ein mythos des terrors

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ein mythos des terrors
ERICH FEIGL
Die Geschichte des armenischen Extremismus ist ein Mythos im eigentlichen
Sinn des Wortes: etwas Sagenhaftes, Erdichtetes, zur Sage Gemachtes. Dabei
handelt es sich aber um etwas absolut Lebendiges und Wirksames, wie der
Terror und seine furchtbaren Auswirkungen beweist. Ein Armenier namens
Aram Andonian hat zu Beginn der zwanziger Jahre eine Dokumentensammlung
(eigentlich waren es Fotografien von Dokumenten) herausgegeben, die er als
Beweis für die Absicht der osmanischen Regierung vorlegte, das armenische
Volk ausrotten zu wollen. Es handelte sich dabei um Befehle, die den Wahntaten eines Hitler oder Himmler durchaus entsprachen. Franz Werfel hat in
gutem Glauben seinen herrlichen Roman Die vierzig Tage des Musa Dagh zur
Gänze auf diesen Mordbefehlen aufgebaut. Zu spät erkannte er, einer Fälschung
aufgesessen zu sein. Zu groß war die Furcht vor Repressalien, um den Irrtum
öffentlich zu bekennen. Das Bild zeigt armenische Kinder vom Musa Dagh,
dem Schauplatz dieses Romans, wo heute noch - trotz der Ausrottung - eine
blühende armenisch-türkische Gemeinde lebt.
EDITION ZEITGESCHICHTE • SALZBURG - FREILASSING
ein mythos des terrors
Univ.-Prof. Dr. Afif Erzen, Jahrgang 1913, erhielt nach
Abschluß seiner Gymnasialzeit in Sivas als Jahresbester
ein Stipendium für das Studium in Deutschland. Nach dem
Vorstudium (Deutsch am Gymnasium Züllichau) studierte
Afif Erzen ab 1934 an den Universitäten von Berlin (bei
Wilhelm Weber), Jena (bei Fritz Schachermeyer, bei dem
er bereits an einer Dissertation über „Metallgewinnung
und Metallverarbeitung in Ostanatolien" arbeitete; die
Übersiedlung Schachermeyers nach Heidelberg verhinderte aber deren Abschluß) sowie in Leipzig bei Helmut
Berve („Das Alexanderreich", „Griechische Geschichte")
wo er seine Studien mit einer Doktorarbeit über „Kilikien
bis zum Ende der Perserherrschaft" im Jahre 1940 beendete.
Im Jahre 1944 habilitierte sich Afif Erzen an der
Universität Istanbul (Geschichte des Altertums), wurde im
Jahre 1955 korrespondierendes und 1968 ordentliches
Miglied des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin
und war bis 1983 Vorstand der Abteilung
Grundwissenschaften der Geschichte des Altertums an
der Universität Istanbul.
Afif Erzen hielt Gastvorlesungen an den Universitäten von
Bonn, München, Erlangen, Münster, Würzburg und Tübingen, zuletzt vor allem über seine Ausgrabungen in
Чavuшtepe und Ainos.
Im Jahre 1967 gründete Professor Erzen in Van das Zentrum für Geschichts- und Archäologieforschung und im
Jahre 1969 in Edirne jenes für Südosteuropaforschungen.
Beide Institute stehen in Beziehung zur Geschichte der
Herkunft und Bedeutung des armenischen Volkes, der
Haik, sowie dessen historischer Entwicklung.
Den internationalen Ruhm Professor Erzens begründete
seine Ausgrabung von Чavuшtepe, der bedeutendsten
urar-täischen Fundstätte unserer Zeit. Zahlreiche
wissenschaftliche Veröffentlichungen zu seiner langjährigen Grabung in Чavuшtepe brachten Afif Erzen weltweite
Anerkennung. Die wichtigsten Werke von Afif Erzen:
„Ankara im Altertum" (Ankara, 1946)
„Die Gründung der Stadt Istanbul und deren Namen"
(Belleten 1953)
„Das Besiedlungsproblem Pamphylien im Altertum"
(Arch. Anz. 1973)
„Zypern in der Geschichte des Altertums" (Belleten 1976)
„Das Marmarameer und die Meeresenge in der
Geschichte des Altertums" (Südosteuropaforschungen I,
1972) „Чavuшtepe I" (Türk Tarihi Kurumu, Ankara 1978)
und, im gleichen Institut, „Eastern Anatolia and Urartians"
(1979) Dazu zahlreiche Aufsätze über seine
Ausgrabungen in Ainos (Enez, Thrakien) und vor allem
über seine Grabungen in Van (Zitadelle), Toprakkale und
Yukarskale, alle in Verbindung mit seinen urartäischen
Forschungen, zum Teil gemeinsam mit dem Sumerologen
Prof. Dr. Emin Bilgig von der Universität Ankara. In diesem
Zusammenhang sei noch besonders Erzens Arbeit über
„Das Neu-Urartäische in der Region Van" (Ankara, 1979)
sowie das Erscheinen von „Чavuшtepe II" (Ankara, 1986)
- ein Höhepunkt im Gelehrtenleben Afif Erzens - erwähnt,
faßt es doch die Ergebnisse jahrzehntelanger Grabungstätigkeit im urartäischen Чavuшtepe zusammen.
ERICH FEIGL
ein mythos
des terrors
Armenian Extremism:
Its Causes and Its Historical
Context
EDITION
ZEITGESCHICHTE
Prof. Erich Feigl (Wien 1931) begann noch während
seines Studiums schriftstellerisch tätig zu werden, wendete sich aber bald dem Dokumentarfilm zu, eine Arbeit,
die ihn in den Bannkreis der Religionen und Kulturen des
Mittleren und Fernen Ostens sowie Mittelamerikas
brachte. Er schuf TV-Serien wie „Reise in die
frühchristliche Welt", „Die Erben der frühchristlichen Welt",
„Die Weltreligionen", „Telegalerie" oder „Menschen und
Mythen"; mehrere Filme aus diesen Serien erhielten den
Staatspreis. Einzelne TV-Monographien wie „Musil von
Arabien" oder „An den Strömen des Paradieses" (über die
Religionsgemeinschaften des Zweistromlandes), sowie
Erich Feigls TV-Dokumentationen über Ursprung und
Untergang des Osmanenrei-ches („Woher sind die Türken
gekommen" und „Wohin sind die Türken gegangen"), aber
auch die berühmten TV-Dokumentationen über Kaiserin
Zita („Die Kronzeugin" sowie „Kaiserin Zita", 1986 erstmals ausgestrahlt) brachten Professor Feigl immer wieder
in die Bannmeile der tragischen Ereignisse von 1915 und
die Geschichte und Hintergründe der armenischen
Tragödie.
Das geschah übrigens auch im Zuge der schriftstellerischen Arbeit Erich Feigls als Buchautor. Sowohl seine
großen Biographien „Kaiser Karl" und „Kaiserin Zita" als
auch seine Bücher über „Musil von Arabien" und „Athos Vorhölle zum Paradies" waren mit Studien zur Geschichte
des Osmanischen Reiches - besonders in seiner
Endphase — verbunden. Allmählich reifte der Plan, über
den Ursprung und die Hintergründe der Tragödie des
armenischen Volkes in Anatolien eine Monographie aus
der Sicht eines profunden Kenners Anatoliens und seiner
orientalischen Umwelt zu verfassen, zumal Professor
Erich Feigl alle Schauplätze und zahllose Zeugen - aus
allen Lagern - aus eigener Anschauung seit Jahrzehnten
kennt. Vorbereitungsarbeiten waren schon sehr weit
gediehen, als ein entsetzliches Ereignis - die Ermordung
des türkischen Arbeitsattaches Erdogan Özen in Wien, am
20. Juni 1984, der ein persönlicher Freund des Autors war
- Erich Feigl veranlaßte, eine umfassende filmische
Dokumentation über jenen „Mythos des Terrors"
herzustellen, der schon so viele unschuldige Leben auf
dem Gewissen hat. Nach Beendigung der über ein Jahr
währenden Dreharbeiten verfaßte Prof. Erich Feigl das
nun vorliegende Buch, das fast ausschließlich
Fotomaterial aus der Hand des Autors enthält und die
Wurzeln des Armenierterrors freilegt, eines Terrors, der in
erster Linie der überwältigenden Mehrheit jener Armenier
schadet, die mit dem Schreckensregiment einer winzigen
Minderheit unter ihnen nicht fertig zu werden mag, vielleicht auch aus Ungewißheit über die wahren Zusammenhänge, die zum armenischen Terror führten und
führen. Das gilt erst recht für die breite Öffentlichkeit, die
außer einigen Schlagworten über „Völkermord" und
„Armeniermassaker" und immer neue armenische
Terroranschläge nichts oder nur sehr wenige - oft falsch
interpretierte - Fakten kennt.
Dieses Buch zeigt offen und völlig ungeschminkt die historischen und zeitgeschichtlichen Zusammenhänge auf; die
überraschenden Ergebnisse mögen dazu beitragen, das
wahre Gesicht des Terrors zu zeigen und künftiges Unheil
abzuwenden.
EIN MYTHOS DES TERRORS
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Eine Bilddokumentation von Erich Feigl
EIN MYTHOS
DES TERRORS
Armenischer Extremismus:
Seine Ursachen und Hintergründe
EDITION ZEITGESCHICHTE • FREILASSING - SALZBURG
© Edition Zeitgeschichte im Druckhaus-Nonntal-Bücherdienst
D-8228 Freilassing, Georg-Wrede-Straße 49, Postfach 1490
Der Nachdruck der Bilder und Texte ist nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages gestattet.
1. Auflage Dezember 1986
Lektorat und Herstellung: Dr. Elisabeth Nowak, Adnet
Reproduktionen: Repro Fuchs, Salzburg
Satz, Druck und Bindung: Druckhaus Nonntal, Salzburg
Printed in Austria
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DEM ANDENKEN
MEINES FREUNDES ERDOЬAN ÖZEN
GEWIDMET
Ein persönliches Wort zum Geleit
„Bist du wahnsinnig geworden?”
„Sind Sie lebensmüde?”
Das waren die Kommentare von Freunden und Bekannten, als sie hörten, ich arbeite an einer Dokumentation
über Hintergründe und Ursachen des armenischen
Terrors. Warum ausgerechnet ich mich eines solchen
gefährlichen Stoffes annähme . . . wäre das nicht eine
Sache, die sich Türken und Armenier untereinander ausmachen sollten? Alle meine Freunde betrachteten mein
Unternehmen als gefährlich, ja bedrohlich. Übrigens kam
ich sehr bald zu der Erkenntnis, daß es diese Bedenken,
ja Ängste sein müssen, die bisher verhinderten, daß es
unvoreingenommene Versuche zur Klärung der
Hintergründe armenischen Terrors gibt: offenbar haben
die Menschen Angst vor Repressalien, und überlassen die
ganze Problematik dadurch wieder den Vertretern der
rücksichtslosen Gewaltanwendung, die fast das gesamte
Feld der einschlägigen Literatur beherrschen; in so gut
wie jeder Publikation, die sich mit der armenischen Frage
oder dem armenischen Terrorismus beschäftigt, werben
die Autoren um „Verständnis” für den Terror, was ähnlich
merkwürdig ist wie wenn sich Terrororganisationen nach
einem Anschlag zu einer „Verantwortung” bekennen. Ich
selber kam vor vielen Jahren zum ersten Mal in den
Bannkreis des türkisch-armenischen Spannungsfeldes,
als ich einen meiner zahlreichen Dokumentarfilme über
orientalische Religionsgemeinschaften drehte und dabei
mit dem damaligen armenischen Katholikos von Sis, der
in dem eleganten Beiruter Vorort Antelias residierte, zusammentraf. Er sprach damals feierlich von zwei Millionen von den Türken hingemordeten Armeniern, und ich
nahm die Worte Seiner Heiligkeit sehr ernst und bildete
viele Jahre lang danach auch meine Meinung.
Im Laufe der Zeit sah ich mehr und mehr von der Welt,
gewann liebenswürdige, symphatische und hochgebildete
armenische Freunde, gewann türkische Freunde. Ohne es
eigentlich zu wollen, weil es nie meinen unmittelbaren
Aufgabenbereich berührte, geriet ich bei meinen zahllosen Filmarbeiten in Anatolien und im Nahen Osten, sei
es nun in Istanbul oder Van, Bagdad, Teheran oder gar in
den Vereinigten Staaten, in den Dunstkreis der „armenischen Frage”, wobei ich bald die Beobachtung machte,
daß Wortwahl und Argumentation meiner Gesprächspartner in geradezu geometrischer Proportion zur Entfernung von der Türkei an Schärfe zunehmen; während sich
Türkei-Armenier oder solche, die zwischen einem Wohnort in Istanbul und irgendwo in Europa hin- und herpendeln, äußerst gemäßigt und verständnisvoll äußern, können sich andere, die noch nie in ihrem Leben einen Türken gesehen haben und in Los Angeles oder Rio leben,
sehr heftig und einseitig äußern.
Meine persönliche Beziehung zu dem Themenkreis
änderte sich von einer Sekunde auf die andere, als ich die
Nachricht von einer Bombenexplosion vor der türkischen
Botschaft an der Wiener Prinz-Eugen-Straße hörte. Dabei
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war der türkische Arbeits- und Sozialattache Erdogan
Özen ums Leben gekommen. Erdogan Özen habe ich gut
gekannt.
Er war ein begeisterter, hingebungsvoller Arbeiter gewesen, einer, der seiner beruflichen Aufgabe, türkischen
Gastarbeitern in Österreich zu helfen und sich um ihre
Probleme zu kümmern, nach bestem Wissen und Gewissen nachgekommen ist. Da war aber, so wie ich ihn kannte, noch mehr: oft habe ich ihn über seinen damals elfoder zwölfjährigen Sohn Murad sprechen gehört, sah die
Liebe in seinen Augen, die ihn mit seinem Kind und seiner Frau Monika verband.
Erdogan Özen war viele Jahre nach dem Ersten Weltkrieg
zur Welt gekommen und hatte mit den tragischen Ereignissen von 1915, bei denen so viele Armenier und Moslems umgekommen waren, nicht die Spur zu tun, und ich
verbürge mich auf Grund meiner Freundschaft mit ihm
und allem, was ich daraus über ihn zu wissen glaube, daß
er, wäre er damals in die Nähe verfolgter oder bedrängter
Armenier gekommen, mit Sicherheit geholfen hätte.
In dem gleichen Augenblick, da ich die Nachricht von
dem Tode Erdogans hörte, faßte ich den Entschluß, etwas
zu tun, etwas, was im Bereiche meiner Möglichkeiten
liegt. Nach gründlicher Beschäftigung mit dem Thema
und zahllosen Begegnungen drehte ich über diesen
„Mythos des Terrors” eine Filmserie und schrieb das nun
vorliegende Buch, das - zumindest in seinem umfangreichen Bildteil - aus der Filmarbeit herauswuchs. Es handelt sich um einen „Mythos” . . . im eigentlichen Sinne
des „Wortes”, um etwas Sagenhaftes, Erdichtetes, „zur
Sage Gemachtes”: und dabei absolut Lebendiges,
Wirksames, wie der Terror und seine entsetzlichen Auswirkungen beweisen.
Historiker oder Kommentatoren tragen heutzutage wenig
oder nichts zur Klärung der Umstände bei, unter denen so
viele Armenier einen tragischen Leidensweg antreten
mußten, damals, 1915, - damals, als auch so viele Moslems den gleichen Weg in Krankheit, Elend und Tod gingen, Menschen, von denen heute so gut wie keine Rede
mehr ist, obwohl sie mindestens genau so litten wie ihre
armenischen Mitbürger.
Der Schlüssel zum armenischen Terror ist die
Geschichte. Geschichte ist die Ursache des armenischen
Terrors, und gleichzeitig sein einziges Heilmittel.
Der armenische Terror steht und fällt mit einem bestimmten Geschichtsbild. Nur wenn es gelingt, dieses
Geschichtsbild, das sich die (meist sehr jugendlichen)
„Kämpfer” für die Sache „Armeniens”, für „Gerechtigkeit” oder auch für einfache Rache zurechtgelegt haben,
besser: das ihnen vorgesagt wurde, denn selbst können sie
die Geschichte ja kaum erforschen, nur dann kann es
gelingen, dieses Unglück „Mythos des Terrors” zu bannen und in ein neues Bild des gegenseitigen Verzeihens
und Verstehens umzugestalten.
Es gibt, meines Erachtens, nur diesen Weg der Korrektur
eines Geschichtsbildes; denn die Jungen, die Unerfahrenen, die Idealistischen, die Blüte der begeisterungsfähi-
gen armenischen Jugend wird ja auf dieses grauenhafte
Schlachtopferfeld des Terrors gehetzt; die alten, erfahrenen Rattenkönige, die diese Jugend mißbrauchen, wissen
ohnehin längst, was gespielt wurde und wird.
Jeder junge Mensch, der ein Terrorkommando übernimmt, braucht eine raison d’etre, eine Philosophie und
einen Beweggrund, aus denen heraus er den allfälligen
eigenen Tod, lebenslangen Kerker oder Jahre der Haft riskiert.
Während aber die Terroristen anderer Gruppierungen,
seien es nun die Mitglieder der IRA, der seinerzeitigen
MAU MAU oder irgendeiner Terrororganisation auf
Timor oder in Südafrika, letztlich auf ein Stück Land, auf
Machtausübung innerhalb bestimmter Grenzen hinarbeiten, ist im Falle des armenischen Terrors dieses Motiv
wohl kaum vorhanden; selbst der verrückteste Terrorist
wird nicht meinen, „Großarmenien” zu erreichen, wie es
vor zweitausend Jahren für einige wenige Jahrzehnte
bestand, außerdem wäre es gerade diesen Leuten in Ostanatolien wohl viel zu langweilig.
Nein: armenische Terroristen stellen heutzutage einen
einmaligen Sonderfall dar, weil ihr Geschichtsbild, ihr
Wissensstand von dem, was 1915 und vorher und nachher geschah, ihre einzige Rechtfertigung ist. Ihr Motiv ist
Rache, Rache für etwas, was - in ihren Augen, nach
ihrem Wissensstand - selbst die Ermordung eines
Menschen wie Erdogan Özen rechtfertigt, ja sogar in
Kauf nimmt, daß völlig unbeteiligte, unwissende
Passanten, Flugpassagiere, Warenhausbesucher oder
Polizisten verletzt oder gar getötet werden, auch
Generationen nach dem „Anlaß”.
Die armenische Geschichtsauffassung wird übrigens
weitgehend von der öffentlichen Meinung geteilt. Das ist
weder ein Wunder noch soll das ein Vorwurf sein. So gut
wie alle Informationen, die es über die tragischen Ereignisse des Jahres 1915 gibt, stammen aus armenischen
Quellen oder zumindest von Menschen, die von vornherein über die damaligen, gleichzeitigen und noch viel größeren Leiden der Moslems entweder nichts wissen oder
zumindest vorgeben, darüber nichts zu wissen; sie werden auch kaum oder nur sehr einseitig über die Vorgeschichte zur Tragödie von 1915 Stellung beziehen.
Ich habe im Laufe meiner Vorarbeiten zu diesem Buch
und meinen Filmen nach bestem Wissen und Gewissen
Erkundigungen eingezogen und dabei auch zahllose
Menschen kennengelernt, denen ich höchsten Respekt
zolle; Seiner Seligkeit dem armenisch-apostolischen
Patriarchen Schnorkh Kalustian von Istanbul zum Beispiel, oder den Ärzten und Pflegern im armenischen Spital der gleichen Stadt . . . ich nenne sie hier stellvertretend
für viele, noble Armenier, die ich kenne, wie etwa die
armenischen Bauern und ihre Familien auf dem durch
Werfel weltberühmt gewordenen Musa Dagh oder armenische Gelehrte.
Ich lernte allerdings im Zuge meiner Forschungstätigkeit
auch andere Menschen kennen. Dabei erinnere ich mich
besonders an Herrn Dr. Gerard Libaridian, den Leiter des
armenischen Zorian-Institutes, mit dem ich in seinem
Büro in Cambridge, Massachusetts, eine unendlich interessante, stundenlange Unterredung hatte.
Dr. Gerard Libaridian ist ein brillanter Mann, sprühend
vor Geist, Wissen, Können und Selbstbewußtsein. Über
die Begegnung und die Unterhaltung mit ihm könnte man
ein anregendes Theaterstück schreiben.
Im Laufe des faszinierenden Gespräches, bei dem ich die
aufregendsten Äußerungen meines Gastgebers notierte,
erwähnte er mehrmals auch die sogenannten „AndonianPapiere”.
Ein Armenier namens Aram Andonian hat zu Beginn der
zwanziger Jahre eine „Dokumentensammlung” (eigentlich waren es Photographien von „Dokumenten”) herausgegeben, die er als „Beweis” für die Absicht der osmanischen Regierung vorlegte, das armenische Volk ausrotten
zu wollen. Im Grunde genommen handelte es sich um
„Befehle”, die den späteren Wahntaten eines Hitler oder
Himmler durchaus entsprachen.
Franz Werfel hat - ursprünglich selbstverständlich in
gutem Glauben - seinen herrlichen Roman „Die vierzig
Tage des Musa Dagh” zur Gänze auf diesen „Mordbefehlen” der osmanischen Regierung aufgebaut; zu spät kam
er drauf, einer Fälschung aufgesessen zu sein, und aus
Furcht vor erwarteten armenischen Repressalien wagte er
es auch nicht, seinen Irrtum öffentlich zu bekennen. Da
ich naturgemäß davon ausgehen konnte, daß Herr Dr.
Libaridian von der Tatsache dieser Fälschung weiß,
wollte ich über diesen Gegenstand auch kein einziges
überflüssiges Wort verlieren, gab es doch so viele andere,
in meinen Augen bessere Gesprächsthemen.
Merkwürdigerweise blieb er aber bei diesem Buche des
Aram Andonian und seinen „Dokumenten” hängen, worauf ich endlich einwarf: „Aber Herr Doktor Libaridian,
Sie wissen doch so gut wie ich, daß diese ,AndonianPapiere’ Fälschungen sind!”
Ich werde weder die Antwort Libaridians noch seinen
Gesichtsausdruck dabei vergessen, als er auf meine Vorhaltung schlicht und kurz antwortete:
„And?”
„Und?” Ja . . . und ich werde diese Antwort nie vergessen,
diese nicht einmal kalte, nein, sondern ganz beiläufige
Antwort eines, der längst schon wieder bei anderen
Strategien angelangt ist, bei dem der Schnee von gestern
(sofern es sich um eine bestimmte Propagandamasche
handelt) nicht einmal weggeräumt wird, weil er von selbst in der Geschichte versickert und dabei - wer weiß? vielleicht sogar noch einmal Brunnen vergiftet!
Es ist eine winzige, ganz winzige Minderheit von Armeniern, die den Terror betreibt und idealistisch gesinnte,
begeisterungsfähige Jünglinge für irrationale Motive und
Ziele mißbraucht. Tragisch-komisch dabei ist, daß jene
Drahtzieher selber an den Fäden mächtiger Puppenspieler, wenn man will „Schachspieler” hängen, und auch
nichts anderes sind als läppische Schachfiguren im Spiel
der Großmächte, die ihre armenischen Bauernopfer darbringen, wenn es dem Gambit gerade zu nützen scheint.
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EINFÜHRUNG
Von Afif Erzen, Istanbul
Kaum eine Vorgangsweise ist der historischen Wahrheitsfindung abträglicher, als Geschichte mit Geschichten zu
vermischen, oder gar zu verwechseln.
Es ist dies ein ähnlich gefährlicher Irrweg wie die Vermischung oder Verwechslung von Politik mit Gewaltanwendung. Diese liegt aber leider nur allzuoft Forderungen von
Interessensgruppen (kaum von Völkern, denn die lieben
den Frieden) zugrunde, die „historisches Land” für sich
reklamieren.
Solche „historische Ansprüche” haben noch immer Krieg
bedeutet, oder zumindest Terror, eine häßliche Abart des
Krieges.
Recht auf Souveränität und Unabhängigkeit besteht dann,
wenn damit das Recht einer Mehrheit verbunden ist. Alles
andere würde nur unseren allgemein anerkannten, demokratischen Grundsätzen widersprechen. Daß sogar die armenischen Apologeten eines „armenischen Staates” auf
türkischem Boden dieser Gesinnung huldigen, beweist ihre
Parteinahme für die Zyperngriechen gegenüber der
türkischen Minderheit.
Alle zeitgenössischen armenischen Ansprüche auf das
türkische Ostanatolien, denen so gerne ein oberflächlicher,
„rechtlicher” Schimmer beigegeben wird, leugnen einfach
die Tatsache, daß diese Forderungen das Völkerrecht verletzen, weil in dem eingeforderten Gebiet so gut wie keine
Armenier leben.
Das übliche Argument, daß dort einmal Armenier gelebt
hätten, ist wohl richtig, berücksichtigt aber nicht die Tatsache, daß auch vor 1915 die Armenier in dem von ihnen
beanspruchten Land nur eine kleine Minderheit - etwa ein
Sechstel der Bevölkerung - dargestellt haben, eine
Minderheit, die schon lange vor der Ankunft der Sel8
dschuken in Anatolien, also schon seit fast einem Jahrtausend, über keine wie immer geartete staatliche Souveränität verfügte und außerdem - wie es ihre eigenen Volksführer immer wieder bestätigten - im Jahre 1915 im
„Kriegszustand” mit ihrer eigenen, osmanischen Regierung lag, also einen Bürgerkrieg vom Zaune gebrochen
hatte, der gerade in Ostanatolien, in Van, unter der islamischen Bevölkerung ein wahres Blutbad anrichtete.
Eine andere, ebenso gefährliche, wie der historischen
Wahrheit abträgliche Mythenbildung betrifft den Versuch, die Ansprüche der Armenier auf Ostanatolien mit
ihrer angeblichen „Abstammung” von den Urartäern zu
begründen. In so gut wie jeder von armenischer Seite veröffentlichten oder geförderten Publikation findet sich in
mehr oder weniger klarer Form eine Geschichtsdarstellung, die den Eindruck erweckt, die Geschichte der Haik
- so nennen sich die „Armenier” selber - in Ostanatolien
reiche bis in das 2. Jahrtausend vor Christus zurück. Sie
vereinnahmen nämlich in ihre eigene Geschichte - jene
der Haik - einfach auch die Geschichte der Urartäer und
jener, die vor den Urartäern in Ostanatolien lebten. Das
gelingt umso leichter, als viele Zeitgenossen die Bewohner der historischen Landschaft Armenien mit „den
Armeniern” verwechseln, die sich selber, wie erwähnt,
„Haik” nennen, und nur eines unter zahllosen Völkern
bilden, die im Laufe der Geschichte in der historischen
Landschaft Armenien lebten oder leben.
Der entscheidende Versuch gewisser armenischer Historiker oder Propagandisten, zwischen dem Volk der Haik
und dem politischen und geschichtlichen Anspruch auf
die historische Landschaft Armenien eine Brücke zu
bauen, ist die Einvernahme der Geschichte Urartus, nachdem der noch ältere Versuch, sich mit Hilfe der Araratlegenden als die ersten legitimen Erben Noahs darzustellen, auf Grund seiner offenkundigen Absurdität scheiterte.
Seit fast 3000 Jahren dient dieser vom Urartäerkönig Menua
angelegte Schamram-Kanal der Bewässerung der Ebene von
Van den unterschiedlichsten Völkern und Herren: Urartäern,
Medern, Armeniern, Persern, Römern und Byzantinern,
Seldschuken, Osmanen und allen Turkstämmen, die hier seit
Anbeginn wohnten.
Die geographischen und historischen
Voraussetzungen
Das Land, um das es in diesem Zusammenhang geht,
Ostanatolien, ist ein Gebiet zerklüfteter Gebirge und
Hochebenen, dessen dramatisch anmutendes Gesamtbild
stark vom übrigen Anatolien abweicht. Seine durchschnittliche Höhe beträgt 2000 m, im Vergleich zu bloß
1000 m im restlichen Anatolien. Der niedrigste Punkt ist
die Igdir-Ebene mit 875 m Seehöhe. Der Vansee, der das
Bild Ostanatoliens beherrscht, entstand vor Zeiten nach
einem Ausbruch des Vulkans Nemrud, dessen Lavamassen den Abfluß aus dem Becken verhinderten. Während
ein großer Teil Ostanatoliens nach Norden, in den Kaspischen See durch die Flüsse Kura und Aras entwässert
wird, fließen Euphrat und Tigris nach Süden, in den Golf.
Diese Ströme spielten beim Entstehen der großen Kulturen Mesopotamiens eine Hauptrolle, brachten sie doch
nicht nur ihre Wasser, sondern auch fruchtbare Erde aus
Ostanatolien ins Zweistromland.
Ostanatolien, dessen Grenze im Westen die Ausläufer des
Taurusgebirges bilden, spielt auch eine Hauptrolle in der
Geschichte der Turkvölker und der mit ihnen verwandten
Volkschaften.
Höhlenzeichnungen in Ostanatolien, deren Ursprung bis
in das 15. Jahrtausend vor Christus zurückgeht, belegen
die uralte Verbindung der Bewohner Ostanatoliens mit
den Menschen Innerasiens, besonders des Altaigebietes,
einer Wiege der Turkvölker, sowie anderen Ballungszentren dieser Rasse. Dank umfangreichen Ausgrabungen in
der Gegend um Elazig, die während des Baues des
Keban-Dammes vorgenommen wurden (in dieser Gegend
entspringen Euphrat und Tigris), wissen wir heute, daß
seit dem 4. Jahrtausend vor Christus eine sehr starke kulturelle Einheit innerhalb des Landes zwischen Kaukasus
im Norden, dem Urmiasee im Osten, Nordsyrien im
Süden und der Gegend um Malatia-Elazig bestand.
Die Kulturen dieser Zone, die ein so gewaltiges Gebiet
umfaßt, tragen je nach den Schwerpunkten der Ausgrabungstätigkeit und der Reichhaltigkeit der Funde Namen
wie „Kura-Aras-Kultur”, „Yanik-Kultur”, „Karaz-Kultur”,
„Frühe transkaukasische Kultur”, „Ostanatolische frühe
bronzezeitliche Kultur” oder „Frühe hurritische Kultur”.
Allen diesen Kulturen gemeinsam ist die Tatsache, daß ihre
Träger hurritischen Ursprungs waren, also einer Kulturgemeinschaft angehörten, deren Sprache ähnlich jener
ist, die die Völker der Ural-Altaiischen Sprachenfamilie
sprechen; zu ihnen gehören auch die Türken. Die Hurri-ter
waren asiatischen Ursprungs. Es ist daher richtig, die
vorher genannten Kulturen, die alle im Schoße der Hurriter entstanden, „Frühe hurri tische Kultur” zu nennen.
Die Hurriter bildeten auch jene kulturelle Basis, auf der
später das Königreich von Urartu erwuchs. Das Urartäische Reich währte vom Beginn des 1. Jahrtausends vor
Christus an über mehr als drei Jahrhunderte und umfaßte
das Hochland Anatoliens, den Nordwesten Irans sowie
Transkaukasien und im Süden die Urfa-Halfati-Region,
Mauerquadern von Cavus,tepe-Sardurihinili dokumentieren: da
sind zunächst die mit unglaublicher Präzision zusammengesetzten Bausteine der Mauern der Königsburg aus der Zeit
Sardurs II. (764-735 vor Christus), der Sardurihinili errichten
ließ, und endlich die von dem Großbrand gezeichneten Steine
der Burg, der in der letzten Dekade des 7. Jahrhunderts vor
Christus - wahrscheinlich im Jahre 609 - infolge der Eroberung
der Burg durch die Skythen und die darauffolgende Plünderung
und Brandstiftung entstand. Im Schutt unterhalb der Mauern
fanden die Ausgräber unter Leitung von Prof. Afif Erzen
Tausende skythische Pfeilspitzen . . . Für eine nachfolgende
Besiedlung während des nächsten Jahrtausends fand sich nicht
die Spur eines Hinweises, was übrigens auch für die anderen
urartäischen Großbauten gilt.
zeitweise sogar die Gegend um Aleppo, sowie im Westen
das Land bis Malatia-Elazig.
Lange Zeit herrschte die Ansicht vor, der Ursprung der hurritischen Kultur - und damit auch der urartäischen Kultur läge im transkaukasischen Nordwestiran. Folgerichtig
nahm man an, daß sich die hurritische Kultur von Norden
nach Süden, bis in die syrischen Gebiete hinein, ausbreitete. Heute aber steht fest, daß es in der Gegend von Elazig
eine vorzüglich entwickelte neolithische Kultur gab, älter
als die durch Funde nachgewiesene chalkolithi-sche
Kultur, und daß jene neolithische Kultur Ostanato-Die
Macht und Ohnmacht des Urartäerreiches, wie sie sich in den
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Hochfläche des Burgberges von Чavuшtepe, wo Professor Afif
Erzen die urartäische Doppelfestung Sardurihinili ausgrub.
liens in ungebrochener Entwicklung, mit stark ausgeprägten, spezifisch anatolischen Zügen, fortwirkte. Die Entdeckung von frühen paläolithischen Steinwerkzeugen in
Eskini-Sefini durch Professor Dr. Kilic Kokten sowie
weitere Entdeckungen in Pulur und Tepecik, die eine
Besiedlung in den Jahren zwischen 6000 und 5500 vor
Christus nachweisen, weisen auch schlüssig nach, daß der
Ursprung der frühen hurritischen Kultur in Ostanatolien
liegt. Von dort, von Ostanatolien aus, breitete sich
schließlich das Hurritische nach Nordsyrien, Transkaukasien und zum Urmiasee hin aus.
Die für das türkische Volk, ja alle türkischen Stämme so
wichtige Technik des Rundbaus stammt aus hurritischem
Erbe.
Keilschriftentäfelchen, die im Harbur-Tal gefunden wurden, beweisen, daß Hurriter zu Beginn des 3. Jahrtausends vor Christus bereits in Ostanatolien lebten, also
etwa zur Zeit der Akkadier.
Gegen Ende des 3. Jahrtausends vor Christus stießen
indoeuropäische hethitische Stämme über Transkaukasien nach Ostanatolien vor. Die Niederlassung der Hethiter in Anatolien um 2000 vor Christus brachte verschiedene Änderungen im Leben der Hurriter Ostanatoliens.
Metalle und der Handel mit ihnen gewannen rasch an
Bedeutung, doch trotz einer gewissen Verlegung der
Wirtschaftsbasis, auch auf Viehzucht, blieb die hurritische Kultur im wesentlichen unverändert, was sicher auch
durch das schützende Gebirgsland mitbewirkt wurde.
Vom Beginn des Bronzezeitalters an wuchs die ostanatolische Bevölkerung stetig und immer mehr stabile
Dorfgemeinschaften bildeten sich heraus. Da Weideland
allmählich knapp wurde, entstand jener halbnomadische
Lebensstil, der zum Teil Ostanatolien bis heute prägt. Im
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Die in Urartäisch - einer asiatischen, agglutinierenden Sprache,
die starke Ähnlichkeiten mit der Ural-Altaischen Sprachfamilie,
vor allem mit dem Türkischen aufweist - abgefaßte Gründungsinschrift von Sardurihinili, übrigens in unglaublich gutem
Zustand erhalten - wurde von Afif Erzen entdeckt und von Emin
Bilgic. (Sumerologe an der Universität Ankara) übersetzt:
Zeile 1 Diesen Tempel hat Sardur, der Sohn des Argischti, dem
Gotte Irmuschini <errichtet. So sagt Sardur>
2 Da ich meines Vaters Thron bestieg, sagt Sardur <etwas
Derartiges hat man in vorhergegangenen Zeiten> noch
nie errichtet.
3 Ich habe dort dem Gotte Haldi einen Tempelthron <aufgebaub Dem Gotte Irmuschini und für diese Festung
4 habe ich von dem Hoschap-Fluß einen Kanal <erbauen
lassen und mit> Weingärten, Feldern und Gemüsegärten
diese neue Stadt <Gebäude habe ich dort
5 umgeben. Diese prächtigen selbst errichtet)
6 Als Namen der Stadt habe ich Sardurihinili (Sardurstadt) gewählt. Sardur sagt . . .
7 Dorfhäuser, die sich vorher hier befanden, habe ich für
alle Zeiten hier neu errichtet.
8 Diese Stadt habe ich dem Gotte Irmuschini <geweiht>
und die Tore dem Gotte Haldi, wegen des Reichtums.
9 Der Sohn des Argischti (Sardur II.) hat mit Hilfe der
Größe und Macht des Gottes Haldi diesen Tempel
errichtet
10 <Ich> mächtiger König, ich großer König, ich großer
König (sie!) der Biai-Länder*). Der Herr dieser Stadt
und von Tuschpa, Sardur bin ich.
Laufe einer lange anhaltenden Trockenperiode verdichtete sich die Besiedlung besonders auf der Hochfläche um
den Vansee.
Trotz der wenigen schriftlichen Zeugnisse aus jener Zeit
steht fest, daß während des 2. Jahrtausends vor Christus
der Mittelpunkt des hurritischen Siedlungsgebietes um
den Vansee lag. So wie hurritische Namen in den Kültepe-Texten aufscheinen (1950 bis 1790 vor Christus)
fand man hurritische Inschriften auch in den MariDokumenten der mittleren Euphrat-Region, die in das
Zeitalter Hammurapis gehören.
Der Einfluß hurritischer Kultur und Religion auf die
Hethiter läßt sich durch hurritische Texte, die in Hattusa
(Bogazköy, 1450 bis 1180 vor Christus) gefunden wurden, nachweisen. Hurritische Elemente beeinflußten die
hethi-tische Religion und Mythologie. Hurritische Götter
und Göttinnen nehmen in den Yazilikaya-Texten der hethiti-schen Felsbilder (13. Jahrhundert vor Christus) eine
wichtige Rolle ein.
Die Götter der Hurriter spielten im hethitischen Pantheon
eine wichtige Rolle, vor allem die hurritische Hauptgöttin
Hepat und ihr Gemahl Teschup, der uns später - im urartäischen Götterhimmel - als Teischebe wieder begegnet.
Später degenerierte das Land der Hurriter zu einem
Vasallen- und Pufferstaat zwischen Hethitern und Assyrern. Aber im 13. Jahrhundert vor Christus erwuchs den
Assyrern, die sich schon im vollen Besitze der Macht
wähnten, in einer rasch heranwachsenden Allianz mehrerer Fürstentümer Ostanatoliens, in der urartäische und
nairische Kräfte die Hauptrolle spielten, ein gefährlicher
neuer Gegner, ja Rivale.
Die Urartäer
Die ältesten Quellen, die von den Urartäern berichten,
sind assyrischen Ursprungs. Der assyrische König Salmanassar (1274 bis 1245 vor Christus) berichtet, daß er in
den ersten Jahren seiner Regierungszeit einen Feldzug
gegen die Urartäer unternommen habe. Die Inschrift
erzählt von nicht weniger als acht Ländern und 51 Städten, die er (im Jahre 1274 vor Christus) zerstört haben
will, was auf die Zersplitterung der Urartäer im Bergland
Ostanatoliens hinweisen mag.
Später berichtet der Assyrerkönig Tukulti-Ninurtta I.
(1244 bis 1208 vor Christus) über die Eroberung Nairischen Landes (Nairi und Urartu scheint weitgehend identisch zu sein) und den Sieg über 40 Könige, die in der
Gegend des Vansees residierten.
Sicher handelte es sich dabei um Fürsten der urartäischen
und nairischen Stämme, die zwischen Euphrat und
Urmiasee - mit der Gegend um den Vansee als natürlichem Mittelpunkt - herrschten; sie müssen hurritischer
oder protourartäischer Herkunft gewesen sein.
Dabei muß die Tatsache, daß Hurriter und Urartäer gleichen Ursprungs sind, eine große Rolle gespielt haben,
weil die urartäische Sprache weder semitischen noch
indoeuropäischen Ursprungs ist, sondern eine dem hurri-
Blick von der Burg Sardurihinili-Чavuшtepe auf das Dorf
Чavuшtepe, das sich an genau der gleichen Stelle befindet wie
das urartäische Dorf; auch die von den Urartäerkönigen
angelegten Bewässerungskanäle dienen heute ihrem Zweck
wie vor dreitausend Jahren.
Im Dorf fanden sich außer einigen zu christlich-armenischen
Grabsteinen umgemeißelten urartäischen Inschriftensteinen so
gut wie keine armenischen Siedlungsspuren.
tischen verwandte asiatische Sprache. Sowohl die Morphologie als auch die Phonologie, Syntax und der Wortschatz des Urartäischen sind mit dem Hurritischen eng
verwandt. Gerade diese Sprachverwandtschaft ist ein
schlagender Beweis für die gemeinsamen Wurzeln der
Hurriter und Urartäer. Sie sind zwei Zweige am gleichen
Stamm, mit gemeinsamer Wurzel in der Vergangenheit.
Offensichtlich kamen diese Verwandten in zwei aufeinanderfolgenden Einwanderungswellen aus Asien über
Transkaukasien nach Anatolien. Die sprachlichen und
kulturellen Unterschiede scheinen, abgesehen von der
zeitlichen Einwanderungswelle, in der Tatsache zu liegen, daß die Urartäer von Anfang an eher in den Bergen
zu siedeln pflegten.
Es herrscht heute die Meinung vor, daß die Hurriter aus
den Steppen und dem Hochland von Zentralasien eingewandert sind (so wie schon Jahrtausende vorher jene Prototürken, die die Felszeichnungen in den Höhlen und an
den Felswänden Ostanatoliens hinterließen) und daß die
Urartäer auf dem gleichen Wege nach Ostanatolien
gelangten, sich aber seit der Mitte des 3. Jahrtausends vor
Christus von den Hurritern bereits getrennt hatten. Eindeutig ist auch das Urartäische eine asiatische Sprache;
eng verwandt mit der gleichfalls agglutinierenden hurritischen Sprache.
Auch die Götterwelt der Hurriter und Urartäer ist weitgehend identisch. Hier sei darauf hingeweisen, daß die
Hauptstadt der Urartäer – unübersehbar die Burg von
11
Univ.-Prof. Dr. Afif Erzen, der Ausgräber von Чavuшtepe-Sardurihinili mit seiner Frau und treuen Helferin Fikriye sowie seinem
Assistenten Erol Bey auf dem Burghügel von Sardurihinili.
Van, die auf ihrem Felsen thront - in alter Zeit den Namen
„Tuschpa” trug, also der Göttin Tuschpuea zugehörig.
Neben dem Haupt- und Kriegsgott Haldi regierten 78
Götter und Göttinnen die Himmel der Hurriter und
Urartäer, deren entsprechende Namen allein die Zusammengehörigkeit der beiden verwandten Völker dokumentieren: der Wettergott Tescheba der Hurriter heißt bei den
Urartäern Taschpuea; seine Gemahlin Hepat wird zur
Huepa. Eine ähnliche enge Beziehung, ja Identität besteht zwischen Urartäern und den Nairi.
Die tatsächliche politische Vereinigung der nairischen
und urartäischen Fürstenstämme und die daraus entspringende politische Union fand um die Mitte des 9.
Jahrhunderts vor Christus statt.
