen Kalifen, die von Damaskus aus regierten. Das Schlachtfeld von Ç aldiran. Hier besiegte Sultan Selim I. am 23. August 1514 die Perser und brachte Ostanatolien endgültig unter osmanische Herrschaft; die damals ausgehandelte Grenze gilt bis heute. Auf den Tag genau zwei Jahre später brachte Selim den Süden Anatoliens und Syrien unter seine Herrschaft; unmittelbar darauf zog Selim I. als Sieger in Kairo ein und der Scherif von Mekka erkannte Selim als neuen Kalifen an. Die Osmanen blieben Kalifen, bis die neue türkische Republik das Kalifat im Jahre 1924 abschaffte. 44 Die Ursachen der armenischen Tragödie Die armenische Tragödie beginnt. Übersteigertes nationalistisches Gedankengut sowie ein unglückseliger Wettkampf armenischer Kirchen und Sekten untereinander um die Gunst nationalistischer Eiferer heizten das innenpolitische Klima im Osmanenreich an. Großmächte der damaligen Zeit - England, Rußland und Frankreich -wollten das Osmanenreich schwächen und nützten die Armenier dabei rücksichtslos aus. Von der Eroberung der byzantinischen Gebiete Ostanatoliens durch die Seldschuken an (11. und 12. Jahrhundert) bis tief in das 19. Jahrhundert hinein, lebten Armenier und Türken in schlechthin vollendeter Harmonie. Die Ursachen der „armenischen Tragödie” liegen nicht innerhalb, sondern außerhalb des Machtbereiches des sel-dschukischen und osmanischen Vielvölkertaates. Im 19. Jahrhundert war es vor allem Rußland, das mit Hilfe der Amerikaner (der protestanischen Missionare aus Boston vor allem) ins Osmanenreich Unruhe bringt. Rußlands Ziel war, den Zugang zu den „warmen Meeren” zu erreichen. Die Amerikaner -, die protestantischen Missionare - erwiesen sich als die „nützlichen Idioten”. Der Konkurrenzkampf der Kirchen und Sekten um die Gunst der osmanischen Armenier Während einer Missionsreise zu den Choctaw-Indianern kam dem nordamerikanischen Missionar William Goodell der Gedanke, das Heilige Land - damals zur Gänze in osmanischem Besitz - für das Christentum „zurückzuerobern”. Der neue Kreuzzug - als solcher war das Unternehmen durchaus konzipiert - begann mit einer Reihe von geradezu militärisch geplanten Erkundungstouren, wobei die amerikanischen Missionare kein persönliches Opfer scheuten; ihr vorbehaltloser Einsatz im Dienste der von ihnen als gut verstandenen Sache verdient jeden Respekt. Im Jahre 1821 bezog ein kleiner Voraustrupp Quartier am Heiligen Grab, vor allem mit dem Ziel, auf die zahlreichen Pilger missionarisch (protestantisch) einzuwirken. Doch Jerusalem brachte diesen ersten Missionsversuchen nur ein vollständiges Fiasko; weder ließen sich Juden, noch und schon gar nicht Moslems, aber auch nichtchristliche Bürger zum Protestantismus amerikanischer Prägung bekehren. Schließlich gaben die Amerikaner den unglückseligen Missionierungsversuch in Jerusalem auf und übersiedelten nach Beirut. Trotz mannigfacher Widerstände von allen christlichen Niederlassungen im Libanon konnten die Amerikaner zwei Armenier in ihr Lager ziehen, Gregor Vardapet und Garabed Dionysius. Bald stellte sich heraus, daß die Armenier - damals ausschließlich gregorianische Armenier, die in allen zivilrechtlichen Belangen ihrem Patriarchen in Istanbul unterstanden - vor allem das reichhaltige und großzügige Bildungsangebot der Amerikaner annahmen. Nach wahren Irrwegen der protestantischen Missionare im Osmanenreich - ihre Missionstätigkeit führte sie über Malta und Griechenland schließlich weiter nach SmyrnaIzmir - und bewunderswerten Leistungen der Missionare, zeigte sich schließlich, was sich schon in Beirut Die armenische Tragödie begann auch hier, in der Beaconsstreet 14, Boston, Massachusetts, dem Hauptquartier der amerikanischen protestantischen Missionare. abgezeichnet hatte, daß die Mission ausschließlich bei den armenischen Gregorianern Erfolg hatte, zum Teil, weil sich die armenisch-orthodoxe Hierarchie zu wenig um die 45 Vom Hafen von Boston aus stachen amerikanische Missionare in See, um in einer Art neuen Kreuzzug - wie sie es selbst verstanden - das Heilige Land wieder christlich zu machen. Leider hatten die Missionare weder bei Juden noch Moslems Erfolg, sondern so gut wie ausschließlich bei Armeniern - also Christen, die ihrer angestammten Kirche abgeworben worden waren. Bildungsbedürfnisse der überdurchschnittlich intelligenten Landsleute bemühte, zum Teil, weil sie in Reichtum und Macht geradezu erstickte. Schließlich eröffneten die Amerikaner unter der Leitung von William Goodell ihre Missionszentrale in Konstantinopel. Beim Studium der amerikanischen Missionsgeschichte im Osmanenreich ist es höchst spannend, den Irrweg, der Missionare durch die Weiten des Reiches zu verfolgen und mitzuerleben, mit 46 welcher Erleichterung sie schließlich erkannten, daß die Hauptstadt des Riesenreiches auch der eindeutig beste Ort für eine Missionszentrale war. Die Untersuchungen der Missionare Smith und Dwight bestätigten bald, was sich schon in Beirut und Smyrna abgezeichnet hatte: die bildungshungrigen Armenier nahmen das Bildungsangebot der Missionare der nun in Konstantinopel angesiedelten „American Board of Commissioners for Foreign Missions” dankbar, ja begierig auf. Schon im Jahre 1833 traten zahlreiche, lern- und wißbegierige armenische Studenten zum Protestantismus über. Im gleichen Jahr verfügte die protestantische Mission schon über 15 junge Armenier als Kleriker. Die Missionswelle griff bald von Konstantinopel auf die Provinz über. Benjamin Schneider eröffnete schon 1834 eine Missionsstation in Bursa, bald folgte eine in Trapezunt. Fünf Jahre später, im Jahre 1839, begann, was die protestantisch-armenisch-amerikanische Geschichtsschreibung als „spirit of persecution” bezeichnet: der armenischorthodoxe Klerus, unruhig geworden durch die ganz unglaublichen Missionserfolge der Amerikaner bei den begabten, den begabtesten und tüchtigsten Armeniern, versuchte, die Missionare loszuwerden und die Abtrünnigen zurückzugewinnen. Wenn Überredung nicht half, griff die Kirche auch zur Gewalt. Schulen wurden niedergebrannt, „arrests were made and terror spread”, schreibt der Missionschronist William E. Strong. Der allzu tolerante Patriarch wurde abgesetzt, und eine Liste mit etwa 500 „Hauptverdächtigen” aufgestellt, und die gehörten zur obersten Gesellschaftsschicht des armenischen Millets; es handelte sich um Bischöfe, Bankiers, Großhändler, Künstler, und alle wurden sie der Häresie geziehen, was Ausschluß aus der gregorianischen Kirche und, damals für die Betroffenen eine persönliche Katastrophe, damit verbunden de facto „Staatenlosigkeit” bedeutete, weil sie ohne Zugehörigkeit zu einem Milkt weder heiraten noch christlich begraben werden konnten, keinerlei Rechtsschutz genossen und auch gesellschaftlich der Ächtung anheimfielen. Trotzdem ging die Ausbreitung der protestantischen Armenier weiter, was zweifellos für die Tüchtigkeit des armenisch-amerikanischen Klerus wie auch für den Bildungshunger der osmanischen Armenier spricht. Sogar in Van entstand eine protestantische Missionsstation, sozusagen im äußersten Winkel des weiten Osmanenreiches, und auch unter den „Bergnestorianern” in den fernen Hakkaribergen hatten die Amerikaner Missionserfolge. Weder den Nestorianern noch den Menschen von Van sollte das später zum Glück gereichen; beide Gruppen, Armenier wie Nestorianer, setzten dann aufs „russische Pferd”, machten mit den Russen (und amerikanischem Geld) gemeinsame Sache und drifteten schließlich in die Aufstandsbewegung vom März 1915 ab, was die Osmanen mit einem allgemeinen Umsiedlungsbefehl ahndeten - dem Beginn der osmanisch-armenischen Katastrophe von 1915, die auf beiden Seiten so viele tragische Opfer forderte. Der Anfang vom Ende – ein protestantisch-armenisches Millet wird errichtet Im Jahre 1846 ging der Vorhang gleich zweimal herunter, im buchstäblichen wie im übertragenen Sinn: in der armenisch-orthodoxen Patriarchatskirche von Konstantinopel verlas der Patriarch bei heruntergelassenem Vorhang und verhülltem Altar in einer verdunkelten Kirche eine Exkommunikationsbulle gegen die protestantisch gewordenen Armenier, und alles Übel der Welt wurde ihnen nachgesagt und angedroht. Danach wurde das Edikt der Exkommunikation in allen armenisch-orthodoxen Kirchen des Landes unter ähnlich theatralischen Umständen verlesen. Den völlig entrechteten armenischen Bürgern protestantischen Bekenntnisses eilten nun die Großmächte zu Hilfe, England vor allem, das da eine günstige Interventionsmöglichkeit sah. Schließlich sah sich der Großwesir des Osmanischen Reiches zum Handeln gezwungen, und am 1. Juli des Jahres 1846 wurde im Osmanenreich ein völlig neues Millet ins Leben gerufen, das der „Ersten Evangelischen Armenischen Kirche”. Im Jahre 1848 veröffentlichte der Großwesir einen kaiserlichen Firman in dieser Angelegenheit, und zwei Jahre später, 1850, gewährte der Sultan persönliche seinem neuen, protestantischen Millet einen Freibrief. Nun waren die protestantischen Armenier berechtigt, ihre eigenen Repräsentanten zu wählen und diese wieder konnten die Anliegen ihres Millets vor der Hohen Pforte gleichberechtigt mit jenen der orthodoxen Kirchen vortragen. So vielversprechend diese neue Ära auch begonnen haben mag, so großartig, ja fast unvergleichlich der Mut und die Opferbereitschaft der Missionare auch gewesen sein mochte, die Ergebnisse waren - ungewollt - für die Armenier des Osmanenreiches verheerend. Sultan anerkannte katholisch-armenische Patriarch, Hagop Tschukurian, zunächst in Adana, also in der Bannmeile des seit Jahrhunderten nicht mehr bestehenden kilikischen Königreichs der Armenier, residierte. Armenier lebten in Kiliken seit einer groß angelegten Umsiedlungsaktion der Byzantiner, im Gefolge einiger byzantinischer Siege über die Araber. Die bedeutendsten armenischen Familien jener Umsiedler, Hetum und Rüben, brachten die Führer Kilikiens hervor, und im Jahre 1080 fühlte sich Rüben stark genug, ein eigenes, von den Byzantinern unabhängiges Fürstentum zu gründen. Das „armenische Kilikien” bestand, ganz oder wenigstens halb unabhängig, bis zum Jahre 1375, als ihm die Mamlu-ken ein Ende bereiteten. Die katholischen Armenier Spätestens seit der Errichtung des protestantischen Millets setzte nun ein dreifach verstärkter Kampf um die Herzen der osmanischen Armenier ein: da war die alteingesessene „gregorianische” Kirche, die sich auf die Gründung durch Gregor den Erleuchter berief; dazu kam die im Jahre 1850 offiziell etablierte protestantische Kirche und, als dritte, wenn auch mit anderen Maßstäben zu messen, die katholisch-armenische Gemeinschaft des Osmanenreiches. Während die Protestanten ihre Anerkennung letztlich der Intervention der Engländer und (bescheidener) der Amerikaner verdankten, ging die Errichtung des katholisch-armenischen Millets auf die Intervention Frankreichs zurück, das sich schon immer als Protektor der Katholiken des Orients geriert hatte. Es ist bezeichnend, daß der erste im Jahre 1831, vom Eine der bedeutendsten, ja überragenden Persönlichkeiten des armenischen Millets war Mechitar von Sebaste (von Sivas, Zentralanatolien), der am 7. Februar 1676 als Kind armenischer Kaufleute zur Welt kam. Früh kam er mit Jesuitenmissionaren, „Franken” in Berührung, die bei ihrer Missionstätigkeit unter den Armeniern stark an die fränkisch-armenischen Beziehungen noch aus der Zeit der Kreuzzüge anknüpften. Mechitar wurde einer der größten Gelehrten der osmanischen Armenier, Kongregationsgründer und gilt als Wiederhersteller der armenischen Literatur. 47 An diese Erinnerung knüpften die Franzosen an, als sie die Errichtung eines katholisch-armenischen Patriarchats im Jahre 1831 durchsetzten. An diese Erinnerung knüpften die Franzosen wahrscheinlich auch an, als sie sich beim Aufstand vom Musa Dagh, im Jahre 1915, an der Tragödie der dortigen osmanisch-armenischen Gemeinde mitschuldig machten; ähnlich mitschuldig wurden sie, als sie im Jahre 1918 im Süden Truppen landeten und der armenischen Minderheit Versprechungen machten, die sie nicht halten konnten. Die Lage der armenisch-katholischen Kirche in Istanbul, am Taksim-Platz, könnte nicht typischer sein: das Gotteshaus wächst geradezu aus dem eleganten Gebäudekomplex der ehemaligen französischen Botschaft heraus, so wie auch die Gründung eines eigenen, armenisch-katholischen Millets im Jahre 1831 auf massive französische Interventionen bei der Hohen Pforte zurückging. Die armenischen Führer Kilikiens suchten sich naturgemäß stets Verbündete, die im Rücken ihrer unmittelbaren Nachbarn wohnten, seien es nun die (sonst so vielgeschmähten) Mongolen oder die noch mehr verteufelten Katholiken - im Falle Kilikiens verband man sich sogar mit den Kreuzrittern. Der Höhepunkt dieser Allianz wurde erreicht, als im Jahre 1198 Konrad Kardinal von Witteisbach Fürst Leo II. zum König von Kilikien salbte. Das 14. Jahrhundert war eine Zeitspanne erbitterter, gnadenloser Kämpfe zwischen armenisch-orthodoxen und armenisch-katholischen Familien Kilikiens. Im Jahre 1342 wurde Kilikien „fränkisch”, als es an Guy de Lusignan fiel. Die gregorianische Mehrheit unter den Armeniern Kilikiens reagierte mit Aufstand und Guy de Lusignan und 300 seiner fränkischen Ritter wurden 1344 umgebracht. Unter seinen katholischen Nachfolgern bestand das „Königreich” nur mehr aus der Stadt Sis. Im April 1375 eroberten die Mamluken Sis und nahmen Leo V. gefangen. Damit war auch die letzte Spur armenischen Staatslebens getilgt, sofern das fränkische Kilikien überhaupt noch etwas mit Armenien zu tun hatte. Der von vielen Europäern als sehr romantisch empfundene Tod des letzten Königs von Kilikien in Paris, den ein Franziskanermönch nach groß angelegten Geldsammlungen von den Mamluken freigekauft hatte, blieb im Gedächtnis der Franzosen haften; nicht zuletzt auch deshalb, weil jener Leon V. nach feierlichem Staatsbegräbnis neben den französischen Königen im Pariser Celestinenkloster seine letzte Ruhe fand. Der Untergang des Kilikischen Königreiches im Jahre 1375, gut eineinhalb Jahrhunderte vor der Eroberung Kilikiens durch die Osmanen, änderte nichts an der Tatsache, daß in Kilikien zahlreiche Armenier lebten, wenn auch, so wie überall in Anatolien, in kleiner Minderheit. 48 Robert’s College, Istanbul (heute Bosporus-Universität), im Jahre 1840 als Schule für begabte Armenier gegründet, erwies sich auch als Exerzierfeld des armenischen Nationalismus. Die Gründer von Robert’s College, Cyrus Hamlin vor allem, wollten die Lage des neuen Colleges durchaus als „Programm” verstanden wissen: sie bauten unmittelbar neben Rumeli-Hisar, der Festung, von der aus die Osmanen halb Europa erobert hatten. Nun sollte das neue Schulgebäude ein Symbol der „reconquista” werden. In seiner Geschichte der „American board” bezeichnet William E. Streng den Schulgründer ausdrücklich als „Schrecken des ausweichenden Türken”, während die Armenier „in jeder möglichen Weise” gefördert werden sollten. Der mißverstandene, übersteigerte Nationalismus nahm nun seinen Lauf. Das „rote Haus” - die Zentrale der amerikanisch-protestantischen Mission in Istanbul. Die amerikanisch-protestantische Mission bei den Armeniern von Van setzte im Jahre 1872 ein; angesichts des erbitterten Widerstandes des eingeborenen armenisch-orthodoxen Klerus Van war doch immerhin lange sogar der Regierungssitz des armenischen Katholikos gewesen - dauerte es volle fünf Jahre, bis es den Amerikanern gelang, das erste Gotteshaus ihrer Mission zu errichten. Die Amerikaner nannten Van „das Sebastopol der Armenischen Kirche”, offenbar in Anspielung auf die lange Belagerung und ihre schließliche Erstürmung durch die Alliierten im Jahre 1855. Van wurde, nicht zuletzt infolge des erbitterten Wettstreits zwischen orthodoxen und protestantischen Armeniern, wer nun der „bessere” Armenier sei, alsbald zu einer Hochburg des fanatischen Nationalismus, der sich in mehreren Aufständen und zuletzt in der Revolte von 1915 entlud, bei der Zehntausende Moslems umkamen. Ein Bildungsangebot, das in nationalistischen Exzessen endete - trotz des idealistischen Eifers vieler gutgesinnter Missionare, wie Dr. Reynolds und seiner Gemahlin. Gottesdienst in einer armenisch-protestantischen Kirche in Istanbul (errichtet 1914, unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges). 49 „Die Armenier sind die Nation; der Sultan und seine Soldaten sind des Teufels Geißel; kaltherziger Zuschauer ist die angelsächsische Rasse” - zumindest intervenierten England und die Vereinigten Staaten nach Meinung der protestantischen Missionare noch immer zu wenig; ähnliche Ansichten wurden übrigens auch von russischer Seite geäußert. Die Armenier waren um die Jahrhundertwende bereits zum beliebtesten Vorwand der Mächte geworden, sich in die inneren Angelegenheiten des Osmanischen Reiches einmischen zu können. Zu welchen publizistischen Exzessen sich die amerikanische protestantische Propaganda schließlich verstieg, zeigt ein im Jahre 1896 unter dem Titel „Die Türkei und die armenischen Greueltaten” (der Autor war sich der Doppelbödigkeit seiner Titelwahl mit Sicherheit nicht bewußt) erschienenes Buch, dessen Geist und Inhalt am besten durch einige Sätze aus dem Vorwort von Frances E. Willard demonstriert werden. Armenier gehören offenbar zur edelsten Rasse überhaupt, denn „in Gesicht, Figur und Haltung sind sie bemerkenswert attraktiv. Es heißt, daß ihr persönliches Erscheinungsbild dem wahrscheinlichen Aussehen unseres Herrn Jesus Christus ähnlicher kommt als das irgendeiner anderen Rasse”. Angesichts der ungeheuren Waffenmengen, die von den Armeniern nicht nur gehortet, sondern auch in unzähligen Aufständen nach Kräften genützt wurden, erscheint es wie blanker Hohn, wenn Frances E. Willard bemerkt, die Armenier seien „unbewaffnet” und täten „niemandem etwas zuleide”. 1896 war ein Jahr des exzessivsten Terrors der Armenier, auch der spektakuläre Überfall auf die Osmanische Bank mit Geiselnahme fand damals statt. Aber islamische Geiseln zählten in der kritiklosen Bevorzugung der „armenischen Rasse” damals offenbar überhaupt nicht mehr, „glauben doch Mohammedaner vor allen anderen Dingen an den Harem”. Schlußfolgerung: 50 Von Bluthunden eingeschlossen: Sultan Murad V. wird hier dargestellt, wie er versucht, mit den aufständischen europäischen Provinzen des Osmanenreiches fertig zu werden, mit Bosnien, der Herzegowina, Montenegro und Serbien (die alle den Vorteil hatten, auf ihrem Boden über solide, in sich geschlossene Mehrheiten zu verfügen, während die Armenier nirgendwo im Osma-nenreich auch nur annähernd ein mehrheitliches, geschlossenes Siedlungsgebiet besaßen). Der Zar von Rußland, Österreichs Kaiser Franz Joseph, Kaiser Wühelm I., König Georg I. von Griechenland und Italiens König Humbert, schauen interessiert zu, während Deutschlands Fürst Bismarck und Englands Beacons-field schon eingreifen wollen. Damals erklärte der armenische Patriarch Nerses II. Vartabedian dem britischen Botschafter, „wenn es notwendig ist, sich zum Aufstand zu erheben, um die Sympathie der europäischen Mächte zu erringen, gibt es keine Schwierigkeiten, so eine Bewegung ins Leben zu rufen” (Brief des britischen Botschafters Henry Elliot an seinen Außenminister in London; F. O. 424/46 p. 205-206, 7. Dezember 1876). Karikatur: PUNCH, 22. Juli 1876 „Volksmengen erwarten den Besuch des Katholikos in Adana” heißt es mit maschingeschriebenem Text auf diesem historischen Foto aus dem Jahre 1903, und unfreiwillig gibt die genaue topographische Beschreibung der verschiedenen armenischen oder pseudo-armenischen Institutionen oberhalb des Bildes genau den Hintergrund der beginnenden armenischen Tragödie preis: links außen befindet sich die „Mission Residence”, das Wohnhaus der protestantischen, amerikanischen Missionare, dann folgt die „Gregorian Church”, die Kirche der armenischen Orthodoxen, schließlich die Armenisch-katholische Schule der Mechitaristen und zu guter Letzt noch die Kirche der Protestanten. Diese Zersplitterung in einander erbittert bekämpfende Lager ‘mag auch die Erklärung dafür sein, daß nur sehr bescheidene „crowds” den damals für eine Provinzstadt wie Adana gewiß sensationellen Besuch des Katholikos erwarteten; die innere Zerrissenheit und der nationalistische Konkurrenzkampf der Armenier untereinander verhinderte bereits eine gemeinsame Begrüßung des armenisch-orthodoxen kirchlichen Oberhauptes. Erklärung von Rev. Melvin A. Wittler, Repräsentant der American Board of Missionaries, Istanbul, vorn 8. Juni 1985: Wirklichkeitsferne Träume . . . „In jener tragischen Zeit des Ersten Weltkriegs gab es die ,Ideale’ des Nationalismus, der aus dem Westen kam und von den fremden Schulen hier verbreitet wurde. Es gab schreckliche Tragödien - auch als Ergebnis wirklichkeitsfremder Träume und Gefühle der verschiedenen nationalen Gruppen. Dann kam die Bevölkerungsbewegung von Christen aus der heutigen Türkei in andere Teile des damaligen Osmanenreiches. Es gibt keinen Zweifel darüber, daß Ideen, die damals einige dieser Gemeinschaften bewegten, über die fremden Schulen hereingebracht wurden. Doch mit dem Entstehen der türkischen Republik im Jahre 1923 und der Errichtung des sekulären Staates blieb unsere Mission hier und sie erkennt diesen weltlichen Staatsgrundsatz voll an. Wir versuchen, für Versöhnung zu wirken, gerade in diesem Teil der Welt, wo so verschiedene Volksgruppen leben.” Rev. Melvin A. Wittler von der armenisch-protestantischen Kirche bei einer Feier auf Kinali Ada, wo der armenisch-orthodoxe Patriarch seine Sommerresidenz hat. Eine friedliche Zusammenkunft religiöser Führer der modernen Türkei auf Kmah-Ada, anläßlich eines armenischen Kirchenfestes auf der Insel. Kmali-Ada ist wie ein Sinnbild der interkonfessionellen Streitigkeiten der Christen. Zunächst war die Insel mehrheitlich von griechischorthodoxen Gläubigen bewohnt, bis sie schließlich zu einer fast ausschließlichen Domäne der Armenier wurde. Im 19. Jahrhundert gelang es den protestantischen Missionaren, die Inselbevölkerung zur Gänze dem Protestantismus zu gewinnen und es bedurfte ganz gewaltiger Anstrengungen des Patriarchats, die Armenier von Kmali-Ada wieder der gregorianischen Glaubensgemeinde zurückzugewinnen. Todfeinde von einst sitzen nun, mehr oder weniger aus ökumenischer Gesinnung oder den Umständen entsprechend, friedlich zusammen: unierte (katholische) Armenier, Repräsentanten Roms (das durch den Kreuzzug von 1204 wesentlich zum Untergang von Byzanz beigetragen hatte), Chaldäer (ihre nestorianischen Brüder waren der Verfolgung durch Byzanz ausgesetzt), orthodoxe Griechen (einst die Todfeinde der Armenier, heute vielfach im gemeinsamen Haß gegen die Türken vereint) und schließlich Protestanten. Sie alle verdanken ihr kirchliches Überleben im Heiligen Land und auf dem Boden des ehemaligen Osmanischen Reiches ausschließlich der toleranten Haltung der Mamlu-ken und der Osmanen - vom Islam blieb in den von Europäern wiedereroberten Territorien (wie etwa in Spanien) nicht die kleinste Minderheit übrig. 51 Der osmanisch-armenische Baumeister Garabed Amira Balyan (1800-1866, links oben) arbeitete für die Sultane Mahmud II., Abdülmejid (Mitte) und Abdul Hamid II. (rechts). Zu seinen bedeutendsten Werken zählen die Ortaköy Camii sowie der gewaltige Dolmabahce-Palast zu Istanbul am Ufer des Bosporus. Allmählich ging so gut wie der gesamte Außen- und Binnenhan- 52 del in die Hände der osmanischen Armenier über, eine Tatsache, die ihnen später insofern mit zum Verhängnis wurde, als die Drahtzieher der Armenieraufstände auch aus der Überzeugung heraus handelten, das Osmanische Reich müsse unweigerlich zusammenbrechen, wenn die Armenier den Osmanen die Freundschaft kündigten. Das 19. Jahrhundert: Ein goldenes Zeitalter für Armenier und Osmanen, trotz der beginnenden nationalistischen Hetze von außen Nach der Eroberung Istanbuls trachtete Sultan Mechmed Fatih danach, mit allen unterworfenen Völkern (damals besser: Religionsgemeinschaften; völkische oder gar rassische Begriffe bestanden kaum) gutes Einvernehmen herzustellen und ihnen weitestgehende Autonomie einzuräumen. Schon acht Jahre nach der Eroberung Instanbuls berief Sultan Mechmed Fatih den gleichfalls von den Osmanen gekürten armenisch-orthodoxen Erzbischof von Bursa, Hovakim, nach Istanbul und ernannte ihn zum Patriarchen. Patriarch Hovakim wurde geistlicher (und weitgehend auch weltlicher) Führer aller nicht-islamischen, nicht-griechischorthodoxen Bewohner des Osmanenreiches; seine Macht überstieg die des armenischen Katholikos von Edschmiadsin oder Sis bei weitem. Niemals in der Geschichte des armenischen Volkes hatte ein Armenier so viel Macht und Autorität besessen wie Patriarch Hovakim (und seine Nachfolger bis ins 19. Jahrhundert hinein). Von Anfang an verstanden sich die Armenier auch besser mit den Osmanensultanen als die Griechen; während die griechischorthodoxen Patriarchen von Konstantinopel wie Gennadios II. Scholarios, Isidoros II. Xanthoüulos oder Sophronios I. Syropo-los einander in stets wechselnder Weise, oft mehrmals hintereinander, in kurzen Regierungsabschnitten geradezu die Klinke in die Hand gaben, fanden die Armenier gleich den richtigen Ton im Umgang mit den Osmanen und bauten ihre Machtstellung immer mehr aus. Bilder: Seine Seligkeit, der armenisch-orthodoxe Patriarch von Istanbul, Schnorkh Kalustian; Szenen vom 29. Mai, dem Jahrestag der Eroberung Konstantinopels im Jahre 1453. Ein goldenes Zeitalter osmanisch-armenischer Zusammenarbeit: Vom 15. bis ins 19. Jahrhundert sind die Armenier des Sultans „treues Millet” und das armenische Patriarchat von Istanbul des Sultan-Kalifen ureigene Schöpfung. 53 Eine Abbildung aus dem „Türkischen Hofer” (Nürnberg, 1721) zeigt einen der für jene Zeit typischen Baumeister aus den glücklichen Tagen osmanisch-armenischen Zusammenlebens und der Zusammenarbeit zu beiderseitigem Nutzen, als der Sultan seine Armenier auch noch als ein „treues Millet” bezeichnete. Das war alles noch vor dem Einsickern eines ebenso mißverstandenen wie maßlos übersteigerten Nationalgefühls, das so viele Völker schon ins Verderben führte - auch das Volk der Haik. Noch einige Beispiele der vollendeten osmanisch-armenischen Zusammenarbeit, die teilweise bis über den Armenieraufstand von 1915 und die darauffolgende Umsiedlung der Armenier Ana-toliens anhielt. Die Türbe (Grabbau) des letzten, auf osmanischem Boden gestorbenen Sultans Mechmed V. Reschad, der am 27. April 1909 den Thron bestieg und auf dem Höhepunkt des Ersten Weltkrieges, am 2. Juli 1918, verschied, wurde - wie selbstverständlich - von einem armenischen Architekten errichtet. Die Türbe befindet sich unterhalb von Eyüp unmittelbar am Ufer des Goldenen Horns. Ein Kiosk des Beylerbey Palastes, gegenüber des CiraganPala-stes am Südufer des Bosporus, errichtet von Agop Balyan. 54 Das Portal des von dem osmanischen Armenier Balyan errichteten Dolmabadsche-Palastes mit der Tughra, dem kaiserlichen, allerhöchsten Namenszug von Sultan Abdül Hamid. Mit der Eroberung Konstantinopels durch Sultan Mechmed Fatih im Jahre 1453 und der im Jahre 1461 erfolgten Erhebung des armenisch-orthodoxen Erzbischofs von Bursa zum Patriarchen von Konstantinopel begann für die Armenier des Osmanenrei-ches ein goldenes Zeitalter - oft im buchstäblichen Sinne des Wortes. Armenier übernahmen die Münzprägung im Osmanischen Reich, die Buchhaltung im Hauptschatzamt von Istanbul wurde in armenischer Sprache geführt. Armenische Baumeister führten eine ununterbrochene Kette von Großaufträgen ihrer osmanischen Herren aus; das Bild der „treuen Armeniergemeinde”, die dem Sultan - zu beiderseitigem Vorteil - ergeben diente, wurde im Osmanenreich sprichwörtlich. 55 Als blindes Hasardieren sahen die Engländer sinngemäß das, was die Russen nach ihrem Diktat von San Stefano von den Europäern forderten. England bestand darauf, als Voraussetzung für eine Teilnahme an dem von Bismarck vorgeschlagenen Berliner Kongreß, daß jeder einzelne Artikel des „Vertrages” von San Stefano genau unter die Lupe genommen werde. (Punch, 30. März 1878.) Der Marquis von Salisbury (britischer Außenminister 1878-1880). Das Gebäude der amerikanischen Botschaft in Istanbul-Pera, einem der elegantesten, um die Jahrhundertwende bevorzugt von reichen Armeniern und Griechen bewohnten Stadtviertel. Kaum ein Botschafter war im Osmanenreich derartig auf die Berichte und Übersetzungen seiner (durchwegs armenisch-stämmigen) Dragomane und die Erzählungen der gleichfalls durchwegs armenierfreundlichen amerikanischen Missionare angewiesen wie der jeweilige US-Botschafter. Obwohl die USA und das Osmanenreich nie gegeneinander Krieg führten, beherrschte gerade in den USA das Bild vom „häßlichen Türken” die öffentliche Meinung, auch ein Ergebnis der verzerrten Berichte, die aus Konstantinopel in Washington eintrafen. 56 Die Politik der Großmächte und die Armenische Frage Mit dem Eindringen der Mongolen - damals der Großmacht des Ostens -, die 1236 Ani verwüsteten, und mit der neuerlichen Mongoleninvasion in Ostanatolien unter Timur Lenk (1379) sah sich die armenische Bevölkerung einer solchen Bedrängnis ausgesetzt, daß das Katholikosat nach Etschmiadzin verlegt wurde. Sis, die letzte Armenierbastion im Süden Anatoliens, war 1375 von den Mamluken erobert worden. Damit waren die Armenier - abgesehen von ihren religiösen und kulturellen Aktivitäten - aus der Geschichte als Macht- oder Gebietsfaktor ausgetreten. Wie trotzdem eine Armenische Frage als Faktor der Politik der Großmächte entstehen konnte, geht fast ausschließlich auf die Expansionsbestrebungen des zaristischen Rußland und seine damit verbundenen Schachzüge zurück; wiederholt erwiesen sich die Armenier in diesem häßlichen Spiel als die nützlichsten „Bauernopfer”, die die Meister desselben in Moskau oder St. Petersburg darbringen konnten. Ein kurzer Blick auf die atemberaubende Geschwindigkeit und Zielstrebigkeit, mit der Rußland türkisches und persisches Territorium gewann und sich das südliche Zentralasien, Nordpersien, den Kaukasus, die Krim und schließlich den Zugang zum Balkan eroberte, macht die Wichtigkeit der Existenz einer Armenischen Frage klar, vor allem im Hinblick auf Rußlands bis heute größtes Ziel: die Eroberung der Dardanellen. 1774 war der Auftakt zur Abtakelung des Osmanenreiches. Im Vertrag von Kütschük Kainardscha, fünfundsechzig Jahre nach dem für die Türken so schlimmen Vertrag von Karlowitz, büßte das Osmanenreich so viel Ansehen ein, daß fortan nur mehr Österreich und Rußland auf dem Balkan das Sagen hatten; im Osten allerdings ausschließlich die Russen. Seit dem Jahre 1515 war Ostanatolien osmanisch; 1578 hatte Sultan Murad III. Georgien erobert. Die einzigen Rivalen der Türken im Osten waren die Perser. Im Jahre 1639 schlossen die Osmanen mit den Safawiden den Vertrag von Kasr-i-Schirine, und trotz der nachfolgenden Kriege verläuft die heutige türkisch-iranische Grenze immer noch so wie 1639 bestimmt. Alle türkisch-persischen Kriege galten armenischem Territorium, armenisch allerdings ausschließlich im Sinne der Bezeichnung einer historischen Provinz, aber keineswegs irgendeiner Machtposition des Volkes der Haik, das, gemeinsam mit anderen Vökern und Stämmen, die ostanatolischen und angrenzenden Gebiete bewohnte. Zur Zeit des Vertrages von Kasr-i-Schirine, 1639, war die Krim osmanisch, ebenso wie Georgien und die gesamte Schwarz- meerküste; das Schwarze Meer war ein türkischosmanisches Binnenmeer. Eriwan gehörte seit 1639 zu Persien, es war eine fast ausschließlich islamische Stadt. Der erste Schritt der Russen in Richtung Kaukasus erfolgte 1556, als sie Astrachan eroberten. Transkaukasien gehörte zwar nominell zu Persien, doch stand Aserbaidschan de facto unter osmanischer Kontrolle. Das einzige Mal, daß Armenier - genauer gesagt: Haik - in jener Zeit erwähnt werden, ist, als Schah Abbas in den Jahren 1603-1604 die Armenier von Eriwan und Dschulfa nach Innerpersien schaffen. Im Jahre 1461 hatte Mechmed der Eroberer das armenische Patriarchat von Istanbul gegründet, und dem armenischen Patriarchen der Stadt unterstanden alle Armenier und Monophysiten des Reiches, unabhängig von der Existenz der armenischen Katholiko-sate von Sis oder Etschmiadsin damals persisch -hatte im Osmanenreich keinerlei Macht. Die Russen mischten sich in den türkisch-persischen Krieg von 1723 bis 1727 ein und entsandten Militär ans Kaspische Meer; das Khanat von Kuba, nördlich von Baku, geriet unter russischen Einfluß. 1768 brach in der Folge der Ereignisse in Polen ein russisch-türkischer Krieg aus. Die osmanische Armee wurde geschlagen, und 1774 der Vertrag von Der Gebäudekomplex der kaiserlich-russischen Botschaft in Istanbul-§ishane. Von der Beletage der Botschaft haben die Russen einen prachtvollen Ausblick auf die Meerengen. An der russischen Politik, die immer zu den „warmen Wassern” drängte, hat sich so wenig geändert wie an der russischen Unterstützung der armenischen Terroristen, die seit den Tagen des Zaren blutige Tradition hat. 57 Kütschük Kainardscha geschlossen. Jetzt drangen die Russen zum ersten Mal in den Kaukasus vor, und zwar bis Kutaissi und über Poti bis Akhaltsiche - also fast bis unmittelbar an die heutige Grenze zwischen Türkei und der Sowjetunion. Der Vertrag von Kütschük Kainardscha lieferte den Russen aber auch Kabartay in Transkaukasien aus (an den Osthängen des Elbrus) und - wichtiger noch als alle Gebietsgewinne - er übertrug den Russen ein gewisses Mitspracherecht beim Schütze der Christen des Osmanenreiches. Von diesem Zeitpunkt an strebte Rußland ständig nach Gebietserweiterung auf Kosten der Türken und Osmanen und zwar fast immer unter dem Vorwand, Christen beschützen zu müssen. 1783 schloß Rußland mit den christlichen Georgierfürsten einen Schutzvertrag und gewann damit weitgehend die Kontrolle über das alte „Iberien”. 1787 traf sich Kaiserin Katharina II. von Rußland mit Kaiser Josef II. von Österreich auf der Halbinsel Krim, in Cherson, und vom 14. Mai bis 13. Juni verhandelten die beiden Monarchen über die Aufteilung des Osmanenreiches. Das „Griechische Project”, das da in Cherson, keine sechzig Kilometer vor Yalta, ausgehandelt wurde, sah die Gründung eines griechisch-orthodoxen Staates Dacien vor und sollte Bes-sarabien, die Walachei und die Moldau umfassen, was zunächst den Russen die Gebiete westlich des Dnjepr sicherte und Österreich den Einfluß auf dem Balkan. Für den Fall eines Falles von Konstantinopel sollte ein neues Byzanz gegründet werden. Kurz darauf erklärte das Osmanenreich den Russen den Krieg, und abermals kam es im Kaukasus zu Gefechten, allerdings zu keinen Gebietsveränderungen. 1796 nahmen die Russen persische Versuche, verlorenes Terrain zurückzugewinnen, zum Anlaß, in Kuba, Baku, Derbent, Kirvan und Karabag aufzumarschieren. 1801 annektierten die Russen Georgien. 1812 erlangten die Russen nach dem Frieden von Bukarest Kontrolle über das Becken von Riom, westlich von Suram, im Kaukasus. 1813 okkupierten die Russen nach dem Frieden von Gulistan die persischen Gebiete am Kaspischen Meer (in etwa noch der heutige russisch-iranische Grenzverlauf). Als Schah Abbas Mirza seine verlorenen Gebiete zurückgewinnen wollte, heimste er bloß eine neue, diesmal verheerende Niederlage ein. 1828 mußten die Perser im Vertrag von Türkmentschay die Khanate von Eriwan und Nachitschewan (heute eine Autonome SSR unmittelbar südöstlich vom Ararat) an die Russen abtreten. Die damals gezogenen Grenzen bestehen bis heute. In diesem Kriege beteiligten sich erstmals armenische Freiwillige in größerer Zahl, ähnlich 1814-22. Folgenschwer war die Tatsache, daß die Haik des Gebietes um Eriwan nun statt unter iranischer unter58 russischer Herrschaft standen, und die Russen längst erkannt hatten, zu welch nützlichen Werkzeugen sich die Armenier mißbrauchen ließen. 1828 kam auch Etschmiadsin, Sitz eines armenisch-orthodoxen Katholikos, unter russische Herrschaft. In der Folge des Vertrages von Türkmentschay und des für die Osmanen so unglücklich verlaufenden Krieges mit den Griechen, Briten und Franzosen im Westen drangen die Russen bis Erzurum vor. 1839 erhielten die Russen im Vertrag von Edirne die Schwarzmeer-Festungen Poti und Anapa sowie Achaltsik, Akhalkalak und Atschur, womit die heutige russisch-türkische Grenze erreicht war. Der Kaukasus ging damit vollständig in russische Hände. Mit Abschluß des Friedensvertrages konnten die Haik und die Moslems für Rußland oder das Osmanische Reich optieren. Mehr als 100.000 Armenier verließen damals die Gegend bis Erzurum und gingen in das Gebiet der heutigen Sowjetrepublik Armenien, während die überwiegende Zahl der Moslems den Kaukasus verließ und nach Anatolien zog. Bis zu diesem Zeitpunkt war Eriwan fast ausschließlich von Moslems bewohnt gewesen. SIR AUSTEN HENRY LAYARD British Ambassador at Istanbul (1877-1880) Nach dem Vertrag von Türkmentschay (1828; Türkmentschay liegt in Nordpersien am Urmiasee) hatte der Zar aus den Khanaten Nachitschewan und Erivan ein Armenien gegründet, alle Bewohner der Region zu russischen Bürgern und sich selbst zum „König von Armenien” erklärt - so wie er ja auch den Titel eines „Königs von Polen” trug. 1849 wurde die Kaukasusregion in zwei Hälften geteilt, schon 1854 wurde die Teilung aber wegen ständiger Unruhen zurückgenommen, weil die Moslems sich mit der Vorherrschaft der georgischen und armenischen Christen in diesen Großzonen einfach nicht abfanden. Fürst Worontsoff, der mit der Reorganisation dieses Krisengebietes beauftragt wurde, splitterte die Landschaft in zahlreiche kleine politische Bezirke auf. Die Armenier bewohnten vor allem die Region Tiflis; bald gingen sie auch in größerer Zahl in die Region Eriwan. 1854 war auch das Jahr des Krimkrieges; er brach aus, weil sich die Osmanen weigerten, ein allgemeines russisches Protektorat über die Christen des Osmanenreiches anzuerkennen. Ziel der Russen war es, das Osmanische Reich zu Fall zu bringen - den „kranken Mann am Bosporus” sterben zu lassen und selbst dort die Macht zu ergreifen. 1854 fiel Kars nach heldenmütiger Verteidigung in russische Hände. 1856 beendete das „Protokoll von Wien” den Krimkrieg. Der Friede von Paris - im gleichen Jahr - bedeutete für das Osmanische Reich einen echten Erfolg, erhielt es doch Kars zurück und außerdem fiel das odiose „Protektorat” über die orthodoxen Christen der Türkei (das wie eine Vorwegnahme der späteren Breschnjew-Doktrin anmutet). Vor allem England hatte sich geweigert, den russischen Teilungsplänen über das Osmanenreich zuzustimmen, weil es seine eigenen Interessen gefährdet sah. Schon zwanzig Jahre später sollte Rußland abermals versuchen, das Osmanenreich in die Knie zu zwingen. 