Der Assyrerkönig Salmanassar III. (858 bis 824 vor Christus) hatte bereits mit einem König der Urartäer zu kämpfen, der alles Land zwischen Euphrat- und Tigrisquellen
beherrschte: Aramu.
Kurz darauf profilierte sich König Sardur I. (840 bis 830)
als der eigentliche Gründer des Königreiches Urartu.
Sardur I. errichtete auch die urartäische Hauptstadt
Tuschpa - heute Van, genauer gesagt die Burg von Van
auf ihrem gewaltigen Felsmassiv. Tuschpa - Van blieb
Hauptstadt der Urartäer bis zum Untergang des Reiches.
Sardurs I. Sohn Ischpuini und dessen Sohn Menua dehnten die Macht Urartus bereits bis nach Aserbaidschan und
zum Urmiasee aus. Die Inschriften werden nun bereits in
urartäischer Sprache verfaßt, und aus ihnen geht auch
hervor, daß sich Urartus Könige als ebenbürtig mit jenen
Assyriens fühlten. Dazu mag wohl auch beigetragen
haben, daß die Urartäer damals ihre Macht bis vor die
Tore Ninives ausdehnten und die Gegend der Tigrisquel12
len beherrschten . . . vorher noch unbestritten assyrischer
Machtbereich.
Die Zeit des Urartäerkönigs Menua, über dessen Herrschaft wir dank einer reichen Fülle von Texten, mehr als
100, gut unterrichtet sind, ist durch vorzügliche Verwaltung und große Sozialbauten geprägt, auch durch die Fertigstellung eines 51 km langen Bewässerungskanals, der
noch heute voll seinen Dienst versieht.
Später schrieb man den Kanalbau der sagenumwobenen
Königin Semiramis zu. Offensichtlich war die Erinnerung an die Glanzleistungen der urartäischen Herrscher
verblaßt. Romantische Vorstellungen europäischer
Reisender, die von der Existenz eines einstigen urartäischen Reiches keine Ahnung mehr hatten, schrieben übrigens auch den Prachtbau der Burg von Van „der Königin
Semiramis” zu.
In der Zeit von König Argischti L, Sohn des Menua (790
bis 765 vor Christus), wuchs die Macht Urartus abermals.
Argischti I. drang über Gümrü (heute Leninakan) und
Erivan hinaus bis tief in den Kaukasus vor. Von den
Inschriften an der Fassade seiner Grabkammer, die den
Charakter eines Rechenschaftsberichtes über seine
Regierungszeit tragen, wissen wir auch, daß er die Ebene
zu Füßen des Ararat eroberte.
In der Zeit von König Sardur II. (764 bis 735 vor Christus) erreichte Urartus Macht ihren absoluten Höhepunkt.
Auch dank der damals geschwächten Position der Assyrer stieg Urartu zur führenden Kraft der Region auf. Sardur II. rühmte sich, sogar den Assyrerkönig Assurnina-ri
V. geschlagen zu haben. Im Osten eroberte er Trans-kaukasien und die urartäischen Armeen drangen bis Kulha
vor, wahrscheinlich ist damit Kolchis gemeint. Inschriften aus der Zeit Sardurs II. gibt es vom Euphrat bis Aserbaidschan, vom Kaukasus bis Aleppo und Mos-sul, ja
selbst am Kaspischen See und am Urmiasee. In jener Zeit
erreichten die Urartäer so gut wie deckungsgleich die
Ausdehnung des Einflußbereiches ihrer hurriti-schen Vettern. Die unglaublichste Leistung König Sardurs II. ist
aber die Ausbreitung seiner Macht im Westen, wo er Urartus Grenzen über Kommagene hinaus in die Gegend von
Malatia vorschob, wo sich bei dem heutigen Dorf Habib
Uschagi die westlichste urartäische Inschrift befindet.
Mit nordsyrischen Fürstentümern baute Sardur II. eine
politische Front gegen die Assyrer auf, die allerdings
bereits kurz darauf, als der kraftvolle Assyrerkönig
Tiglat-pileser III. den Thron bestieg, zusammenbrach.
Bei Sam-sat, am Ufer des Euphrat, mußte Sardur II. eine
schwere Niederlage hinnehmen und Tiglatpileser verfolgte den geschlagenen Urartäer bis Tuschpa (Van), dessen
Burg er allerdings nicht einnehmen konnte. Trotzdem
bildet die Regierungszeit von Sardur II. - der übrigens die
Niederlage gegen die Assyrer recht gut überwunden zu
haben scheint - auch auf dem Gebiete der Bautechnik
einen unüberbietbaren Höhepunkt.
Sardur II. ist der Erbauer von Sardurihinili (Чavuшtepe).
Vom Gugunafluß her ließ er eine Kanalzuleitung bauen
und krönte den Doppelhügel mit einer gewaltigen, durch
Wehrgänge verbundenen Festung, die auch gleichzeitig
als luxuriöser Landsitz diente.
Ich habe auf dem Doppelhügel von Cavugtepe jahrzehntelang die Ausgrabungen geleitet und dort den politischen
„Armenismus”, der schon immer gerne seine Ansprüche
von den Urartäern abgeleitet hat, in einer ganz besonderen Weise kennengelernt.
In armenischen Kreisen spukt für Чavuшtepe-Sardurihinili die Bezeichnung „Haikapert” herum, also „Festung der
Haik”. Nun, ich habe in der gesamten Ausgrabungstätigkeit auf dem gewaltigen Doppelhügel nicht die leiseste
Spur einer armenischen Präsenz wahrgenommen. Bloß zu
Füßen der Burg, im Dorf, fanden sich zwei urartäische
Inschriftensteine, in die irgendwann einmal Kreuze
geschlagen worden waren, sonst nichts. Sehr stark hingegen sind die Spuren der islamischen Besiedlung, besonders im 13. Jahrhundert, vor allem Überreste von Keramik, die sehr stark auf die ilhanidische Keramik von
Tahte Süleiman im Iran hinweisen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch kurz -obwohl
es nicht zur unmittelbaren Problematik der frühen
Geschichte Ostanatoliens gehört - auf den überragenden
Einfluß der türkischen Kunst auf die Baukunst der
Armenier in Ostanatolien hinweisen. So gehen die armenischen Bauwerke in ihrem Rundstil eindeutig auf den
Rundstil der Turkvölker zurück, die zur Zeit etwa der
Erbauung von Ahtamar, als die Armenier unter den abbasidischen Kalifen von Bagdad lebten, die eigentliche
Macht ausübten. Denn wie im Kairo der Fatimiden hatten
auch im Bagdad der Abbasiden die Mamluken - die türkischen Heerführer und ihre Streitkräfte - das Heft fest in
der Hand und bestimmten auch den aus Asien kommenden, immer an die Zelte ihres einstigen Nomadenlebens
erinnernden Baustil. Doch zurück zu den entscheidenden
Fragen der urartäischen Geschichte und ihrer Nachwirkungen in Ostanatolien.
In der Zeit von König Rusa I. (735 bis 714 vor Christus)
mußten die Urartäer abermals eine schwere Niederlage
durch die Assyrer hinnehmen, als König Sargon II. von
Assyrien mehrere urartäische Provinzen eroberte.
Dennoch konnte Urartu noch seine Unabhängigkeit
bewahren, vor allem dank des Auftretens der Skythen, die
zunächst vor allem den Assyrern stark zusetzten und für
eine Weile Urartu dadurch entlasteten.
Nach einer Verteidigungsallianz der gemeinsam bedrängten Assyrer und Urartäer bot schließlich König Sardur III.
von Urartu (645 bis 635[?] vor Christus) den Assyrern
eine Art Anschlußpakt an, der de facto die Hegemonie
Assyriens über Urartu einleitete. Die große Zeit Urartus
neigte sich dem Ende zu, allerdings auch jene Assyriens.
Trotz der unüberwindlichen politischen und militärischen
Probleme Urartus künden zahlreiche Inschriften aus jener
Zeit dennoch von einem Weiterblühen der Kultur und der
Bautätigkeit, was besonders für die Regierungszeit der
Urartäerkönige Sardur IV. und Erimenas gilt.
Doch das Ende der Großmächte war nicht mehr
aufzuhalten. Im Jahre 609 brach das Assyrerreich zusammen, und das durch den Kollaps dieser einstigen
Supermacht verursachte Vakuum riß auch Urartu in den
Untergang.
Unmittelbar nach dem Ende des Assyrerreiches drangen
die Skythen in Urartu ein, die Funde auf der Festung Sardurihinili-Чavuшtepe beweisen, daß das Reich unter den
Schlägen der skythischen Angreifer zusammengebrochen
ist.
Die Skythen ließen sich in dem eroberten Land allerdings
nicht nieder, sondern zogen nach Ägypten weiter, während das urartäische Land unter die Kontrolle der Meder
kam.
Vom Urartäischen Reich war nach dem Angriff der Skythen so gut wie nichts übrig geblieben. Die überlebenden
Urartäer zogen sich in höhergelegene Bergregionen
zurück, und allfällige Reste urartäischer Macht wurden
durch die Meder liquidiert.
Trotzdem ist es auffallend, daß nach dieser Katastrophe die
überlebenden Urartäer ihre Kultur, wenn nun auch nur mehr
auf dörflicher Grundlage, bemerkenswert gut bewahren
konnten. Von der Übernahme des gewaltigen Erbes der
Urartäer, wie es sich etwa in den Ruinen der Festung
Cavugtepe manifestiert, kann allerdings keine Rede sein.
Nachfolgende Kulturvölker haben weder in Чavuшtepe
noch an anderen urartäischen Zentren wie Toprakkle oder
Adilcevaz nennenswerte Spuren hinterlassen.
Zu Beginn des 6. Jahrhunderts vor Christus wurden die
einst von Urartu beherrschten Landstriche zum Streitobjekt zwischen Lydiern und Medern, bis schließlich die
Meder die Macht übernahmen.
Es scheint, daß das der Zeitpunkt ist, zu dem armenische
Stämme, die wahrscheinlich aus der Balkangegend oder
Thrakien stammen und dort von den Illyrern vertrieben
worden sein mochten, in Ostanatolien einwanderten. Sie
werden zum ersten Mal in einer Inschrift von Darius
genannt - im 6. Jahrhundert vor Christus -, in dessen
Machtbereich sie zu jenem Zeitpunkt schon gehörten.
Ihre indoeuropäische Sprache nahm im Laufe der Zeit
gewisse Züge der alten, nicht-arischen anatolischen Sprachen an, ohne daß die „Haik” deswegen „Urartäer”
geworden wären.
Die indogermanischen Haik (Armenier) können in etwa
als „Zugeheiratete” ohne Sprach- oder Blutsverwandtschaft mit der aus Asien stammenden, aus der asianiden
Sprachwelt kommenden, hurritisch-urartäischen Großfamilie angesehen werden, während die Turkvölker mit
jenen „prototürkischen” Völkern der hurritisch-urartäischen Welt die gleiche asiatische Erbmasse teilen.
Für die spätere Entwicklung und das gemeinsame, friedliche Zusammenleben so vieler Völker und Rassen auf
dem Boden Anatoliens, vor allem in der Zeit des Osmanischen Reiches, waren diese Tatsachen völlig belanglos;
alle Völker des Osmanenreiches genossen das gleiche
Ansehen, ja man fragte nicht einmal nach einer „völkischen” Herkunft, weil die für die Sultane-Kalifen ohne
jedwedes Interesse war.
13
Erst die tragische Entwicklung im Zuge des Aufkommens
der Nationalstaaten und der Nationalitätenfragen ließ die
Frage nach „rassischer Herkunft” und allenfalls daraus
gefolgerten „Ansprüchen” aufkommen. Das ist auch der
Grund, warum ich diese Fragen gerne beantwortete, ohne
daraus irgendwelche Schlüsse auf Wertigkeiten zu ziehen. Vor Gott sind alle Menschen gleich und das Gebot
der Liebe und der Verständigung gilt heute mehr denn je
zuvor, gerade im Angesicht des Terrors, der mit blinder
Wut Ansprüche durchsetzen will, die nicht bestehen.
*„Biai” ist die Selbstbezeichnung der Urartäer; „Urartu”
kommt aus dem Assyrischen und wurde vor dem 10.
Jahrhundert vor Christus noch „Uruartu”, später jedoch
„Urartu” geschrieben. Der Name der Stadt Van dürfte von
der Selbstbezeichnung der Urartäer als „Biai” (Vi-á-i)
kommen.
Der hurritisch-urartäische Wettergott Tescheba - Taschpouea
auf seinem Trägerstier; nach Tuschpuea hieß das alte Van
„Tuschpa” -, ein signifikantes Zeichen für die ursprünglichen
Besitzverhältnisse in Ostanatolien lange vor der Einwanderung
kleinerer indogermanischer Armenierstämme im 6. Jahrhundert
vor Christus.
14
Die - noch in assyrischer Sprache - mit den Zeichen der Keilschrift abgefaßte Gründungsinschrift der Urartäerburg Tuschpa -Van, in der König
Sardur I. seine Verdienste verewigt.
Die gewaltigen Kalksteinblöcke in der alten Hafenzone der Urartäerburg folgen der hurritischen Bautradition; der obere Block trägt die
Gründungsinschrift.
Die Urartäer waren im Altertum weithin berühmt für ihre Kunst
der Metallverarbeitung sowie ihre Pferdezucht.
Kriegswagen des Gottes Haldi, 8. Jahrhundert vor Christus, urartäisch.
Ein Weberknecht, in Beton gegossen, als Denkmal einer Geschichtsbeugung im kalifornischen Montebello; zu Stein gewordene Unwahrheit. Es ist das Mahnmal eines grausamen Mythos, des Mythos vom
häßlichen Türken. Hekatomben Unschuldiger wurden bereits auf diesem Altar übersteigerten Nationalgefühls geopfert. Zweck der Verkündigung der Botschaft vom häßlichen Türken und des Befreiungskrieges ist, so wie im 19. Jahrhundert, die Errichtung eines armenischen Nationalstaates auf einem Gebiet, wo die Armenier noch niemals
in der Geschichte über eine Mehrheit verfügt haben, in Anato-lien. Der
Mythos des Terrors armenischer Prägung verfügt selbstverständlich,
wie jeder pervertierte Kult, über eigene, kanonische Schriften: Es sind
dies die „Documents officiels concernant les Massacres Armeniens”,
die Aram Andonian im Jahre 1920 herausgegeben hat, und Franz
Werfeis „Vierzig Tage des Musa Dagh”, ein Roman, der ganz auf den
von Andonian veröffentlichten Dokumenten aufbaut. Fest steht aber,
daß die „Documents officiels”, die nachweisen sollen, daß die osmanische Regierung einen allgemeinen Mordbefehl gegen die Armenier
erlassen habe, von A bis Z gefälscht sind - was heute nicht einmal mehr
von den Rädelsführern der armenischen antitürkischen Kampagne
bestritten wird. Die Liturgie der armenischen Terroristen erschöpft sich
in den litaneihaften, ständigen Wiederholungen falscher Opferzahlen,
wobei es auf ein oder zwei Millionen noch nie angekommen ist, sowie
in der Darbringung von Menschenopfern. Türkische Diplomaten fallen diesen Opferhandlungen ebenso anheim wie Historiker, die gegen
die Geschichtsbeugung ankämpfen, oder wohlhabende Armenier, die
sich weigern, den Terroristen ihren Tribut zu zollen; der Terror trifft
aber auch völlig Unbeteiligte, die zufällig in den Exekutionsbereich
einer armenischen Terrorgruppe geraten.
15
Die zentrale Geschichtsverfälschung, um die sich der
gesamte armenische Mythos des Terrors dreht, ist die
ständig wiederholte Behauptung, die osmanische Regierung hätte eineinhalb Millionen Armenier umbringen lassen. Hier, auf der Inschrift von Montebello in Kalifornien,
gehen die Erbauer des Monuments sogar noch einen
Schritt weiter und behaupten, der Genozid - also der Völkermord — sei „by the Turkish governement” (von der türkischen Regierung) angeordnet worden, obwohl es im
Jahre 1915 noch längst keine türkische Regierung gegeben
hat. Der Zweck der Übung ist klar: es soll die moderne
Türkei in Zusammenhang mit Dingen gebracht werden, die
auch schon für die Osmanen nicht zugetroffen haben.
Tatsache ist, daß nach den Aufständen von Muш, und Van
im März des Jahres 1915, die Zehntausende moslemische
Opfer forderten und Bürgerkrieg bedeuteten, von der
osmanischen Regierung ein Umsiedlungsbefehl erlassen
wurde. Durch die kriegsbedingten Wirren an den Fronten
und die ununterbrochenen Aufstände kamen viele Armenier um — allerdings betrugen die islamischen Verluste
an Menschenleben ein Vielfaches. Niemand fragte bis
heute nach dem Schicksal der Moslems, die den von
armenischen Terroristen angezettelten Unruhen zum
Opfer fielen.
18
Das Gotteshaus der „First Armenian Church” in Watertown,
Mass., wo Vartan Hartunian als Prediger wirkt.
Im Jahre 1968 veröffentlichte Pastor Vartan Hartunian
aus Watertown in der Nähe von Boston die Erinnerungen
seines Vaters, Pastor Abraham H. Hartunian, in denen er
seine Erlebnisse aus den Wirren der Kriegs- und Nachkriegszeit schildert, zunächst die Türken verdammend,
schließlich aber, vor der Einnahme Izmirs durch die
Truppen Kemal Atatürks, verflucht er die christlichen
Mächte und ihre Repräsentanten:
„Leid komme über dich, ungerechte Diplomatie!
Schamlose, niedrige, hinterlistige Diplomatie!
Die griechische Nation verriet ihre Leute und lieferte
sie an die Türken aus,
damit sie von jenen erwürgt werden!
Ich speie dich an, höllische Diplomatie!
Wie verrückt liefen wir durcheinander und sagten einandern: Jene niedrigen, mörderischen Moslem-Türken
behandelten uns besser als diese europäischen Christen!
Hätten wir das vorher gewußt, wir wären bei den Türken
geblieben!”
Die Einsicht kam spät, die Einsicht, daß nicht die Türken,
sondern die Griechen den Invasionskrieg von 1921
begonnen hatten, mit all seinen tragischen Folgen, kam
ihm nie; Verständnis für das Verhalten der Türken, die
von ihren armenischen Mitbürgern mitten in den Wirren
und den Bedrohungen des Ersten Weltkrieges hinterrücks
angegriffen worden waren und sich mit den Ententemächten verbündeten, schon gar nicht.
Abraham H. Hartunians Sohn, der einflußreiche armenisch-protestantische Prediger Vartan Hartunian von der
„First Armenian Church”, kennt deshalb auch keinen
armenischen Terror, sondern bloß sogenannten Armenierterror.
Diese jungen Menschen - in vielerlei Hinsicht gewiß völlig unschuldig in den Mordkreis geraten - wurden von
ihren terroristischen Ausbildnern mit Hilfe des absurden
Mythos vom Ausrottungsbefehl, den die osmanische
Regierung erteilt haben soll, zu Verbrechern erzogen. Die
einzigen, die aus dieser Handlungsweise Profit ziehen,
sind die Drahtzieher des armenischen Terrors. Sie führen
mit freiwilligen - und noch mehr unfreiwilligen - Zuwendungen durch wohlhabende Armenier ein sorgloses
Leben, während die von ihnen verführten armenischen
Terroristen Kopf und Kragen riskieren, für einen absurden Mythos.
Eines der wichtigsten Anliegen bei allen Terrorakten und
den darauffolgenden Berichten in den Zeitungen, im
Rundfunk und im Fernsehen ist, daß als Ursache des Terroraktes der Völkermord von 1915 erwähnt wird, ein Ziel,
das stets erreicht wird und die Terroristen zu immer neuen
Gewalttaten anreizt, hier mit dem Zwischentitel „1915
killings recalled” (Die Tötungen von 1915 in Erinnerung
gerufen).
„The Liberation of our Homeland” - die Befreiung unseres Heimatlandes - ist mehr als eine todbringende, gängige Phrase, es ist die Lebenslüge der Drahtzieher des
Aus dem „Boston Herald” vom 24. Oktober 1982:
Fünf Gesichter des Terrors
Vier Armenier wurden in Los Angeles verhaftet. Von
links: Karnig Sarkissian, Dikran Berberian, Viken Hovsepian und Viken Jakubian. Ein fünfter, der verdächtigt
wird, diesem armenischen Terrorkommando anzugehören, Stefan Johannes Dadalian, rechts, wurde vom FBI in
Boston verhaftet.
19
armenischen Terrors, weil die Armenier niemals in der
Geschichte in Ostanatolien oder sonst wo auf dem Boden
des Osmanenreiches über eine Mehrheit verfügten; es
gibt keinen einzigen Bezirk, ja keine einzige Stadt, die sie
als „homeland” in diesem Sinne bezeichnen können.
Der Besitzer der Tankstelle in Kalifornien, die er „AM”
nennt, ist sicher, daß Ani den Türken zum Opfer gefallen
ist, wie der Besitzer des Wagens, der meint, Ahtamar sei
von den Seldschuken den Armeniern abgenommen worden. In Wahrheit fielen alle die halb-unabhängigen armenischen Fürstentümer Anatoliens schon Generationen,
mindestens aber Jahrzehnte vor den Türken den Byzantinern, Mamluken oder Kreuzrittern zum Opfer. Überall
waren die Türken von den Armeniern als Befreier vom
byzantinischen Joch begrüßt worden; die türkisch-armenische Freundschaft hielt auch bis tief ins 19. Jahrhundert.
Ein bezeichnender Leserbrief in einer der zahllosen armenischen Wochenschriften in den Vereinigten Staaten:
„Die Befreiung unseres Heimatlandes
Am 12. März 1985 übernahmen drei armenische
Freiheitskämpfer die türkische Botschaft in Ottawa,
Kanada, und hielten sie viereinhalb Stunden lang. Über
Telephon gaben sie ihre Forderungen bekannt, die
lauteten: die Türkei muß das armenische Land freigeben
und den Völkermord an den Armeniern zugeben. Die
Medien berichteten umfassend.
Nichtsdestoweniger fahren die Medien fort, und das trotz
der klar ausgesprochenen Forderungen, die Zielsetzung
der armenischen Sache (zumindest teilweise) als
Racheakt darzustellen.
Zwei Wochen darauf wurde die Drohung ausgesprochen,
im Untergrundbahnsystem von Toronto würde eine
Bombe gelegt, wollte man die drei nicht sofort auf freien
Fuß setzen. Wieder reagierten die Medien mit umfassender Berichterstattung. Und wieder wurde das Ziel der
armenischen Sache falsch als Rache ausgedeutet.
Wenn wir als Ziel unserer Aktivitäten die Anerkennung
des Völkermordes fordern, ist es ganz klar, daß die
Öffentlichkeit annimmt, wir suchen einfach Rache.
Nichtsdestoweniger wird die öffentliche Meinung unsere
Sache nicht mehr als Racheakt ansehen, wenn wir klar
und deutlich sagen, daß unser Hauptziel die Befreiung
unseres Heimatlandes ist.
Deshalb ist es unabdingbar für alle Armenier, seien sie
nun Lobbyisten im Kongreß, Straßendemonstranten,
Freiheitskämpfer im Rahmen militärischer Aktionen oder
Wortführer in den Medien, daß unser Ziel die Befreiung
des von den Türken besetzten Armeniens ist sowie die
Anerkennung des Völkermordes durch die Türkei und
nicht Rache.
Garen Yeghparian
Ara Khanjian
Woodside, N. Y.”
20
Illustration aus Abraham H. Hartunians Buch „Neither To
Laugh nor To Weep” mit dem Untertitel Familie Hartunian im jähre
1920 (von Familie Hartunian überlassen). Die Aussagekraft
dieses Fotos steht in krassestem Widerspruch zu den
Erzählungen Abraham Hartunians über die Ereignisse und
seine persönlichen Erlebnisse in jener Zeit.
Die zentrale Geschichtsverfälschung, um die sich der
gesamte armenische Mythos des Terrors dreht, ist die
ständig wiederholte Behauptung, die osmanische Regierung hätte eineinhalb Millionen Armenier umbringen lassen. Hier, auf der Inschrift von Montebello in Kalifornien, gehen die Erbauer des Monuments sogar noch einen
Schritt weiter und behaupten, der Genozid - also der Völkermord - sei „by the Turkish governement” (von der türkischen Regierung) angeordnet worden, obwohl es im
Jahre 1915 noch längst keine türkische Regierung
gegeben hat. Der Zweck der Übung ist klar: es soll die
moderne Türkei in Zusammenhang mit Dingen gebracht
werden, die auch schon für die Osmanen nicht zugetroffen haben. Tatsache ist, daß nach den Aufständen von
Mu§ und Van im März des Jahres 1915, die Zehntausende
moslemische Opfer forderten und Bürgerkrieg bedeuteten, von der osmanischen Regierung ein Umsiedlungsbefehl erlassen wurde. Durch die kriegsbedingten Wirren
an den Fronten und die ununterbrochenen Aufstände
kamen viele Armenier um - allerdings betrugen die islamischen Verluste an Menschenleben ein Vielfaches. Niemand fragte bis heute nach dem Schicksal der Moslems,
die den von armenischen Terroristen angezettelten
Unruhen zum Opfer fielen.
Illustration aus Abraham H. Hartunians Buch „Neither To Laugh
nor To Weep” mit dem Bildtext Mutter und Kind (zur Verfügung
gestellt von Harry S. Nakashian und John K. Garabedian). Keine
Silbe wird in dem haßerfüllten Buch über die Leiden der islamischen Bevölkerung verloren, die ein Vielfaches an Menschenleben und Leid zu beklagen hatte; keine Silbe wird darüber verloren, daß der Bürgerkrieg von 1915 von armenischen
Terrorkommandos begonnen worden war.
21
Die Armenier und ihr sogenannter Terror
Erklärung von Rev. Vartan Hartunian, Watertown, Mass.;
abgegeben am 12. 8. 1985.
Wie reagieren Armenier auf den Terror? Was denkt ein
armenischer Pastor über den armenischen Terror?
„Was die sogenannten armenischen Terroristen und die
Anschläge auf türkische Diplomaten betrifft, kann ich nur
sagen, daß wir das aus Vernunftgründen verurteilen.
Armenier stimmen darin überein, daß es für solche Taten
keine Zustimmung gibt und daß man ihnen energisch entgegentreten sollte . . . und das ist unser Vernunftstandpunkt; aber in der Seele des Armeniers gibt es auch
einen tiefen Schmerz, seit 70 Jahren. Dieser Schmerz
kommt nicht nur von den schrecklichen Taten der Türken,
die schließlich zum Völkermord führten, sondern auch
von der amtlichen Leugnung dieses Tatbestandes. Im
ganzen Zusammenhang dieses Schmerzes gibt es im
Herzen der Armenier eine Art Gerechtigkeitssinn, einen
irrationalen Gerechtigkeitssinn, der befriedigt zu sein
scheint, wenn solche Attentate stattfinden . . .”
Offenbar ist es nicht Terror, sondern bloß sogenannter
Terror, so lange andere Menschen umgebracht werden.
Die vorgeschriebene „Offenbarungstafel” vor der Kirche des
einflußreichen Predigers Vartan Hartunian, der nur vom
sogenannten armenischen Terror spricht.
Die Eroberung und Zerstörung von Ani „durch die Türken”
gehört zu den Basislegenden armenischer Terroristen und ihrer
geistigen Motivation. In Wahrheit wurde das armenische Fürstenrum Ani Jahrzehnte vor dem Einfall der Seldschuken von
den Byzantinern okkupiert und später durch Erdbeben zerstört.
22
Armenien: Mythos und geschichtliche Wirklichkeit
„. . . und im siebenten Monat, am siebzehnten Tage des
Monats, ruhte die Arche auf den Bergen von Ararat”,
erzählt die Bibel. „Gehe aus der Arche, du und mit dir
deine Frau, deine Söhne und die Frauen deiner Söhne.
Alles Lebende von allen Wesen, die bei dir sind, Vögel
und Vieh und alles Gewürm, das auf dem Boden kriecht,
laß mit dir herausgehen, damit sie wimmeln auf der Erde,
fruchtbar sind und sich mehren auf der Erde.”
Die frühen armenischen Chronisten wie Moses von Khoren oder Thomas Ardsruni und andere schrieben, das
armenische Volk stamme von Noach ab, dessen Arche ja
am Ararat gelandet sei; im heiligen Eifer scheint man
dabei übersehen zu haben, daß - wenn überhaupt jemand
von Noach kommt - alle Menschen in gleicher Weise von
ihm abstammen müssen.
Manche Länder leiten ihre Namen von ihren Bewohnern
ab; Frankreich, England, Deutschland oder die Türkei
bezeichnen Gegenden, in denen Franzosen, Engländer,
Deutsche oder Türken zu Hause sind. Ländernamen wie
Amerika, Bolivien oder Ecuador bezeichnen eine geographische Zone, ohne auf den Ursprung der Menschen dort
einzugehen.
Im Altertum gab es in Anatolien zahlreiche Provinznamen, die gleichzeitig für die Bewohner dieser Regionen
galten, wie etwa Paphlagonien, Pamphylien oder Kappadokien; die Bewohner einer solchen Provinz gehörten
keineswegs einem einheitlichen Stamm an, aber man
benannte sie nach der gemeinsamen Wohnlandschaft.
Wie bei zahllosen anderen Landschaftsnamen auch kennzeichnete der Name „Armenien” eine geographische
Zone, kein Volk. Die Armenier nennen sich selber in ihrer
Sprache „Haik” und geben schon dadurch zu erkennen,
daß die Landschaft Armenien keineswegs ihr Ursprungsland ist.
Woher die „Haik” (sing. „Hai”) kommen, ist nicht genau
bekannt. Alles deutet darauf hin, daß sie aus dem Westen
einwanderten und sich in kleinen Gruppen schließlich
östlich des Euphrat niederließen. Die Sprache der Armenier ist im wesentlichen indoeuropäisch, hat sich aber
nach der Einwanderung mit nicht-arischen, anatolischen
Sprachen vermischt.
Manche Gelehrte (wie J. Karst, Die vorgeschichtlichen
Mittelmeervölker) meinen, daß armenoide Stämme einst
an der nördlichen Ägäis, im nördlichen Thessalien und
dem anschließenden Illyrien - also auf dem Balkan beheimatet waren. Nach ähnlicher Ansicht wären die
Armenier Abkömmlinge phrygisch-thrakischer Stämme,
die infolge illyrischen Drucks nach Osten abwanderten.
Obwohl es so gut wie sicher ist, daß die Armenier
ursprünglich auf dem Balkan oder in Thessalien wohnten,
ist die Zeit ihrer Einwanderung nach Anatolien nicht
genau feststellbar; an ihrem Herkunftsort hinterließen sie
Zu beiden Seiten eines tief eingeschnittenen Canons im Süden
23
Bisutun (Behistun): Das Aquarell Sir Robert Ker Porters aus
dem Jahre 1818 zeigt den Felsberg mit der Königsinschrift des
Darius in Westpersien.
von Van, an der Grenze zu Hakkari, befinden sich die Höhlen von
Yedisalkrm, knapp 80 m oberhalb des Talbodens. Die Felszeichnungen sind größtenteils mit dunkelroter oder brauner Farbe
ausgeführt. Bilder von Göttern, Göttinnen mit unverhältnismäßig
großem Geschlechtsteil, tanzende menschliche Figuren, Sonnenund Wildmotive und Jagdszenen mit inzwischen ausgestorbenen
Tierarten herrschen vor. Eine Darstellung der Muttergottheit, die
auf einem Tier steht, repräsentiert die älteste bekannte Zeichnung
einer „Herrscherin der Tierwelt” in Anato-lien überhaupt.
keine Spuren, die Zeit der anatolischen Einwanderung
liegt sicher nicht vor dem 6. Jahrhundert vor Christus.
Am Ende des 5. Jahrhunderts vor Christus (401 bis 400)
erzählt Xenophon in seiner „Anabasis” von den Armeniern im Zusammenhang mit anderen anatolischen Stämmen.
Die erste Erwähnung der Armenier überhaupt findet sich
in der dreisprachigen (iranisch, babylonisch und elamitisch) Inschrift von Behistun, Westiran, in der der Perserkönig Darius (485 vor Christus) Armenien als eine seiner
Satrapien aufzählt. Diese Erwähnung hat geradezu symbolischen Charakter, brachten es doch die armenischen
Gemeinschaften so gut wie nie in ihrer Geschichte über
den Status von Satrapien oder bestenfalls halb-unabhängigen Fürstentümern hinaus.
24
Bisutun (Behistun): Darstellung des Gottes Ahura Mazda auf der
Felswand mit der dreisprachigen Königsinschrift des Darius.
Unterhalb des Basreliefs sind die Repräsentanten der tributpflichtigen Stämme zu sehen, darunter auch ein Armenier.
Die prähistorischen Kulturen Ostanatoliens ein Schlüssel zum Verständnis der Geschichte Anatoliens
Von seiner geopolitischen Lage her ist Ostanatolien eine
Schlüsselregion der Weltgeschichte. Im Süden liegt
Mesopotamien (die Wasser des Zweistromlandes,
Euphrat und Tigris, entspringen in Ostanatoliens
Bergen!), im Osten der Iran, im Norden der Kaukasus
und im Westen Zentralana tolien. Folge dieser einmaligen
Lage ist, daß seine eigenen, erst in jüngster Zeit enträtselten Kulturen wie jene der Urartäer und ihrer Vorläufer,
der Hurriter, in engster Beziehung zu den sie umgebenden Kulturen Mesopotamiens oder des Iran oder
Zentralanatoliens standen.
Bis über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus wußte man
über die prähistorische Besiedlung Ostanatoliens so gut
wie nichts. Als in Westeuropa uralte Höhlenmalereien
entdeckt wurden, schien es, als handle es sich dabei um
die ältesten Zeugnisse der Kunst der Menschheit überhaupt; dann wurden Höhlenzeichnungen in den Steppen
Asiens und in Afrika entdeckt. Erst vor kurzem entdeckten türkische Altertumsforscher Zeugnisse ältester, dichter Besiedlung Ostanatoliens. Das Hochland von Ostanatolien wies alle Voraussetzungen für die Jäger und Sammler jener Zeit auf: dichte Wälder, überreiche Wildbestände, Wasser.
Sensationell war die Entdeckung zahlloser Felsbilder in
den vergangenen Jahren. Die ostanatolischen Felsbilder
zeigten die frühgeschichtliche Entwicklung dieser
Region plötzlich in einem völlig neuen Licht. Die
Darstellungen von Göttern, Adoranten, Wild und Jägern
sind zum Teil 15.000 Jahre alt.
Die Felszeichnungen Ostanatoliens kommen hauptsächlich in vier Landkreisen vor: um Malatya-Adiaman, bei
Kars, in der Gegend um Van sowie in den Bergen von
Hakkari
Dr. Oktay Belli, Mitglied der Türkischen Historischen
Gesellschaft (Türk Tarih Kurumu), entdeckte die Felszeichnungen der Van-Region, die in der Zeit zwischen
15.000 und 7000 vor Christus entstanden sind. In der
Thrakische Landschaft unweit von Edirne.
Wahrscheinlich stammen die Armenier, die zwischen dem 6.
und 4. Jahrhundert vor Christus in Anatolien einwanderten, aus
dem Balkangebiet, vielleicht aus Thrakien. Die indogermanischen Armenier hinterließen allerdings an ihrem Herkunftsort
keinerlei bis heute erfaßbare Spuren; möglicherweise wird die
intensive Forschungstätigkeit der Archäologen in Südosteuropa
in absehbarer Zeit Antwort auf die Frage nach der Herkunftsgegend der Armenier geben können.
25
Die Zeichnungen stammen von prototürkischen Stämmen, die vor
Tausenden Jahren in Ostanatolien lebten. Türkische Nomadenstämme beherrschen noch immer das Bild der Bergregionen
Ostanatoliens (das untere Foto zeigt Felszeichnungen aus der
Kurbanaga-Höhle unweit von Camiшli, Bezirk Kars).
Gegend von Yedisalkim, in den Hakkari-Bergen, finden
sich in den Höhlen hoch oberhalb der Talböden auch Götterbilder prähistorischer Herkunft.
Über die Menschen, die jene Kunstwerke schufen, gibt es
heute eindeutige Hinweise. Denn ähnliche Felszeichnungen wurden in Ost-Aserbaidschan, in Kohistan, in der
Altai-Region sowie in Sibirien gefunden. Die Dichte des
Vorkommens dieser Felszeichnungen weist eindeutig
darauf hin, daß sie prototürkischen Ursprungs sind; die
Menschen, die diese Zeichnungen ausführten, gehörten
zu frühen türkischen nomadischen und halbnomadischen
Stammesverbänden. Ähnlich verhält es sich mit den stilisierten Zeichnungen aus dem Gevaruk-Tal (Hakkari) and
auf dem Plateau von Tirschin.
Die Felszeichnungen aus Gevaruk und Tirschin sind insoferne von besonderer Bedeutung, als sie große Ähnlichkeit mit den Zeichnungen und Zeichen der Cunni-Höhle
bei Erzurum und auf den Steinblöcken des Zeustempels
von Aizani (Чavdarhisar, bei Kütahya) aufweisen; sie
stammen von alttürkischen Familienverbänden jener
Gegend.
Die jüngsten Entdeckungen machen augenfällig, daß
schon in prähistorischer Zeit ein Zusammenhang zwischen Ostanatolien und den künstlerischen und kulturellen Zentren der Steppen Aserbaidschans und Sibiriens
sowie der Bergregionen des Altai, der Heimat der Turkvölker, bestand. Seit prähistorischen Tagen besteht bis in
die jüngste Zeit eine lebendige Verbindung wandernder
und halb-nomadischer türkischer und prototürkischer
Stämme zwischen Innerasien und Anatolien.
Asien ist die Heimat der Yurte. „Yurt” ist ein türkisches
Wort und bedeutet gleichzeitig so viel wie Zelt und Heimat.
Yurtenähnliche „Bienenkorbhäuser” in Anatolien sind
eine Schöpfung der Hurriter, Vorläufern der Urartäer,
deren Bereich zwischen Kaukasus, Urmiasee und der
Gegend um Malatya-Elazig lag. Dieser Kulturzone wurden verschiedene lokale Namen gegeben, wie Kura-ArasKultur oder Karaz-Kultur; Träger dieser Kultur gehörten
in den Kreis der ural-altaiischen Völkerfamilie, zu der
auch die Türken zählen. Die Frühe Hurritische Kultur wie
auch die Hurritische Kultur bildeten die Grundlage für
das darauffolgende Urartäische Reich. Ein charakteristischer Zug der hurritischen Kultur war das Rundhaus ähnlich den Rundzelten der halbnomadischen Hurriter.
Rundhäuser hurritischen Typs gibt es heute noch in der
Gegend von Urfa und Haran. Die späteren türkischen
Kuppelbauten der osmanischen Zeit wirken wie eine logische Weiterentwicklung der Yurte und des Bienenkorbhauses. Daß die Osmanen die von den Römern und Griechen entwickelte Technik des Großkuppelbaues mit solcher Begeisterung übernahmen und weiterbildeten, hängt
sicher mit der althergebrachten Vorliebe der Turkvölker
für Rundhäuser und Yurten zusammen.
Ostanatolische Landschaft oberhalb des Vansees: in urartäischer Zeit bedeckten noch dichte Wälder diese Höhen, die schon
früh abgeholzt wurden.
26
Prototürkische Felszeichnungen aus Camышlы.
Eine Yurte der Yörüken in Zentralanatolien. - Bienenkorbhäuser
in Südanatolien (Haran). - Die Vorliebe der Osmanen für Kuppelbauten entwickelte sich folgerichtig aus dem Leben in
Yurten und Rundhäusern.
27
Keilschrift vom Burgfelsen von Van, aus dem 8. Jahrhundert
vor Christus. Die Hauptstadt des Reiches Urartu trug den
Namen Tuschpa, nach einer den Hurritern und Urartäern
gemeinsamen Gottheit Tischeba. Gründer des Reiches von
Urartu war König Sardur I. (840-830 vor Christus), er
errichtete auch die Burg von Van - damals Tuschpa. Der Name
„Ararat”, der von den Hebräern erwähnt wird, ist Urarat in den
Qumran-Texten, ist Urartu im Assyrischen. Die Urartäer nannten sich selbst Biainili - von diesem Wort leitet sich der
Ortsname „Van” ab. (Blick vom urartäi-schen Burgfelsen auf
die von den Armeniern im Jahre 1915 zerstörte osmanische
Altstadt von Van.)
Anatolien hat schon viele Herren gesehen: hethitische Vorherrschaft im Zeichen des Doppeladlers, Perser, Alexander den
Großen, Griechen, Römer, Byzantiner, Araber, Mamluken und
schließlich Seldschuken und Osmanen. Sie alle herrschten über
die historische Landschaft „Armenien” in Ostanatolien, eine
Landschaft, deren Name nichts mit dem Anspruch der
Armenier (die sich selbst Haik nennen und wahrscheinlich vom
Balkan stammen) zu tun hat, zumal die Haik dort niemals über
eine Mehrheit verfügten.
Eine Königsinschrift von der Burg Van, Ostanatolien. Seit kurzem ist die urartäische Schrift weitgehend entziffert. Es steht
nun eindeutig fest, daß Urartäisch als Sprache asiatischen
Ursprungs klassifiziert werden muß; sie gehört, wie das
Türkische, zu den agglutinierenden Sprachen. Sprachforscher
sind der Ansicht, daß die Hurriter aus den Steppen und
Gebirgen Zentralasiens nach Anatolien kamen - wie die
Urartäer, die sich um die Mitte des 3. Jahrtausends v. Chr. von
den Hurritern trennten. Es steht heute eindeutig fest, daß das
Hurritische wie das Urartäische mit der indoeuropäisch
armenischen Sprache nichts zu tun hat -außer, daß nach der
armenischen Einwanderung gewisse Elemente des Urartäischen aufgesetzt wurden. Armenisch gehört zur Satem-Gruppe
der indoeuropäischen Sprachen, wohingegen das Urartäische
auch noch durch seine Eigenheit, durch das Anhängen von
Suffixen an eine vorgegebene Wurzel neue Wörter zu bilden,
Ähnlichkeiten mit den ural-altaiischen Sprachen aufweist.
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29
Der Glorreiche Koran, Sure II/63:
All denen - seien es Gläubige, Juden, Christen oder
Sabäer - wenn sie nur an Gott glauben, an den Jüngsten
Tag, und das Rechte tun, wird einst Lohn von ihrem
Herrn, und weder Furcht noch Traurigkeit wird über sie
kommen.
Das Bild zeigt die Religionsgemeinschaft der Sabäer bei einer
Taufe am Tigris; der Koran erwähnt die Sabäer gleich viermal.
Als „Schriftbesitzer” gelten Mohammed auch die Juden und
Christen, die vom Islam auch stets als solche respektiert wurden.
Nach der Eroberung Ostanatoliens durch die Araber wurden die
Kalifen von Damaskus Herren der Armenier. Bild: Die Omaijadenmoschee von Damaskus.
Die „Teufelsanbeter”, die in den Bergen von Ostanatolien und
im irakischen Zagrosgebirge ihre Kultstätten haben, gehörten zu
den merkwürdigsten Religionsgemeinschaften des Osmanenreiches; ihr stark mit schamanistischen Elementen untersetzter
Kult setzt sich aus zoroastrischen, christlichen, jüdischen und
islamischen Bestandteilen zusammen. Obwohl sie im Sinne des
Korans kaum „Schriftbesitzer” genannt werden konnten,
bewahrten auch sie ihre Eigenart über alle Wirrnisse hinweg.
30
In den gewaltigen Herrschaftsbereich der Osmanenkalifen
gehörte nicht nur die sunnitische Mehrheit der Reichsbevölkerung, sondern auch eine zahlenmäßig wohl weit weniger starke,
auf Grund ihrer Strukturen und geheimen Verbindungen und
Verzweigungen aber doch sehr einflußreiche schiitische Minderheit. Das Bild zeigt den Scheich der schiitischen Sekte der Schebek aus der Gegend um Mossul, damals eines der wichtigsten
Zentren osmanischer Machtausübung im Zweistromland.
Seine Heiligkeit, der Patriarch Mar Addai II. der „Kirche des
Ostens” (Nestorianer) in Bagdad.
Ein junger Sabäer aus Bagdad; Mohammed erwähnt die Sabäer
ausdrücklich im Koran als „Schriftbesitzer” wie Juden und
Christen.
Die nestorianischen Christen (die den Beschluß des Konzils
von Ephesos, Maria „Gottesmutter” zu nennen, nicht anerkannten) wären von der byzantinischen Staatsmacht und der
griechischorthodoxen Kirche völlig aufgerieben worden, hätten
sie nicht bei den zoroastrischen Persern und später bei den
omaijadischen, abbasidischen und osmanischen Kalifen Schutz
und Zuflucht gefunden. Die Katastrophe brach über sie erst
herein, als sie während des Ersten Weltkrieges mit den Russen
ähnlich gemeinsame Sache machten wie die Armenier und den
Türken in den Rücken fielen. Sie mußten sich aus den Bergen
von Hakkari zurückziehen; die Mehrheit, ungefähr 40000
nestorianische Christen (sie nennen sich selber „Kirche des
Ostens”), lebt heute im Irak.
31
Jahrhundertelang herrschten die abbasidischen Kalifen, die in
Bagdad oder Samarra residierten, über die christlichen
Armenier Ostanatoliens.
Vankale (die Burg von Van auf ihrem charakteristischen Felsen),
die Seelandschaft des urartäischen Herzlandes und die Vanebene
von den unteren Hängen des Susan-Daь, einer der späteren
Fluchtburgen der Urartäer, gesehen.
32
Seldschuken, Mongolensturm und Osmanen
Kaiser Romanos IV. Diogenes (1068 bis 71), einem
tüchtigen und umsichtigen Feldherrn, fiel die fatale
Aufgabe zu, die in übertriebenem Expansionsbestreben
begangenen Fehler des Bulgarentöters und des
„Monomachos” Konstantin auszugleichen . . . und er
scheiterte daran. Überall im Osten des Byzantinischen
Reiches begrüßte die der ewigen Steuerbelastung und des
widerwärtigen religiösen Drucks müde Bevölkerung die
türkischen Seldschuken als kleineres Übel - wenn nicht
gar als Befreier. Bei Mantzikert (Malazgirt), wenige
Wegstunden nördlich des Vansees, endete die Entscheidungsschlacht zwischen Seldschuken und Byzantinern
mit einer vernichtenden, völligen Niederlage des Romanos Diogenes, der - es war das erste Mal in der Geschichte
von Byzanz - als Kaiser in Gefangenschaft gehen mußte.
Der ritterliche Sieger, Alp Arslan, schloß mit Romanos
IV. Diogenes einen Vertrag, doch den Kaiser ereilte,
kaum nach Konstantinopel zurückgekehrt, ein typisches
Schicksal, das die Politik der Byzantiner sprichwörtlich
werden ließ: die verräterische Gegenpartei ließ ihm trotz
schriftlichem, von der Kirche gegengezeichnetem
Garantieschreiben mit glühenden Eisen die Augen ausbrennen.
„Erst dieses ungeheuerliche Nachspiel machte die
Niederlage von Mantzikert zu einer wahren
Katastrophe”, schreibt Georg Ostrogorsky über jenes
Ereignis, denn der zwischen Alp Arslan und Kaiser
Romanos IV. geschlossene Vertrag war nun hinfällig
geworden.
Der Weg für die türkischen Seldschuken lag offen - schon
zwei Jahre später war Konia (Zentralanatolien!) Hauptstadt des rumseldschukischen Reiches . . . und die
geschäftstüchtigen armenischen Händler und die nicht
minder tüchtigen armenischen Handwerker folgten schon
ihren neuen Herren auf dem Fuße, betrieben Handel und
webten Teppiche und erfreuten sich einer religiösen und
bürgerlichen Freiheit wie nie zuvor.
Der alles verheerende Mongolensturm machte zwei
Generationen später dem aufblühenden Rumseldschukenreich ein jähes Ende. Im Jahre 1236 verwüsteten die
Mongolen das blühende Ani, - und keineswegs die türkischen Seldschuken, die unter dem Mongolensturm genau
so litten wie alle anderen Volksgruppen Ost- und Mittelana toliens.
In einer „offiziellen Publikation” des „Katholikosats von
Kilikien”, im Libanon herausgebracht, heißt es: „Im Jahre
1065, als das Armenische Königreich gleichzeitig mit der
Zerstörung seiner Hauptstadt Ani durch die Seldschuken
im Jahre 1065 unterging . . .”: kein Wunder, daß zahllose
Armenier, die die Publikationen ihrer Kirchen gutgläubig
lesen, die Wahrheit über den Zusammenbruch der letzten,
halbunabhängigen armenischen Fürstentümer in
Ostanatolien, der Jahrzehnte vor der Ankunft der Seldschuken eintrat, nicht kennen . . .
Bild oben:
Blick von der osmanischen Festung Hoschap-Güzelsu, die als
Grenzbefestigung nach Osten gegen die Perser diente.
33
Symbole der Machtausübung nach dem Zusammenbruch der letzten, halbunabhängigen armenischen Fürstentümer, der
Byzantiner und der Seldschuken: ein mongolisches Wappenzeichen sowie das Sinnbild der türkischen Herrschaft, der „Schwarzen Hammel” (13. und 14. Jahrhundert nach Christus). Zum
Schaden aller hat der extreme Nationalismus der armenischen
Führungsschicht ein weiteres Zusammenleben dieses Volkes mit
den anderen Völkern und Stämmen Ostanatoliens verhindert.
Die gewaltige Burg von Hoschap bildete einen osmanischen
Sperriegel gegen die stets angriffsbereiten Perser. Hoschap ruht
auf urartäischem Fundament.
„Der Löwe von Patnos”, Bronze, urartäisch, frühes 8. Jahrhundert vor Christus. (Alle Objekte aus dem Museum in Van.)
34
Das Schlachtfeld von Malazgirt, nördlich des Vansees: Hier
vernichtete ein seldschukisches Reiterheer unter der Führung
von Alp Arslan im Jahre 1071 die byzantinische Armee und
nahm Kaiser Romanos IV. Diogenes gefangen. Den Türken
stand der Weg nach Anatolien offen, auch dank der Tatsache,
daß die Byzantiner die armenischen Puffer-Fürstentümer längst
unterworfen hatten.
Der seldschukische Friedhof von Ahlat am Vansee, ein Symbol
der friedlichen Zusammenarbeit zwischen den seldschukischen
Eroberern und den Haik, die endlich die byzantinische Herrschaft,
die ständige religiöse Verfolgung bedeutet hatte, losgeworden
waren.
Ein Gotteshaus der armenisch-orthodoxen Gemeinde von Kayseri, dem römischen Caesarea in Zentralanatolien. Hier wurde
der junge Parther Gregor zum Christentum bekehrt, der als
„Gregor der Erleuchter” und Bekehrer des armenischen Volkes
in die Geschichte einging.
Für den Kunsthistoriker ist es schwierig, ja mitunter unmöglich,
die wechselseitigen Einflüsse von iranischer, türkischer, byzantinischer oder arabischer Kunst zu analysieren.
Fest steht, daß das Reich der Kalifen, die in Kairo, in Damaskus
oder Bagdad residierten, unter sehr starkem mamlukischem - also
türkischem - Einfluß stand. Fest steht auch, daß gerade das friedliche Zusammenleben von Türken und Armeniern herrliche
Ergebnisse zeitigte.
35
Juden im Osmanenreich
Bericht des Botschafters Ihrer Majestät aus Istanbul nach
London:
No. 350
Sir A. H. Layard an den Marquis von Salisbury
No. 148
Konstantinopel, 13. April 1880 (In London eingelangt am
23. April 1880)
My Lord,
ich beehre mich, mit gleicher Post Eurer Lordschaft einen
Bericht über das Vilayet Angora (Ankara) zu überreichen,
den Herr Vizekonsul Gatheral verfaßt hat und den ich
vom Generalkonsul Wilson erhielt, der gleichzeitig vorschlägt, Gatherals Brief drucken zu lassen.
Schlußformel
A. H. Layard. (m. p.)
F. O. 424/106, p. 306, No. 151
Türkei No. 23 (1880) p. 121, No. 72
Beilage zu No. 350
Bericht über die Bevölkerung, Industrien, Gewerbe, Handel, Landwirtschaft, Öffentliche Arbeiten, Instandhaltung
und Regierung der Stadt und Provinz von Angora,
Anatolien; von Vizekonsul Gatheral, Auszug.
Die Bevölkerung dieser Stadt und Provinz ist gering
(hundert Jahre später sollte Ankara an die zwei Millionen
Einwohner haben . . .), besonders angesichts der Weite
und Fruchtbarkeit dieses Landstrichs. In den vergangenen
fünf Jahren hat die Bevölkerungszahl ständig abgenommen, weil während der Hungersnot von 1873 bis 74 viele
abwanderten und die Einberufungen für den Krieg von
1877 bis 78 auch stark ins Gewicht fielen. Die Erzeugnisse der Provinz Angora konnten in den vergangenen drei
Jahren von den christlichen Händlern auch nicht gut abgesetzt werden, was ein weiterer Grund für die Abwanderung nach Konstantinopel und andere Teile Anatoliens
war.
Eine türkische Volkszählung nimmt auf Frauen oder Kinder männlichen Geschlechts unter 15 Jahren keine Rücksicht und listet ausschließlich die Moslems auf, die militärdienstpflichtig sind, während sie bei den Christen die
Zahl jener nennt, die eine Militärdienst-Ersatzsteuer zahlen. Die letzte Volkszählung fand 1877 statt und ihre
Gesamtzahl betrug 449.242 Menschen. Diese Zahl mit drei
multipliziert (das ist das Verfahren des Red-house, des
protestantischen Presse- und Missionshauses in Istanbul)
ergibt eine Gesamtsumme von 1,347.726 Seelen. Sie teilen
sich auf folgende Gemeinschaften auf: Moslems, Grego36
rianische (orthodoxe) Armenier, Katholische Armenier,
Protestantische Armenier, Griechen, Juden und Zigeuner.
Nach dem gleichen Verfahren ergibt das folgende
Zahlen:
Moslems, wehrdienstpflichtig
393.074
Moslemische Gesamtbevölkerung
1,179.222
Christliche Militärdienst-Ersatzsteuerzahler
Gregorianische Armenier
33.445
Römisch-katholische Armenier
3.985
Protestantische Armenier
660
Juden
280
Zigeuner
262
Gesamtzahl der Nicht-Moslems
168.501
Gesamtzahl der Männer
449.241
Gesamtbevölkerung in Vilayet Angora
2.229.570
Die verschiedenen Rassen haben so verschiedene
Ursprünge wie ihre Glaubensbekenntnisse. Die Moslems
stammen größtenteils von jenen Kämpfern ab, die das
Vilayet Angora von den Byzantinern eroberten, A. D.
1344 bis 45, unter Sultan Murad, der damals in Bursa
regierte.
Die Armenier sind das Ergebnis einer Einwanderung aus
dem Osten während des 15. Jahrhunderts; in jüngster Zeit
wurden sie in Römische Katholiken und Protestanten
unterteilt; die führenden katholischen Familien wurden
im Jahre 1830 von Sultan Mahmud aus Istanbul ausgesiedelt; ihr Reichtum, ihre Intelligenz und ihre Handelsbeziehungen mit Europa trugen viel zum Wohlstand der
Stadt bei; später hatte eine energische Jesuitenpropaganda, von Rom aus geleitet, beträchtlichen Erfolg, doch
nachher verloren sie ihre Expansionskraft, weil sie sich in
Altkatholiken und Katholiken aufspalteten, wie in
Europa; das Schisma wurde inzwischen wohl nach außen
hin beigelegt, aber die ränkesüchtigen Gefühle zueinander blieben bestehen. Sie scheinen auch keinen Erfolg
mehr bei ihrer Proselytenmacherei zu haben. Die
Protestanten sind das Ergebnis der amerikanischen
Missionsanstrengungen während der vergangenen zwanzig Jahre. Sie sind zwar immer noch gering an Zahl, aber
als Gemeinschaft sind sie besser ausgebildet, ehrlicher
und anständiger als irgendeine der anderen christlichen
Sekten und sie nehmen rapide an Zahl und Einfluß zu.
Die orthodoxen oder gregorianischen Armenier sind, als
Gemeinde, unwissend, abergläubisch und arm, aber zahlreicher als alle anderen Unterteilungen. Die kleine jüdische Gemeinde hier ist fast durchwegs blondhaarig und
spricht ein verkommenes Spanisch; sie ist offensichtlich
iberischen Ursprungs, während der Ursprung der wenigen nomadischen Zigeunerstämme, die kommen und
gehen so wie in Europa, auch in Anatolien ein großes
Geheimnis bleibt.
(Der Rest des Briefes beschäftigt sich mit interessanten,
aber im Zusammenhang mit dem Problemkreis dieses
Buches weniger relevanten Einzelheiten aus der Provinz
Ankara.)
„Die kleine jüdische Gemeinde hier ist fast durchwegs
blondhaarig und spricht ein verkommenes Spanisch; sie
ist offensichtlich iberischen Ursprungs . . .”, berichtete
der britische Vizekonsul Gatheral an seinen Botschafter
in Istanbul, der sich beeilte, die präzisen Aufzeichnungen
Gatherals über das Vilayet Angora (Ankara) sofort an seinen Außenminister in London weiterzuleiten.
Die blondhaarige Judengemeinde mit ihrem „bastard
Spa-nish” war tatsächlich iberischen Ursprungs. Die
katholischen Könige hatten ja nicht nur mit Arabern und
allen Moslems auf der Iberischen Halbinsel radikal
aufgeräumt, sondern schließlich auch eine Endlösung mit
den Juden des christlichen Königreiches ins Auge gefaßt.
Seit 1412 hatten Juden entwürdigende Abzeichen an ihrer
Kleidung zu tragen, seit 1480 verfolgte sie die Inquisition
mit Todfeindschaft; der Großinquisitor setzte schließlich
die Enteignung und Ausweisung von 300.000 Juden
durch. Sie fanden in Marokko, vor allem aber im
Osmanischen Reich Zuflucht; der Sultan schickte ihnen
sogar seine eigenen Schiffe, um ihnen rascher zu helfen.
Ähnlich großzügig kam die türkische Regierung den
jüdischen Flüchtlingen aus Deutschland und den von
Hitler beherrschten Ländern entgegen und gewährte
Zehntausenden Asyl.
29. Mai 1453: Osmanische Truppen erobern unter Führung von
Sultan Mechmed II. die Hauptstadt des Byzantinischen Reiches Konstantinopel - das „zweite Rom”. Der osmanische Sultan rettete im Jahre 1492 zehntausenden spanischen Juden das Leben:
als die Inquisition an die Auslöschung der Juden ging, nahm der
Sultan die sephardischen „Hispaniolen” im Osmanenreich auf.
„Die kleine jüdische Gemeinde hier ist fast durchwegs blondhaarig . . .”
37
Das griechisch-orthodoxe
Patriarchat
Vor der Eroberung von Byzanz durch Sultan Mechmed
Fatih im Jahre 1453 war der Herrschaftsbereich des griechisch-orthodoxen Patriarchen auf das Stadtgebiet von
Konstantinopel zusammengeschrumpft.
Das änderte sich schlagartig, als Konstantinopel-Istanbul
nach dem 29. Mai 1453 Hauptstadt des Osmanischen
Reiches wurde. Wohl mußte der Patriarch die Kirche der
Hagia Sophia räumen - sie wurde in eine Moschee umgewandelt -, doch der Machtbereich und die Machtfülle des
griechisch-orthodoxen Patriarchen erreichte unter den
osmanischen Sultanen Ausmaße, wie er sie nie zur Zeit
der byzantinischen Kaiser gehabt hatte. Der griechischorthodoxe Patriarch regierte wie ein nationaler König
über alle griechisch-orthodoxen Bürger des osmanischen
Weltreiches; die Griechen des „Phanar”, des Stadtviertels
von Istanbul, in dem sich bis heute das griechisch-orthodoxe Patriarchat befindet, gehörten, so wie die nicht minder tüchtigen Armenier, zu den angesehensten,
wohlhabendsten und einflußreichsten Bürgern des
Osmanischen Reiches.
Eine tragische Entwicklung setzte erst ein, als das Königreich Griechenland und vor allem die Regierung Venizelos nach dem Ersten Weltkrieg versuchte, den Traum von
einem „Griechischen Großreich” zu verwirklichen. Im
Mai 1919 besetzten die Griechen Izmir (Smyrna) und
stießen mit ihren Invasionstruppen nach Zentralanatolien
vor, immer in der Hoffnung, das in sich zusammenbrechende Osmanenreich als leichte Beute zu gewinnen.
Der Widerstand der Türken unter Kemal Atatürk und
Ismet Inönü machte aber den hochfliegenden Plänen der
Griechen im Jahre 1922 ein Ende. Die Invasionsarmee
mußte Kleinasien schimpflich räumen; vor der Flucht setzten die Verlierer noch Izmir-Smyrna in Brand, um den
einrückenden Türken nur „verbrannte Erde” zu hinterlassen. Die Armenier Izmirs - die 1915 nicht umgesiedelt
worden waren, hatten die Toleranz der Türken schlecht
gelohnt . . .
Nach dem Zusammenbruch der griechischen Offensive
wurde ein Bevölkerungsaustausch vereinbart; Kleinasiens
Griechen übersiedelten nach Griechenland, Griechenlands Türken nach Anatolien und Thrakien. Dieser Bevölkerungsaustausch schwächte naturgemäß die Stellung des
ökumenischen Patriarchats in Istanbul. Nach dem Putsch
der griechischen Militärjunta im Jahre 1974 verließen
abermals viele Griechen Istanbul, so daß die Bedeutung
des griechisch-orthodoxen Patriarchats (und das ausschließlich durch die rücksichtslose Expansionspolitik
Athens) heute stark geschmälert ist, wenngleich das
Ansehen von Persönlichkeiten wie Patriarch Athenagoras
oder Patriarch Demetrios unabhängig von der Tagespolitik oder äußeren Einflüssen uneingeschränkt fortbesteht.
38
Die Kirche der Göttlichen Weisheit - Aghia Sophia; von Mechmed
dem Eroberer in eine Moschee, von Kemal Atatürk in ein Museum
umgewandelt; Seine Heiligkeit Patriarch Demetrios; die griechischorthodoxe Kirche am Taksim (erbaut im 19. Jahrhundert); im
Vordergrund das von dem Italiener Canonica im Jahre 1928 geschaffene Denkmal der Republik.
Das armenisch-orthodoxe Patriarchat
Liebevoll nannten sie die osmanischen Sultane-Kalifen
ihre „treuesten Untertanen”. Unter der Herrschaft der
Seldschuken und Osmanen, zwischen dem 11. und 19.
Jahrhundert, hatten die Armenier ihre glücklichste, große
Zeit.
Heute bilden die Türkei-Armenier die größte, immer
noch in Wirtschaft, Kunst, Technik, Medizin, Handel und
Handwerk hoch angesehene Minderheit. Sie genießen die
gleichen Rechte und tragen die gleichen Pflichten wie
andere türkische Bürger auch, gleichgültig welcher Herkunft.
Vor dem Entstehen der Armenischen Frage - die mit dem
russischen Diktat von San Stefano, 1878, zur Welt kam bestand die armenische Bevölkerung des Osmanenreichs
aus vier sehr unterschiedlichen Gruppen: In Istanbul und
Izmir lebten die einflußreichen Amiras, wohlhabende,
hochgebildete Armenier. In Anatolien wohnten die Kavaragan, die Provinzler, wohlbestallte Handwerker, Händler, deren Einfluß auch in den Städten spürbar war. Die
Bauern wieder unterschieden sich in den Lebensgewohnheiten kaum von ihren islamischen Mitbürgern; zu guter
Letzt kamen noch die Bergbewohner, die sich besonderer
Rechte, ja sogar innerhalb der Autonomie des armenischen Millets einer gewissen zusätzlichen Freiheit, ja halben Unabhängigkeit erfreuten; die osmanische Zentralverwaltung ließ sie so lange es ging und so lange es tragbar war völlig ungeschoren. Leider setzten die armenischen Revolutionäre und einige protestantische Eiferer
gerade in diesen halb-unabhängigen Dorfgemeinschaften
mit ihrer maßlosen nationalistischen Hetze alle Mittel der
Demagogie ein, um Unruhe zu stiften; der Armenieraufstand von Zeitun ist dafür bezeichnend.
Patriarch Schnorkh Kalustian, geistliches Oberhaupt der TürkeiArmenier. Im Osmanenreich entsprachen seine Machtbefugnisse
denen eines „nationalen Königs”; ihm unterstanden alle monophysitischen Christen des Reiches und die Zigeuner.
Jede Gemeinschaft (im Türkischen Milkt) des Osmanenreiches verfügte über weitgehende Autonomie und verwaltete sich selbst.
Der armenisch-orthodoxe Patriarch von Istanbul war Herr
über alle Christen, die nicht der griechisch-orthodoxen
Kirche angehörten. Das waren neben seinen eigenen Gregorianern vor allem die monophysitischen Kirchen des
kleinasiatisch-afrikanischen Raums wie die Jakobiten
und Syrer sowie die Kopten Ägyptens.
Da man damals die Zigeuner als „Kopti” bezeichnete (in
der Meinung, sie stammten aus Ägypten), wurden auch
alle Zigeuner des Osmanenreiches zivilrechtlich dem
armenischen Patriarchen von Istanbul unterstellt.
Eine weitere Konfessionsgruppe unter armenisch-orthodoxer Herrschaft waren die Bogomilen des Balkans und
deren Gründerväter, die Paulikianer, die sich in kleineren
Gemeinden noch in Ostanatolien hielten und manichäisches Gedankengut pflegten.
Die Geschichte der historischen Provinz Armenien und
der zahlreichen Volksgruppen, die sie bewohnten, beginnt im Zeichen des Kampfes um die Weltherrschaft zwischen Orient und Okzident.
Als die Haik, Indogermanen, die wahrscheinlich aus dem
Balkan und aus Thrakien kamen, im 6. Jahrhundert vor
Christus in Ostanatolien in die historische Provinz Armenien einwanderten, geschah das zu einem Zeitpunkt, da
das urartäische Reich unter den Schlägen der Skythen
zusammenbrach.
Die neu eingewanderten, indogermanischen Haik vermischten sich teilweise mit den ansässigen Urartäern,
deren asianide (wie das Türkische agglutinierende) Sprache so wie ihre überragende Kultur auf das indogermanische Armenisch einen gewissen Einfluß ausübte.
Noch während ihrer Einwanderung gerieten die Haik -die
Armenier - unter medische Herrschaft und im Jahre 550
nahm Großkönig Kyros das alte Land der Urartäer samt
den neu eingewanderten Haik in Besitz. Die erste
Erwähnung der Armenier - bereits als unselbständiges,
unter persischer Herrschaft stehendes Volk - findet sich in
der Felsinschrift von Behistun im Zusammenhang mit
den Triumphmeldungen über die Siege des Darius (486
vor Christus).
Im 4. Jahrhundert vor Christus stand Armenien (mit all
den Völkern und Stämmen und Vermischungen, die dort
lebten) unter der Herrschaft der Achämeniden, und
anschließend jener der Seleukiden; als die Parther die
Vorherrschaft erlangten, mußte der armenische Prinz
Tigran als Geisel an den parthischen Hof.
Tigran II. (95 bis 55 vor Christus) gelang es, sich von den
Parthern frei zu machen und ein unabhängiges Reich
Armenien zu schaffen. Seine Hauptstadt war Tigranakert
(heute Silvan, südwestlich des Vansees). Tigran II. vermählte sich mit der Tochter des Königs von Pontus, Mithridates VI. Eupator, und beging den verheerenden Fehler,
sich mit Mithridates gegen Rom aufzulehnen.
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Als der Armenierkönig Tigranes sich weigerte, dem römischen
Heerführer Lucullus seinen Schwiegervater Mithridates, den
größenwahnsinnig gewordenen Herrscher des Pontos,
auszuliefern, zog Lucullus gegen „Tigranesstadt”. Die eisenbedeckten Lanzenreiter des Tigranes allein waren zahlreicher als
die gesamte Streitmacht des Lucullus, über die die Armenier
höhnten, sie sei „für eine Gesandtschaft zu groß, für ein Heer
aber zu klein”. Am einzigen Schlachttag, dem 9. Oktober 69,
vernichteten die Römer die zwanzigfach stärkere Streitmacht
des Tigranes; der römische Heeresbericht meldete, es seien so
gut wie keine Römer, sondern nur Armenier gefallen. Tigranes
konnte unerkannt entkommen und traf sich wieder mit seinem
Schwiegervater Mithridates, den später seine eigenen Leute
umbrachten; die unterworfenen Völker fielen von dem
Zwingherrn Tigranes ab und huldigten den Siegern Lucullus
und Pompejus.
Schon im Jahre 69 vor Christus besiegte der römische
Feldherr Lucullus den Armenierherrscher Tigran II. - und
der kurze Traum einer armenischen Unabhängigkeit war
ausgeträumt. Wenn heute Haik sich gelegentlich auf jene
kurze Episode wirklicher Armenierherrschaft in Ostanatolien berufen und armenische Terroristen darauf Herrschaftsansprüche begründen, ist das genauso originell, als
wollten italienische Mafiosi in den USA sich als Nachfolger der Römer - genauer des Lucullus oder Trajan -aufspielen oder als Erben der Sieger von Tigranakert die
Macht in Ostanatolien ergreifen . . .
In Mitteleuropa könnten die Ungarn Wien beanspruchen,
weil dort einmal Mathias Corvinus kurze Zeit regiert hat
- die Kette der Beispiele ließe sich endlos fortsetzen.
Wollte jedes Volk Gebiete beanspruchen, wo es irgendwann einmal in der Geschichte geherrscht hat, müßte so
gut wie die ganz Erde evakuiert, umgesiedelt, in endlose
Kriege verwickelt werden.
Nach wechselvollen Jahrhunderten, in denen zeitweise
die Römer (Trajan, Nero, Hadrian, Diokletian) oder die
persischen Sassaniden die Vorherrschaft in Ostanatolien
ausübten, ernannte Kaiser Diokletian Tiridates III. zum
König von Armenien. Gregor Parthev, ein Parther, predigte das Christentum.
Neueste Forschungsergebnisse deuten darauf hin, daß
Armenien erst nach der Bekehrung Kaiser Konstantins,
also erst nach 313 - wahrscheinlich im Jahre 314 -, auf
Geheiß von König Trdat (Tiridates) das Christentum
annahm. Die Missionierung Armeniens war wahrscheinlich von Edessa (dem heutigen Urfa) ausgegangen; christliche Gemeinden sind seit dem 2. Jahrhundert in Armenien nachweisbar. Der große Bekehrer war Gregor Parthev Lusarevic, der Erleuchter, keineswegs ein Angehöriger des Volkes der Haik, sondern ein Armenier im eigentlichen Sinne, also ein Bewohner der Provinz Armenien,
allerdings parthischen Ursprungs.
Gregor lebte als Flüchtling vor den Persern im römischen
Caesarea (Kayseri) und trat dort zum Christentum über.
König Tiridates ließ Gregor zunächst verfolgen, nahm
aber schließlich selber das Christentum an und mit ihm
allmählich das Volk von Armenien.
Der Triumph des Christentums, das im Römerreich und
in seinem Vorfeld, in Georgien wie in Albanien (Kaukasus) und Armenien, rasch Fuß faßte, beunruhigte die Perser zutiefst. Julian der Apostat, der mit den Persern vielleicht fertig geworden wäre, starb überraschend und sein
Nachfolger Jovian überließ die Kaukasusländer und
Armenien den Persern kampflos. Nach dem Tode von
Kaiser Theodosius im Jahre 395 wurde das Römische
Reich in ein West- und ein Ostreich geteilt. Vergeblich
bemühten sich die armenischen Fürsten, ständig unter der
unduldsamen, zeitweise fanatisch antichristlichen
Religionspolitik der Sassaniden leidend, um mehr Bewegungsfreiheit.
In der Entscheidungsschlacht von Avarayr, im Jahre 451,
erlag der Armenierführer Vardan Mamikonean den Persern; vergeblich hatte er die Hilfe Ostroms (der Byzantiner) erfleht. Im gleichen Jahr - in dem armenischen
Schicksalsjahr 451 - fand das IV. Ökumenische Konzil zu
Chalzedon (heute Kadiköy, gegenüber Istanbul) statt.
Wegen der tragischen Kriegslage konnten die Christen von
jenseits der byzantinischen Grenzen an dem Konzil nicht
teilnehmen; die kaiserliche Politik, die offizielle Politik
des byzantinischen Klerus, errang zu Chalzedon unan-
Als die Kirche von Ahtamar im 10. Jahrhundert errichtet wurde,
standen die in Ostanatolien ansässigen Armenier und deren Fürsten unter der Oberhoheit der abbasidischen Kalifen von Bagdad,
die ihrerseits wieder unter der Vormachtstellung der an ihrem
Hofe lebenden und Kunst und Kultur (nicht nur das Militär!)
beherrschenden „Mamluken”, türkischen Angehörigen der Militär- und Verwaltungskaste, standen. Sie beeinflußten sowohl den
seldschukischen wie auch den armenischen Baustil mit ihren klassischen Rundbauten.
gefochten den Sieg und setzte ihre christologische Lehrmeinung von den zwei Naturen in Christus, der Göttlichen und der Menschlichen, durch; die „Monophysiten”,
vor allem die Armenier, aber auch die Syrer, die ägyptischen Kopten, ihre südlichen Nachbarn in Äthiopien und
die indische Kirche wie auch die damals in Persien sehr
stark vertretenen Nestorianer erkannten die Beschlüsse
des Konzils von Chalzedon nicht an.
Zwischen Byzanz und den Armeniern sollte es infolge
dieses Konflikts zu einer für beide Teile folgenschweren,
Dauerthemen armenischer Kunst: Der ständige Kampf gegen die
Perser, von den Tagen der Einwanderung in Ostanatolien bis zur
Schlacht bei Чaldiran, als die Osmanen im Jahre 1514 die Perser
vertrieben.
Illustration aus dem Codex 189 vom Vansee: Die Haik im Jahre
451 im Kampf gegen die Perser. Bei Awarair verloren die Haik
nicht nur eine Schlacht, sondern auch die Blüte ihres kampffähigen Adels unter Vartan Mamigonian (Darstellung aus dem 16.
Jahrhundert zum Kanon des hl. Vartan und seiner Gefährten,
Mechitaristenkloster, Wien).
Das gleiche Thema, die verlorene Schlacht von Avarair, mit den
Augen des 19. Jahrhunderts gesehen (Georg Drah, 1888): Der
Perserkönig Yadzegert II. versuchte im Jahr 451 (ausgerechnet
zum Zeitpunkt des Konzils von Chalzedon) die Haik zurück in
den Mazdaismus zu zwingen. Das gelang nicht, aber die Haik
gerieten durch ihre Nichtteilnahme am Konzil von Chalzedon in
ein Schisma. Mechitaristenkloster, Wien.
41
ja verheerenden Feindschaft kommen; die Byzantiner
sahen voll Hohn zu, wenn Armenien geschwächt wurde,
und übersahen dabei, daß sie damit ihr Vorfeld gegenüber dem persischen Erzfeind - aber auch gegenüber den
aus dem Osten heranstürmenden neuen Völkern - opferten.
Im Jahre 484 wurde Persien von den aus dem Osten heranstürmenden Persern entscheidend geschwächt; als eine
Generation später in Ostrom Kaiser Justinian an die
Macht kam, blieb nicht einmal eine Spur armenischer
Unabhängigkeit über; die Macht wurde zwischen Persern
und Byzantinern geteilt, und Kaiser Maurizius siedelte
gar zahlreiche Armenier in Thrakien - wahrscheinlich
ihrem Ursprungsland - an.
Nach der Auseinandersetzung der Perser und Römer um
die Vorherrschaft in Armenien teilten sich Araber und
Ostrom in der Machtausübung, bis im Jahre 1040 Byzanz
den letzten Rest armenischer Selbständigkeit auslöschte.
Noch im Jahre 630 schmiedete Kaiser Heraklios Pläne
zur Kirchenunion mit den monophysitischen Armeniern,
doch schon zehn Jahre später nahmen ihm die Araber
diese Sorgen ab, indem sie in Ostanatolien eindrangen
und die Macht der Byzantiner brachen. Gelegentliche
Machtgewinne der Byzantiner, so unter Kaiser Justinian
II. (685 bis 695), verführten sie nur zu Versuchen, die
Armenier mit Brachialgewalt in die griechisch-orthodoxe
Reichskirche pressen zu wollen.
Schließlich teilten sich Byzantiner und Araber die Herrschaft über Armenien, ähnlich wie es schon vorher, zwischen Römern und Persern, ein Übereinkommen zur
Machtausübung in Ostanatolien und im angrenzenden
Kaukasus gegeben hatte.
Bei seiner Krönung zum König von Armenien erhielt
Fürst Aschkot seine Insignien von Arabern und Byzantinern gemeinsam; Armenien blühte als ein halbunabhängiger Pufferstaat zwischen Arabern und Byzantinern und
fuhr dabei gar nicht schlecht. Die Klugheit armenischer
Castell und Moschee der Semiramis bei Wan. Aus der Kunstanstalt des Bibliographischen Instituts in Hildshausen, A. D.
MDCCCXXXXIX (1849)
Fürsten, die die Grenzen ihrer Macht - und des Machund
Erreichbaren - kannten, war immer der beste Garant für
ein Wohlergehen der Haik gewesen.
In jener Zeit entstanden die Prachtbauten von Ani und die
Kirche der Insel Ahtamar im Vansee. Die Oberherrschaft
der Kalifen von Damaskus - oder später Bagdad -war durchaus erträglich, keinem Araber fiel es auch nur im
Traume ein, die Armenier wegen ihres monophysitischen
Glaubens zu bedrängen, im Gegenteil, sie übertrugen den
Armeniern sogar die Oberaufsicht über die heiligen
Stätten Jerusalems.
Die Armenier erreichten unter den Bagratiden unter
byzantinischer und arabischer Vorherrschaft eine Blüte
Glückliche Kinder, Wasser, frisches, sauberes Wasser, Hirten
und Herden, Freiheit . . . das ist türkisch-anatolischer Lebensstil
seit urdenklichen Zeiten.
42
ihrer Kultur. Ani wurde vollendet, die Kirche von Ahtamar blühender Sitz armenischer Katholiki.
Doch die Byzantiner konnten es nicht lassen, die monophysitischen Armenier immer kürzer an die Kandare zu
nehmen. Schon kamen immer neue, immer beunruhigendere Nachrichten über neue, junge Völker, die aus dem
Osten, über Persien, nach Westen vorstießen; doch die
Byzantiner, anstatt den armenischen Pufferstaat zu fördern
und zu stärken, zwangen den Fürsten von Ani, Hovanes
Smbat, ihnen Ani vollständig und uneingeschränkt zu vermachen. Die byzantinische Expansionspolitik unter
Basileos II., dem „Bulgarentöter”, der sich nach seinem
Triumph auf dem Balkan als ebenso erfolgreicher
Feldherr im Kaukasus und in Armenien betätigte, fand
unter seinem Nachfolger, Kaiser Konstantin IX., in Armenien ihren krönenden Abschluß: Konstantin IX. Monomachos, ein rücksichtsloser orthodoxer Eiferer, annektierte das „ketzerische” Ani und verleibte es dem rechtgläubigen Byzantinerreich ein. In armenischer Lesart
heißt das: „König Gagik II. wird in Konstantinopel zur
Übergabe des Reiches gezwungen.” 1045 - ein armenisches Schicksalsjahr. Seit 1045 gibt es in Ostanatolien, in
der historischen Landschaft Armenien, weder ein selbständiges noch ein halbselbständiges armenisches Fürsten- oder Königtum, nicht die Spur einer armenischen
Selbstverwaltung oder gar Selbständigkeit.
Die Gregorkirche des Tigran Honent
Es gehört zu den Mythen armenischen Selbstverständnisses,
daß „die Türken” die Hauptstadt der Bagratidendynastie vernichtet hätten. Die geschichtliche Wahrheit: spätestens seit 772
nach Christus stand die ursprünglich urartäische Stadt unter
arabischer Vorherrschaft.
Nach dem Vordringen der Byzantiner, Plünderung der Stadt
durch die Georgier und weiterer Schwächung des Fürstentums
mußte Hovhannes Smbat seine Hauptstadt vertraglich den
Byzantinern vermachen; ein Abkommen, das Basileos II. der
„Bulgarentöter” im Jahre 1041 einlösen wollte. Als die
Armenier ihren Verpflichtungen nicht nachkommen wollten,
schickte der Byzantinerkaiser Konstantin Monomachos zwei
Armeen nach Ani und brach gemeinsam mit dem Araberfürsten
von Dwin den armenischen Widerstand - im Jahre 1045
öffneten Patriarch und Gouverneur von Ani den Byzantinern
die Stadttore, womit der letzte Rest armenischer Unabhängigkeit in Ostanatolien verschwunden war.
Der Seldschukenführer Alp Arslan drang erst 1065 - also volle
zwei Jahrzehnte später - bis Ani vor und kämpfte nicht gegen
die Armenier, sondern gegen die Byzantiner, die damals
gemeinsam mit den Arabern die Herrschaft über Ostanatolien
noch ausübten.
Es war Kaiser Basileos II., der Bulgarentöter, und
schließlich Kaiser Konstantin IX. Monomachos, der jede
Art armenischen politischen Eigenlebens in Ostanatolien
auslöschte - und niemand sonst.
43
Der Triumph der Osmanen in Ostanatolien und Kilikien
Ohne auf die Geschichte der armenischen Fürstentümer
in Kilikien hier näher eingehen zu können, genügt die
Feststellung der Tatsache, daß es zur Zeit der Übernahme
der Macht in Kilikien durch die Osmanen - im Jahre 1512
durch Sultan Selim I. - schon seit 137 Jahren nicht die
Spur eines unabhängigen oder halbunabhängigen armenischen Fürstentums in Kilikien gab; Sis war schon im
Jahre 1375 von den Mamluken erobert worden. Der
Kampf um die Vorherrschaft in Ostanatolien sowie um
die angrenzenden Gebiete im Süden und Südosten des
osmanischen Herrschaftsgebietes endete am 23. August
1514 mit der Schlacht bei Caldiran, in der Sultan Selim I.
(1512-1520) die persischen Safawiden vernichtend
schlug und die gesamte historische Provinz Armenien von einer Machtausübung noch so subalterner
Armenierfürsten war schon seit einem halben Jahrtausend
keine Rede mehr - unter osmanische Kontrolle brachte.
Fast auf den Tag genau zwei Jahre später, am 24. August
1516, öffnete Selim I. durch die siegreiche Schlacht bei
Merdsch Dabik, unweit Aleppo, für die Osmanen die
Tore nach Syrien; Selims Nachfolger Suleiman der
Prächtige eroberte dann Rhodos, Aserbaidschan und den
gesamten Kaukasus, das Zweistromland (das erst im
Ersten Weltkrieg wieder verlorenging) und Ungarn; erst
die Wiener brachten ihn im Jahre 1529 zum Stehen. Für
die Armenier, die in der Folge der osmanischen
Expansion, stets auf den Fersen der siegreichen Armeen,
ihren kaufmännischen und handwerklichen Bereich auf
ein Hundertfaches ihres ostanatolischen Wirkungsbereiches ausgedehnt hatten, brach ein goldenes Zeitalter an.
Die Insel Ahtamar mit ihrer berühmten Heiligkreuzkirche. Als
das Gotteshaus im 10. Jahrhundert errichtet wurde, stand Ostanatolien mit seinem armenischen Fürstentümern unter der
Herrschaft der abbasidischen Kalifen, die in Bagdad residierten. Vor den Abbasiden gehörte Ostanatolien mit seinen
Volkschaften in den Machtbereich der omaijadischen Kalifen,
die von Damaskus aus regierten.
Das Schlachtfeld von Ç aldiran. Hier besiegte Sultan Selim I.
am 23. August 1514 die Perser und brachte Ostanatolien
endgültig unter osmanische Herrschaft; die damals ausgehandelte Grenze gilt bis heute. Auf den Tag genau zwei Jahre
später brachte Selim den Süden Anatoliens und Syrien unter
seine Herrschaft; unmittelbar darauf zog Selim I. als Sieger in
Kairo ein und der Scherif von Mekka erkannte Selim als neuen
Kalifen an. Die Osmanen blieben Kalifen, bis die neue
türkische Republik das Kalifat im Jahre 1924 abschaffte.
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Die Ursachen der armenischen Tragödie
Die armenische Tragödie beginnt. Übersteigertes nationalistisches Gedankengut sowie ein unglückseliger Wettkampf armenischer Kirchen und Sekten untereinander um
die Gunst nationalistischer Eiferer heizten das innenpolitische Klima im Osmanenreich an. Großmächte der
damaligen Zeit - England, Rußland und Frankreich -wollten das Osmanenreich schwächen und nützten die
Armenier dabei rücksichtslos aus.
Von der Eroberung der byzantinischen Gebiete Ostanatoliens durch die Seldschuken an (11. und 12. Jahrhundert)
bis tief in das 19. Jahrhundert hinein, lebten Armenier
und Türken in schlechthin vollendeter Harmonie.
Die Ursachen der „armenischen Tragödie” liegen nicht
innerhalb, sondern außerhalb des Machtbereiches des
sel-dschukischen und osmanischen Vielvölkertaates.
Im 19. Jahrhundert war es vor allem Rußland, das mit
Hilfe der Amerikaner (der protestanischen Missionare aus
Boston vor allem) ins Osmanenreich Unruhe bringt. Rußlands Ziel war, den Zugang zu den „warmen Meeren” zu
erreichen. Die Amerikaner -, die protestantischen Missionare - erwiesen sich als die „nützlichen Idioten”.
Der Konkurrenzkampf der Kirchen
und Sekten um die
Gunst der osmanischen Armenier
Während einer Missionsreise zu den Choctaw-Indianern
kam dem nordamerikanischen Missionar William
Goodell der Gedanke, das Heilige Land - damals zur
Gänze in osmanischem Besitz - für das Christentum
„zurückzuerobern”.