1863 erschien ein „Reglement de la nation armenienne”, das zwar nichts an der Stellung der Armenier innerhalb des Osmanenreiches änderte, aber - auf Grund der Wünsche der Vertreter der armenischen Minderheit - die Rechte des Patriarchen entscheidend schmälerte. Neben dem katholischen und dem protestantischen „Millet”, die die Macht des Patriarchen schon beschnitten, mischten nun auch die politischen Repräsentanten der Armenier mit, und alle miteinander kämpften sie um die Vormacht innerhalb der armenischen Volksgruppe - zum Schaden der Armenier, zum alleinigen Vorteil der Radikalen. Einsichtigen Armeniern war schon damals klar, daß es verheerende Folgen für ihre Volksgruppe haben Der für das Osmanenreich verheerende russische Sieg im Krieg von 1878/79 brachte auch eine Katastrophe für die Balkan-Türken. Auf dem Boden des neu entstehenden Fürstentums Bulgarien wurden innerhalb weniger Tage 400000 islamische Türken niedergemetzelt, mehr als eine Million türkischer Flüchtlinge suchte in Istanbul Zuflucht. Verzweifelt versuchten die Flüchtlinge, den im Çiragan-Palast internierten, abgesetzten Sultan Murad zu befreien, von dem sie sich eine Wende des Kriegsverlaufes erhofften; die Bewacher richteten unter den Aufständischen ein Blutbad an (Zeichnung aus der VSEMIRNAJA ILLU-STRATIJA, St. Petersburg, 24. Mai 1878). Für die osmanischen Flüchtlinge setzte sich keine der Mächte ein, die Massenmorde blieben ungesühnt. Eines der Meisterwerke osmanisch-armenischer Baukunst, selbst als Ruine noch bezaubernd schön: die Überreste des von Nigo-gosch Balyan errichteten Ciragan-Palastes am Bosporus, in dem Sultan Murad V. seine Verbannungsjahre verbrachte. müsse, wenn die alten, seit der Krimkonferenz zwischen Josef II. und Katharina II. nie vergessenen Pläne, ein griechisch-orthodoxes Byzanz unter russischem Protektorat zu errichten, wahr würden - das konnte nur neue Versuche der griechisch- (oder russisch-)orthodoxen Kirche zeitigen, die Armenier voll unter ihre Herrschaft zu bringen. Schon die russische Herrschaft über den Kaukasus hatte klar gezeigt, daß der Zar nicht im Traume 59 Schloß Beylerbey am Bosporus, ein Meisterwerk des osmanisch-armenischen Architekten Agop Bey Balyan, war Schauplatz einer Begegnung zwischen Sultan Abdul Hamid und dem russischen Großfürsten Nikolaus. In der Stunde äußerster Bedrängnis des Osmanenreiches liefen die Armenier, bisher das treue Millet, trotz ihrer Beteuerungen der Anhänglichkeit zu Beginn des Krieges, zu den Russen über und versuchten, die Gunst der Stunde zu nützen. Die Osmanen haben diesen Treuebruch nie vergessen, das armenisch-osmanische Verhältnis gestaltete sich von da an immer schwieriger. daran dachte, den Armeniern besondere Rechte oder gar (die von manchen erhoffte) Unabhängigkeit zu gewähren - das hätte bloß die anderen, von den Russen gleichfalls unterworfene Völker auf ähnliche Unabhängigkeitsgedanken gebracht. Tatsache ist, daß bis 1870 die Armenier in der internationalen Politik noch kaum irgendeine Bedeutung hatten. Das Unheil bereitete sich langsam, fast unmerklich vor. 1876 lehnte es eine in Istanbul versammelte Botschafterkonferenz der Großmächte einfach ab, auf eine Demarche des armenischen Patriarchen auch nur inetwa einzugehen. Die einzigen, die bis dahin Interesse an den Armeniern gehabt hatten, waren die Russen, die bei ihren Gebietseroberungen im Ostendie armenische Minderheit gut gebrauchen konnten, gelegentlich auch als Henkersknechte, die unter den Moslems Angst und Schrecken verbreiteten, ohne daß sie sich selber die Hände schmutzig machen mußten (so bei der Eroberung Erzurums im Jahre 1839; als die Armenier unter den Moslems ein Massaker anrichteten). 1877 zeichnete sich immer deutlicher ab, daß die Russen, nachdem der Balkan bereits vergeben war, auf der Achse Erzurum - Alexandrette (heute Iskenderun) in Richtung Mittelmeer vorstoßen wollten. 60 Jetzt gewannen die Armenier erst ihre richtige Bedeutung für Rußland; sie sollten als 5. Kolonne dienen. Dazu nützte Rußland nicht nur den armenischen Klerus aus, sondern mehr und mehr auch die Kader der revolutionären Armenier. Zur gleichen Zeit regte sich auch das Interesse der Engländer an den Armeniern. Es tauchte der Gedanke eines armenischen Pufferstaates auf, der im Falle eines Zusammenbruches des Osmanischen Reiches als Prellbock zwischen den Großmächten dienen könnte. 1877 24. April: Der kürzeste, aber für die Osmanen verheerendste Krieg mit Rußland beginnt. Für die Türken ist auch heute noch „die Katastrophe von zwölfhundertdreiundneunzig” (1293 nach osmanischer Zeitrechnung) sprichwörtlich. Von Beginn an waren die Russen an der Ostfront im Vorteil. Am 18. November fiel Kars. Die Russen standen unter dem Kommando des armenischen Generals Loris Melikof. Erzurum hielt wohl allen russischen Angriffen stand, aber an der Balkanfront erlitten die Türken bei Plevna eine verheerende Niederlage. 1878 31. Jänner: Waffenstillstand von Edirne. Das Schicksal des Osmanischen Reiches scheint besiegelt zu sein. Nichts kann die Russen aufhalten, nach Konstantinopel zu marschieren. Doch zunächst nehmen die Vertreter der Armenier mit den Russen Kontakt in Edirne auf. Noch zu Beginn des Krieges hatten sie sich einmütig hinter ihr osmanisches Vaterland gestellt, jetzt, nach der Katastrophe von Plevna, schwenkte das gesamte armenische Lager auf die russische Linie um. Erste Kontakte fanden schon in Edirne statt. Ob und wie sich Patriarch und Katholikos in das Szenario einschalteten, scheint umstritten; das Ergebnis der Interventionen war jedenfalls, daß sich Rußland im Friedensdiktat von San Stefano ausdrücklich (wenn auch sehr unverbindlich, denn schließlich wollte man den eigenen, den russischen Armeniern ja auch keineswegs Unabhängigkeit gewähren) für die Armenier verwendete. Im Artikel 16 des Vertrages von San Stefano (Yesil-köy) heißt es: „. . . la Sublime Porte s’engage ä rea-liser sans plus de retard les ameliorations et les reformes exigees par les besoins locaux dans les pro-vinces habitees par les Armeniens et ä garantir leur securite contre les Kurdes et les Circassiens”. Dieser an sich völlig nichtssagende Vertragspunkt, der bloß verlangte, daß die Osmanen für die Sicherheit ihrer armenischen Bürger vor kurdischen und tscherkessischen Überfällen sorgen sollten, bedeutete doch einen Wendepunkt; zum ersten Mal waren damit die Armenier in einem internationalen Vertragswerk, wenngleich einem Diktat, erwähnt worden. Die Armenier wußten das richtig zu schätzen, so nichtssagend ihre Nennung auch sein mochte (die Russen wußten, warum). Nur zu bald schon sollte sich herausstellen, daß der „Friedensvertrag” von San Stefano bloß sehr vorläufigen Charakter hatte; sowohl England als auch Österreich lehnten ihn ab. Schließlich wurde Fürst Bismarcks Vorschlag angenommen, in Berlin einen Kongreß einzuberufen, der die Osmanische Frage regeln sollte. Die Vertreter der Mächte tagten in Berlin vom 13. Juni bis zum 13. Juli 1878. Außer den beiden Reichskanzlern Gortschakow und Fürst Bismarck weilten für Österreich-Ungarn Graf Andrassy, Lord Beaconsfield für Großbritannien, Waddington für Frankreich, Corti für Italien, Karatheodori und Meh-med Ali für das Osmanische Reich in der neuen deutschen Reichshauptstadt, und einziger Zweck des Kongresses war, das Diktat von San Stefano der für die Osmanen allzu drückenden Bestimmungen zu entkleiden - was auch geschah. Vergeblich war eine starke armenische Delegation unter der Führung von Prälat Khrimian - ein früherer armenisch-orthodoxer Patriarch - nach Berlin gereist. Längst war allgemein bekannt, daß die Armenier nirgendwo in Anatolien auch nur im entferntesten über eine Mehrheit verfügten; niemand wollte einer Minderheit, die einzig und allein in Van selbst über ein Drittel des Bevölkerungsanteils verfügte, auch nur eine Autonomie zubilligen - auf Grund welcher Tatsache hätte man das gemacht? Am 8. Juli 1878 nahm der Kongreß - anstelle des Artikels 16 von San Stefano - den „Artikel 61” an, der im wesentlichen jenem von San Stefano entsprach, und auch Artikel 62 bezog sich auf Religionsfreiheit. Doch von einer Autonomie war nirgendwo die Rede; dafür war das armenische millet einfach zu schwach. Das 19. Jahrhundert war ein Jahrhundert des Triumphes der Nationalstaaten - aber auch der demokratischen Mehrheit geworden.. Bulgarien, Serbien, Griechenland, Rumänien, alle wurden unabhängig, überall aber verfügte die Nation auch über eine solide Mehrheit. Mit den Armeniern verhielt sich das ganz anders. In den von ihnen beanspruchten riesigen Gebieten mochte vor fast 2000 Jahren, unter völlig anderen Bedingungen, tatsächlich einmal ein armenischer König über ein armenisches Reich regiert haben. Aber das 19. Jahrhundert verlangte nach Mehrheiten - und die gab es ausschließlich für Moslems, und zwar in allen Teilen Anatoliens. Unter diesen Umständen griffen armenische Kreise, die sich mit den Tatsachen nicht abfinden konnten, Gruppen von Revolutionären, Klerikern, Intellektuellen, aufgehetzt hauptsächlich von Rußland, zum Teil aber auch von Missionaren, zu immer kühneren, immer abenteuerlicheren Methoden, um Aufmerksamkeit zu erregen und irgendwann doch einmal Herrschaft über die Mehrheit zu erringen. Die Selimie von Edirne, ein Meisterwerk des Mimar Sinan. In Edirne trafen im Jahre 1878 Vertreter des armenischen Patriarchen Khrimian von Istanbul mit den siegreichen Russen zusammen. Dies empfanden die Osmanen als schändlichen Verrat. 61 Bismarcks Deutschland und Kaiser Franz Josephs ÖsterreichUngarn vereitelten gemeinsam mit Großbritannien die Pläne des Zaren, die im Diktat von San Stefano eingeleitete Liquidation des Osmanenreiches zu vollziehen. Bild: Die prachtvolle Sommerresidenz des österreichischungarischen Botschafters am Bosporus; heute von der österreichischen Regierung dem Verfall preisgegeben. 62 Sir A. H. Layard an den Marquis von Salisbury No. 211. Vertraulich. Konstantinopel, 17. Februar 1880 (In London eingelangt am 26. Februar 1880) My Lord, der gregorianische Patriarch, Mgr. Narses, beschwert sich bei mir ständig über die schlechte Behandlung und die Ungerechtigkeit, denen die Armenier Kleinasiens ausgesetzt seien, und fordert mich auf, für sie eine Verwaltungsreform und Wiedergutmachung zu erwirken. Ähnliche Beschwerden bringt er bei der Deutschen Botschaft vor, und zweifellos auch bei anderen Botschaften. Ich wünschte daraufhin, mehr Informationen zu erhalten und schickte Sir. A. Sandison zu Seiner Seligkeit, um genaueres über die Forderungen der armenischen Bevölkerung zu erfahren, seine Ansichten genauer kennenzulernen, sofern sie eine Verbesserung der Lage der Armenier betreffen, damit ich bei der Hohen Pforte mit einiger Aussicht auf Erfolg vorsprechen könne. Ich dachte, das sei eine günstige Gelegenheit, Eurer Lordschaft Anweisung, wie in dem Brief No. 79 ausgedrückt, Geheim und Höchst vertraulich, vom 2. dieses Monats, worin es heißt, gemeinsam mit dem deutschen Geschäftsträger in der armenischen Frage vorzugehen. Über meinen Vorschlag zeigte sich Graf Radolinski (der deutsche Geschäftsträger) sofort damit einverstanden, daß Herr M. Testa, erster Dolmetsch an der Deutschen Botschaft, Sir. A. Sandison bei seinem Besuch bei Mgr. Narses begleiten solle. Ich habe die Ehre, ein Memorandum von Sir Alfred als Ergebnis dieses Besuches beizuschließen; es ist das Ergebnis des Besuches bei Seiner Seligkeit, und Eure Lordschaft werden es mit Interesse lesen. Ich habe bereits meine Ansicht ausgedrückt, daß man von der Pforte nicht verlangen kann, stets einen Armenier als Gouverneur der Provinz Erzurum zu ernennen. Das währen der erste Schritt in eine Autonomie, der die türkische Regierung nicht zustimmen kann. Darüber hinaus haben die Armenier, wie mir scheint, kein Recht, auf dieser Bedingung zu bestehen. Das Verlangen, daß diese Stelle für Christen wie für Moslems offen stehen sollte, ist eine andere Sache und wäre vertretbar. Dem wurde auch grundsätzlich kürzlich von Rüstem Pascha zugestimmt, der aber leider wegen seines schlechten Gesundheitszustandes zurücktreten mußte. Es ist unwahrscheinlich, daß die Hohe Pforte irgendeinem Vorschlag zur Schaffung einer Armenischen Autonomen Provinz Gehör schenken würde, noch - ich bin davon überzeugt - liegt es im wahren Interesse der Armenier, daß sie so eine Absicht durchsetzen sollten. Wenn die Armenier auf Ost-Rumelien hinweisen, um einen Prä-sidenzfall für ihr Verlangen vorzubringen, scheinen sie zu vergessen, daß in jener Provinz die Christen über eine beträchtliche Mehrheit gegenüber isalmischen Bevölkerung verfügten. Das Gegenteil ist in so gut wie allen Teilen der Asiatischen Türkei der Fall. Jeder Versuch der Armenier, Autonomie zu erlangen, die ja, in dem Sinne, den die Armenier der Autonomie zugrundelegen, unweigerlich ausschließliche Herrschaft der Christen und christliche Verwaltung bedeutet, würde den Widerstand der Moslems bis zum letzten hervorrufen. Sie kennen heute das Schicksal, das ihren islamischen Brüdern in Rumelien und Bulgarien widerfahren ist. Die Folge wäre, mit höchster Wahrscheinlichkeit, blutiger Kampf, wenn nicht gar ein allgemeines Armeniermassaker, dem nur mit Hilfe einer bewaffneten Intervention von seifen Rußlands ein Ende gemacht werden könnte, die aller Wahrscheinlichkeit nach mit dem Aufgehen der Armenier in russischem Herrschaftsgebiet enden würde, mit dem Verlust ihrer Nationalität, ist Rußland doch noch weniger als die Türkei geneigt, armenische Autonomie zu fördern oder gar letztliche Unabhängigkeit. (Der Rest des Briefes berichtet über die Ablehnung britischer Konsularberichte über die Zustände in Anatolien, die größtenteils, nach Meinung der Pforte, von Patriarch Narses inspiriert seien.) Schlußformel A. H. Layard (m. p.) F. O. 424/106, p. 174-175, No. 81 Sir. H. Elliot an den Earl of Derby No. 1337 Constantinopel, 7. 12. 1876 (In London eingelangt am 15. Dezember 1876) My Lord, der armenische Patriarch suchte mich gestern auf. Gegenstand seines Besuches war es, im Namen der christlichen Gemeinde, deren Oberhaupt er ist, die Hoffnung auszudrücken, die Botschafterkonferenz werde nicht darauf bestehen, daß nur jenen Provinzen von der Hohen Pforte Zugeständnisse gemacht werden, die sich gegen die Regierung erhoben hatten, sondern auch jenen, die ruhig geblieben waren. Ich antwortete zurückhaltend, und erklärte, die Konferenz befasse sich mit dem Ziel, in den Provinzen wieder Ruhe herzustellen, wo ein Aufstand den allgemeinen Frieden bedroht hatte, und daß sie sich nicht zur Aufgabe gestellt hatte, sich mit der Frage der Verwaltung des Osmanischen Reiches als ganzes zu befassen. Der Patriarch antwortete, daß seine Leute sehr erregt seien, und sagte, für den Fall, daß es notwendig ist, sich zum Aufstand zu erheben, um die Sympathie der europäischen Mächte zu erringen, gibt es keine Schwierigkeiten, so eine Bewegung ins Leben zu rufen. (Der Rest des Briefes beschäftigt sich mit tscherkessischen Flüchtlingen, die aus Europa nach Asien übersiedeln mußten.) Schlußformel Henry Elliot (handschriftlich) F. O. 424/46, p. 205-206, N. 336 Patriarch Mygirditsch Khrimian (1869-1874) war der Führer einer armenischen Delegation, die mehrere europäische Hauptstädte besuchte, um bei den Mächten ein „autonomes” Armenien durchzusetzen. Am Vorabend des Berliner Kongresses überreichte Prälat Khrimian dem Kongreß ein in diesem Sinne gehaltenes Schreiben. Nach seiner Rückkehr forderte Prälat Khrimian die Armenier indirekt zur Gewalt auf, indem er allegorisch feststellte, die Balkanvölker hätten sich ihre Ration Freiheit „mit dem eisernen Löffel geholt”, während die Armenier mit Papierlöffeln speisten. Die Folge war eine ganze Kette von blutigen Aufständen der armenischen Minderheit, die die Beschlüsse des Berliner Kongresses einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollte. Patriarch Nerses II. Vartabejian, Armenischer Patriarch von Istanbul (1874-1884), schrieb am 13. April 1877 an Lord Salisbury, daß „coexistence” zwischen Armeniern und Türken „impossible” sei, und der einzige Ausweg aus der Unruhe in der Schaffung einer „autonomen christlichen Organisation” (also eines christlichen Staates) nach „libanesischem Vorbild” bestünde. «Une autorite Chretienne . . . doit donc remplacer l’autorite Musulmane partout oü il y a agglomeration des Chretiens . . .» Selbst der Patriarch wagt es nicht, von einer christlichen Mehrheit in Ost- oder Südanatolien zu schreiben; er wählt das Wort „agglomeration”, die vielleicht in einigen Straßenzügen oder besseren Wohnvierteln ostanatolischer Städte bestanden hat, nicht aber in auch nur einer einzigen Stadt (Briefzitat aus F. O. 424/70, pp 70-72, No. 134/1). 63 Brief aus dem Britischen Außenministerium an den Botschafter ihrer Majestät in Konstantinopel Der Marquis von Salisbury an Mr. Layard London, Foreign Office, 30. May 1878 Berliner Kongreß: Die überragende Persönlichkeit Bismarcks steht im Mittelpunkt. Für das Osmanische Reich werden ehrenvolle, erträgliche Bedingungen ausgehandelt; die Armenische Frage wird keineswegs im Sinne der armenischen Minderheit gelöst, bleibt aber ein Anlaß und Hebelpunkt für ausländische Einmischung. Großfürst Nikolai trifft den Sultan in Beylerbey, wo der Kalif mit Mühe und Not eine Besetzung Istanbuls durch die Russen in zähen Verhandlungen zu verhindern weiß. Guten Appetit! Im Jahre 1879 tauchten Gerüchte über einen bevorstehenden Krieg mit Burma auf. Die Macht des Britischen Weltreiches näherte sich seinem absoluten Höhepunkt, nichts schien so wichtig wie die Sicherung des indischen Kolonialbesitzes, der Burma genauso zum Opfer fiel wie Zypern oder das Osmanenreich überhaupt; die Armenische Frage bildete dabei bloß einen billigen Vorwand, in der Türkei mitmischen zu können, ohne daß das geringste Interesse an den wahren Lebensbedürfnissen der armenischen Minderheit bestanden hätte. Rumelien, Zypern, Burma, Afghanistan oder die Türkei hatten dabei keinen anderen Stellenwert als die Frage der Armenier oder des Zululandes . . . 64 Sir, der Fortschritt bei den Geheimverhandlungen, die seit einiger Zeit zwischen Ihrer Majestät Regierung und der Russischen Regierung laufen, macht es wahrscheinlich, daß jene Artikel des Vertrages von San Stefano, die die Europäische Türkei betreffen, ausreichend abgeändert werden, um sie in Harmonie mit den Interessen der europäischen Mächte zu bringen, besonders jene Englands. Allerdings gibt es hinsichtlich der asiatischen Türkei keine derartigen Aussichten hinsichtlich einer Revision des Vertrages von San Stefano. Es ist offenkundig, daß bezüglich Batum und der Festungen nördlich des Araxes die Russen von keinem der Zugeständnisse lassen werden, die ihnen die Pforte machte. (Der sehr ausführliche Brief setzt sich im Anschluß daran mit der Tatsache auseinander, daß die Russen von nun an Batum, Ardahan und vor allem die Festung Kars dazu benützen werden, „um die asiatischen Besitzungen der Pforte in seine Bestandteile aufzulösen”.) Der überraschende, wahrhaft imperialistische Schluß aus den russischen Expansionsbestrebungen lautet so: Ich fordere Eure Exzellenz daher auf, der Hohen Pforte vorzuschlagen, einer Abmachung mit nachfolgendem Ergebnis zuzustimmen, und ich übertrage Ihnen hiermit volle Autorität, diesen Vertrag namens der Königin und Ihrer Majestät Regierung abzuschließen: „Wenn Batum, Ardahan, Kars, oder eine dieser Städte von Rußland einbehalten werden, oder wenn die Russen noch irgendeinen Versuch unternehmen, irgend eine andere Besitzung des Sultans in Asien zu besetzen, die ihm im endgültigen Friedensvertrag zugesprochen wird, verpflichtet sich England, dem Sultan mit Waffengewalt beizustehen. Als Gegenleistung verspricht der Sultan England die notwendigen Reformen einzuleiten (die später zwischen den beiden Mächten ausgehandelt werden), sofern sie Christen und andere Bürger betreffen, und der Sultan stimmt darüber hinaus zu, um England die notwendigen Voraussetzungen für die Durchführung seines Engagements zu verschaffen, die Insel Zypern durch England besetzen und verwalten zu lassen.” I am, (Schlußformel) SALISBURY (m. p.) Turkey, No. 36, (1878), p. 1-2, No. 1 Der Nationalismus greift von den Kirchen auf profane Organisationen über Armenakan, Hintschaks und Daschnaksutiun: Revolutionäre Parteien, Terror als Methode Die erste politische Partei der armenischen Minderheit, die eine gewisse Bedeutung erlangte und, nach europäischem Vorbild organisiert, auch über eine eigene Publikation verfügte, war die „Armenakan Partei”, im Herbst des Jahres 1885 in Van gegründet. Der führende Kopf dieser durch und durch revolutionären Bewegung war der Sohn eines steinreichen armenischen Bankiers aus Konstantinopel und hieß Mekeritsch Portukalian. Nach zahlreichen Schwierigkeiten mit seinen Schulgründungen in Van emigrierte er nach Marseille, von wo aus er seine Armenierpartei fortan dirigierte. In Marseille brachte er auch eine Zeitschrift heraus, Arme-nia, und seine Zielsetzung, die in Europa verstreut lebenden Armenier für die Gründung eines Armenierstaates (wenngleich aus der Ferne!) zu begeistern, fand Widerhall in der Gründung einer „Armenischen Patriotischen Gesellschaft”, die fortan viel Geld sammelte und folgerichtig Waffen und Munition kaufte. Ihr Ziel war die „Erringung der Selbstregierung durch Revolution”, und die Mitglieder der Armenakan wurden in Van und Umgebung mit den modernsten Waffen ausgerüstet, in der Kunst der Guerilla und der „Ausrichtung des Volkes der Armenier auf eine allgemeine Erhebung” mit Berücksichtigung der Unterstützung „durch befreundete Großmächte” abgerichtet. Die Armenakans verfügten bald über revolutionäre Zellen in Trapezunt und Konstantinopel sowie Kader in Rußland, Persien und in den USA. Nach dem Zeugnis des armenierfreundlichen Historikers Christopher J. Walker verlor sich die lichtvolle Entwicklung unter Portukalian alsbald in „sterile brutality” der armenischen Terrorszene. Im Jahre 1887 gründeten Armenier in Genf die erste betont marxistische Partei, deren Symbol die Glocke war (hnschak = Glocke). Die Hintschaks rekrutierten sich fast ausschließlich aus russischen Armeniern und zeichneten sich durch den besonders militant-revolutionären Geist des Dunstkreises um den Kaukasus aus (auch der junge Dschugaschwili, Vulgo Stalin, kam aus dieser Welt). Das Parteiorgan hieß Huntschak, und im Jahre 1890 nahm die Gruppe den Namen „Revolutionäre Partei der Huntschakian” an - kurz Huntschaks genannt. Führer war der fanatische Revolutionär Avetis Nasarbekian, ein „sehr hübscher, dunkelhaariger, orientalisch wirkender junger Mann, der vorzüglich Violine spielte” und „revolutionären Terror” als natürliche Folge der Ablehnung „kapitalistischer” Gesetzgebung ansah. Die „Föderation Armenischer Revolutionäre” schließlich, die „Hai Hegapokhakanneri Daschnaksutiun”, entstand Theatervorhang einer armenischen Schule in Ostanatolien mit einer Darstellung der revolutionären Hintschakisten Habete Tevekelian und Kalust Andrassian. Terroristen dieser Gattung bereiteten die groß angelegte und von langer Hand geplante „Erhebung von Van” vor, die wieder einmal die Weltöffentlichkeit wegen der „Greueltaten der Türken” aufrütteln sollte. Zu diesem Zwecke brauchte man auch Geld, viel Geld, und das sollte auch der Abt des Klosters Ahtamar im Vansee beisteuern. Als er es ablehnte, den Terroristen Tribut zu leisten, weil er fand, die Armenier führten im Osmanenreich ein gutes Leben, wurde er - so wie sein Sekretär - ermordet und die viergeteilten Leichen warfen die Terroristen in den See. Der Nachfolger des Abtes Boghos zahlte dann willig die geforderte Summe. Ein Jahr darauf, im Juni 1896, brach dann die Revolte von Van aus, ein blutiges Vorspiel zu der Tragödie des Frühjahrs 1915, als die Terroristen die gesamte Bevölkerung der islamischen Stadtviertel von Van auslöschten. 65 als Folge der Notwendigkeit, all die großen und kleinen Terrorgruppen und revolutionären Zellen unter eine Dachorganisation zu stellen. Ziel der Organisation war (und ist) es, die Unabhängigkeit ihres Armeniens durch einen Volkskrieg zu erringen. Da alsbald wieder mehrere Gruppen dieses gemeinsame Dach mieden, änderten die Daschnaks ihren Namen in „Hai Hegapokhakan Daschnaksutiun” - „Armenische Revolutions-Föderation”, eine Bezeichnung, die von den Daschnaks noch heute geführt wird. So wie im 19. Jahrhundert manche protestantisch-armenische Pastoren erbittert mit den gregorianischen Priestern um die Palme kämpften, wer denn der „bessere” nationalistische Hirte sei, rivalisieren die beiden politischen Gruppen der Daschnaks und Hintschaks im Wettstreit um die Gunst der Armenier; die Hintschaks legen mehr Wert auf ihre sozialistische, die Daschnaks mehr auf ihre nationalistische Gesinnung, in der Mischung aber ergeben sie haargenau jenes national- Das Banner der Daschnaksutiun mit den beiden Aufschriften „Revolutionäres Komitee der armenischen Daschnaksutiun” und „Freiheit oder Tod”. Schwer bewaffnete Daschnakisten kommen vom Ararat her, und die explodierende Bombe im Vordergrund symbolisiert die Arbeit der Revolutionsgruppen im Osmanen-reich. Das Blatt erschien im Jahr 1909 in Genf. 66 sozialistische Zerrbild einer fanatischen Weltanschauung wie andere Gruppierungen aus diesem gedanklichen Dunstkreis auch. Besonders die Daschnaks nützten und nützen brutalen Terror als politisches Mittel zum Zweck; zahlreiche Anschläge, bis in jüngste Zeit, gehen auf ihr Konto; die Finanzierung ihrer Tätigkeit erfolgt meistens mit Hilfe der Einschüchterung und Erpressung. 21. Juli 1905: Das „Yildiz-Attentat” auf Sultan Abdul Hamid. Eines der grausamsten Attentate des Aktionskomitees der Daschnak-Organisation war der Anschlag auf Sultan Abdul Hamid. Der armenische Politiker K. Papasian, Autor des Buches „Patriotism Perverted” (Boston, 1934) bemerkt dazu, „der Mordversuch an Sultan Abdülhamid sei einer der letzten Versuche der revolutionären Armenier im Namen der Daschnakisten” gewesen, mit Hilfe eines Attentats politische Ziele zu erreichen; da es fehlschlug, habe es nur unangenehme Folgen gebracht. Die Bomben waren zu früh explodiert, da sich der Sultan nach dem Besuch der Yildiz-Moschee zu lange mit dem Scheich ul Islam unterhalten hatte. Der Sultan pardonierte die Attentäter vergeblich; fortan verlegten sich die Unruhestifter auf das Anzetteln möglichst groß angelegter Aufstände, um die Aufmerksamkeit Europas zu erwecken. Die Bab Ali-Demonstration, die Hintschakisten und die Kusaktsakan Am 30. September 1895 organisierte die HintschakistenPartei eine spektakuläre Demonstration unmittelbar im Bannkreis der Hohen Pforte (Bab Ali). Die Revolutionäre Hintschak-Partei hatte sich dabei etwas Besonderes ausgedacht, was seine Wirkung auch nicht verfehlte: die Hintschakisten sandten schon im voraus einen Brief an alle Botschaften in Istanbul, in dem sie die friedliche Demonstration ankündigten und gleichzeitig jeden Gewaltakt als ein Werk der Ordnungskräfte denunzierten. Allen Beteiligten war aber bekannt, daß ein besonders radikaler Parteiflügel Ausschreitungen kalkuliert einplante. Viele Demonstranten erschienen schwer bewaffnet, um den 30. September zu einem denkwürdigen Tag zu gestalten. Gegen Mittag hatten sich bereits 2000 am Kum Kapi, dem armenischen Patriarchat, versammelt. Maßlose Forderungen wurden laut, und einer der Rädelsführer des Sassun-Auf Standes schrie schließlich „Freiheit oder Tod!” in die Menge, die sich daraufhin in Richtung Bab Ali wälzte. Unterwegs wurde ein Polizeioffizier umgebracht-und damit erreichten die Organisatoren endlich, was sie von Anfang an geplant hatten, nämlich auch die Ordnungskräfte zur Gewalt zu provozieren. Drei Tage lang hielten die Unruhen die Hauptstadt in Atem; am 3. Oktober erwischte es sogar noch Murad (Hampartsum Boya-dschian), gleichfalls ein professioneller Aufwiegler der Sassun-Revolte, der leicht verwundet wurde. Der Sultan persönlich bat den Patriarchen um Vermittlung und Wiederherstellung der Ordnung, vergeblich; die Parteigrößen der Hintschakisten wollten das Chaos. Schließlich fanden doch auch die (erwarteten) Racheaktionen der moslemischen Bevölkerung statt, und wie immer in solchen Fällen, erwischte es hauptsächlich Unschuldige, die mit den Unruhestiftern nichts zu tun gehabt hatten; aber das war ja, wie in Sassun oder Zeitun, beabsichtigt. Am 10. Oktober verließen die letzten Armenier ihre Kirchen, in denen sie Asyl gefunden hatten, und jeder, der wollte, konnte sich unter den persönlichen Schutz des russischen Botschafters stellen. Botschafter Newilow wußte, wem er zu helfen hatte, wurden doch bei mehreren hundert Demonstranten Waffen gefunden. In der Folge der Bab Ali-Demonstration tauchte ein neues Wort auf, kusaktsakan. Kusaktsakan war ein besonders treuer Parteigänger der Hintschakisten, einer, der nicht fragte, warum die Partei etwas befohlen hatte, sondern nur den Befehlen gehorchte. In Rußland sollten diese Typen später den Namen Apparatschik bekommen. Eine Selbstdarstellung der Hintschakisten, der marxistischrevolutionären Organisation, anläßlich ihres 20jährigen Bestehens, um das Symbol der Glocke schart sich ein Erinnerungsbogen von besonders blutigen stets von Hintschaks oder ihren geistigen Vätern hervorgerufenen Unruhen. Armenier-Unruhen in Istanbul, 1896: Der Aufruhr folgte einem stets gleichbleibendem Grundkonzept. Zunächst wurde irgendwo in der Stadt, sei es in der Osmanischen Bank, vor dem Sultanspalast oder in der Nähe des Patriarchensitzes, ein Anschlag verübt, zu dem nach Tunlichkeit bereits europäische Berichterstatter eingeladen waren. Die Unruhestifter mußten, teils auf ausländischen Druck, teils wegen der Hoffnung der Hohen Pforte, Begnadigung wirke beruhigend, fast immer wieder freigelassen werden (daher finden sich die gleichen Rädelsführer bei zahllosen Attentaten wieder), was mitunter die Volkswut so erregte, daß d is von den Revolutionären erstrebte Ziel, nämlich Armenierunruhen mit Toten oder Verletzten, über die wieder weltweit berichtet werden konnte, tatsächlich eintrat. 67 Artikel über die Ereignisse von Sassun, daß selbst ein Christopher Walker in seinem Werk „Armenia - The Survival of a Nation” von „rather imprecise details” spricht. Doch wen scherte das schon? Die Weltpresse griff den Bericht Hagopians auf und alle Welt entsetzte sich über die Niederschlagung von Aufständen, die schon damals bürgerkriegsähnliche Formen annahmen, Aufständen, die von Unbewaffneten kamen. Damals gewöhnte sich die Weltöffentlichkeit auch an jene absolut unsinnigen Verlustzahlen, wie sie in der Bildunterschrift erschienen: „50.000 Tote oder mehr”. Die Leser nahmen diese Unsinnszahlen genau so kritiklos hin wie heute die Berichte von zweieinhalb Millionen toten Armeniern während des Ersten Weltkrieges; nach den islamischen Opfern zu fragen war schon zur Zeit des Erscheinens von „Turkey and the Armenian Atrocities” uninteressant. Eine Illustration aus dem Buch „Turkey and the Armenian Atrocities”, das 1896 in den USA erschien: „Abschlachtung von Armeniern in Sassun. Das ist ein wahres Bild des Abschlachtens von Unschuldigen, das die grausamen (auch: verdammten) Kurden und in Wut gebrachten Soldaten an den unbewaffneten und unschuldigen Armeniern verübten. Die Schlächterei lief in ein Gemetzel von 50.000 oder mehr Menschen aus. Hunderttausende wurden durch Plünderung und Brandstiftung mittel- und obdachlos.” Die Ereignisse von Sassun sind nun wahrlich BilderbuchIllustrationen, allerdings nicht zur Mordlust der Kurden oder der „in Wut gebrachten Soldaten”, sondern zur Technik des Unruhestiftens, die nur einen einzigen Zweck hat: den politischen Gegner zu Maßnahmen zu zwingen, mit deren Hilfe es der Minderheit gelingen soll, sich in den Schlagzeilen der internationalen Presse als verfolgtes Opfer auszugeben; daß bei den Unruhen tatsächlich zahlreiche Unschuldige ums Leben kamen, störte die Drahtzieher am allerwenigsten. Die gehörten übrigens zur Partei der Hintschak. In jedem Handbuch armenischer Geschichte sind die Namen der Helden nachzulesen, die unter der Bevölkerung von Sassun zum Aufstand hetzten: es waren Miran Damadian und Hampartsum Boyadschian, beide bereits erfahrene Unruhestifter, ging doch die Revolte von Kum Kapu (April 1890) auch auf ihr Konto. Mihran Damadian hatte nach seiner Flucht aus Konstantinopel in Athen antitürkische Demonstrationen angezettelt, und Boyadschian, der sich als islamischer Scheich verkleidet hatte, kam aus dem Kaukasus nach Sassun; wohlversorgt mit Geld, wodurch der Ankauf von Waffen kein Problem mehr darstellte. Wie unbewaffnet die Aufständischen waren, geht allein aus der Tatsache hervor, daß die angreifenden Kurden 12 Tage wilder Schlacht bedurften, um eine einzige Stellung der Armenier einzunehmen. „The Times” vom 17. November 1894 brachte aus der Feder eines G. Hagopian, der aus Fulham schrieb, einen 68 Der Bandenchef Kavafian, einer der Unruhestifter von Sassun, als russischer Offizier - der er schon immer gewesen war, auch als Unruhestifter in Sassun. Die Rädelsführer und Anstifter der Armenierrevolten, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts und vor dem Ersten Weltkrieg des öfteren in der internationalen Presse Schlagzeilen machten, waren selbstverständlich Berufsrevolutionäre. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, fand man sie auch prompt wieder als Anführer armenischer Freiwilligenverbände oder Terroristengruppen, die es sich zum Ziel setzten, die Türken zu vernichten. EINER DER HÖHEPUNKTE ARMENISCHEN TERRORS: DER ÜBERFALL AUF DIE OSMANISCHE BANK Das Portal der mächtigen Fassade der „Osmanh Bankasi” in der Bankalar Caddesi, Istanbul-§i§hane; die Osmanische Bank gehört noch immer zu den bedeutendsten Privatbanken der Türkei, im 19. Jahrhundert war sie das führende Geldinstitut des Osmanenreiches, das besonders in die Finanzierung der Eisenbahn- und Industriebauten jener Zeit involviert war. Am 26. August des Jahres 1896 bildete der Überfall armenischer Terroristen auf die Osmanische Bank mit gleichzeitiger Geiselnahme den traurigen Höhepunkt eines an Gewalttaten überreichen Jahres. Drahtzieher des Unternehmens war diesmal die armenische Daschnak-Partei, die mit diesem spektakulären Überfall mit ihrer Konkurrenz, der armenischen Hintschak-Partei, die fast alle anderen Terrorakte von 1896 organisiert hatte, endlich gleichziehen wollte. Ausführende waren drei Armenier aus dem Kaukasus (damals schon in russischer Hand). Ihr Rädelsführer, Karekin Pasdermadjian, brachte es im Jahre 1908 noch zum armenischen Abgeordneten von Erzurum und führte im Ersten Weltkrieg auf russischer Seite eine Gruppe armenischer Freiwilliger im Kampf gegen die Osmanen. Am 26. August drangen die Terroristen um 18.30 Uhr in die Osmanische Bank ein, warfen Bomben, verschanzten sich hinter Säcken voll mit Silbermünzen, schössen wild um sich, nahmen Geiseln und verlangten - am Stil dieser Art Terrorüberfälle hat sich seit diesem für alle nachfolgenden Terrorkommandos beispielhaften Unternehmen nichts geändert - die Veröffentlichung und Erfüllung ihres Forderungskataloges: – Die Bestellung eines europäischen Hochkommissars für die Armenier des Osmanenreiches – Die Unterstellung der Gendarmerie und der Ordnungskräfte unter einen europäischen Offizier – Eine Rechtsreform nach europäischem Muster – Vollkommene Presse- und Religionsfreiheit – Eine Steuerumschichtung – Eine Steueramnestie – Eine Generalamnestie – Die Einsetzung einer europäischen Kontrollkommission zur Überwachung der Durchführung dieser Forderungen. Am Ende der üblichen Verhandlungen bei Geiselnahme und Morddrohung begaben sich der Generaldirektor der Osmanischen Bank, Sir Edgar Vincent, und der Chefdragoman der Kaiserlich Russischen Botschaft, Maximoff, in das belagerte Hauptgebäude und handelten - auch das ein gültiges Terrormodell bis heute - mit den Terroristen freies Geleit aus. Wenn auch nicht gleich die ganze britische und französische Mittelmeerflotte vor Istanbul aufkreuzte, um die insgesamt 17 Insurgenten feierlich in Empfang zu nehmen (wie es die Männer eigentlich erwartet hatten), war es immerhin die pompöse Privatjacht Sir Edgar Vincents, auf die sich die Bande zurückziehen konnte. Von dort stiegen Das Hauptportal der Osmanischen Bank in der BankalarStraße, Istanbul, Schauplatz des Überfalls am 26. August 1896. Der Überfall auf die Osmanische Bank mit Geiselnahme, Forderung nach Veröffentlichung eines erpreßten „Manifestes” und Verlangen (und Erhalt!) von „freiem Abzug” mit Hilfe ausländischer Mächte dient bis zum heutigen Tag den Terroristen in aller Welt als klassisches Terror- und Erpressungsmodell. Ein Nachspiel zu dem spektakulären Raubüberfall auf die Osmanische Bank mit eingeplanter Geiselnahme, Erpressung und ausländischer Intervention zugunsten der Terroristen: Die „Leipziger Illustrierte” berichtete damals nicht nur über die Ausstellung der bei armenischen Terroristen gefundenen Waffen und Sprengkörper, sondern auch über die alsbaldige Schließung der Ausstellung nach einer Intervention der Botschaften - so machte das heute noch gültige Terrorschema Schule. 69 sie später auf das französische Kriegsschiff La Gironde um, das sie sicher nach Marseille brachte, von wo aus sie weitere Terroranschläge planten und durchführten. Da der Überfall nur zum Teil seinen Zweck erfüllt hatte und die erwarteten und erhofften Unruhen nicht stattfanden (denn in der Folge solcher Unruhen gab es nicht nur Tote und Verwundete, sondern auch reichen Spendenfluß für die „armenische Sache”), halfen andere Terrorkommandos ein wenig nach und brachten am 30. August mehrere Bomben in Galata zur Explosion. Diesmal „funktionierte” die Sache insofern besser, als daraufhin die Möglichkeit bestand, von „4000-6000 toten Armeniern während der Unruhen” zu phantasieren, Zahlen, für die es nach einem Geheimbericht der britischen Botschaft (FO. 424/188, No. 149 und 169, 3. 9. 1896) „leider nicht den geringsten Beweis gibt”. Was machte das schon aus? Ein Modell-Terrorüberfall auf eine Bank mit anschließender Geiselnahme, erpreßter Veröffentlichung eines unannehmbaren Forderungskatalogs und freiem Abzug mit allem publizistischem Drum und Dran war ein für allemal geschaffen. 