Der neue Kreuzzug - als solcher war das Unternehmen
durchaus konzipiert - begann mit einer Reihe von geradezu militärisch geplanten Erkundungstouren, wobei die
amerikanischen Missionare kein persönliches Opfer
scheuten; ihr vorbehaltloser Einsatz im Dienste der von
ihnen als gut verstandenen Sache verdient jeden Respekt.
Im Jahre 1821 bezog ein kleiner Voraustrupp Quartier am
Heiligen Grab, vor allem mit dem Ziel, auf die zahlreichen Pilger missionarisch (protestantisch) einzuwirken.
Doch Jerusalem brachte diesen ersten Missionsversuchen
nur ein vollständiges Fiasko; weder ließen sich Juden,
noch und schon gar nicht Moslems, aber auch
nichtchristliche Bürger zum Protestantismus amerikanischer Prägung bekehren.
Schließlich gaben die Amerikaner den unglückseligen
Missionierungsversuch in Jerusalem auf und übersiedelten nach Beirut. Trotz mannigfacher Widerstände von
allen christlichen Niederlassungen im Libanon konnten
die Amerikaner zwei Armenier in ihr Lager ziehen,
Gregor Vardapet und Garabed Dionysius.
Bald stellte sich heraus, daß die Armenier - damals ausschließlich gregorianische Armenier, die in allen zivilrechtlichen Belangen ihrem Patriarchen in Istanbul unterstanden - vor allem das reichhaltige und großzügige Bildungsangebot der Amerikaner annahmen.
Nach wahren Irrwegen der protestantischen Missionare
im Osmanenreich - ihre Missionstätigkeit führte sie über
Malta und Griechenland schließlich weiter nach SmyrnaIzmir - und bewunderswerten Leistungen der Missionare, zeigte sich schließlich, was sich schon in Beirut
Die armenische Tragödie begann auch hier, in der
Beaconsstreet 14, Boston, Massachusetts, dem Hauptquartier
der amerikanischen protestantischen Missionare.
abgezeichnet hatte, daß die Mission ausschließlich bei den
armenischen Gregorianern Erfolg hatte, zum Teil, weil
sich die armenisch-orthodoxe Hierarchie zu wenig um die
45
Vom Hafen von Boston aus stachen amerikanische Missionare in
See, um in einer Art neuen Kreuzzug - wie sie es selbst verstanden - das Heilige Land wieder christlich zu machen. Leider hatten die Missionare weder bei Juden noch Moslems Erfolg, sondern so gut wie ausschließlich bei Armeniern - also Christen, die
ihrer angestammten Kirche abgeworben worden waren.
Bildungsbedürfnisse der überdurchschnittlich intelligenten Landsleute bemühte, zum Teil, weil sie in Reichtum
und Macht geradezu erstickte. Schließlich eröffneten die
Amerikaner unter der Leitung von William Goodell ihre
Missionszentrale in Konstantinopel. Beim Studium der
amerikanischen Missionsgeschichte im Osmanenreich ist
es höchst spannend, den Irrweg, der Missionare durch die
Weiten des Reiches zu verfolgen und mitzuerleben, mit
46
welcher Erleichterung sie schließlich erkannten, daß die
Hauptstadt des Riesenreiches auch der eindeutig beste
Ort für eine Missionszentrale war.
Die Untersuchungen der Missionare Smith und Dwight
bestätigten bald, was sich schon in Beirut und Smyrna
abgezeichnet hatte: die bildungshungrigen Armenier nahmen das Bildungsangebot der Missionare der nun in Konstantinopel angesiedelten „American Board of Commissioners for Foreign Missions” dankbar, ja begierig auf.
Schon im Jahre 1833 traten zahlreiche, lern- und wißbegierige armenische Studenten zum Protestantismus über. Im
gleichen Jahr verfügte die protestantische Mission schon
über 15 junge Armenier als Kleriker. Die Missionswelle
griff bald von Konstantinopel auf die Provinz über. Benjamin Schneider eröffnete schon 1834 eine Missionsstation
in Bursa, bald folgte eine in Trapezunt.
Fünf Jahre später, im Jahre 1839, begann, was die protestantisch-armenisch-amerikanische Geschichtsschreibung
als „spirit of persecution” bezeichnet: der armenischorthodoxe Klerus, unruhig geworden durch die ganz
unglaublichen Missionserfolge der Amerikaner bei den
begabten, den begabtesten und tüchtigsten Armeniern,
versuchte, die Missionare loszuwerden und die Abtrünnigen zurückzugewinnen.
Wenn Überredung nicht half, griff die Kirche auch zur
Gewalt. Schulen wurden niedergebrannt, „arrests were
made and terror spread”, schreibt der Missionschronist
William E. Strong. Der allzu tolerante Patriarch wurde
abgesetzt, und eine Liste mit etwa 500 „Hauptverdächtigen” aufgestellt, und die gehörten zur obersten Gesellschaftsschicht des armenischen Millets; es handelte sich
um Bischöfe, Bankiers, Großhändler, Künstler, und alle
wurden sie der Häresie geziehen, was Ausschluß aus der
gregorianischen Kirche und, damals für die Betroffenen
eine persönliche Katastrophe, damit verbunden de facto
„Staatenlosigkeit” bedeutete, weil sie ohne Zugehörigkeit
zu einem Milkt weder heiraten noch christlich begraben
werden konnten, keinerlei Rechtsschutz genossen und
auch gesellschaftlich der Ächtung anheimfielen.
Trotzdem ging die Ausbreitung der protestantischen
Armenier weiter, was zweifellos für die Tüchtigkeit des
armenisch-amerikanischen Klerus wie auch für den Bildungshunger der osmanischen Armenier spricht. Sogar in
Van entstand eine protestantische Missionsstation,
sozusagen im äußersten Winkel des weiten Osmanenreiches, und auch unter den „Bergnestorianern” in den fernen Hakkaribergen hatten die Amerikaner Missionserfolge. Weder den Nestorianern noch den Menschen von
Van sollte das später zum Glück gereichen; beide Gruppen, Armenier wie Nestorianer, setzten dann aufs „russische Pferd”, machten mit den Russen (und amerikanischem Geld) gemeinsame Sache und drifteten schließlich
in die Aufstandsbewegung vom März 1915 ab, was die
Osmanen mit einem allgemeinen Umsiedlungsbefehl
ahndeten - dem Beginn der osmanisch-armenischen
Katastrophe von 1915, die auf beiden Seiten so viele
tragische Opfer forderte.
Der Anfang vom Ende –
ein protestantisch-armenisches Millet wird errichtet
Im Jahre 1846 ging der Vorhang gleich zweimal herunter,
im buchstäblichen wie im übertragenen Sinn: in der
armenisch-orthodoxen Patriarchatskirche von Konstantinopel verlas der Patriarch bei heruntergelassenem Vorhang und verhülltem Altar in einer verdunkelten Kirche
eine Exkommunikationsbulle gegen die protestantisch
gewordenen Armenier, und alles Übel der Welt wurde
ihnen nachgesagt und angedroht. Danach wurde das
Edikt der Exkommunikation in allen armenisch-orthodoxen Kirchen des Landes unter ähnlich theatralischen
Umständen verlesen.
Den völlig entrechteten armenischen Bürgern protestantischen Bekenntnisses eilten nun die Großmächte zu
Hilfe, England vor allem, das da eine günstige Interventionsmöglichkeit sah.
Schließlich sah sich der Großwesir des Osmanischen
Reiches zum Handeln gezwungen, und am 1. Juli des
Jahres 1846 wurde im Osmanenreich ein völlig neues
Millet ins Leben gerufen, das der „Ersten Evangelischen
Armenischen Kirche”. Im Jahre 1848 veröffentlichte der
Großwesir einen kaiserlichen Firman in dieser
Angelegenheit, und zwei Jahre später, 1850, gewährte
der Sultan persönliche seinem neuen, protestantischen
Millet einen Freibrief. Nun waren die protestantischen
Armenier berechtigt, ihre eigenen Repräsentanten zu
wählen und diese wieder konnten die Anliegen ihres
Millets vor der Hohen Pforte gleichberechtigt mit jenen
der orthodoxen Kirchen vortragen.
So vielversprechend diese neue Ära auch begonnen
haben mag, so großartig, ja fast unvergleichlich der Mut
und die Opferbereitschaft der Missionare auch gewesen
sein mochte, die Ergebnisse waren - ungewollt - für die
Armenier des Osmanenreiches verheerend.
Sultan anerkannte katholisch-armenische Patriarch, Hagop Tschukurian, zunächst in Adana, also in der Bannmeile des seit Jahrhunderten nicht mehr bestehenden kilikischen Königreichs der Armenier, residierte.
Armenier lebten in Kiliken seit einer groß angelegten
Umsiedlungsaktion der Byzantiner, im Gefolge einiger
byzantinischer Siege über die Araber. Die bedeutendsten
armenischen Familien jener Umsiedler, Hetum und
Rüben, brachten die Führer Kilikiens hervor, und im
Jahre 1080 fühlte sich Rüben stark genug, ein eigenes,
von den Byzantinern unabhängiges Fürstentum zu gründen. Das „armenische Kilikien” bestand, ganz oder
wenigstens halb unabhängig, bis zum Jahre 1375, als ihm
die Mamlu-ken ein Ende bereiteten.
Die katholischen Armenier
Spätestens seit der Errichtung des protestantischen
Millets setzte nun ein dreifach verstärkter Kampf um die
Herzen der osmanischen Armenier ein: da war die
alteingesessene „gregorianische” Kirche, die sich auf
die Gründung durch Gregor den Erleuchter berief; dazu
kam die im Jahre 1850 offiziell etablierte protestantische Kirche und, als dritte, wenn auch mit anderen Maßstäben zu messen, die katholisch-armenische Gemeinschaft des Osmanenreiches. Während die Protestanten
ihre Anerkennung letztlich der Intervention der Engländer und (bescheidener) der Amerikaner verdankten,
ging die Errichtung des katholisch-armenischen Millets
auf die Intervention Frankreichs zurück, das sich schon
immer als Protektor der Katholiken des Orients geriert
hatte.
Es ist bezeichnend, daß der erste im Jahre 1831, vom
Eine der bedeutendsten, ja überragenden Persönlichkeiten des
armenischen Millets war Mechitar von Sebaste (von Sivas, Zentralanatolien), der am 7. Februar 1676 als Kind armenischer
Kaufleute zur Welt kam. Früh kam er mit Jesuitenmissionaren,
„Franken” in Berührung, die bei ihrer Missionstätigkeit unter
den Armeniern stark an die fränkisch-armenischen Beziehungen
noch aus der Zeit der Kreuzzüge anknüpften. Mechitar wurde
einer der größten Gelehrten der osmanischen Armenier, Kongregationsgründer und gilt als Wiederhersteller der armenischen
Literatur.
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An diese Erinnerung knüpften die Franzosen an, als sie
die Errichtung eines katholisch-armenischen Patriarchats
im Jahre 1831 durchsetzten. An diese Erinnerung knüpften die Franzosen wahrscheinlich auch an, als sie sich
beim Aufstand vom Musa Dagh, im Jahre 1915, an der
Tragödie der dortigen osmanisch-armenischen Gemeinde
mitschuldig machten; ähnlich mitschuldig wurden sie, als
sie im Jahre 1918 im Süden Truppen landeten und der
armenischen Minderheit Versprechungen machten, die
sie nicht halten konnten.
Die Lage der armenisch-katholischen Kirche in Istanbul, am
Taksim-Platz, könnte nicht typischer sein: das Gotteshaus
wächst geradezu aus dem eleganten Gebäudekomplex der ehemaligen französischen Botschaft heraus, so wie auch die
Gründung eines eigenen, armenisch-katholischen Millets im
Jahre 1831 auf massive französische Interventionen bei der
Hohen Pforte zurückging.
Die armenischen Führer Kilikiens suchten sich naturgemäß stets Verbündete, die im Rücken ihrer unmittelbaren
Nachbarn wohnten, seien es nun die (sonst so vielgeschmähten) Mongolen oder die noch mehr verteufelten
Katholiken - im Falle Kilikiens verband man sich sogar
mit den Kreuzrittern. Der Höhepunkt dieser Allianz
wurde erreicht, als im Jahre 1198 Konrad Kardinal von
Witteisbach Fürst Leo II. zum König von Kilikien salbte.
Das 14. Jahrhundert war eine Zeitspanne erbitterter, gnadenloser Kämpfe zwischen armenisch-orthodoxen und
armenisch-katholischen Familien Kilikiens. Im Jahre
1342 wurde Kilikien „fränkisch”, als es an Guy de
Lusignan fiel. Die gregorianische Mehrheit unter den
Armeniern Kilikiens reagierte mit Aufstand und Guy de
Lusignan und 300 seiner fränkischen Ritter wurden 1344
umgebracht. Unter seinen katholischen Nachfolgern
bestand das „Königreich” nur mehr aus der Stadt Sis.
Im April 1375 eroberten die Mamluken Sis und nahmen
Leo V. gefangen. Damit war auch die letzte Spur armenischen Staatslebens getilgt, sofern das fränkische Kilikien
überhaupt noch etwas mit Armenien zu tun hatte.
Der von vielen Europäern als sehr romantisch empfundene Tod des letzten Königs von Kilikien in Paris, den ein
Franziskanermönch nach groß angelegten Geldsammlungen von den Mamluken freigekauft hatte, blieb im
Gedächtnis der Franzosen haften; nicht zuletzt auch deshalb, weil jener Leon V. nach feierlichem Staatsbegräbnis
neben den französischen Königen im Pariser Celestinenkloster seine letzte Ruhe fand.
Der Untergang des Kilikischen Königreiches im Jahre
1375, gut eineinhalb Jahrhunderte vor der Eroberung Kilikiens durch die Osmanen, änderte nichts an der Tatsache,
daß in Kilikien zahlreiche Armenier lebten, wenn auch, so
wie überall in Anatolien, in kleiner Minderheit.
48
Robert’s College, Istanbul (heute Bosporus-Universität), im Jahre
1840 als Schule für begabte Armenier gegründet, erwies sich auch
als Exerzierfeld des armenischen Nationalismus.
Die Gründer von Robert’s College, Cyrus Hamlin vor allem,
wollten die Lage des neuen Colleges durchaus als „Programm”
verstanden wissen: sie bauten unmittelbar neben Rumeli-Hisar,
der Festung, von der aus die Osmanen halb Europa erobert hatten.
Nun sollte das neue Schulgebäude ein Symbol der „reconquista”
werden. In seiner Geschichte der „American board” bezeichnet
William E. Streng den Schulgründer ausdrücklich als „Schrecken
des ausweichenden Türken”, während die Armenier „in jeder
möglichen Weise” gefördert werden sollten. Der mißverstandene,
übersteigerte Nationalismus nahm nun seinen Lauf.
Das „rote Haus” - die Zentrale der amerikanisch-protestantischen Mission in Istanbul.
Die amerikanisch-protestantische Mission bei den Armeniern
von Van setzte im Jahre 1872 ein; angesichts des erbitterten
Widerstandes des eingeborenen armenisch-orthodoxen Klerus Van war doch immerhin lange sogar der Regierungssitz des
armenischen Katholikos gewesen - dauerte es volle fünf Jahre,
bis es den Amerikanern gelang, das erste Gotteshaus ihrer Mission zu errichten.
Die Amerikaner nannten Van „das Sebastopol der Armenischen
Kirche”, offenbar in Anspielung auf die lange Belagerung und
ihre schließliche Erstürmung durch die Alliierten im Jahre 1855.
Van wurde, nicht zuletzt infolge des erbitterten Wettstreits zwischen orthodoxen und protestantischen Armeniern, wer nun der
„bessere” Armenier sei, alsbald zu einer Hochburg des fanatischen Nationalismus, der sich in mehreren Aufständen und
zuletzt in der Revolte von 1915 entlud, bei der Zehntausende
Moslems umkamen. Ein Bildungsangebot, das in nationalistischen Exzessen endete - trotz des idealistischen Eifers vieler gutgesinnter Missionare, wie Dr. Reynolds und seiner Gemahlin.
Gottesdienst in einer armenisch-protestantischen Kirche in
Istanbul (errichtet 1914, unmittelbar vor Ausbruch des Ersten
Weltkrieges).
49
„Die Armenier sind die Nation; der Sultan und seine Soldaten sind des Teufels Geißel; kaltherziger Zuschauer ist
die angelsächsische Rasse” - zumindest intervenierten
England und die Vereinigten Staaten nach Meinung der
protestantischen Missionare noch immer zu wenig; ähnliche Ansichten wurden übrigens auch von russischer Seite
geäußert. Die Armenier waren um die Jahrhundertwende
bereits zum beliebtesten Vorwand der Mächte geworden,
sich in die inneren Angelegenheiten des Osmanischen
Reiches einmischen zu können.
Zu welchen publizistischen Exzessen sich die amerikanische protestantische Propaganda schließlich verstieg,
zeigt ein im Jahre 1896 unter dem Titel „Die Türkei und
die armenischen Greueltaten” (der Autor war sich der
Doppelbödigkeit seiner Titelwahl mit Sicherheit nicht
bewußt) erschienenes Buch, dessen Geist und Inhalt am
besten durch einige Sätze aus dem Vorwort von Frances
E. Willard demonstriert werden.
Armenier gehören offenbar zur edelsten Rasse überhaupt,
denn „in Gesicht, Figur und Haltung sind sie
bemerkenswert attraktiv. Es heißt, daß ihr persönliches
Erscheinungsbild dem wahrscheinlichen Aussehen unseres Herrn Jesus Christus ähnlicher kommt als das irgendeiner anderen Rasse”.
Angesichts der ungeheuren Waffenmengen, die von den
Armeniern nicht nur gehortet, sondern auch in unzähligen
Aufständen nach Kräften genützt wurden, erscheint es
wie blanker Hohn, wenn Frances E. Willard bemerkt, die
Armenier seien „unbewaffnet” und täten „niemandem
etwas zuleide”. 1896 war ein Jahr des exzessivsten
Terrors der Armenier, auch der spektakuläre Überfall auf
die Osmanische Bank mit Geiselnahme fand damals statt.
Aber islamische Geiseln zählten in der kritiklosen Bevorzugung der „armenischen Rasse” damals offenbar überhaupt nicht mehr, „glauben doch Mohammedaner vor
allen anderen Dingen an den Harem”. Schlußfolgerung:
50
Von Bluthunden eingeschlossen: Sultan Murad V. wird hier
dargestellt, wie er versucht, mit den aufständischen europäischen Provinzen des Osmanenreiches fertig zu werden, mit
Bosnien, der Herzegowina, Montenegro und Serbien (die alle
den Vorteil hatten, auf ihrem Boden über solide, in sich
geschlossene Mehrheiten zu verfügen, während die Armenier
nirgendwo im Osma-nenreich auch nur annähernd ein
mehrheitliches, geschlossenes Siedlungsgebiet besaßen). Der
Zar von Rußland, Österreichs Kaiser Franz Joseph, Kaiser Wühelm I., König Georg I. von Griechenland und Italiens König
Humbert, schauen interessiert zu, während Deutschlands Fürst
Bismarck und Englands Beacons-field schon eingreifen
wollen. Damals erklärte der armenische Patriarch Nerses II.
Vartabedian dem britischen Botschafter, „wenn es notwendig
ist, sich zum Aufstand zu erheben, um die Sympathie der europäischen Mächte zu erringen, gibt es keine Schwierigkeiten, so
eine Bewegung ins Leben zu rufen” (Brief des britischen
Botschafters Henry Elliot an seinen Außenminister in London;
F. O. 424/46 p. 205-206, 7. Dezember 1876).
Karikatur: PUNCH, 22. Juli 1876
„Volksmengen erwarten den Besuch des Katholikos in Adana”
heißt es mit maschingeschriebenem Text auf diesem historischen
Foto aus dem Jahre 1903, und unfreiwillig gibt die genaue topographische Beschreibung der verschiedenen armenischen oder
pseudo-armenischen Institutionen oberhalb des Bildes genau den
Hintergrund der beginnenden armenischen Tragödie preis: links
außen befindet sich die „Mission Residence”, das Wohnhaus der
protestantischen, amerikanischen Missionare, dann folgt die
„Gregorian Church”, die Kirche der armenischen Orthodoxen,
schließlich die Armenisch-katholische Schule der Mechitaristen
und zu guter Letzt noch die Kirche der Protestanten. Diese Zersplitterung in einander erbittert bekämpfende Lager ‘mag auch die
Erklärung dafür sein, daß nur sehr bescheidene „crowds” den
damals für eine Provinzstadt wie Adana gewiß sensationellen
Besuch des Katholikos erwarteten; die innere Zerrissenheit und
der nationalistische Konkurrenzkampf der Armenier untereinander verhinderte bereits eine gemeinsame Begrüßung des armenisch-orthodoxen kirchlichen Oberhauptes.
Erklärung von Rev. Melvin A. Wittler, Repräsentant der
American Board of Missionaries, Istanbul, vorn 8. Juni
1985:
Wirklichkeitsferne Träume . . .
„In jener tragischen Zeit des Ersten Weltkriegs gab es die
,Ideale’ des Nationalismus, der aus dem Westen kam und
von den fremden Schulen hier verbreitet wurde. Es gab
schreckliche Tragödien - auch als Ergebnis wirklichkeitsfremder Träume und Gefühle der verschiedenen nationalen Gruppen. Dann kam die Bevölkerungsbewegung von
Christen aus der heutigen Türkei in andere Teile des
damaligen Osmanenreiches. Es gibt keinen Zweifel darüber, daß Ideen, die damals einige dieser Gemeinschaften
bewegten, über die fremden Schulen hereingebracht wurden.
Doch mit dem Entstehen der türkischen Republik im
Jahre 1923 und der Errichtung des sekulären Staates
blieb unsere Mission hier und sie erkennt diesen
weltlichen Staatsgrundsatz voll an. Wir versuchen, für
Versöhnung zu wirken, gerade in diesem Teil der Welt,
wo so verschiedene Volksgruppen leben.”
Rev. Melvin A. Wittler von der armenisch-protestantischen
Kirche bei einer Feier auf Kinali Ada, wo der armenisch-orthodoxe Patriarch seine Sommerresidenz hat.
Eine friedliche Zusammenkunft religiöser Führer der
modernen Türkei auf Kmah-Ada, anläßlich eines armenischen Kirchenfestes auf der Insel. Kmali-Ada ist wie ein
Sinnbild der interkonfessionellen Streitigkeiten der Christen. Zunächst war die Insel mehrheitlich von griechischorthodoxen Gläubigen bewohnt, bis sie schließlich zu
einer fast ausschließlichen Domäne der Armenier wurde.
Im 19. Jahrhundert gelang es den protestantischen Missionaren, die Inselbevölkerung zur Gänze dem Protestantismus zu gewinnen und es bedurfte ganz gewaltiger
Anstrengungen des Patriarchats, die Armenier von
Kmali-Ada wieder der gregorianischen Glaubensgemeinde zurückzugewinnen.
Todfeinde von einst sitzen nun, mehr oder weniger aus
ökumenischer Gesinnung oder den Umständen entsprechend, friedlich zusammen: unierte (katholische) Armenier, Repräsentanten Roms (das durch den Kreuzzug von
1204 wesentlich zum Untergang von Byzanz beigetragen
hatte), Chaldäer (ihre nestorianischen Brüder waren der
Verfolgung durch Byzanz ausgesetzt), orthodoxe Griechen (einst die Todfeinde der Armenier, heute vielfach im
gemeinsamen Haß gegen die Türken vereint) und schließlich Protestanten.
Sie alle verdanken ihr kirchliches Überleben im Heiligen
Land und auf dem Boden des ehemaligen Osmanischen
Reiches ausschließlich der toleranten Haltung der
Mamlu-ken und der Osmanen - vom Islam blieb in den
von Europäern wiedereroberten Territorien (wie etwa in
Spanien) nicht die kleinste Minderheit übrig.
51
Der osmanisch-armenische Baumeister Garabed Amira Balyan
(1800-1866, links oben) arbeitete für die Sultane Mahmud II.,
Abdülmejid (Mitte) und Abdul Hamid II. (rechts). Zu seinen
bedeutendsten Werken zählen die Ortaköy Camii sowie der
gewaltige Dolmabahce-Palast zu Istanbul am Ufer des Bosporus.
Allmählich ging so gut wie der gesamte Außen- und Binnenhan-
52
del in die Hände der osmanischen Armenier über, eine Tatsache,
die ihnen später insofern mit zum Verhängnis wurde, als die
Drahtzieher der Armenieraufstände auch aus der Überzeugung
heraus handelten, das Osmanische Reich müsse unweigerlich
zusammenbrechen, wenn die Armenier den Osmanen die
Freundschaft kündigten.
Das 19. Jahrhundert: Ein goldenes
Zeitalter für Armenier und
Osmanen, trotz der beginnenden
nationalistischen Hetze von außen
Nach der Eroberung Istanbuls trachtete Sultan Mechmed Fatih
danach, mit allen unterworfenen Völkern (damals besser: Religionsgemeinschaften; völkische oder gar rassische Begriffe
bestanden kaum) gutes Einvernehmen herzustellen und ihnen
weitestgehende Autonomie einzuräumen.
Schon acht Jahre nach der Eroberung Instanbuls berief Sultan
Mechmed Fatih den gleichfalls von den Osmanen gekürten
armenisch-orthodoxen Erzbischof von Bursa, Hovakim, nach
Istanbul und ernannte ihn zum Patriarchen.
Patriarch Hovakim wurde geistlicher (und weitgehend auch
weltlicher) Führer aller nicht-islamischen, nicht-griechischorthodoxen Bewohner des Osmanenreiches; seine Macht überstieg die des armenischen Katholikos von Edschmiadsin oder Sis
bei weitem. Niemals in der Geschichte des armenischen Volkes
hatte ein Armenier so viel Macht und Autorität besessen wie
Patriarch Hovakim (und seine Nachfolger bis ins 19. Jahrhundert
hinein). Von Anfang an verstanden sich die Armenier auch besser mit den Osmanensultanen als die Griechen; während die
griechischorthodoxen Patriarchen von Konstantinopel wie
Gennadios II. Scholarios, Isidoros II. Xanthoüulos oder
Sophronios I. Syropo-los einander in stets wechselnder Weise,
oft mehrmals hintereinander, in kurzen Regierungsabschnitten
geradezu die Klinke in die Hand gaben, fanden die Armenier
gleich den richtigen Ton im Umgang mit den Osmanen und bauten ihre Machtstellung immer mehr aus.
Bilder: Seine Seligkeit, der armenisch-orthodoxe Patriarch von
Istanbul, Schnorkh Kalustian; Szenen vom 29. Mai, dem Jahrestag der Eroberung Konstantinopels im Jahre 1453.
Ein goldenes Zeitalter osmanisch-armenischer Zusammenarbeit: Vom 15. bis ins 19. Jahrhundert sind die
Armenier des Sultans „treues Millet” und das armenische
Patriarchat von Istanbul des Sultan-Kalifen ureigene
Schöpfung.
53
Eine Abbildung aus dem „Türkischen Hofer” (Nürnberg, 1721)
zeigt einen der für jene Zeit typischen Baumeister aus den
glücklichen Tagen osmanisch-armenischen Zusammenlebens
und der Zusammenarbeit zu beiderseitigem Nutzen, als der
Sultan seine Armenier auch noch als ein „treues Millet” bezeichnete. Das war alles noch vor dem Einsickern eines ebenso
mißverstandenen wie maßlos übersteigerten Nationalgefühls,
das so viele Völker schon ins Verderben führte - auch das Volk
der Haik.
Noch einige Beispiele der vollendeten osmanisch-armenischen
Zusammenarbeit, die teilweise bis über den Armenieraufstand
von 1915 und die darauffolgende Umsiedlung der Armenier
Ana-toliens anhielt.
Die Türbe (Grabbau) des letzten, auf osmanischem Boden gestorbenen Sultans Mechmed V. Reschad, der am 27. April 1909 den
Thron bestieg und auf dem Höhepunkt des Ersten Weltkrieges,
am 2. Juli 1918, verschied, wurde - wie selbstverständlich - von
einem armenischen Architekten errichtet. Die Türbe befindet sich
unterhalb von Eyüp unmittelbar am Ufer des Goldenen Horns.
Ein Kiosk des Beylerbey Palastes, gegenüber des CiraganPala-stes am Südufer des Bosporus, errichtet von Agop Balyan.
54
Das Portal des von dem osmanischen Armenier Balyan errichteten Dolmabadsche-Palastes mit der Tughra, dem kaiserlichen,
allerhöchsten Namenszug von Sultan Abdül Hamid.
Mit der Eroberung Konstantinopels durch Sultan Mechmed
Fatih im Jahre 1453 und der im Jahre 1461 erfolgten Erhebung
des armenisch-orthodoxen Erzbischofs von Bursa zum
Patriarchen von Konstantinopel begann für die Armenier des
Osmanenrei-ches ein goldenes Zeitalter - oft im buchstäblichen
Sinne des Wortes.
Armenier übernahmen die Münzprägung im Osmanischen
Reich, die Buchhaltung im Hauptschatzamt von Istanbul wurde
in armenischer Sprache geführt.
Armenische Baumeister führten eine ununterbrochene Kette von
Großaufträgen ihrer osmanischen Herren aus; das Bild der
„treuen Armeniergemeinde”, die dem Sultan - zu beiderseitigem
Vorteil - ergeben diente, wurde im Osmanenreich sprichwörtlich.
55
Als blindes Hasardieren sahen die Engländer sinngemäß das,
was die Russen nach ihrem Diktat von San Stefano von den
Europäern forderten.
England bestand darauf, als Voraussetzung für eine Teilnahme
an dem von Bismarck vorgeschlagenen Berliner Kongreß, daß
jeder einzelne Artikel des „Vertrages” von San Stefano genau
unter die Lupe genommen werde. (Punch, 30. März 1878.)
Der Marquis von Salisbury (britischer Außenminister 1878-1880).
Das Gebäude der amerikanischen Botschaft in Istanbul-Pera,
einem der elegantesten, um die Jahrhundertwende bevorzugt von
reichen Armeniern und Griechen bewohnten Stadtviertel.
Kaum ein Botschafter war im Osmanenreich derartig auf die
Berichte und Übersetzungen seiner (durchwegs armenisch-stämmigen) Dragomane und die Erzählungen der gleichfalls durchwegs armenierfreundlichen amerikanischen Missionare
angewiesen wie der jeweilige US-Botschafter.
Obwohl die USA und das Osmanenreich nie gegeneinander
Krieg führten, beherrschte gerade in den USA das Bild vom
„häßlichen Türken” die öffentliche Meinung, auch ein Ergebnis
der verzerrten Berichte, die aus Konstantinopel in Washington
eintrafen.
56
Die Politik der Großmächte und die Armenische Frage
Mit dem Eindringen der Mongolen - damals der Großmacht des Ostens -, die 1236 Ani verwüsteten, und mit
der neuerlichen Mongoleninvasion in Ostanatolien unter
Timur Lenk (1379) sah sich die armenische Bevölkerung
einer solchen Bedrängnis ausgesetzt, daß das Katholikosat nach Etschmiadzin verlegt wurde. Sis, die letzte
Armenierbastion im Süden Anatoliens, war 1375 von den
Mamluken erobert worden.
Damit waren die Armenier - abgesehen von ihren religiösen und kulturellen Aktivitäten - aus der Geschichte als
Macht- oder Gebietsfaktor ausgetreten.
Wie trotzdem eine Armenische Frage als Faktor der
Politik der Großmächte entstehen konnte, geht fast
ausschließlich auf die Expansionsbestrebungen des zaristischen Rußland und seine damit verbundenen
Schachzüge zurück; wiederholt erwiesen sich die
Armenier in diesem häßlichen Spiel als die nützlichsten
„Bauernopfer”, die die Meister desselben in Moskau oder
St. Petersburg darbringen konnten.
Ein kurzer Blick auf die atemberaubende Geschwindigkeit und Zielstrebigkeit, mit der Rußland türkisches und
persisches Territorium gewann und sich das südliche
Zentralasien, Nordpersien, den Kaukasus, die Krim und
schließlich den Zugang zum Balkan eroberte, macht die
Wichtigkeit der Existenz einer Armenischen Frage klar,
vor allem im Hinblick auf Rußlands bis heute größtes
Ziel: die Eroberung der Dardanellen.
1774 war der Auftakt zur Abtakelung des Osmanenreiches. Im Vertrag von Kütschük Kainardscha, fünfundsechzig Jahre nach dem für die Türken so
schlimmen Vertrag von Karlowitz, büßte das Osmanenreich so viel Ansehen ein, daß fortan nur mehr
Österreich und Rußland auf dem Balkan das Sagen
hatten; im Osten allerdings ausschließlich die Russen.
Seit dem Jahre 1515 war Ostanatolien osmanisch;
1578 hatte Sultan Murad III. Georgien erobert. Die
einzigen Rivalen der Türken im Osten waren die
Perser. Im Jahre 1639 schlossen die Osmanen mit
den Safawiden den Vertrag von Kasr-i-Schirine, und
trotz der nachfolgenden Kriege verläuft die heutige
türkisch-iranische Grenze immer noch so wie 1639
bestimmt.
Alle türkisch-persischen Kriege galten armenischem
Territorium, armenisch allerdings ausschließlich im
Sinne der Bezeichnung einer historischen Provinz,
aber keineswegs irgendeiner Machtposition des Volkes der Haik, das, gemeinsam mit anderen Vökern
und Stämmen, die ostanatolischen und angrenzenden Gebiete bewohnte. Zur Zeit des Vertrages von
Kasr-i-Schirine, 1639, war die Krim osmanisch,
ebenso wie Georgien und die gesamte Schwarz-
meerküste; das Schwarze Meer war ein türkischosmanisches Binnenmeer.
Eriwan gehörte seit 1639 zu Persien, es war eine
fast ausschließlich islamische Stadt.
Der erste Schritt der Russen in Richtung Kaukasus
erfolgte 1556, als sie Astrachan eroberten.
Transkaukasien gehörte zwar nominell zu Persien,
doch stand Aserbaidschan de facto unter osmanischer Kontrolle.
Das einzige Mal, daß Armenier - genauer gesagt:
Haik - in jener Zeit erwähnt werden, ist, als Schah
Abbas in den Jahren 1603-1604 die Armenier von
Eriwan und Dschulfa nach Innerpersien schaffen.
Im Jahre 1461 hatte Mechmed der Eroberer das
armenische Patriarchat von Istanbul gegründet, und
dem armenischen Patriarchen der Stadt unterstanden alle Armenier und Monophysiten des
Reiches, unabhängig von der Existenz der armenischen Katholiko-sate von Sis oder Etschmiadsin damals persisch -hatte im Osmanenreich keinerlei
Macht.
Die Russen mischten sich in den türkisch-persischen Krieg von 1723 bis 1727 ein und entsandten
Militär ans Kaspische Meer; das Khanat von Kuba,
nördlich von Baku, geriet unter russischen Einfluß.
1768 brach in der Folge der Ereignisse in Polen ein
russisch-türkischer Krieg aus. Die osmanische
Armee wurde geschlagen, und 1774 der Vertrag von
Der Gebäudekomplex der kaiserlich-russischen Botschaft in
Istanbul-§ishane. Von der Beletage der Botschaft haben die
Russen einen prachtvollen Ausblick auf die Meerengen. An der
russischen Politik, die immer zu den „warmen Wassern”
drängte, hat sich so wenig geändert wie an der russischen
Unterstützung der armenischen Terroristen, die seit den Tagen
des Zaren blutige Tradition hat.
57
Kütschük Kainardscha geschlossen. Jetzt drangen
die Russen zum ersten Mal in den Kaukasus vor,
und zwar bis Kutaissi und über Poti bis Akhaltsiche
- also fast bis unmittelbar an die heutige Grenze
zwischen Türkei und der Sowjetunion.
Der Vertrag von Kütschük Kainardscha lieferte den
Russen aber auch Kabartay in Transkaukasien aus
(an den Osthängen des Elbrus) und - wichtiger noch
als alle Gebietsgewinne - er übertrug den Russen ein
gewisses Mitspracherecht beim Schütze der
Christen des Osmanenreiches. Von diesem Zeitpunkt an strebte Rußland ständig nach Gebietserweiterung auf Kosten der Türken und Osmanen und zwar fast immer unter dem Vorwand, Christen
beschützen zu müssen.
1783 schloß Rußland mit den christlichen Georgierfürsten einen Schutzvertrag und gewann damit
weitgehend die Kontrolle über das alte „Iberien”.
1787 traf sich Kaiserin Katharina II. von Rußland mit
Kaiser Josef II. von Österreich auf der Halbinsel
Krim, in Cherson, und vom 14. Mai bis 13. Juni
verhandelten die beiden Monarchen über die
Aufteilung des Osmanenreiches. Das „Griechische
Project”, das da in Cherson, keine sechzig Kilometer vor Yalta, ausgehandelt wurde, sah die Gründung eines griechisch-orthodoxen Staates Dacien
vor und sollte Bes-sarabien, die Walachei und die
Moldau umfassen, was zunächst den Russen die
Gebiete westlich des Dnjepr sicherte und Österreich
den Einfluß auf dem Balkan. Für den Fall eines
Falles von Konstantinopel sollte ein neues Byzanz
gegründet werden. Kurz darauf erklärte das
Osmanenreich den Russen den Krieg, und abermals
kam es im Kaukasus zu Gefechten, allerdings zu
keinen Gebietsveränderungen.
1796 nahmen die Russen persische Versuche, verlorenes
Terrain zurückzugewinnen, zum Anlaß, in Kuba, Baku,
Derbent, Kirvan und Karabag aufzumarschieren.
1801 annektierten die Russen Georgien.
1812 erlangten die Russen nach dem Frieden von
Bukarest Kontrolle über das Becken von Riom,
westlich von Suram, im Kaukasus.
1813 okkupierten die Russen nach dem Frieden von Gulistan die persischen Gebiete am Kaspischen Meer (in
etwa noch der heutige russisch-iranische Grenzverlauf). Als Schah Abbas Mirza seine verlorenen
Gebiete zurückgewinnen wollte, heimste er bloß
eine neue, diesmal verheerende Niederlage ein.
1828 mußten die Perser im Vertrag von Türkmentschay
die Khanate von Eriwan und Nachitschewan (heute
eine Autonome SSR unmittelbar südöstlich vom
Ararat) an die Russen abtreten. Die damals gezogenen Grenzen bestehen bis heute. In diesem Kriege
beteiligten sich erstmals armenische Freiwillige in
größerer Zahl, ähnlich 1814-22.
Folgenschwer war die Tatsache, daß die Haik des
Gebietes um Eriwan nun statt unter iranischer unter58
russischer Herrschaft standen, und die Russen längst
erkannt hatten, zu welch nützlichen Werkzeugen
sich die Armenier mißbrauchen ließen. 1828 kam
auch Etschmiadsin, Sitz eines armenisch-orthodoxen Katholikos, unter russische Herrschaft.
In der Folge des Vertrages von Türkmentschay und
des für die Osmanen so unglücklich verlaufenden
Krieges mit den Griechen, Briten und Franzosen im
Westen drangen die Russen bis Erzurum vor.
1839 erhielten die Russen im Vertrag von Edirne die
Schwarzmeer-Festungen Poti und Anapa sowie
Achaltsik, Akhalkalak und Atschur, womit die heutige russisch-türkische Grenze erreicht war. Der
Kaukasus ging damit vollständig in russische
Hände.
Mit Abschluß des Friedensvertrages konnten die
Haik und die Moslems für Rußland oder das Osmanische Reich optieren. Mehr als 100.000 Armenier
verließen damals die Gegend bis Erzurum und gingen in das Gebiet der heutigen Sowjetrepublik
Armenien, während die überwiegende Zahl der
Moslems den Kaukasus verließ und nach Anatolien
zog. Bis zu diesem Zeitpunkt war Eriwan fast ausschließlich von Moslems bewohnt gewesen.
SIR AUSTEN HENRY LAYARD
British Ambassador at Istanbul
(1877-1880)
Nach dem Vertrag von Türkmentschay (1828; Türkmentschay liegt in Nordpersien am Urmiasee) hatte
der Zar aus den Khanaten Nachitschewan und
Erivan ein Armenien gegründet, alle Bewohner der
Region zu russischen Bürgern und sich selbst zum
„König von Armenien” erklärt - so wie er ja auch
den Titel eines „Königs von Polen” trug.
1849 wurde die Kaukasusregion in zwei Hälften geteilt,
schon
1854 wurde die Teilung aber wegen ständiger Unruhen
zurückgenommen, weil die Moslems sich mit der
Vorherrschaft der georgischen und armenischen
Christen in diesen Großzonen einfach nicht abfanden.
Fürst Worontsoff, der mit der Reorganisation dieses
Krisengebietes beauftragt wurde, splitterte die
Landschaft in zahlreiche kleine politische Bezirke
auf. Die Armenier bewohnten vor allem die Region
Tiflis; bald gingen sie auch in größerer Zahl in die
Region Eriwan.
1854 war auch das Jahr des Krimkrieges; er brach aus,
weil sich die Osmanen weigerten, ein allgemeines
russisches Protektorat über die Christen des Osmanenreiches anzuerkennen.
Ziel der Russen war es, das Osmanische Reich zu
Fall zu bringen - den „kranken Mann am Bosporus”
sterben zu lassen und selbst dort die Macht zu
ergreifen.
1854 fiel Kars nach heldenmütiger Verteidigung in russische Hände.
1856 beendete das „Protokoll von Wien” den Krimkrieg.
Der Friede von Paris - im gleichen Jahr - bedeutete
für das Osmanische Reich einen echten Erfolg,
erhielt es doch Kars zurück und außerdem fiel das
odiose „Protektorat” über die orthodoxen Christen
der Türkei (das wie eine Vorwegnahme der späteren
Breschnjew-Doktrin anmutet).
Vor allem England hatte sich geweigert, den russischen Teilungsplänen über das Osmanenreich zuzustimmen, weil es seine eigenen Interessen gefährdet
sah. Schon zwanzig Jahre später sollte Rußland
abermals versuchen, das Osmanenreich in die Knie
zu zwingen.
1863 erschien ein „Reglement de la nation armenienne”,
das zwar nichts an der Stellung der Armenier innerhalb des Osmanenreiches änderte, aber - auf Grund
der Wünsche der Vertreter der armenischen Minderheit - die Rechte des Patriarchen entscheidend
schmälerte. Neben dem katholischen und dem protestantischen „Millet”, die die Macht des Patriarchen schon beschnitten, mischten nun auch die politischen Repräsentanten der Armenier mit, und alle
miteinander kämpften sie um die Vormacht innerhalb der armenischen Volksgruppe - zum Schaden
der Armenier, zum alleinigen Vorteil der Radikalen.
Einsichtigen Armeniern war schon damals klar, daß
es verheerende Folgen für ihre Volksgruppe haben
Der für das Osmanenreich verheerende russische Sieg im Krieg
von 1878/79 brachte auch eine Katastrophe für die Balkan-Türken. Auf dem Boden des neu entstehenden Fürstentums Bulgarien wurden innerhalb weniger Tage 400000 islamische Türken
niedergemetzelt, mehr als eine Million türkischer Flüchtlinge
suchte in Istanbul Zuflucht. Verzweifelt versuchten die Flüchtlinge, den im Çiragan-Palast internierten, abgesetzten Sultan
Murad zu befreien, von dem sie sich eine Wende des Kriegsverlaufes erhofften; die Bewacher richteten unter den Aufständischen ein Blutbad an (Zeichnung aus der VSEMIRNAJA
ILLU-STRATIJA, St. Petersburg, 24. Mai 1878). Für die
osmanischen Flüchtlinge setzte sich keine der Mächte ein, die
Massenmorde blieben ungesühnt.
Eines der Meisterwerke osmanisch-armenischer Baukunst,
selbst als Ruine noch bezaubernd schön: die Überreste des von
Nigo-gosch Balyan errichteten Ciragan-Palastes am Bosporus,
in dem Sultan Murad V. seine Verbannungsjahre verbrachte.
müsse, wenn die alten, seit der Krimkonferenz zwischen Josef II. und Katharina II. nie vergessenen
Pläne, ein griechisch-orthodoxes Byzanz unter russischem Protektorat zu errichten, wahr würden - das
konnte nur neue Versuche der griechisch- (oder russisch-)orthodoxen Kirche zeitigen, die Armenier
voll unter ihre Herrschaft zu bringen.
Schon die russische Herrschaft über den Kaukasus
hatte klar gezeigt, daß der Zar nicht im Traume
59
Schloß Beylerbey am Bosporus, ein Meisterwerk des
osmanisch-armenischen Architekten Agop Bey Balyan,
war Schauplatz einer Begegnung zwischen Sultan Abdul
Hamid und dem russischen Großfürsten Nikolaus. In der
Stunde äußerster Bedrängnis des Osmanenreiches liefen
die Armenier, bisher das treue Millet, trotz ihrer
Beteuerungen der Anhänglichkeit zu Beginn des Krieges,
zu den Russen über und versuchten, die Gunst der Stunde
zu nützen. Die Osmanen haben diesen Treuebruch nie
vergessen, das armenisch-osmanische Verhältnis gestaltete
sich von da an immer schwieriger.
daran dachte, den Armeniern besondere Rechte oder gar
(die von manchen erhoffte) Unabhängigkeit zu gewähren
- das hätte bloß die anderen, von den Russen gleichfalls
unterworfene Völker auf ähnliche Unabhängigkeitsgedanken gebracht. Tatsache ist, daß bis 1870 die Armenier
in der internationalen Politik noch kaum irgendeine Bedeutung hatten. Das Unheil bereitete sich langsam, fast
unmerklich vor.
1876 lehnte es eine in Istanbul versammelte Botschafterkonferenz der Großmächte einfach ab, auf eine
Demarche des armenischen Patriarchen auch nur inetwa
einzugehen. Die einzigen, die bis dahin Interesse an den
Armeniern gehabt hatten, waren die Russen, die bei ihren
Gebietseroberungen im Ostendie armenische Minderheit
gut gebrauchen konnten, gelegentlich auch als
Henkersknechte, die unter den Moslems Angst und
Schrecken verbreiteten, ohne daß sie sich selber die
Hände schmutzig machen mußten (so bei der Eroberung
Erzurums im Jahre 1839; als die Armenier unter den
Moslems ein Massaker anrichteten).
1877 zeichnete sich immer deutlicher ab, daß die Russen, nachdem der Balkan bereits vergeben war, auf der Achse
Erzurum - Alexandrette (heute Iskenderun) in Richtung
Mittelmeer vorstoßen wollten.
60
Jetzt gewannen die Armenier erst ihre richtige
Bedeutung für Rußland; sie sollten als 5. Kolonne dienen.
Dazu nützte Rußland nicht nur den armenischen Klerus
aus, sondern mehr und mehr auch die Kader der revolutionären Armenier.
Zur gleichen Zeit regte sich auch das Interesse der
Engländer an den Armeniern. Es tauchte der Gedanke
eines armenischen Pufferstaates auf, der im Falle eines
Zusammenbruches des Osmanischen Reiches als
Prellbock zwischen den Großmächten dienen könnte.
1877 24. April: Der kürzeste, aber für die Osmanen verheerendste Krieg mit Rußland beginnt. Für die Türken ist
auch heute noch „die Katastrophe von zwölfhundertdreiundneunzig” (1293 nach osmanischer
Zeitrechnung) sprichwörtlich.
Von Beginn an waren die Russen an der Ostfront im
Vorteil. Am 18. November fiel Kars. Die Russen standen
unter dem Kommando des armenischen Generals Loris
Melikof. Erzurum hielt wohl allen russischen Angriffen
stand, aber an der Balkanfront erlitten die Türken bei
Plevna eine verheerende Niederlage.
1878 31. Jänner: Waffenstillstand von Edirne. Das Schicksal
des Osmanischen Reiches scheint besiegelt zu
sein. Nichts kann die Russen aufhalten, nach Konstantinopel zu marschieren.
Doch zunächst nehmen die Vertreter der Armenier mit
den Russen Kontakt in Edirne auf. Noch zu Beginn des
Krieges hatten sie sich einmütig hinter ihr osmanisches
Vaterland gestellt, jetzt, nach der Katastrophe von Plevna,
schwenkte das gesamte armenische Lager auf die russische Linie um.
Erste Kontakte fanden schon in Edirne statt. Ob und wie
sich Patriarch und Katholikos in das Szenario einschalteten, scheint umstritten; das Ergebnis der Interventionen
war jedenfalls, daß sich Rußland im Friedensdiktat von
San Stefano ausdrücklich (wenn auch sehr unverbindlich,
denn schließlich wollte man den eigenen, den russischen
Armeniern ja auch keineswegs Unabhängigkeit
gewähren) für die Armenier verwendete.
Im Artikel 16 des Vertrages von San Stefano (Yesil-köy)
heißt es: „. . . la Sublime Porte s’engage ä rea-liser sans
plus de retard les ameliorations et les reformes exigees
par les besoins locaux dans les pro-vinces habitees par les
Armeniens et ä garantir leur securite contre les Kurdes et
les Circassiens”.
Dieser an sich völlig nichtssagende Vertragspunkt, der
bloß verlangte, daß die Osmanen für die Sicherheit ihrer
armenischen Bürger vor kurdischen und tscherkessischen
Überfällen sorgen sollten, bedeutete doch einen
Wendepunkt; zum ersten Mal waren damit die Armenier
in einem internationalen Vertragswerk, wenngleich einem
Diktat, erwähnt worden. Die Armenier wußten das richtig
zu schätzen, so nichtssagend ihre Nennung auch sein
mochte (die Russen wußten, warum).
Nur zu bald schon sollte sich herausstellen, daß der
„Friedensvertrag” von San Stefano bloß sehr vorläufigen Charakter hatte; sowohl England als auch
Österreich lehnten ihn ab. Schließlich wurde Fürst
Bismarcks Vorschlag angenommen, in Berlin einen
Kongreß einzuberufen, der die Osmanische Frage
regeln sollte.
Die Vertreter der Mächte tagten in Berlin vom 13.
Juni bis zum 13. Juli 1878. Außer den beiden
Reichskanzlern Gortschakow und Fürst Bismarck
weilten für Österreich-Ungarn Graf Andrassy, Lord
Beaconsfield für Großbritannien, Waddington für
Frankreich, Corti für Italien, Karatheodori und
Meh-med Ali für das Osmanische Reich in der
neuen deutschen Reichshauptstadt, und einziger
Zweck des Kongresses war, das Diktat von San
Stefano der für die Osmanen allzu drückenden
Bestimmungen zu entkleiden - was auch geschah.
Vergeblich war eine starke armenische Delegation
unter der Führung von Prälat Khrimian - ein früherer armenisch-orthodoxer Patriarch - nach Berlin
gereist. Längst war allgemein bekannt, daß die
Armenier nirgendwo in Anatolien auch nur im entferntesten über eine Mehrheit verfügten; niemand
wollte einer Minderheit, die einzig und allein in Van
selbst über ein Drittel des Bevölkerungsanteils verfügte, auch nur eine Autonomie zubilligen - auf
Grund welcher Tatsache hätte man das gemacht?
Am 8. Juli 1878 nahm der Kongreß - anstelle des
Artikels 16 von San Stefano - den „Artikel 61” an,
der im wesentlichen jenem von San Stefano entsprach, und auch Artikel 62 bezog sich auf Religionsfreiheit. Doch von einer Autonomie war nirgendwo die Rede; dafür war das armenische millet
einfach zu schwach.
Das 19. Jahrhundert war ein Jahrhundert des Triumphes der Nationalstaaten - aber auch der demokratischen Mehrheit geworden.. Bulgarien, Serbien,
Griechenland, Rumänien, alle wurden unabhängig,
überall aber verfügte die Nation auch über eine
solide Mehrheit.
Mit den Armeniern verhielt sich das ganz anders. In
den von ihnen beanspruchten riesigen Gebieten
mochte vor fast 2000 Jahren, unter völlig anderen
Bedingungen, tatsächlich einmal ein armenischer
König über ein armenisches Reich regiert haben.
Aber das 19. Jahrhundert verlangte nach Mehrheiten
- und die gab es ausschließlich für Moslems, und
zwar in allen Teilen Anatoliens.
Unter diesen Umständen griffen armenische Kreise,
die sich mit den Tatsachen nicht abfinden konnten,
Gruppen von Revolutionären, Klerikern, Intellektuellen, aufgehetzt hauptsächlich von Rußland, zum
Teil aber auch von Missionaren, zu immer kühneren, immer abenteuerlicheren Methoden, um Aufmerksamkeit zu erregen und irgendwann doch einmal Herrschaft über die Mehrheit zu erringen.
Die Selimie von Edirne, ein Meisterwerk des Mimar Sinan. In
Edirne trafen im Jahre 1878 Vertreter des armenischen Patriarchen Khrimian von Istanbul mit den siegreichen Russen zusammen. Dies empfanden die Osmanen als schändlichen Verrat.
61
Bismarcks Deutschland und Kaiser Franz Josephs ÖsterreichUngarn vereitelten gemeinsam mit Großbritannien die Pläne
des Zaren, die im Diktat von San Stefano eingeleitete
Liquidation des Osmanenreiches zu vollziehen.
Bild: Die prachtvolle Sommerresidenz des österreichischungarischen Botschafters am Bosporus; heute von der österreichischen Regierung dem Verfall preisgegeben.
62
Sir A. H. Layard an den Marquis von Salisbury No.
211. Vertraulich.
Konstantinopel, 17. Februar 1880
(In London eingelangt am 26. Februar 1880)
My Lord,
der gregorianische Patriarch, Mgr. Narses, beschwert
sich bei mir ständig über die schlechte Behandlung und
die Ungerechtigkeit, denen die Armenier Kleinasiens
ausgesetzt seien, und fordert mich auf, für sie eine
Verwaltungsreform und Wiedergutmachung zu
erwirken. Ähnliche Beschwerden bringt er bei der
Deutschen Botschaft vor, und zweifellos auch bei
anderen Botschaften. Ich wünschte daraufhin, mehr
Informationen zu erhalten und schickte Sir. A. Sandison
zu Seiner Seligkeit, um genaueres über die
Forderungen der armenischen Bevölkerung zu
erfahren, seine Ansichten genauer kennenzulernen,
sofern sie eine Verbesserung der Lage der Armenier
betreffen, damit ich bei der Hohen Pforte mit einiger
Aussicht auf Erfolg vorsprechen könne. Ich dachte, das
sei eine günstige Gelegenheit, Eurer Lordschaft Anweisung, wie in dem Brief No. 79 ausgedrückt, Geheim
und Höchst vertraulich, vom 2. dieses Monats, worin es
heißt, gemeinsam mit dem deutschen Geschäftsträger
in der armenischen Frage vorzugehen.
Über meinen Vorschlag zeigte sich Graf Radolinski
(der deutsche Geschäftsträger) sofort damit einverstanden, daß Herr M. Testa, erster Dolmetsch an der
Deutschen Botschaft, Sir. A. Sandison bei seinem
Besuch bei Mgr. Narses begleiten solle.
Ich habe die Ehre, ein Memorandum von Sir Alfred als
Ergebnis dieses Besuches beizuschließen; es ist das
Ergebnis des Besuches bei Seiner Seligkeit, und Eure
Lordschaft werden es mit Interesse lesen.
Ich habe bereits meine Ansicht ausgedrückt, daß man
von der Pforte nicht verlangen kann, stets einen
Armenier als Gouverneur der Provinz Erzurum zu ernennen. Das währen der erste Schritt in eine Autonomie, der
die türkische Regierung nicht zustimmen kann. Darüber
hinaus haben die Armenier, wie mir scheint, kein Recht,
auf dieser Bedingung zu bestehen. Das Verlangen, daß
diese Stelle für Christen wie für Moslems offen stehen
sollte, ist eine andere Sache und wäre vertretbar. Dem
wurde auch grundsätzlich kürzlich von Rüstem Pascha
zugestimmt, der aber leider wegen seines schlechten
Gesundheitszustandes zurücktreten mußte.
Es ist unwahrscheinlich, daß die Hohe Pforte irgendeinem Vorschlag zur Schaffung einer Armenischen
Autonomen Provinz Gehör schenken würde, noch - ich
bin davon überzeugt - liegt es im wahren Interesse der
Armenier, daß sie so eine Absicht durchsetzen sollten.
Wenn die Armenier auf Ost-Rumelien hinweisen, um
einen Prä-sidenzfall für ihr Verlangen vorzubringen,
scheinen sie zu vergessen, daß in jener Provinz die
Christen über eine beträchtliche Mehrheit gegenüber
isalmischen Bevölkerung verfügten.
Das Gegenteil ist in so gut wie allen Teilen der
Asiatischen Türkei der Fall.
Jeder Versuch der Armenier, Autonomie zu erlangen,
die ja, in dem Sinne, den die Armenier der Autonomie
zugrundelegen,
unweigerlich
ausschließliche
Herrschaft der Christen und christliche Verwaltung
bedeutet, würde den Widerstand der Moslems bis zum
letzten hervorrufen. Sie kennen heute das Schicksal,
das ihren islamischen Brüdern in Rumelien und
Bulgarien widerfahren ist.
Die Folge wäre, mit höchster Wahrscheinlichkeit,
blutiger Kampf, wenn nicht gar ein allgemeines
Armeniermassaker, dem nur mit Hilfe einer
bewaffneten Intervention von seifen Rußlands ein Ende
gemacht werden könnte, die aller Wahrscheinlichkeit
nach mit dem Aufgehen der Armenier in russischem
Herrschaftsgebiet enden würde, mit dem Verlust ihrer
Nationalität, ist Rußland doch noch weniger als die
Türkei geneigt, armenische Autonomie zu fördern oder
gar letztliche Unabhängigkeit.
(Der Rest des Briefes berichtet über die Ablehnung
britischer Konsularberichte über die Zustände in
Anatolien, die größtenteils, nach Meinung der Pforte,
von Patriarch Narses inspiriert seien.)
Schlußformel
A. H. Layard (m. p.)
F. O. 424/106, p. 174-175, No. 81
Sir. H. Elliot an den Earl of Derby
No. 1337
Constantinopel, 7. 12. 1876
(In London eingelangt am 15. Dezember
1876)
My Lord,
der armenische Patriarch suchte mich gestern auf.
Gegenstand seines Besuches war es, im Namen der
christlichen Gemeinde, deren Oberhaupt er ist, die
Hoffnung auszudrücken, die Botschafterkonferenz
werde nicht darauf bestehen, daß nur jenen Provinzen
von der Hohen Pforte Zugeständnisse gemacht werden,
die sich gegen die Regierung erhoben hatten, sondern
auch jenen, die ruhig geblieben waren.
Ich antwortete zurückhaltend, und erklärte, die Konferenz befasse sich mit dem Ziel, in den Provinzen wieder
Ruhe herzustellen, wo ein Aufstand den allgemeinen
Frieden bedroht hatte, und daß sie sich nicht zur
Aufgabe gestellt hatte, sich mit der Frage der
Verwaltung des Osmanischen Reiches als ganzes zu
befassen. Der Patriarch antwortete, daß seine Leute
sehr erregt seien, und sagte, für den Fall, daß es
notwendig ist, sich zum Aufstand zu erheben, um die
Sympathie der europäischen Mächte zu erringen, gibt
es keine Schwierigkeiten, so eine Bewegung ins Leben
zu rufen.
(Der Rest des Briefes beschäftigt sich mit tscherkessischen Flüchtlingen, die aus Europa nach Asien übersiedeln mußten.)
Schlußformel
Henry Elliot (handschriftlich)
F. O. 424/46, p. 205-206, N. 336
Patriarch Mygirditsch Khrimian (1869-1874) war der Führer
einer armenischen Delegation, die mehrere europäische
Hauptstädte besuchte, um bei den Mächten ein „autonomes”
Armenien durchzusetzen. Am Vorabend des Berliner Kongresses
überreichte Prälat Khrimian dem Kongreß ein in diesem Sinne
gehaltenes Schreiben. Nach seiner Rückkehr forderte Prälat
Khrimian die Armenier indirekt zur Gewalt auf, indem er allegorisch feststellte, die Balkanvölker hätten sich ihre Ration
Freiheit „mit dem eisernen Löffel geholt”, während die
Armenier mit Papierlöffeln speisten. Die Folge war eine ganze
Kette von blutigen Aufständen der armenischen Minderheit, die
die Beschlüsse des Berliner Kongresses einfach nicht zur
Kenntnis nehmen wollte.
Patriarch Nerses II. Vartabejian, Armenischer Patriarch von
Istanbul (1874-1884), schrieb am 13. April 1877 an Lord
Salisbury, daß „coexistence” zwischen Armeniern und Türken
„impossible” sei, und der einzige Ausweg aus der Unruhe in der
Schaffung einer „autonomen christlichen Organisation” (also
eines christlichen Staates) nach „libanesischem Vorbild” bestünde.
«Une autorite Chretienne . . . doit donc remplacer l’autorite
Musulmane partout oü il y a agglomeration des Chretiens . . .»
Selbst der Patriarch wagt es nicht, von einer christlichen Mehrheit in Ost- oder Südanatolien zu schreiben; er wählt das Wort
„agglomeration”, die vielleicht in einigen Straßenzügen oder
besseren Wohnvierteln ostanatolischer Städte bestanden hat,
nicht aber in auch nur einer einzigen Stadt (Briefzitat aus F. O.
424/70, pp 70-72, No. 134/1).
63
Brief aus dem Britischen Außenministerium an den
Botschafter ihrer Majestät in Konstantinopel
Der Marquis von Salisbury an Mr. Layard
London, Foreign Office, 30. May 1878
Berliner Kongreß: Die überragende Persönlichkeit Bismarcks
steht im Mittelpunkt. Für das Osmanische Reich werden ehrenvolle, erträgliche Bedingungen ausgehandelt; die Armenische
Frage wird keineswegs im Sinne der armenischen Minderheit
gelöst, bleibt aber ein Anlaß und Hebelpunkt für ausländische
Einmischung.
Großfürst Nikolai trifft den Sultan in Beylerbey, wo der Kalif
mit Mühe und Not eine Besetzung Istanbuls durch die Russen
in zähen Verhandlungen zu verhindern weiß.
Guten Appetit!
Im Jahre 1879 tauchten Gerüchte über einen bevorstehenden
Krieg mit Burma auf. Die Macht des Britischen Weltreiches
näherte sich seinem absoluten Höhepunkt, nichts schien so
wichtig wie die Sicherung des indischen Kolonialbesitzes, der
Burma genauso zum Opfer fiel wie Zypern oder das
Osmanenreich überhaupt; die Armenische Frage bildete dabei
bloß einen billigen Vorwand, in der Türkei mitmischen zu können, ohne daß das geringste Interesse an den wahren
Lebensbedürfnissen der armenischen Minderheit bestanden
hätte. Rumelien, Zypern, Burma, Afghanistan oder die Türkei
hatten dabei keinen anderen Stellenwert als die Frage der
Armenier oder des Zululandes . . .
64
Sir,
der Fortschritt bei den Geheimverhandlungen, die seit
einiger Zeit zwischen Ihrer Majestät Regierung und
der Russischen Regierung laufen, macht es
wahrscheinlich, daß jene Artikel des Vertrages von San
Stefano, die die Europäische Türkei betreffen, ausreichend abgeändert werden, um sie in Harmonie mit den
Interessen der europäischen Mächte zu bringen, besonders jene Englands.
Allerdings gibt es hinsichtlich der asiatischen Türkei
keine derartigen Aussichten hinsichtlich einer Revision
des Vertrages von San Stefano. Es ist offenkundig, daß
bezüglich Batum und der Festungen nördlich des
Araxes die Russen von keinem der Zugeständnisse
lassen werden, die ihnen die Pforte machte.
(Der sehr ausführliche Brief setzt sich im Anschluß
daran mit der Tatsache auseinander, daß die Russen
von nun an Batum, Ardahan und vor allem die Festung
Kars dazu benützen werden, „um die asiatischen
Besitzungen der Pforte in seine Bestandteile
aufzulösen”.)
Der überraschende, wahrhaft imperialistische Schluß
aus den russischen Expansionsbestrebungen lautet so:
Ich fordere Eure Exzellenz daher auf, der Hohen Pforte
vorzuschlagen, einer Abmachung mit nachfolgendem
Ergebnis zuzustimmen, und ich übertrage Ihnen hiermit volle Autorität, diesen Vertrag namens der Königin
und Ihrer Majestät Regierung abzuschließen:
„Wenn Batum, Ardahan, Kars, oder eine dieser Städte
von Rußland einbehalten werden, oder wenn die
Russen noch irgendeinen Versuch unternehmen, irgend
eine andere Besitzung des Sultans in Asien zu besetzen, die ihm im endgültigen Friedensvertrag zugesprochen wird, verpflichtet sich England, dem Sultan
mit Waffengewalt beizustehen.
Als Gegenleistung verspricht der Sultan England die
notwendigen Reformen einzuleiten (die später zwischen den beiden Mächten ausgehandelt werden),
sofern sie Christen und andere Bürger betreffen, und
der Sultan stimmt darüber hinaus zu, um England die
notwendigen Voraussetzungen für die Durchführung
seines Engagements zu verschaffen, die Insel Zypern
durch England besetzen und verwalten zu lassen.” I
am, (Schlußformel)
SALISBURY (m. p.)
Turkey, No. 36, (1878), p. 1-2, No. 1
Der Nationalismus greift von den Kirchen auf profane
Organisationen über
Armenakan, Hintschaks und Daschnaksutiun:
Revolutionäre Parteien, Terror als Methode
Die erste politische Partei der armenischen Minderheit,
die eine gewisse Bedeutung erlangte und, nach europäischem Vorbild organisiert, auch über eine eigene Publikation verfügte, war die „Armenakan Partei”, im Herbst des
Jahres 1885 in Van gegründet.
Der führende Kopf dieser durch und durch revolutionären
Bewegung war der Sohn eines steinreichen armenischen
Bankiers aus Konstantinopel und hieß Mekeritsch
Portukalian. Nach zahlreichen Schwierigkeiten mit
seinen Schulgründungen in Van emigrierte er nach
Marseille, von wo aus er seine Armenierpartei fortan
dirigierte. In Marseille brachte er auch eine Zeitschrift
heraus, Arme-nia, und seine Zielsetzung, die in Europa
verstreut lebenden Armenier für die Gründung eines
Armenierstaates (wenngleich aus der Ferne!) zu begeistern, fand Widerhall in der Gründung einer „Armenischen
Patriotischen Gesellschaft”, die fortan viel Geld sammelte und folgerichtig Waffen und Munition kaufte.
Ihr Ziel war die „Erringung der Selbstregierung durch
Revolution”, und die Mitglieder der Armenakan wurden
in Van und Umgebung mit den modernsten Waffen ausgerüstet, in der Kunst der Guerilla und der „Ausrichtung
des Volkes der Armenier auf eine allgemeine Erhebung”
mit Berücksichtigung der Unterstützung „durch befreundete Großmächte” abgerichtet. Die Armenakans verfügten bald über revolutionäre Zellen in Trapezunt und Konstantinopel sowie Kader in Rußland, Persien und in den
USA.
Nach dem Zeugnis des armenierfreundlichen Historikers
Christopher J. Walker verlor sich die lichtvolle Entwicklung unter Portukalian alsbald in „sterile brutality” der
armenischen Terrorszene.
Im Jahre 1887 gründeten Armenier in Genf die erste
betont marxistische Partei, deren Symbol die Glocke war
(hnschak = Glocke). Die Hintschaks rekrutierten sich fast
ausschließlich aus russischen Armeniern und zeichneten
sich durch den besonders militant-revolutionären Geist
des Dunstkreises um den Kaukasus aus (auch der junge
Dschugaschwili, Vulgo Stalin, kam aus dieser Welt). Das
Parteiorgan hieß Huntschak, und im Jahre 1890 nahm die
Gruppe den Namen „Revolutionäre Partei der Huntschakian” an - kurz Huntschaks genannt. Führer war der
fanatische Revolutionär Avetis Nasarbekian, ein „sehr
hübscher, dunkelhaariger, orientalisch wirkender junger
Mann, der vorzüglich Violine spielte” und „revolutionären Terror” als natürliche Folge der Ablehnung „kapitalistischer” Gesetzgebung ansah.
Die „Föderation Armenischer Revolutionäre” schließlich,
die „Hai Hegapokhakanneri Daschnaksutiun”, entstand
Theatervorhang einer armenischen Schule in Ostanatolien mit
einer Darstellung der revolutionären Hintschakisten Habete
Tevekelian und Kalust Andrassian. Terroristen dieser Gattung
bereiteten die groß angelegte und von langer Hand geplante
„Erhebung von Van” vor, die wieder einmal die Weltöffentlichkeit wegen der „Greueltaten der Türken” aufrütteln sollte.
Zu diesem Zwecke brauchte man auch Geld, viel Geld, und das
sollte auch der Abt des Klosters Ahtamar im Vansee beisteuern.
Als er es ablehnte, den Terroristen Tribut zu leisten, weil er
fand, die Armenier führten im Osmanenreich ein gutes Leben,
wurde er - so wie sein Sekretär - ermordet und die viergeteilten
Leichen warfen die Terroristen in den See. Der Nachfolger des
Abtes Boghos zahlte dann willig die geforderte Summe.
Ein Jahr darauf, im Juni 1896, brach dann die Revolte von Van
aus, ein blutiges Vorspiel zu der Tragödie des Frühjahrs 1915,
als die Terroristen die gesamte Bevölkerung der islamischen
Stadtviertel von Van auslöschten.
65
als Folge der Notwendigkeit, all die großen und kleinen
Terrorgruppen und revolutionären Zellen unter eine
Dachorganisation zu stellen. Ziel der Organisation war
(und ist) es, die Unabhängigkeit ihres Armeniens durch
einen Volkskrieg zu erringen. Da alsbald wieder mehrere
Gruppen dieses gemeinsame Dach mieden, änderten die
Daschnaks ihren Namen in „Hai Hegapokhakan
Daschnaksutiun” - „Armenische Revolutions-Föderation”, eine Bezeichnung, die von den Daschnaks noch
heute geführt wird. So wie im 19. Jahrhundert manche
protestantisch-armenische Pastoren erbittert mit den gregorianischen Priestern um die Palme kämpften, wer denn
der „bessere” nationalistische Hirte sei, rivalisieren die
beiden politischen Gruppen der Daschnaks und Hintschaks im Wettstreit um die Gunst der Armenier; die
Hintschaks legen mehr Wert auf ihre sozialistische, die
Daschnaks mehr auf ihre nationalistische Gesinnung, in
der Mischung aber ergeben sie haargenau jenes national-
Das Banner der Daschnaksutiun mit den beiden Aufschriften
„Revolutionäres Komitee der armenischen Daschnaksutiun”
und „Freiheit oder Tod”. Schwer bewaffnete Daschnakisten
kommen vom Ararat her, und die explodierende Bombe im
Vordergrund symbolisiert die Arbeit der Revolutionsgruppen
im Osmanen-reich. Das Blatt erschien im Jahr 1909 in Genf.
66
sozialistische Zerrbild einer fanatischen Weltanschauung
wie andere Gruppierungen aus diesem gedanklichen
Dunstkreis auch.
Besonders die Daschnaks nützten und nützen brutalen
Terror als politisches Mittel zum Zweck; zahlreiche
Anschläge, bis in jüngste Zeit, gehen auf ihr Konto; die
Finanzierung ihrer Tätigkeit erfolgt meistens mit Hilfe
der Einschüchterung und Erpressung.
21. Juli 1905: Das „Yildiz-Attentat” auf Sultan Abdul Hamid.
Eines der grausamsten Attentate des Aktionskomitees der
Daschnak-Organisation war der Anschlag auf Sultan
Abdul Hamid. Der armenische Politiker K. Papasian,
Autor des Buches „Patriotism Perverted” (Boston, 1934)
bemerkt dazu, „der Mordversuch an Sultan Abdülhamid
sei einer der letzten Versuche der revolutionären Armenier im Namen der Daschnakisten” gewesen, mit Hilfe
eines Attentats politische Ziele zu erreichen; da es fehlschlug, habe es nur unangenehme Folgen gebracht. Die
Bomben waren zu früh explodiert, da sich der Sultan nach
dem Besuch der Yildiz-Moschee zu lange mit dem
Scheich ul Islam unterhalten hatte. Der Sultan pardonierte die Attentäter vergeblich; fortan verlegten sich
die Unruhestifter auf das Anzetteln möglichst groß
angelegter Aufstände, um die Aufmerksamkeit Europas
zu erwecken.
Die Bab Ali-Demonstration, die Hintschakisten und die Kusaktsakan
Am 30. September 1895 organisierte die HintschakistenPartei eine spektakuläre Demonstration unmittelbar im
Bannkreis der Hohen Pforte (Bab Ali). Die Revolutionäre
Hintschak-Partei hatte sich dabei etwas Besonderes ausgedacht, was seine Wirkung auch nicht verfehlte: die
Hintschakisten sandten schon im voraus einen Brief an
alle Botschaften in Istanbul, in dem sie die friedliche
Demonstration ankündigten und gleichzeitig jeden
Gewaltakt als ein Werk der Ordnungskräfte denunzierten.
Allen Beteiligten war aber bekannt, daß ein besonders
radikaler Parteiflügel Ausschreitungen kalkuliert einplante.
Viele Demonstranten erschienen schwer bewaffnet, um
den 30. September zu einem denkwürdigen Tag zu gestalten. Gegen Mittag hatten sich bereits 2000 am Kum Kapi,
dem armenischen Patriarchat, versammelt. Maßlose Forderungen wurden laut, und einer der Rädelsführer des
Sassun-Auf Standes schrie schließlich „Freiheit oder
Tod!” in die Menge, die sich daraufhin in Richtung Bab
Ali wälzte. Unterwegs wurde ein Polizeioffizier umgebracht-und damit erreichten die Organisatoren endlich,
was sie von Anfang an geplant hatten, nämlich auch die
Ordnungskräfte zur Gewalt zu provozieren. Drei Tage
lang hielten die Unruhen die Hauptstadt in Atem; am 3.
Oktober erwischte es sogar noch Murad (Hampartsum
Boya-dschian), gleichfalls ein professioneller Aufwiegler
der Sassun-Revolte, der leicht verwundet wurde. Der
Sultan persönlich bat den Patriarchen um Vermittlung
und Wiederherstellung der Ordnung, vergeblich; die
Parteigrößen der Hintschakisten wollten das Chaos.
Schließlich fanden doch auch die (erwarteten) Racheaktionen der moslemischen Bevölkerung statt, und wie
immer in solchen Fällen, erwischte es hauptsächlich
Unschuldige, die mit den Unruhestiftern nichts zu tun
gehabt hatten; aber das war ja, wie in Sassun oder Zeitun,
beabsichtigt.
Am 10. Oktober verließen die letzten Armenier ihre Kirchen, in denen sie Asyl gefunden hatten, und jeder, der
wollte, konnte sich unter den persönlichen Schutz des
russischen Botschafters stellen. Botschafter Newilow
wußte, wem er zu helfen hatte, wurden doch bei mehreren hundert Demonstranten Waffen gefunden. In der
Folge der Bab Ali-Demonstration tauchte ein neues Wort
auf, kusaktsakan. Kusaktsakan war ein besonders treuer
Parteigänger der Hintschakisten, einer, der nicht fragte,
warum die Partei etwas befohlen hatte, sondern nur den
Befehlen gehorchte. In Rußland sollten diese Typen
später den Namen Apparatschik bekommen.
Eine Selbstdarstellung der Hintschakisten, der marxistischrevolutionären Organisation, anläßlich ihres 20jährigen
Bestehens, um das Symbol der Glocke schart sich ein
Erinnerungsbogen von besonders blutigen stets von Hintschaks
oder ihren geistigen Vätern hervorgerufenen Unruhen.
Armenier-Unruhen in Istanbul, 1896: Der Aufruhr folgte einem
stets gleichbleibendem Grundkonzept. Zunächst wurde irgendwo
in der Stadt, sei es in der Osmanischen Bank, vor dem
Sultanspalast oder in der Nähe des Patriarchensitzes, ein Anschlag
verübt, zu dem nach Tunlichkeit bereits europäische
Berichterstatter eingeladen waren. Die Unruhestifter mußten, teils
auf ausländischen Druck, teils wegen der Hoffnung der Hohen
Pforte, Begnadigung wirke beruhigend, fast immer wieder freigelassen werden (daher finden sich die gleichen Rädelsführer bei
zahllosen Attentaten wieder), was mitunter die Volkswut so
erregte, daß d is von den Revolutionären erstrebte Ziel, nämlich
Armenierunruhen mit Toten oder Verletzten, über die wieder weltweit berichtet werden konnte, tatsächlich eintrat.
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Artikel über die Ereignisse von Sassun, daß selbst ein
Christopher Walker in seinem Werk „Armenia - The Survival of a Nation” von „rather imprecise details” spricht.
Doch wen scherte das schon? Die Weltpresse griff den
Bericht Hagopians auf und alle Welt entsetzte sich über
die Niederschlagung von Aufständen, die schon damals
bürgerkriegsähnliche Formen annahmen, Aufständen, die
von Unbewaffneten kamen. Damals gewöhnte sich die
Weltöffentlichkeit auch an jene absolut unsinnigen Verlustzahlen, wie sie in der Bildunterschrift erschienen:
„50.000 Tote oder mehr”. Die Leser nahmen diese
Unsinnszahlen genau so kritiklos hin wie heute die
Berichte von zweieinhalb Millionen toten Armeniern
während des Ersten Weltkrieges; nach den islamischen
Opfern zu fragen war schon zur Zeit des Erscheinens von
„Turkey and the Armenian Atrocities” uninteressant.
Eine Illustration aus dem Buch „Turkey and the Armenian Atrocities”, das 1896 in den USA erschien: „Abschlachtung von
Armeniern in Sassun. Das ist ein wahres Bild des Abschlachtens
von Unschuldigen, das die grausamen (auch: verdammten)
Kurden und in Wut gebrachten Soldaten an den unbewaffneten
und unschuldigen Armeniern verübten. Die Schlächterei lief in
ein Gemetzel von 50.000 oder mehr Menschen aus. Hunderttausende wurden durch Plünderung und Brandstiftung mittel- und
obdachlos.”
Die Ereignisse von Sassun sind nun wahrlich BilderbuchIllustrationen, allerdings nicht zur Mordlust der Kurden
oder der „in Wut gebrachten Soldaten”, sondern zur
Technik des Unruhestiftens, die nur einen einzigen
Zweck hat: den politischen Gegner zu Maßnahmen zu
zwingen, mit deren Hilfe es der Minderheit gelingen soll,
sich in den Schlagzeilen der internationalen Presse als
verfolgtes Opfer auszugeben; daß bei den Unruhen tatsächlich zahlreiche Unschuldige ums Leben kamen,
störte die Drahtzieher am allerwenigsten. Die gehörten
übrigens zur Partei der Hintschak.
In jedem Handbuch armenischer Geschichte sind die
Namen der Helden nachzulesen, die unter der Bevölkerung von Sassun zum Aufstand hetzten: es waren Miran
Damadian und Hampartsum Boyadschian, beide bereits
erfahrene Unruhestifter, ging doch die Revolte von Kum
Kapu (April 1890) auch auf ihr Konto. Mihran Damadian
hatte nach seiner Flucht aus Konstantinopel in Athen
antitürkische Demonstrationen angezettelt, und Boyadschian, der sich als islamischer Scheich verkleidet hatte,
kam aus dem Kaukasus nach Sassun; wohlversorgt mit
Geld, wodurch der Ankauf von Waffen kein Problem
mehr darstellte.
Wie unbewaffnet die Aufständischen waren, geht allein
aus der Tatsache hervor, daß die angreifenden Kurden 12
Tage wilder Schlacht bedurften, um eine einzige Stellung
der Armenier einzunehmen.
„The Times” vom 17. November 1894 brachte aus der
Feder eines G. Hagopian, der aus Fulham schrieb, einen
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Der Bandenchef Kavafian, einer der Unruhestifter von Sassun,
als russischer Offizier - der er schon immer gewesen war, auch
als Unruhestifter in Sassun.
Die Rädelsführer und Anstifter der Armenierrevolten, die
gegen Ende des 19. Jahrhunderts und vor dem Ersten Weltkrieg
des öfteren in der internationalen Presse Schlagzeilen machten,
waren selbstverständlich Berufsrevolutionäre. Als der Erste
Weltkrieg ausbrach, fand man sie auch prompt wieder als
Anführer armenischer Freiwilligenverbände oder Terroristengruppen, die es sich zum Ziel setzten, die Türken zu vernichten.
EINER DER HÖHEPUNKTE ARMENISCHEN TERRORS: DER ÜBERFALL AUF DIE OSMANISCHE BANK
Das Portal der mächtigen Fassade der „Osmanh Bankasi”
in der Bankalar Caddesi, Istanbul-§i§hane; die Osmanische Bank gehört noch immer zu den bedeutendsten Privatbanken der Türkei, im 19. Jahrhundert war sie das führende Geldinstitut des Osmanenreiches, das besonders in
die Finanzierung der Eisenbahn- und Industriebauten
jener Zeit involviert war.
Am 26. August des Jahres 1896 bildete der Überfall
armenischer Terroristen auf die Osmanische Bank mit
gleichzeitiger Geiselnahme den traurigen Höhepunkt
eines an Gewalttaten überreichen Jahres.
Drahtzieher des Unternehmens war diesmal die armenische Daschnak-Partei, die mit diesem spektakulären
Überfall mit ihrer Konkurrenz, der armenischen Hintschak-Partei, die fast alle anderen Terrorakte von 1896
organisiert hatte, endlich gleichziehen wollte.
Ausführende waren drei Armenier aus dem Kaukasus
(damals schon in russischer Hand). Ihr Rädelsführer,
Karekin Pasdermadjian, brachte es im Jahre 1908 noch
zum armenischen Abgeordneten von Erzurum und führte
im Ersten Weltkrieg auf russischer Seite eine Gruppe
armenischer Freiwilliger im Kampf gegen die Osmanen.
Am 26. August drangen die Terroristen um 18.30 Uhr in
die Osmanische Bank ein, warfen Bomben, verschanzten
sich hinter Säcken voll mit Silbermünzen, schössen wild
um sich, nahmen Geiseln und verlangten - am Stil dieser
Art Terrorüberfälle hat sich seit diesem für alle nachfolgenden Terrorkommandos beispielhaften Unternehmen
nichts geändert - die Veröffentlichung und Erfüllung ihres
Forderungskataloges:
– Die Bestellung eines europäischen Hochkommissars
für die Armenier des Osmanenreiches
– Die Unterstellung der Gendarmerie und der Ordnungskräfte unter einen europäischen Offizier
– Eine Rechtsreform nach europäischem Muster
– Vollkommene Presse- und Religionsfreiheit
– Eine Steuerumschichtung
– Eine Steueramnestie
– Eine Generalamnestie
– Die Einsetzung einer europäischen Kontrollkommission zur Überwachung der Durchführung dieser
Forderungen.
Am Ende der üblichen Verhandlungen bei Geiselnahme
und Morddrohung begaben sich der Generaldirektor der
Osmanischen Bank, Sir Edgar Vincent, und der Chefdragoman der Kaiserlich Russischen Botschaft, Maximoff,
in das belagerte Hauptgebäude und handelten - auch das
ein gültiges Terrormodell bis heute - mit den Terroristen
freies Geleit aus.
Wenn auch nicht gleich die ganze britische und französische Mittelmeerflotte vor Istanbul aufkreuzte, um die insgesamt 17 Insurgenten feierlich in Empfang zu nehmen
(wie es die Männer eigentlich erwartet hatten), war es
immerhin die pompöse Privatjacht Sir Edgar Vincents, auf
die sich die Bande zurückziehen konnte. Von dort stiegen
Das Hauptportal der Osmanischen Bank in der BankalarStraße, Istanbul, Schauplatz des Überfalls am 26. August 1896.
Der Überfall auf die Osmanische Bank mit Geiselnahme,
Forderung nach Veröffentlichung eines erpreßten „Manifestes”
und Verlangen (und Erhalt!) von „freiem Abzug” mit Hilfe ausländischer Mächte dient bis zum heutigen Tag den Terroristen
in aller Welt als klassisches Terror- und Erpressungsmodell.
Ein Nachspiel zu dem spektakulären Raubüberfall auf die Osmanische Bank mit eingeplanter Geiselnahme, Erpressung und ausländischer Intervention zugunsten der Terroristen: Die „Leipziger Illustrierte” berichtete damals nicht nur über die Ausstellung
der bei armenischen Terroristen gefundenen Waffen und Sprengkörper, sondern auch über die alsbaldige Schließung der Ausstellung nach einer Intervention der Botschaften - so machte das
heute noch gültige Terrorschema Schule.
69
sie später auf das französische Kriegsschiff La Gironde
um, das sie sicher nach Marseille brachte, von wo aus sie
weitere Terroranschläge planten und durchführten.
Da der Überfall nur zum Teil seinen Zweck erfüllt hatte
und die erwarteten und erhofften Unruhen nicht stattfanden (denn in der Folge solcher Unruhen gab es nicht nur
Tote und Verwundete, sondern auch reichen Spendenfluß
für die „armenische Sache”), halfen andere Terrorkommandos ein wenig nach und brachten am 30. August
mehrere Bomben in Galata zur Explosion.
Diesmal „funktionierte” die Sache insofern besser, als
daraufhin die Möglichkeit bestand, von „4000-6000 toten
Armeniern während der Unruhen” zu phantasieren, Zahlen, für die es nach einem Geheimbericht der britischen
Botschaft (FO. 424/188, No. 149 und 169, 3. 9. 1896)
„leider nicht den geringsten Beweis gibt”.
Was machte das schon aus? Ein Modell-Terrorüberfall
auf eine Bank mit anschließender Geiselnahme, erpreßter
Veröffentlichung eines unannehmbaren Forderungskatalogs und freiem Abzug mit allem publizistischem Drum
und Dran war ein für allemal geschaffen.