1980 (!) schreibt der Brite Christopher Walker in seinem Buch „Armenia - The survival of a Nation” zu diesem Überfall auf die Osmanische Bank: „Die Daschnaks, die entkamen, waren die Glücklichen. Man brachte sie auf die Gironde, die nach Frankreich auslief. Ihre armenischen Mitbürger blieben zurück, um vielfach für das Verbrechen zu büßen (to expiate - many times over - for the crime of terrorising . . .), eine terroristische Gesellschaft terrorisiert zu haben.” Die letzte Chance der Armenier - von den Daschnakisten vertan . . . Im Herbst des Jahres 1914 fand hier ein Kongreß der armenischen Daschnaksutiun-Partei statt, die Erzurum als Hauptstadt eines künftigen Großarmenien betrachtete. Die Koranschule „mit den zwei Minaretten” ist ein Wahrzeichen Erzurums. „Ars er Rum”, also „Land der Römer” nennt der arabische Geograph Ibn Battuta die Stadt; die Seldschuken eroberten sie im Jahre 1049. Die Byzantiner hielten hier im Jahre 632 eine Synode ab, in deren Verlauf den besiegten armenischen Fürstentümern die Annahme der griechischen Orthodoxie befohlen wurde. Als „Karen” gehörte Erzurum zum Bagratidenreich, das den Kalifen tributpflichtig war; die Türken setzten sich nach ihrem Sieg bei Mantzikert (1071) in Erzurum fest. 70 Eine entscheidende Wende im Schicksal des armenischen Volkes stellt der Ausbruch des Ersten Weltkrieges dar. Kurz vorher - das Osmanische Reich trat ja erst Anfang Novernber auf Seiten der Mittelmächte in den Krieg ein fand in Erzurum ein Kongreß der revolutionären Daschnaksutiun statt. Über den Verlauf gibt es recht unterschiedliche Berichte, vor allem über die Haltung der Delegierten zum Osmanischen Staat. Allerdings gibt es dazu eine Aussage von Hovhannes Katschasnuni, dem späteren Ministerpräsidenten der Unabhängigen Armenischen Republik, die er im Juli 1923 vor dem Bukarester Kongreß der Daschnaksutiun machte: „Am Beginn des Herbstes 1914, als die Türkei noch nicht in den Krieg eingetreten war, die Vorbereitungen dazu aber bereits anliefen, begann mit großer Begeisterung die Aufstellung revolutionärer Verbände in Transkaukasien (also im zaristischen Rußland, Anm. d. Übers.), und das mit besonders großem Lärm. Im Gegensatz zu den in Erzurum erst wenige Wochen vorher getroffenen Entscheidungen spielte die Armenische Revolutionäre Front eine aktive Rolle sowohl bei deren Aufstellung als auch bei ihrer künftigen militärischen Teilnahme am Kriegsgeschehen gegen die Türkei . . .” Nach einer kurzen Stellungnahme zu der für Hovhannes Katschasnuni betrüblichen Tatsache, daß sich die RAF Transkaukasiens selten an Beschlüsse gehalten hatte, setzt der ehemalige Ministerpräsident der Republik Armenien fort: „Es ist nutzlos, heute darüber nachzudenken, ob unsere Freiwilligenverbände ins Feld hätten ziehen sollen oder nicht. Geschichtliche Ereignisse haben ihre eigene, unwiderlegbare Logik. Im Herbst des Jahres’ 1914 organisierten sich armenische Freiwilligenverbände und kämpften gegen die Türken, weil sie sich aus diesem Kampf nicht heraushalten wollten. Das war das unvermeidliche Ergebnis einer Psychologie, von der sich das armenische Volk eine ganze Generation lang ernährt hatte: diese Geisteshaltung sollte ihren Ausdruck finden, und fand ihn daher auch . . . Die Aufstellung dieser militärischen Verbände war falsch, doch die Wurzeln dieses Irrtums müssen ganz wo anders gesucht werden, tiefer vor allem . . . Der Winter 1914 und der Frühling 1915 waren Zeitabschnitte größter Begeisterung und Hoffnung für alle Armenier des Kaukasus, einschließlich der Daschnaksu-tiun. Wir zweifelten nicht daran, daß der Krieg mit einem vollständigen Sieg der Alliierten enden werde; die Türkei würde besiegt und auseinandergenommen und ihre armenische Bevölkerung schließlich befreit werden. Rußland hatten wir aus vollem Herzen umarmt, ohne jeden Vorbehalt. Ohne jede wirkliche Grundlage glaubten wir, daß uns Rußlands zaristische Regierung eine mehr oder weniger breite Selbstregierung im Kaukasus einräumen werde, das aber auch in den von den Türken befreiten armenischen Vilayets, und zwar als eine Belohnung für unsere Loyalität, unsere Bemühungen und unseren Beistand.” Kaum jemand aus den inneren Reihen hat den Armeniern so trocken, selbstverständlich und kompromißlos die Wahrheit gesagt wie ihr eigener Premierminister der Armenischen Republik, Hovannes Katschasnuni. Wenn er von den „eigenen Wünschen, die wir in die Absichten anderer hineingetragen haben” spricht, weiß er, wovon er redet. Denn wie fast immer in ihrer Politik, hatten die Russen auch im Jahre 1914 die volle Wahrheit über ihre Absichten bezüglich Armenien verkündet (so wie später auch Lenin seine Absichten gegenüber der „kapitalistischen Welt” offen aussprach, nur glaubt es bis heute im Westen kaum jemand) - man brauchte bloß den Aufruf des Zaren lesen - nicht einmal genau lesen, so unverhüllt zerstörte er eigentlich alle armenischen Illusionen: „Armenier! Von Ost bis West haben alle Völker Großrußlands respektvoll auf meinen Ruf geantwortet. Armenier! Die Stunde ist gekommen, um euch von der Tyrannei, die euch 500 Jahre lang beherrschte, jener Tyrannei, die so viele von euch ausgelöscht hat und noch immer auslöscht, zu befreien. Die Russen erinnern sich gerne der glorreichen armenischen Mitbürger. Die Lazaroff und die Melikoff und andere haben an der Seite ihrer slawischen Brüder für den Ruhm des Vaterlandes gekämpft. Deren Treue ist auch uns ein Garant für eure Treue; Wir sind sicher, daß ihr alle eure Pflicht erfüllen werdet und für den Sieg unserer Waffen und unserer gerechten Sache alles beitragen werdet. Armenier! Ihr werdet mit euren Brüdern unter der Regie- Ein seldschukischer Doppeladler von der Medrese in Erzurum: die altseldschukischen Städte Sivas, Erzurum oder Konya wurden mit ihrer reichen Symbolik Zentren des türkischen Widerstandes gegen die Teilung Anatoliens. Im armenisch-amerikanischen Journal „Azk” erschien dieses Bild am 2. März 1915 - das heißt, die Aufnahme ist mindestens drei Monate älter als der Umsiedlungsbefehl der osmanischen Regierung, der infolge der ununterbrochenen bewaffneten Aufstände hinter der Front erlassen wurde. Das Foto zeigt Hintschakisten, die an der Kaukasusfront gegen die Osmanen kämpften. Zum Großteil handelte es sich dabei um Überläufer, die sich durch besondere Grausamkeit gegenüber der Zivilbevölkerung hervortaten. Armenieraufstand hinter der osmanischen Front, Februar/März 1915: Mit dabei ist Papkene (links hinten), der schon den Überfall auf die Osmanische Bank im Jahre 1896 mit organisierte. 71 rung der Zaren vereint sein und endlich die Wohltaten der Freiheit und der Gerechtigkeit erfahren!” Und was enthielt dieser Aufruf, außer der Feststellung, daß die Armenier - dereinst, russischen Sieg vorausgesetzt - unter der Regierung der Zaren vereint sein würden? Nicht die Spur eines Versprechens von Unabhängigkeit, nicht einmal die Andeutung einer Selbständigkeit oder wenigstens autonomen Selbstverwaltung. Und dennoch: Die Armenier lieferten sich selbst auf die russische Schlachtbank, ließen sich willig opfern auf dem Schachfeld russischer Großmachtpolitik - und haben nichts dazugelernt, bis heute, da sich der armenische Terrorismus, gewollt oder ungewollt, in den Dienst russischer Großmachtpolitik stellt. „Wir hatten uns selbst in unseren Hirnen eine dichte Atmosphäre der Illusion geschaffen. Wir hatten unsere eigenen Wünsche in die Absichten anderer hineingetragen, wir hatten jeden Wirklichkeitssinn verloren und ließen uns von unseren Träumen forttragen. Von Mund zu Mund, von Ohr zu Ohr gaben wir geheimnisvolle Worte weiter, die der Vizekönig gesagt haben sollte, wir schenkten unsere Aufmerksamkeit irgendeinem angeblichen Brief, den Worontzow-Daschkow dem Katholikos geschickt haben sollte, als handelte es sich dabei um ein gewichtiges Dokument unserer Rechte und Ansprüche - und dabei handelte es sich um nichts als ein schlau abgefaßtes Schriftstück, daß man auslegen konnte wie immer man wollte. Wir überschätzten einfach die Fähigkeiten des armenischen Volkes, seine politische und militärische Kraft, und wir überschätzten auch die Dienste und ihre Wichtigkeit, die unsere Leute den Russen leisteten. Und indem wir unseren äußerst bescheidenen Wert überschätzten, übertrieben wir auch unsere Hoffnungen und Erwartungen. Die Deportierungen und Massenaustreibungen und Massaker, die im Sommer und Herbst des Jahres 1915 stattfanden, waren für die Sache Armeniens tödliche Schläge. Die Hälfte des historischen Armeniens - und zwar genau jene Hälfte, wo ja die Grundlagen unserer Unabhängigkeit gelegt werden sollten, so wie wir es aus der Tradition der frühen achtziger Jahre übernommen hatten, und so wie wir es auch von der europäischen Diplomatie erhoffen durften - genau jene Hälfte also war nun aller Armenier entblößt; die armenischen Provinzen der Türkei standen nun ohne armenische Bevölkerung da. Die Türken wußten genau, was sie taten, und haben keinen Grund, heute irgendetwas zu bedauern. Es war die entschiedenste Methode, die armenische Frage in der Türkei ein für alle Mal zu beenden. Nochmals, es ist heute sinnlos, zu hinterfragen, bis zu welchem Ausmaß die Teilnahme der Freiwilligen am Kriege zum Unglück der Armenier beigetragen hat. Sicher aber ist, jedenfalls - und das ist das Wesentliche daß jener Kampf, der Jahrzehnte zuvor gegen die türkische Regierung begonnen hat, die Deportierung oder Auslöschung der Armenier in der Türkei gebracht hat, 72 diese Auslöschung eines türkischen Armeniens. Das war die schreckliche Tatsache!” Und einen kurzen Abschnitt weiter kommt der ehemalige Ministerpräsident der Republik Armenien zu dem Schluß: „Auf Grund einer ungewöhnlichen geistigen Verirrung vergaßen wir, eine politische Partei, daß unsere große Sache für die Russen bloß eine zufällige und triviale Phase (in ihrem Kampfe gegen die Osmanen und ihren Vormarsch zum Mittelmeer, Anm. d. Übers.) war, so trivial, daß sie, wenn notwendig, ohne einen Augenblick des Zögerns auch auf unseren Leichen herumtrampeln würden . . . Wenn die Russen auf dem Vormarsch waren, pflegten wir aus der Tiefe unserer Seele zu sagen, sie kämen, um uns zu retten . . . und wenn sie sich zurückzogen, sagten wir, sie lieferten uns dem Massaker aus. In beiden Fällen mißverstanden wir die Folgen, den Zweck und die Absicht . . .” 17. Mai 1915: Die Armenier erobern Van und stecken die moslemische Altstadt in Brand Titelblatt der Armenierzeitung „Hentschak” mit dem Kriegsaufruf der Hintschakisten gegen das Osmanische Reich, erschienen im Sommer 1914. Aufruf der Hintschakisten zu Beginn des Ersten Weltkrieges Das Komitee der Sozialdemokratischen Hintschak, das seit mehr als einem Vierteljahrhundert auf dem blutigen Pfade wandelt, um den Armeniern die Befreiung zu bringen . . . nützt die derzeitigen politischen Umstände, um die Glocke des Aufstandes und der Schlacht zu läuten und vom Gipfel des Taurus und den Grenzen Armeniens hinunterzusteigen in die Arena, um die osmanische Tyrannei im Blut zu ersäufen. Das Komitee der Hintschakisten faßt alle materiellen und moralischen Kräfte zusammen, nimmt, den Säbel des Aufstands in der Hand, an diesem gewaltigen Kampf um den Bestand der Nation teil, und zwar als Verbündeter der Tripelentente, und ganz besonders als Verbündeter der russischen Armeen, und mit allen Kräften und Mitteln der Revolution und der Politik, die ihm zur Verfügung stehen, wird es der Entente helfen, den Sieg in Armenien und in Kilikien zu erringen, im Kaukasus und in Aserbaidschan . . . Vorwärts, Kameraden, ans Werk! Unser Tod wird den Tod überwinden, der Armenien bedroht; Armenien wird dann ewig leben! Paris 1914 Hauptquartier des Komitees Sozialdemokratischer Hintschakisten Ein tragischer, aber bezeichnender Zufall wollte es, daß ausgerechnet am 24. April, als der osmanische Innenminister die Anordnung gab, die Parteifunktionäre, bekannte Revolutionäre und Aufrührer in Istanbul festzunehmen - von einem Umsiedlungsbefehl war noch keine Rede! - der Gouverneur von Van folgendes Telegramm nach Istanbul schickte: „BIS JETZT BEFINDEN SICH UNGEFÄHR 4000 ARMENISCHE REBELLEN IN DER UMGEBUNG DER STADT. DIE REBELLEN SPERREN STRASSEN, GREIFEN DIE DÖRFER DER UMGEBUNG AN UND STECKEN SIE IN BRAND: ES IST UNMÖGLICH IHRE ANGRIFFE ABZUSTELLEN. ZUR ZEIT SIND HIER VIELE FRAUEN UND KINDER OBDACHLOS. ES IST WEDER MÖGLICH NOCH ZWECKMÄSSIG SIE IN DEN UMLIEGENDEN DÖRFERN DER STÄMME UNTERZUBRINGEN. WÄRE ES NICHT MÖGLICH DAMIT ZU BEGINNEN DIE FRAUEN UND KINDER IN DIE WESTPROVINZEN ZU TRANSFERIEREN?” Wahrlich ein absurdes Telegramm: Der Gouverneur von Van wollte die islamischen Frauen und Kinder in den sicheren Westen schaffen - noch dachte niemand daran, die Armenier umzusiedeln, nur die Moslems. Am 8. Mai begannen die Armenischen Aufständischen einen Generalangriff in der Umgebung von Van, alle umliegenden islamischen Dörfer gingen in Flammen auf. Jetzt ordnete der osmanische Gouverneur Cevdet Pascha den Rückzug an. Am 17. Mai räumten die osmanischen Truppen Van. Am gleichen Tag zündeten die einrückenden Armenier die islamische Stadt an und errichteten eine totale Armenierherrschaft nach ihrem Sinn. Wenige Tage später trafen die russischen Vorhuten in Van ein - es waren armenische Einheiten; einige Tage darauf zogen reguläre russische Truppen nach. Bei ihrem Eintreffen überreichte der neue armenische Machthaber von Van, Aram, dem russischen Kommandeur General Nikolajew die Schlüssel der Stadt. Zwei Tage später bestätigte Nikolajew die amtierende provisorische armenische Regierung unter Aram als Gouverneur. Der Sinn dieser auffallenden russischen Großzügigkeit war klar: es sollte den Armeniern des Osmanenreiches Appetit auf ähnliche Selbstverwaltung nach ähnlichen Aufständen gemacht werden. Der Spuk dauerte bloß sechs Wochen, dann rückten die Osmanen vor und eroberten Van zurück. Sie zogen in eine leere Stadt ein: die Moslems waren umgebracht, und die gesamte armenische Bevölkerung, die amerikanischen Missionare eingeschlossen, flohen mit den Russen nach Norden, in das sichere Transkaukasien. 73 Frühling 1915: Armenische Freischärler, von den Russen mit Artillerie ausgerüstet, eröffnen hinter den osmanischen Linien eine zweite Front, um den Russen die Einnahme von Van zu erleichtern. Die 2. Kompanie des Freiwilligen-Regiments der Hintschakisten (aus „La Jeune Armenie” vom 20. Juli 1915). Eine Gruppe der 8. Kompanie eines armenischen HintschakistenRegiments, das gemeinsam mit den Russen an der Kaukasusfront gegen die Osmanen kämpfte. Bereit, Rache zu üben: Das armenische Kontingent im Kaukasus. Es hieß, die Truppe sei von den armenischen Komitees in Amerika und Europa aufgestellt worden, was möglicherweise bloß zum Zwecke leichteren Geldsammeins propagiert wurde. Die Anordnung des osmanischen Innenministers, die am 24. April die Verhaftung armenischer Separatistenführer und die Beschlagnahme belastenden Materials zur Folge hatte, zeitigte noch andere Erfolge: Hunderte Waffenlager wurden entdeckt, Waffen und Munitionsdepots, die auch Kanonen und schwere Minen umfaßten. Was sich in Van abgespielt hatte, nämlich die Eroberung einer Provinzhauptstadt durch armenische Rebellen hinter der osmanischen Front, wäre genau so gut in Adana, Maras, Ankara oder Adipazan möglich gewesen - im weiteren Verlauf des Krieges eine für die Osmanen gewiß tödliche Bedrohung. 74 Der Umsiedlungsauftrag: Die Ursachen und Folgen In aller Welt gedenken die Armenier am 25. April des Tages, an dem „der Völkermord an den Armeniern begann.” Das Gedenken ist aus mehreren Gründen zu überdenken. Der Gedenktag 25. April vermischt nämlich, gewiß in voller Absicht, Wirkung mit Ursache. Am 24. April 1915 hat der osmanische Innenminister Talaat Pascha tatsächlich telegrafische Anordnung gegeben, die Rädelsführer der Insurgenten zu verhaften -doch von einer Umsiedlung der armenischen Bevölkerung war, da noch immer nicht als notwendig erachtet, keine Rede. Das verschlüsselte Telegramm erging an die Gouverneure der von armenischer Subversion betroffenen Provinzen und lautet folgendermaßen: „Abermals haben die jüngsten Aufstände in Zeitun, Bitlis, Sivas und Van, gerade jetzt, wenn der Staat Krieg zu führen hat, gezeigt, daß die Armenischen Komitees weiterhin versuchen (mit Hilfe ihrer revolutionären und politischen Organisationen), für sie eine unabhängige Verwaltung auf osmanischem Boden zu errichten. Der Beschluß des Daschnak-Komitees nach dem Ausbruch des Krieges, die Armenier in Rußland gegen uns zu mobilisieren und die Armenier des Osmanischen Reiches zur Rebellion zu veranlassen, und zwar mit aller Kraft, Der ehemalige armenische Deputierte von Erzurum, Karekin Pastirmadjian - als Revolutionär trug er den Kriegsnamen „Armen Garo Nummer eins” - mit den Gruppenchefs Tero und Hetscho. Sie nehmen an einer der üblichen „Segnungen” teil, nach denen die fanatisierten, unwissenden jungen Idealisten ins Feuer geschickt wurden. Die „Armenskaja Isvestija” präsentierte ihren Lesern Kinder vornehmer armenischer Familien, die für eine verlorene Sache ins Feuer geschickt wurden: „Wir vergaßen ganz, daß die Armenier für die Russen bloß ein zufälliges, triviales Zwischenspiel bedeuteten . . .”, sagte der spätere armenische Ministerpräsident Katschasnuni nachher über diese Zeit. und das zu einem Zeitpunkt, als die osmanische Armee am schwächsten war, sind verräterische Handlungen, die Leben und Zukunft unseres Landes gefährden. Wieder hat sich gezeigt, daß die Aktivitäten dieser Komitees, deren Hauptquartiere sich in anderen Ländern befinden und die, selbst in ihren Namen, ihre revolutionären Attribute beibehalten, darauf abzielen, ihre Autonomie zu erringen und dabei jedweden Vorwand und alle Mittel nützen. Das hat sich bestätigt durch die Bomben, die in Kayseri gefunden wurden, in Sivas und anderen Gebieten, auch in den Handlungen der Armenier-Komitees, die an dem russischen Angriff gegen unser Land teilgenommen haben (indem sie Freiwilligenregimenter aufstellten, die auch osmanische Armenier enthielten, in der russischen Armee) und durch ihre Veröffentlichungen und Operationen, die darauf abzielen, die osmanische Armee von hinten anzugreifen. Selbstverständlich - da die Osmanische Regierung die Fortsetzung solcher Operationen und Anschläge niemals dulden wird, da sie eine Frage von Leben und Tod für den Staat bedeuten - hat sie sich veranlaßt gesehen, alle diese politischen Organisationen aufzulösen; sie wird auch die Existenz dieser Komitees nicht weiter dulden. Sie sind deshalb angewiesen, sofort alle Zweigstellen der Hintschak, Daschnak und ähnlicher Organisationen zu schließen, die in ihren Lokalen gefundenen Dokumente und Papiere zu beschlagnahmen und sicherzustellen, daß dieselben weder verlorengehen noch zerstört werden; alle führenden Personen sofort zu verhaften und auch alle festzunehmen, die der Regierung bereits als gefährlich bekannt sind. Armenier, deren Anwesenheit in einem bestimmten Gebiet als unangebracht angesehen wird, sind in andere Teile der Provinz zu schaffen, so daß sie in keinerlei gefährliche Handlungen mehr verstrickt werden können. Es ist nach verstecken Waffen zu suchen und außerdem sind die Militärkommandanten von allfällig möglichen Gegenaktionen zu verständigen. Wie in einem Treffen mit dem amtierenden Oberkommandierenden, sind alle im Zuge dieses Unternehmens festgenommenen Personen den Militärgerichtshöfen zu überantworten, wie auch die bei ihnen gefundenen Papiere. Alle diese Schritte sind sofort einzuleiten. Das Ministerium ist vom Fortgang der Operation, von der Zahl der Festgenommenen und ähnlichem zu unterrichten. Für Bitlis, Erzurum, Sivas, Adana, Maras, und Aleppo: Da diese Operation den einzigen Zweck hat, die Aktivitäten der armenischen Komitees zu treffen, wird streng befohlen, diese Verordnungen nicht in einer Weise durchzuführen, daß dabei gegenseitig Menschen aus den armenischen oder islamischen Volksgruppen ums Leben kommen. 11. April 1331 (24. April 1915) Der Innenminister” 75 Die Kämpfe um Van, im Frühling 1915, als die Armenier hinter den osmanischen Linien eine zweite Front eröffneten und so den Russen entscheidende Vorteile verschafften, stellten naturgemäß ein beliebtes Thema bei den Alliierten dar, die den Armenieraufstand nach Kräften unterstützten: im Hinterland mit Hilfe der Missionare, die ihre guten Dienste zur Verfügung stellten, und im allgemeinen Kriegsgeschehen durch Waffenlieferungen und Geld. Der groß angelegte Armenieraufstand im Vilayet Van, der zur Einnahme der Provinzhauptstadt durch die Insurgenten führte, fand zur gleichen Zeit statt, als die Alliierten mit massiven Angriffen an den Dardanellen die Hauptstadt des Osmanenreiches bedrohten. Die Anordnung zur Umsiedlung der Armenier aus den gefährdeten Gebieten wurde erst nach dem Armenieraufstand von Van erteilt. Am 7. April 1918 wurde Van wieder osmanisch. Der türkische Stadtteil war völlig zerstört; zu Füßen des urartäisch-osmanischen Burgberges lag nur mehr eine tote Ruinenstadt, heute ein bleibendes Mahnmahl gegen Gewalttätigkeit und Terror. 76 Die Anordnung vom 24. April - die Verhaftungen setzten in Istanbul am folgenden Tag ein, in der Provinz zum Teil etwas später - traf ausschließlich die Rädelsführer der Daschnaksutiun und der Hintschaks sowie einige polizeibekannte Aufrührer; mit einer allgemeinen Umsiedlungsaktion hatte die Anordnung absolut nichts zu tun. Der Befehl der Regierung, die Armenier als Volksgruppe aus den gefährdeten Gebieten umzusiedeln (Istanbul oder Izmirwaren, da als „sicher” und „unter Kontrolle” angesehen, überhaupt nicht betroffen), kam erst Monate später, und zwar nach dem fürchterlichen Angriff armenischer Terroristen und Freischärler auf die Stadt Van, der mit der Eroberung Vans, der Ausrufung einer „Armenischen Republik von Van”, der völligen Vernichtung des islamischen Stadtteils von Van und der Ermordung von etwa 30.000 Moslems einen entsetzlichen Höhepunkt des armenischen Terrors bildete. Nochmals, der Gedanke, die armenische Bevölkerung (also nicht nur die Rädelsführer der Terrorgruppen) aus den gefährdeten Gebieten umzusiedeln, kam erst nach der Katastrophe von Van. Die Regierungstruppen waren am 17. Mai 1915 von den Rebellen gezwungen worden, Van zu räumen - und das hinter den russischen Angriffslinien, die sich immer tiefer nach Ostanatolien vorschoben. Die Spitzen der russischzaristischen Angriffstruppen wurden von armenischen Freiwilligen gebildet, die sich durch besondere Grausamkeit gegenüber der islamischen Bevölkerung Ostanatoliens hervortaten. Mittlerweile waren die wahren Ausmaße der Katastrophe von Van auch in Istanbul bekannt geworden. Der Gedanke, die armenische Bevölkerung Anatoliens geschlossen umzusiedeln, kam erst nach der Rebellion von Van. Vorher gab es nur lokal beschränkte Inhaftierungen von Rädelsführern oder ortsbekannten Terroristen und nicht mehr. Das Konzept einer Umsiedlung entstand erst, als der amtierende Armeekommandant - gewitzigt von den entsetzlichen Folgen der armenischen Van-Revolte - in einem Geheim-Kommunique (No. 2049) dem Innenminister vorschlug, Schritte der Russen (die mit den Armeniern abgesprochen schienen!) mit gleichen Maßnahmen zu beantworten: „Die Armenier aus der Gegend des Vansees sowie in anderen Bezirken, der Gouverneur von Van kennt sie, sind noch immer mit der Vorbereitung von Revolution und Rebellion beschäftigt. Ich bin der Ansicht, daß diese Bevölkerung aus dem Gebiet entfernt werden sollte, und dieses Nest des Aufruhrs aufgebrochen werden sollte. Wie ich vom Kommandeur der 3. Armee erfahre, haben die Russen am 7. April (das ist der 20. April 1915) damit begonnen, die moslemische Bevölkerung auszutreiben und sie - ohne ihr Eigentum - über unsere Grenzen zu stoßen. Es ist notwendig, in Beantwortung dieser russischen Vorgangsweise, entweder die Armenier nach Rußland zu schicken oder sie und ihre Familien in andere Gebiete Anatoliens umzusiedeln. Ich ersuche darum, die entsprechenden Befehle zu erteilen. Wenn nichts dagegen einzu- wenden ist, würde ich vorschlagen, die Urheber dieser Aufstände samt ihren Familien über unsere Grenze zu schicken (also nach Russisch-Armenien) und sie anstelle der islamischen Flüchtlinge, die uns die Russen über die Grenze schickten, anzusiedeln. 19. April 1331 (2. Mai 1915)” Die Bedeutung dieses Dokuments liegt darin, daß es klar die Beweggründe des Armee-Oberkommandos aufzeigt: die Russen hatten die gesamte islamische Bevölkerung des Kaukasusgebietes nach Ostanatolien geschickt, ihr nichts als das nackte Leben gelassen, und im Ostteil des Osmanenreiches - vor allem in Van - hatten die Armenier total die Macht ergriffen, die Moslems umgebracht und ihre „Armenische Republik Van” ausgerufen. Die Entscheidung, unter diesen Umständen die Armenier Anatoliens - innerhalb der Reichsgrenzen des Osmanenreiches - „in Gegenden umzusiedeln, die als sicherer galten”, Der Burgfels von Van, mit seiner aus urartäischer Zeit stammenden Festungsanlage. Unterhalb der Zitadelle die Ruinen des ehemaligen islamischen Stadtteiles von Van, der im Zuge des Armenieraufstandes von Van von den Terroristen völlig eingeebnet wurde. 30000 Moslems fanden hier innerhalb weniger Tage den Tod. Ein „Hiroshima” des Terrors: Nur die Grundmauern der islamischen Stadt Van blieben erhalten und einige Überreste einst stolzer, mächtiger Moscheen. Der Armenieraufstand von Van hatte im Februar 1915 begonnen und erreichte im April einen ersten Höhepunkt. Die islamische Altstadt von Van wurde am 17. Mai von den Rebellen angezündet, am gleichen Tag, als sich die kleine osmanische Garnison aus der Stadt zurückziehen mußte. Erst am 22. Juli 1915 konnten die Osmanen Van zurückerobern, und in der Zwischenzeit wurde die gesamte islamische Bevölkerung von Van, die nicht rechtzeitig hatte flüchten können, von den armenischen Terroristen liquidiert. 77 Ein türkisches Denkmal für die islamischen Opfer des Armenieraufstandes vom Frühjahr 1915; unterhalb des Monuments ruhen in einer Mulde, die sich zum Vansee hin öffnet, 5000 Moslems, die an der gleichen Stelle zusammengetrieben und niedergemacht worden waren. Eines der zahllosen islamischen Bauwerke von Van, die während des Armenieraufstandes zugrundegingen. Während immer wieder - berechtigte - Forderungen nach Wiederherstellung oder Erhaltung armenischer Bauwerke in Ostanatölien laut werden, kümmerte sich bisher die Weltöffentlichkeit um die genau so gefährdeten islamischen Monumente der Region - wie diese osmanische Moschee überhaupt nicht; es verhält sich dabei ähnlich wie bei den moslemischen Opfern der Armenieraufstände, von denen außerhalb der Türkei noch niemals gesprochen wurde, obwohl die islamische Bevölkerung ein Vielfaches an Menschenleben zu beklagen hatte. 78 dem Zugriff der Russen oder der Ententemächte Europas nicht so ausgesetzt waren, ist wohl verständlich. Die osmanische Regierung veröffentlichte in der Folge in der Tavim-i Vakayi (der „Osmanischen Zeitung”, Amtsblatt des Reiches) am 19. Mai 1311 (am 1. Juni 1915) folgende Verordnung: „Artikel 1: Für die Dauer des Krieges sind Armee, Armeekorps und Abteilungskommandanten sowie unabhängige Befehlshaber befugt und verpflichtet, alle Anzeichen von Widerstand oder Angriff strengstens zu ahnden und, sollten sie auf bewaffneten Widerstand stoßen, im Sinne der Verteidigung des Vaterlandes durchzugreifen. Artikel 2: Die Armee, Armeekorps und Abteilungskommandanten sind befugt, die Bevölkerung von Dörfern und Städten ab- und umzusiedeln, sei es einzeln oder gemeinsam, und das entsprechend den militärischen Bedürfnissen, aber auch in Beantwortung jedes Anzeichens von Verrat oder Betrug. Artikel 3: Diese vorläufige Regelung wird am Tage ihrer Veröffentlichung rechtskräftig.” Zweifellos sind bei der Umsiedlungsaktion der Armenier im Jahre 1915 und danach viele unschuldige Menschen um Hab und Gut, Gesundheit, ja um das Leben gekommen, viele Armenier und ein Vielfaches an Moslems. Die unweigerliche Frage nach der Schuld an diesen tragischen Ereignissen findet ihre Antwort wahrscheinlich im passiven Verhalten der überwältigenden Mehrheit innerhalb der damaligen armenischen Minderheit des Osmanenreiches. Jahrzehntelang hatte die Mehrheit des armenischen Bevölkerungsanteiles geduldet, daß innerhalb ihrer Volksgruppe eine Minderheit von fanatischen Parteigängern eines unsinnigen, undurchführbaren und absolut ungerechten Unabhängigkeitsstrebens (die Armenier verfügten nirgendwo im Osmanenreich über eine Mehrheit) immer mehr Macht gewann, Moslems und Armenier terrorisierte und schließlich sogar, nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges, in offenen Bürgerkrieg überging. In den Wirren des Krieges, als das Osmanenreich schließlich um seine nackte Existenz kämpfen mußte, blieb keine andere Wahl, als diese Umsiedlungsaktion durchzuführen. Die Ereignisse nach dem Ende des Weltkrieges, als die Alliierten nach Anatolien eindrangen und die Griechen fast bis Ankara vorstießen, bewiesen, wie richtig die Verantwortlichen des Umsiedlungsauftrages gehandelt hatten. Hätte sich die „schweigende Mehrheit” der osmanischen Armenier rechtzeitig gegen die Wahnsinnspläne ihrer revolutionären Einpeitscher und der „romantischen” Ansichten der Missionare gewandt - vielen Armeniern und noch viel mehr Moslems des Osmanenreiches wäre unendliches Leid erspart geblieben. So aber mußten viele für die Vergehen einer Minderheit büßen. Oft - allzu oft - ist es eine Frage des Durchsetzungsvermögens der vernünftig und besonnen denkenden Mehrheit gegenüber ihrer unbesonnenen Minderheit von Aufrührern, Fanatikern oder Romantikern, ob einem Volk oder einer Volksgruppe Unheil widerfährt oder nicht. Keinem Volk, das sich von einer Minderheit verführen oder zum Schweigen bringen ließ, erging es anders; auch die deutschen Nationalsozialisten bildeten eine Minderheit des deutschen Volkes und zwangen die Mehrheit der friedliebenden Deutschen in einen Weltkrieg, für den schließlich alle Deutschen zu bezahlen hatten, mit Hab und Gut, Verlust der Heimat, mit dem Leben, ob sie nun Nationalsozialisten gewesen waren oder nicht. Das erschreckende an der Geschichte des armenischen Volkes scheint zu sein, daß die überwältigend große, so fleißige, intelligente und hochgebildete Mehrheit der Armenier sich von einer Handvoll fanatischer Parteigänger eines irrationalen Rachefeldzuges manipulieren, erpressen, verleiten und unterdrücken läßt, schweigend die Terrorakte der Kampfgruppen oder Befreiungskämpf er, oder wie immer sich die Terroristen nennen mögen, übergeht, um Besitz, Gesundheit oder Leben fürchtet, still an die Terrorgruppen zahlt und so tut, als wäre nichts geschehen, wenn wieder eine Bombe hochgeht, wieder Unschuldige oder Aufrechte zugrundegehen. Es war vor dem Ersten Weltkrieg nicht anders; heute kommt der Mythos vom Völkermord hinzu, der als Entschuldigungsgrund herhalten muß, auch wenn es sich in Wahrheit ganz anders verhalten hat. Univ.-Prof. DDr. Justin McCarthy (Lousville) über seine Forschungsergebnisse: „Über die Armenier im Osmanischen Reich wurde schon viel Unwahres erzählt, besonders über die Zahl der Armenier, die seinerzeit im Osmanenreich lebten, und was mit den Armeniern geschah. Diese Karte zeigt das historische Armenien - was nichts damit zu tun hat, wieviele Armenier tatsächlich dort lebten, oder ob jemals Armenier dort herrschten. Es ist ein Gebiet von der russischen Grenze bis ans Mittelmeer. Gegen Ende der Zeit des Osmanenreiches bestanden hier sechs Provinzen - genannt „Wilajets”. Dort gab es wohl Armenier - aber in keinem einzigen Wilajet waren mehr als ein Drittel Armenier, meistens waren es viel weniger. Tatsache ist: Wäre die gesamte armenische Weltbevölkerung in Ostanatolien zusammengezogen worden, wären die Moslems in Armenien immer noch in der Mehrzahl gewesen. In Wirklichkeit lebten sie aber nicht dort, und das Verhältnis Moslems: Armenier stand 6:1. Nach Beginn des Ersten Weltkrieges beschloß die osmani-sche Regierung, Armenier, die sie als Bedrohung ansahen, aus diesen Regionen in den Süden umzusiedeln. Eine weit größere Anzahl von Armeniern, als jemals zum Umsiedeln gezwungen wurden, flohen mit den Russen nach Norden. Im Weltkrieg gab es eine unerhörte Sterblichkeitsrate. Typhus, Cholera wüteten; außerdem gab es drei Jahre lang keine Ernte. Viele Menschen, die hier lebten, verhungerten, fielen einer Seuche zum Opfer - oder wurden umgebracht. Ich meine Mord - wenn etwa die Russen nach Van vorstießen, das von den Armeniern gegen ihre eigene, osmanische Regierung besetzt gehalten wurde. Stießen die Russen vor, brachten die Armenier zahllose Moslems um. Das war ein Vor - und Zurück - über drei Jahre hinweg. Eine Menge Armenier wurde von Moslems umgebracht, viele Moslems von Armeniern. Univ.-Prof. DDr. Justin McCarthy befaßte sich besonders mit der Bevölkerungsstatistik im Osmanischen Reich. Er ist Autor des Buches „Muslims and Minorities - The Population of Ottoman Anatolia at the End of the Empire”, in dem er wissenschaftlich nachweist, daß die armenische Minderheit im Osmanenreich in keinem einzigen Vilayet, ja nicht einmal in Van selber, wo sie am stärksten vertreten waren, über die Mehrheit verfügte. Sein Buch „Muslims and Minorities” erschien 1983 bei „New York University Press”, New York and London. Grafische Darstellung der anatolischen Provinzen mit ihren Mehrheitsverhältnissen im Jahre 1912, aus: Muslims and Minorities, The Population of Ottoman Anatolia and the End of the Empire, New York University Press, von Justin Mcarthy. 79 Im Jahre 1915, als die große Umsiedlungsaktion der Armenier anlief, endete die Bahnlinie aus Zentralanatolien mitten im Taurus, in Pozanti. Von dort aus gab es nur mehr Straßenverbindungen nach Syrien; erst 1916 konnten die Deutschen die Bahn nach Aleppo vollenden. Von Pozanti aus hatten alle Reisenden zu Fuß zu gehen oder Wagen zu benützen; auch der gesamte militärische Nachschub (das Bild zeigt Truppen auf dem Weg über den Taurus nach Syrien) wurde mit den einfachsten Hilfsmitteln bewältigt. Zwischendurch stießen die Russen nach Süden vor und gingen zurück, dann stieß wieder die osmanische Armee vor und zog sich zurück, und mit jedem Vormarsch oder Rückzug zogen die Menschen, die sich mit Russen oder Osmanen identifizierten vor - oder zurück. Wenn die Russen auf dem Rückzug waren, gingen die Armenier zurück. Wenn die Osmanen verloren, zogen die Moslems, Turkvölker vor allem, mit ihnen und immer gab es dabei hohe Verluste. Das Elend betraf das gesamte Gebiet von Ägäis und Mittelmeer bis zum Schwarzen Meer und dem Kaukasus. In dem gesamten Gebiet gab es ungefähr 600.000 tote Armenier. Im gleichen Gebiet aber zweieinhalb Millionen tote Moslems - meistens Türken. Allein hier gab es gut eine Million tote Türken, zumindest waren die meisten moslemischen Toten Türken. In dem Gebiet, das man Armenien heißt, gab es um viele Hunderttausende mehr islamische als armenische Tote. Ich weiß, es heißt, hier seien Armenier hingemordet worden. Bis zu einem gewissen Ausmaß ist das wahr. Aber um die geschichtliche Wahrheit zu sagen, müssen wir daran erinnern, daß hier auch Moslems ermordet wurden, tatsächlich viel mehr Moslems, und wir müssen bedenken, daß die Zeit vor, in und nach dem Ersten Weltkrieg eine zutiefst unmenschliche Zeit war, eine Zeit der Massenmorde und der Unmenschlichkeit, und daß sie alle betraf, nicht einfach Armenier oder Türken. Wir müssen das ganze als menschliches, nicht als sektiererisches Problem betrachten. Das war nicht etwas, was Armenier allein betraf; wer das nicht begreift, wird nie verstehen, was damals geschah.” 80 Franz Werfeis weltberühmter Roman „Die vierzig Tage des Musa Dagh” soll eine „moderne Saga einer verfolgten und zum Widerstand entschlossenen Minderheit” sein; er sollte „das unfaßbare Schicksal des armenischen Volkes dem Totenreich alles Geschehenen entreißen”. Die amerikanische Ausgabe des Romans begründete Werfeis Weltruhm und wurde nicht nur von den Armeniern, sondern auch von den Juden in aller Welt als „Gleichnis der Leiden ihres Volkes verstanden” heißt es richtig im Klappentext zu einer Fischer-Ausgabe der „Vierzig Tage”. Aber die zentrale, die grundlegende Aussage des Romans von Franz Werfel, daß nämlich die Verantwortlichen des Osmanischen Reiches einen Ausrottungsbefehl gegeben hätten, ist falsch. In Werfeis Diktion liest sich die makabre Szene zwischen dem osmanischen Kriegsminister Enver Pascha und dem Innenminister Talaat Pascha (die als Verantwortliche für einen Völkermord hingestellt werden) so: „Ein Sekretär bringt einen Pack Depeschen, die Talaat im Stehen zu unterschreiben beginnt. Beim Sprechen blickt er nicht auf: ,Diese Deutschen fürchten ja nur das Odium der Mitverantwortlichkeit. Sie werden uns aber noch um ganz andere Dinge betteln müssen als um die Armenier.’ Damit wäre wohl das Gespräch über die Verschickung für heute erledigt, würde nicht ein neugieriger Blick Envers die Depeschen streifen. Talaat Bey bemerkt den Blick und läßt, indem er sie schwenkt, die Papiere rauschen: ,Die genauen Weisungen an Aleppo! Mittlerweile, denke ich, dürften die Straßen wieder leer sein. Im Laufe der allernächsten Wochen werden Aleppo, Alexandrette, Antiochia und die ganze Küste abgehen können.’ ,Antiochia und die Küste’, wiederholt Enver fragend, als hätte er zu diesem Punkt eine Bemerkung zu machen. Aber er sagt keine Silbe mehr, sondern sieht gespannt auf die dicken Finger Talaats, die unaufhaltsam wie im Sturmangriff ihre Unterschrift unter die Texte setzen. Dieselben biedermännisch derben Finger haben den unchif-frierten Befehl verfaßt, der an alle Walis und Mutessarifs erging: ,Das Ziel der Deportation ist das Nichts.’ Die raschen Schriftzüge zeigen den Schwung einer unerbittlichen Überzeugung, die kein Bedenken kennt. Jetzt richtet der Minister seinen ungeschlachten Körper aus der gebückten Stellung auf: ,So! Im Herbst werde ich all diesen Leuten mit der größten Aufrichtigkeit antworten können: La question armenienne n’existe pas.’” Franz Werfel nimmt mit dieser Wortwahl geradezu seherisch die „Wannsee-Konferenz” vorweg, in der die Mächtigen des Dritten Reiches, diabolische Gestalten wie Himmler und Kaltenbrunner, die Vernichtung des jüdischen Volkes beschließen; für manche allerdings bildet die Schlüsselszene in Franz Werfeis „Die vierzig Tage des Musa Dagh”, in der die zu diabolischen Existenzen dimi-nuierten Türken Enver Pascha und Talaat Pascha die Ausrottung der osmanischen Armenier „beschließen”, hinreichend Entschuldigungsgrund für blinden Terror und wütende Racheakte - und das, obwohl Franz Werfeis Argumentation zur Gänze auf den gefälschten Dokumenten des Aram Andonian beruht. Franz Werfeis Roman beruht auf dem Wissensstand des Dichters, den er sich im Umgang mit armenischen Kontaktpersonen angeeignet hatte - gewiß nach bestem Wissen und Gewissen; als er merkte, daß er Fälschungen aufgesessen war, wagte er es aus Furcht vor armenischen Racheakten nicht, die Wahrheit einzubekennen. (Auf die diesbezügliche Aussage eines jüdischen Freundes Franz Werf eis kommen wir noch zu sprechen). Ein Derwisch aus Konia: Nach dem Informationsstand Franz Werfeis zeichneten sich die sunnitischen religiösen Orden durch besonderen nationalen Fanatismus aus, was nicht der Wahrheit entspricht. Der Mosesberg - Musa Dagh - Schauplatz des Dramas der von den Alliierten zum Bürgerkrieg aufgehetzten Armenier. 81 Die Tatsache, daß Dschemal Pascha in dem Buche des Johannes Lepsius „Deutschland und Armenien” ungewöhnlich gut wegkommt (das Buch diente Franz Werfel weitgehend als Unterlage für seine „40 Tage”) schlägt sich auch in einer indirekten Aussage Franz Werfeis über Dschemal Pascha nieder. An einer Stelle seines Romans läßt er über einen eifernden Jungtürken denunzierend sagen: „Einer der jüngeren Müdürs verstieg sich sogar zu der Behauptung, Dschemal Pascha sei trotz seiner bekannten Rolle in der Regierung, was die Armenier anbetrifft, nicht ganz zuverlässig und habe sogar mit ihnen in Adana paktiert”. Wie ernst die armenische Mafia solche Aussagen nimmt, geht daraus hervor, daß in der gängigen amerikanischen Ausgabe der „40 Tage” („The Forty Days of Musa Dagh”, erschienen bei Carroll & Graf Publishers, New York, published by arrangement with Viking Penguin Inc.) diese Stelle einfach gestrichen ist. Ein überaus sorgfältiger Lektor (besser: Zensor) hat alle Absätze in Werfeis Roman, die auch nur in die Nähe einer objektiven Aussage rücken, ersatzlos herausgestrichen; im Falle von Dschemal Pascha sollte offensichtlich der Mord an diesem Manne, der alles Menschenmögliche für die Armenier getan hat, auch noch gerechtfertigt werden. Die am Kampf gegen die Türkei interessierten armenischen Kräfte kennen die Schwachstellen in Franz Werfeis Roman „Die 40 Tage des Musa Dagh” nur zu genau, auch jene, in der sich der Autor auf geschichtliche Daten einläßt und - in gutem Glauben, aber sträflich leichtsinnig bei der Einholung der historischen Daten - den armenischen Aufstand von Van nach der Verkündigung des Umsiedlungsbefehles ausbrechen läßt. Bei Franz Werfel liest sich das so: „Der Staatsräson ist es niemals darauf angekommen, eine anmutige Volte zwischen Ursache und Wirkung zu schlagen. Das schlechte, jedoch umso denkfaulere Gewissen der Welt, die Presse der jeweiligen Machtgruppen und das durch sie verschnittene Hirn ihrer Leser haben das Ding immer nur so gedreht und verstanden, wie sie es gerade brauchten”. Es ist, als ob der armenische Zensor, der diese Stelle aus der englischen Übersetzung eliminierte, die nachfolgenden Zeilen - die er gleichfalls gestrichen hat - gemeint haben muß: „Über die Sache von Wan durfte man bestimmten 82 Ortes empört schreiben und empörter lesen: ,Die Armenier haben gegen das osmanische Staatsvolk, das sich in schwerem Krieg befindet, die Waffen erhoben und sind zu den Russen übergegangen. Die von Armeniern bewohnten Vilajets müssen daher von diesem Volke durch Deportation befreit werden.’ Ähnliches konnte man in den türkischen Verlautbarungen lesen, nicht aber die Umkehrung, welche die Wahrheit enthielt: ,Die Armenier von Wan und Urfa haben sich, in Verzweiflung über die längst im Gang befindliche Deportation, gegen die türkische Militärmacht so lange zur Wehr gesetzt, bis sie durch den Einmarsch der Russen erlöst worden sind’”. Es steht außer Zweifel, daß Franz Werfel, bei der Abfassung seines Romans „Die 40 Tage des Musa Dagh” ausschließlich aus armenischen Quellen und aus dem Informationszustand eines Johannes Lepsius schöpfend, von dem, was er schrieb, überzeugt war: daß nämlich der Aufstand von „Wan” (wie man damals noch schrieb) eine Reaktion auf den Umsiedlungsbefehl gewesen sei, sozusagen eine verzweifelte Notwehr. Die Wahrheit ist genau umgekehrt: der Aufstand, der Auftakt zum Bürgerkrieg in der Ostprovinz Van, begann schon im Februar 1915 - fast zwei Monate vor dem Umsiedlungsbefehl, der eine Folge des Aufstandes von Van war; keineswegs war der VanAufstand eine „Abwehrreaktion” gegen den Umsiedlungsauftrag, das heißt wahrlich, die Wahrheit auf den Kopf stellen. Die armenischen Kreise, die Werfeis Roman in der englischen Ausgabe derartig verstümmeln und hinterhältig kürzen, wissen selbstverständlich genau, warum sie diese Stellen - in diesem Fall ist es eine ganze Druckseite - aus dem Buche Franz Werfeis herausnehmen (ohne übrigens irgendwo auch nur eine Silbe darüber zu verlieren, daß der Roman dergestalt umgeändert wurde): heute gibt es bereits vereinzelt Geschichtswerke, in denen sich Interessierte über die wirklichen Zeitabläufe und Geschehnisse informieren können; in der einen oder anderen Bibliothek gibt es sogar noch einschlägige Publikationen, in denen die Armenier ihren Krieg gegen die Osmanen rühmen. In der Zwischenzeit sind allerdings fast alle Bibliotheken von diesen Publikationen gesäubert worden und es ist mitunter schon recht schwierig, einer Zeitschrift wie „Der Orient”, die Johannes Lepsius herausgegeben hat, noch habhaft zu werden. Der Aufstand von Van war Ursache und nicht Folge der armenischen Tragödie. Dasselbe gilt für den Musa Dagh: Zuerst kamen Aufstand und Bürgerkrieg, dann der Umsiedlungsbefehl. Der uneinnehmbare Burgfelsen von Van, von den Trümmern der im Bürgerkrieg von 1915 völlig zerstörten moslemischen Altstadt von Van aus gesehen. Armenische Flüchtlinge vom Musa Dagh, die nach ihrer Flucht aus der Bergfestung von Schiffen der Entente aufgenommen wurden; an Bord eines französischen Kreuzers wurden sie nach Ägypten und Marseille gebracht. 83 Die Fälschungen des Aram Andonian Spätestens seit dem Ersten Weltkrieg, als das Osmanische Reich auf Seiten der Mittelmächte Deutschland, Österreich-Ungarn und Bulgarien gegen die Ententemächte England und Frankreich sowie deren Verbündete kämpfte, wurde den Osmanen bewußte Ausrottungspolitik gegenüber ihrer armenischen Minderheit vorgeworfen. Im Kriege war das - im Zuge der groß angelegten Kriegspropaganda - Teil eines der üblichen Konzepte, wie sie von allen Regierungen zu allen Zeiten praktiziert wurden. Im Falle der Osmanen und ihrer türkischen Erben verlief die Sache allerdings dramatischer. Die Hetze gegen die Türken ließ nicht nach, im Gegenteil; warf man den Osmanen zunächst Massaker vor, steigerte sich die Wortwahl nach dem Zweiten Weltkrieg in den Vorwurf des Völkermordes, offensichtlich mit der Absicht, das Schicksal von Armeniern in den Wirren des Ersten Weltkrieges mit der Ausrottungspolitik Hitlers am jüdischen Volk in Verbindung zu bringen. Ausgangspunkt der Anklage gegen die Osmanen (später gegen die Türken) war ein Buch, das im Jahre 1920 geschrieben wurde, „Die Erinnerungen von Naim Bey: Offizielle türkische Dokumente zu den Armeniermassakern und Deportationen” (Documents Officiels concernant les Massacres Armeniens). Aram Andonian veröffentlichte sein Buch im Jahre 1920 gleichzeitig in Paris, London und Boston, und zwar in Englisch, Französisch und Armenisch. Seit damals bilden die Dokumente, die Andonian veröffentlichte, Rückgrat und Basis aller armenischen Anklagen gegen die Osmanen und ihre türkischen Erben. Aram Andonian gibt vor, in Aleppo nach dem Einmarsch der Briten einen osmanischen Beamten namens Naim Bey kennengelernt zu haben, der ihm - Andonian - die Papiere mit den Mordbefehlen zugespielt habe. Ohne hier näher auf die gravierenden Unterschiede in der englischen und französischen Ausgabe dieser „Documents Officiels” eingehen zu wollen, muß gesagt werden, daß nach dem Studium beider Editionen nicht mehr klar ist, ob es sich nun um Erinnerungen dieses Naim Bey oder Aram Andonians handelt. Im Text der englischen Ausgabe finden sich verstreut ins gesamt 48 offizielle osmanische Dokumente, die folgenden Personen oder Institutionen zugeschrieben werden: Person/Organisation Zahl der Dokumente Innenminister Talaat Pascha 30 Direktor der Siedlungskommission von Aleppo Abdülahad Nun Bey 8 Gouverneur von Aleppo, Abdülhalik Bey 3 Komitee für Einheit und Fortschritt (damals die Regie rungspartei, der auch Enver und Talaat angehörten) 2 Kriegsminister Enver Pascha 1 84 Innenministerium Gouverneur des Gebiets Deir es Zor, Zeki Bey Gouverneur des Gebietes Antep, Ahmed Bey Nicht zuzuordnen 1 1 1 1 Nicht alle diese Dokumente sind vollständig; manchmal fehlt das Datum, manchmal die laufende Nummer, gelegentlich beides. Insgesamt ist genau die Hälfte schon in dieser Beziehung defekt. Die Originale der von Andonian abgedruckten Papiere wurden niemals gesichtet. In seinen Büchern erscheinen Abbildungen von 14 Dokumenten; als er nach den Vorlagen gefragt wurde, gab er an, sie seien verloren, nicht ein einziges der von Andonian produzierten Originale ist heute irgendwo auffindbar. Wahrscheinlich sind die Dokumente vernichtet worden, um den Nachweis der Fälschung zu erschweren; Andonian hat allerdings derartig viele Fehler bei der Herstellung der Papiere begangen, daß die Aufdeckung der Fälschung mit absoluter Sicherheit auch ohne seine ursprünglichen Papiere möglich ist. Die falschen Daten Die einfachste, absolut unwiderlegbare Methode, die Papiere des Aram Andonian als Fälschung auszuweisen, ist seine irrtümliche Verwendung der Kalenderangaben; Andonian läßt - um nur ein Beispiel zu nennen - den Gouverneur von Aleppe zu einem Zeitpunkt Dokumente unterschreiben, da er noch nicht einmal ernannt war und noch in Istanbul lebte. Naturgemäß verwendete Andonian bei seinen Fälschungen den Rumi-Kalender, der damals im Osmanischen Reich in Verwendung stand. Der Rumi- (römische) Kalender der Osmanen war eine besondere Spielart des allgemeinen islamischen Kalenders, der von der Hedschra, der Flucht Mohammeds von Mekka nach Medina im Jahre 622 n. Chr., ausgeht. Da er nach Mondjahren berechnet wurde, waren bei der Ermittlung des Rumi-Kalenders nur 584 Jahre abzuziehen, das Jahr 1987 A. D. wäre nach Rumi-Kalender 1403. Doch der Rumi-Kalender weist noch eine Tücke auf, man rechnet nicht nur 584 Jahre, sondern auch 13 Tage dazu. Das Rumi-Jahr begann jeweils am 1. März. Das bedeutet, daß die letzten beiden Monate des Rumi-Kalenders (also Januar und Februar) bereits die ersten Monate des christlichen Kalenders sind. Das richtige Jahr - nach christlicher Zählung - für diese beiden letzten Monate des Rumi-Kalenders werden ermittelt, indem man 584 plus einem Jahr rechnet. Ein Beispiel: Der 5. Januar des Jahres 1331 (Rumi) entspricht dem 18. Januar des Jahres 1916 A. D. (1331+584+1 und 13 Tage). Das ist aber noch nicht genug der Tücke. Wie gesagt, das osmanische Jahr begann immer mit dem 1. März. Im Februar des Jahres 1917 wurde - um die Umrechnung zu erleichtern - die Differenz von 13 Tagen zwischen Rumiund Gregorianischem Kalender abgeschafft, allerdings blieb die Jahreszählung mit der Differenz von 584 Jahren unverändert. Auf diese Art wurde der 16. Februar 1332 (Februar 1917) plötzlich zum 1. März 1333 (oder 1. März 1917 A. D.) und zur gleichen Zeit wurde das Jahr 1333 (1917) als ein Jahr mit zehn laufenden Monaten vom 1. März bis 31. Dezember angesehen. So wurde der 1. Januar 1334 zugleich der 1. Januar 1918 A. D. (Nur zur Information: Die Türkische Republik nahm den Gregorianischen Kalender erst im Jahre 1925 an, womit das Rumi-Jahr 1341 zu 1925 A. D. wurde.) Diese kalendertechnischen Angaben mögen sich sehr kompliziert und uninteressant ausnehmen, sind aber im Zusammenhang der „Vierzig Tage des Musa Dagh” und den Fälschungen Aram Andonians, denen Franz Werfel zunächst aufgesessen ist, von entscheidender Bedeutung. Bei der Zählung (und fortlaufenden Numerierung) der „Andonian-Papiere” und der echten Dokumente der osmanischen Regierung darf auch nicht übersehen wer- Ein von Aram Andonian gefälschter Brief mit dem Datum 18. Februar 1331 (2. März 1916). Der Brief beginnt oben mit einem „Bismillah” (einem Segensspruch), wie er von einem Moslem niemals geschrieben worden wäre. Der fatalste Irrtum passierte dem Fälscher Andonian jedoch mit dem Datum. Da er sich offenbar mit den Tücken der Umrechnung des Rumi-Jahres der Osmanen und der Beseitigung einer Differenz von 13 Tagen zwischen Rumi-Kalender und Gregorianischem Kalender nicht richtig vertraut gemacht hatte, datierte er ihn gleich um ein ganzes Jahr falsch, an Stelle von 1330 kam er bereits in das Jahr 1331 also 1916, obwohl der Inhalt dieses Briefes so abgefaßt ist, daß er die lange Vorausplanung der Umsiedlungsaktion beweisen soll. 85 den, daß die Ordnungszahlen der ein- und ausgehenden Dokumente stets mit dem 1. März begannen (1333 Rumi = 1917 A. D.) und, durchnumeriert, mit dem 28. Februar (dem letzten Tag des Rumi-Kalenders) endeten. „Neujahr” war dann wieder 1. März. Nun passierte Aram Andonian schon bei der Fälschung des wichtigsten Briefdokuments, dem er die Nummer eins gab, ein entscheidender Fehler. Doch zunächst zu den wichtigsten Abschnitten dieses Dokuments. Dokument Nr. 1 „Im Namen Gottes, des Barmherzigen des Gnädigen. An Dschemal Bey, den Delegierten von Adana 18. Februar 1331 (2. März 1916) Die einzige Kraft, die imstande wäre, das politische Leben der Partei (Union und Fortschritt) in der Türkei zu beenden, wären die Armenier, und nach unseren jüngsten Informationen aus Kairo scheint es, als ob die Daschnaksutiun einen letzten und endgültigen Schlag gegen die Union vorbereiteten.” Nach einer kurzen Überleitung kommt das angebliche Briefdokument Nr. 1 vom 18. Februar 1331 zu folgendem Schluß: „Das Komitee hat beschlossen, das Land vor den Leidenschaften dieser Verfluchten (den Armeniern) zu retten und auch die Verantwortung für die Schande zu tragen, die wegen dieser Sache über das Osmanische Reich kommen könnte. Das Komitee, das die unglücklichen Ereignisse der Vergangenheit, in der ein Racheakt dem anderen folgte, nicht vergessen kann, hat beschlossen (voll Hoffnung auf die Zukunft), alle in der Türkei lebenden Armenier zu vernichten, bis auch nicht ein einziger übrigbleibt. In dieser Angelegenheit hat das Komitee der Regierung große Befugnisse übertragen. Die Regierung wird den Gouverneuren und Armeekommandanten alle notwendigen Erläuterungen hinsichtlich der Vorkehrungen für die Massaker geben . . .” Nach umständlichen Erläuterungen folgt schließlich eine unleserliche Unterschrift. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß dieser entscheidende Schlüsselbrief in Andonians Dokumentensammlung in der ursprünglichen, französischen Fassung seines Buches mit 18. Februar 1331 datiert ist, in der englischen Version dagegen das Datum 8. Februar 1331 trägt. Nun, der ursprüngliche türkische Text trägt eindeutig das Datum 18. Februar 1331. Erinnern wir uns: Nach allen Regeln der Kalenderumrechnung entspricht der 18. Februar 1331 dem 2. März 1916 (weil der Februar 1916 als Schaltjahr 29 Tage hatte), und nicht dem 18. Februar 1915, wie in der französischen Übersetzung angegeben, und auch nicht dem 25. März 1915, wie in der englischen Übersetzung. Mit anderen Worten, um ein richtiges Datum zu fälschen, hätte Andonian 1330 schreiben müssen, und nicht 1331. Ein Brief, am 2. März 1916 geschrieben, kann kaum Ereignisse einlei ten, die schon neun Monate vorher stattgefunden haben müßten! Wer meint, es könne sich bei dieser Fälschung noch um irgendeine Art Zufall, einen Irrtum von offizieller Seite handeln, wird durch Dokument Nr. 2, in Andonians Sammlung gleich eines besseren belehrt. Der zweite Brief seiner Sammlung hätte selbstverständlich mit dem Datum 25. März 1332 versehen sein müssen (25. März 1915), trägt aber fatalerweise das Datum 25. März 1931. Es ist völlig klar, das der Fälscher vom osmanischen Kalendersystem zu wenig wußte und die Tücken dieser Umrechnung einfach übersah. Die türkischen Historiker §inasi Orel und Sürreya Yuca haben im Jahre 1984 eine umfangreiche wissenschaftliche Arbeit über die Fälschungen des Aram Andonian veröffentlicht, in der sie allen Einzelheiten - es sind Hunderte – der mißglückten Täuschung nachgehen; von verräterischen Datierungen über nachgeahmte Unterschriften bis zu verballhornten Segenswünschen, „Bismillahs”, wie sie ein Moslem nie gewagt hätte zu schreiben. Ein besonders niederträchtiger Abschnitt der gefälschten Andonian-Papiere beschäftigt sich - psychologisch vorzüglich aufgebaut - mit der „Erweiterung der Massaker” - vor allem deren Ausdehnung auf Kinder. In einer dieser Andonian-Fälschungen heißt es: Dokument Nr. 4 Vom Fälscher Andonian zum Mordinstrument umfunktioniert: ein Morseapparat aus jener Zeit. 86 „Das ist die entzifferte Kopie eines verschlüsselten Telegramms des Innenministeriums Nummer 502, vom 3. September 1331 (16. September 1915). Es wird empfohlen, daß die vorher herausgegebenen Anweisungen hinsichtlich der männlichen Personen nun auf Frauen und Kinder ausgedehnt werden und vertrauenswürdige Individuen mit dieser Angelegenheit befaßt werden. Der Innenminister Talaat Anmerkung: An Abdülhalad Nuri Bey. 5. September. Haben sie den Gendarmeriekommandanten getroffen? Der Gouverneur Mustafa Abdülhalik” Abgesehen davon, daß die Unterschrift des Gouverneurs eindeutig (und primitiv) gefälscht ist, hat sich Andonian bei der Abfassung dieses Telegramms noch einen besonderen, aus Schlampigkeit geborenen Schnitzer durchgehen lassen: Weder am 3. September noch am 5. September konnte ein „Gouverneur Mustafa Abdülhalik” mit Verwaltungsakten in Aleppo etwas zu tun haben, weil der Gouverneur von Aleppo damals Bekir Sami Bey hieß. Mustafa Abdülhalik weilte anfangs September noch in Istanbul. Er trat seinen Dienst in Aleppo am 10. Oktober 1915 an . . . Es gibt in den osmanischen Archiven ein Telegramm vom 3. September 1331 an den Gouverneur von Aleppo, Bekir Sami Bey, allerdings unter der Ordnungszahl 78, und nicht unter der von Andonian frei erfundenen 502. Es hat den Anschein, als ob Franz Werfel bei der Abfassung seines Buches „Die vierzig Tage des Musa Dagh” von dem Andonian-Kapitel „Die Ausweitung der Massaker” besonders betroffen gewesen sei; sollten doch nun immer den Fälschungen Andonians folgend - nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen und Kinder umgebracht werden. Zwölf Dokumente Andonians befassen sich mit dieser Frage, gleich fünf davon sollen von Talaat Pascha persönlich stammen. Zum Glück sind gerade diese Telegramme gleich auf Grund mehrerer Kriterien (Datum, Unterschrift, Ernennung, Ordnungszahl) als besonders plumpe Fälschungen entlarvt worden. Auf Franz Werfel haben die Fälschungen Arem Andonians zunächst überzeugend gewirkt. Er hat auch den Erzählungen seiner Wiener Kreise, die ihn mit Berichten über „die Untaten der Türken” versorgten, anfangs sicher geglaubt. So ist es verständlich, wie er über die MevlanaMönche urteilt, ohne offensichtlich eine wirkliche Vorstellung von islamischer Mystik oder den Zielsetzungen des Derwischordens der Mevlana Kenntnis zu haben. Gelegentlich appellieren seine Berichte, sicher von seinen Informanten beabsichtigt, deutlich an gewisse Instinkte, etwa, wenn er über den osmanischen Kriegsminister Enver Pascha spricht und diesen einen „eitlen Lustknaben des Ottomanischen Reiches” nennt oder nach einer Schilderung der Meditationsübungen der Mevlanamön-che meint, „diese Liebesfeier dort unten kommt ja nicht aus dem Geiste, sondern aus wilden Verrenkungen des Körpers” - als ob die harmonischen Bewegungen der tanzenden Mevlanajünger auch nur die Spur mit „wilden Verrenkungen” zu tun hätten! Doch all das mag ja noch hingehen angesichts der hohen Aufgabe, die sich Franz Werfel gestellt hatte. Franz Werfel wußte, daß er Fälschungen aufgesessen war. Abraham Sou Sever ist ein sephardischer Jude, der vor dem Ersten Weltkrieg in Izmir zur Welt kam und später in die Vereinigten Staaten emigrierte. Er lebt heute hochbetagt in Kalifornien. Abraham Sou Sever hat ein schriftliches Zeugnis verfaßt, Die gefälschte Unterschrift des Gouverneurs Mustafa Halik, der zu der Zeit, da ihn der Fälscher Andonian „unterschreiben” läßt, noch gar nicht ernannt war! das Teil seines Testaments ist, in dem er die Zusammenhänge zwischen den armenischen Behauptungen vom Völkermord und ihren Propagandamethoden aus seiner persönlichen Sicht und Erfahrung erläutert. Von besonderer Bedeutung ist sein Bericht über Franz Werfel. Abraham Sou Severs notariell beglaubigte Aussagen befinden sich in sicherer Aufbewahrung. Abschriften wurden wissenschaftlichen Institutionen der USA zur Verfügung gestellt. Abraham Sou Severs Aussage zu den Geschehnissen auf dem Musa Dagh und Franz Werfel lautet so: „Wenn die Wahrheit über den Musa Dagh herauskommt, ist das das beste Zeugnis armenischer Doppelzüngigkeit und Rebellion. Fünfzigtausend Armenier hatten sich auf den Höhen des Mosesberges bewaffnet versammelt, nachdem Vorräte gesammelt worden waren, um einer Belagerung zu widerstehen. Tägliche Überfälle von diesem Berg aus galten den rückwärtigen Linien der osmanischen Armee. Nach den Überfällen zogen sich die Armenier wieder in das Berggebiet zurück. Als die Osmanen endlich die Befestigung entdeckten, die die Armenier errichtet hatten, konnten sie dieselbe weder angreifen noch besetzen. Sie hielt der Belagerung vierzig Tage lang stand - ein gutes Zeichen dafür, mit welcher Sorgfalt man sich unter den Augen der osmanischen Regierung vorbereitet hatte. Es wurde auch niemals erklärt, daß diese armenische Rebellion von den Russen angestiftet, organisiert, finanziert und mit Waffen und Munition versorgt worden war. Führer der revolutionären armenischen Organisation Daschnaksutiun haben seither zugegeben, von den Russen betrogen worden zu sein, betrogen mit Versprechungen von Unabhängigkeit und einem Neuen Armenien. Sie haben zugegeben, daß sie von Rußland bezahlt und ausgerüstet worden waren. Sie haben zugegeben, daß 87 Banden armenischer Revolutionäre zusammengestellt wurden, um die osmanische Armee hinterrücks zu sabotieren, die ihre Heimat verteidigte, und das, noch bevor die Osmanen Rußland den Krieg erklärt hatten. Die Tausenden, die den Musa Dagh besetzt hielten, für vierzig Tage, entkamen, indem sie vom Berg herunterstiegen und einen geheimen Ausschlupf in Richtung Mittelmeer nahmen, während die Osmanen die Vorderfront des Berges belagerten. Die Armenier hatten sich mittels Leuchtzeichen mit den Schiffen der französischen und britischen Marine verständigt, die im Mittelmeer patrouillierten. Jene Tausende, die da entkamen, wurden an Bord britischer und französischer Schiffe genommen und nach Alexandrien, nach Ägypten, transportiert. Die Armenier fanden, es läge in ihrem Interesse, zu erzählen, jene Tausende Menschen wären umgekommen und hielten die Rettung durch Franzosen und Briten geheim. Nur eine kleine armenische Einheit, die kämpfend auf dem Berg zurückgeblieben war, ergab sich schließlich. Mein lieber, verstorbener Freund Franz Werfel, der das Buch „Die vierzig Tage des Musa Dagh” geschrieben hat, war niemals in jenem Gebiete gewesen, um über das nachzuforschen, worüber er geschrieben hatte. Er schrieb es so, wie es ihm seine armenischen Freunde in Wien erzählten. Vor seinem Tode sagte mir Werfel, daß er sich schäme und daß er es bereue, dieses Buch geschrieben zu haben, und wegen der vielen Unwahrheiten und Fälschungen, die ihm die Armenier angedreht hatten. Aber er wagte es nicht, öffentlich diese Tatsachen zu bekennen, aus Furcht, von den Daschnag-Terroristen umgebracht zu werden. Christliche Missionare hatten in den Armeniern willige und leicht zu gewinnende Überläufer von ihrem angestammten orthodoxen Christentum zu den protestantischen und katholischen Firmenmarken gefunden. Voll Sympathie für ihre Konvertiten halfen sie mit, die falschen Geschichten vom Massaker in der gesamten westlichen Welt zu verbreiten. Die falschen Ansprüche von Genozid und Holocaust haben ihnen in der gesamten westlichen Welt große Sympathie eingebracht. Sie können Widerlegung oder Gegenbeweis einfach nicht ertragen. Das ist auch der Grund, warum sie Gegenbeweise mit Drohungen zu ersticken versuchen.” Und die islamischen Opfer? In der gesamten, sehr umfangreichen Literatur, die von armenischer oder armenier-freundlicher Seite über die tragischen Ereignisse während des Ersten Weltkrieges erschien, wird man vergeblich nach irgendeinem Wort des Bedauerns über die Not und den Tod so vieler unschuldiger Moslems suchen, die im Zuge der Armenieraufstände und ihrer fürchterlichen Folgen umkamen. Nach den verläßlichen Ergebnissen der Forschungen von Univ.-Prof. DDr. McCarthy verloren ungefähr 600.000 Armenier in der Folge der Aufstände, Kriegswirren, Seuchen und Umsiedlung, Flucht und Hungersnot ihr Leben. Zur gleichen Zeit und aus den gleichen Ursachen kamen in den gleichen Gebieten zweieinhalb Millionen Menschen auf islamischer Seite ums Leben - die meisten von ihnen waren Türken. Die türkische Regierung begann erst in jüngster Zeit, nach den schrecklichen Mordüberfällen auf türkische Diplomaten in aller Welt, der Dokumentation der von den armenischen Fanatikern verübten Greueltaten vermehrtes Augenmerk zu schenken. Die Wahrheit darüber findet sich gelegentlich zwischen den Zeilen, so etwa in dem Buch Christopher Walkers „Armenia - The Survival of a Nation”, auf Seite 247, wenn er über die erbitterten Kämpfe zwischen Türken und Armeniern und ihre entsetzlichen Folgen für die Zivilbevölkerung schreibt: „Greueltaten und Gegen-Greueltaten, von Türken und Armeniern gleichermaßen verübt, brachten die Lage zum Flammpunkt, besonders in Erzindschan. Wo immer die 88 Am schlimmsten wüteten die Terroristen nach dem Abzug der russischen Truppen aus Ostanatolien, im Frühjahr 1918, unmittelbar vor dem Nachrücken der osmanischen Verbände. Erzurum und Ezingan sowie die umliegenden Dörfer wurden am ärgsten heimgesucht. Zum Teil vernarben die letzten Wunden erst heute so wird das ehemalige amerikanische Konsulat in Erzurum, damals eine von den Terroristen errichtete „Ordnungsdienststelle”, die bei der Bevölkerung Angst und Schrecken verbreitete, erst jetzt erneuert. Wahrheit über die Geschichten von all den verübten Greueltaten liegen mag (und es erscheint als wahrscheinlich, daß die Armenier, die Rache für den Völkermord ausüben wollten, Türken ohne Hemmung töteten) . . .” Wie immer in diesen Fällen übersehen die Armenier oder ihnen sympathisch gegenüberstehende Autoren, daß das ganze entsetzliche Elend durch den rücksichtslosen Fanatismus armenischer Einpeitscher verursacht worden war, die ihr armes Volk als „de facto kriegführende Nation” ansahen - wie es der Chef der „Armenischen Delegation”, Bogosch Nubar, in seinem Brief am 3. Dezember 1918 an den französischen Außenminister Stephen Pichon formuliert. Dieser von den Armeniern begonnene Befreiungskrieg hatte ungefähr den gleichen historischen Hintergrund, als hätten die Albaner - als Nachkommen der alten Illyrer während des Ersten Weltkrieges versucht, den gesamten Balkan und Mitteleuropa mit Hilfe von Aufständen, Bomben, Morden und Attentaten sowie Teilnahme von Freiwilligenformationen an den Kriegshandlungen wieder unter ihre Kontrolle zu bringen, und das mit der „historisch fundierten” Begründung, die Illyrer hätten vor dem Einfall der Kelten über ganz Mittel- und Südosteuropa geherrscht. Nach dem Krieg erreichte der armenische Terrorismus einen neuen Höhepunkt, es sollte nicht nur auf dem historischen Boden Großarmeniens, eines Reiches also, daß vor zwei Jahrtausenden für wenige Jahrzehnte bestanden hatte und auf dem sich niemals in der Geschichte eine armenische Mehrheit befunden hatte ein neues Großarmenien geschaffen werden, es sollte auch an den Türken im allgemeinen und den Führern des türkischen Volkes im besonderen Rache genommen werden. Die Alliierten wurden nach dem Ersten Weltkrieg von den armenischen Agitatoren so lange bedrängt und mit Denunziationen versorgt, bis sich die Briten entschlossen, mehr als 140 osmanische Würdenträger - höhere Beamte, höhere Offiziere, Regierungsmitglieder - nach Malta zu schaffen, um ihnen dort - fast wie in einer versuchten Vorwegnahme des Nürnberger Prozesses - einen Malteser Prozeß zu machen. Mit feinem britischem Humor stellten die Briten ihre Gefangenen auch gleich im Torbogen des wunderschönen osmanischen Friedhofs von Malta zum Gruppenfoto auf, als wollten sie das sichere Todesurteil schon vorwegnehmen. Handelte es sich nicht um Massenmörder, Schreibtischtäter und Irre, die man da nach Malta verschifft hatte? Gab es nicht massenweise konkrete Zeugenaussagen und Dokumente? Mehr als zwei Jahre lang wurden die osmanischen Gefangenen auf Malta festgehalten. Mehr als zwei Jahre lang suchten die Sieger - vor allem die Briten - fieberhaft nach Beweisen. Als Sultan Mechmed V. Reschad im Sommer des Jahres 1918 (!) starb, errichtete wieder ein armenischer Architekt die Türbe des letzten auf osmanischem Boden beigesetzten Sultans und Kalifen. 89 Der Osmanenfriedhof von Malta. Mit feinem britischem Humor stellten die Sieger ihre Gefangenen zum Gruppenfoto unters Friedhofstor: Todesurteile galten als ebenso sicher wie das Vorurteil „schuldig”. Das Gefängnis der in Valetta (Malta) aufgrund falscher Anschuldigungen festgehaltenen osmanischen Würdenträger. 90 Schließlich wandten sich die Briten, nachdem auch in Paris keine Beweise auflagen und weder in Istanbul noch in Anatolien irgendeine Evidenz für die den Osmanen in die Schuhe geschobene Absicht einer Massentötung zu finden war, an die Amerikaner. Dort saßen bereits mächtige armenische Lobbies, dort gab es dank der jahrzehntelangen antitürkischen Hetze mancher protestantischer Kreise gewiß mehr zu erfahren, Beweise zu finden. Die Antwort aus Washington lautete: „I regret to inform Your Lordship . . .” Seiner Majestät Botschafter in Washington hatte Seine Lordschaft darüber zu informieren, daß auch die Amerikaner keinerlei Beweis gegen die Gefangenen von Malta auftreiben konnten. Kurz darauf wurden die osmanischen Würdenträger wieder freigelassen. Am 25. Oktober des Jahres 1921 verließen die osmanischen Angeklagten die Gefängnisse der Insel Malta damals noch britische Kronkolonie -, in denen sie mehr als zwei Jahre lang unschuldig festgehalten worden waren, als freie Männer. Nach außen hin taten die Briten, als ob nichts geschehen sei. Die Abreise der ehedem osmanischen Gefangenen wurde mit keiner Silbe erwähnt, die Lokalpresse brachte in der Rubrik „Sailed” bloß die Kurznotiz, daß Seiner Majestät Schiffe Chrysanthemum und Montreal, den Hafen von Valette in Richtung Istanbul verlassen hatten. Aber die Chrysanthemum war immerhin die Jacht des Gouverneurs von Malta. Und auf ihre befanden sich - als des Gouverneurs honoured guests - die freien osmanischen Würdenträger, die wieder in ihre Heimat zurückkehrten. Nach den Freisprüchen von Malta griffen die armenischen Terroristen zur Selbstjustiz und ermordeten die osmanische Führungsschicht Das Ende des Ersten Weltkrieges und die Niederlage des Osmanischen Reiches bedeuteten für die Armenische Revolutionäre Föderation (besser bekannt als „Daschkaks”) grünes Licht zur Bildung einer Sondereinheit des Terrors, die den sinnigen Namen „Nemesis” erhielt. Völlig unabhängig von Gesetz, Verfahren oder gar Möglichkeit zur Verteidigung hatte sie das einzige Ziel, die von ihr erkorenen Symbole „hinzurichten”. Erstes Schlachtopfer wurde Talaat Bey, Minister des Inneren, später Kriegsminister. Er wurde am 15. März 1921 in Berlin auf offener Straße niedergeschossen. Seinem Mörder, Soghomon Tehlirian, machte man wohl den Prozeß, doch leistete ein augenblicklich ins Leben gerufener „Soghomon Tehlirian Verteidigungsfond”, der aus aller Welt, besonders aus den USA, Spenden in unerhörter Höhe erhielt, massiven Beistand. Tehlirian wurde nach zweitägigem, äußerst oberflächlichem Verfahren freigelassen. Einziger Pluspunkt für den Rechtsstaat: die von der Verteidigung angebotenen „Andonian-Dokumente”, die eine Hauptschuld Talaats an den Vorgängen von 1915 nachweisen sollten, wurden schon damals nicht als Beweismittel anerkannt . . . ETERNAL VIGILANCE IS THE PRICE OF LIBERTY ewige Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit - heißt es auf dem Sockel des Symbols der Staatsmacht mit dem Liktorenbündel: In den Archiven der Vereinigten Staaten in Washington suchten die Amerikaner sorgfältig nach Beweisstücken gegen die des Mordes angeklagten osmanischen Führer. Es gab keine Schuldigen, es gab auch keine Verurteilungen. 91 Wieder in paar Monate später fand ein Mann sein Ende, der stets für die Armenier eingetreten war, selbst nach dem Zeugnis so notorischer Turkophoben wie Dr. Lepsius Dschemal Pascha wurde - gemeinsam mit seinem jungen Adjudanten (Yaver) Süreyya Bey - am 22. 7. in Tiflis ermordet. Die Armenier übten an Dschemal Pascha Rache, obwohl er ihnen während seiner Dienstzeit als Militärkommandant von Syrien geholfen hatte, wie immer er konnte. Selbst der glühende Türkenhasser und völlig kritiklose Armenierfreund Dr. Johannes Lepsius schreibt in seinem Buche „Deutschland und Armenien”: „Dschemal Pascha, der Oberkommandierende der 4. Armee in Syrien . . . nahm eine Sonderstellung gegenüber den Machthabern in Konstantinopel ein. Er hat schwere Ausschreitungen in seinem Bezirk verhindert und einiges für die Ernährung der Deportierten und die Versorgung der Anstalten getan . . .” An einer anderen Stelle des Buches heißt es in einem Zitat aus einem Dokument des Außenamtes in Berlin: Neun Monate nach Talaat erwischten die Armenier den ehemaligen Großwesir und osmanischen Außenminister Prinz Said Halim Pascha. Er wurde in Rom von dem Daschnakisten Arschawir Schirakian ermordet, obwohl soeben auf Malta von den Briten unschuldig befunden. Arschawir Schirakian konnte das „Hinrichten” nicht lassen: schon vier Monate später ermordete er, gemeinsam mit einem Komplizen namens Aram Yerganian, zwei Mitglieder des Jungtürkischen Komitees, Bahaeddin Шikir und Dschemal Azmi. Sie fielen am 17. April 1922 in Berlin unter den Kugeln ihrer Mörder. 92 „Kaiserliches Deutsches Konsulat Aleppo Telegramm Abgang aus Marsch, den 1. April 1915 Ankunft in Pera, den 1. April 1915 An die Deutsche Botschaft, Konstantinopel Dschemal Pascha hat Mittwoch den Befehl geben lassen, niemand solle sich in Religionsangelegenheiten einmischen. Ein Muhammedaner, der einen Armenier angreife, werde vor das Kriegsgericht gestellt. Rößler” Vom Ersten Weltkrieg zu einem neuen Abschnitt türkisch-armenischer Beziehungen: die wichtigsten Etappen zu den Friedensschlüssen von Gümrü-Alexandropol und Lausanne sowie deren Folgen Die Jahre 1917 und 1918 waren durch eine ganze Kette von Zusammenbrüchen gekennzeichnet, die alle in ungerechte und maßlos überzogene „Friedens”-diktate mündeten. Die schwächsten Glieder dieser Unglückskette bildeten zugleich Beginn und Ende dieser Serie: es begann für Rußland in Brest-Litowsk und endete mit dem Diktat gegen die Osmanen in Sevres. Es ist bezeichnend, daß gerade diese beiden Friedensdiktate, das erste und das letzte der Reihe, nie tragend wurden. Der Vertrag von Brest-Litowsk wurde schon vor seiner Erfüllung durch das Diktat von Versailles ungültig und die Türkei hat das Diktat von Sevres niemals anerkannt; es wurde schließlich durch den Friedensvertrag von Lausanne ersetzt. Eine chronologische Auflistung zeigt die Dramatik jener Jahre, die unser Schicksal weitgehend bis heute bestimmten; der Sonderfall „Osmanisches Reich - Türkei” wird im Zusammenhang mit der armenischen Frage ausführlicher behandelt. Von den Pyrrhussiegen von Brest-Litowsk und Bukarest zu den Katastrophen der Diktate in den Pariser Vororten Enver Pascha stand selbstverständlich gleichfalls auf der armenischen Abschußliste; als er 1922 im fernen Dschuschambe in Tadschikistan im Kampfe gegen die Bolschewisten fiel, behaupteten die Armenier noch lange, sie hätten Enver ermordet. Tatsache ist, daß die führenden osmanischen Regierungsmitglieder der Zeit des Ersten Weltkrieges von Armeniern ermordet - „hingerichtet” worden sind. Wenn das Gerechtigkeit sein sollte - warum geht das Morden heute, Generationen später, ungehemmt weiter? Am 8. November 1917 beschloß der II. Gesamtrussische Sowjetkongreß ein „Dekret über den Frieden”. Es enthielt die Forderung nach einem Frieden ,ohne Annexionen und Kontributionen’, wobei gleichzeitig die Geheimverträge zwischen der zaristischen Regierung und den Westmächten gekündigt werden. Die bald darauf erfolgte Veröffentlichung dieser Geheimverträge entlarvt die Kriegsziele der in der Entente vereinigten Großmächte. Sie entlarvt vor allem die Haltung der Entente hinsichtlich der Armenier, die sich seit Kriegsbeginn an allen Fronten gegen das Osmanische Reich im „de facto Kriegszustand” befanden. Denn in dem großen Aufteilungs- und Einflußzonenplan, der da zutage trat, der die südliche Türkei den Franzosen, den Westen den Italienern und die Meerengen und Ostanatolien den Russen zusprach, kam das Wort „Armenien” oder „Armenier” nicht einmal vor. Die Armenier durften bloß Aufstände riskieren und an den Fronten ihre Köpfe hinhalten . . . sonst nichts. 93 Erst nach dem Ausscheiden Rußlands (der Sowjets) aus dem Geschehen des Ersten Weltkrieges überlegte man, ein künftiges „Armenien” auf jenem Territorium zu errichten, das anfänglich dem zaristischen Rußland zugedacht gewesen war . . . und ließ auch diesen Gedanken sofort wieder fallen, als sich die Türken in Lausanne querlegten . . . Am 15. Dezember 1917 wurde in Bukarest ein Waffenstillstand zwischen Rumänien und den damals noch siegreichen Mittelmächten geschlossen, und zwischen dem 22. Dezember 1917 und dem 3. März 1918 fanden die Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk zwischen der neuen Sowjetmacht und den Mittelmächten statt. Der Friede von Brest-Litowsk, der die Sowjets die baltischen Staaten und die Ukraine kostete und bei den Mittelmächten voreilig „Brotfriede” genannt wurde (tatsächlich brachte er kein Brot, sondern bloß neue Probleme) hatte auch einschneidende Bedeutung für das Osmanische Reich. Brest-Litowsk: die Osmanen erhalten Ostanatolien zurück Schon am 15. November 1917 hatten die Bolschewiken erklärt, daß alle innerhalb Rußlands lebenden Völker völlig gleichberechtigt seien und sich daher auch von Rußland trennen könnten, um autonome Regierungen zu bilden. Die Proklamation einer „Republik Armenien”, die bald darauf erfolgte, beruht auf jener Erklärung. Allerdings sollten erst die kommenden Jahre zeigen, bis zu welchem Grad die Versprechungen der Kommunisten als bare Münze zu nehmen waren. Am 26. November, nach den Unabhängigkeitserklärungen Estlands und Finnlands, erbaten die Sowjets einen Waffenstillstand. Die Verhandlungen zwischen der kaiserlich-osmanischen Regierung und den Sowjets begannen noch vor der Eröffnung der ersten Runde in Brest-Litowsk in der heiß umkämpften Stadt Erzurum - von den Armeniern längst als Hauptstadt eines Großarmenischen Reiches ausersehen. Allein die Wahl dieses Verhandlungsortes zwischen Russen und Türken signalisierte bereits, daß davon niemals die Rede sein konnte. Ein russisch-osmanisches Abkommen wurde am 18. Dezember 1918 unterzeichnet. Sein Inhalt bestätigte bloß einen Status quo ante: jede der beiden Armeen sollte in ihren Stellungen verbleiben, bis eine Klärung des neuen Grenzverlaufes erreicht sei. Es war das eine gute Einleitung zu den Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk, an denen auf Seite der Mittelmächte auch eine osmanische Delegation teilnahm, zuerst unter der Führung des kaiserlich-osmanischen Außenministers Nesimi Bey, dann unter Leitung des Großwesirs Talaat Pascha. Am 13. Jänner 1918 veröffentlichte die „Prawda” ein „Dekret Nr. 13”, unterzeichnet von Lenin und Stalin, in dem von der Bildung einer provisorischen armenischen Regierung unter dem Beistand des „Kommissars für kaukasische Angelegenheiten, Chomian” die Rede war. Hauptinhalt der Verordnung war, daß die Russen darangingen, die Armenier zu bewaffnen, bevor sie sich, wie im Vertrag von Brest-Litowsk schließlich vorgesehen, aus den alten osmanischen Städten Ardahan und Kars, aber auch aus Batum zurückziehen würden. Eine endgültige Grenzziehung sollte „den Staaten der Region” vorbehalten bleiben. Die wichtigsten Bestandteile des sowjetisch-osmanischen Einverständnisses (Annex zu dem Vertrag von BrestLitowsk) beinhalten 1) Die Räumung Ostanatoliens durch die Russen 5) Die Entwaffnung der „armenischen Freischärler-Banden” und - das wichtigste Ergebnis für die Osmanen - festgelegt im Artikel III, die Wiederherstellung der Grenzen wie sie vor 1878 bestanden hatten, also vor dem unglückseligen russisch-türkischen Krieg, der auch der Auftakt zum Elend der Armenier geworden war. Die russisch-orthodoxe Kirche von Kars: Die Russen waren in der Zeit ihrer Besetzung Ostanatoliens ausschließlich an ihrer eigenen Machtausdehnung und nicht an einer Förderung der Armenier interessiert. 94 Am 10. Februar 1918 konstituierte sich in der Folge der sowjetischen Erklärungen vom November 1917 eine „Vereinigte Sozialistische Republik Transkaukasien”, die Georgier, Aserbaidschaner, Daghestaner und Armenier umfaßte. Unter der Führung eines georgischen Menschewiken, Y. Ketetschgoni, wurde eine provisorische Regierung gebildet. An einem der besonders großen Massengräber, die kürzlich bei Erzurum entdeckt wurden, errichtete die türkische Regierung ein einfaches Mahnmal, das in Gegenwart von Staatspräsident Kenan Evren eingeweiht wurde. Bilder von der Exhumierung islamischer Opfer der Armenieraufstände: auch in Igdir gibt es noch vereinzelt Überlebende der von Armeniern verübten Massaker, die - so wie in zahllosen anderen türkischen Orten - ihre tragischen Erinnerungen zu Protokoll geben. 