1980 (!) schreibt der Brite Christopher Walker in seinem
Buch „Armenia - The survival of a Nation” zu diesem
Überfall auf die Osmanische Bank: „Die Daschnaks, die
entkamen, waren die Glücklichen. Man brachte sie auf
die Gironde, die nach Frankreich auslief. Ihre armenischen Mitbürger blieben zurück, um vielfach für das
Verbrechen zu büßen (to expiate - many times over - for
the crime of terrorising . . .), eine terroristische
Gesellschaft terrorisiert zu haben.”
Die letzte Chance der Armenier - von den Daschnakisten vertan . . .
Im Herbst des Jahres 1914 fand hier ein Kongreß der
armenischen Daschnaksutiun-Partei statt, die Erzurum als
Hauptstadt eines künftigen Großarmenien betrachtete.
Die Koranschule „mit den zwei Minaretten” ist ein Wahrzeichen Erzurums. „Ars er Rum”, also „Land der Römer”
nennt der arabische Geograph Ibn Battuta die Stadt; die
Seldschuken eroberten sie im Jahre 1049.
Die Byzantiner hielten hier im Jahre 632 eine Synode ab,
in deren Verlauf den besiegten armenischen Fürstentümern die Annahme der griechischen Orthodoxie befohlen
wurde. Als „Karen” gehörte Erzurum zum Bagratidenreich, das den Kalifen tributpflichtig war; die Türken
setzten sich nach ihrem Sieg bei Mantzikert (1071) in
Erzurum fest.
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Eine entscheidende Wende im Schicksal des armenischen
Volkes stellt der Ausbruch des Ersten Weltkrieges dar.
Kurz vorher - das Osmanische Reich trat ja erst Anfang
Novernber auf Seiten der Mittelmächte in den Krieg ein fand in Erzurum ein Kongreß der revolutionären
Daschnaksutiun statt. Über den Verlauf gibt es recht
unterschiedliche Berichte, vor allem über die Haltung der
Delegierten zum Osmanischen Staat.
Allerdings gibt es dazu eine Aussage von Hovhannes Katschasnuni, dem späteren Ministerpräsidenten der Unabhängigen Armenischen Republik, die er im Juli 1923 vor
dem Bukarester Kongreß der Daschnaksutiun machte:
„Am Beginn des Herbstes 1914, als die Türkei noch nicht
in den Krieg eingetreten war, die Vorbereitungen dazu
aber bereits anliefen, begann mit großer Begeisterung die
Aufstellung revolutionärer Verbände in Transkaukasien
(also im zaristischen Rußland, Anm. d. Übers.), und das
mit besonders großem Lärm. Im Gegensatz zu den in
Erzurum erst wenige Wochen vorher getroffenen Entscheidungen spielte die Armenische Revolutionäre Front
eine aktive Rolle sowohl bei deren Aufstellung als auch
bei ihrer künftigen militärischen Teilnahme am Kriegsgeschehen gegen die Türkei . . .”
Nach einer kurzen Stellungnahme zu der für Hovhannes
Katschasnuni betrüblichen Tatsache, daß sich die RAF
Transkaukasiens selten an Beschlüsse gehalten hatte,
setzt der ehemalige Ministerpräsident der Republik
Armenien fort: „Es ist nutzlos, heute darüber nachzudenken, ob unsere Freiwilligenverbände ins Feld hätten ziehen sollen oder nicht. Geschichtliche Ereignisse haben
ihre eigene, unwiderlegbare Logik. Im Herbst des Jahres’
1914 organisierten sich armenische Freiwilligenverbände
und kämpften gegen die Türken, weil sie sich aus diesem
Kampf nicht heraushalten wollten. Das war das unvermeidliche Ergebnis einer Psychologie, von der sich das
armenische Volk eine ganze Generation lang ernährt
hatte: diese Geisteshaltung sollte ihren Ausdruck finden,
und fand ihn daher auch . . .
Die Aufstellung dieser militärischen Verbände war falsch,
doch die Wurzeln dieses Irrtums müssen ganz wo anders
gesucht werden, tiefer vor allem . . . Der Winter 1914 und
der Frühling 1915 waren Zeitabschnitte größter
Begeisterung und Hoffnung für alle Armenier des
Kaukasus, einschließlich der Daschnaksu-tiun. Wir
zweifelten nicht daran, daß der Krieg mit einem vollständigen Sieg der Alliierten enden werde; die Türkei
würde besiegt und auseinandergenommen und ihre
armenische Bevölkerung schließlich befreit werden.
Rußland hatten wir aus vollem Herzen umarmt, ohne
jeden Vorbehalt. Ohne jede wirkliche Grundlage glaubten
wir, daß uns Rußlands zaristische Regierung eine mehr
oder weniger breite Selbstregierung im Kaukasus einräumen werde, das aber auch in den von den Türken befreiten armenischen Vilayets, und zwar als eine Belohnung
für unsere Loyalität, unsere Bemühungen und unseren
Beistand.”
Kaum jemand aus den inneren Reihen hat den Armeniern
so trocken, selbstverständlich und kompromißlos die
Wahrheit gesagt wie ihr eigener Premierminister der
Armenischen Republik, Hovannes Katschasnuni. Wenn
er von den „eigenen Wünschen, die wir in die Absichten
anderer hineingetragen haben” spricht, weiß er, wovon er
redet.
Denn wie fast immer in ihrer Politik, hatten die Russen
auch im Jahre 1914 die volle Wahrheit über ihre
Absichten bezüglich Armenien verkündet (so wie später
auch Lenin seine Absichten gegenüber der „kapitalistischen Welt” offen aussprach, nur glaubt es bis heute im
Westen kaum jemand) - man brauchte bloß den Aufruf
des Zaren lesen - nicht einmal genau lesen, so unverhüllt
zerstörte er eigentlich alle armenischen Illusionen:
„Armenier!
Von Ost bis West haben alle Völker Großrußlands
respektvoll auf meinen Ruf geantwortet.
Armenier!
Die Stunde ist gekommen, um euch von der Tyrannei, die
euch 500 Jahre lang beherrschte, jener Tyrannei, die so
viele von euch ausgelöscht hat und noch immer auslöscht, zu befreien. Die Russen erinnern sich gerne der
glorreichen armenischen Mitbürger. Die Lazaroff und die
Melikoff und andere haben an der Seite ihrer slawischen
Brüder für den Ruhm des Vaterlandes gekämpft. Deren
Treue ist auch uns ein Garant für eure Treue; Wir sind
sicher, daß ihr alle eure Pflicht erfüllen werdet und für
den Sieg unserer Waffen und unserer gerechten Sache
alles beitragen werdet.
Armenier! Ihr werdet mit euren Brüdern unter der Regie-
Ein seldschukischer Doppeladler von der Medrese in Erzurum:
die altseldschukischen Städte Sivas, Erzurum oder Konya wurden mit ihrer reichen Symbolik Zentren des türkischen Widerstandes gegen die Teilung Anatoliens.
Im armenisch-amerikanischen Journal „Azk” erschien dieses
Bild am 2. März 1915 - das heißt, die Aufnahme ist mindestens
drei Monate älter als der Umsiedlungsbefehl der osmanischen
Regierung, der infolge der ununterbrochenen bewaffneten
Aufstände hinter der Front erlassen wurde. Das Foto zeigt
Hintschakisten, die an der Kaukasusfront gegen die Osmanen
kämpften. Zum Großteil handelte es sich dabei um Überläufer,
die sich durch besondere Grausamkeit gegenüber der
Zivilbevölkerung hervortaten.
Armenieraufstand hinter der osmanischen Front, Februar/März
1915: Mit dabei ist Papkene (links hinten), der schon den Überfall auf die Osmanische Bank im Jahre 1896 mit organisierte.
71
rung der Zaren vereint sein und endlich die Wohltaten der
Freiheit und der Gerechtigkeit erfahren!”
Und was enthielt dieser Aufruf, außer der Feststellung,
daß die Armenier - dereinst, russischen Sieg vorausgesetzt - unter der Regierung der Zaren vereint sein würden?
Nicht die Spur eines Versprechens von Unabhängigkeit,
nicht einmal die Andeutung einer Selbständigkeit oder
wenigstens autonomen Selbstverwaltung.
Und dennoch: Die Armenier lieferten sich selbst auf die
russische Schlachtbank, ließen sich willig opfern auf dem
Schachfeld russischer Großmachtpolitik - und haben
nichts dazugelernt, bis heute, da sich der armenische Terrorismus, gewollt oder ungewollt, in den Dienst russischer Großmachtpolitik stellt.
„Wir hatten uns selbst in unseren Hirnen eine dichte
Atmosphäre der Illusion geschaffen. Wir hatten unsere
eigenen Wünsche in die Absichten anderer hineingetragen, wir hatten jeden Wirklichkeitssinn verloren und ließen uns von unseren Träumen forttragen.
Von Mund zu Mund, von Ohr zu Ohr gaben wir geheimnisvolle Worte weiter, die der Vizekönig gesagt haben
sollte, wir schenkten unsere Aufmerksamkeit irgendeinem angeblichen Brief, den Worontzow-Daschkow
dem Katholikos geschickt haben sollte, als handelte es
sich dabei um ein gewichtiges Dokument unserer Rechte
und Ansprüche - und dabei handelte es sich um nichts als
ein schlau abgefaßtes Schriftstück, daß man auslegen
konnte wie immer man wollte.
Wir überschätzten einfach die Fähigkeiten des armenischen Volkes, seine politische und militärische Kraft, und
wir überschätzten auch die Dienste und ihre Wichtigkeit,
die unsere Leute den Russen leisteten. Und indem wir
unseren äußerst bescheidenen Wert überschätzten, übertrieben wir auch unsere Hoffnungen und Erwartungen.
Die Deportierungen und Massenaustreibungen und Massaker, die im Sommer und Herbst des Jahres 1915
stattfanden, waren für die Sache Armeniens tödliche
Schläge. Die Hälfte des historischen Armeniens - und
zwar genau jene Hälfte, wo ja die Grundlagen unserer
Unabhängigkeit gelegt werden sollten, so wie wir es aus
der Tradition der frühen achtziger Jahre übernommen hatten, und so wie wir es auch von der europäischen
Diplomatie erhoffen durften - genau jene Hälfte also war
nun aller Armenier entblößt; die armenischen Provinzen
der Türkei standen nun ohne armenische Bevölkerung da.
Die Türken wußten genau, was sie taten, und haben
keinen Grund, heute irgendetwas zu bedauern. Es war die
entschiedenste Methode, die armenische Frage in der
Türkei ein für alle Mal zu beenden.
Nochmals, es ist heute sinnlos, zu hinterfragen, bis zu
welchem Ausmaß die Teilnahme der Freiwilligen am
Kriege zum Unglück der Armenier beigetragen hat.
Sicher aber ist, jedenfalls - und das ist das Wesentliche daß jener Kampf, der Jahrzehnte zuvor gegen die türkische Regierung begonnen hat, die Deportierung oder
Auslöschung der Armenier in der Türkei gebracht hat,
72
diese Auslöschung eines türkischen Armeniens. Das war
die schreckliche Tatsache!”
Und einen kurzen Abschnitt weiter kommt der ehemalige
Ministerpräsident der Republik Armenien zu dem
Schluß: „Auf Grund einer ungewöhnlichen geistigen
Verirrung vergaßen wir, eine politische Partei, daß unsere
große Sache für die Russen bloß eine zufällige und triviale Phase (in ihrem Kampfe gegen die Osmanen und
ihren Vormarsch zum Mittelmeer, Anm. d. Übers.) war,
so trivial, daß sie, wenn notwendig, ohne einen
Augenblick des Zögerns auch auf unseren Leichen
herumtrampeln würden . . .
Wenn die Russen auf dem Vormarsch waren, pflegten wir
aus der Tiefe unserer Seele zu sagen, sie kämen, um uns
zu retten . . . und wenn sie sich zurückzogen, sagten wir,
sie lieferten uns dem Massaker aus.
In beiden Fällen mißverstanden wir die Folgen, den
Zweck und die Absicht . . .”
17. Mai 1915:
Die Armenier erobern Van und stecken die moslemische
Altstadt in Brand
Titelblatt der Armenierzeitung „Hentschak” mit dem
Kriegsaufruf der Hintschakisten gegen das Osmanische Reich,
erschienen im Sommer 1914.
Aufruf der Hintschakisten zu Beginn des Ersten Weltkrieges
Das Komitee der Sozialdemokratischen Hintschak, das
seit mehr als einem Vierteljahrhundert auf dem blutigen Pfade wandelt, um den Armeniern die Befreiung
zu bringen . . . nützt die derzeitigen politischen
Umstände, um die Glocke des Aufstandes und der
Schlacht zu läuten und vom Gipfel des Taurus und den
Grenzen Armeniens hinunterzusteigen in die Arena,
um die osmanische Tyrannei im Blut zu ersäufen.
Das Komitee der Hintschakisten faßt alle materiellen
und moralischen Kräfte zusammen, nimmt, den Säbel
des Aufstands in der Hand, an diesem gewaltigen
Kampf um den Bestand der Nation teil, und zwar als
Verbündeter der Tripelentente, und ganz besonders als
Verbündeter der russischen Armeen, und mit allen
Kräften und Mitteln der Revolution und der Politik, die
ihm zur Verfügung stehen, wird es der Entente helfen,
den Sieg in Armenien und in Kilikien zu erringen, im
Kaukasus und in Aserbaidschan . . .
Vorwärts, Kameraden, ans Werk! Unser Tod wird den
Tod überwinden, der Armenien bedroht; Armenien
wird dann ewig leben!
Paris 1914
Hauptquartier des Komitees
Sozialdemokratischer Hintschakisten
Ein tragischer, aber bezeichnender Zufall wollte es, daß
ausgerechnet am 24. April, als der osmanische Innenminister die Anordnung gab, die Parteifunktionäre, bekannte Revolutionäre und Aufrührer in Istanbul festzunehmen - von einem Umsiedlungsbefehl war noch keine
Rede! - der Gouverneur von Van folgendes Telegramm
nach Istanbul schickte:
„BIS JETZT BEFINDEN SICH UNGEFÄHR
4000 ARMENISCHE REBELLEN IN DER
UMGEBUNG DER STADT. DIE REBELLEN
SPERREN STRASSEN, GREIFEN DIE DÖRFER
DER UMGEBUNG AN UND STECKEN SIE IN
BRAND: ES IST UNMÖGLICH IHRE ANGRIFFE
ABZUSTELLEN. ZUR ZEIT SIND
HIER
VIELE FRAUEN UND KINDER OBDACHLOS.
ES IST WEDER MÖGLICH NOCH
ZWECKMÄSSIG SIE IN DEN UMLIEGENDEN DÖRFERN DER STÄMME
UNTERZUBRINGEN. WÄRE ES NICHT MÖGLICH
DAMIT ZU BEGINNEN DIE FRAUEN UND
KINDER IN DIE WESTPROVINZEN ZU TRANSFERIEREN?”
Wahrlich ein absurdes Telegramm: Der Gouverneur von
Van wollte die islamischen Frauen und Kinder in den
sicheren Westen schaffen - noch dachte niemand
daran, die Armenier umzusiedeln, nur die Moslems.
Am 8. Mai begannen die Armenischen Aufständischen
einen Generalangriff in der Umgebung von Van, alle
umliegenden islamischen Dörfer gingen in Flammen
auf. Jetzt ordnete der osmanische Gouverneur Cevdet
Pascha den Rückzug an. Am 17. Mai räumten die
osmanischen Truppen Van. Am gleichen Tag zündeten die
einrückenden Armenier die islamische Stadt an und
errichteten eine totale Armenierherrschaft nach ihrem
Sinn.
Wenige Tage später trafen die russischen Vorhuten in Van
ein - es waren armenische Einheiten; einige Tage darauf
zogen reguläre russische Truppen nach. Bei ihrem
Eintreffen überreichte der neue armenische Machthaber
von Van, Aram, dem russischen Kommandeur General
Nikolajew die Schlüssel der Stadt.
Zwei Tage später bestätigte Nikolajew die amtierende
provisorische armenische Regierung unter Aram als
Gouverneur. Der Sinn dieser auffallenden russischen
Großzügigkeit war klar: es sollte den Armeniern des
Osmanenreiches Appetit auf ähnliche Selbstverwaltung
nach ähnlichen Aufständen gemacht werden.
Der Spuk dauerte bloß sechs Wochen, dann rückten die
Osmanen vor und eroberten Van zurück. Sie zogen in eine
leere Stadt ein: die Moslems waren umgebracht, und die
gesamte armenische Bevölkerung, die amerikanischen
Missionare eingeschlossen, flohen mit den Russen nach
Norden, in das sichere Transkaukasien.
73
Frühling 1915: Armenische Freischärler, von den Russen mit
Artillerie ausgerüstet, eröffnen hinter den osmanischen Linien
eine zweite Front, um den Russen die Einnahme von Van zu erleichtern.
Die 2. Kompanie des Freiwilligen-Regiments der Hintschakisten
(aus „La Jeune Armenie” vom 20. Juli 1915).
Eine Gruppe der 8. Kompanie eines armenischen HintschakistenRegiments, das gemeinsam mit den Russen an der Kaukasusfront
gegen die Osmanen kämpfte.
Bereit, Rache zu üben: Das armenische Kontingent im Kaukasus.
Es hieß, die Truppe sei von den armenischen Komitees in Amerika und Europa aufgestellt worden, was möglicherweise bloß
zum Zwecke leichteren Geldsammeins propagiert wurde.
Die Anordnung des osmanischen Innenministers, die am 24. April
die Verhaftung armenischer Separatistenführer und die
Beschlagnahme belastenden Materials zur Folge hatte, zeitigte
noch andere Erfolge: Hunderte Waffenlager wurden entdeckt,
Waffen und Munitionsdepots, die auch Kanonen und schwere
Minen umfaßten.
Was sich in Van abgespielt hatte, nämlich die Eroberung einer
Provinzhauptstadt durch armenische Rebellen hinter der osmanischen Front, wäre genau so gut in Adana, Maras, Ankara oder
Adipazan möglich gewesen - im weiteren Verlauf des Krieges
eine für die Osmanen gewiß tödliche Bedrohung.
74
Der Umsiedlungsauftrag: Die Ursachen und Folgen
In aller Welt gedenken die Armenier am 25. April des
Tages, an dem „der Völkermord an den Armeniern
begann.” Das Gedenken ist aus mehreren Gründen zu
überdenken. Der Gedenktag 25. April vermischt nämlich,
gewiß in voller Absicht, Wirkung mit Ursache.
Am 24. April 1915 hat der osmanische Innenminister
Talaat Pascha tatsächlich telegrafische Anordnung gegeben, die Rädelsführer der Insurgenten zu verhaften -doch
von einer Umsiedlung der armenischen Bevölkerung war,
da noch immer nicht als notwendig erachtet, keine Rede.
Das verschlüsselte Telegramm erging an die Gouverneure
der von armenischer Subversion betroffenen Provinzen
und lautet folgendermaßen:
„Abermals haben die jüngsten Aufstände in Zeitun, Bitlis,
Sivas und Van, gerade jetzt, wenn der Staat Krieg zu führen hat, gezeigt, daß die Armenischen Komitees weiterhin
versuchen (mit Hilfe ihrer revolutionären und politischen
Organisationen), für sie eine unabhängige Verwaltung auf
osmanischem Boden zu errichten.
Der Beschluß des Daschnak-Komitees nach dem Ausbruch des Krieges, die Armenier in Rußland gegen uns zu
mobilisieren und die Armenier des Osmanischen Reiches
zur Rebellion zu veranlassen, und zwar mit aller Kraft,
Der ehemalige armenische Deputierte von Erzurum, Karekin
Pastirmadjian - als Revolutionär trug er den Kriegsnamen
„Armen Garo Nummer eins” - mit den Gruppenchefs Tero und
Hetscho. Sie nehmen an einer der üblichen „Segnungen” teil,
nach denen die fanatisierten, unwissenden jungen Idealisten ins
Feuer geschickt wurden.
Die „Armenskaja Isvestija” präsentierte ihren Lesern Kinder
vornehmer armenischer Familien, die für eine verlorene Sache
ins Feuer geschickt wurden: „Wir vergaßen ganz, daß die
Armenier für die Russen bloß ein zufälliges, triviales
Zwischenspiel bedeuteten . . .”, sagte der spätere armenische
Ministerpräsident Katschasnuni nachher über diese Zeit.
und das zu einem Zeitpunkt, als die osmanische Armee
am schwächsten war, sind verräterische Handlungen, die
Leben und Zukunft unseres Landes gefährden. Wieder
hat sich gezeigt, daß die Aktivitäten dieser Komitees,
deren Hauptquartiere sich in anderen Ländern befinden
und die, selbst in ihren Namen, ihre revolutionären
Attribute beibehalten, darauf abzielen, ihre Autonomie zu
erringen und dabei jedweden Vorwand und alle Mittel
nützen. Das hat sich bestätigt durch die Bomben, die in
Kayseri gefunden wurden, in Sivas und anderen
Gebieten, auch in den Handlungen der Armenier-Komitees, die an dem russischen Angriff gegen unser Land teilgenommen haben (indem sie Freiwilligenregimenter aufstellten, die auch osmanische Armenier enthielten, in der
russischen Armee) und durch ihre Veröffentlichungen
und Operationen, die darauf abzielen, die osmanische
Armee von hinten anzugreifen.
Selbstverständlich - da die Osmanische Regierung die
Fortsetzung solcher Operationen und Anschläge niemals
dulden wird, da sie eine Frage von Leben und Tod für den
Staat bedeuten - hat sie sich veranlaßt gesehen, alle diese
politischen Organisationen aufzulösen; sie wird auch die
Existenz dieser Komitees nicht weiter dulden.
Sie sind deshalb angewiesen, sofort alle Zweigstellen der
Hintschak, Daschnak und ähnlicher Organisationen zu
schließen, die in ihren Lokalen gefundenen Dokumente
und Papiere zu beschlagnahmen und sicherzustellen, daß
dieselben weder verlorengehen noch zerstört werden; alle
führenden Personen sofort zu verhaften und auch alle
festzunehmen, die der Regierung bereits als gefährlich
bekannt sind. Armenier, deren Anwesenheit in einem bestimmten Gebiet als unangebracht angesehen wird, sind in
andere Teile der Provinz zu schaffen, so daß sie in keinerlei gefährliche Handlungen mehr verstrickt werden
können. Es ist nach verstecken Waffen zu suchen und
außerdem sind die Militärkommandanten von allfällig
möglichen Gegenaktionen zu verständigen. Wie in einem
Treffen mit dem amtierenden Oberkommandierenden,
sind alle im Zuge dieses Unternehmens festgenommenen
Personen den Militärgerichtshöfen zu überantworten, wie
auch die bei ihnen gefundenen Papiere. Alle diese
Schritte sind sofort einzuleiten. Das Ministerium ist vom
Fortgang der Operation, von der Zahl der Festgenommenen und ähnlichem zu unterrichten.
Für Bitlis, Erzurum, Sivas, Adana, Maras, und Aleppo:
Da diese Operation den einzigen Zweck hat, die
Aktivitäten der armenischen Komitees zu treffen, wird
streng befohlen, diese Verordnungen nicht in einer Weise
durchzuführen, daß dabei gegenseitig Menschen aus den
armenischen oder islamischen Volksgruppen ums Leben
kommen.
11. April 1331 (24. April 1915)
Der Innenminister”
75
Die Kämpfe um Van, im Frühling 1915, als die Armenier hinter den
osmanischen Linien eine zweite Front eröffneten und so den
Russen entscheidende Vorteile verschafften, stellten naturgemäß
ein beliebtes Thema bei den Alliierten dar, die den Armenieraufstand nach Kräften unterstützten: im Hinterland mit Hilfe der
Missionare, die ihre guten Dienste zur Verfügung stellten, und im
allgemeinen Kriegsgeschehen durch Waffenlieferungen und Geld.
Der groß angelegte Armenieraufstand im Vilayet Van, der zur
Einnahme der Provinzhauptstadt durch die Insurgenten führte,
fand zur gleichen Zeit statt, als die Alliierten mit massiven
Angriffen an den Dardanellen die Hauptstadt des Osmanenreiches bedrohten. Die Anordnung zur Umsiedlung der Armenier aus
den gefährdeten Gebieten wurde erst nach dem Armenieraufstand
von Van erteilt.
Am 7. April 1918 wurde Van wieder osmanisch. Der türkische
Stadtteil war völlig zerstört; zu Füßen des urartäisch-osmanischen Burgberges lag nur mehr eine tote Ruinenstadt, heute ein
bleibendes Mahnmahl gegen Gewalttätigkeit und Terror.
76
Die Anordnung vom 24. April - die Verhaftungen setzten
in Istanbul am folgenden Tag ein, in der Provinz zum Teil
etwas später - traf ausschließlich die Rädelsführer der
Daschnaksutiun und der Hintschaks sowie einige polizeibekannte Aufrührer; mit einer allgemeinen Umsiedlungsaktion hatte die Anordnung absolut nichts zu tun.
Der Befehl der Regierung, die Armenier als Volksgruppe
aus den gefährdeten Gebieten umzusiedeln (Istanbul oder
Izmirwaren, da als „sicher” und „unter Kontrolle” angesehen, überhaupt nicht betroffen), kam erst Monate später, und zwar nach dem fürchterlichen Angriff armenischer Terroristen und Freischärler auf die Stadt Van, der
mit der Eroberung Vans, der Ausrufung einer „Armenischen Republik von Van”, der völligen Vernichtung des
islamischen Stadtteils von Van und der Ermordung von
etwa 30.000 Moslems einen entsetzlichen Höhepunkt des
armenischen Terrors bildete.
Nochmals, der Gedanke, die armenische Bevölkerung
(also nicht nur die Rädelsführer der Terrorgruppen) aus
den gefährdeten Gebieten umzusiedeln, kam erst nach der
Katastrophe von Van.
Die Regierungstruppen waren am 17. Mai 1915 von den
Rebellen gezwungen worden, Van zu räumen - und das
hinter den russischen Angriffslinien, die sich immer tiefer
nach Ostanatolien vorschoben. Die Spitzen der russischzaristischen Angriffstruppen wurden von armenischen
Freiwilligen gebildet, die sich durch besondere Grausamkeit gegenüber der islamischen Bevölkerung Ostanatoliens hervortaten. Mittlerweile waren die wahren Ausmaße der Katastrophe von Van auch in Istanbul bekannt
geworden. Der Gedanke, die armenische Bevölkerung
Anatoliens geschlossen umzusiedeln, kam erst nach der
Rebellion von Van. Vorher gab es nur lokal beschränkte
Inhaftierungen von Rädelsführern oder ortsbekannten
Terroristen und nicht mehr. Das Konzept einer Umsiedlung entstand erst, als der amtierende Armeekommandant
- gewitzigt von den entsetzlichen Folgen der armenischen
Van-Revolte - in einem Geheim-Kommunique (No.
2049) dem Innenminister vorschlug, Schritte der Russen
(die mit den Armeniern abgesprochen schienen!) mit gleichen Maßnahmen zu beantworten:
„Die Armenier aus der Gegend des Vansees sowie in
anderen Bezirken, der Gouverneur von Van kennt sie,
sind noch immer mit der Vorbereitung von Revolution
und Rebellion beschäftigt. Ich bin der Ansicht, daß diese
Bevölkerung aus dem Gebiet entfernt werden sollte, und
dieses Nest des Aufruhrs aufgebrochen werden sollte.
Wie ich vom Kommandeur der 3. Armee erfahre, haben
die Russen am 7. April (das ist der 20. April 1915) damit
begonnen, die moslemische Bevölkerung auszutreiben
und sie - ohne ihr Eigentum - über unsere Grenzen zu
stoßen.
Es ist notwendig, in Beantwortung dieser russischen Vorgangsweise, entweder die Armenier nach Rußland zu
schicken oder sie und ihre Familien in andere Gebiete
Anatoliens umzusiedeln. Ich ersuche darum, die entsprechenden Befehle zu erteilen. Wenn nichts dagegen einzu-
wenden ist, würde ich vorschlagen, die Urheber dieser
Aufstände samt ihren Familien über unsere Grenze zu
schicken (also nach Russisch-Armenien) und sie anstelle
der islamischen Flüchtlinge, die uns die Russen über die
Grenze schickten, anzusiedeln.
19. April 1331 (2. Mai 1915)”
Die Bedeutung dieses Dokuments liegt darin, daß es klar
die Beweggründe des Armee-Oberkommandos aufzeigt:
die Russen hatten die gesamte islamische Bevölkerung
des Kaukasusgebietes nach Ostanatolien geschickt, ihr
nichts als das nackte Leben gelassen, und im Ostteil des
Osmanenreiches - vor allem in Van - hatten die Armenier
total die Macht ergriffen, die Moslems umgebracht und
ihre „Armenische Republik Van” ausgerufen. Die Entscheidung, unter diesen Umständen die Armenier Anatoliens - innerhalb der Reichsgrenzen des Osmanenreiches
- „in Gegenden umzusiedeln, die als sicherer galten”,
Der Burgfels von Van, mit seiner aus urartäischer Zeit
stammenden Festungsanlage. Unterhalb der Zitadelle die
Ruinen des ehemaligen islamischen Stadtteiles von Van, der im
Zuge des Armenieraufstandes von Van von den Terroristen völlig eingeebnet wurde. 30000 Moslems fanden hier innerhalb
weniger Tage den Tod.
Ein „Hiroshima” des Terrors: Nur die Grundmauern der islamischen Stadt Van blieben erhalten und einige Überreste einst
stolzer, mächtiger Moscheen. Der Armenieraufstand von Van
hatte im Februar 1915 begonnen und erreichte im April einen
ersten Höhepunkt. Die islamische Altstadt von Van wurde am
17. Mai von den Rebellen angezündet, am gleichen Tag, als
sich die kleine osmanische Garnison aus der Stadt
zurückziehen mußte. Erst am 22. Juli 1915 konnten die
Osmanen Van zurückerobern, und in der Zwischenzeit wurde
die gesamte islamische Bevölkerung von Van, die nicht
rechtzeitig hatte flüchten können, von den armenischen
Terroristen liquidiert.
77
Ein türkisches Denkmal für die islamischen Opfer des
Armenieraufstandes vom Frühjahr 1915; unterhalb des
Monuments ruhen in einer Mulde, die sich zum Vansee hin
öffnet, 5000 Moslems, die an der gleichen Stelle zusammengetrieben und niedergemacht worden waren.
Eines der zahllosen islamischen Bauwerke von Van, die
während des Armenieraufstandes zugrundegingen. Während
immer wieder - berechtigte - Forderungen nach
Wiederherstellung oder Erhaltung armenischer Bauwerke in
Ostanatölien laut werden, kümmerte sich bisher die
Weltöffentlichkeit um die genau so gefährdeten islamischen
Monumente der Region - wie diese osmanische Moschee überhaupt nicht; es verhält sich dabei ähnlich wie bei den
moslemischen Opfern der Armenieraufstände, von denen
außerhalb der Türkei noch niemals gesprochen wurde, obwohl
die islamische Bevölkerung ein Vielfaches an Menschenleben
zu beklagen hatte.
78
dem Zugriff der Russen oder der Ententemächte Europas
nicht so ausgesetzt waren, ist wohl verständlich.
Die osmanische Regierung veröffentlichte in der Folge in
der Tavim-i Vakayi (der „Osmanischen Zeitung”, Amtsblatt des Reiches) am 19. Mai 1311 (am 1. Juni 1915) folgende Verordnung:
„Artikel 1: Für die Dauer des Krieges sind Armee,
Armeekorps und Abteilungskommandanten sowie unabhängige Befehlshaber befugt und verpflichtet, alle
Anzeichen von Widerstand oder Angriff strengstens zu
ahnden und, sollten sie auf bewaffneten Widerstand
stoßen, im Sinne der Verteidigung des Vaterlandes
durchzugreifen.
Artikel 2: Die Armee, Armeekorps und Abteilungskommandanten sind befugt, die Bevölkerung von Dörfern und
Städten ab- und umzusiedeln, sei es einzeln oder gemeinsam, und das entsprechend den militärischen Bedürfnissen, aber auch in Beantwortung jedes Anzeichens von
Verrat oder Betrug.
Artikel 3: Diese vorläufige Regelung wird am Tage ihrer
Veröffentlichung rechtskräftig.”
Zweifellos sind bei der Umsiedlungsaktion der Armenier
im Jahre 1915 und danach viele unschuldige Menschen
um Hab und Gut, Gesundheit, ja um das Leben gekommen, viele Armenier und ein Vielfaches an Moslems. Die
unweigerliche Frage nach der Schuld an diesen tragischen Ereignissen findet ihre Antwort wahrscheinlich im
passiven Verhalten der überwältigenden Mehrheit innerhalb der damaligen armenischen Minderheit des Osmanenreiches. Jahrzehntelang hatte die Mehrheit des armenischen
Bevölkerungsanteiles geduldet, daß innerhalb ihrer
Volksgruppe eine Minderheit von fanatischen Parteigängern eines unsinnigen, undurchführbaren und absolut ungerechten Unabhängigkeitsstrebens (die Armenier verfügten nirgendwo im Osmanenreich über eine Mehrheit)
immer mehr Macht gewann, Moslems und Armenier terrorisierte und schließlich sogar, nach dem Beginn des
Ersten Weltkrieges, in offenen Bürgerkrieg überging.
In den Wirren des Krieges, als das Osmanenreich schließlich um seine nackte Existenz kämpfen mußte, blieb
keine andere Wahl, als diese Umsiedlungsaktion durchzuführen. Die Ereignisse nach dem Ende des Weltkrieges, als
die Alliierten nach Anatolien eindrangen und die Griechen
fast bis Ankara vorstießen, bewiesen, wie richtig die Verantwortlichen des Umsiedlungsauftrages gehandelt hatten.
Hätte sich die „schweigende Mehrheit” der osmanischen
Armenier rechtzeitig gegen die Wahnsinnspläne ihrer
revolutionären Einpeitscher und der „romantischen”
Ansichten der Missionare gewandt - vielen Armeniern
und noch viel mehr Moslems des Osmanenreiches wäre
unendliches Leid erspart geblieben. So aber mußten viele
für die Vergehen einer Minderheit büßen.
Oft - allzu oft - ist es eine Frage des Durchsetzungsvermögens der vernünftig und besonnen denkenden Mehrheit gegenüber ihrer unbesonnenen Minderheit von Aufrührern, Fanatikern oder Romantikern, ob einem Volk
oder einer Volksgruppe Unheil widerfährt oder nicht.
Keinem Volk, das sich von einer Minderheit verführen
oder zum Schweigen bringen ließ, erging es anders; auch
die deutschen Nationalsozialisten bildeten eine Minderheit des deutschen Volkes und zwangen die Mehrheit der
friedliebenden Deutschen in einen Weltkrieg, für den
schließlich alle Deutschen zu bezahlen hatten, mit Hab
und Gut, Verlust der Heimat, mit dem Leben, ob sie nun
Nationalsozialisten gewesen waren oder nicht.
Das erschreckende an der Geschichte des armenischen
Volkes scheint zu sein, daß die überwältigend große, so
fleißige, intelligente und hochgebildete Mehrheit der
Armenier sich von einer Handvoll fanatischer Parteigänger eines irrationalen Rachefeldzuges manipulieren,
erpressen, verleiten und unterdrücken läßt, schweigend
die Terrorakte der Kampfgruppen oder Befreiungskämpf
er, oder wie immer sich die Terroristen nennen mögen,
übergeht, um Besitz, Gesundheit oder Leben fürchtet,
still an die Terrorgruppen zahlt und so tut, als wäre nichts
geschehen, wenn wieder eine Bombe hochgeht, wieder
Unschuldige oder Aufrechte zugrundegehen. Es war vor
dem Ersten Weltkrieg nicht anders; heute kommt der
Mythos vom Völkermord hinzu, der als Entschuldigungsgrund herhalten muß, auch wenn es sich in Wahrheit
ganz anders verhalten hat.
Univ.-Prof. DDr. Justin McCarthy (Lousville) über seine
Forschungsergebnisse:
„Über die Armenier im Osmanischen Reich wurde
schon viel Unwahres erzählt, besonders über die Zahl
der Armenier, die seinerzeit im Osmanenreich lebten,
und was mit den Armeniern geschah.
Diese Karte zeigt das historische Armenien - was nichts
damit zu tun hat, wieviele Armenier tatsächlich dort lebten, oder ob jemals Armenier dort herrschten. Es ist ein
Gebiet von der russischen Grenze bis ans Mittelmeer.
Gegen Ende der Zeit des Osmanenreiches bestanden
hier sechs Provinzen - genannt „Wilajets”. Dort gab es
wohl Armenier - aber in keinem einzigen Wilajet waren
mehr als ein Drittel Armenier, meistens waren es viel
weniger. Tatsache ist: Wäre die gesamte armenische
Weltbevölkerung in Ostanatolien zusammengezogen
worden, wären die Moslems in Armenien immer noch in
der Mehrzahl gewesen. In Wirklichkeit lebten sie aber
nicht dort, und das Verhältnis Moslems: Armenier stand
6:1. Nach Beginn des Ersten Weltkrieges beschloß die
osmani-sche Regierung, Armenier, die sie als
Bedrohung ansahen, aus diesen Regionen in den Süden
umzusiedeln. Eine weit größere Anzahl von Armeniern,
als jemals zum Umsiedeln gezwungen wurden, flohen
mit den Russen nach Norden.
Im Weltkrieg gab es eine unerhörte Sterblichkeitsrate.
Typhus, Cholera wüteten; außerdem gab es drei Jahre
lang keine Ernte. Viele Menschen, die hier lebten, verhungerten, fielen einer Seuche zum Opfer - oder wurden
umgebracht. Ich meine Mord - wenn etwa die Russen
nach Van vorstießen, das von den Armeniern gegen ihre
eigene, osmanische Regierung besetzt gehalten wurde.
Stießen die Russen vor, brachten die Armenier zahllose
Moslems um. Das war ein Vor - und Zurück - über drei
Jahre hinweg. Eine Menge Armenier wurde von
Moslems umgebracht, viele Moslems von Armeniern.
Univ.-Prof. DDr. Justin McCarthy befaßte sich besonders mit
der Bevölkerungsstatistik im Osmanischen Reich. Er ist Autor
des Buches „Muslims and Minorities - The Population of
Ottoman Anatolia at the End of the Empire”, in dem er wissenschaftlich nachweist, daß die armenische Minderheit im
Osmanenreich in keinem einzigen Vilayet, ja nicht einmal in
Van selber, wo sie am stärksten vertreten waren, über die
Mehrheit verfügte. Sein Buch „Muslims and Minorities”
erschien 1983 bei „New York University Press”, New York and
London.
Grafische Darstellung der anatolischen Provinzen mit ihren
Mehrheitsverhältnissen im Jahre 1912, aus: Muslims and
Minorities, The Population of Ottoman Anatolia and the End of
the Empire, New York University Press, von Justin Mcarthy.
79
Im Jahre 1915, als die große Umsiedlungsaktion der Armenier
anlief, endete die Bahnlinie aus Zentralanatolien mitten im Taurus, in Pozanti. Von dort aus gab es nur mehr Straßenverbindungen nach Syrien; erst 1916 konnten die Deutschen die Bahn nach
Aleppo vollenden.
Von Pozanti aus hatten alle Reisenden zu Fuß zu gehen oder
Wagen zu benützen; auch der gesamte militärische Nachschub
(das Bild zeigt Truppen auf dem Weg über den Taurus nach
Syrien) wurde mit den einfachsten Hilfsmitteln bewältigt.
Zwischendurch stießen die Russen nach Süden vor und
gingen zurück, dann stieß wieder die osmanische
Armee vor und zog sich zurück, und mit jedem
Vormarsch oder Rückzug zogen die Menschen, die sich
mit Russen oder Osmanen identifizierten vor - oder
zurück. Wenn die Russen auf dem Rückzug waren, gingen die Armenier zurück. Wenn die Osmanen verloren,
zogen die Moslems, Turkvölker vor allem, mit ihnen
und immer gab es dabei hohe Verluste.
Das Elend betraf das gesamte Gebiet von Ägäis und
Mittelmeer bis zum Schwarzen Meer und dem
Kaukasus. In dem gesamten Gebiet gab es ungefähr
600.000 tote Armenier. Im gleichen Gebiet aber
zweieinhalb Millionen tote Moslems - meistens Türken.
Allein hier gab es gut eine Million tote Türken, zumindest waren die meisten moslemischen Toten Türken.
In dem Gebiet, das man Armenien heißt, gab es um
viele Hunderttausende mehr islamische als armenische
Tote. Ich weiß, es heißt, hier seien Armenier hingemordet worden. Bis zu einem gewissen Ausmaß ist das
wahr.
Aber um die geschichtliche Wahrheit zu sagen, müssen
wir daran erinnern, daß hier auch Moslems ermordet
wurden, tatsächlich viel mehr Moslems, und wir
müssen bedenken, daß die Zeit vor, in und nach dem
Ersten Weltkrieg eine zutiefst unmenschliche Zeit war,
eine Zeit der Massenmorde und der Unmenschlichkeit,
und daß sie alle betraf, nicht einfach Armenier oder
Türken.
Wir müssen das ganze als menschliches, nicht als
sektiererisches Problem betrachten. Das war nicht
etwas, was Armenier allein betraf; wer das nicht
begreift, wird nie verstehen, was damals geschah.”
80
Franz Werfeis weltberühmter Roman „Die vierzig Tage
des Musa Dagh” soll eine „moderne Saga einer verfolgten und zum Widerstand entschlossenen Minderheit”
sein; er sollte „das unfaßbare Schicksal des armenischen
Volkes dem Totenreich alles Geschehenen entreißen”.
Die amerikanische Ausgabe des Romans begründete
Werfeis Weltruhm und wurde nicht nur von den
Armeniern, sondern auch von den Juden in aller Welt als
„Gleichnis der Leiden ihres Volkes verstanden” heißt es
richtig im Klappentext zu einer Fischer-Ausgabe der
„Vierzig Tage”. Aber die zentrale, die grundlegende
Aussage des Romans von Franz Werfel, daß nämlich die
Verantwortlichen des Osmanischen Reiches einen
Ausrottungsbefehl gegeben hätten, ist falsch.
In Werfeis Diktion liest sich die makabre Szene zwischen
dem osmanischen Kriegsminister Enver Pascha und dem
Innenminister Talaat Pascha (die als Verantwortliche für
einen Völkermord hingestellt werden) so:
„Ein Sekretär bringt einen Pack Depeschen, die Talaat im
Stehen zu unterschreiben beginnt. Beim Sprechen blickt
er nicht auf:
,Diese Deutschen fürchten ja nur das Odium der Mitverantwortlichkeit. Sie werden uns aber noch um ganz
andere Dinge betteln müssen als um die Armenier.’
Damit wäre wohl das Gespräch über die Verschickung für
heute erledigt, würde nicht ein neugieriger Blick Envers
die Depeschen streifen.
Talaat Bey bemerkt den Blick und läßt, indem er sie
schwenkt, die Papiere rauschen: ,Die genauen Weisungen
an Aleppo! Mittlerweile, denke ich, dürften die Straßen
wieder leer sein. Im Laufe der allernächsten Wochen werden Aleppo, Alexandrette, Antiochia und die ganze Küste
abgehen können.’
,Antiochia und die Küste’, wiederholt Enver fragend, als
hätte er zu diesem Punkt eine Bemerkung zu machen.
Aber er sagt keine Silbe mehr, sondern sieht gespannt auf
die dicken Finger Talaats, die unaufhaltsam wie im
Sturmangriff ihre Unterschrift unter die Texte setzen.
Dieselben biedermännisch derben Finger haben den
unchif-frierten Befehl verfaßt, der an alle Walis und
Mutessarifs erging: ,Das Ziel der Deportation ist das
Nichts.’
Die raschen Schriftzüge zeigen den Schwung einer unerbittlichen Überzeugung, die kein Bedenken kennt. Jetzt
richtet der Minister seinen ungeschlachten Körper aus der
gebückten Stellung auf:
,So! Im Herbst werde ich all diesen Leuten mit der größten Aufrichtigkeit antworten können: La question armenienne n’existe pas.’”
Franz Werfel nimmt mit dieser Wortwahl geradezu seherisch die „Wannsee-Konferenz” vorweg, in der die Mächtigen des Dritten Reiches, diabolische Gestalten wie
Himmler und Kaltenbrunner, die Vernichtung des jüdischen Volkes beschließen; für manche allerdings bildet
die Schlüsselszene in Franz Werfeis „Die vierzig Tage
des Musa Dagh”, in der die zu diabolischen Existenzen
dimi-nuierten Türken Enver Pascha und Talaat Pascha die
Ausrottung der osmanischen Armenier „beschließen”,
hinreichend Entschuldigungsgrund für blinden Terror und
wütende Racheakte - und das, obwohl Franz Werfeis
Argumentation zur Gänze auf den gefälschten Dokumenten des Aram Andonian beruht.
Franz Werfeis Roman beruht auf dem Wissensstand des
Dichters, den er sich im Umgang mit armenischen Kontaktpersonen angeeignet hatte - gewiß nach bestem Wissen und Gewissen; als er merkte, daß er Fälschungen aufgesessen war, wagte er es aus Furcht vor armenischen
Racheakten nicht, die Wahrheit einzubekennen. (Auf die
diesbezügliche Aussage eines jüdischen Freundes Franz
Werf eis kommen wir noch zu sprechen).
Ein Derwisch aus Konia: Nach dem Informationsstand Franz
Werfeis zeichneten sich die sunnitischen religiösen Orden
durch besonderen nationalen Fanatismus aus, was nicht der
Wahrheit entspricht.
Der Mosesberg - Musa Dagh - Schauplatz des Dramas der von
den Alliierten zum Bürgerkrieg aufgehetzten Armenier.
81
Die Tatsache, daß Dschemal Pascha in dem Buche des
Johannes Lepsius „Deutschland und Armenien” ungewöhnlich gut wegkommt (das Buch diente Franz
Werfel weitgehend als Unterlage für seine „40 Tage”)
schlägt sich auch in einer indirekten Aussage Franz
Werfeis über Dschemal Pascha nieder. An einer Stelle
seines Romans läßt er über einen eifernden Jungtürken
denunzierend sagen: „Einer der jüngeren Müdürs verstieg sich sogar zu der Behauptung, Dschemal Pascha
sei trotz seiner bekannten Rolle in der Regierung, was
die Armenier anbetrifft, nicht ganz zuverlässig und
habe sogar mit ihnen in Adana paktiert”.
Wie ernst die armenische Mafia solche Aussagen
nimmt, geht daraus hervor, daß in der gängigen
amerikanischen Ausgabe der „40 Tage” („The Forty
Days of Musa Dagh”, erschienen bei Carroll & Graf
Publishers, New York, published by arrangement with
Viking Penguin Inc.) diese Stelle einfach gestrichen ist.
Ein überaus sorgfältiger Lektor (besser: Zensor) hat
alle Absätze in Werfeis Roman, die auch nur in die
Nähe einer objektiven Aussage rücken, ersatzlos herausgestrichen; im Falle von Dschemal Pascha sollte
offensichtlich der Mord an diesem Manne, der alles
Menschenmögliche für die Armenier getan hat, auch
noch gerechtfertigt werden.
Die am Kampf gegen die Türkei interessierten armenischen Kräfte kennen die Schwachstellen in Franz
Werfeis Roman „Die 40 Tage des Musa Dagh” nur zu
genau, auch jene, in der sich der Autor auf
geschichtliche Daten einläßt und - in gutem Glauben,
aber sträflich leichtsinnig bei der Einholung der historischen Daten - den armenischen Aufstand von Van
nach der Verkündigung des Umsiedlungsbefehles ausbrechen läßt.
Bei Franz Werfel liest sich das so:
„Der Staatsräson ist es niemals darauf angekommen,
eine anmutige Volte zwischen Ursache und Wirkung zu
schlagen. Das schlechte, jedoch umso denkfaulere
Gewissen der Welt, die Presse der jeweiligen
Machtgruppen und das durch sie verschnittene Hirn
ihrer Leser haben das Ding immer nur so gedreht und
verstanden, wie sie es gerade brauchten”.
Es ist, als ob der armenische Zensor, der diese Stelle
aus der englischen Übersetzung eliminierte, die
nachfolgenden Zeilen - die er gleichfalls gestrichen
hat - gemeint haben muß:
„Über die Sache von Wan durfte man bestimmten
82
Ortes empört schreiben und empörter lesen: ,Die
Armenier haben gegen das osmanische Staatsvolk, das
sich in schwerem Krieg befindet, die Waffen erhoben
und sind zu den Russen übergegangen. Die von
Armeniern bewohnten Vilajets müssen daher von
diesem Volke durch Deportation befreit werden.’
Ähnliches konnte man in den türkischen Verlautbarungen lesen, nicht aber die Umkehrung, welche die
Wahrheit enthielt: ,Die Armenier von Wan und Urfa
haben sich, in Verzweiflung über die längst im Gang
befindliche Deportation, gegen die türkische
Militärmacht so lange zur Wehr gesetzt, bis sie durch
den Einmarsch der Russen erlöst worden sind’”.
Es steht außer Zweifel, daß Franz Werfel, bei der
Abfassung seines Romans „Die 40 Tage des Musa
Dagh” ausschließlich aus armenischen Quellen und aus
dem Informationszustand eines Johannes Lepsius
schöpfend, von dem, was er schrieb, überzeugt war: daß
nämlich der Aufstand von „Wan” (wie man damals
noch schrieb) eine Reaktion auf den Umsiedlungsbefehl
gewesen sei, sozusagen eine verzweifelte Notwehr.
Die Wahrheit ist genau umgekehrt: der Aufstand, der
Auftakt zum Bürgerkrieg in der Ostprovinz Van,
begann schon im Februar 1915 - fast zwei Monate vor
dem Umsiedlungsbefehl, der eine Folge des
Aufstandes von Van war; keineswegs war der VanAufstand eine „Abwehrreaktion” gegen den
Umsiedlungsauftrag, das heißt wahrlich, die Wahrheit
auf den Kopf stellen.
Die armenischen Kreise, die Werfeis Roman in der
englischen Ausgabe derartig verstümmeln und hinterhältig kürzen, wissen selbstverständlich genau, warum
sie diese Stellen - in diesem Fall ist es eine ganze
Druckseite - aus dem Buche Franz Werfeis herausnehmen (ohne übrigens irgendwo auch nur eine Silbe
darüber zu verlieren, daß der Roman dergestalt
umgeändert wurde): heute gibt es bereits vereinzelt
Geschichtswerke, in denen sich Interessierte über die
wirklichen Zeitabläufe und Geschehnisse informieren
können; in der einen oder anderen Bibliothek gibt es
sogar noch einschlägige Publikationen, in denen die
Armenier ihren Krieg gegen die Osmanen rühmen. In
der Zwischenzeit sind allerdings fast alle Bibliotheken
von diesen
Publikationen gesäubert worden und es ist mitunter
schon recht schwierig, einer Zeitschrift wie „Der
Orient”, die Johannes Lepsius herausgegeben hat, noch
habhaft zu werden.
Der Aufstand von Van war Ursache und nicht Folge der armenischen Tragödie. Dasselbe gilt für den Musa Dagh: Zuerst kamen
Aufstand und Bürgerkrieg, dann der Umsiedlungsbefehl.
Der uneinnehmbare Burgfelsen von Van, von den Trümmern
der im Bürgerkrieg von 1915 völlig zerstörten moslemischen
Altstadt von Van aus gesehen.
Armenische Flüchtlinge vom Musa Dagh, die nach ihrer Flucht
aus der Bergfestung von Schiffen der Entente aufgenommen
wurden; an Bord eines französischen Kreuzers wurden sie nach
Ägypten und Marseille gebracht.
83
Die Fälschungen des Aram Andonian
Spätestens seit dem Ersten Weltkrieg, als das Osmanische
Reich auf Seiten der Mittelmächte Deutschland, Österreich-Ungarn und Bulgarien gegen die Ententemächte
England und Frankreich sowie deren Verbündete
kämpfte, wurde den Osmanen bewußte Ausrottungspolitik gegenüber ihrer armenischen Minderheit vorgeworfen.
Im Kriege war das - im Zuge der groß angelegten Kriegspropaganda - Teil eines der üblichen Konzepte, wie sie
von allen Regierungen zu allen Zeiten praktiziert wurden.
Im Falle der Osmanen und ihrer türkischen Erben verlief
die Sache allerdings dramatischer.
Die Hetze gegen die Türken ließ nicht nach, im
Gegenteil; warf man den Osmanen zunächst Massaker
vor, steigerte sich die Wortwahl nach dem Zweiten
Weltkrieg in den Vorwurf des Völkermordes, offensichtlich mit der Absicht, das Schicksal von Armeniern in
den Wirren des Ersten Weltkrieges mit der Ausrottungspolitik Hitlers am jüdischen Volk in Verbindung zu bringen.
Ausgangspunkt der Anklage gegen die Osmanen (später
gegen die Türken) war ein Buch, das im Jahre 1920
geschrieben wurde, „Die Erinnerungen von Naim Bey:
Offizielle türkische Dokumente zu den Armeniermassakern und Deportationen” (Documents Officiels concernant les Massacres Armeniens). Aram Andonian veröffentlichte sein Buch im Jahre 1920 gleichzeitig in Paris,
London und Boston, und zwar in Englisch, Französisch
und Armenisch. Seit damals bilden die Dokumente, die
Andonian veröffentlichte, Rückgrat und Basis aller armenischen Anklagen gegen die Osmanen und ihre türkischen Erben.
Aram Andonian gibt vor, in Aleppo nach dem Einmarsch
der Briten einen osmanischen Beamten namens Naim
Bey kennengelernt zu haben, der ihm - Andonian - die
Papiere mit den Mordbefehlen zugespielt habe. Ohne hier
näher auf die gravierenden Unterschiede in der englischen und französischen Ausgabe dieser „Documents
Officiels” eingehen zu wollen, muß gesagt werden, daß
nach dem Studium beider Editionen nicht mehr klar ist,
ob es sich nun um Erinnerungen dieses Naim Bey oder
Aram Andonians handelt.
Im Text der englischen Ausgabe finden sich verstreut ins
gesamt 48 offizielle osmanische Dokumente, die folgenden Personen oder Institutionen zugeschrieben werden:
Person/Organisation
Zahl der Dokumente
Innenminister Talaat Pascha
30
Direktor der Siedlungskommission von Aleppo
Abdülahad Nun Bey
8
Gouverneur von Aleppo, Abdülhalik Bey
3
Komitee für Einheit und Fortschritt (damals die Regie
rungspartei, der auch Enver und Talaat angehörten)
2
Kriegsminister Enver Pascha
1
84
Innenministerium
Gouverneur des Gebiets Deir es Zor, Zeki Bey
Gouverneur des Gebietes Antep, Ahmed Bey
Nicht zuzuordnen
1
1
1
1
Nicht alle diese Dokumente sind vollständig; manchmal
fehlt das Datum, manchmal die laufende Nummer, gelegentlich beides. Insgesamt ist genau die Hälfte schon in
dieser Beziehung defekt.
Die Originale der von Andonian abgedruckten Papiere
wurden niemals gesichtet. In seinen Büchern erscheinen
Abbildungen von 14 Dokumenten; als er nach den Vorlagen gefragt wurde, gab er an, sie seien verloren, nicht ein
einziges der von Andonian produzierten Originale ist
heute irgendwo auffindbar. Wahrscheinlich sind die
Dokumente vernichtet worden, um den Nachweis der Fälschung zu erschweren; Andonian hat allerdings derartig
viele Fehler bei der Herstellung der Papiere begangen,
daß die Aufdeckung der Fälschung mit absoluter Sicherheit auch ohne seine ursprünglichen Papiere möglich ist.
Die falschen Daten
Die einfachste, absolut unwiderlegbare Methode, die
Papiere des Aram Andonian als Fälschung auszuweisen,
ist seine irrtümliche Verwendung der Kalenderangaben;
Andonian läßt - um nur ein Beispiel zu nennen - den
Gouverneur von Aleppe zu einem Zeitpunkt Dokumente
unterschreiben, da er noch nicht einmal ernannt war und
noch in Istanbul lebte.
Naturgemäß verwendete Andonian bei seinen Fälschungen den Rumi-Kalender, der damals im Osmanischen
Reich in Verwendung stand. Der Rumi- (römische)
Kalender der Osmanen war eine besondere Spielart des
allgemeinen islamischen Kalenders, der von der
Hedschra, der Flucht Mohammeds von Mekka nach
Medina im Jahre 622 n. Chr., ausgeht. Da er nach
Mondjahren berechnet wurde, waren bei der Ermittlung
des Rumi-Kalenders nur 584 Jahre abzuziehen, das Jahr
1987 A. D. wäre nach Rumi-Kalender 1403. Doch der
Rumi-Kalender weist noch eine Tücke auf, man rechnet
nicht nur 584 Jahre, sondern auch 13 Tage dazu. Das
Rumi-Jahr begann jeweils am 1. März. Das bedeutet, daß
die letzten beiden Monate des Rumi-Kalenders (also
Januar und Februar) bereits die ersten Monate des
christlichen Kalenders sind.
Das richtige Jahr - nach christlicher Zählung - für diese
beiden letzten Monate des Rumi-Kalenders werden
ermittelt, indem man 584 plus einem Jahr rechnet. Ein
Beispiel: Der 5. Januar des Jahres 1331 (Rumi) entspricht
dem 18. Januar des Jahres 1916 A. D. (1331+584+1 und
13 Tage).
Das ist aber noch nicht genug der Tücke. Wie gesagt, das
osmanische Jahr begann immer mit dem 1. März. Im
Februar des Jahres 1917 wurde - um die Umrechnung zu
erleichtern - die Differenz von 13 Tagen zwischen Rumiund Gregorianischem Kalender abgeschafft, allerdings
blieb die Jahreszählung mit der Differenz von 584 Jahren
unverändert. Auf diese Art wurde der 16. Februar 1332
(Februar 1917) plötzlich zum 1. März 1333 (oder 1. März
1917 A. D.) und zur gleichen Zeit wurde das Jahr 1333
(1917) als ein Jahr mit zehn laufenden Monaten vom 1.
März bis 31. Dezember angesehen.
So wurde der 1. Januar 1334 zugleich der 1. Januar 1918
A. D. (Nur zur Information: Die Türkische Republik
nahm den Gregorianischen Kalender erst im Jahre 1925
an, womit das Rumi-Jahr 1341 zu 1925 A. D. wurde.)
Diese kalendertechnischen Angaben mögen sich sehr
kompliziert und uninteressant ausnehmen, sind aber im
Zusammenhang der „Vierzig Tage des Musa Dagh” und
den Fälschungen Aram Andonians, denen Franz Werfel
zunächst aufgesessen ist, von entscheidender Bedeutung.
Bei der Zählung (und fortlaufenden Numerierung) der
„Andonian-Papiere” und der echten Dokumente der
osmanischen Regierung darf auch nicht übersehen wer-
Ein von Aram Andonian gefälschter Brief mit dem Datum 18.
Februar 1331 (2. März 1916). Der Brief beginnt oben mit einem
„Bismillah” (einem Segensspruch), wie er von einem Moslem
niemals geschrieben worden wäre. Der fatalste Irrtum passierte
dem Fälscher Andonian jedoch mit dem Datum. Da er sich offenbar mit den Tücken der Umrechnung des Rumi-Jahres der
Osmanen und der Beseitigung einer Differenz von 13 Tagen zwischen Rumi-Kalender und Gregorianischem Kalender nicht richtig vertraut gemacht hatte, datierte er ihn gleich um ein ganzes
Jahr falsch, an Stelle von 1330 kam er bereits in das Jahr 1331 also 1916, obwohl der Inhalt dieses Briefes so abgefaßt ist, daß er
die lange Vorausplanung der Umsiedlungsaktion beweisen soll.
85
den, daß die Ordnungszahlen der ein- und ausgehenden
Dokumente stets mit dem 1. März begannen (1333 Rumi
= 1917 A. D.) und, durchnumeriert, mit dem 28. Februar
(dem letzten Tag des Rumi-Kalenders) endeten. „Neujahr” war dann wieder 1. März.
Nun passierte Aram Andonian schon bei der Fälschung
des wichtigsten Briefdokuments, dem er die Nummer eins
gab, ein entscheidender Fehler. Doch zunächst zu den
wichtigsten Abschnitten dieses Dokuments.
Dokument Nr. 1
„Im Namen Gottes, des Barmherzigen des Gnädigen.
An Dschemal Bey, den Delegierten von Adana
18. Februar 1331 (2. März 1916)
Die einzige Kraft, die imstande wäre, das politische
Leben der Partei (Union und Fortschritt) in der Türkei zu
beenden, wären die Armenier, und nach unseren jüngsten
Informationen aus Kairo scheint es, als ob die Daschnaksutiun einen letzten und endgültigen Schlag gegen die
Union vorbereiteten.”
Nach einer kurzen Überleitung kommt das angebliche
Briefdokument Nr. 1 vom 18. Februar 1331 zu folgendem
Schluß:
„Das Komitee hat beschlossen, das Land vor den Leidenschaften dieser Verfluchten (den Armeniern) zu retten
und auch die Verantwortung für die Schande zu tragen,
die wegen dieser Sache über das Osmanische Reich kommen könnte. Das Komitee, das die unglücklichen Ereignisse der Vergangenheit, in der ein Racheakt dem anderen
folgte, nicht vergessen kann, hat beschlossen (voll
Hoffnung auf die Zukunft), alle in der Türkei lebenden
Armenier zu vernichten, bis auch nicht ein einziger übrigbleibt. In dieser Angelegenheit hat das Komitee der
Regierung große Befugnisse übertragen.
Die Regierung wird den Gouverneuren und Armeekommandanten alle notwendigen Erläuterungen hinsichtlich
der Vorkehrungen für die Massaker geben . . .”
Nach umständlichen Erläuterungen folgt schließlich eine
unleserliche Unterschrift.
Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß dieser
entscheidende Schlüsselbrief in Andonians Dokumentensammlung in der ursprünglichen, französischen Fassung
seines Buches mit 18. Februar 1331 datiert ist, in der englischen Version dagegen das Datum 8. Februar 1331 trägt.
Nun, der ursprüngliche türkische Text trägt eindeutig das
Datum 18. Februar 1331.
Erinnern wir uns: Nach allen Regeln der Kalenderumrechnung entspricht der 18. Februar 1331 dem 2. März
1916 (weil der Februar 1916 als Schaltjahr 29 Tage hatte),
und nicht dem 18. Februar 1915, wie in der französischen
Übersetzung angegeben, und auch nicht dem 25. März
1915, wie in der englischen Übersetzung. Mit anderen
Worten, um ein richtiges Datum zu fälschen, hätte Andonian 1330 schreiben müssen, und nicht 1331. Ein Brief, am
2. März 1916 geschrieben, kann kaum Ereignisse einlei
ten, die schon neun Monate vorher stattgefunden haben
müßten!
Wer meint, es könne sich bei dieser Fälschung noch um
irgendeine Art Zufall, einen Irrtum von offizieller Seite
handeln, wird durch Dokument Nr. 2, in Andonians
Sammlung gleich eines besseren belehrt. Der zweite
Brief seiner Sammlung hätte selbstverständlich mit dem
Datum 25. März 1332 versehen sein müssen (25. März
1915), trägt aber fatalerweise das Datum 25. März 1931.
Es ist völlig klar, das der Fälscher vom osmanischen
Kalendersystem zu wenig wußte und die Tücken dieser
Umrechnung einfach übersah.
Die türkischen Historiker §inasi Orel und Sürreya Yuca
haben im Jahre 1984 eine umfangreiche wissenschaftliche Arbeit über die Fälschungen des Aram
Andonian veröffentlicht, in der sie allen Einzelheiten - es
sind Hunderte
– der mißglückten Täuschung nachgehen; von verräterischen Datierungen über nachgeahmte Unterschriften bis
zu verballhornten Segenswünschen, „Bismillahs”, wie sie
ein Moslem nie gewagt hätte zu schreiben.
Ein besonders niederträchtiger Abschnitt der gefälschten
Andonian-Papiere beschäftigt sich - psychologisch vorzüglich aufgebaut - mit der „Erweiterung der Massaker”
- vor allem deren Ausdehnung auf Kinder. In einer dieser
Andonian-Fälschungen heißt es:
Dokument Nr. 4
Vom Fälscher Andonian zum Mordinstrument umfunktioniert:
ein Morseapparat aus jener Zeit.
86
„Das ist die entzifferte Kopie eines verschlüsselten Telegramms des Innenministeriums Nummer 502, vom
3. September 1331 (16. September 1915).
Es wird empfohlen, daß die vorher herausgegebenen
Anweisungen hinsichtlich der männlichen Personen nun
auf Frauen und Kinder ausgedehnt werden und vertrauenswürdige Individuen mit dieser Angelegenheit befaßt
werden.
Der Innenminister
Talaat
Anmerkung:
An Abdülhalad Nuri Bey. 5. September. Haben sie den
Gendarmeriekommandanten getroffen?
Der Gouverneur
Mustafa Abdülhalik”
Abgesehen davon, daß die Unterschrift des Gouverneurs
eindeutig (und primitiv) gefälscht ist, hat sich Andonian
bei der Abfassung dieses Telegramms noch einen besonderen, aus Schlampigkeit geborenen Schnitzer durchgehen lassen: Weder am 3. September noch am 5. September konnte ein „Gouverneur Mustafa Abdülhalik” mit
Verwaltungsakten in Aleppo etwas zu tun haben, weil der
Gouverneur von Aleppo damals Bekir Sami Bey hieß.
Mustafa Abdülhalik weilte anfangs September noch in
Istanbul. Er trat seinen Dienst in Aleppo am 10. Oktober
1915 an . . .
Es gibt in den osmanischen Archiven ein Telegramm vom
3. September 1331 an den Gouverneur von Aleppo, Bekir
Sami Bey, allerdings unter der Ordnungszahl 78, und
nicht unter der von Andonian frei erfundenen 502. Es hat
den Anschein, als ob Franz Werfel bei der Abfassung
seines Buches „Die vierzig Tage des Musa Dagh” von
dem Andonian-Kapitel „Die Ausweitung der Massaker”
besonders betroffen gewesen sei; sollten doch nun immer den Fälschungen Andonians folgend - nicht nur
die Männer, sondern auch die Frauen und Kinder umgebracht werden. Zwölf Dokumente Andonians befassen
sich mit dieser Frage, gleich fünf davon sollen von Talaat
Pascha persönlich stammen. Zum Glück sind gerade
diese Telegramme gleich auf Grund mehrerer Kriterien
(Datum, Unterschrift, Ernennung, Ordnungszahl) als
besonders plumpe Fälschungen entlarvt worden.
Auf Franz Werfel haben die Fälschungen Arem Andonians zunächst überzeugend gewirkt. Er hat auch den
Erzählungen seiner Wiener Kreise, die ihn mit Berichten
über „die Untaten der Türken” versorgten, anfangs sicher
geglaubt. So ist es verständlich, wie er über die MevlanaMönche urteilt, ohne offensichtlich eine wirkliche
Vorstellung von islamischer Mystik oder den Zielsetzungen des Derwischordens der Mevlana Kenntnis zu haben.
Gelegentlich appellieren seine Berichte, sicher von seinen Informanten beabsichtigt, deutlich an gewisse Instinkte, etwa, wenn er über den osmanischen Kriegsminister
Enver Pascha spricht und diesen einen „eitlen Lustknaben
des Ottomanischen Reiches” nennt oder nach einer Schilderung der Meditationsübungen der Mevlanamön-che
meint, „diese Liebesfeier dort unten kommt ja nicht aus
dem Geiste, sondern aus wilden Verrenkungen des Körpers” - als ob die harmonischen Bewegungen der tanzenden Mevlanajünger auch nur die Spur mit „wilden Verrenkungen” zu tun hätten! Doch all das mag ja noch hingehen angesichts der hohen Aufgabe, die sich Franz
Werfel gestellt hatte.
Franz Werfel wußte,
daß er Fälschungen aufgesessen war.
Abraham Sou Sever ist ein sephardischer Jude, der vor
dem Ersten Weltkrieg in Izmir zur Welt kam und später in
die Vereinigten Staaten emigrierte. Er lebt heute hochbetagt in Kalifornien.
Abraham Sou Sever hat ein schriftliches Zeugnis verfaßt,
Die gefälschte Unterschrift des Gouverneurs Mustafa Halik,
der zu der Zeit, da ihn der Fälscher Andonian „unterschreiben”
läßt, noch gar nicht ernannt war!
das Teil seines Testaments ist, in dem er die Zusammenhänge zwischen den armenischen Behauptungen vom
Völkermord und ihren Propagandamethoden aus seiner
persönlichen Sicht und Erfahrung erläutert. Von besonderer Bedeutung ist sein Bericht über Franz Werfel. Abraham Sou Severs notariell beglaubigte Aussagen befinden
sich in sicherer Aufbewahrung. Abschriften wurden wissenschaftlichen Institutionen der USA zur Verfügung
gestellt.
Abraham Sou Severs Aussage zu den Geschehnissen auf
dem Musa Dagh und Franz Werfel lautet so: „Wenn die
Wahrheit über den Musa Dagh herauskommt, ist das das
beste Zeugnis armenischer Doppelzüngigkeit und Rebellion. Fünfzigtausend Armenier hatten sich auf den Höhen
des Mosesberges bewaffnet versammelt, nachdem Vorräte
gesammelt worden waren, um einer Belagerung zu widerstehen. Tägliche Überfälle von diesem Berg aus galten
den rückwärtigen Linien der osmanischen Armee. Nach
den Überfällen zogen sich die Armenier wieder in das
Berggebiet zurück. Als die Osmanen endlich die Befestigung entdeckten, die die Armenier errichtet hatten, konnten sie dieselbe weder angreifen noch besetzen. Sie hielt
der Belagerung vierzig Tage lang stand - ein gutes
Zeichen dafür, mit welcher Sorgfalt man sich unter den
Augen der osmanischen Regierung vorbereitet hatte. Es
wurde auch niemals erklärt, daß diese armenische Rebellion von den Russen angestiftet, organisiert, finanziert und
mit Waffen und Munition versorgt worden war.
Führer der revolutionären armenischen Organisation
Daschnaksutiun haben seither zugegeben, von den Russen betrogen worden zu sein, betrogen mit Versprechungen von Unabhängigkeit und einem Neuen Armenien.
Sie haben zugegeben, daß sie von Rußland bezahlt und
ausgerüstet worden waren. Sie haben zugegeben, daß
87
Banden armenischer Revolutionäre zusammengestellt
wurden, um die osmanische Armee hinterrücks zu sabotieren, die ihre Heimat verteidigte, und das, noch bevor
die Osmanen Rußland den Krieg erklärt hatten.
Die Tausenden, die den Musa Dagh besetzt hielten, für
vierzig Tage, entkamen, indem sie vom Berg herunterstiegen und einen geheimen Ausschlupf in Richtung Mittelmeer nahmen, während die Osmanen die Vorderfront des
Berges belagerten.
Die Armenier hatten sich mittels Leuchtzeichen mit den
Schiffen der französischen und britischen Marine
verständigt, die im Mittelmeer patrouillierten. Jene
Tausende, die da entkamen, wurden an Bord britischer
und französischer Schiffe genommen und nach
Alexandrien, nach Ägypten, transportiert. Die Armenier
fanden, es läge in ihrem Interesse, zu erzählen, jene
Tausende Menschen wären umgekommen und hielten die
Rettung durch Franzosen und Briten geheim. Nur eine
kleine armenische Einheit, die kämpfend auf dem Berg
zurückgeblieben war, ergab sich schließlich.
Mein lieber, verstorbener Freund Franz Werfel, der das
Buch „Die vierzig Tage des Musa Dagh” geschrieben hat,
war niemals in jenem Gebiete gewesen, um über das
nachzuforschen, worüber er geschrieben hatte. Er schrieb
es so, wie es ihm seine armenischen Freunde in Wien
erzählten. Vor seinem Tode sagte mir Werfel, daß er sich
schäme und daß er es bereue, dieses Buch geschrieben zu
haben, und wegen der vielen Unwahrheiten und
Fälschungen, die ihm die Armenier angedreht hatten.
Aber er wagte es nicht, öffentlich diese Tatsachen zu
bekennen, aus Furcht, von den Daschnag-Terroristen
umgebracht zu werden.
Christliche Missionare hatten in den Armeniern willige
und leicht zu gewinnende Überläufer von ihrem angestammten orthodoxen Christentum zu den protestantischen und katholischen Firmenmarken gefunden. Voll
Sympathie für ihre Konvertiten halfen sie mit, die falschen Geschichten vom Massaker in der gesamten westlichen Welt zu verbreiten. Die falschen Ansprüche von
Genozid und Holocaust haben ihnen in der gesamten
westlichen Welt große Sympathie eingebracht. Sie können Widerlegung oder Gegenbeweis einfach nicht ertragen. Das ist auch der Grund, warum sie Gegenbeweise
mit Drohungen zu ersticken versuchen.”
Und die islamischen Opfer?
In der gesamten, sehr umfangreichen Literatur, die von
armenischer oder armenier-freundlicher Seite über die
tragischen Ereignisse während des Ersten Weltkrieges
erschien, wird man vergeblich nach irgendeinem Wort
des Bedauerns über die Not und den Tod so vieler
unschuldiger Moslems suchen, die im Zuge der Armenieraufstände und ihrer fürchterlichen Folgen umkamen.
Nach den verläßlichen Ergebnissen der Forschungen von
Univ.-Prof. DDr. McCarthy verloren ungefähr 600.000
Armenier in der Folge der Aufstände, Kriegswirren, Seuchen und Umsiedlung, Flucht und Hungersnot ihr Leben.
Zur gleichen Zeit und aus den gleichen Ursachen kamen
in den gleichen Gebieten zweieinhalb Millionen Menschen auf islamischer Seite ums Leben - die meisten von
ihnen waren Türken.
Die türkische Regierung begann erst in jüngster Zeit,
nach den schrecklichen Mordüberfällen auf türkische
Diplomaten in aller Welt, der Dokumentation der von den
armenischen Fanatikern verübten Greueltaten vermehrtes
Augenmerk zu schenken. Die Wahrheit darüber findet
sich gelegentlich zwischen den Zeilen, so etwa in dem
Buch Christopher Walkers „Armenia - The Survival of a
Nation”, auf Seite 247, wenn er über die erbitterten
Kämpfe zwischen Türken und Armeniern und ihre entsetzlichen Folgen für die Zivilbevölkerung schreibt:
„Greueltaten und Gegen-Greueltaten, von Türken und
Armeniern gleichermaßen verübt, brachten die Lage zum
Flammpunkt, besonders in Erzindschan. Wo immer die
88
Am schlimmsten wüteten die Terroristen nach dem Abzug der
russischen Truppen aus Ostanatolien, im Frühjahr 1918, unmittelbar vor dem Nachrücken der osmanischen Verbände. Erzurum
und Ezingan sowie die umliegenden Dörfer wurden am ärgsten
heimgesucht. Zum Teil vernarben die letzten Wunden erst heute so wird das ehemalige amerikanische Konsulat in Erzurum,
damals eine von den Terroristen errichtete „Ordnungsdienststelle”, die bei der Bevölkerung Angst und Schrecken verbreitete, erst jetzt erneuert.
Wahrheit über die Geschichten von all den verübten
Greueltaten liegen mag (und es erscheint als wahrscheinlich, daß die Armenier, die Rache für den Völkermord
ausüben wollten, Türken ohne Hemmung töteten) . . .”
Wie immer in diesen Fällen übersehen die Armenier oder
ihnen sympathisch gegenüberstehende Autoren, daß das
ganze entsetzliche Elend durch den rücksichtslosen Fanatismus armenischer Einpeitscher verursacht worden war,
die ihr armes Volk als „de facto kriegführende Nation”
ansahen - wie es der Chef der „Armenischen Delegation”,
Bogosch Nubar, in seinem Brief am 3. Dezember 1918 an
den französischen Außenminister Stephen Pichon formuliert.
Dieser von den Armeniern begonnene Befreiungskrieg
hatte ungefähr den gleichen historischen Hintergrund, als
hätten die Albaner - als Nachkommen der alten Illyrer während des Ersten Weltkrieges versucht, den gesamten
Balkan und Mitteleuropa mit Hilfe von Aufständen,
Bomben, Morden und Attentaten sowie Teilnahme von
Freiwilligenformationen an den Kriegshandlungen
wieder unter ihre Kontrolle zu bringen, und das mit der
„historisch fundierten” Begründung, die Illyrer hätten vor
dem Einfall der Kelten über ganz Mittel- und
Südosteuropa geherrscht.
Nach dem Krieg erreichte der armenische Terrorismus
einen neuen Höhepunkt, es sollte nicht nur auf dem historischen Boden Großarmeniens, eines Reiches also, daß
vor zwei Jahrtausenden für wenige Jahrzehnte bestanden
hatte und auf dem sich niemals in der Geschichte eine
armenische Mehrheit befunden hatte ein neues
Großarmenien geschaffen werden, es sollte auch an den
Türken im allgemeinen und den Führern des türkischen
Volkes im besonderen Rache genommen werden.
Die Alliierten wurden nach dem Ersten Weltkrieg von den
armenischen Agitatoren so lange bedrängt und mit
Denunziationen versorgt, bis sich die Briten entschlossen,
mehr als 140 osmanische Würdenträger - höhere Beamte,
höhere Offiziere, Regierungsmitglieder - nach Malta zu
schaffen, um ihnen dort - fast wie in einer versuchten
Vorwegnahme des Nürnberger Prozesses - einen Malteser
Prozeß zu machen.
Mit feinem britischem Humor stellten die Briten ihre
Gefangenen auch gleich im Torbogen des wunderschönen
osmanischen Friedhofs von Malta zum Gruppenfoto auf,
als wollten sie das sichere Todesurteil schon vorwegnehmen. Handelte es sich nicht um Massenmörder,
Schreibtischtäter und Irre, die man da nach Malta verschifft hatte? Gab es nicht massenweise konkrete
Zeugenaussagen und Dokumente?
Mehr als zwei Jahre lang wurden die osmanischen Gefangenen auf Malta festgehalten. Mehr als zwei Jahre lang
suchten die Sieger - vor allem die Briten - fieberhaft nach
Beweisen.
Als Sultan Mechmed V. Reschad im Sommer des Jahres 1918 (!)
starb, errichtete wieder ein armenischer Architekt die Türbe
des letzten auf osmanischem Boden beigesetzten Sultans und
Kalifen.
89
Der Osmanenfriedhof von Malta. Mit feinem britischem Humor
stellten die Sieger ihre Gefangenen zum Gruppenfoto unters
Friedhofstor: Todesurteile galten als ebenso sicher wie das
Vorurteil „schuldig”.
Das Gefängnis der in Valetta (Malta) aufgrund falscher
Anschuldigungen festgehaltenen osmanischen Würdenträger.
90
Schließlich wandten sich die Briten, nachdem auch in
Paris keine Beweise auflagen und weder in Istanbul noch
in Anatolien irgendeine Evidenz für die den Osmanen in
die Schuhe geschobene Absicht einer Massentötung zu
finden war, an die Amerikaner. Dort saßen bereits mächtige armenische Lobbies, dort gab es dank der jahrzehntelangen antitürkischen Hetze mancher protestantischer
Kreise gewiß mehr zu erfahren, Beweise zu finden.
Die Antwort aus Washington lautete: „I regret to inform
Your Lordship . . .” Seiner Majestät Botschafter in Washington hatte Seine Lordschaft darüber zu informieren,
daß auch die Amerikaner keinerlei Beweis gegen die
Gefangenen von Malta auftreiben konnten. Kurz darauf
wurden die osmanischen Würdenträger wieder freigelassen.
Am 25. Oktober des Jahres 1921 verließen die osmanischen Angeklagten die Gefängnisse der Insel Malta damals noch britische Kronkolonie -, in denen sie mehr
als zwei Jahre lang unschuldig festgehalten worden
waren, als freie Männer.
Nach außen hin taten die Briten, als ob nichts geschehen
sei. Die Abreise der ehedem osmanischen Gefangenen
wurde mit keiner Silbe erwähnt, die Lokalpresse brachte
in der Rubrik „Sailed” bloß die Kurznotiz, daß Seiner
Majestät Schiffe Chrysanthemum und Montreal, den
Hafen von Valette in Richtung Istanbul verlassen hatten.
Aber die Chrysanthemum war immerhin die Jacht des
Gouverneurs von Malta. Und auf ihre befanden sich - als
des Gouverneurs honoured guests - die freien osmanischen Würdenträger, die wieder in ihre Heimat zurückkehrten.
Nach den Freisprüchen von Malta griffen
die armenischen Terroristen zur Selbstjustiz und ermordeten die osmanische
Führungsschicht
Das Ende des Ersten Weltkrieges und die Niederlage des
Osmanischen Reiches bedeuteten für die Armenische
Revolutionäre Föderation (besser bekannt als „Daschkaks”) grünes Licht zur Bildung einer Sondereinheit des
Terrors, die den sinnigen Namen „Nemesis” erhielt. Völlig unabhängig von Gesetz, Verfahren oder gar Möglichkeit zur Verteidigung hatte sie das einzige Ziel, die von
ihr erkorenen Symbole „hinzurichten”. Erstes Schlachtopfer wurde Talaat Bey, Minister des Inneren, später
Kriegsminister. Er wurde am 15. März 1921 in Berlin auf
offener Straße niedergeschossen. Seinem Mörder,
Soghomon Tehlirian, machte man wohl den Prozeß, doch
leistete ein augenblicklich ins Leben gerufener „Soghomon Tehlirian Verteidigungsfond”, der aus aller Welt,
besonders aus den USA, Spenden in unerhörter Höhe
erhielt, massiven Beistand. Tehlirian wurde nach zweitägigem, äußerst oberflächlichem Verfahren freigelassen.
Einziger Pluspunkt für den Rechtsstaat: die von der Verteidigung angebotenen „Andonian-Dokumente”, die eine
Hauptschuld Talaats an den Vorgängen von 1915 nachweisen sollten, wurden schon damals nicht als
Beweismittel anerkannt . . .
ETERNAL VIGILANCE IS THE PRICE OF LIBERTY ewige Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit - heißt es auf dem
Sockel des Symbols der Staatsmacht mit dem Liktorenbündel:
In den Archiven der Vereinigten Staaten in Washington suchten
die Amerikaner sorgfältig nach Beweisstücken gegen die des
Mordes angeklagten osmanischen Führer. Es gab keine
Schuldigen, es gab auch keine Verurteilungen.
91
Wieder in paar Monate später fand ein Mann sein Ende,
der stets für die Armenier eingetreten war, selbst nach
dem Zeugnis so notorischer Turkophoben wie Dr. Lepsius
Dschemal Pascha wurde - gemeinsam mit seinem jungen
Adjudanten (Yaver) Süreyya Bey - am 22. 7. in Tiflis ermordet. Die Armenier übten an Dschemal Pascha Rache,
obwohl er ihnen während seiner Dienstzeit als Militärkommandant von Syrien geholfen hatte, wie immer er
konnte. Selbst der glühende Türkenhasser und völlig kritiklose Armenierfreund Dr. Johannes Lepsius schreibt in
seinem Buche „Deutschland und Armenien”: „Dschemal
Pascha, der Oberkommandierende der 4. Armee in Syrien
. . . nahm eine Sonderstellung gegenüber den
Machthabern in Konstantinopel ein. Er hat schwere Ausschreitungen in seinem Bezirk verhindert und einiges für
die Ernährung der Deportierten und die Versorgung der
Anstalten getan . . .”
An einer anderen Stelle des Buches heißt es in einem
Zitat aus einem Dokument des Außenamtes in Berlin:
Neun Monate nach Talaat erwischten die Armenier den
ehemaligen Großwesir und osmanischen Außenminister
Prinz Said Halim Pascha. Er wurde in Rom von dem
Daschnakisten Arschawir Schirakian ermordet, obwohl
soeben auf Malta von den Briten unschuldig befunden.
Arschawir Schirakian konnte das „Hinrichten” nicht lassen: schon vier Monate später ermordete er, gemeinsam
mit einem Komplizen namens Aram Yerganian, zwei Mitglieder des Jungtürkischen Komitees, Bahaeddin Шikir
und Dschemal Azmi. Sie fielen am 17. April 1922 in
Berlin unter den Kugeln ihrer Mörder.
92
„Kaiserliches Deutsches Konsulat
Aleppo
Telegramm
Abgang aus Marsch, den 1. April 1915
Ankunft in Pera, den 1. April 1915
An die Deutsche Botschaft, Konstantinopel
Dschemal Pascha hat Mittwoch den Befehl geben lassen,
niemand solle sich in Religionsangelegenheiten einmischen. Ein Muhammedaner, der einen Armenier angreife,
werde vor das Kriegsgericht gestellt.
Rößler”
Vom Ersten Weltkrieg zu einem neuen
Abschnitt türkisch-armenischer Beziehungen: die wichtigsten Etappen zu den
Friedensschlüssen von Gümrü-Alexandropol und Lausanne sowie deren Folgen
Die Jahre 1917 und 1918 waren durch eine ganze Kette
von Zusammenbrüchen gekennzeichnet, die alle in ungerechte und maßlos überzogene „Friedens”-diktate mündeten. Die schwächsten Glieder dieser Unglückskette bildeten zugleich Beginn und Ende dieser Serie: es begann
für Rußland in Brest-Litowsk und endete mit dem Diktat
gegen die Osmanen in Sevres.
Es ist bezeichnend, daß gerade diese beiden Friedensdiktate, das erste und das letzte der Reihe, nie tragend wurden. Der Vertrag von Brest-Litowsk wurde schon vor seiner Erfüllung durch das Diktat von Versailles ungültig
und die Türkei hat das Diktat von Sevres niemals anerkannt; es wurde schließlich durch den Friedensvertrag
von Lausanne ersetzt.
Eine chronologische Auflistung zeigt die Dramatik jener
Jahre, die unser Schicksal weitgehend bis heute bestimmten; der Sonderfall „Osmanisches Reich - Türkei” wird
im Zusammenhang mit der armenischen Frage ausführlicher behandelt.