95 Die grauenhaften Bilder der Opfer jenes unsinnigen, mörderischen De-facto-Krieges, wie es der armenische Politiker Bogosch Nubar formulierte, sind austauschbar, in den türkischen Archiven finden sich Hunderte und Aberhunderte Bilder dieser Art, die islamische Opfer des armenischen Terrors oder armenischer Aufständischer zeigen; und die Armenier verfügen über nicht weniger entsetzliche Bilder, die ihre toten Landsleute zeigen, bedauernswerte Menschen, die Mord und Totschlag und Hunger und Erschöpfung anheimgefallen waren. Die Aufrechnung der Opferzahlen und Leiden der Menschen ist sinnlos, einzig die Frage nach der Ursache solch tragischer Entwicklungen ist zielführend zu einer besseren, friedlicheren Zukunft. Übersicht zu den Verhältniszahlen der islamischen (meist türkischen) Opfer des De-facto-Krieges zwischen dem Osmanischen Reich und seiner damaligen armenischen Minderheit. Prozentsätze der islamischen Toten, 1912—1922: 96 Wichtigste Folge der Abmachungen von Brest-Litowsk und der daraufhin von den Sowjets eingeleiteten Neuordnung in Ostanatolien war, daß osmanische Truppen die historischen Gebiete wieder in Besitz nahmen: Am 13. Februar wurde Erzingan wieder osmanisch, am 24. Februar Trapezunt, am 12. März Erzurum und am 7. April Van. Am 14. April marschierten osmanische Truppen in Batum ein. Am 25. April 1918 eroberten die osmanischen Streitkräfte Kars zurück, das, so wie ein Teil Ostanatoliens, seit 1879 von den Russen gleichsam als Ersatz für „Kriegsschulden” besetzt gehalten worden war. Leider wurden die Tage des „Interregnums” zwischen dem Abrücken der russischen Truppen und dem Einzug der osmanischen Armee von armenischen Terrorkommandos zu einer letzten „Abrechnung” mit der islamischen Bevölkerung mißbraucht und ganze Landstriche entvölkert, so als wäre damit noch etwas zu „retten” für die Sache „Großarmeniens”. Am schlimmsten wüteten die Terroristen in Erzurum und Erzindschan: „. . .es scheint wahrscheinlich, daß die Armenier, die Rache für den Völkermord suchten, Türken ohne Bedenken töteten . . .” schreibt Christopher Walker darüber. Noch im April und ganz im Zeichen dieser dramatischen Ereignisse fand sich in Gümrü-Alexandropol (heute Leninakan) die armenische Nationalversammlung zusammen und lehnte die Ergebnisse des Vertrages von Brest-Litowsk ab. Gleichzeitig beschloß sie, auf eigene Faust „den Krieg fortzusetzen”. Erst als ihre militärische Lage unhaltbar geworden war, beugten sie sich den Notwendigkeiten der Stunde und der Seim der Transkaukasischen Republik beschloß, in Trapezunt mit den Osmanen Verhandlungen aufzunehmen und die Beschlüsse von Brest-Litowsk anzuerkennen, was nun ihrerseits den Osmanen nicht mehr genügte. Schließlich traf man sich am 11. Mai 1918 zur Konferenz von Batum, bei der Halil Pascha auf der Abtretung von Achaltsik, Akhalkalak und Gümrü bestand. Neuerlich drohten die Feindseligkeiten auszuufern, als armenische Einheiten in der Umgebung von Karaklis moslemische Dörfer brandschatzten. Inmitten der allgemeinen Wirren und gegenseitigen Unzufriedenheit löste sich die Vereinigte Transkaukasische Republik am 26. Mai auf. Noch am gleichen Tag erklärte Georgien seine volle Unabhängigkeit, unmittelbar darauf Aserbaidschan. Spät in der Nacht vom 28. zum 29. Mai 1918 erklärte das armenische nationale Zentralkomitee Armenien zur unabhängigen Republik. Am 4. Juni 1918 schien der Friede in die leidgeprüfte Region einzukehren: die Osmanen unterzeichneten in Baku eine Übereinkunft mit Armenien, Georgien und Aserbaidschan, und vier Tage darauf auch mit Daghestan. Nakitschewan blieb osmanisch. Es schien, als solle nach der ganzen Unruhe und all dem Unfrieden, der seit dem Vorstoß des zaristischen Rußland in die kaukasische und ostanatolische Region dort herrschte, daß nach all den Kriegen der Kleinen untereinander, die nur den Großen nützten, endlich Friede und Verständigung heraufdämmern mochte. Im Zusammenhang mit der Entwicklung der Lage im Kaukasus und Ostanatolien sollte eine bezeichnende Episode nicht übersehen werden, die sich in der Folge der Konferenz von Batum (11. Mai 1918) und der durch sie ermöglichten Gründung der Republik Armenien ergab: In Batum hatte die osmanische Delegation versprochen, sich für einen Friedensschluß zwischen den Mittelmächten (Deutschland, Österreich-Ungarn, Bulgarien) und den neuen Ländern der Kaukasusregion einzusetzen, also auch Armenien Anerkennung zu verschaffen. Im Zuge der Vorbereitungen eines solchen Friedens kam eine Delegation von Vertretern dieser Länder nach Istanbul; Sprecher der Armenier waren die Herren Aharonian und Hadissian. Am 6. Dezember 1918 wurden die Armenier von Sultan Mehmed IV. Vahdeddin nach dem Freitagsgebet (dem „Selamlik”) empfangen. Am 9. September sandte Herr Aharonian ein Telegramm folgenden Inhalts an seinen Premierminister Katschasnuni nach Armenien: „Arn 6. September wurden wir nach dem Selamlik vom Sultan in Audienz empfangen. Wir sprachen unsere Glückwünsche anläßlich seiner Thronbesteigung aus und überbrachten unsere Wünsche für das Wohlergehen des Kaiserreiches und seinen Fortschritt. Wir erinnerten daran, daß es die osmanische Regierung gewesen ist, die zum ersten Mal an die Gründung eines unabhängigen Armenien dachte und daß die armenische Nation das niemals vergessen werde, und daß die armenische Regierung alles Mögliche tun werde, um die bestehenden freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu erhalten und zu stärken. Seine Majestät hat uns gedankt und gleichzeitig seiner Freude darüber Ausdruck gegeben, Vertreter eines freien und unabhängigen Armeniens begrüßen zu können. Er wünschte auch, daß Armenien stark sein möge, um seine Unabhängigkeit verteidigen zu können, und auf dem Wege des Fortschrittes voranzukommen. Seine Majestät versicherte, daß er an gute Beziehungen und freundschaftliche Bande zwischen der Türkei und Armenien glaube. Seine Majestät schloß die Unterredung indem er sagte, er freue sich ganz besonders darüber, daß Armenien aus sich selbst die Kraft geschöpft habe, einen unabhängigen Staat zu errichten, fähig, Delegierte nach Istanbul zu schicken, und er erneuerte abermals seine Wünsche für unser Land.” Aharonian setzt seinen Bericht fort indem er schreibt: „Talaat Pascha ist nach Berlin gereist, um die Probleme zu besprechen, die sich aus der Lage im Kaukasus ergeben . . .” die verwirrend genug war, weil sich Deutschland gleichfalls in jener neuralgischen Zone der Weltpolitik festsetzen wollte und mit den Osmanen erbittert um Einfluß rang. Sultan und Kalif Mechmed VI. Vaheddin (1918-1923). Doch inzwischen nahm der Erste Weltkrieg eine dramatische Wendung. Die weit überforderten Kräfte der Mittelmächte erlahmten. Am 8. Oktober 1918 trat das Kabinett Talaat Pascha zurück, damit das Osmanenreich die Rahmenbedingungen Wilsons für einen Frieden (Konstantinopel befand sich allerdings mit den USA nicht in Kriegszustand) besser erfüllen könne. Am 30. Oktober 1918 unterzeichneten Osmanen und die Vertreter der Ententemächte an Bord von H. M. S. AGAMEMNON im Hafen von Mudros (Insel Lemnos), fast in Sichtweite der Dardanellen, ein Waffenstillstandsabkommen. 97 Der Zusammenbruch der Mittelmächte und der fortdauernde Widerstand des Osmanenreiches Der Reigen der Waffenstillstandsabkommen war am Balkan eröffnet worden. Am 2. Oktober 1918 brach die bulgarische Westfront unter dem Druck der vielfach überlegenen Ententekräfte zusammen und Sofia mußte in Thessaloniki kapitulieren. Fast gleichzeitig drückten die Briten und Franzosen, unter starker Beteiligung armenischer Einsatztruppen, die osmanische Palästinafront ein. Am 30. Oktober wurde zwischen Osmanen und Alliierten der Waffenstillstand in Mudros geschlossen. Unmittelbar darauf durchfuhren die Schiffe der Briten und Franzosen, die sich dort im Jahre 1915 noch eine schmähliche Niederlage geholt hatten, die Dardanellen. Eine mächtige Flotte von 55 Kriegsschiffen ging nun unter den Mauern der Kalifenstadt vor Anker. Admiral Calthorpe, der für die Briten den Waffenstillstand von Mudros unterzeichnet hatte, wurde britischer Hochkommissar in Istanbul und damit mächtigster Mann des Osmanenreiches. Österreich-Ungarn streckte am 3. November in Padua die Waffen. 98 Am 11. November unterzeichneten die Vertreter Deutschlands die Kapitulation zu Compiegne. Verhältnismäßig kurze Zeit darauf erfolgte bereits die Unterzeichnung der Friedensdiktate von Versailles und St. Germain: am 28. Juni nahm das geschlagene Deutschland den Gewaltfrieden an, der schon 21 Jahre später in den Zweiten Weltkrieg führte, und Österreichs Vertreter unterzeichneten am 10. September 1919. Am 27. November 1919 unterzeichnete Bulgarien in Neully (es verlor durch diesen Friedensschluß den Zugang zur Ägäis, also jene Gebiete, die es im Balkankrieg den Osmanen abgenommen hatte) und am 4. Juni 1920 mußte das Königreich Ungarn - oder das, was von ihm noch geblieben war - zu Trianon beigeben. Der Höhepunkt der „Triumphe” der Siegermächte schien in Sevres erreicht zu werden: nachdem sich die neuen Machthaber Deutschlands, Österreichs, Bulgariens und Ungarns hilf- und widerstandslos in die Bedingungen ihrer Diktatfrieden gefügt hatten, erwartete man selbstverständlich die gleiche „Haltung” auch von den Vertretern des Osmanenreiches - und sie wurden nicht enttäuscht. Das Diktat von Sevres konnte sich sehen lassen . . . es konnte schlimmstenfalls noch mit jenem verglichen werden, das Österreich in St. Germain hinnehmen mußte. Das osmanische Reichsgebiet schrumpfte nach diesem Gewaltfrieden auf etwa ein Zehntel seiner Fläche zusammen, die es noch 1912 gehabt hatte. „Armenien” - erst nach dem Zusammenbruch des Zarenreiches von den Westmächten „entdeckt” - sollte ungefähr die Fläche einnehmen, die nach den Geheimverträgen unter den Ententemächten ursprünglich Rußland zugedacht waren. Es ist wohl merkwürdig und gewiß auch schmerzlich, daß die osmanische Vertretung dieses wahnwitzige Diktat unterschrieb. Es gibt wohl eine Entschuldigung: die Hauptstadt des Osmanenreiches war von den Alliierten besetzt, der Sultan völlig in den Händen der Sieger; außerdem hatte er seinen fähigsten Truppenführer, Mustafa Kemal, mit Geld versorgt und nach Anatolien geschickt, damit er dort Widerstand organisieren könne; nichtsdestoweniger hätte die osmanische Vertretung unter dieses Diktat keine Unterschrift setzen dürfen, und eine Verweigerung hätte die prekäre Lage des Sultans bestimmt nicht verschlimmern, in den Augen des Reichsvolkes - der Türken - und der Gläubigen (also aller Moslems auf Erden, der Sultan war ja noch immer Kalif!) nur verbessern können, zu verlieren war ja nichts mehr. Das Diktat von Sevres wurde allerdings - so wie vorher jenes von Brest-Litowsk - nie wirksam. Denn unabhängig von der de facto-Gefangenschaft der osmanischen Regierung in Istanbul, die ja nicht mehr für die Bevölkerung frei sprechen konnte, hatte sich in Zentralanatolien eine neue türkische Führung herausgebildet, unter der Führung Mustafa Kemals, der später den Ehrentitel „Vater der Türken” erhalten sollte: Atatürk. Der Überlebenskampf der Türkei und Armeniens: beide Nationen retteten ihren Bestand; die Türken in traditioneller Unabhängigkeit, die Armenier in ebenso historisch gewachsener, beschränkter Souveränität Während für die Staaten der geschlagenen Mittelmächte nach den Friedensdiktaten von Versailles, St. Germain, Neuilly und Trianon ein Überlebenskampf einer ausgebluteten, verarmten Bevölkerung innerhalb neuer Grenzen begann, die immerhin „sicher” waren, begann für das türkische Volk ein Überlebenskampf nicht nur um die persönliche nackte Existenz jedes einzelnen Türken, sondern auch jene um ein Stück Boden zum Überleben überhaupt. Denn nach den Plänen der Entente blieb den Türken wenig mehr als die Gegend um Ankara . . alles andere wurde zum Kolonial- oder Herrschaftsgebiet der Ententemächte degradiert. Alsbald bildeten sich auf dem Boden des altehrwürdigen kaiserlich-osmanischen Reichsgebildes zwei Machtzonen heraus: Unter der Führung von Damad Ferid Pascha verläßt eine vom Sultan bestellte osmanische Delegation an Bord des französischen Kriegsschiffes „Democratie” am 6. Juni 1920 Istanbul, um in Sevres am 10. August 1920 das „Friedens”diktat der Entente gehorsam anzunehmen, ähnlich wie es die Deutschen und Österreicher in Versailles und St. Germain getan hatten. Das Diktat wurde nie rechtskräftig, da die türkische Nationalversammlung dessen Annahme verweigerte. Da war zunächst das von der Entente besetzte Istanbul mit dem von den Siegern zur Ohnmacht verurteilten Sultan und seiner Regierung. Da war aber noch das türkische Kernland, Anatolien. Und da formierte sich der Widerstand . . . nicht zuletzt „dank” der schamlosen Invasion griechischer Truppen, die das geschlagene Osmanenreich billig beerben wollten. Am 15. Mai 1919, mehr als ein halbes Jahr nach dem Waffenstillstand von Mudros, landete ein gewaltiges griechisches Expeditionskorps - mit Einverständnis der Entente - in Izmir, um „endlich” die „megali idea”, die „Große Idee eines Großgriechischen Reiches” Wirklichkeit werden zu lassen. Wer sollte Anatolien gegen den neuen, unverhofften Feind, die Griechen, verteidigen? Am 19. Mai 1919 ging der vom Sultan nach Anatolien ent99 sandte Mustafa Kemal Pascha in Samsun an Land. Er sollte den nationalen Widerstand der Türken organisieren und leiten. Am 11. September 1919 trat in Sivas ein Kongreß zusammen, der es sich zum Ziele setzte „die Teile des Osmanischen Kaiserreiches wie sie innerhalb der Grenzen, wie sie am 30. Oktober 1918 beim Abschluß des Waffenstillstandes von Mudros bestanden hatten”, unversehrt zu erhalten: „1. Die Teile des Osmanischen Kaiserreiches umfassen alles, was sich am Tage des Waffenstillstandes von Mudros (30. Oktober 1918) der zwischen der Hohen Pforte und der Entente abgeschlossen worden war, innerhalb unserer Grenzen befand. Diese Gebiete sind überall von einer überwältigenden Mehrheit einer islamischen Bevölkerung bewohnt, die unteilbar und untrennbar miteinander verbunden ist.” Die ganze Kraft und geschichtliche Wirksamkeit dieses ersten und wichtigsten Satzes der Erklärung von Samsun sind vielfach bis heute nicht voll erkannt worden. Die Grundsätze, wie sie vom freien Kongreß in Sivas gefaßt worden waren, fanden die volle und ungeteilte Zustimmung des letzten osmanischen Parlaments, das die Proklamation von Sivas am 20. Jänner 1920 vollinhalt100 Unter der Führung Mustafa Kemals wurde Ankara zum Zentrum des nationalen Überlebenskampfes der Türken. Blick von der Zitadelle auf die Altstadt von Ankara. lieh bestätigte. Diese Entschließung ist in der Türkei heute als der „Nationalvertrag” bekannt. Da sich allenthalben der Geist des Widerstandes regte, wurde Istanbul, immer noch die Hauptstadt des Osmanischen Reiches, am 16. März 1920 von den Briten besetzt. Das osmanische Parlament wurde gewaltsam aufgelöst und die - im Auftrag der Briten und nach Nominierung durch osmanisch-armenische Denunzianten festgenommenen Würdenträger, die im Verdachte standen, sich gegen die Armenier während des Krieges unkorrekt benommen zu haben -, nach Malta verschickt. Zur Antwort wählte die inzwischen nach Zentralanatolien, nach Ankara übersiedelte osmanische Nationalversammlung Mustafa Kamal zu ihrem Präsidenten, das war am 23. April 1920. Von diesem Tage an wurde Ankara zur Nervenzentrale des erst jetzt in Schwung kommenden türkisch-nationalen Widerstandes; denn bis zu diesem Tag hatten die Türken immer noch übernational gedacht und gehandelt, als Reichsvolk und nicht als Volk eines türkischen Nationalstaates. Doch die Umstände zwangen die Türken dazu, endlich - als letzte der nationalen Einheiten ihres Vielvölkerstaates, zum Zwecke des Überlebens in einer durch und durch nationalistisch gesinnten Umwelt gleichfalls national zu denken. Zum Zwecke der Verteidigung Anatoliens, das in weiten Teilen bereits von fremden Okkupanten besetzt war, wurde rasch die Armee reorganisiert und der von den Okkupanten aufgezwungene Dreifrontenkrieg aufgenommen: im Westen waren die Griechen eingedrungen, die sich bereits den Toren von Ankara näherten, im Süden marschierten die mit den Franzosen verbündeten Armenier vor und hatten schon weite Teile Kilikiens unter ihre Kontrolle gebracht, und im Osten hatten die Armenier begonnen, ihren großarmenischen Traum angesichts der Niederlage des Osmanenreiches und seines vermeintlichen Zusammenbruchs zu verwirklichen. Die Wirren einer verlängerten Kriegszeit Türken und Armenier zwischen den Verträgen von BrestLitowsk (Dezember 1918) sowie Gümrü, Moskau und Kars (Oktober 1921) Zwischen 1917 und 1918, also nach dem Zusammenbruch des russischen Zarenreiches, der ja die Westmächte ihres großen Verbündeten im Osten beraubte und den Mittelmächten eine Atempause gewährte, wurden die armenischen Freischärler, ob sie nun an der ostanatolischen oder ägyptisch-arabischen Front kämpften oder bloß rhetorisch gegen die Türken, Österreicher und Deutschen hetzten, zu einem nicht zu unterschätzenden Faktor im Kampfe gegen das zäh sich verteidigende Osmanische Reich, Österreich-Ungarn, Bulgarien und Deutschland. Nun wurden endlich Versprechungen gemacht, die eine gewisse reale Grundlage hatten; die Zugeständnisse, die im Sykes-Picot-Abkommen an das zaristische Rußland gemacht worden waren, hatten ja dem Zaren genützt, und keineswegs den so hoffnungsfrohen armenischen Extremisten (extremistisch sowohl in ihren politischen Methoden wie auch ihren übersteigerten Hoffnungen). Nun, nach dem Zusammenbruch des Zarenreiches und dem Heraufdämmern eines neuen, bislang unbekannten Wesens, des kommunistisch-bolschewistischen Rußland (niemand konnte ahnen, daß es sich in seiner Politik in nichts, aber auch schon gar nichts von der der Zaren unterscheiden würde; am allerwenigsten vermuteten das die Armenier!) versprach „man” alles das, was im SykesPicot-Abkommen dem Zaren versprochen worden war, den armen Armeniern; mochten sie sich im Kampfe gegen das Osmanenreich doch ruhig noch ein bisserl mehr hervortun! Llyod George, der in seiner bekannt blumenreichen Sprache Armenien (allerdings nicht ahnend, daß er dabei die Wahrheit sagte) als ein „Land, vollgesogen von Blut” beschrieb und dabei unfreiwillig das Blut der Moslems meinte, die ein Vielfaches an Toten zu beklagen hatten wie die „christlichen” Armenier, heuchelte genau so wie Wilson oder Clemenceau: sie alle hatten ein „romantisches” Opfer erkoren, und ließen es fallen, als es nichts mehr nützte. Als die „Friedenskonferenz” - in Wahrheit war es eine unselige Diktats-Vorbereitungskonferenz - im Jänner 1919 in Paris zu tagen begann, schien die Stunde der armenischen Extremisten heraufgezogen zu sein. Die Armenier entsandten gleich zwei Delegationen zu der „Friedenskonferenz”. Eine stand unter der Führung der Berufs-Emigranten Bogosch Nubar, der (ähnlich wie Masaryk im Falle Österreich-Ungarn) die Demontierung des Osmanenreiches seit vielen Jahren betrieb, und eine kam aus der (nur von den Türken überhaupt ermöglichten, nach dem Vertrag von Baku am 28. Mai 1918 gegründeten) Republik Armenien. Wie bei den Armeniern üblich, begannen die beiden Delegationen sofort zu lizitieren und einander in Gebietsforderungen zu überbieten und Vernunftgründen zu unterbieten: sie verwechselten offensichtlich einen Teppichbasar, bei dem es um Webmuster und Quadratmeter sowie Alter des begehrten Stückes gehen mag mit Politik: ihre Forderungen wurden so maßlos, daß selbst so eingefleischte Teppichliebhaber wie die führenden Ententemachthaber Ü berreste einer armenischen Dorfkirche oberhalb des Vansees, in Bakracli Köyi, auf dem Wege nach Yedikilisse-Warakwank, von dem nur mehr die Grundmauern erhalten sind. Der beklagenswerte Zustand vieler armenischer Baudenkmäler ist den Behörden wohl bewußt, doch gibt es eine weit weit größere Anzahl von seldschukischen oder osmanischen Bauten, deren Zustand - oft dank der Einwirkungen des Bürgerkrieges von 1915 noch viel schlimmer ist und die naturgemäß Priorität bei allfälligen Erhaltungs- oder Wiederherstellungsvorhaben genießen. 101 jener Zeit die Lust zu einem reellen Angebot verloren: es mußte ja nicht ausgerechnet ein armenischer Teppich sein; schließlich waren jene der Türken noch viel älter, kostbarer und reeller als die der notorischen Chauvinisten. Hatte die armenische Delegation unter Bogosch Nubar zunächst noch ein Armenien in Ostanatolien verlangt, steigerte sich die gemeinsame Delegation (inzwischen war unter Führung von Avetis Aharonian auch eine Abordnung aus der von den Türken ermöglichten Republik Armenien eingetroffen) in Gebietsansprüche hinein, die vom Schwarzen Meer, mit Trapezunt als Hafen, bis nach Kilikien reichten. Der armenische Bevölkerungsanteil in diesem „Großarmenien” hätte - auf der Basis des Jahres 1914! - nicht einmal ein Fünftel der Bewohner jener Region ausgemacht; und selbst wenn man damals, 1914, die gesamte armenische Bevölkerung der Erde allein in Ostanatolien versammelt hätte, wäre noch immer keine armenische Mehrheit erreicht worden. Doch was sollte es: so wie sich im 19. Jahrhundert die diversen armenischen Kirchen darum gerauft hatten, welche die „armenischste” sei und später die Daschnaks und Hintschaks um die Palme im Kampfe, wer der bessere Terrorist sei, obsiegen wollten, überboten einander nun die Delegationen aus der Republik Armenien und jene der armenischen Diaspora. Wie gesagt: ihr „gemeinsames Memorandum” verlangte nicht nur die „sechs Wilajets” Van, Bitlis, Diyarbekir, Karput, Sivas und Erzurum (in denen die Armenier niemals in der Geschichte eine Mehrheit gehabt hatten) sondern darüber hinaus Trapezunt, Karabagh (wo so gut wie keine Armenier jemals gelebt hatten) Sansegur und weite Teile Georgiens, und dazu Kilikien. Dabei war der Ruf der Armenier als eine Nation der Friedliebenden, der Schlachtopfer, die wehr- und hilflos von den blutrünstigen Osmanen hingemordet, ja ausgerottet worden waren (man staunte insgeheim, wie die Armenier trotzdem in Syrien, im Kaukasus, im Iran ja selbst in Frankreich überall präsent waren!) doch sehr erschüttert worden. Die Ursache: die junge, selbständige Republik Armenien hatte nichts Besseres zu tun gewußt, als gleich eine ganze Kette von Eroberungskriegen zu beginnen. Der Präsident der „Delegation Nationale Armenienne” persönlich faßt in einem Brief an den Außenminister Frankreichs, Stephen Pichon, zusammen, warum sich die Osmanen, die im Ersten Weltkrieg an fünf Fronten gleichzeitig kämpften und sich dabei im Inneren bürgerkriegsähnlichen Armenieraufständen konfrontiert sahen, wehren und die armenische Bevölkerung aus den gefährdeten Gebieten umsiedeln mußten: „Monsieur le Ministre, ich beehre mich, namens der Armenischen Nationalen Delegation Eurer Exzellenz untenstehende Erklärung zu übermitteln und daran zu erinnern: Daß die Armenier, von Beginn des Krieges an, de facto eine kriegsführende Macht waren, wie Sie es auch selbst anerkannten, und zwar bis zum Preise der schwersten Opfer und der Leiden, die sie unerschütterlich für die Sache der Entente ertrugen. Sie haben sich an allen Fronten auf Seiten der Alliierten geschlagen: In Frankreich durch ihre Freiwilligen, die sich schon in den ersten Tagen bei der Fremdenlegion meldeten, wo sie sich unter den Fahnen Frankreichs mit Ruhm bedeckten; In Palästina und in Syrien, wo die armenischen Freiwilligen, rekrutiert von der Delegation Nationale über Verlangen der Republik selbst, mehr als die Hälfte des französischen Kontingents gestellt haben und zum großen Teil den Sieg des Generals Allenby ermöglichten, wie er auch selbst und seine französischen Kommandeure offiziell erklärt haben; Im Kaukasus, wo, ohne von den 150.000 Armeniern zu reden, die in der Kaiserlich-Russischen Armee kämpften, mehr als 40.000 Freiwillige an der Befreiung eines Teiles der armenischen Vilayets teilnahmen und wo, unter dem Kommando ihrer Befehlshaber Antranik und Nazarbe-koff, die Armenier die einzigen waren unter den Völkern des Kaukasus, die den türkischen Armeen Widerstand leisteten, und zwar von dem Beginn des Rückzugs der Bolschewisten an bis zur Unterzeichnung eines Waffenstillstandes.” (Der Brief trägt das Eingangsdatum des französischen Außenamtes vom 3. 12. 1918). Auf diese Weise erklärte Boghos Nubar, daß die Armenier, die vom 1. November 1914 an bis zur Unterzeichnung des Waffenstillstandes von Mudros am 30. Oktober 1918 gegen das Osmanische Reich ununterbrochen Krieg geführt hatten, in seinen Augen „de facto eine kriegführende Macht waren”. Reproduktion des Briefes von Boghos Nubar an den französisehen Außenminister (1. Seite vollständig; von der Schlußseite Grußformel und Unterschrift Boghos Nubars). Ostanatolische Landschaft oberhalb des Vansees (YedikilisseWarakwank). 102 Die Kriege der Republik Armenien Erstes Opfer der jungen armenischen Republik wurden die Georgier. Die Ursprünge des Konflikts Georgier - Armenier reichen bis in den Beginn der armenischen Einwanderung im 6. bis 4. vorchristlichen Jahrhundert zurück; immer wieder fanden zwischen Georgiern und Armeniern Kriege und Fehden statt. Im Jahre 1920 wurde ein vorläufiger Höhepunkt erreicht, als die Armenier über Alaverdi hinausstießen und bis an den nördlichen Iori vordrangen; aus reiner Eroberungssucht. Hätten die Georgier diesen Ansprüchen nachgegeben, wäre das das Ende Georgiens gewesen . . . die georgische Hauptstadt hätte nur mehr „armenisches” Umland gehabt. Der Anspruch auf die Iori-Zone war ähnlich maßlos wie jener auf Kars, Erzurum oder Adana . . . nur beunruhigender, weil er einen schwachen Nachbarn betraf, der selbst mit tausend Problemen seiner jungen Unabhängigkeit kämpfte. Für gewisse Zonen am Iori hatten die machthabenden Daschnaks wenigstens eine kleine Ausrede: gelegentlich gab es auch nördlich von Tiflis Armenier, die dort, wie 104 überall auf von Moslems einmal beherrschtem Gebiet, eine Minderheit inmitten von Mehrheiten bildeten, ohne daß daraus Ansprüche erwachsen konnten. Die armenische Armee unter General Dor begnügte sich aber nicht mit der „Inkorporierung” armenischer Bauernhöfe oder Dörfer, sondern stieß gleich in Zonen vor, in denen es überhaupt keine Armenier mehr gab. Armenische Einheiten drangen bis in die Bannmeile von Tiflis vor. Erst in diesem kritischen Kriegsabschnitt rafften sich die Georgier zu entschlossenem Widerstand gegen die Armenier auf und drängten die Invasoren zurück. Der armenische Vormarsch auf Tiflis öffnete allerdings der staunenden Weltöffentlichkeit die Augen. Zum ersten Mal erkannte man, daß es die Nachbarn der Armenier nicht mit einer „verfolgten, unschuldigen, unbewaffneten, pazifistischen, christlichen” Nation zu tun hatten, sondern mit einem bedauernswerten Volk, das sich in Händen einer Terrororganisation, der Daschnaksutiun, befand, die ruhe- und rastlos nach Macht und Land strebte, so gut wie völlig unabhängig von tatsächlichen armenischen Siedlungsräumen. Sicher war es auch diese Maßlosigkeit, die alle großarmenischen Träume zunächst in Ost- dann in Südanatolien und schließlich im Kaukasus zerstieben ließ. Das nächste Aggressionsopfer der jungen Republik Armeniern wurde deren östlicher Nachbar, Aserbaidschan. Die Briten zogen ihre Truppen aus dem Kaukasusgebiet im August des Jahres 1919 zurück, nicht ohne ihren armenischen Schützlingen große Mengen modernster Waffen zu hinterlassen. Der einzige Ort im Kaukasus, in dem sich nun noch alliierte Streitkräfte befanden, war Batum, von wo aus die Briten allerdings noch kräftigst zugunsten Armeniens mitmischten. Der Rückzug der Alliierten aus dem Kaukasus führte augenblicklich zu offenen Feindseligkeiten zwischen Armenien und Aserbaidschan. Die Armenier beanspruchten ja nicht nur türkisches Hoheitsgebiet und die Siedlungszonen der Moslems (Türken, Kurden, Tscherkes-sen . . .) sondern auch Teile aserbaidschanischen Landes, vor allem Wohn- und Weidezonen der Tataren. Sowohl Nachitschewan als auch die Berge und Täler von Karabagh standen alsbald im Zeichen entschlossenen Tatarischen Widerstandes gegen die armenischen Okkupanten. Bald erfaßten die Aufstände der islamischen Bevölkerung - die ursprünglich selbstverständlich auch im Gebiet der späteren „Republik Armenien” so gut wie überall in der Die Offensive Armeniens gegen die unabhängige christliche Nachbarrepublik Georgien, die ähnlich expansionistische Ziele hatte wie der Krieg der Armen;er gegen die aserbaidschanischen Nachbarn, zerstörte nicht nur das Image der „friedliebenden Märtyrernation der Armenier”, sondern auch zahllose Kirchen und Klöster in dem umkämpften Gebiet. 105 Nach dem christlichen Nachbarland Georgien fiel das islamische Aserbaidschan der Expansionslust der Republik Armenien zum Opfer, als die Armenier die ausschließlich islamischen, von Türken, Tataren und Aserbaidschanern bewohnten Provinzen Nach-itschewan und Karabah okkupieren wollten. Mehrheit gewesen war - selbst den Bezirk Eriwan. Noraschen wurde von den aufständischen Tataren erobert und - wie üblich in armenischer Diktion - „wurde die Bevölkerung der wehrlosen armenischen Dörfer von den Tataren massakriert”. Vom Vorspiel wird dabei nicht geredet: nämlich davon, daß Armenien zuerst Karabagh und Nachitschewan okkupiert hatte . . . Am schlimmsten wüteten die Armenier in Sansegur, wo sie 40 (!) islami sche Dörfer dem Erdboden im Zuge einer „Strafexpedi tion” gleichmachten und deren Bevölkerung auslöschten. Die blutigen und grausamen Kämpfe hielten bis zum Ende des Winters von 1920 an und schwächten sowohl Armenien als auch Aserbeidschan ganz entscheidend in dem nun heraufziehenden Anbruch eines bolschewisti schen Zeitalters im Kaukasus, dessen Länder sich ihrer kurzen - von den Osmanen ermöglichten! - Selbständigkeit dank armenischer Großmannssucht nur sehr bedingt erfreuen hatten können. Schon im April 1920 fiel das durch den Krieg mit Armenien geschwächte Aserbeidschan den Sowjets anheim, und mit deren Hilfe und Schiedsspruch wurden Sansegur und Karabagh aserbeidschanisch, was das Überleben der dortigen islamischen Bevölkerung gewährleistete. Dann folgte der Kriegszug der Armenier gegen die Türken. Seit dem Waffenstillstand von Mudros am 30. Oktober 1918 - kurz vorher war unter der Schirmherrschaft der Osmanen die Republik Armenien entstanden - drängten die Armenier wieder nach Ostanatolien hinein. Das merkwürdige Interregnum, das sowohl zeitlich wie auch geographisch die Zeit- und Gebietszonen zwischen Kaukasus und Ostanatolien umfing, schien den Armeniern alle Trümpfe in die Hand zu geben, weil die lokalen - in ihrer Ausrüstung wie in ihrer Finanzkraft äußerst beschränkten - islamischen Einheiten, zum Teil unter tatarischer Führung, den vereinigten Briten und Armeniern nicht widerstehen konnten. Im April 1919 rückten die Armenier - mit britischer Hilfe - bis Kars vor. Während Oltu und Ardahan wenigstens nach außen hin eine britische Verwaltung erhielten, über ließen die neuen Kolonialherren Kars gleich zur Gänze den Armeniern. Damals, im April 1919, glaubte sich die junge armenische Republik, die zur gleichen Stunde auch das islamische Nachitschewan okkupierte, auf dem vorläufigen Höhepunkt ihrer Macht: endgültiges Ziel konnte ja nur sein, vom Brückenkopf Kars aus im Norden Trapezunt zu besetzen (als Zugang zum Schwarzen Meer) und dann die Als das „christliche” Armenien gegen das - gleichfalls christliche! - Georgien im Jahre 1920 einen Offensiv-Krieg zur Vergrößerung seines Territoriums führte, war es, hoffentlich, das letzte Mal, daß eine Eroberungsarmee im Zeichen des Kreuzes auszog, um ein gleichfalls christliches Nachbarland zu unterjochen. 106 Vereinigung mit den armenisch-französischen Invasionstruppen zu suchen, die von Adana nach Norden vorrückten, was ein „Großarmenien” vom Schwarzen Meer bis zum Mittelmeer ergeben sollte (wie bei der Pariser Friedenskonferenz 1919 lautstark verlangt). Daß die Armenier selbst zu ihren bevölkerungsstärksten Zeiten in jenem Gebiet nur ein Sechstel der Bevölkerung ausgemacht hatte, daß sie selbst in ihrem stärksten Wilajet, in Van, bloß ein Drittel der Bevölkerung ausgemacht hatten . . . was sollte es? Kars war der Expansionspunkt nach Erzurum und Sivas im Westen, Trapezunt im Norden und Adana im Süden. Es waren die zurückhaltende Klugheit Mustafa Kemals und das militärische Genie des Kazim Karabekir, die gemeinsam die Pläne der Armenier verhinderten. Im Frühjahr des Jahres 1919 begannen die Armenier einen Expansionskrieg nach Anatolien hinein; ihr erster Angriff richtete sich gegen Oltu. Ein georgischer Adler: Die Georgier konnten den armenischen Angriffskrieg von 1920 nur dank internationaler Intervention überstehen. 107 Die Wiedereroberung von Kars und das Ende der armenischen Expansion In den letzten August- und ersten Septemberwochen des Jahres 1920 trat über Einladung der Internationale in Baku ein „Kongreß der Völker des Ostens” zusammen, bei dem eine geschlossene, einheitliche Front aller Kaukasusvölker und der im Kaukasus und dessen Umkreis lebenden Turkvölker zutage trat. Gemeinsames Motiv all der großen und kleinen Völker und Stämme die da vertreten waren schien die Angst vor der Armenierherrschaft zu sein; bei den Sowjets gewiß auch das Vorhaben, auch die Republik Armenien unter sowjetrussische Kontrolle zu bringen, so wie vorher ja auch Russisch-Armenien völlig unter der Kontrolle der weißen Zaren gestanden hatte. Für die Armenier änderte sich ja, nicht zuletzt dank ihrer Maßlosigkeit, letztlich nichts, als daß sie nach ungeheurem Blutzoll der islamischen Völker und der eigenen Landsleute wieder dort landeten, wo sie in der Geschichte fast immer gewesen waren: in der Abhängigkeit; fortan eben unter der der Russischen Bolschewiken (anstatt, wie vorher, unter der des Zaren). 108 Auf dem internationalen Parkett hatte die junge armenische Republik inzwischen jedwede Glaubwürdigkeit, jeden Kredit verloren. Die ununterbrochenen Kriege mit den georgischen und aserbeidschanischen Nachbarn hatten den so kunstvoll aufgebauten Ruf vom „unbewaffneten, friedlichen Märtyrervolk” das so geschickt seine jahrzehntelange Terrortätigkeit hatte vergessen machen können, zerstört; die machthabenden Daschnaks, die vorher Terroristengruppen geführt haben, dirigierten nun eben einen ganzen (wenn auch kleinen) Staatsapparat: vom Gruppen- zum Staatsterror war es nur ein Schritt. Am 27. Juni 1920 griffen die armenischen Truppen Tuzla unweit von Oltu an. Als sie sich geschlagen zurückziehen mußten, beschossen sie am 30. Juni 1920 Oltu mit ihrer Artillerie. Im April 1919 besetzten die Armenier mit britischer Hilfe Kars und bauten es zur Schlüsselstellung des Angriffs gegen Anatolien aus. Ziel war, zwei Zugänge zum Meer zu erkämpfen - im Norden Trapezunt, im Süden Adana - und ein „Großarmerasches Reich” vom Schwarzen Meer bis zum Mittelmeer zu errichten, obwohl die Armenier dort immer nur in einer kleinen Minderheit gelebt hatten. Am 8. Juli stießen sie nach Dügün Tepe vor, tags darauf nach Cambar. Unmittelbar danach nahmen sie die Grenzgebiete von Nachitschewan und Kagizman aufs Korn und drangen nach Kulp vor. Nach gründlicher und gewissenhafter Vorbereitung - die Türken verfügten nur über sehr altmodische, verbrauchte Ausrüstung und keinerlei Luftwaffe, wohingegen die Armenier eine kleine Staffel besaßen, - ging Kazim Karabekir im September 1920 zum Gegenangriff über. Am 29. September eroberten die Türken Sarikamis, zurück, am 1. Oktober erreichten sie Kagizman, nur mehr 80 Kilometer südöstlich der Schlüsselburg Kars. Am 27. Oktober begann der Angriff gegen Kars, und drei Tage später war die Festung mitsamt einer ungeheuren Kriegsbeute in türkischer Hand. Unter den Gefangenen befanden sich ein Minister, drei Generäle, sechs Oberste und zwölf Provinzgouverneure . . . der festgenommene armenische Kriegsminister Aratow sah nun wohl endlich ein, daß der Vorstoß zum Schwarzen Meer und zum Mittelmeer nur mehr ein Traum war . . . zum Glück allerdings unblutiger Natur. Wenige Tage darauf erreichten die Türken Gümrü-Alexandropol, und am 6. November erbaten die Armenier einen Waffenstillstand. Leider flackerten die Kämpfe kurz darauf wieder auf, doch in der Nacht vom 2. zum 3. Dezember 1920 war dann endlich Frieden: das Abkommen von Gümrü wurde unterzeichnet. Drei Monate später wurde das Abkommen von Gümrü (Alexandropol; heute „Leninakan”) in Moskau noch einmal unterzeichnet; zu diesem Zeitpunkt hatten die Sowjetrussen bereits das vollkommene Sagen und die in dem „Vertrag von Moskau” genannten Länder Armenien und Georgien waren von den Russen zur Vertragsunterzeichnung weder geladen noch gar gefragt worden: sie waren wieder russische Untertanen wie vorher. Das Abkommen von Gümrü wurde übrigens nicht nur in Moskau (am 16. März 1921) sondern, nach Approbierung durch die Große Nationalversammlung, am 22. September 1921 auch noch in Kars unterzeichnet. Am 26. September 1921 begannen in der gleichen Stadt allgemeine Friedensgespräche der Kaukasusländer: neben der russischen Delegation kamen auch die Vertreter von Aserbaidschan, Georgien und von Armenien; die Türkei wurde durch Kasim Karabekir repräsentiert. Die Verhandlungen liefen bis 13. Oktober; da wurde auch der Vertrag unterzeichnet. An jenem Tag zog endlich in der leidgeprüften Region Ostanatolien-Kaukasus ein Friede ein - der abgesehen von kleineren armenischen Terroranschlägen - über alle kommenden Wechselfälle der Geschichte, auch über die gefährliche Lage während des Zweiten Weltkrieges hinweg, hielt. Damals hatten sich ja unter der Führung der Deutschen Wehrmacht unter der Hakenkreuzflagge auch armenische Truppenverbände gebildet; nach dem Zweiten Weltkrieg schien es, als wolle die Sowjetunion - so wie vorher das Zarenreich - abermals nach Kars und Ostanatolien greifen, Kasim Karabekir Pascha. doch blieb den Menschen jener Gebiete, die sich noch so stark an die tragischen Ereignisse von 1915 und aller Folgen erinnerten, zum Glück ein neuer Krieg erspart. Das Vertragswerk von Kars, datiert mit dem „13. Oktober 1921, 13-14 h” - enthält neben den präzisen Angaben über die Gültigkeiten der Grenzverläufe (an denen sich nichts mehr geändert hat) und die Nichtigkeitserklärung aller allfälligen sonstigen Abmachungen bezüglich dieses Vertrages (auch das Diktat von Sevres änderte nichts am Vertrag von Kars, auch nicht der Friedensvertrag von Lausanne) auch eine rechtsgültig - auch von Armenien unterzeichnete Vertragsformel, in der es wörtlich heißt: „15 - Jede Regierung dieser Signatarmächte (Russische S.S.R., Armenische S.S.R., S.S.R. Aserbeidschan und S.S.R. Georgien, sowie die Türkei) wird eine allgemeine Amnestie nach der Vertragsunterzeichnung verkünden, ,pour tous les meurtres et delits commis en temps de guerre . . .’” und die Armenier waren wohl, das steht nach ihren eigenen Angaben außer Zweifel, eine de facto kriegführende Nation, vom August 1914 an; eigentlich schon seit dem Jahre 1878, als die armenischen „Volksführer” meinten, mit Hilfe der Russen das Osmanische Reich und die Türken entmachten zu können. 109 Ein genauso tragisches Nachspiel an der Südfront Im Jahre 1915, als sich die osmanische Regierung nach den mörderischen Armenieraufständen von Musch und Van genötigt sah, das gefährdete Anatolien - die Armenier hatten ja innerhalb der Reichsgrenzen eine zweite Front eröffnet - durch eine Umsiedlung der Armenier zu schützen, gelangten mehrere hunderttausend Armenier nach Syrien. Kaum war der Waffenstillstand von Mudros geschlossen, fluteten die Umsiedler wieder in ihre Wohnorte zurück, freilich nun in der Meinung, einen neuen kilikisch-armenischen Staat dort gründen zu können, wo sie nach dem Krieg genau so eine Minderheit waren wie schon vor dem Weltkrieg. Ohne auf die Ereignisse auf diesem Nebenkriegsschauplatz näher eingehen zu können, sei stellvertretend eine Episode berichtet, die das ganze Ausmaß dieses Unternehmens das an die „Tradition der Kreuzzüge erinnern” sollte (und es leider auch tat) verstehen macht: Nachdem die Türken die französisch-armenischen Invasoren schon längst wieder zurückgeworfen und Marsin und Tarus wieder fest in der Hand ihrer Bewohner waren, die sich eine armenisch-französische Herrschaft nicht aufzwingen ließen, erklärte ein Haufen armenischer Fanatiker die Region zwischen den Flüssen Sehun und Jehun für „sich selbst regierend”. Rädelsführer dieser absurden Aktion war Mihran Damadian, in Unehren ergrauter Terrorist, der sich seine ersten blutigen Lorbeeren beim Anzetteln von Aufständen in Sassun geholt hatte. Als die Franzosen ihn in die Schranken weisen wollten, erklärte er am 5. August 1920 einen „unabhängigen armenischen Staat Kilikien” unter französischem Mandat, und besetzte nach Terroristenmanier mit einer Handvoll bedingungslos ergebener Partisanen das Palais des Gouverneurs von Adana. Er - als Repräsentant der Armenischen Nationalen Delegation (was immer das in Kilikien sein mochte) - erklärte sich dort zum „armenischen Gouverneur unter französischem Schutz”. Das unglückliche Theaterstück endete bereits eine Stunde später, als der französische Kommandant den Mihran Damadian mitsamt seiner „Regierung” unmißverständlich aufgefordert hatte, „cette comedie ridicule” raschest zu beenden. Die Franzosen beendeten ihre kilikisches Abenteuer bald darauf. Am 11. Dezember 1918 hatte ein französisches Bataillon, bestehend aus 400 fanatisierten Armeniern, Dörtyol - also die notorische armenische Aufstandsgegend im Banne des Musa Dagh und Zeituns - besetzt. Am 20. Jänner 1920 begannen die Franzosen mit der Evakuierung von Marasch. (Am 6. Februar telegrafierte der Patriarch von Istanbul nach Paris, 2000 Armenier seien von den Türken „massakriert” worden; am 25. Februar kabelte Reuter in alle Welt, die Türken hätten 70000 [sieb110 zigtausend] Armenier in Marasch hingeschlachtet . . .) Der Kampf an der Südflanke der Türkei nahm jedenfalls echten Kriegscharakter an, wenn auch keineswegs im Sinne dessen, was Reuter in üblicher Manier, offenbar noch in der Tradition der Kriegshetze, kolportierte. Der Kampf spielte sich vielmehr zwischen den bestausgerüsteten armenischen Einheiten und ihren nunmehr wieder voll kampffähigen, von einer effizienten Regierung in Ankara geführten türkischen Truppen ab, die mangelnde Ausrüstung und Transportmittel durch Vaterlandsliebe ersetzten. Am 20. Oktober 1921 wurde zwischen M. Franklin Bouillon als Vertreter Frankreichs und der türkischen Regierung ein Abkommen über den bedingungslosen Abzug der Franzosen unterzeichnet. Dank einer unerhörten Panikmache schloß sich die überwiegende Mehrheit der erst 1918 wieder nach Kilikien zurückgekehrten armenischen Bevölkerung - die im Süden der Türkei als wertvolles Mitglied der türkischen Gemeinschaft genau so wertvoll und willkommen gewesen wäre wie im übrigen Anatolien - der französischen Rückzugsbewegung an. Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß die geschlossene Abwanderung der Armenier aus Kilikien geplant und auf ein Ziel hin programmiert war: man wollte den „dümmlichen, unfähigen Türken” beweisen, daß es ohne das armenische Element „einfach nicht ginge”; Handel - vor allem internationaler Handel - und Gewerbe und Industrie endgültig zusammenbrechen müßten. Das Gegenteil trat ein. Unter allen Nachfolgestaaten des Osmanenrei-ches, in denen sich die enorm tüchtigen Armenier zu Hunderttausenden niederließen (sie waren ja 1915 keineswegs ausgesiedelt sondern umgesiedelt worden!) hat sich keiner auch nur im entferntesten mit der Entwicklung in der Türkei messen können. Einzig die Türkei schaffte bislang den Weg in eine sichere, friedliche Gegenwart mit einer an die Grenzen der Gewißheit gehenden Option für eine noch bessere, friedliche Zukunft, während die unglücklichen Nachfolgestaaten, Syrien und der Libanon vor allem, in einem Meer von Blut und Terror - nicht zuletzt von Armeniern getragenem Terror - versinken. À propos „Libanon”: Der französische Oberkommandierende in Kilikien, General Dufieux, ein notorischer Türkenhasser, der es bis zum letzten Augenblick vermied, auch nur mit einem Türken Kontakt aufzunehmen, verließ Adana am 24. November 1921. Unmittelbar vorher besuchte er noch den französischen Soldatenfriedhof alldort, und als er den obligatorischen Kranz niederlegte sagte er traurig: „Den französischen Soldaten, die vergeblich ihr Blut hingegeben haben.” Es war, als wollte er dieses Wort stellvertretend für alle Franzosen sagen, die der Terroropfer im Libanon und Terroropfer des libanesischen Desasters gedenken wollen; die geradezu unfaßbaren Terrorwellen, die Paris und Frankreich aus dem Libaron in der Zwischenheit erreichten und unzählige unschuldige Opfer forderten sind alle und ausschließlich Opfer einer französischen Politik, die meinte, sie könnte Macht und Einfluß im Osmanenreich (also auch in Syrien und im Libanon) gewinnen, wenn sie armenischen Terror gewähren lasse, ja unterstütze. Inzwischen sind in Paris zahllose, von Armeniern gelegte Bomben hochgegangen und haben viele, viele unschuldige französische Bürger getötet; Bomben, die vor allem aus dem einst von Frankreich zum Zwecke größeren Einflusses im Osmanischen Reich künstlich hochgepäppelten Libanon kamen. Ein Herzstück anatolisch-orientalischer Zivilisation: die Wasser, die vom Keban-Damm bei Elazig aufgestaut werden, kommen aus den Quellgebieten des Euphrat, während sich die Tigrisquellen unmittelbar am Südostrand des Kebean-Sees befinden. Hier wurden die Zeugnisse der frühen neolithischen Kultur gefunden, die eindeutig beweisen, daß die von asiatischen Einwanderern kommende Kultur der Hurriter - die urartäische Kultur ist ihr eng verwandt - auf anatolischem Boden entstand und von dort in den Kaukasus und in den Iran ausstrahlte. Die armenische Einwanderung nach Anatolien - zwischen dem 6. und 4. Jahrhundert vor Christus - bildete nur eine kleinere Episode in der überreichen Geschichte des Landes, in dem sich nach dem Zusammenbruch des osmanischen Vielvölkerstaates die türkische Republik aufbaute. Die türkische und prototürki-sche Besiedlung Anatoliens ist uralt - und noch immer bilden türkische Halbnomaden einen wertvollen Bestandteil der Bevölkerung Ost, Zentral- und Südanatoliens. 111 Der Friede von Gümrü (Alexandropol; heute Leninakan) vom 2. Dezember 1922 Das Burgtor der Zitadelle von Van. Die Vertragswerke von Gümrü, Kars und Moskau (1920 und 1921) sichern die türkische Souveränität über Ostanatolien. Die armenischen Terroristen und ihre schiitischen Komplizen betrachten diese Hinschlachtung der an der Tragödie des Libanon völlig unschuldigen Franzosen von heute genauso als ihren „legitimen” Tribut zu einer späten Rache wie die noch viel unbeteiligteren Türken von heute: denn die haben an der Unglücksserie der Armenier noch viel weniger „Schuld” als die Franzosen an den heutigen Zuständen im Mittleren Osten; die haben ja einst, gemeinsam mit Russen und Briten und amerikanischen Missionaren, die unglücklichen Armenier ins Inferno der Aufstände und des Bürgerkrieges gehetzt . . . Am Mittwoch, dem 1. Dezember 1921 rückten türkische Truppen an die Küste vor und in Adana fand die feierliche Übergabe der Verwaltung von den Franzosen an die Türken statt. Damit war endlich auch der unselige Bürgerkrieg an der Südfront beendet, der dank der französischen Intervention wieder so grausam aufgeflackert war. Blieb noch die türkische Westfront: dort hatten die griechischen Truppen seit dem Beginn ihrer Invasion am 15. Mai 1919 halb Westanatolien besetzt und bereiteten bereits die Eroberung von Ankara vor. 112 Die schweren, verlustreichen Kämpfe zwischen den Truppen Käsim Karabekirs und der Republik Armenien endeten zunächst mit dem Waffenstillstand vom 6. November, den die Armenier nach der Einnahme von Kars durch die Türken und deren Vorrücken nach Gümrü erbeten hatten. Nach schwierigen und zähen Vorverhandlungen und erneuten armenischen Angriffen erbat die Republik nach der Niederlage ihrer modernst ausgerüsteten Armee bei Schahtachti am 15. November erneut um Waffenruhe. Zehn Tage darauf begannen die Friedensverhandlungen von Gümrü, die am 2. Dezember 1922 zum Abschluß eines - bis heute gültigen und verbindlichen - Friedens zwischen der Türkei und der Republik Armenien führten. (Kurze Zeit darauf, am 16. März 1921, unterzeichneten die Türken den „Vertrag von Moskau”, weil ja Armenien, so wie fast immer in seiner Geschichte, kein souveräner Staat war, sondern unter der Oberhoheit Moskaus stand. Armenien hatte bereits am 11. Oktober 1920 mit dem sowjetrussischen Bevollmächtigten Legrand vereinbart, daß „Armenien die Vermittlung Rußlands bei der Lösung seiner Gebietsprobleme akzeptiert” - also seine außenpolitische Souveränität an Moskau abtrat.) Der Vertrag von Alexandropol-Gümrü legt die Grenzen zwischen der Türkei und seinem armenischen Nachbarn völlig eindeutig fest; so natürlich auch den Grenzverlauf nordöstlich des Berges Ararat - der Ararat ist der höchste Gipfel der Türkei. Nichtsdestoweniger führt die Sowjetrepublik Armenien immer noch den Ararat in ihrem Wappen, was ähnlich absurd ist wie wenn die Briten in ihrem Wappen den Kilimandscharo führten, bloß weil sie irgendwann einmal in ihrer Geschichte dort Souveränität ausgeübt hatten . . . Die türkische Ostgrenze ist eine der stabilsten der Welt. Noch unter Sultan Selim I. wurden gewaltige Festungswerke an der Reichsgrenze gegen Persien errichtet und später verteidigten Stammesfürsten aus Ostanatolien das Osmanenreich (Bild: Güzelsu, südöstlich von Van). Kopie des Vertragswerke von Gümrü, das den Grenzverlauf zwischen der Sowjetunion und der Türkei festlegt. Das Ende der armenisch-griechischen Invasion und der Friedensvertrag von Lausanne (1923) Als die osmanische Regierung im April 1915 nach den verheerenden Armenieraufständen in Ostanatolien, vor allem in Van, die Umsiedlung der anatolischen Armenier in die sicheren Südprovinzen anordnete, sparte sie die armenische Bevölkerung Istanbuls und Izmirs ausdrücklich aus, weil dort keine Gefahr im Verzug zu sein schien. Spätestens im Frühjahr 1919 sollte sich in Izmir zeigen, wie vorteilhaft für alle es gewesen wäre, auch die Armenier Izmirs rechtzeitig umzusiedeln, weil sie im Zuge der griechischen Invasion alles taten, um ihre türkischen Landsleute zu schädigen. Armenier taten sich in den ersten Tagen der Besetzung Izmirs durch die Griechen mit Gewalttaten gegen die Türken besonders hervor. Als sich die Griechen nach dem maßlosen Ausufern des Terrors in Izmir schließlich gezwungen sahen, gegen ihre eigenen Parteigänger vorzugehen, um dem Morden und Plündern Einhalt zu gebieten, befanden sich unter den zum Tode verurteilten auch zwei armenische Rädelsführer. Im Berichte der Bristol-Kommission (der sich in der Kongreßbibliothek zu Washington befindet und die Lagebeurteilung durch einen Entente-Offizier enthält) ist ausdrücklich von armenischen Banden die Rede, die in der Gegend zwischen Izmir und Istanbul, vor allem um Yalova und Gemlik, türkische Dörfer brandschatzten und das Land, das künftighin nur mehr von Griechen und Armeniern beherrscht werden sollte, von Türken „säuberten”. Während der späteren Friedenskonferenz von Lausanne brachte der türkische Delegationsleiter Ismet Inönü diese Vorkommnisse auch ausdrücklich zur Sprache - und niemand widersprach ihm. Die griechische Invasion Anatoliens endete für die Aggressoren mit einer Katastrophe: am 15. Mai 1919 waren sie bei Izmir gelandet, am 9. September 1922 eroberten die Türken ihre bedeutendste Hafenstadt zurück. Unmittelbar vor dem Einmarsch der Türken brach im Armenierviertel ein Großbrand aus, der 25000 Wohnhäuser vernichtete und den Türken eine zur Hälfte vernichtete Stadt hinterließ. 114 Der griechische Überraschungscoup gegen die Türken hatte am 15. Mai 1919 mit der groß angelegten Invasion Westanatoliens begonnen; endlich sollte - nach zweitausend Jahren! - wieder „Groß-Griechenland” auf dem inzwischen längst türkisch gewordenen Boden Anatoliens entstehen. Die Alliierten hatten das abenteuerliche griechische Unternehmen zuvor „abgesegnet”, was nicht hieß, daß sie bei dessen Scheitern den Opfern dieses Größenwahns beistehen würden, wie das Schicksal der griechischen und armenischen Flüchtlinge alsbald anschaulich zeigte. Die mit modernsten Waffen und viel Kapitaleinsatz durchgezogene griechische Aggression wurde für das türkische Anatolien existenzbedrohend, als die hellenische Expeditionsarmee Haymana erreichte und damit das Weichbild der neuen Hauptstadt Ankara. Dort war ununterbrochen der Kanonenlärm vom Schlachtfeld her zu hören und die Regierung dachte zwar nicht ans Aufgeben, aber ans Übersiedeln - oder Fliehen - nach Sivas. Doch die Griechen hatten ihre Expansionskraft überspannt. Allmählich gewannen die Türken, vor den Toren Ankaras, wieder an Boden und nach elftägiger Schlacht (vom 21. August bis 2. September 1921) brach die griechische Angriffsspitze vor Ankara und die Verteidiger drängten die Aggressoren rasch nach Westen ab, barfuß zwar und elendiglich ausgerüstet und versorgt . . . aber eben siegreich. Frankreich erkannte sehr rasch, daß sich das Blatt wendete und beeilte sich, gute Beziehungen zu Ankara herzustellen. Außenminister Henri Franklin-Bouillon eilte nach Anatolien und gab so zu erkennen, daß sein künftiger Verhandlungspartner in Ankara - und nicht in Istanbul saß, wo ja noch immer eine machtlose osmanische Regierung Souveränität vortäuschte. Frankreich also akzeptierte den neuen türkischen „Nationalpakt” und gab gleichzeitig zu erkennen, daß es das Diktat von Sevres als nichtig betrachte. So hat jene Nation, die in der Vergangenheit die Armenier am entschiedensten und unverfrorensten zu Krieg und Terror aufstachelte, als es darum ging, das Osmanenreich zu schwächen, reagiert, als es sich abzeichnete, daß den Türken damit nicht beizukommen war. Über Nacht geriet die „Sache der Armenier” so in Vergessenheit, wie jene „Großgriechenlands”, das sich soeben durch Überspannen der Möglichkeiten selbst liquidierte. Im August 1922 begannen die Türken nach sorgfältiger Vorbereitung ihren Angriff gegen die griechischen Invasoren, die sich inzwischen in Westanatolien eingeigelt hatten und alles auf die Karte „Sieg” setzten; am 13. Juni 1921 begab sich sogar König Konstantin persönlich auf das anatolische Schlachtfeld und setzte, bedeutungsschwanger, seinen Fuß dort an Land, wo die unglücklichen Kreuzfahrer Jahrhunderte vorher (gleichfalls vergeblich) an Land gegangen waren. Am 2. September 1922 befreiten die türkischen Truppen Eski§ehir, eine Woche später Manisa, das die Griechen vor ihrem Abzug in Brand steckten, so wie kurz darauf Izmir. Den Türken sollte „verbrannte Erde” hinterlassen werden. Als die Kemalisten endlich vor Izmir standen, brach unmittelbar vor dem Einmarsch der siegreichen Türken im Armenierviertel der Hafenstadt ein verheerender Großbrand aus, der 25000 Häuser einäscherte, die Hälfte des Hausbestandes von Izmir. Löschmannschaften irrten hilflos umher und suchten vergeblich nach Wasseranschlüssen: die Zisternen waren leer, die Brandlöschgeräte zerstört, die Wasseranschlüsse unterbrochen. Es dürfte sich bei dem Holokauston, diesem größten Brandopfer, das innerhalb des Kraftfeldes der Antike jemals dargebracht worden ist, um den nach der Auslöschung von Van (im Frühling 1915) entsetzlichsten Terrorakt der Daschnaks gehandelt haben, der je die Welt heimsuchte. Schreckliches Ende des griechischen Angriffskrieges gegen die Türken: Eine Flüchtlingswelle verläßt das brennende Izmir, in der Folge verlieren Millionen Menschen ihre angestammte Heimat, in Griechenland wie in Anatolien. Die Rechnung der griechischen Aggressoren war ebensowenig aufgegangen wie jene der armenischen Terroristen. Selbstverständlich verbreiteten die Brandstifter überall in der Welt das Gerücht, die Türken hätten - am Tage ihres siegreichen Einzuges in Izmir! - die nach Istanbul größte, reichste und schönste Stadt Anatoliens gebrandschatzt . . . und die Weltöffentlichkeit schluckte auch diesen Unsinn, so wie sie vorher die anderen Greuelberichte befriedigt zur Kenntnis genommen hatte. Die Mär vom „häßlichen Türken” zog immer. Am 11. Oktober 1922 unterzeichneten die siegreichen Türken und unterlegenen Griechen den Waffenstillstand von Mudanya, unweit von Yalova, wo die armenischen Freischärler während der griechischen Besatzungszeit so schamlos gewütet hatten. Dieser Waffenstillstand bedeutete das Ende, das siegreiche Ende, des „Istiklal Harbi”, des türkischen Unabhängigkeitskrieges. Die Regierung Seiner Majestät des Sultans - immer noch Gefangener der Entente in Istanbul -, schickte Glückwünsche. Istanbul, Topkapi-Serail, für Jahrhunderte Residenz der osmani-schen Sultane-Kalifen. Die Friedensverhandlungen begannen in Lausanne, am 22. November 1922. Ismet Pascha, der Sieger von Inönü, trat als Führer der türkischen Delegation nach seinen Siegen auf den Schlachtfeldern Anatoliens auch als geschickter Diplomat hervor. Er schaffte es, die türkischen Unterhändler als gleichberechtigte Verhandlungspartner zu präsentieren und keinesfalls als Diktatsempfänger, wie es noch in Sev-res geschehen war, auch wenn die Siegermächte diese Tatsache kaum zu fassen schienen. Im Osten der Türkei gab es keinerlei Gebietsprobleme mehr. Die Verträge von Gümrü, Moskau und Kars regelten längst alle Gebietsfragen, die es zwischen der Sowjetunion (als neuem Herren der Armenier) und der Türkei gegeben haben mochte. Die Türken weigerten sich auch, in Lausanne über ihre Ostgrenze auch nur eine Silbe zu verlieren. Aus den Friedensverhandlungen von Lausanne ging die Türkei als Sieger hervor, der seine - ihm auferzwungenen - nationalen Grenzen mit Geschick und Bestimmtheit zu verteidigen wußte. Der ganze Fragenkomplex „Nationalität” oder „Volkszugehörigkeit” war den Osmanen ja auferzwungen worden; die osmanische Dynastie kannte ja, wie alle gewachsenen Monarchien, die diskriminierende Eigenschaft einer „Nationalzugehörigkeit” nicht: bei einer 115 Dynastie zählte ausschließlich die Loyalität innerhalb eines Reichsverbandes, und niemals eine Bluts- oder Stammeszugehörigkeit. Obwohl die Türkei - gezwungenermaßen, und absolut nicht freiwillig! - nun auf dem Wege zu einem modernen „Nationalstaat” dahinschritt, weigerten sich die türkischen Vertreter in Lausanne, ihre nun gewonnene „nationale Integrität” durch zusätzliche Nationalismen gefährden zu lassen. Folgerichtig kommt das Wort „Armenier” im Vertrag von Lausanne nicht einmal andeutungsweise vor. Als Lord Curzon, offensichtlich in der Meinung, eine Pflichtübung absolvieren zu müssen, auf die Armenier zu sprechen kam, obwohl sie ihn nicht mehr interessierten (sie hatten ihre Schuldigkeit als nützliche Idioten der Entente längst getan) fuhr ihm Ismet Inönü über den Mund: „Es ist jetzt an der Zeit, zu betonen, daß auf dem Boden des Osmanischen Reiches, heute auf seine rein türkischen Landesteile zusammengeschmolzen, keinerlei Minderheit lebt, die einen eigenen Staat beanspruchen könnte. Obwohl der Grundsatz der Nationalität nicht überall gleichermaßen angewendet werden kann, erscheint mir die Tatsache, daß mancher unserer Nationalitäten Unabhängigkeit anstrebten und den osmanischen Reichsverband verlassen wollten, bis zu einem gewissen Maße gerechtfertigt. Aber heute ist die Lage völlig anders. (Die Türkei war ja bereits auf den Rang eines reinen Nationalstaates zusammengestutzt worden!). So wie es völlig undenkbar wäre, daß die Griechen, die zum Beispiel in Marseille wohnen, dort einen unabhängigen Staat bilden könnten oder Marseille ihrem griechischen Mutterland einverleiben könnten, ist es auch ausgeschlossen, daß Griechen oder Armenier der Türkei solche Rechte beanspruchen!” Als der griechische Ministerpräsident Venizelos, der durch die Invasion griechischer Truppen in Anatolien und das nachfolgende Debakel dieses Angriffskrieges eine gewaltige Blutschuld auf sich geladen hatte (er mußte ja das ganze Flüchtlingselend verantworten!) in seiner Rede kurz auch die armenische Problematik streifen zu müssen glaubte, fiel ihm Ismet Inönü ins Wort: „Mir scheint, Herr Venizelos hat vergessen, darüber eine Bemerkung zu machen, welch eine Quelle des Unglücks die Besetzung Kleinasiens durch die griechische Invasionsarmee auch für die Armenier gewesen ist. Diese bedauernswerten Menschen waren gezwungen, in die griechische Armee einzutreten (. . .) und wurden an die Front geschickt, um auf die Türken zu schießen. Nach der griechischen Niederlage gab es dann diese verheerenden Brände und Zerstörungen. Anderseits haben die Griechen versucht, die Untaten, die während jener griechischen Besatzungszeit geschahen, nachher den Armeniern in die Schuhe zu schieben. Schließlich, als sich die Griechen geschlagen aus Kleinasien zurückziehen mußten, rissen sie die Armenier mit sich. Die griechische Regierung ist wohl die letzte, die sich für die Armenier verwenden darf, weil sie direkt in alles verwickelt ist, was den Armeniern an Schlimmem widerfuhr . . .” 116 Als Lord Curzon am 13. Dezember von „drei Millionen Armeniern” zu faseln begann, „die es einstmals in Kleinasien gegeben habe” antwortete ihm Inönü, daß es im gesamten Laufe der Weltgeschichte keinen Bevölkerungsstand von drei Millionen Armeniern in Anatolien gehabt habe (tatsächlich lebten vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges dort 1,5 Millionen Armenier). Bitter bemerkte Inönü, daß man die Armenier Kilikiens erst jüngst gezwungen habe - und zwar von seifen ihrer eigenen Revolutionskomitees - ihre Heimat gemeinsam mit den abrückenden Franzosen in Richtung Syrien wieder zu verlassen. Der Hintergedanke bei solchen forcierten Abwanderungen war, daß die türkische Wirtschaft völlig zusammenbrechen würde, verfügte sich nicht über die armenische Infrastruktur und die Außenhandelserfahrung der Armenier - ein Gedanke, der sehr bald durch die Tatsachen widerlegt wurde. Als am 6. Jänner 1924 noch einmal die Rede auf die Armenier kam, erklärte Inönü: „Es sind ausschließlich die Alliierten, die Schuld gegenüber den Armeniern haben. Es sind die Alliierten, die die Armenier gegen die Türken aufhetzten und sie als Werkzeug ihrer Politik mißbrauchten . . . es sind die Alliierten, die die Armenier dem Hunger, den Epidemien und schließlich dem Exodus überantworteten. Uns trifft dafür keine Schuld, sondern ausschließlich die Mächte der Entente. Wenn die Armenier eine Kompensation für all das verdienen, was sie erlitten haben, dann gebt sie ihnen!” Nach diesem dramatischen Konferenztag kam die Problematik der bedauernswerten Armenier, die sich von den Versprechungen der Entente hatten hinreißen lassen, nicht mehr zur Sprache. Da das Wort „Armenien” oder „Armenier” im Vertragstext von Lausanne nicht vorkommt, war auch endlich der diabolische Vorwand, den die Russen durch Einfügung einer armenischen Klausel in San Stefano und in Berlin (1878) geschaffen hatten, aus der Welt geschafft, zum Nutzen jener Armenier, die in der Türkei verblieben und dort als Bürger wie jeder andere Mensch der türkischen Gemeinschaft leben, unter den gleichen Gesetzen, mit gleichen Rechten und Pflichten wie alle. Am 24. Juli 1923 unterzeichneten die Mächte den Vertrag von Lausanne. Die armenische Delegation hatte schon am 2. Februar, als sie die Aussichtslosigkeit ihrer Bemühungen und die Hilflosigkeit ihrer „Verbündeten” erkannte, Lausanne verlassen. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß die Sowjetrussen, die Russisch-Armenien am 29. November 1920 durch die Gründung der „Armenischen Sozialistischen Sowjetrepublik” wieder völlig in der Hand hatten, durch ihren Außenminister Tschitscherin von einem neuen „nationalen Foyer für die Armenier” an der Wolga oder in Sibirien redeten. In den dreißiger Jahren machte dann Stalin diesen Zynismus zur schrecklichen Wirklichkeit, als er begann, die Armenier in großem Umfange ausgerechnet in das Altai-Gebiet (die Urheimat der Türken) umzusiedeln. Nach der Beendigung der Friedenskonferenz von Lausanne verlassen die Delegierten der Entente und der Türkei am 24. Juli 1923 den Schauplatz des Geschehens, bei dem sich Ismet Inönü als türkischer Delegationschef voll durchgesetzt hatte, das Konferenzgebäude, die Universität von Lausanne. Meist wird im Zusammenhang mit der Tragödie der Armenier übersehen, auf den Artikel 31 des Vertrages von Lausanne hinzuweisen: er enthält die Bestimmung, daß jeder ehemalige Staatsangehörige des Osmanischen Reiches, der im Zuge der Gründung der Nachfolgestaaten eine neue Staatsbürgerschaft erhalten hatte innerhalb von zwei Jahren als türkischer Bürger in die Türkei kommen konnte und Artikel 31 galt selbstverständlich auch für alle osmanisch-armenischen Bürger, die während des Krieges umgesiedelt worden waren, ja aus welchem Grund auch immer in der Nachkriegszeit nicht auf türkischem Boden weilten. Artikel 31 war für die umgesiedelten Die Türkei schrumpft nach dem Weltkrieg auf ein Zehntel ihrer Fläche. (Aus: „Chronik der Menschheit”, Chronik-Verlag, Dortmund.) 117 Armenier, die in die Türkei zurückkehren wollten, maßgeschneidert. Entsprechend diesem Vertragspunkt konnte jeder Armenier, der einmal osmanischer Bürger gewesen war, bis zum 24. Juli 1925 als gleichberechtigter türkischer Bürger in die Türkei kommen. Damit ist jede Rede von „Austreibung” hinfällig; zumal die Armenier nach den Aufständen von Ostanatolien ja nicht aus dem Reichsgebiet ausgesiedelt, sondern in weniger gefährdete Provinzen umgesiedelt worden waren. Mit dem Untergang des Osmanischen Reiches zerbrach einer der vornehmsten, großartigsten Vielvölkerstaaten der Weltgeschichte. Die Welle des tödlichen Giftes „Nationalismus” hatte ihn spät, aber umso verheerender erreicht. Trotz aller Fehler und Fehlleistungen der Osmanen schält sich im Bild der Geschichte immer klarer die Bedeutung dieses Reiches heraus, in dem Sunniten wie Schiiten, Christen vieler Bekenntnisse, Juden und Sabäer ihre gute Zeit hatten. 118 Der Terrorismus als blutiger, realer Phantasiekrieg Terrorismus ist die Kampfart des Phantasiekrieges. Terror und Phantasiekrieg sind ein Phänomen, das Menschen dazu verleitet, so zu tun, als gäbe es „Krieg” mit all seinen Freibriefen zum Töten, wobei in fast allen Fällen der Gegner (meist sind es Staaten, denen der Phantasiekrieg erklärt wird) dazu neigt, denselben wegzuleugnen, zu verdrängen, so zu handeln, als gäbe es diese phantastische Kriegserklärung nicht. Wird einmal einer der Kriegsgegner gefaßt, versucht die Staatsgewalt meist, den Unhold so schnell wie möglich wieder loszuwerden, ihn laufen zu lassen, um nicht lästigen Erpressungen ausgesetzt zu sein. Frankreich kann für diese Verhaltensweise besonders gegenüber dem Armenierterror als abschreckendes Beispiel genannt werden. Es braucht zu einem solchen Phantasiekrieg mindestens zwei gegenseitige, organisierte Gruppen (und manch ein Staat scheint aus diesem Grunde den Eindruck erwecken zu wollen, nicht organisiert handeln zu wollen). Meist handelt es sich um einen bestimmten Staat auf der einen Seite, der sich den Angriffen einer mehr oder weniger großen Organisation ausgesetzt sieht, die sich staatliche Attribute (Vollmacht zur Exekution von „Urteilen”, also Herrschaft über Leben, Freiheit und Tod, erpresserisches Eintreiben von Steuern und Abgaben, Beeinflussung oder gar Beherrschung der Medien) arrogiert. Terrorgruppen verüben die schlimmsten Verbrechen im Namen ihrer „Eigenstaatlichkeit” und der daraus resultierenden „Eigengesetzlichkeit”, die sie zur allgemeinen Norm erheben und anerkannt sehen wollen. Die Phantasiekriege der Terroristen führen entweder zum offenen, „echten” Krieg, der mit dem Unterliegen einer Partei endet - allzuoft mit dem Untergang eines Staates oder sie laufen sich im fortgesetzten, oft über Jahrzehnte oder wie im Falle des armenischen Terrors gar über mehr als ein Jahrhundert währenden Schreckenstaten fest. Gerade solche Organisationen wie die armenischen Terrorkommandos zeichnen sich durch eine besondere, wenn auch pervertierte „Liebesbeziehung” zu einem „Liebesobjekt” aus: sie wollen einen armenischen Großstaat, obwohl es so etwas bloß vor zwei Jahrtausenden und für eine ganz kurze Zeit gegeben hat und das noch dazu auf einem Territorium, auf dem es niemals in der Geschichte eine armenische Mehrheit gegeben hat. Sie wollen außerdem Rache für ein bestimmtes historisches Ereignis, das zumindest in der Form, wie sie es verstehen, niemals stattfand. Eine doppelt irrationale Motivation, offensichtlich doppelt gefährlich als andere Terrorgruppen mit wenigstens einer Spur von Wirklichkeitssinn und historischem Rüstzeug. Terroristen - besonders armenische Terroristen - leben mitten unter uns, bauen sich ihre eigene Subkultur auf, mit eigenem Wertsystem und versuchen zudem ständig, Proselyten zu machen, Überläufer zu finden, die ihre ter- Zeitgenössische armenische Postkarten mit den Helden des Terrors; in der Mitte der oberen Reihe einer der Rädelsführer des Überfalls auf die Osmanische Bank, Papkenian. roristische Gegenkirche höher einschätzen als eine orthodoxe armenische Kirche oder eine andere, friedliche armenische Organisation. Da die Armenier ein überdurchschnittlich intelligentes Volk mit - dank ihrer Tüchtigkeit und ihres Fleißes - überdurchschnittlich hohen Einkommen und Bildungsgraden sind, zeichnen sich die durch die Führer des armenischen Terrors gewonnenen Kader durch besondere Effizienz aus, eine Wirkungskraft die so weit geht, daß es Journalisten, Historiker, Filmemacher oder Fernsehmanager, die durchaus genug Einfluß und Wissen hätten, gerade den armenischen Terror und die falschen Voraussetzungen der ihm zugrundeliegenden Argumentation zu enttarnen, ängstlichst vermeiden, etwas gegen die Gewalttäter zu unternehmen. Das ist einer der Hauptgründe, wenn nicht der Hauptgrund, warum an jede Meldung über einen neuen Bomben- oder Revolveranschlag armenischer Terroristen wie in einer fest eingefahrenen rituellen Pflichtübung der Standardsatz angehängt wird: „Das Terrorkommando, das die Verantwortung für den Anschlag übernommen hat, rechtfertigt das Attentat mit dem von den Türken im Jahre 1915 verübten Völkermord an den Armeniern.” Hier wird eine ganz gewöhnliche PR-Nachricht nicht mit Geld, sondern mit Blut eingehandelt! Allein das Weglassen dieses albernen, durch nichts zu entschuldigenden Nachsatzes würde das wesentliche Motiv der Attentäter - die ständige Wiederholung eines niemals in dieser Form stattgefundenen Ereignisses zunichte machen. Solange die „Botschaft” mit Hilfe des Blutzolls allerdings so leicht über die Rampe zu bringen ist, wird es auch Terroranschläge von dieser Seite geben. Im „Normalfall” der menschlichen Existenz spielt der biologisch motivierte Überlebenstrieb, der den Gedanken an Tod und ein endgültiges „Aus” meisterhaft zu verdrän- Gewisse armenische Kreise, vor allem in den Vereinigten Staaten, pflegen den „Helden”-Kult um zeitgenössische Terroristen genauso wie ihre geistigen Väter im 19. Jahrhundert. Das Verbrechen des Schweigens liegt weniger über der Sache des Unglücks des armenischen Volkes - über das sehr, sehr viel publiziert wurde -, sondern vielmehr auf Seiten jener Autoren und Historiker, die geschichtliche Zusammenhänge wohl kennen, aber aus Angst vor armenischem Terror die Wahrheit nicht sagen. gen weiß, durch tausend Mechanismen übertölpelt und endlich dazu führt, daß der Mensch Jahr für Jahr dahinlebt, und seinen Freuden und Leiden lebt als gäbe es kein endgültiges „Aus”, das allerdings jede Sekunde eintreten kann, eine lebensbeherrschende Rolle. In manchen Fällen hilft die Vorstellung von Unsterblichkeit, der Hoffnung (oder Gewißheit), der Tod sei nichts als ein Schritt vom irdischen, zeitlich begrenzten in das ewige Leben. Während in fast allen menschlichen Existenzen der Tod als etwas Schwerwiegendes, als ein nach Möglichkeit hinauszuschiebendes Ereignis betrachtet wird und Ärzte in diesem „Hinausschieben” mitunter Unmenschliches zu leisten wissen, während Priester um längeres Leben oder 119 ewiges Leben beten und Sakramente spenden, geht der Terrorist in vielen Fällen mit einem Achselzucken über eigenes — und fremdes - Leben hinweg: die anderen Toten sind nichts als Bauschutt auf dem Wege zum Ziel und sein eigener Tod ist ein gerne geleisteter Zoll an das angenommene Ideal, sei es nun ein (armenisches) Utopia oder vollzogene Rache, auch wenn es nichts zu rächen gab. Es gibt im menschlichen Zusammenleben allerdings einen Ausnahmezustand in dem der Tod so massenhaft auftritt, daß er dadurch seine Schreckhaftigkeit wie oft sogar seine Meßbarkeit zu verlieren scheint; einen Ausnahmezustand, in dem der Tod mitunter mit größter Begeisterung gesucht wird, und Freunde und Verwandte den Tod eines geliebten Menschen mit Jubel, Stolz und Begeisterung begrüßen können, besonders dann, wenn der DahingeWährend sich weder auf dem Festungshügel von Van noch auf dem von Cavustepe auch nur eine Spur von armenischer Besiedlung findet, gibt es mehrere urartäische Inschriftensteine, die später entweder mit Kreuzen verziert oder in armenische Grabsteine umgewandelt wurden; solche Monumente fanden sich auch in dem Dorf zu Füßen von Чavuшtepe, das an der gleichen Stelle liegt wie das alte urartäische Dorf. Zum Schaden aller hat der extreme Nationalismus der armenischen Führungsschicht ein weiteres Zusammenleben dieses Volkes mit den anderen Völkern und Stämmen Ostanatoliens verhindert. Es gibt verschiedene Arten der Meuchel-Propaganda; eine der übelsten ist die der versteckten Fälschung. Das Pamphlet „Der Völkermord an den Armeniern vor Gericht” - schon in sich eine Unwahrheit - wird garniert durch eine Bildmontage, hergestellt aus einem Portrait des inkriminierten Talaat Pascha sowie einem schaurigen Berg von Totenschädeln. Der flüchtige, oberflächliche Betrachter - und auf den kommt es an, weil er die überwältigende Mehrheit bildet - wird unweigerlich Talaat mit dem auf dem Titelbild wiedergegebenen Kranion in Verbindung bringen; womöglich gar als Täter. Die Wahrheit ist freilich völlig anders: Die Schädelstätte gibt ein Gemälde des russischen Schlachtenmalers Wassilij W. Werestschagin (1842-1904) wieder und ist eine „Apotheose des Krieges” von 1871 (PreußenFrankreich), stammt also aus einer Zeit, in der es ein „armenisches Problem” noch gar nicht gab . . . das wurde erst 1878 beim Diktat von San Stefano von Rußland ins Spiel gebracht. schiedene vor seinem eigenen Tod noch möglichst viele „Feinde” umgebracht oder mit in den Tod genommen hat; wenn er etwa ein Flugzeug zum Absturz oder ein Passagierschiff zum Sinken oder eine Stadt zum Verglühen gebracht hat. Solche Menschen werden ausgezeichnet, hoch dekoriert, sogar auf ihre Gräber legen die Oberen noch Diplome und Orden: es ist der Krieg, der diesen Primat des Todes über das Leben öffentlich gutheißt, ja begrüßenswert erscheinen läßt, daß eine Gesellschaft die andere auslöscht, eine Hochkultur die andere in den Abgrund stürzt. 120 Jeder einzelne Soldat darf im Kriege Mitmenschen in beliebiger Zahl umbringen, wenn sie nur auf der „anderen” Seite stehen, je mehr, desto besser, und der Kriegszustand ermöglicht es, daß gefangengenommene, hochdekorierte feindliche Soldaten, die den Ausweis über ihre Tötungskapazität sozusagen stolz auf der Brust tragen, sogar vom siegreichen Feinde geehrt und geachtet werden. Ein gefangengenommener Terrorist, ein geschnappter Killer von der Terrorfront, verlangt denn auch stereotyp, von seinen Häschern als „Kriegsgefangener” behandelt zu werden, nicht nur wegen der besseren Haftbedingungen, sondern auch wegen der Schwierigkeit einer Verurteilung und einer baldigen Entlassung. Tatsächlich befindet sich jeder Terrorist - subjektiv - im Kriegszustand, wenngleich es sich dabei um seinen persönlichen Phantasiekrieg handelt, denn zum wirklichen Kriegführen bedarf es wenigstens zweier klar unterscheidbarer Einheiten, die wenigstens über eine beschränkte Souveränität verfügen. Dazu muß kommen, daß wenigstens eine der Streitparteien einen „Feind” erkennt (im Falle Türken - Armenier recht schwierig, weil die Türken die Armenier noch immer sehr achten und hoch einschätzen, wie jeder Türkeireisende leicht selber feststellen kann) und es muß ein casus belli vorhanden sein, ein Kriegsgrund, der in fast allen Fällen auch den friedfertigsten Gegner zwingt, eine ähnlich feindselige Haltung einzunehmen wie der Feind, will er überleben. Die Folgerungen für die Terrorszene sind klar: die Terroristen haben der menschlichen Gesellschaft, unter welchen Vorwänden auch immer, den Krieg erklärt. Auffallend bei der Entwicklung des armenischen Terrors ist die Haltung, die einige armenische Gemeinschaften vor allem in den USA und in Frankreich, wo sie einen gewichtigen, finanzkräftigen und hochintellektuellen Faktor des öffentlichen Lebens ausmachen - gegenüber der Terrorszene einnehmen. Armenische Vereine und Verbände geben sich dort mitunter bemerkenswert konziliant, wenn sie nicht gar den Terror offen unterstützen.. Es ist sogar wiederholt vorgekommen, daß in öffentlichen Gottesdiensten umgekommener oder dingfest gemachter Terroristen gedacht wurde. Das „Betriebsklima” bei diesen Gedächtnis- und Sympathiekundgebungen, die sich in weltlichem wie in kirchlichem Rahmen abspielen, stammt nicht nur von der Tatsache her, daß viele Armenier Opfer von Erpressungen durch die eigenen Terrororganisationen werden, sondern vor allem von dem aufgeputschten, weitgehend falschen Geschichtsbewußtsein, das vor allem in manchen Presseerzeugnissen der armenischen Diaspora verbreitet wird, wobei es auf solche Lappalien wie „EINE Million Tote im Jahr 1915, zwei oder zweieinhalb Millionen Opfer” (gelegentlich in der gleichen Zeitschrift!) überhaupt nicht anzukommen scheint. Armenische Intellektuelle zeigen auch eine bemerkenswerte Intoleranz gegenüber Fachleuten, die anderer Ansicht über den Verlauf der Geschichte sind als sie: so kann Univ.-Prof. DDr. Justin McCarthy, der die sensatio- nelle, wissenschaftlich unwiderlegbare Publikation „Muslims and Minorities” verfaßte, in der die wahren Bevölkerungszahlen Anatoliens erstmals aufscheinen, seine Vorträge stets nur unter massivem Polizeischutz abhalten; dem Historiker Stanford J. Shaw, dessen „History of the Ottoman Empire” dem armenischen Geschichtsbild nicht entsprach, wurde das Haus zerbombt, um ihn einzuschüchtern und an weiteren Publikationen zu hindern. Diese Einschüchterung geht so weit, daß heute bezweifelt werden darf, ob sich noch ein armenischer Verleger fände, der das einigermaßen objektive, aber durchaus armenierfreundliche Buch der Louise Nalbandian über das „Armenian Revolutionary Movement” neu auflegen wollte, weil sich darin immerhin einige kritische Worte finden. Die armenischen Terrororganisationen Die armenischen Terroristen führen ihre Anschläge unter dem (Deck)namen mehrerer Organisationen durch, aber trotz der verwirrend erscheinenden Vielfalt von Kürzeln und breit ausgewalzten Programmtiteln läuft alles auf bloß zwei Organisationen hinaus. Die älteste armenische Terrororganisation erwuchs aus der Daschnakisten-Partei, die von Anfang an im Banne der russischen Anarchisten und Ultras stand. Sie wurde in Russisch-Armenien groß und war eine Antwort der Extremisten auf die vergeblichen Bemühungen der gleichen Kreise, der armenischen Minderheit innerhalb des osmanischen Reichsverbandes einen eigenen Staat zukommen zu lassen, Bemühungen, die wegen der kleinen Minderheit, die die Armenier in Ostanatolien immer gebildet hatten, von vornherein zum Scheitern verurteilt waren. Das Erbe dieses armenischen Ur-Terrors (in diesem Buche wird über den armenischen Terrorismus im Osmanischen Reich des 19. und 20. Jahrhunderts ausführlich berichtet), der dem Terror der schiitischen Selbstmordkommandos verblüffend ähnelt, trägt - aus historischer Sicht - in erster Linie die JCAG (Justice Commandos of the Armenian Genocide, Gerechtigkeitskommandos für den Armenischen Völkermord’). Die Terrorüberfälle der JCAG gelten, es klingt fast komisch, als von „Konservativen” ausgeführt. Ihre Spezialität scheint die Ermordung türkischer Diplomaten und ihrer Familienangehörigen zu sein. ASALA (Armenian Secret Army for the Liberation of Armenia, Armenische Geheimarmee zur Befreiung Armeniens’) wird hingegen allgemein als eine marxistische, stark am Gängelband der Sowjetunion hängende Terrororganisation angesehen, die in der Existenz einer „Sozialistischen Armenischen Sowjetrepublik” einen Idealzustand sieht und die „Vereinigung” Ostanatoliens mit der ASSR anstrebt. 121 Die Sowjets können diesem Gedanken nur bedingt zustimmen, fürchten sie doch, daß ein allzu großes Armenien leicht abtrünnig werden könnte, unterstützen aber dennoch die gegen die Türkei (auch als wichtigem NATO-Bündnispartner) gerichteten Aktivitäten. Die ASALA genoß im Libanon jahrelang auch die Gastfreundschaft und Förderung schiitischer Terrorgruppen, zu denen diese armenischen Terroristen überhaupt eine besondere Affinität zu haben scheinen . . . von der Todesbereitschaft, ja Todessehnsucht bis zu der Radikalität der Anschläge, bei denen stets ohne die Spur einer Rücksicht auf völlig Unbeteiligte vorgegangen wird. Trotz der offenkundigen geistigen Verwandtschaft zu den schiitischen Auffassungen über Wert oder Unwert des Lebens verkündete die ASALA in ihrem Sprachrohr ARMENIA: „Unsere Streitkräfte werden niemals gegen die Sozialistische Armenische Sowjetrepublik (ASSR) vorgehen, die schon befreit ist.” Das entspricht vollendet den Interessen der Sowjetrussen, die so wie ihre zaristischen Väter den Zugang zu den „Warmen Wassern”, also die Herrschaft über Ostanatolien (als Brücke zum Golf) und den Bosporus (als Passage ins Mittelmeer) mit allen Mitteln anstreben. Trotz der Massendeportationen von Armeniern ins Innere Asiens, die Stalin durchführen ließ, kamen die armenischen Intellektuellen mit dem Sowjetsystem meist bestens zurecht, wie die Karrieren eines Anastas Mikojan oder eines Juri Andropow, der es gar zum sowjetischen Staatsoberhaupt brachte, schlagend beweisen. Die zahllosen anderen Terrororganisationen, die in den Verbrechenslisten aufscheinen, sind nichts als Sigel für die zwei großen Terrorgruppen, die nach Gutdünken und Belieben Umbenennungen vornehmen, teils, um die Öffentlichkeit über die wahren Größenverhältnisse zu täuschen, teils um die eigenen Mitglieder in ihrer Eitelkeit zu befriedigen, eine „neue” Terrorgruppe führen zu dürfen. Die Öffentlichkeit sollte sich von gelegentlichen Streitereien oder Eifersüchteleien - wenn etwa JCAG und ASALA um den Lorbeer ringen, wer wen wann wo umgebracht habe - nicht täuschen lassen. In dieser unheimlichen Welt der Schatten und Spiegelbilder ist der unlautere Wettbewerb ein Bestandteil des gleichen unlauteren blutigen Handwerks, das letztlich nur ein Ziel kennt: den Terror um seiner selbst willen. 122 Der politische Hintergrund der armenischen Terrororganisation ASALA Ein in der Geschichte des internationalen Terrors bislang beispielloser „Gipfel” fand im Februar des Jahres 1986 in Teheran statt, wo sich anläßlich des 7. Jahrestages der Revolution unter Führung des Ayatollah Khomeini die „Ismaischen Revolutionäre” - iranischer Prägung - mit den Führern der libanesischen Hezbollah-Bewegung, Hussein Mussavis Männern der Jihad-Organisation, den saudiarabischen Mudschahedin, den schiitischen AmalGruppierungen aus Bahrein, Vertretern der Moro-Banden von den Philippinen sowie libyschen Geheimdienstmännern zusammenfanden. Was westliche Beobachter an diesem Treffen besonders beunruhigte, war die Tatsache, daß bei der Teheraner Terroristen-Konferenz auch die Armenier mit von der Partie waren. Im Iran allein leben an die 200000 Armenier, die bisher von den fanatischen Schiiten des Ayatollah bemerkenswert ungeschoren davonkamen. Diese Armenier werden weitgehend gegen die Türkei genützt, die offiziell wohl gute Beziehungen zur Türkei unterhält, auch stark von Transitverkehr durch Anatolien abhängt, aber nach den verbesserten Beziehungen der Türkei mit dem Irak zunehmend in ein antitürkisches Fahrwasser gerät. Die Armenier dienen, wieder einmal, als nützliche Idioten der Machthaber eines Landes, das ausschließlich seine eigenen Interessen vertritt. Die ASALA, bislang im Iran „unter Verschluß” gehalten, kann nun recht offen und mit offizieller iranischer Unterstützung, verstärkt mit Terrorgruppen wie jener Abu Nidals, kooperieren. Beobachter weisen auch immer wieder auf die verblüffenden Parallelen armenischer und schiitischer Terrorüberfälle (etwa auf den Flughäfen von Wien, Rom und Paris) hin. Kürzlich veröffentlichte die in Paris erscheinende armenische Zeitung „GAMK” einen groß aufgemachten Artikel, in dem „bewaffneter Kampf” propagiert wurde, nachdem GAMK vorher die rhetorische Frage stellte, ob „der Versuch, den Westen zu schwächen, mit der Armenischen Frage zusammenhängt”. Die Antwort lautete: „In Türkisch Armenien (!) gibt es sowohl NATO- als auch US-Basen. Das ist auch der Grund, warum die USA sich jedem Versuch widersetzen, die Stabilität dieser Region zu gefährden oder deren Status quo zu ändern. Mit anderen Worten: um armenisches Land zu befreien, müssen nicht nur die Türken, sondern auch die Amerikaner bekämpft werden sowie die Atlantische Allianz. Wenn sich der armenische Freiheitskampf verstärkt, wird die amerikanische Regierung die Freiheit der Armenier innerhalb wie außerhalb der USA einschränken und alles Menschenmögliche tun, um die armenische Freiheitsbewegung zu zerbrechen. Entweder wir geben den armenischen Freiheitskampf auf und versöhnen uns mit der Türkei und den USA oder wir befreien armenisches Land und erzürnen damit die Tür- kei, die NATO und die USA . . . Eine geschwächte NATO und geschwächte Vereinigte Staaten würden es leichter machen, armenisches Land zu befreien . . . und außerdem helfen, die Dritte Welt vom Joche des amerikanischen Imperialismus zu befreien”. Die stärkste armenische Terrorgruppe, die ASALA, die sich völlig an die Sowjetunion anlehnt, findet neuerdings sehr starke Unterstützung auch durch den Iran. Von der ASALA spalteten sich kürzlich wieder zwei besonders marxistisch orientierte Splittergruppen ab, die DFPMLA (Democratic Front of the Populär Movement for the Liberation of Armenia) und die ÄRA, die „Armenian Revolutionary Army”, bis vor kurzem noch unter dem Kürzel JCAG (Justice Commando of the Armenian Genocide) bekannt. Die ASALA verfügt in Frankreich über eine breite Unterstützung durch die dort ansässigen Armenier, eine sehr wohlhabende, einflußreiche Gruppe, die mehr als 400000 Menschen zählt. An einem Demonstrationsmarsch, der von der ASALA organisiert worden war, nahmen nicht weniger als 5000 Armenier teil, von denen viele ASALA-Abzeichen und Fahnen mit sich führten. Viele ASALA-Anhänger werden auch mit dem von Ära Toranian geführten Armenian National Movement in Verbindung gebracht. Mehrere armenische Terroristen, die der Polizei ins Netz gingen, bestätigten die Unterstützung, die die ASALA von der PFLP des George Habasch erfährt. Die PFLP unterstützt übrigens auch kurdische Separatistenbewegungen im Nahen Osten. Sowohl die ASALA als auch die ÄRA haben wiederholt unter Beweis gestellt, daß sie weltweit operieren können, auch in Zusammenarbeit mit palästinensischen wie auch kurdischen Extremistengruppen. Im Lichte des erklärten Zieles, sowohl die USA als auch die NATO und deren Mitgliedsländer - vor allem die Türkei - zu schwächen, bestärkt den vielfach ausgesprochenen Verdacht, daß hinter allen armenischen Terroraktionen letztlich die Sowjets und deren unmittelbare Interessen stehen. (Aus: „Confidential Early Warning, Vol. IV, No 1, Februar 1986; die Stichhaltigkeit der Beweisführung wurde durch die grauenhafte Attentatsserie vom September 1986 - hinter der die ASALA steckte bewiesen. „Early Warning” ist davon überzeugt, daß eine Fülle von Beweisen und Indizien vorliegt, die die Sowjetunion als den „ultimate Sponsor” der armenischen Terroristen ausweist.) Eine beispiellose Verherrlichung von Terroristen findet sich in dem Buche „The First Genocide of the 20th Century” von James Frazer, in New York bei T & T Publishing Inc. erschienen: die Attentäter Arschavir Schiragian, So-ghomon Tehlirian, Aram Yerganian und Missak Torlakian werden als „Armenische Nationalhelden” gefeiert - als ob politischer Mord, „Hinrichtung ohne Verfahren und Beweisführung” jemals einem Volk Gutes gebracht hätten. Varudschian Garabedian, der Anführer der Bande, die am 15. Juli 1983 in Orly einen Massenmord verübte: acht Menschen wurden bei der Bombenexplosion getötet, 60 andere Menschen wurden verwundet, viele von ihnen werden zeitlebens Krüppel sein. Garabedian wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, und es gibt Beobachter, die meinen, Garabedian könnte sogar der Kopf der ASALA sein, der unter dem Decknamen Hagop Hagopian agiert, dessen wahrer Name und Identität den Behörden aber nicht bekannt sind. 123 Der armenische Terror - eine Bilanz 17. Jänner 1973 Santa Barbara, Kalifornien Der Teufelskreis modernen armenischen Terrors beginnt: der Armenier Karakin Yanikian, US-Bürger, lädt den türkischen Generalkonsul Mehmet Baydar und Konsul Bahadir Demir zu sich nach Hause „zum Tee” ein. Arglos befolgen die beiden Diplomaten die freundliche Einladung. Karakin Yanikian ermordet seine beiden Gäste und wird zu lebenslänglicher Haft verurteilt, doch wegen Krankheit wieder entlassen. 4. April 1973 Paris Bombenanschlag gegen das türkische Generalkonsulat und das Büro der THY (Türk Hava Yollari) - der türkischen Fluglinie. Schwerer Sachschaden. 26. Oktober 1973 New York Attentatsversuch gegen das Türkische Fremdenverkehrsbüro. Die Bombe wird rechtzeitig entdeckt und entschärft. Zu dem Anschlag bekennt sich eine „Gruppe Verurteilter Karakin Yanikian” - sie will den Doppelmörder von Santa Barbara, Karakin Yanikian, der zwei türkische Diplomaten hinterhältig ermordete, freipressen. 7. Februar 1975 Beirut Attentatsversuch gegen das Türkische Fremdenverkehrsbüro. Die Bombe explodiert während der Entschärfung. Ein libanesischer Polizist wird verletzt. Bekenneranruf der „Yanikian”-Gruppe. 20. Februar 1975 Abermals schlägt die „Yanikian”Gruppe zu, die den Doppelmörder von Santa Barbara freipressen will. Erheblicher Sachschaden nach einer Bombenexplosion im Büro der THY. Übrigens bekennt sich auch die ASALA (Secret Army for the Liberation of Armenia) zu dem Anschlag. 22. Oktober 1975 Wien Der türkische Botschafter Dani§ Tunaligil wird in seinem Arbeitszimmer von drei armenischen Terroristen ermordet. ASALA übernimmt die „Verantwortung”. 124 24. Oktober 1975 Paris Botschafter Ismail Erez und sein Fahrer Talip Yener werden ermordet. Um die „Verantwortung” streiten sich ASALA und JCAF („Justice Commandos for the Armenian Genocide”). 28. Oktober 1975 Beirut Granatenwerferangriff gegen die türkische Botschaft. Zur „Verantwortung” bekennt sich die ASALA. 16. Februar 1976 Beirut Der Erste Sekretär der türkischen Botschaft, Oktay Cirit, wird in einem Restaurant in der Hamrastraße ermordet. Die ASALA übernimmt die „Verantwortung”. 17. Mai 1976 Frankfurt, Essen, Köln Die Generalkonsulate von Frankfurt, Essen und Köln sind gleichzeitig Ziel armenischer Bombenanschläge. 28. Mai 1976 Zürich Bombenanschläge gegen das Büro des türkischen Arbeitsattaches und der Garanti Bankasi. Erheblicher Sachschaden. Eine im türkischen Fremdenverkehrsbüro plazierte Bombe wird rechtzeitig entschärft. Die „Verantwortung” übernimmt die JCAG. 2. Mai 1977 Beirut Die Wagen des Militärattaches Nahit Karakaya und des Verwaltungsrates Ilhan Özbabacan werden zerstört; die beiden Diplomaten bleiben unverletzt. „Bekenner” ist die ASALA. 14. Mai 1977 Paris Bombenanschlag gegen das türkische Fremdenverkehrsbüro, erheblicher Sachschaden. Die „Neue armenische Widerstandsorganisation” übernimmt die „Verantwortung”. 6. Juni 1976 Paris Bombenanschlag gegen den Laden des türkischen Staatsbürgers Hüsejin Bülbül. 9. Juni 1977 Rom Mordanschlag gegen den türkischen Botschafter beim Heiligen Stuhl, Taha Carim, der bald nach dem Attentat seinen schweren Verletzungen erliegt. Die „Verantwortung” übernimmt die JCAG. 4. Oktober 1977 Los Angeles, Kalifornien Vor dem Hause des amerikanisch-jüdischen Universitätsprofessors Stanford Shaw, der in Los Angeles osmanische Geschichte lehrt und auch eine zweibändige „Geschichte des Osmanischen Reiches und der Modernen Türkei” veröffentlichte, explodiert eine Bombe; offensichtlich, um den Historiker einzuschüchtern. Die „Verantwortung” übernimmt eine „Armenische Gruppe 28”. 2. Jänner 1978 Brüssel Bombenanschlag gegen eine türkische Bankniederlassung. Dazu bekennt sich eine Gruppe „Neuer armenischer Widerstand”. 2. Juni 1978 Madrid Terroranschlag gegen den Wagen des türkischen Botschafters Zeki Kuneralp. Seine Frau, Necla Kuneralp, sowie Botschafter a. D. Beschir Balcioglu sterben im Kugelhagel sofort, der spanische Chauffeur Antonio Torres erliegt im Krankenhaus seinen Verletzungen. Um die „Verantwortung” streiten ASALA und JCAG. 6. Dezember 1978 Genf Eine Bombe explodiert vor dem türkischen Konsulat. Schwerer Sachschaden. Die „Verantwortung” übernimmt eine „Neue armenische Widerstandsgruppe”. 17. Dezember 1978 Genf Eine Bombe explodiert vor dem THY-Büro. Die „Verantwortung” übernimmt diesmal die ASALA. 8. Juli 1978 Paris Die französische Hauptstadt erlebt an einem einzigen Tage gleich vier Bombenanschläge: zunächst im THY-Büro. Dann explodiert eine Sprengladung im Büro des Arbeitsattaches, hierauf im Türkischen Fremdenverkehrsbüro. Das vierte Attentat, es galt dem türkischen ständigen Delegierten bei der OECD, konnte rechtzeitig verhindert werden. Die „Verantwortung” übernahm die JCAG. 22. August 1979 Genf Eine Bombe wird gegen das Auto des türkischen Konsuls, Niyazi Adali, geschleudert. Der Diplomat bleibt unverletzt, zwei unbeteiligte Schweizer werden verletzt, zwei Wagen zerstört. 27. August 1979 Frankfurt Die THY-Büros werden durch eine Bombenexplosion völlig zerstört. Ein Passant wird verletzt. Die „Verantwortung” übernimmt die ASALA. 4. Oktober 1979 Kopenhagen Zwei Dänen werden verletzt, als eine nahe des THYBüros abgelegte Bombe explodiert. „Verantwortung” trägt die ASALA. 12. Oktober 1979 Den Haag Ahmed Benler, der Sohn des türkischen Botschafters Özdemir Benler, wird von armenischen Terroristen auf offener Straße überfallen. Zehn Personen müssen zusehen, wie die Terroristen den Medizinstudenten Jahrgang 1952! - abschlachten. Die Mörder entkommen. Sowohl die JCAG als auch die ASALA reklamieren die „Verantwortung”. 30. Oktober 1979 Mailand Das Büro der THY wird durch eine Bombenexplosion zerstört. Die ASALA zeichnet „verantwortlich”. 8. November 1979 Rom Das Büro des Leiters der Türkischen Fremdenverkehrswerbung wird durch eine Bombe zerstört. Die ASALA übernimmt die „Verantwortung”. 18. November 1979 Paris Bombenexplosionen zerstören die Büros der THY, der KLM und der Lufthansa, wobei zwei französische Polizisten verletzt werden. „Verantwortung” wird von der ASALA reklamiert. 25. November 1979 Madrid Bombenexplosion vor den Büros der Trans World Airlines und British. Die ASALA, die dafür die „Verantwortung” übernimmt, erklärt, das sei eine Warnung für den Papst gewesen: Er möge seine geplante Türkeireise absagen. 9. Dezember 1979 Rom Zwei Bomben explodieren im Stadtzentrum und zerstören die Büros von PAN AMERICAN, BRITISH und Philippine Airways. Neun Menschen werden bei dem Terroranschlag verwundet. Die „Neue armenische Widerstandsbewegung” übernimmt die Verantwortung. 17. Dezember 1979 London Schwerer Sachschaden bei einer Explosion im Büro der THY. Die „Verantwortung” übernimmt eine „Front zur Befreiung Armeniens”. 22. Dezember 1979 Paris Yilmaz Colpan, der türkische Tourismusattache, wird auf den Champs Elysees angeschossen und ermordet. Die ASALA, die JCAG und eine „Armenische militante Macht gegen den Völkermord” raufen um die „Verantwortung”. 22. Dezember 1979 Amsterdam Schwerer Sachschaden durch eine Explosion vor dem THY-Büro. Die „Verantwortung” übernimmt die ASALA. 23. Dezember 1979 Rom Bombenexplosion vor dem Flüchtlingszentrum des Weltkirchenrates. Dort finden oft armenische Flüchtlinge aus dem Libanon vorübergehend Asyl. Die ASALA übernimmt die „Verantwortung” und „warnt die italienische Regierung davor, die armenische Diaspora in ihrer Bewegungsfreiheit einzuschränken”. 23. Dezember 1979 Rom Drei Bomben explodieren vor den Büros der TWA und der Air France. Ein Dutzend Passanten wird verletzt. Die ASALA übernimmt die „Verantwortung” und will das Attentat als eine Warnung für die französische Regierung verstanden wissen, „keine repressiven Maßnahmen gegen die Armenier in Frankreich zu ergreifen” (Verdächtige zu überprüfen, Verbrechen zu verfolgen . . .). 10. Jänner 1980 Teheran Explosion vor dem THY-Büro, schwerer Sachschaden. „Verantwortung” reklamiert die ASALA. 20. Jänner 1980 Madrid Eine ganze Serie von Bombenanschlägen mit zahllosen Verletzten gilt den Büros der TWA, der BRITISH, SWISSAIR und der SABENA. Eine Gruppe „Gerechtigkeitskommando Völkermord an den Armeniern” beansprucht die „Verantwortung”. 125 2. Februar 1980 Brüssel Im Stadtzentrum explodieren innerhalb weniger Minuten Bomben vor den Büros der THY und der Aeroflot. Eine „Neue armenische Widerstandsgruppe” veröffentlicht ein „Communique” dazu und übernimmt die „Verantwortung”. 6. Februar 1980 Bern Ein Terrorist schießt auf den türkischen Botschafter Dogan Türkmen, der mit leichteren Verletzungen entkommt. Der Beinahe-Mörder, ein Armenier aus Marseille namens Max Klindjian, wird gefaßt und an die Schweiz ausgeliefert. „Verantwortung” trägt die JCAG. 18. Februar 1980 Rom Durch zwei Bombenanschläge werden die Büros von LUFTHANSA, El AI und SWISSAIR beschädigt. Telephonische Botschaften geben drei „Ursachen” für die Anschläge an: 1. Die Schweizer verhielten sich „repressiv” gegenüber Armeniern; die Deutschen unterstützten den „türkischen Faschismus” und die Juden seien Zionisten. (ASALA). 10. März 1980 Rom Bombenanschläge auf die Büros der THY und der Türkischen Fremdenverkehrswerbung auf der Piazza della Repubblica. Dabei werden zwei Italiener getötet und vierzehn weitere verwundet. „Verantwortung” trägt der „Neue armenische Widerstand der armenischen Geheimarmee”. 17. April 1980 Rom Der türkische Botschafter beim Heiligen Stuhl, Vecdi Türel, wird bei einem Attentat schwer, sein Fahrer Tahsin Güvenc leicht verletzt. „Verantwortung” reklamiert die JCAG. 19. Mai 1980 Marseille Eine Rakete, auf das türkische Konsulat zielend, wird rechtzeitig entdeckt und entschärft, ASALA und eine Gruppe „Schwarzer April” streiten um die „Verantwortung”. 31. Juli 1980 Athen Galip Özmen, Verwaltungsrat an der türkischen Botschaft, wird mitsamt seiner Familie im Auto von armenischen Terroristen attackiert. Galip Özmen und seine vierzehnjährige Tochter werden dabei ermordet, seine Frau Sevi und sein sechzehnjähriger Sohn Kaan kommen mit schweren Verletzungen davon. „Verantwortung” für diese Morde reklamiert die ASALA. 5. August 1980 Lyon Zwei armenische Terroristen stürmen das türkische Konsulat und feuern wild um sich. Sie bringen dabei zwei Menschen um und verwunden mehrere andere. ASALA übernimmt die „Verantwortung”. 126 11. August 1980 New York Eine „Armenische Gruppe” schleudert Farbbomben gegen das Turkish House (genau gegenüber des Gebäudes der Vereinten Nationen; es beherbergt das türkische Konsulat und die türkische UN-Delegation) und „erinnert die imperialistische türkische Regierung ihrer Verbrechen gegen das armenische Volk”. 26. September 1980 Paris Selcuk Bakalbasi, Presserat an der türkischen Botschaft, wird beim Nachhausekommen zweimal angeschossen. Er überlebt, bleibt aber teilweise gelähmt. ASALA und eine „Armenische geheime Armeeorganisation” wollen die „Verantwortung” tragen. 3. Oktober 1980 Genf Zwei Armenier werden in ihrem Hotelzimmer verletzt, als unter ihren Händen eine Bombe hochgeht. Die beiden Männer, Suzi Machseredian aus Ganoga Park in Kalifornien und Alexander Jenikomechian, werden verhaftet. Das führt zur Bildung einer neuen Gruppe, die sich „3. Oktober” nennt und in der Folge zahlreiche Anschläge gegen schweizerische „Ziele” richtet. 3. Oktober 1980 Mailand Zwei Italiener werden durch eine Bombenexplosion vor dem THY-Büro verwundet. „Verantwortung” trägt die ASALA. 5. Oktober 1980 Madrid Die Büros der ALITALIA fallen einem Bombenanschlag zum Opfer, wobei zwölf Menschen verletzt werden. Die „Geheimarmee zur Befreiung Armeniens” übernimmt die „Verantwortung”. 6. Oktober 1980 Los Angeles Zwei Molotowcocktails werden in die Wohnung des türkischen Konsuls, Kemal Arikan, geschleudert. Der Konsul kommt mit Verletzungen davon. 10. Oktober 1980 Beirut Zwei Bomben gehen in der Nähe schweizerischer Büros hoch. Der Verein „3. Oktober” meldet sich als Urheber. Am gleichen Tag ähnliche Anschläge in London. 12. Oktober 1980 New York City Vor dem „Turkish House” explodiert eine Bombe, vier Passanten werden verwundet. JCAG übernimmt die „Verantwortung”. 12. Oktober 1980 Los Angeles Ein Reisebüro, dessen Besitzer aus der Türkei stammt, wird zerstört. ASALA zeichnet „verantwortlich”. 12. Oktober 1980 London Eine Bombe beschädigt das Türkische Fremdenverkehrsbüro. ASALA übernimmt die „Verantwortung”. 12. Oktober 1980 London Ein schweizerisches Geschäftszentrum in der City wird zerstört. Wieder hat der „3. Oktober” zugeschlagen. 13. Oktober 1980 Paris Das schweizerische Tourismusbüro wird von einer Bombe zerstört. Wieder reklamiert die Organisation „3. Oktober” die Urheberschaft. 21. Oktober 1980 Interlaken In einem schweizerischen Expreßzug, der aus Paris kommt, wird eine Bombe gefunden, die zum Glück nicht explodierte. Als Urheber des Anschlags, der eine Katastrophe hätte auslösen können, wird der „3. Oktober” angesehen. 4. November 1980 Genf Der schweizerische Justizpalast wird durch eine Explosion schwer beschädigt. Der „3. Oktober” zeichnet „verantwortlich”. 9. November 1980 Straßburg Schwerer Sachschaden nach einer Explosion im türkischen Konsulat. Eine „Türkisch-Kurdische Arbeiterpartei” und die ASALA zeichnen „verantwortlich”. 10. November 1980 Rom Fünf Menschen werden bei Anschlägen auf die Büros der SWISSAIR und der Verkehrswerbung verletzt. ASALA, der „3. Oktober” und die „Kurdisch-türkische Arbeiterpartei” geizen um die „Verantwortung”. 19. November 1980 Rom Das türkische Tourismusbüro und das der THY werden bei Bombenexplosionen beschädigt. ASALA reklamiert die „Verantwortung”. 25. November 1980 Genf Die Büros des Schweizerischen Bankvereins werden von einer Bombe beschädigt. Urheber: „3. Oktober”. 5. Dezember 1980 Marseille Eine Bombe, die im schweizerischen Konsulat entdeckt wird, kann rechtzeitig entschärft werden. „3. Oktober”. 15. Dezember 1980 Paris Zwei Bomben werden im Französischen Fremdenverkehrsbüro rechtzeitig entdeckt. Der „3. Oktober” bezeichnet den versuchten Anschlag als Rache für die französisch-schweizerische Zusammenarbeit in der Bekämpfung des armenischen Terrors. 17. Dezember 1980 Sydney Zwei Terroristen ermorden den türkischen Generalkonsul Sarik Aryak und seinen Leibwächter Engin Sever. JCAG zeichnet „verantwortlich”. 25. Dezember 1980 Zürich Eine Bombenexplosion zerstört die Radaranlage des Flughafens Zürich-Kloten. Eine Bombe auf der Landepiste kann rechtzeitig entschärft werden. „Verantwortlich” für diesen versuchten Massenmord: der „3. Oktober”. 29. Dezember 1980 Madrid Ein Spanischer Journalist wird von einer Bombe zerrissen, als er aus einer Telefonzelle über den Bombenanschlag auf das Büro der SWISSAIR an seine Redaktion berichten will. „Verantwortung”: „3. Oktober”. 30. Dezember 1980 Beirut Bombenanschlag gegen das Büro der „Credit Suisse”. ASALA und „3. Oktober” streiten um die Urheberschaft. 2. Jänner 1981 Beirut In einem Pressecommunique droht die ASALA allen schweizerischen Diplomaten wegen der „schlechten Behandlung, die Suzi und Alex in der Schweiz widerfährt”; ein paar Tage darauf erklärt die ASALA, den Schweizern bis 15. Jänner „Bedenkzeit” zu geben. 14. Jänner 1981 Paris Im Auto von Botschaftsrat Ahmet Erbeyli explodiert eine Bombe. Obwohl der Wagen völlig zerstört wird, bleibt Erbeyli am Leben. Für den Mordanschlag zeichnet eine Gruppe „Alex Jenikomechian Kommando”, aber auch die ASALA „verantwortlich”. 27. Jänner 1981 Mailand Die Büros der SWISSAIR und des Schweizerischen Fremdenverkehrsbüros werden durch eine Bombenexplosion beschädigt, zwei Passanten verwundet. In einem Rundruf an alle lokalen Blätter bezeichnet sich die Gruppe „3. Oktober” als „verantwortlich”. 3. Februar 1981 Los Angeles Im schweizerischen Konsulat kann eine Bombe entschärft werden. Die Terroristen „teilen mit”, die Anschläge würden „so lange fortgesetzt, bis unser Freund Suzy Mahseredian freigelassen wird”. 5. Februar 1981 Paris Bombenexplosion in den Büros von TWA und Air France. Ein Verletzter, schwerer Sachschaden. Urheber: „Die armenische nationalistische Bewegung vom 3. Oktober”. 4. März 1981 Paris Zwei Terroristen eröffnen das Feuer: es gilt Re§at Morali (Arbeitsattache) und Teceli Ari (Attache für religiöse Angelegenheiten an der türkischen Botschaft) sowie dem Repräsentanten der Anadolu Bankasi, Ilkay Karakoc. Als die drei Türken schon fast entkommen und Re§at Morali sowie Ilkay Karakoc in ein Cafe flüchten können, werden sie vom Eigentümer wieder auf die Straße gestoßen. Karakoc kann fliehen, Morali wird vor dem Cafe ermordet. Tecelli Ari, der schon als erster angeschossen wurde, starb kurz darauf. Zahllose Zeugen - doch niemand konnte sich „erinnern” wie die Mörder ausgesehen hatten. Die Gruppe „Schahan Natali” der ASALA zeichnete „verantwortlich”. 12. März 1981 Teheran Eine Gruppe ASALA-Terroristen versucht, die türkische Botschaft zu besetzen und ermordet dabei zwei Wachen. Zwei Attentäter werden gefaßt und von den Persern hingerichtet. ASALA zeichnete „verantwortlich”. 127 3. April 1981 Kopenhagen Cavit Demir, der Arbeitsattache an der türkischen Botschaft, wird spät abends bei seiner Heimkehr vom Büro vor seiner Wohnung zusammengeschossen und schwer verwundet. Eine ganze Serie von Operationen rettet ihm das Leben. ASALA und JCAG reklamieren „Verantwortung”. 3. Juni 1981 Los Angeles Bomben verhindern den Auftritt einer türkischen Volkstanzgruppe. Ähnliche Bombendrohungen verhindern auch den Auftritt der Gruppe in San Francisco. 9. Juni 1981 Genf Mehmet Savas Yerguz, Konsularbeamter, wird von dem armenischen Terroristen Mardiros Jamgotschian ermordet. Die Verhaftung des ASALA-Terroristen führt zur Bildung einer neuen Terrorzelle - des „9. Juni”. Sie wird für eine Serie, neuer Anschläge „Verantwortung” tragen . . . 11. Juni 1981 Paris Eine Gruppe armenischer Terroristen besetzt unter der Führung von Ära Toranian die Büros der THY. Die französischen Behörden sehen dem Terroranschlag zunächst tatenlos zu und greifen erst nach energischem Protest der türkischen Botschaft ein. 19. Juni 1981 Teheran Bombenexplosion bei der SWISSAIR. Der „9. Juni” zeichnet „verantwortlich”. 26. Juni 1981 Los Angeles Bombenexplosion vor den Büros der Schweizerischen Banking Corporation. Es war wieder der „9. Juni” . . . 19. Juli 1981 Bern Bombenexplosion vor dem Schweizerischen Parlament. „9. Juni” . . . 20. Juli 1981 Zürich Wieder schlägt der „9. Juni” zu: eine Bombe explodiert in einer Paßfoto-Zelle am Flughafen ZürichKlo-ten. 21. Juli 1981 Lausanne 20 Frauen werden verwundet, als eine von Armeniern gelegte Bombe in einem Warenhaus explodiert. („9. Juni”) 22. Juli 1981 Genf Eine Bombe explodiert in einem Schließfach des Bahnhofs. Man vermutet einen fehlgegangenen Anschlag des „9. Juni”. 22. Juli 1981 Genf Eine Stunde später explodiert abermals eine Bombe in einem Bahnhofs-Schließfach. Da das Gelände wegen der vorhergegangenen Explosion noch abgesperrt war, gibt es glücklicherweise keine Verletzten. 11. August 1981 Kopenhagen Zwei Bomben zerstören das Büro der SWISSAIR. Ein amerikanischer Tourist wird dabei verwundet. Der „9. Juni” übernimmt die „Verantwortung”. 128 20. August 1981 Los Angeles Vor dem Büro der „Swiss Precision Instruments” explodiert eine Bombe. Urheber: „9. Juni”, spezielle Terrorgruppe der ASALA. 20. August 1981 Paris Explosion bei ALITALIA. Die Terrorgruppe „3. Oktober” bringt sich in Erinnerung. 15. September 1981 Kopenhagen Zwei Personen werden schwer verletzt, als eine Bombe vor dem Büro der THY explodiert. Ein weiterer Explosivkörper kann rechtzeitig entschärft werden. Urheber: „Die 6. armenische Befreiungsarmee”. 17. September 1981 Teheran Eine Bombenexplosion beschädigt das Gebäude der Schweizerischen Botschaft. (ASALA, „9. Juni”). 24. September 1981 Paris Vier armenische Terroristen besetzen das türkische Konsulat in Paris. Während des Eindringens werden Konsul Kaya Inal und der Sicherheitsmann Cemal Özen schwer verwundet. Die Terroristen nehmen 56 Geiseln, zwei von ihnen werden leicht verletzt. Als die Terroristen endlich den Abtransport von Kaya Inal und Cemal Özen erlauben, ist es für den Beamten schon zu spät: er stirbt im Spital. Da der Forderung nach Freilassung armenischer Terroristen naturgemäß nicht nachgegeben wird, verlangen sie den Status als „politische Häftlinge”. Alle Terroristen kamen aus dem Libanon und gehörten der ASALA an. 3. Oktober 1981 Genf Das Hauptpostamt und das Kantonsgericht sind Ziel armenischer Bombenanschläge . . . im Gerichtsgebäude war eine Verhandlung gegen einen armenischen Terroristen anhängig. Ein Verletzter. Urheber: die ASALA-Filiale „9. Juni”. 25. Oktober 1981 Rom Feuergefecht zwischen einem armenischen Terroristen und dem Zweiten Sekretär der Türkischen Botschaft, Gökberk Ergenekon, der trotz seiner Verwundung bei dem Überfall sein Auto verläßt und den Terroristen anschießt, der aber flüchten kann. Die Terrororganisation „24. September”, ein Zweig der ASALA, übernimmt die „Verantwortung”. 25. Oktober 1981 Paris Das elegante Restaurant „Fouket’s” wird Ziel eines armenischen Bombenanschlags. Urheber: „September-France”. 26. Oktober 1981 Paris Die gleiche Gruppe läßt vor dem Restaurant „Le Drugstore” eine Autobombe hochgehen. 27. Oktober 1981 Paris „September-France” verübt ein Bombenattentat auf dem Flughafen Paris-Roissy. 27. Oktober 1981 Paris Eine zweite Bombe explodiert in einem Aufzug des Flughafens Paris-Roissy. Keine Verletzten. Urheber: „September-France”. 28. Oktober 1981 Paris Die gleiche Gruppe verübt einen Bombenanschlag in einem Film-Theater. Drei Verletzte. 3. November 1981 Madrid Drei Verletzte bei einer Explosion im Büro der SWISSAIR. Schwerer Sachschaden bei den umliegenden Gebäuden. Urheber: ASALA. 5. November 1981 Paris Ein Verletzter bei einer Bombenexplosion auf dem Gare de Lyon. Urheber: die armenische „OrlyOrgani-sation”. 12. November 1981 Beirut Gleichzeitige Bombenexplosionen vor drei französischen Ämtern: vor dem Kulturinstitut, der AIR FRANCE sowie dem Haus des Konsuls. Urheber: die „Orly-Organisation”. Sie verdankt ihren Namen der Tatsache, daß die französische Polizei auf dem Flughafen von Paris-Orly einen Armenier wegen seiner gefälschten Papiere festgenommen hatte; der Mann sollte, wie in anderen Fällen auch, „freigebombt” werden . . . 14. November 1981 Paris Ein Auto wird nahe des Eiffelturms zerbombt. „Orly” . . . November 1981 „Orly” beschießt eine Gruppe Tou risten, die ein Seine-Boot verlassen wollen. November 1981 Die „Orly-Gruppe” droht, ein AIR FRANCE-FLUGZEUG während des Fluges mit allen Passagieren in die Luft sprengen zu wollen. 15. November 1981 Beirut Drei französische Ziele werden gleichzeitig angegriffen: das Büro der Union des Assecurances de Paris, das der AIR FRANCE sowie das der Banque LibanoFrancaise. Urheber: „Orly”. 15. November 1981 Paris Ein McDonald’s-Restaurant wird von „September France” zerstört. 16. November 1981 Paris Eine Bombenexplosion verletzt zwei völlig unbeteiligte Menschen auf dem Gare de l’Est. „Orly” übernimmt die „Verantwortung”. 18. November 1981 Paris „Orly” kündigt eine Explosion auf dem Pariser Nordbahnhof an, doch wird keine Bombe gefunden. 20. November 1981 Los Angeles Das türkische Konsulat von Beverly Hills wird schwer beschädigt. Bombenleger: die CCAG. 13. Jänner 1982 Toronto ASALA verursacht mit einer Bombenexplosion im türkischen Konsulat schweren Sachschaden. 17. Jänner 1982 Genf Bombenexplosionen - die Urheberschaft reklamieren ASALA und der „9. Juni”. Keine Verletzten, bloß zerstörte Autos. 17. Jänner 1982 Paris Bombenexplosion in der „Union des Banques”, kurzdarauf bei „Credit Lyonnais”. Da war wieder „Orly” am Werk. 19. Jänner 1982 Paris Bombenexplosion im AIR-FRANCE-Büro des Palais des Congres. Es war wieder „Orly”. 28. Jänner 1982 Los Angeles Kemal Ankan, der türkische Generalkonsul, fällt während der Fahrt zu seinem Arbeitsplatz dem armenischen Terrorismus zum Opfer. Sein Mörder, ein Neunzehnjähriger (!), wird gefaßt und zu lebenslangem Kerker verurteilt; sein Komplize, gleichfalls ein libanesischer Armenier, namens Krikor Saliba, entkommt. Der neunzehnjährige Hampig Sassunian ist wie ein trauriges Symbol für die armenische Terrorszene zu betrachten: Nicht der jugendliche Mörder ist schuldig, sondern seine teuflischen Hintermänner, die wider besseres Wissen und Gewissen ihre jungen Opfer in die Terrorszene hetzen und sie zu seelischen Krüppeln und schließlich Mördern werden lassen. 22. März 1982 Boston (Cambridge, Mass.) Vorspiel zu einem grauenhaften Mord: der türkische Generalkonsul in Boston besitzt einen Laden, der in die Luft gesprengt wird. Gleichzeitig erhält er ein Ultimatum: entweder er legt seine Würde zurück, oder er wird „hingerichtet”. Orhan Gündüz lehnt ab. „Verantwortung” - das Wort scheint sich zu sträuben, in so einem Zusammenhang zitiert zu werden — übernimmt die JCAG. 26. März 1982 Beirut Zwei Tote bei einer Bombenexplosion in einem Kino, das gelegentlich türkische Filme zeigte. 16 Verwundete. Ein ASALA-Anschlag. 8. April 1982 Ottawa Kani Gungor, Handelsdelegierter der türkischen Botschaft in Kanada, wird bei einem Anschlag in der Garage seines Wohnhauses von armenischen Terroristen schwer verwundet. Ein ASALA-Attentat. 24. April 1982 Dortmund Mehrere türkische Geschäftsleute fallen armenischen Terroranschlägen zum Opfer. Die „Neue armenische Widerstandsorganisation” zeichnet „verantwortlich”. 129 4. Mai 1982 Boston (Cambridge, Mass.) Orhan Gündüz, türkischer Honorarkonsul in Boston, hat dem Ultimatum der armenischen Terroristen, seinen ,Honorarkonsul’-Titel zurückzulegen, nicht gebeugt. Nun wird er überfallen, kaltblütig abgeknallt. Präsident Ronald Reagen ordnet persönlich eine umfassende Untersuchung an. Vergeblich. Ein Augenzeuge, der eine Personenbeschreibung des Täters geben könnte, wird niedergeschossen. Er überlebt . . . schweigt aber fürderhin. Einer der scheußlichsten „Triumphe” des sinn- und hirnlosen armenischen Terrors. Denn: das Morden bringt absolut nichts - außer Selbstbestätigung innerhalb der in Selbstbefriedigung versinkenden armenischen Terrorszene. Wenn solche Spuren eines Mörders bleiben - wie hier im Falle des Mordes am türkischen Honorarkonsul Orhan Gündüz (Boston, Mai 1982), ist es schon viel: eine 357 Magnum sowie eine 9-mmHandfeuerwaffe und eine von dem Verbrecher benützte Joggerbluse blieben am Tatort zurück. Nach den Angaben eines Augenzeugen fertigte die Polizei ein Phantombild an und Fernsehen und Presse beteiligten sich an der Jagd nach dem Attentäter. Als der Zeuge allerdings niedergeschossen wurde und den Anschlag nur knapp überlebte, versiegten alle Hinweise aus der Bevölkerung. Ergebnis: der Mörder des Orhan Gündüz wurde nie gefaßt. 130 4. Mai 1982 Genf Bomben explodieren in zwei Bankfilialen. Urheber: eine armenische „Welt-Strafexpedition”. 18. Mai 1982 Toronto Vier Armenier werden verhaftet. Sie wollten für die Terrorszene Geld außer Landes schmuggeln, das vorher, wie weltweit üblich, Armeniern abgepreßt worden war. Im Zuge der Untersuchungen stellte sich heraus, daß die Terroristen das Haus eines Armeniers, der sich geweigert hatte, seinen „Beitrag” zum armenischen Terror zu leisten, mit Hilfe von Brandbomben dem Erdboden gleichgemacht worden war. 18. Mai 1982 Tampa (Florida) Nag Karahan, türkischer Honorarkonsul, verteidigt mit der Pistole in der Hand sein Büro. Die armenischen Terroristen fliehen. 18. Mai 1982 Los Angeles Der Schweizerische Bankverein wird von einer armenischen Bombe beschädigt. Verdächtige: vier polizeibekannte armenische Terroristen, die der ASALA angehören. 26. Mai 1982 Los Angeles Drei Angehörige der ASALA werden verhaftet, als sie soeben eine Bombe im AIR CANADA Frachtbüro legen. 7. Juni 1982 Lissabon Erkut Akbay, Verwaltungsattache an der türkischen Botschaft, und seine Frau Nakide werden vor ihrem Wohnhaus umgebracht. JCAG übernimmt die „Verantwortung”. 1. Juli 1982 Rotterdam Kemalettin Demirer, türkischer Generalkonsul in Rotterdam, wird von vier armenischen Terroristen überfallen. Die „Armenische Rote Armee” beansprucht die „Verantwortung”. Oder was sie darunter verstehen. 21. Juli 1982 Paris 16 Verwundete nach einer Bombenexplosion in einem Cafe auf der Place Saint-Severin. Urheber: „Orly”. Ursache: „Orly” beklagt sich darüber, daß die Franzosen die armenischen gefangenen Terroristen nicht als „politische Gefangene”, sondern als gewöhnliche Verbrecher behandeln. 26. Juli 1982 Paris „Orly” verwundet zwei Frauen bei einem Bombenanschlag auf das Pub „Saint-Germain”. 2. August 1982 Pierre Gulumian, ein armenischer Terrorist, tötet sich selbst, als ihm beim Hantieren mit einer Bombe die tödliche Ladung unter den eigenen Händen explodiert. 7. August 1982 Ankara, Flughafen Esenboga Zwei armenische Terroristen eröffnen auf dem Flughafen von Ankara das Feuer auf wartende Reisende. Als einer der Massenmörder von der Polizei gefaßt wird, nimmt der andere 24 Menschen als Geisel. Insgesamt fallen den skrupellosen, von ihren „Lehrern” perfekt indoktrinierten Killern 9 Menschenleben zum Opfer, zweiundachtzig Menschen wurden, zum Teil schwer, verwundet. Der überlebende Terrorist Levon Ekmekian, der seine Untat vor seiner Hinrichtung erkannt hat, richtete einen flammenden Appell an seine jungen Genossen, von dem Mordprogramm, das auf Irreführung beruhe, Abstand zu nehmen. Levon Ekmekdschian (übrigens ein türkischer Name, der so viel wie Bäckersohn bedeutet) war einer der beiden Massenmörder von Ankara. Im Zuge eines Feuerüberfalls auf völlig unbeteiligte Fluggäste starben neun Menschen, 82 Personen wurden zum Teil sehr schwer verletzt. Der ASALAAttentäter, der das Feuergefecht mit den Sicherheitskräften überlebte, wurde vor Gericht gestellt und hingerichtet. So wie alle diese bedauernswerten Attentäter, die Opfer einer umfassenden Indoktrinierung durch ihre Auftraggeber sind, war auch er zunächst von der „Rechtmäßigkeit” seiner Handlungsweise überzeugt. Er hat allerdings während seiner Haft eine völlig andere Haltung eingenommen und einen Appell an seine Landsleute gerichtet, diese sinnlosen Mordtaten zu unterlassen. 131 8. August 1982 Paris Eine Bombe wird rechtzeitig entschärft. „Orly” bedauert die Entdeckung. 12. August 1982 Paris Terroristen eröffnen das Feuer auf einen Polizisten, der den türkischen Fremdenverkehrsbeauftragten bewacht. Der Mann entkommt glücklicherweise unverletzt. 27. August 1982 Ottawa Oberst Attila Altikat, Militärattache an der türkischen Botschaft, gerät in einen armenischen Feuerüberfall, entkommt aber unverletzt. 9. September 1982 Burgas (Bulgarien) Bora Sülkan, Verwaltungsrat am türkischen Konsulat von Burgas, wird vor seinem Hause ermordet. Der Attentäter hinterläßt eine „Botschaft”: „Wir erschossen einen türkischen Diplomaten. Kampfeinheit der Gerechtigkeitspartei gegen den Armenischen Völkermord”. Ein anonymer Anrufer nannte eine Teilorganisation der ASALA-Zentrale in Beirut als „verantwortlich”. 26. Oktober 1982 Los Angeles Fünf armenische Terroristen stehen vor Gericht, weil sie das Büro des türkischen Honorarkonsuls in Philadelphia in die Luft sprengen wollten. Alle gehörten der JCAG an. 8. Dezember 1982 Athen Zwei motorisierte Armenier bombardieren das Büro der SAUDI ARABIAN AIRLINES. Ein Explosivkörper traf eine Starkstromleitung und tötete den Terroristen. Sein Komplize, ein iranischer Armenier namens Vahech Kontaverdian, wurde verhaftet. Es stellte sich eindeutig heraus, daß die beiden im Auftrag der ASALA gehandelt hatten, weil Saudi-Arabien mit der Türkei freundschaftliche Beziehungen pflege . . . 21. Jänner 1983 Anaheim, Kalifornien In einer armenischen Bäckerei in Anaheim werden neun „äußerst wirkungsvolle” Bomben sichergestellt, nachdem den Armeniern eine Bombe unfreiwillig losgegangen war und einen Großbrand verursacht hatte. 22. Jänner 1983 Paris Zwei Terroristen greifen das THY-Büro mit Handgranaten an. Sachschaden, keine Verletzten, „Verantwortlich”: die ASALA. 22. Jänner 1983 Paris Die französische Polizei entdeckt rechtzeitig eine starke Bombenladung in der Nähe des THYSchalters in Paris-Orly. 2. Februar 1983 Brüssel Bombenanschlag gegen das THY-Büro. „Verantwortlich”: die „Neue armenische Widerstandsorganisation”. 28. Februar 1983 Luxemburg Eine Bombe in der türkischen Botschaft wird rechtzeitig entschärft. Der „Armenian Reporter” in New York berichtet, Urheber sei eine „Neue Armenische Widerstandsorganisation”. 132 28. Februar 1983 Paris Bombenexplosion im „Marmara-Reisebüro”. Ein Franzose, Angestellter der Firma, Renee Martin, kommt bei dem Anschlag ums Leben, vier weitere Franzosen werden dabei verwundet. Wenige Minuten nach dem Attentat „bekannte” sich die ASALA zu dem mörderischen Anschlag. 9. März 1983 Belgrad Galip Baikar, türkischer Botschafter in Jugoslawien, wird in Belgrad ermordet. Necaty Kayar, seinen Chauffeur, trifft ein Schuß in den Magen. Bürger der Stadt Belgrad verfolgten die Mörder mutig. Ein jugoslawischer Oberst wird niedergeschossen, ein Polizist verhaftet einen der Attentäter. Der zweite Armenier schoß während der Flucht einen jungen Studenten und ein Mädchen nieder, beide erlagen ihren Verletzungen. Sowohl Krikor Levonian als auch Raffi Elbekian - die Mörder - wurden verhaftet und verurteilt. 31. März 1983 Frankfurt Bombendrohung gegen die Redaktion des „TERCÜMAN”. 24. Mai 1983 Brüssel Bombenexplosion vor dem türkischen Kulturinstitut und dem türkischen Fremdenverkehrsbüro. Der italienische Direktor wird verwundet. Urheber: ASALA. 16. Juni 1983 Istanbul Armenische Terroristen greifen mit Handgranaten und automatischen Waffen im Basar von Istanbul an. Zwei Tote, 21 Verwundete. Eine ASALA-Verantwortlichkeit. 8. Juli 1983 Paris Das „British Council” wird von armenischen Terroristen angegriffen. Ursache: in London stehen armenische Terroristen vor Gericht. 14. Juli 1983 Brüssel Dursun Aksoy, Verwaltungsattache an der türkischen Botschaft, wird ermordet. Gleich drei Terrorgruppen bewerben sich um die Schande, die Mördereinheit gestellt zu haben: ASALA, JCAG und eine „Armenische Revolutionäre Armee”. 15. Juli 1983 Paris Bombenexplosion am Schalter der THY in ParisOrly. Acht Tote, mehr als 60 Verwundete. Ein achtund-zwanzigjähriger syrischer Armenier gesteht den Massenmord: Waradian Garbidian. Er gesteht auch, daß geplant war, die Bombe erst während des Fluges explodieren zu lassen. 15. Juli 1983 London Eine Bombe wie jene von Orly wird rechtzeitig entdeckt. „Verantwortlich” für beide Anschläge zeichnet die ASALA. 18. Juli 1983 Lyon Bombendrohung der ASALA gegen den Lyoner Hauptbahnhof. 20. Juli 1983 Lyon Panikartige Evakuierung der Eisenbahnstation Perrache in Lyon nach Bombendrohung der ASALA. 22. Juli 1983 Teheran Bombenattacke der „Orly” gegen französische Botschaftsgebäude und die Air France. 27. Juli 1983 Lissabon Fünf armenische Terroristen versuchen, die türkische Botschaft zu stürmen. Als es mißlingt, das Kanzlerbüro zu besetzen, dringen sie in die Residenz ein und nehmen den Geschäftsträger sowie dessen Familie als Geiseln. Unter den Händen der Terrorgruppe explodieren die mitgebrachten Bomben; vier der Verbrecher und die Frau des Geschäftsträgers, Cahide Micioglu, werden in Stücke gerissen; Yurtsev Micioglu und sein Sohn werden verletzt. Der fünfte Terrorist war beim Sturm auf das Gebäude von einem türkischen Sicherheitsbeamten erschossen worden. Auch ein portugiesischer Polizist kam ums Leben, ein anderer wurde verwundet. „Verantwortlicher” für das Massaker war eine Terrorgesellschaft namens „ARA”. 28. Juli 1983 Lyon Neuerliche Bombendrohung gegen die Eisenbahnstation Perrache (ASALA). 29. Juli 1983 Teheran Drohung eines Raketenangriffs gegen die türkische Botschaft. Der Iran verstärkt Maßnahmen zur Kontrolle der Armenier. 31. Juli 1983 Lyon und Rennes Bombendrohungen armenischer Terroristen zwingen zwei Linienflugzeuge mit 424 Passagieren zur Notlandung. 10. August 1983 Teheran Bombenexplosion in einem Auto vor der französischen Botschaft. Die ASALA „bekennt” sich zu dem Anschlag. 25. August 1983 Bonn In einer ganzen Serie von Bombenanschlägen gegen französische Konsulate kommen zwei Menschen ums Leben, 23 andere werden verwundet. Die ASALA zeichnet „verantwortlich”. 9. September 1983 Teheran Bombenangriff gegen die französische Botschaft. Zwei Passanten werden verwundet. Urheber: die „Orly”-Gruppe. 1. Oktober 1983 Marseille Eine Bombenexplosion zerstört die Pavillons der Sowjets, der USA und Algeriens auf der Internationalen Handelsmesse. Ein Toter, 26 Verwundete. ASALA und „Orly” „bekennen” sich zu dem Anschlag. 6. Oktober 1983 Teheran Zwei Verwundete bei einem Bombenanschlag auf einen Wagen der französischen Botschaft. „Orly”. 29. Oktober 1983 Beirut Handgranatenangriff gegen die französische Botschaft. Einer der ASALA-Attentäter wird gefaßt. 29. Oktober 1983 Drei armenische Terroristen greifen die türkische Botschaft an. Einer der Attentäter, Sarkis Danielian, wird von den türkischen Wachen dingfest gemacht: der arme Kerl ist ganze 19 Jahre alt . . . und die „Verantwortung übernahm ASALA”. 4. Februar 1984 Paris Armenische Bombendrohung gegen die New-YorkMaschine der Air France. 28. März 1984 Teheran Eine zeitlich genau konzertierte Aktion gegen türkische Diplomaten wird generalstabsmäßig durchgeführt: Zwei armenische Terroristen schießen auf Ismail Pamukcu, Mitglied der Militärmission, und verwunden ihn schwer. Hasan Servet Oktem, Erster Botschaftssekretär, wird beim Verlassen seines Hauses angeschossen. Ibrahim Özdemir, Verwaltungsattache, kann die Dingfestmachung von zwei Armeniern veranlassen. Nachmittags werden nochmals zwei Terroristen vor der Botschaft verhaftet. Ein armenischer Terrorist fliegt mitsamt seiner Bombe in die Luft, als er sie im Auto des türkischen Handelsrates befestigen will. Der Tote wird als Sultan Grego-rian Semaperdan identifiziert (ASALA). 29. März 1984 Los Angeles Die ASALA schickt eine schriftliche Attentatsdrohung gegen türkische Sportler, die an der Olympiade teilnehmen werden. 8. April 1984 ASALA verschickt ein „Communique”: sie betrachtet alle Linienmaschinen, die die Türkei anfliegen, als „militärische Ziele”. 26. April 1984 Ankara Premierminister Turgut Özal empfängt eine ASALADrohung: während seines Iranbesuches werde eine größere „Aktion” gegen die Türkei beginnen. 28. April 1984 Teheran Zwei Motorradfahrer eröffnen das Feuer auf Isik Yonder und dessen Frau Sadiye, als er zu seinem Arbeitsplatz in der türkischen Botschaft fährt. Isik Yonder wird tödlich getroffen. ASALA „bekennt” sich zu dem neuen, völlig sinnlosen Mord. 133 20. Juni 1984 Wien Erdogan Özen, Arbeits- und Sozialattache an der türkischen Botschaft in Wien, wird Opfer der armenischen Terroristen, als eine Bombe in seinem Wagen explodiert. Fünf Menschen werden verwundet, unter ihnen ein wachhabender Polizist, der unter den Folgen der Explosion besonders zu leiden hat. Ehre seiner Frau, die treu zu ihm steht, alles für ihn tut. „ARA”-Terroristen „bekennen” sich zu der Untat. Persönliche Bemerkung des Autors: Es war dieses Attentat, das in mir spontan den Entschluß weckte, etwas gegen diesen Wahnsinn zu unternehmen, da ich Erdogan Özen, einen besonders liebenswürdigen, arglosen Menschen, der nichts mehr liebte als seine Frau und seinen zwölfjährigen Sohn und seine Sozialarbeit, gut kannte; er war mir ein verehrungswürdiger Freund, ein anständiger feiner Kerl. R. I. P. Den Attentätern sei verziehen: sie wußten nicht, wen sie töteten, sonst hätten sie es bestimmt nicht getan. Monika Özen, eine gebürtige Salzburgerin, mit ihrem zwölfjährigen Sohn Murad Özen bei der Überführung des Leichnams von Erdogan Özen nach Istanbul auf dem Wiener Flughafen . . . Sohn Murad und Frau Monika bildeten den Lebensinhalt des Erdogan Özen, der sonst in seiner Aufgabe, die türkischen Gastarbeiter in Österreich zu betreuen, voll aufging. Anatomie einer sinnlosen Untat: Mittwoch den 20. November 1983 erreicht der Arbeits- und Sozialattache der türkischen Botschaft um dreiviertel neun seinen Arbeitsplatz. Er parkt seinen Wagen vor einer Seitenfront des Botschaftsgebäudes, begrüßt den wachhabenden Polizisten . . . und dann explodiert eine ferngezündete Bombe. Das Auto wird in die Luft geschleudert, kommt schließlich verkehrt zum Stehen, und Erdogan Özen ist tot . . . sein Körper bis zur Unkenntlichkeit verkohlt; der Wachhabende, der 62jährige Polizist Leopold Smetacek, geriet in den Feuerstrahl der Explosion . . . er wird monatelang mit dem Tode ringen, sein Gesicht ist völlig verbrannt. Mehrere Passanten werden verletzt. Die „Armenische Revolutionäre Armee” - Kürzel „ÄRA” - übernimmt wieder einmal die „Verantwortung”. Der Mörder war sicherlich von der „Gerechtigkeit” seiner Tat überzeugt; wahrscheinlich hat er von den wahren Hergängen und den Hintergründen der Tragödie seines Volkes während des Ersten Weltkrieges keine Ahnung - das einzige, was er weiß, sind die ihm eingetrichterten Lehren vom „häßlichen Türken”. Geschichte falsch verstandene Geschichte - als Motiv für unmenschliche Taten: das ist im Umfeld der Terrorszene einmalig. (Foto: Neue Kronenzeitung) 134 135 25. Juni 1984 Los Angeles Eine französische Agentur erhält die Warnung, daß alle, Regierungen, Organisationen, Firmen, Individuen . . . kurzum alle, die dem türkischen Olympiateam behilflich sein sollten, auf die Abschußliste des armenischen Terrors kommen. 14. Juli 1984 Brüssel Dursun Aksoy, Verwaltungsrat an der türkischen Botschaft, wird umgebracht. „ASALA” übernimmt die „Verantwortung”. 13. August 1984 Lyon Bombenanschlag auf den Bahnhof. Erheblicher Sachschaden; ein ASALA-Attentat. September 1984 Teheran Nach Erhalt von Drohbriefen kommen türkische Firmen im Iran ins Schußfeld. Erstes Opfer wird die Sezai Türkes Comp.; während der Löscharbeiten wird ein türkischer Angestellter verletzt. Eine Kette von „kleineren” Einschüchterungsanschlägen folgt selbstverständlich ohne politisches Ergebnis. 1. September 1984 Teheran Die iranischen Behörden decken ein armenisches Mordkomplott gegen Ismet Birsel, den türkischen Botschafter, auf. 3. September 1984 Istanbul Zwei armenische Terroristen sterben, als eine ihrer Bomben zu früh losgeht. Im Hintergrund: ÄRA. 19. November 1984 Wien Enver Ergun, Botschafter bei den Vereinten Nationen, wird während der Fahrt ins Büro kaltblütig „abgeschossen”. Der Attentäter legt eine Flagge mit den Buchstaben „A. R. A.” über den Leichnam. Persönliche Bemerkung: Ich kannte Enver Ergun nicht, aber ich kenne seine Frau. Sie betrauert ihren Mann - einen treuen, aufrechten Ehepartner, einen Geliebten und Freund. Sie ist ohne jedwedes Haßgefühl gegen die Mörder ihres Mannes. Im Gegenteil: sie hat Mitleid mit dem unwissenden (wahrscheinlich sehr jungen) Attentäter, der meinte, für eine „gerechte Sache” morden zu müssen. Fluch den Hintermännern, den Verführern dieser weitgehend unschuldigen „Kämpfer” - oder wie immer sie sich nennen mögen - für eine ebenso ungerechte wie unmenschliche Sache. Die türkische Presse reagiert mit Verbitterung - und Unverständnis - auf die armenischen Terroranschläge in Österreich: „Die 3. Schandtat in Wien”, schreibt der Hürriet; es handelt sich um den 3. Mord nach der „Hinrichtung” von Botschafter Danis Tuna-ligil (1975) und Arbeitsattache Erdogan Özen (1984), als der türkische Botschafter bei den Vereinten Nationen in Wien, am 19. November 1984, auf offener Straße ermordet wird. Das „Phantombild” der Polizei ist so dürftig wie die Ergebnisse der Nachforschungen: außer dem Bekenneranruf der A. R. A. gibt es keine Spuren, der Mörder läuft noch immer frei herum. 136 Dezember 1984 Brüssel Ein Attentat auf Selcuk Incesu, türkischen Botschaftsangestellten, wird rechtzeitig verhindert. 29. Dezember 1984 Beirut Bombenangriff gegen zwei französische Anwesen. ASALA reklamiert „Verantwortung”. 29. Dezember 1984 Paris Die Polizei verstärkt ihre Sicherheitsmaßnahmen auf dem Charles-de-Gaulle-Flughafen, nachdem neuerliche armenische Bombendrohungen einlangen. 3. Jänner 1985 Beirut Die Büros der Agence France Press werden durch einen armenischen Bombenangriff schwer beschädigt. 3. März 1985 Paris AFP erhält einen Drohanruf: Alle, die in den Prozeß gegen die Orly-Attentäter irgendwie verwickelt sind, mögen sich „in acht nehmen”. 12. März 1985 Ottawa Drei schwerbewaffnete armenische Terroristen stürmen die türkische Botschaft und ermorden dabei den Sicherheitsmann - den Kanadier Fred Pinkerton. Nachdem sie das Tor sprengten, dringen sie in die Botschaft ein. Botschafter Coskun Kirca kann entkommen, verletzt sich aber bei der Flucht schwer. Während der folgenden, vierstündigen Belagerung muß er regungslos - trotz seiner Verletzungen - auf dem eiskalten Betonboden des Hofes liegen. Schließlich geben die Terroristen auf und lassen die Geiseln - darunter die Frau und die Tochter des Botschafters - frei. Drei Terroristen wird der Prozeß gemacht. „Verantwortlich”: ÄRA. 26. März 1985 Toronto Bombendrohung gegen die Untergrundbahn. Armenische Terroristen erzwingen die vollständige Lahmlegung des Verkehrssystems während der Spitzenzeit des Berufsverkehrs. „Verantwortlich” zeichnet eine Terrororganisation für die „Befreiung des Heimatlandes”. November 1985 Brüssel Eine Spezialeinheit der belgischen Polizei enttarnt und verhaftet eine Dreiergruppe armenischer Terroristen mit portugiesischen Pässen. Sie planten einen Anschlag gegen türkische Offiziere im NATOHaupt-quartier. 28. November 1985 Paris Die französische Polizei verhaftet den Führer der amerikanisch-armenischen Terrororganisation ASALARM (Geheime armenische Armee für die Befreiung Armeniens - Revolutionäre Bewegung). Monte Melkonian, Rädelsführer der ASALA-RM, war früher die rechte Hand des Hagop Hagopian*, Gründer der ASALA, bis er nach dem Orly-Attentat seine eigene Organisation (die RM) gründete. Im Hause Hagopians wurden nicht nur Waffen, Munition und Bomben gefunden, sondern auch Unterlagen zu einem bevorstehenden Schlag gegen türkische Passagierschiffe. Auch ein Foto des türkischen Botschafters wurde gefunden; wahrscheinlich war ein Mordanschlag gegen Adnan Bulag geplant. Dezember 1985 Paris 41 Geschäftsleute werden verletzt, als eine Kette von Bombenexplosionen in der berühmten Geschäftsstraße Galerie Lafayette & Printemps explodiert. In Panik flüchten etwa 10000 Menschen, die ihre Weihnachtseinkäufe tätigten, auf die Straße. Zwölf Menschen werden dabei zusätzlich verletzt. ASALA rühmt sich des Attentats. In New York meint die Zeitung schon am 12. Dezember, daß ASALA hinter diesem Anschlag steckt. 23. November 1986 Melbourne/Australien 2.15 Uhr, Explosion vor dem türkischen Generalkonsulat. 1 Toter (vermutlich der Bombenleger) und ein australischer Verletzter. Die Schlagzeile von „TIME” vom September 1986 „PARIS IN FEAR” (Paris in Angst) täuscht über die Wirklichkeit hinweg: in Wahrheit waren nämlich die meisten lournalisten und Kommentatoren selber mehr als ängstlich bemüht, die Wahrheit zu verdrängen und zu verschweigen, um die alle wußten: hinter der grauenhaften Bombenserie vom blutigen September 1986 in Paris steckte die ASALA, die sich des aufgeblasenen und trotzdem genau programmierten Namens „Committee for Solidarity with Arab and Middle East Political Prisoners” (C. S. P. P. A.) bediente, um zu verkünden, was sie wollte, nämlich die Freibom-bung des Hauptverantwortlichen für den mörderischen Bombenanschlag auf dem Flughafen Orly (15. Juli 1983, 8 Tote, 60 Verwundete), Varadschian Garabedian, der sich selbst als der Führer der ASALA in Frankreich bezeichnete. * Hagop Hagopian - in Wirklichkeit dürfte er Mihran Mihranian oder Bedros Ohanesian aus Mossul, heißen - war schon einer der Rädelsführer bei dem entsetzlichen Terrorangriff auf die Münchner Olympischen Spiele 1972. 137 Gebet der armenisch-apostolischen Kirche um Frieden eine innerhalb der christlichen Gemeinschaften einmalige Liturgie. 138 Kaum eine Kirchengemeinschaft hat unter dem tödlichen Einfluß übersteigerten Nationalgefühls mehr gelitten als die armenisch-apostolische, die gregorianische Kirche. Gelang es bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein der Kirche, das armenische Volk ohne Fanatismus, aber dennoch im stolzen und freien Bekennen armenischer Eigenart und Einmaligkeit durch die Zeiten zu führen, ohne Staat, aber im Vollbesitz nationalen Selbstbewußtseins, brachte die Entwicklung der Missionen aus Europa und Amerika, die üble Proselytenmacherei christlicher Gemeinschaften untereinander, ein Wettrennen im Kampf um die Herzen der Armenier. Schließlich mischten auch noch die verschiedenen politischen Parteien mit, revolutionär, nationalistisch, sozialistisch in ihrem Programm und vollkommen gewissenlos in der Exekutierung ihres irrationalen Vorhabens, ein utopisches Ziel - einen großarmenischen Nationalstaat - zu erreichen. Die verheerenden Folgen für das armenische Volk sind bekannt. Von drei Opfern der armenischen Terrorkommandos sind gleich zwei armenischer Volkszugehörigkeit. Das Ergebnis ist ein Vorhang des Schweigens; kaum ein Armenier (außer jenen, die in Sicherheit, also in der Türkei leben) getraut sich, öffentlich gegen den armenischen Terrorismus aufzutreten. Die Ironie der Geschichte will es, daß die armenischen Terroristen, die gegenüber ihren ursprünglichen Feindbildern, den zaristischen oder sowjetischen Russen sowie den osmanischen oder kemalistischen Türken durch ihre Schreckenstaten nichts, aber auch schon gar nichts erreichten - denn weder Russen noch Türken gaben terroristischen Forderungen jemals nach - das erwünschte Klima der Furcht dafür bei ihren eigenen Landsleuten erzeugten. Das muß auch der Grund dafür sein, daß es aus den Reihen der Armenier so gut wie niemals Stimmen gegen den Terrorismus gibt - ein sonst völlig unerklärbarer Tatbestand bei einem Volk vom Intelligenz- und Bildungsgrad wie dem der Armenier. Dafür bilden sich heute wie in den zwanziger Jahren, als es ein „Soghomon Techlirian” Komitee gab, um dem Mörder Talaats beizustehen -augenblicklich Zirkel, die Geld sammeln, um einem Mörder unserer Zeit beizuspringen: so geschah es auch im Jahre 1982, als ein zwanzigjähriger armenischer Immigrant den türkischen Generalkonsul in Los Angeles, Kemal Arikan, umbrachte. Sofort gab es ein „Hamping Sassunian-Komitee”, das alles unternahm, um den hinterhältigen Mord zu rechtfertigen und nach Möglichkeit ungesühnt zu lassen. Oft lassen sich auch kirchliche Kreise in dieses schamlose Treiben ein, denn der Konkurrenzkampf um die Seelen der armenischen Emigranten geht auch in der Neuen Welt weiter. Die armenisch-apostolische Kirche in der Türkei hat allerdings aus den Lehren der Vergangenheit ihre Schlüsse gezogen. Sie und die Armenier der Türkei verurteilen einmütig den Terrorismus, der niemandem nützt als den Terroristen selbst, - und ihren durch Terrorismus stets wohlgefüllten Kassen. Erklärung Seiner Seligkeit des Patriarchen Schnorkh Kalu-stian zum Problem des Armenischen Terrors und der Lage der armenischen Bevölkerungsgruppe in der Türkischen Republik; Istanbul, Kumkape (Armenisches Patriarchat) am 27. Mai 1985. „Wir Armenier bilden heute die größte Minderheit in der Türkei, etwa 50000 Menschen, die hauptsächlich in Istanbul leben, einige sind in Anatolien zerstreut. Dank Gott - es geht uns gut, wir üben unsere Religion frei aus und genießen die gleichen Rechte wie andere türkische Bürger. Unsere hauptsächliche Schwierigkeit ist, daß wir hören, wie unschuldige Menschen getötet werden; das beunruhigt uns, wie andere Mitbürger auch. Alle Religionen fühlen sich der Erhaltung menschlichen Lebens verpflichtet, töten ist in allen Religionen untersagt - und als gläubiger Mensch verurteile ich alle Anschläge auf das kostbare menschliche Leben - ich verurteile sie immer wieder. Wir leben hier, wie ich schon sagte, unter glücklichen Umständen, unsere Schulen sind wohlbestallt und niemand mischt sich in unser innerkirchliches Leben ein. Wir wollen nur in Frieden leben, in Glück und in diesem Land, und wir wünschen allen, daß auch sie in Frieden leben können. Mögen doch diese unglückseligen Ereignisse endlich aufhören - ich bin sicher, daß alle Verantwortlichen zusammenwirken, um diese Terroranschläge, die in vielen Ländern stattfinden, zu einem Ende zu bringen. Möge der Friede Gottes mit allen Menschen guten Willens sein!” 139 Ausgewählte Bibliographie Eine Feierstunde der armenisch-orthodoxen Kirche auf Kinali Ada bei Istanbul unter dem Vorsitz von Patriarch Schnorkh Kalustian. Friedlich sitzen die Vertreter der katholischen, chaldäischen, griechisch-orthodoxen, der protestantischen und der unierten Kirche zusammen. Ihr Überleben im Mittleren Osten verdanken alle diese Kirchen der Tradition der Toleranz, wie sie die omaijadischen, abbasidischen und vor allem die osmanischen Kalifen pflegten; ohne diese Vorherrschaft hätten sich die Kirchen wahrscheinlich gegenseitig ausgerottet. Es gehört zu den traurigen Entwicklungen des 19. und 20. Jahrhunderts, daß der nationalistische Wettstreit der Kirchen untereinander (wenn vielleicht auch unfreiwillig) die geistigen Voraussetzungen für den nationalistischen Wettstreit der revolutionären Gruppierungen schuf. 140 Die Zahl der zum Thema „Armenien” - besonders im Hinblick auf die Ereignisse von 1915 - erschienen Publikationen ist Legion. Der Kriegslage von 1915/16 entsprechend gibt es, ausgenommen eine im Jahre 1917 in Istanbul erschienene Sammlung „Aspirations et Agissements Revolutionnaires des Comites Armeniens avant et apres la proclamation de la Constitution Ottomane”, die versucht, die damals bekannten Fakten entsprechend der militärischen Lage zu veröffentlichen, so gut wie keine Literatur, welche „die osmanischtürkische Seite” vertreten würde. Nach der Veröffentlichung der - gefälschten -„Telegramme” mit den „Mordbefehlen” des osmanischen Innenministers durch Aram Andonian (1922) folgte eine wahre Flut von Veröffentlichungen zu diesem Thema, die so gut wie ausschließlich den armenischen Standpunkt vertreten, während die türkische Seite zu diesem Thema aus völlig falsch verstandener „Position der Unschuld” heraus das Schweigen vorzog. Das Ergebnis war eine völlig einseitige Information der Weltöffentlichkeit, die heute weitgehend die armenischen Anschuldigungen für bare Münze nimmt, dabei übersieht, daß die Armenier tatsächlich gegen das Osmanische Reich, dem sie angehörten, Krieg führten (ein Faktum, das sie nach dem Kriege sehr heftig unterstrichen, dann aber vergessen machten, als es opportun erschien, „unbewaffnet” dazustehen) und eine endgültige Aufteilung des Osmanenreiches wie der Türkei betrieben. In der nachfolgenden Zusammenstellung der bekanntesten und wichtigsten Bücher zu diesem Thema, die nicht den geringsten Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, sind beide Standpunkte - der türkische wie der armenische vertreten; in einem Annex wird noch auf die Publikationen von türkischer Seite hingewiesen, die in jüngster Zeit erschienen, die - spät aber doch - die Ereignisse aus türkischer Sicht darstellen. Aghassi „Zeitun depuis les Origines jusqu’à l’Insurrection de 1895” Paris, 1895 W. E. D. Allen & Paul Muratoff „Caucasian Battlefields”, Cambridge 1953 Aram Andonian „Les Memoires de Naim Bey: Documents officiels turcs relatifs à la déportation et aux massacres des Arméniens” Paris, 1920 The Assembly of Turkish American Assodations „Myth and Reality. A Handbook of Facts and Documents” Washington, 1986 Robert Bedrosian „Armenia in Ancient and Medieval Times” New York 1969 Edwin M. Bliss „Turkey and the Armenian Atrocities” Philadelphia, 1896 Viscount Bryce „The Treatment of Armenians in the Ottoman Empire 1915-1116” London, 1916 Jean Marie Carzou „Un genocide exemplaire”, Paris, 1975 Afif Erzen „Eastern Anatolia and Urartians” Ankara, 1984 Rev. Henry Fanshawe Tozer „Turkish Armenia and Eastern Asia Minor” London 1881 Kamuran Gürün „The Armenian File. The Myth of Innocence Exposed”. K. 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Toynbee „A Study of History” Oxford University Press, 1963 Twerdo Khebof „Journal de Guerre du 2éme Régiment d’Artillerie de forteresse Russe d’Erzéroum, et Notes d’un officier Supe-rieur Russe sur les atrocites d’Erzéroum” Traduit de manuscrit original russe, 1919 Korganoff „La Participation des Armeniens á la Guerre Mondiale sur le Front du Caucase 1914-1918” Paris, 1927 Mesrop Krikorian „Armenians in the Service of the Ottoman Empire 1860-1908” London, 1978 Arnold J. Toynbee „Armenian Atrocities: The murder of a nation” New York 1975 Aram Turabian „Les Volontaires Arméniens sous les Drapeaux Francais” Marseilles 1917 Cristopher Walker “ARMENIA the Survival of a Nation” Croom Helm, London, 1980 Rev. A. W. Williams „Bleeding Armenia” Publisher’s Union, 1896, Boston 141 Türkische Publikationen aus jüngster Zeit Bilâl Шimшir „Aperчu Historique Sur LA QUESTION ARMÉNIENNE” Ankara 1985 Türkkaya Ataöv „A British Report (1895): The Armenians unmasked”, Ankara University, 1985 Türkkaya Ataöv „A <Statement> wrongly attributed to Mustafa Kamäl Atatürk” Ankara University, 1984 Türkkaya Ataöv „An Armenian Author on >Patriotism Perverted<, Ankara University, 1984 Türkkaya Ataöv „Documents on the Armenian Question: Forged and Authentic” Ankara University, 1985 Türkkaya Ataöv „Hitler and the ,Armenian Question’” Ankara University, 1984 Türkkaya Ataöv „The Andonian ,Documents’ attributed to Talat Pasha are Forgeries!” (auch frz. und deutsch) Ankara 1984 „Documents on Ottoman Armenians” Vol I & II, Prime Ministry, Directorate of Press and Information, Ankara 1978 Kâmuran Gürün „Le Dossier Arménien” Societé Turque d’Histoire, Ankara 1983 „International Terrorism and the Drug Conncection” (Symposion on International Terrorism, a summary) Ankara University, 1984 Enver Ziya Karal „Armenian Question” Ankara 1975 „Armenian Terrorism and the Paris Trial” („Terrorisme Armenian et Proces de Paris”) Preface by Dr. Tarik Somer, University of Ankara, 1984 Bilâl Шimшir „The Deportees of Malta and the Armenian Question” Ankara 1984 „Terrorist Attack at Orly” Statements and Evidence presented at the Trial; Feb. 19 - March 2, 1985.” University of Ankara, 1985. Epilog Armenischer Terrorismus: die Geschichte ist Gift und Gegengift zugleich! Historiker tragen zur Diskussion über den zeitgenössischen Terrorismus gewöhnlich nur wenig oder gar nichts bei. Historiker, die sich mit der Zeitgeschichte des Nahen Ostens beschäftigen, äußern sich niemals zum armenischen Terror und ziehen es vor, eher über alte Gefechte zu reden, weil dabei die Wahrscheinlichkeit geringer ist, daß noch zurückgeschossen wird. Dennoch darf auch die Geschichte nicht vergessen werden, wenn über armenische Gewalttaten gesprochen wird. Denn Geschichte ist zugleich Ursache, aber auch einziges Heilmittel des armenischen Terrors. Armenischer Terrorismus wurzelt in falscher Geschichtsbetrachtung. Nur wenn wir diesen irrigen Blickwinkel ausschalten, die Geschichte ins richtige Licht rücken, kann der armenische Terrorismus überwunden werden. Ich schlage deshalb eine ansonsten unübliche Arbeitsweise vor, um den armenischen Terrorismus zu bekämpfen: das Studium der Geschichte. Jeder Terrorist braucht eine raison d’etre - eine Philosophie und eine Motivation, für die er töten und sterben kann. Geschichte spielt in diesem Zusammenhang gewöhnlich eine gewisse Rolle, und das gleich aus zweierlei Grund: erstens bedeutet Vergangenheit für viele Terroristen eine Art friedlichen Hafens, in dem noch alles gut war, und zweitens wollen Terroristen fast immer an irgend jemandem Rache nehmen, weil dessen Ahnen angeblich Unheil angerichtet haben; stets aber wollen sie jemanden befreien, von fremdem Joch, versteht sich. So verhielt es sich mit dem Vietkong, den Mau Mau, so ist es mit der I. R. A. Die armenischen Terroristen sind da einmalig: denn Geschichte, wie sie sie verstehen, ist überhaupt ihr einziger Rechtfertigungsgrund für alle ihre Taten. Es gibt im Falle des armenischen Terrors ja kein Volk, das zu befreien wäre. Im Falle des armenischen Terrors gibt es nur einen einzigen Beweggrund: Rache, Rache für etwas, was sie für Fehler der anderen - der Türken - halten. Ich ging davon aus, zu behaupten, daß die beste Waffe gegen den armenischen Terrorismus das Studium der Geschichte sei. Es wäre vielleicht noch besser zu sagen: die beste Waffe ist die Wahrheit. Dann könnte auch das Wort von Patriarch Schnorkh Kalustian Wahrheit werden, der sagte: „Mögen doch diese unglückseligen Ereignisse endlich aufhören. Möge der Friede Gottes mit allen Menschen guten Willens sein!” Wien, im Dezember 1986 Der Verfasser 142 Inhalt Ein persönliches Wort zum Geleit .............................................................................................................................................. Einführung von Afif Erzen .......................................................................................................................................................... „Five faces of terrof” ................................................................................................................................................................... Die Armenier und ihr sogenannter Terror .................................................................................................................................... Armenien: Mythos und geschichtliche Wirklichkeit ...................................................................................................................... Die prähistorischen Kulturen Ostanatoliens ................................................................................................................................... Seldschuken, Mongolensturm und Osmanen.................................................................................................................................. Juden im Osmanenreich .................................................................................................................................................................. Das griechisch-orthodoxe Patriarchat .......................................................................................................................................... Das armenisch-orthodoxe Patriarchat ............................................................................................................................................. Der Triumph der Osmanen in Ostanatolien und Kilikien ............................................................................................................ Die Ursachen der armenischen Tragödie ........................................................................................................................................ Der Anfang vom Ende - ein protestantisch-armenisches Milkt wird errichtet ............................................................................... Das 19. Jahrhundert: Ein goldenes Zeitalter für Armenier und Osmanen, trotz der beginnenden nationalistischen Hetze von außen ...................................................................................................................................................................... Die Politik der Großmächte und die Armenische Frage................................................................................................................. Der Nationalismus greift von den Kirchen auf profane Organisationen über ................................................................................ Die Bab Ali-Demonstration, die Hintschakisten und die Kusaktsakan .......................................................................................... Einer der Höhepunkte armenischen Terrors: Der Überfall auf die Osmanische Bank ................................................................ Die letzte Chance der Armenier - von den Daschnakisten vertan .................................................................................................. Der Umsiedlungsauftrag: Die Ursachen und Folgen .................................................................................................................. Die Fälschungen des Aram Andonian ............................................................................................................................................. Und die islamischen Opfer? ......................................................................................................................................................... Nach den Freisprüchen von Malta griffen die armenischen Terroristen zur Selbstjustiz und ermordeten die osmanische Führungsschicht .................................................................................................................................................. Vom Ersten Weltkrieg zu einem neuen Abschnitt türkisch-armenischer Beziehungen: die wichtigsten Etappen zu den Friedensschlüssen von Gümrü-Alexandropol und Lausanne sowie deren Folgen .......................................................... Von den Pyrrhussiegen von Brest-Litowsk und Bukarest zu den Katastrophen der Diktate in den Pariser Vororten . . Der Zusammenbruch der Mittelmächte und der fortdauernde Widerstand des Osmanenreiches ................................................ Der Überlebenskampf der Türkei und Armeniens: beide Nationen retten ihren Bestand; die Türkei in traditioneller Unabhängigkeit, die Armenier in ebenso historisch gewachsener, beschränkter Souveränität ...................................................... Die Wirren einer verlängerten Kriegszeit ........................................................................................................................................ Die Kriege der Republik Armenien ................................................................................................................................................. Die Wiedereroberung von Kars und das Ende der armenischen Expansion ............................................................................... Ein genauso tragisches Nachspiel an der Südfront.......................................................................................................................... Der Friede von Gümrü (Alexandropol; heute Leninakan) vom 2. Dezember 1922 ....................................................................... Das Ende der armenisch-griechischen Invasion und der Friedensvertrag von Lausanne (1923) ................................................... Der Terrorismus als blutiger, realer Phantasiekrieg ..................................................................................................................... Die armenischen Terrororganisationen ............................................................................................................................................ Der politische Hintergrund der armenischen Terrororganisation ASALA ...................................................................................... Der armenische Terror - eine Bilanz ............................................................................................................................................. Ausgewählte Bibliographie.............................................................................................................................................................. Türkische Publikationen aus jüngster Zeit....................................................................................................................................... Epilog ............................................................................................................................................................................................... 6 8 18 22 23 25 33 36 38 39 44 45 47 53 57 65 67 69 70 75 84 88 91 93 93 98 99 101 104 108 110 112 114 118 121 122 124 140 142 142 143 Nachweis der Abbildungen Titelfoto: Eine armenische Terrorgruppe aus dem ostanatolischen Van (1912), Armenischer Terrorüberfall auf dem Flughafen von Ankara sowie eine Seite aus dem Boston Herald, American Sunday, vom 24. Oktober 1982. Alle Farbbilder vom Autor. Schwarzweißfotos, wenn nicht in der Bildlegende anders angeführt, aus dem Heeresarchiv Ankara. 144