Von den Pyrrhussiegen von Brest-Litowsk
und Bukarest zu den Katastrophen der
Diktate in den Pariser Vororten
Enver Pascha stand selbstverständlich gleichfalls auf der
armenischen Abschußliste; als er 1922 im fernen Dschuschambe in Tadschikistan im Kampfe gegen die Bolschewisten fiel, behaupteten die Armenier noch lange, sie hätten Enver ermordet.
Tatsache ist, daß die führenden osmanischen Regierungsmitglieder der Zeit des Ersten Weltkrieges von Armeniern
ermordet - „hingerichtet” worden sind. Wenn das
Gerechtigkeit sein sollte - warum geht das Morden heute,
Generationen später, ungehemmt weiter?
Am 8. November 1917 beschloß der II. Gesamtrussische
Sowjetkongreß ein „Dekret über den Frieden”. Es enthielt
die Forderung nach einem Frieden ,ohne Annexionen und
Kontributionen’, wobei gleichzeitig die Geheimverträge
zwischen der zaristischen Regierung und den Westmächten gekündigt werden. Die bald darauf erfolgte Veröffentlichung dieser Geheimverträge entlarvt die Kriegsziele der in der Entente vereinigten Großmächte.
Sie entlarvt vor allem die Haltung der Entente hinsichtlich der Armenier, die sich seit Kriegsbeginn an allen
Fronten gegen das Osmanische Reich im „de facto
Kriegszustand” befanden.
Denn in dem großen Aufteilungs- und Einflußzonenplan,
der da zutage trat, der die südliche Türkei den Franzosen,
den Westen den Italienern und die Meerengen und Ostanatolien den Russen zusprach, kam das Wort „Armenien” oder „Armenier” nicht einmal vor. Die Armenier
durften bloß Aufstände riskieren und an den Fronten ihre
Köpfe hinhalten . . . sonst nichts.
93
Erst nach dem Ausscheiden Rußlands (der Sowjets) aus
dem Geschehen des Ersten Weltkrieges überlegte man,
ein künftiges „Armenien” auf jenem Territorium zu
errichten, das anfänglich dem zaristischen Rußland zugedacht gewesen war . . . und ließ auch diesen Gedanken
sofort wieder fallen, als sich die Türken in Lausanne
querlegten . . .
Am 15. Dezember 1917 wurde in Bukarest ein
Waffenstillstand zwischen Rumänien und den damals
noch siegreichen Mittelmächten geschlossen, und zwischen dem 22. Dezember 1917 und dem 3. März 1918 fanden die Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk zwischen der neuen Sowjetmacht und den Mittelmächten statt.
Der Friede von Brest-Litowsk, der die Sowjets die baltischen Staaten und die Ukraine kostete und bei den Mittelmächten voreilig „Brotfriede” genannt wurde (tatsächlich
brachte er kein Brot, sondern bloß neue Probleme) hatte
auch einschneidende Bedeutung für das Osmanische
Reich.
Brest-Litowsk: die Osmanen erhalten
Ostanatolien zurück
Schon am 15. November 1917 hatten die Bolschewiken
erklärt, daß alle innerhalb Rußlands lebenden Völker völlig gleichberechtigt seien und sich daher auch von Rußland trennen könnten, um autonome Regierungen zu bilden.
Die Proklamation einer „Republik Armenien”, die bald
darauf erfolgte, beruht auf jener Erklärung. Allerdings
sollten erst die kommenden Jahre zeigen, bis zu welchem
Grad die Versprechungen der Kommunisten als bare
Münze zu nehmen waren.
Am 26. November, nach den Unabhängigkeitserklärungen Estlands und Finnlands, erbaten die Sowjets einen
Waffenstillstand.
Die Verhandlungen zwischen der kaiserlich-osmanischen
Regierung und den Sowjets begannen noch vor der Eröffnung der ersten Runde in Brest-Litowsk in der heiß
umkämpften Stadt Erzurum - von den Armeniern längst
als Hauptstadt eines Großarmenischen Reiches ausersehen. Allein die Wahl dieses Verhandlungsortes zwischen
Russen und Türken signalisierte bereits, daß davon niemals die Rede sein konnte.
Ein russisch-osmanisches Abkommen wurde am 18.
Dezember 1918 unterzeichnet. Sein Inhalt bestätigte bloß
einen Status quo ante: jede der beiden Armeen sollte in
ihren Stellungen verbleiben, bis eine Klärung des neuen
Grenzverlaufes erreicht sei.
Es war das eine gute Einleitung zu den Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk, an denen auf Seite der Mittelmächte auch eine osmanische Delegation teilnahm, zuerst
unter der Führung des kaiserlich-osmanischen Außenministers Nesimi Bey, dann unter Leitung des Großwesirs
Talaat Pascha.
Am 13. Jänner 1918 veröffentlichte die „Prawda” ein
„Dekret Nr. 13”, unterzeichnet von Lenin und Stalin, in
dem von der Bildung einer provisorischen armenischen
Regierung unter dem Beistand des „Kommissars für kaukasische Angelegenheiten, Chomian” die Rede war.
Hauptinhalt der Verordnung war, daß die Russen darangingen, die Armenier zu bewaffnen, bevor sie sich, wie
im Vertrag von Brest-Litowsk schließlich vorgesehen, aus
den alten osmanischen Städten Ardahan und Kars, aber
auch aus Batum zurückziehen würden. Eine endgültige
Grenzziehung sollte „den Staaten der Region” vorbehalten bleiben.
Die wichtigsten Bestandteile des sowjetisch-osmanischen
Einverständnisses (Annex zu dem Vertrag von BrestLitowsk) beinhalten
1) Die Räumung Ostanatoliens durch die Russen
5) Die Entwaffnung der „armenischen Freischärler-Banden”
und - das wichtigste Ergebnis für die Osmanen - festgelegt im Artikel III, die Wiederherstellung der Grenzen
wie sie vor 1878 bestanden hatten, also vor dem unglückseligen russisch-türkischen Krieg, der auch der Auftakt
zum Elend der Armenier geworden war.
Die russisch-orthodoxe Kirche von Kars: Die Russen waren in der
Zeit ihrer Besetzung Ostanatoliens ausschließlich an ihrer eigenen
Machtausdehnung und nicht an einer Förderung der Armenier
interessiert.
94
Am 10. Februar 1918 konstituierte sich in der Folge der
sowjetischen Erklärungen vom November 1917 eine
„Vereinigte Sozialistische Republik Transkaukasien”, die
Georgier, Aserbaidschaner, Daghestaner und Armenier
umfaßte. Unter der Führung eines georgischen Menschewiken, Y. Ketetschgoni, wurde eine provisorische Regierung gebildet.
An einem der besonders großen Massengräber, die kürzlich bei
Erzurum entdeckt wurden, errichtete die türkische Regierung ein
einfaches Mahnmal, das in Gegenwart von Staatspräsident Kenan
Evren eingeweiht wurde.
Bilder von der Exhumierung islamischer Opfer der Armenieraufstände: auch in Igdir gibt es noch vereinzelt Überlebende der von
Armeniern verübten Massaker, die - so wie in zahllosen anderen
türkischen Orten - ihre tragischen Erinnerungen zu Protokoll
geben.
95
Die grauenhaften Bilder der Opfer jenes unsinnigen, mörderischen
De-facto-Krieges, wie es der armenische Politiker Bogosch Nubar
formulierte, sind austauschbar, in den türkischen Archiven finden
sich Hunderte und Aberhunderte Bilder dieser Art, die islamische
Opfer des armenischen Terrors oder armenischer Aufständischer
zeigen; und die Armenier verfügen über nicht weniger entsetzliche
Bilder, die ihre toten Landsleute zeigen, bedauernswerte Menschen,
die Mord und Totschlag und Hunger und Erschöpfung anheimgefallen waren. Die Aufrechnung der Opferzahlen und Leiden der
Menschen ist sinnlos, einzig die Frage nach der Ursache solch
tragischer Entwicklungen ist zielführend zu einer besseren,
friedlicheren Zukunft.
Übersicht zu den Verhältniszahlen der islamischen (meist türkischen) Opfer des De-facto-Krieges zwischen dem Osmanischen
Reich und seiner damaligen armenischen Minderheit.
Prozentsätze der islamischen Toten, 1912—1922:
96
Wichtigste Folge der Abmachungen von Brest-Litowsk
und der daraufhin von den Sowjets eingeleiteten Neuordnung in Ostanatolien war, daß osmanische Truppen die
historischen Gebiete wieder in Besitz nahmen:
Am 13. Februar wurde Erzingan wieder osmanisch, am
24. Februar Trapezunt, am 12. März Erzurum und am 7.
April Van.
Am 14. April marschierten osmanische Truppen in Batum
ein.
Am 25. April 1918 eroberten die osmanischen
Streitkräfte Kars zurück, das, so wie ein Teil
Ostanatoliens, seit 1879 von den Russen gleichsam als
Ersatz für „Kriegsschulden” besetzt gehalten worden war.
Leider wurden die Tage des „Interregnums” zwischen
dem Abrücken der russischen Truppen und dem Einzug
der osmanischen Armee von armenischen Terrorkommandos zu einer letzten „Abrechnung” mit der islamischen Bevölkerung mißbraucht und ganze Landstriche
entvölkert, so als wäre damit noch etwas zu „retten” für
die Sache „Großarmeniens”.
Am schlimmsten wüteten die Terroristen in Erzurum und
Erzindschan: „. . .es scheint wahrscheinlich, daß die
Armenier, die Rache für den Völkermord suchten, Türken
ohne Bedenken töteten . . .” schreibt Christopher Walker
darüber.
Noch im April und ganz im Zeichen dieser dramatischen
Ereignisse fand sich in Gümrü-Alexandropol (heute
Leninakan) die armenische Nationalversammlung
zusammen und lehnte die Ergebnisse des Vertrages von
Brest-Litowsk ab. Gleichzeitig beschloß sie, auf eigene
Faust „den Krieg fortzusetzen”.
Erst als ihre militärische Lage unhaltbar geworden war,
beugten sie sich den Notwendigkeiten der Stunde und der
Seim der Transkaukasischen Republik beschloß, in
Trapezunt mit den Osmanen Verhandlungen aufzunehmen und die Beschlüsse von Brest-Litowsk anzuerkennen, was nun ihrerseits den Osmanen nicht mehr genügte.
Schließlich traf man sich am 11. Mai 1918 zur Konferenz
von Batum, bei der Halil Pascha auf der Abtretung von
Achaltsik, Akhalkalak und Gümrü bestand. Neuerlich
drohten die Feindseligkeiten auszuufern, als armenische
Einheiten in der Umgebung von Karaklis moslemische
Dörfer brandschatzten.
Inmitten der allgemeinen Wirren und gegenseitigen
Unzufriedenheit löste sich die Vereinigte Transkaukasische Republik am 26. Mai auf. Noch am gleichen Tag
erklärte Georgien seine volle Unabhängigkeit, unmittelbar darauf Aserbaidschan.
Spät in der Nacht vom 28. zum 29. Mai 1918 erklärte das
armenische nationale Zentralkomitee Armenien zur unabhängigen Republik.
Am 4. Juni 1918 schien der Friede in die leidgeprüfte
Region einzukehren: die Osmanen unterzeichneten in
Baku eine Übereinkunft mit Armenien, Georgien und
Aserbaidschan, und vier Tage darauf auch mit Daghestan. Nakitschewan blieb osmanisch. Es schien, als solle
nach der ganzen Unruhe und all dem Unfrieden, der seit
dem Vorstoß des zaristischen Rußland in die kaukasische
und ostanatolische Region dort herrschte, daß nach all
den Kriegen der Kleinen untereinander, die nur den Großen nützten, endlich Friede und Verständigung heraufdämmern mochte.
Im Zusammenhang mit der Entwicklung der Lage im
Kaukasus und Ostanatolien sollte eine bezeichnende
Episode nicht übersehen werden, die sich in der Folge
der Konferenz von Batum (11. Mai 1918) und der durch
sie ermöglichten Gründung der Republik Armenien
ergab: In Batum hatte die osmanische Delegation versprochen, sich für einen Friedensschluß zwischen den
Mittelmächten (Deutschland, Österreich-Ungarn,
Bulgarien) und den neuen Ländern der Kaukasusregion
einzusetzen, also auch Armenien Anerkennung zu verschaffen. Im Zuge der Vorbereitungen eines solchen
Friedens kam eine Delegation von Vertretern dieser
Länder nach Istanbul; Sprecher der Armenier waren die
Herren Aharonian und Hadissian. Am 6. Dezember 1918
wurden die Armenier von Sultan Mehmed IV. Vahdeddin
nach dem Freitagsgebet (dem „Selamlik”) empfangen.
Am 9. September sandte Herr Aharonian ein Telegramm
folgenden Inhalts an seinen Premierminister Katschasnuni nach Armenien:
„Arn 6. September wurden wir nach dem Selamlik vom
Sultan in Audienz empfangen. Wir sprachen unsere Glückwünsche anläßlich seiner Thronbesteigung aus und überbrachten unsere Wünsche für das Wohlergehen des
Kaiserreiches und seinen Fortschritt. Wir erinnerten
daran, daß es die osmanische Regierung gewesen ist, die
zum ersten Mal an die Gründung eines unabhängigen
Armenien dachte und daß die armenische Nation das
niemals vergessen werde, und daß die armenische
Regierung alles Mögliche tun werde, um die bestehenden
freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden
Ländern zu erhalten und zu stärken.
Seine Majestät hat uns gedankt und gleichzeitig seiner
Freude darüber Ausdruck gegeben, Vertreter eines freien
und unabhängigen Armeniens begrüßen zu können. Er
wünschte auch, daß Armenien stark sein möge, um seine
Unabhängigkeit verteidigen zu können, und auf dem Wege
des Fortschrittes voranzukommen. Seine Majestät versicherte, daß er an gute Beziehungen und freundschaftliche
Bande zwischen der Türkei und Armenien glaube. Seine
Majestät schloß die Unterredung indem er sagte, er freue
sich ganz besonders darüber, daß Armenien aus sich selbst die Kraft geschöpft habe, einen unabhängigen Staat zu
errichten, fähig, Delegierte nach Istanbul zu schicken, und
er erneuerte abermals seine Wünsche für unser Land.”
Aharonian setzt seinen Bericht fort indem er schreibt:
„Talaat Pascha ist nach Berlin gereist, um die Probleme
zu besprechen, die sich aus der Lage im Kaukasus ergeben . . .” die verwirrend genug war, weil sich Deutschland
gleichfalls in jener neuralgischen Zone der Weltpolitik
festsetzen wollte und mit den Osmanen erbittert um
Einfluß rang.
Sultan und Kalif Mechmed VI. Vaheddin (1918-1923).
Doch inzwischen nahm der Erste Weltkrieg eine dramatische Wendung.
Die weit überforderten Kräfte der Mittelmächte erlahmten.
Am 8. Oktober 1918 trat das Kabinett Talaat Pascha
zurück, damit das Osmanenreich die Rahmenbedingungen Wilsons für einen Frieden (Konstantinopel befand
sich allerdings mit den USA nicht in Kriegszustand)
besser erfüllen könne. Am 30. Oktober 1918 unterzeichneten Osmanen und die Vertreter der Ententemächte an
Bord von H. M. S. AGAMEMNON im Hafen von
Mudros (Insel Lemnos), fast in Sichtweite der
Dardanellen, ein Waffenstillstandsabkommen.
97
Der Zusammenbruch der Mittelmächte
und der fortdauernde Widerstand des
Osmanenreiches
Der Reigen der Waffenstillstandsabkommen war am
Balkan eröffnet worden.
Am 2. Oktober 1918 brach die bulgarische Westfront
unter dem Druck der vielfach überlegenen Ententekräfte
zusammen und Sofia mußte in Thessaloniki kapitulieren.
Fast gleichzeitig drückten die Briten und Franzosen,
unter starker Beteiligung armenischer Einsatztruppen, die
osmanische Palästinafront ein.
Am 30. Oktober wurde zwischen Osmanen und Alliierten
der Waffenstillstand in Mudros geschlossen. Unmittelbar
darauf durchfuhren die Schiffe der Briten und Franzosen,
die sich dort im Jahre 1915 noch eine schmähliche
Niederlage geholt hatten, die Dardanellen. Eine mächtige
Flotte von 55 Kriegsschiffen ging nun unter den Mauern
der Kalifenstadt vor Anker. Admiral Calthorpe, der für
die Briten den Waffenstillstand von Mudros unterzeichnet
hatte, wurde britischer Hochkommissar in Istanbul und
damit mächtigster Mann des Osmanenreiches.
Österreich-Ungarn streckte am 3. November in Padua die
Waffen.
98
Am 11. November unterzeichneten die Vertreter Deutschlands die Kapitulation zu Compiegne.
Verhältnismäßig kurze Zeit darauf erfolgte bereits die
Unterzeichnung der Friedensdiktate von Versailles und
St. Germain: am 28. Juni nahm das geschlagene Deutschland den Gewaltfrieden an, der schon 21 Jahre später in
den Zweiten Weltkrieg führte, und Österreichs Vertreter
unterzeichneten am 10. September 1919.
Am 27. November 1919 unterzeichnete Bulgarien in
Neully (es verlor durch diesen Friedensschluß den
Zugang zur Ägäis, also jene Gebiete, die es im Balkankrieg den Osmanen abgenommen hatte) und am 4. Juni
1920 mußte das Königreich Ungarn - oder das, was von
ihm noch geblieben war - zu Trianon beigeben.
Der Höhepunkt der „Triumphe” der Siegermächte schien
in Sevres erreicht zu werden: nachdem sich die neuen
Machthaber Deutschlands, Österreichs, Bulgariens und
Ungarns hilf- und widerstandslos in die Bedingungen
ihrer Diktatfrieden gefügt hatten, erwartete man selbstverständlich die gleiche „Haltung” auch von den Vertretern des Osmanenreiches - und sie wurden nicht enttäuscht.
Das Diktat von Sevres konnte sich sehen lassen . . . es
konnte schlimmstenfalls noch mit jenem verglichen werden, das Österreich in St. Germain hinnehmen mußte.
Das osmanische Reichsgebiet schrumpfte nach diesem
Gewaltfrieden auf etwa ein Zehntel seiner Fläche zusammen, die es noch 1912 gehabt hatte.
„Armenien” - erst nach dem Zusammenbruch des Zarenreiches von den Westmächten „entdeckt” - sollte ungefähr
die Fläche einnehmen, die nach den Geheimverträgen
unter den Ententemächten ursprünglich Rußland
zugedacht waren.
Es ist wohl merkwürdig und gewiß auch schmerzlich, daß
die osmanische Vertretung dieses wahnwitzige Diktat
unterschrieb.
Es gibt wohl eine Entschuldigung: die Hauptstadt des
Osmanenreiches war von den Alliierten besetzt, der
Sultan völlig in den Händen der Sieger; außerdem hatte er
seinen fähigsten Truppenführer, Mustafa Kemal, mit
Geld versorgt und nach Anatolien geschickt, damit er dort
Widerstand organisieren könne; nichtsdestoweniger hätte
die osmanische Vertretung unter dieses Diktat keine
Unterschrift setzen dürfen, und eine Verweigerung hätte
die prekäre Lage des Sultans bestimmt nicht verschlimmern, in den Augen des Reichsvolkes - der Türken - und
der Gläubigen (also aller Moslems auf Erden, der Sultan
war ja noch immer Kalif!) nur verbessern können, zu
verlieren war ja nichts mehr.
Das Diktat von Sevres wurde allerdings - so wie vorher
jenes von Brest-Litowsk - nie wirksam. Denn unabhängig
von der de facto-Gefangenschaft der osmanischen Regierung in Istanbul, die ja nicht mehr für die Bevölkerung
frei sprechen konnte, hatte sich in Zentralanatolien eine
neue türkische Führung herausgebildet, unter der Führung Mustafa Kemals, der später den Ehrentitel „Vater
der Türken” erhalten sollte: Atatürk.
Der Überlebenskampf der Türkei
und Armeniens:
beide Nationen retteten ihren Bestand; die
Türken in traditioneller Unabhängigkeit,
die Armenier in ebenso historisch
gewachsener, beschränkter Souveränität
Während für die Staaten der geschlagenen Mittelmächte
nach den Friedensdiktaten von Versailles, St. Germain,
Neuilly und Trianon ein Überlebenskampf einer ausgebluteten, verarmten Bevölkerung innerhalb neuer Grenzen begann, die immerhin „sicher” waren, begann für das
türkische Volk ein Überlebenskampf nicht nur um die
persönliche nackte Existenz jedes einzelnen Türken, sondern auch jene um ein Stück Boden zum Überleben überhaupt. Denn nach den Plänen der Entente blieb den Türken wenig mehr als die Gegend um Ankara . . alles andere
wurde zum Kolonial- oder Herrschaftsgebiet der
Ententemächte degradiert.
Alsbald bildeten sich auf dem Boden des altehrwürdigen
kaiserlich-osmanischen Reichsgebildes zwei Machtzonen
heraus:
Unter der Führung von Damad Ferid Pascha verläßt eine vom
Sultan bestellte osmanische Delegation an Bord des französischen Kriegsschiffes „Democratie” am 6. Juni 1920 Istanbul,
um in Sevres am 10. August 1920 das „Friedens”diktat der
Entente gehorsam anzunehmen, ähnlich wie es die Deutschen
und Österreicher in Versailles und St. Germain getan hatten.
Das Diktat wurde nie rechtskräftig, da die türkische
Nationalversammlung dessen Annahme verweigerte.
Da war zunächst das von der Entente besetzte Istanbul
mit dem von den Siegern zur Ohnmacht verurteilten
Sultan und seiner Regierung.
Da war aber noch das türkische Kernland, Anatolien. Und
da formierte sich der Widerstand . . . nicht zuletzt „dank”
der schamlosen Invasion griechischer Truppen, die das
geschlagene Osmanenreich billig beerben wollten. Am
15. Mai 1919, mehr als ein halbes Jahr nach dem Waffenstillstand von Mudros, landete ein gewaltiges griechisches Expeditionskorps - mit Einverständnis der Entente
- in Izmir, um „endlich” die „megali idea”, die „Große
Idee eines Großgriechischen Reiches” Wirklichkeit werden zu lassen. Wer sollte Anatolien gegen den neuen,
unverhofften Feind, die Griechen, verteidigen?
Am 19. Mai 1919 ging der vom Sultan nach Anatolien ent99
sandte Mustafa Kemal Pascha in Samsun an Land. Er
sollte den nationalen Widerstand der Türken organisieren
und leiten. Am 11. September 1919 trat in Sivas ein Kongreß zusammen, der es sich zum Ziele setzte „die Teile
des Osmanischen Kaiserreiches wie sie innerhalb der
Grenzen, wie sie am 30. Oktober 1918 beim Abschluß
des Waffenstillstandes von Mudros bestanden hatten”,
unversehrt zu erhalten:
„1. Die Teile des Osmanischen Kaiserreiches umfassen
alles, was sich am Tage des Waffenstillstandes von
Mudros (30. Oktober 1918) der zwischen der Hohen
Pforte und der Entente abgeschlossen worden war, innerhalb unserer Grenzen befand. Diese Gebiete sind überall
von einer überwältigenden Mehrheit einer islamischen
Bevölkerung bewohnt, die unteilbar und untrennbar miteinander verbunden ist.”
Die ganze Kraft und geschichtliche Wirksamkeit dieses
ersten und wichtigsten Satzes der Erklärung von Samsun
sind vielfach bis heute nicht voll erkannt worden.
Die Grundsätze, wie sie vom freien Kongreß in Sivas
gefaßt worden waren, fanden die volle und ungeteilte
Zustimmung des letzten osmanischen Parlaments, das die
Proklamation von Sivas am 20. Jänner 1920 vollinhalt100
Unter der Führung Mustafa Kemals wurde Ankara zum Zentrum
des nationalen Überlebenskampfes der Türken.
Blick von der Zitadelle auf die Altstadt von Ankara.
lieh bestätigte. Diese Entschließung ist in der Türkei
heute als der „Nationalvertrag” bekannt.
Da sich allenthalben der Geist des Widerstandes regte,
wurde Istanbul, immer noch die Hauptstadt des Osmanischen Reiches, am 16. März 1920 von den Briten besetzt.
Das osmanische Parlament wurde gewaltsam aufgelöst
und die - im Auftrag der Briten und nach Nominierung
durch osmanisch-armenische Denunzianten festgenommenen Würdenträger, die im Verdachte standen, sich
gegen die Armenier während des Krieges unkorrekt
benommen zu haben -, nach Malta verschickt.
Zur Antwort wählte die inzwischen nach Zentralanatolien, nach Ankara übersiedelte osmanische Nationalversammlung Mustafa Kamal zu ihrem Präsidenten, das war
am 23. April 1920.
Von diesem Tage an wurde Ankara zur Nervenzentrale des
erst jetzt in Schwung kommenden türkisch-nationalen
Widerstandes; denn bis zu diesem Tag hatten die Türken
immer noch übernational gedacht und gehandelt, als
Reichsvolk und nicht als Volk eines türkischen Nationalstaates. Doch die Umstände zwangen die Türken dazu,
endlich - als letzte der nationalen Einheiten ihres Vielvölkerstaates, zum Zwecke des Überlebens in einer durch
und durch nationalistisch gesinnten Umwelt gleichfalls
national zu denken.
Zum Zwecke der Verteidigung Anatoliens, das in weiten
Teilen bereits von fremden Okkupanten besetzt war,
wurde rasch die Armee reorganisiert und der von den
Okkupanten aufgezwungene Dreifrontenkrieg aufgenommen: im Westen waren die Griechen eingedrungen,
die sich bereits den Toren von Ankara näherten, im Süden
marschierten die mit den Franzosen verbündeten
Armenier vor und hatten schon weite Teile Kilikiens unter
ihre Kontrolle gebracht, und im Osten hatten die Armenier
begonnen, ihren großarmenischen Traum angesichts der
Niederlage des Osmanenreiches und seines vermeintlichen Zusammenbruchs zu verwirklichen.
Die Wirren einer verlängerten Kriegszeit
Türken und Armenier zwischen den Verträgen von BrestLitowsk (Dezember 1918) sowie Gümrü, Moskau und
Kars (Oktober 1921)
Zwischen 1917 und 1918, also nach dem Zusammenbruch
des russischen Zarenreiches, der ja die Westmächte ihres
großen Verbündeten im Osten beraubte und den Mittelmächten eine Atempause gewährte, wurden die armenischen Freischärler, ob sie nun an der ostanatolischen oder
ägyptisch-arabischen Front kämpften oder bloß
rhetorisch gegen die Türken, Österreicher und Deutschen
hetzten, zu einem nicht zu unterschätzenden Faktor im
Kampfe gegen das zäh sich verteidigende Osmanische
Reich, Österreich-Ungarn, Bulgarien und Deutschland.
Nun wurden endlich Versprechungen gemacht, die eine
gewisse reale Grundlage hatten; die Zugeständnisse, die
im Sykes-Picot-Abkommen an das zaristische Rußland
gemacht worden waren, hatten ja dem Zaren genützt, und
keineswegs den so hoffnungsfrohen armenischen Extremisten (extremistisch sowohl in ihren politischen Methoden wie auch ihren übersteigerten Hoffnungen).
Nun, nach dem Zusammenbruch des Zarenreiches und
dem Heraufdämmern eines neuen, bislang unbekannten
Wesens, des kommunistisch-bolschewistischen Rußland
(niemand konnte ahnen, daß es sich in seiner Politik in
nichts, aber auch schon gar nichts von der der Zaren
unterscheiden würde; am allerwenigsten vermuteten das
die Armenier!) versprach „man” alles das, was im SykesPicot-Abkommen dem Zaren versprochen worden war,
den armen Armeniern; mochten sie sich im Kampfe
gegen das Osmanenreich doch ruhig noch ein bisserl
mehr hervortun!
Llyod George, der in seiner bekannt blumenreichen Sprache Armenien (allerdings nicht ahnend, daß er dabei die
Wahrheit sagte) als ein „Land, vollgesogen von Blut”
beschrieb und dabei unfreiwillig das Blut der Moslems
meinte, die ein Vielfaches an Toten zu beklagen hatten
wie die „christlichen” Armenier, heuchelte genau so wie
Wilson oder Clemenceau: sie alle hatten ein „romantisches” Opfer erkoren, und ließen es fallen, als es nichts
mehr nützte.
Als die „Friedenskonferenz” - in Wahrheit war es eine
unselige Diktats-Vorbereitungskonferenz - im Jänner
1919 in Paris zu tagen begann, schien die Stunde der
armenischen Extremisten heraufgezogen zu sein.
Die Armenier entsandten gleich zwei Delegationen zu der
„Friedenskonferenz”. Eine stand unter der Führung der
Berufs-Emigranten Bogosch Nubar, der (ähnlich wie
Masaryk im Falle Österreich-Ungarn) die Demontierung
des Osmanenreiches seit vielen Jahren betrieb, und eine
kam aus der (nur von den Türken überhaupt ermöglichten, nach dem Vertrag von Baku am 28. Mai 1918 gegründeten) Republik Armenien.
Wie bei den Armeniern üblich, begannen die beiden
Delegationen sofort zu lizitieren und einander in
Gebietsforderungen zu überbieten und Vernunftgründen
zu unterbieten: sie verwechselten offensichtlich einen
Teppichbasar, bei dem es um Webmuster und Quadratmeter sowie Alter des begehrten Stückes gehen mag mit
Politik: ihre Forderungen wurden so maßlos, daß selbst
so eingefleischte Teppichliebhaber wie die führenden
Ententemachthaber
Ü berreste einer armenischen Dorfkirche oberhalb des Vansees, in
Bakracli Köyi, auf dem Wege nach Yedikilisse-Warakwank, von
dem nur mehr die Grundmauern erhalten sind.
Der beklagenswerte Zustand vieler armenischer Baudenkmäler ist
den Behörden wohl bewußt, doch gibt es eine weit weit größere
Anzahl von seldschukischen oder osmanischen Bauten, deren
Zustand - oft dank der Einwirkungen des Bürgerkrieges von 1915 noch viel schlimmer ist und die naturgemäß Priorität bei allfälligen
Erhaltungs- oder Wiederherstellungsvorhaben genießen.
101
jener Zeit die Lust zu einem reellen Angebot verloren: es
mußte ja nicht ausgerechnet ein armenischer Teppich
sein; schließlich waren jene der Türken noch viel älter,
kostbarer und reeller als die der notorischen Chauvinisten.
Hatte die armenische Delegation unter Bogosch Nubar
zunächst noch ein Armenien in Ostanatolien verlangt,
steigerte sich die gemeinsame Delegation (inzwischen
war unter Führung von Avetis Aharonian auch eine
Abordnung aus der von den Türken ermöglichten Republik Armenien eingetroffen) in Gebietsansprüche hinein,
die vom Schwarzen Meer, mit Trapezunt als Hafen, bis
nach Kilikien reichten.
Der armenische Bevölkerungsanteil in diesem „Großarmenien” hätte - auf der Basis des Jahres 1914! - nicht einmal ein Fünftel der Bewohner jener Region ausgemacht;
und selbst wenn man damals, 1914, die gesamte armenische Bevölkerung der Erde allein in Ostanatolien versammelt
hätte, wäre noch immer keine armenische Mehrheit erreicht
worden. Doch was sollte es: so wie sich im 19.
Jahrhundert die diversen armenischen Kirchen darum
gerauft hatten, welche die „armenischste” sei und später
die Daschnaks und Hintschaks um die Palme im Kampfe,
wer der bessere Terrorist sei, obsiegen wollten, überboten
einander nun die Delegationen aus der Republik
Armenien und jene der armenischen Diaspora. Wie
gesagt: ihr „gemeinsames Memorandum” verlangte nicht
nur die „sechs Wilajets” Van, Bitlis, Diyarbekir, Karput,
Sivas und Erzurum (in denen die Armenier niemals in der
Geschichte eine Mehrheit gehabt hatten) sondern darüber
hinaus Trapezunt, Karabagh (wo so gut wie keine
Armenier jemals gelebt hatten) Sansegur und weite Teile
Georgiens, und dazu Kilikien.
Dabei war der Ruf der Armenier als eine Nation der Friedliebenden, der Schlachtopfer, die wehr- und hilflos von
den blutrünstigen Osmanen hingemordet, ja ausgerottet
worden waren (man staunte insgeheim, wie die Armenier
trotzdem in Syrien, im Kaukasus, im Iran ja selbst in
Frankreich überall präsent waren!) doch sehr erschüttert
worden. Die Ursache: die junge, selbständige Republik
Armenien hatte nichts Besseres zu tun gewußt, als gleich
eine ganze Kette von Eroberungskriegen zu beginnen.
Der Präsident der „Delegation Nationale Armenienne”
persönlich faßt in einem Brief an den Außenminister
Frankreichs, Stephen Pichon, zusammen, warum sich die
Osmanen, die im Ersten Weltkrieg an fünf Fronten
gleichzeitig kämpften und sich dabei im Inneren
bürgerkriegsähnlichen Armenieraufständen konfrontiert
sahen, wehren und die armenische Bevölkerung aus den
gefährdeten Gebieten umsiedeln mußten:
„Monsieur le Ministre,
ich beehre mich, namens der Armenischen Nationalen
Delegation Eurer Exzellenz untenstehende Erklärung
zu übermitteln und daran zu erinnern:
Daß die Armenier, von Beginn des Krieges an, de facto
eine kriegsführende Macht waren, wie Sie es auch selbst anerkannten, und zwar bis zum Preise der schwersten
Opfer und der Leiden, die sie unerschütterlich für die
Sache der Entente ertrugen. Sie haben sich an allen
Fronten auf Seiten der Alliierten geschlagen:
In Frankreich durch ihre Freiwilligen, die sich schon in
den ersten Tagen bei der Fremdenlegion meldeten, wo
sie sich unter den Fahnen Frankreichs mit Ruhm
bedeckten; In Palästina und in Syrien, wo die armenischen Freiwilligen, rekrutiert von der Delegation
Nationale über Verlangen der Republik selbst, mehr als
die Hälfte des französischen Kontingents gestellt haben
und zum großen Teil den Sieg des Generals Allenby
ermöglichten, wie er auch selbst und seine französischen Kommandeure offiziell erklärt haben;
Im Kaukasus, wo, ohne von den 150.000 Armeniern zu
reden, die in der Kaiserlich-Russischen Armee
kämpften, mehr als 40.000 Freiwillige an der Befreiung
eines Teiles der armenischen Vilayets teilnahmen und
wo, unter dem Kommando ihrer Befehlshaber Antranik
und Nazarbe-koff, die Armenier die einzigen waren
unter den Völkern des Kaukasus, die den türkischen
Armeen Widerstand leisteten, und zwar von dem
Beginn des Rückzugs der Bolschewisten an bis zur
Unterzeichnung eines Waffenstillstandes.”
(Der Brief trägt das Eingangsdatum des französischen
Außenamtes vom 3. 12. 1918).
Auf diese Weise erklärte Boghos Nubar, daß die Armenier, die vom 1. November 1914 an bis zur Unterzeichnung des Waffenstillstandes von Mudros am 30. Oktober
1918 gegen das Osmanische Reich ununterbrochen Krieg
geführt hatten, in seinen Augen „de facto eine kriegführende Macht waren”.
Reproduktion des Briefes von Boghos Nubar an den französisehen Außenminister (1. Seite vollständig; von der Schlußseite
Grußformel und Unterschrift Boghos Nubars).
Ostanatolische Landschaft oberhalb des Vansees (YedikilisseWarakwank).
102
Die Kriege der Republik Armenien
Erstes Opfer der jungen armenischen Republik wurden
die Georgier.
Die Ursprünge des Konflikts Georgier - Armenier reichen
bis in den Beginn der armenischen Einwanderung im 6.
bis 4. vorchristlichen Jahrhundert zurück; immer wieder
fanden zwischen Georgiern und Armeniern Kriege und
Fehden statt.
Im Jahre 1920 wurde ein vorläufiger Höhepunkt erreicht,
als die Armenier über Alaverdi hinausstießen und bis an
den nördlichen Iori vordrangen; aus reiner Eroberungssucht. Hätten die Georgier diesen Ansprüchen nachgegeben, wäre das das Ende Georgiens gewesen . . . die georgische Hauptstadt hätte nur mehr „armenisches” Umland
gehabt. Der Anspruch auf die Iori-Zone war ähnlich maßlos wie jener auf Kars, Erzurum oder Adana . . . nur beunruhigender, weil er einen schwachen Nachbarn betraf, der
selbst mit tausend Problemen seiner jungen Unabhängigkeit kämpfte.
Für gewisse Zonen am Iori hatten die machthabenden
Daschnaks wenigstens eine kleine Ausrede: gelegentlich
gab es auch nördlich von Tiflis Armenier, die dort, wie
104
überall auf von Moslems einmal beherrschtem Gebiet,
eine Minderheit inmitten von Mehrheiten bildeten, ohne
daß daraus Ansprüche erwachsen konnten.
Die armenische Armee unter General Dor begnügte sich
aber nicht mit der „Inkorporierung” armenischer Bauernhöfe oder Dörfer, sondern stieß gleich in Zonen vor, in
denen es überhaupt keine Armenier mehr gab. Armenische Einheiten drangen bis in die Bannmeile von Tiflis
vor.
Erst in diesem kritischen Kriegsabschnitt rafften sich die
Georgier zu entschlossenem Widerstand gegen die Armenier auf und drängten die Invasoren zurück.
Der armenische Vormarsch auf Tiflis öffnete allerdings
der staunenden Weltöffentlichkeit die Augen. Zum ersten
Mal erkannte man, daß es die Nachbarn der Armenier
nicht mit einer „verfolgten, unschuldigen, unbewaffneten, pazifistischen, christlichen” Nation zu tun hatten,
sondern mit einem bedauernswerten Volk, das sich in
Händen einer Terrororganisation, der Daschnaksutiun,
befand, die ruhe- und rastlos nach Macht und Land
strebte, so gut wie völlig unabhängig von tatsächlichen
armenischen Siedlungsräumen. Sicher war es auch diese
Maßlosigkeit, die alle großarmenischen Träume zunächst
in Ost- dann in Südanatolien und schließlich im Kaukasus
zerstieben ließ.
Das nächste Aggressionsopfer der jungen Republik
Armeniern wurde deren östlicher Nachbar, Aserbaidschan.
Die Briten zogen ihre Truppen aus dem Kaukasusgebiet
im August des Jahres 1919 zurück, nicht ohne ihren armenischen Schützlingen große Mengen modernster Waffen
zu hinterlassen. Der einzige Ort im Kaukasus, in dem sich
nun noch alliierte Streitkräfte befanden, war Batum, von
wo aus die Briten allerdings noch kräftigst zugunsten
Armeniens mitmischten.
Der Rückzug der Alliierten aus dem Kaukasus führte augenblicklich zu offenen Feindseligkeiten zwischen Armenien und Aserbaidschan. Die Armenier beanspruchten
ja nicht nur türkisches Hoheitsgebiet und die Siedlungszonen der Moslems (Türken, Kurden, Tscherkes-sen . . .)
sondern auch Teile aserbaidschanischen Landes, vor
allem Wohn- und Weidezonen der Tataren. Sowohl
Nachitschewan als auch die Berge und Täler von Karabagh standen alsbald im Zeichen entschlossenen Tatarischen Widerstandes gegen die armenischen Okkupanten.
Bald erfaßten die Aufstände der islamischen Bevölkerung
- die ursprünglich selbstverständlich auch im Gebiet der
späteren „Republik Armenien” so gut wie überall in der
Die Offensive Armeniens gegen die unabhängige christliche
Nachbarrepublik Georgien, die ähnlich expansionistische Ziele
hatte wie der Krieg der Armen;er gegen die aserbaidschanischen
Nachbarn, zerstörte nicht nur das Image der „friedliebenden
Märtyrernation der Armenier”, sondern auch zahllose Kirchen
und Klöster in dem umkämpften Gebiet.
105
Nach dem christlichen Nachbarland Georgien fiel das islamische Aserbaidschan der Expansionslust der Republik Armenien
zum Opfer, als die Armenier die ausschließlich islamischen,
von Türken, Tataren und Aserbaidschanern bewohnten
Provinzen Nach-itschewan und Karabah okkupieren wollten.
Mehrheit gewesen war - selbst den Bezirk Eriwan. Noraschen wurde von den aufständischen Tataren erobert und
- wie üblich in armenischer Diktion - „wurde die
Bevölkerung der wehrlosen armenischen Dörfer von den
Tataren massakriert”. Vom Vorspiel wird dabei nicht
geredet: nämlich davon,
daß Armenien zuerst
Karabagh und Nachitschewan okkupiert hatte . . . Am
schlimmsten wüteten die Armenier in Sansegur, wo sie 40
(!) islami sche Dörfer dem Erdboden im Zuge einer
„Strafexpedi tion” gleichmachten und deren Bevölkerung
auslöschten. Die blutigen und grausamen Kämpfe hielten
bis zum Ende des Winters von 1920 an und schwächten
sowohl Armenien als auch Aserbeidschan ganz entscheidend in dem nun heraufziehenden Anbruch eines
bolschewisti schen Zeitalters im Kaukasus, dessen
Länder sich ihrer kurzen - von den Osmanen ermöglichten! - Selbständigkeit dank armenischer Großmannssucht
nur sehr bedingt erfreuen hatten können.
Schon im April 1920 fiel das durch den Krieg mit Armenien geschwächte Aserbeidschan den Sowjets anheim,
und mit deren Hilfe und Schiedsspruch wurden Sansegur
und Karabagh aserbeidschanisch, was das Überleben der
dortigen islamischen Bevölkerung gewährleistete.
Dann folgte der Kriegszug der Armenier gegen die Türken.
Seit dem Waffenstillstand von Mudros am 30. Oktober
1918 - kurz vorher war unter der Schirmherrschaft der
Osmanen die Republik Armenien entstanden - drängten
die Armenier wieder nach Ostanatolien hinein.
Das merkwürdige Interregnum, das sowohl zeitlich wie
auch geographisch die Zeit- und Gebietszonen zwischen
Kaukasus und Ostanatolien umfing, schien den Armeniern alle Trümpfe in die Hand zu geben, weil die lokalen
- in ihrer Ausrüstung wie in ihrer Finanzkraft äußerst
beschränkten - islamischen Einheiten, zum Teil unter
tatarischer Führung, den vereinigten Briten und Armeniern nicht widerstehen konnten.
Im April 1919 rückten die Armenier - mit britischer Hilfe
- bis Kars vor. Während Oltu und Ardahan wenigstens
nach außen hin eine britische Verwaltung erhielten, über
ließen die neuen Kolonialherren Kars gleich zur Gänze
den Armeniern.
Damals, im April 1919, glaubte sich die junge armenische
Republik, die zur gleichen Stunde auch das islamische
Nachitschewan okkupierte, auf dem vorläufigen Höhepunkt ihrer Macht: endgültiges Ziel konnte ja nur sein,
vom Brückenkopf Kars aus im Norden Trapezunt zu
besetzen (als Zugang zum Schwarzen Meer) und dann die
Als das „christliche” Armenien gegen das - gleichfalls christliche!
- Georgien im Jahre 1920 einen Offensiv-Krieg zur Vergrößerung
seines Territoriums führte, war es, hoffentlich, das letzte Mal, daß
eine Eroberungsarmee im Zeichen des Kreuzes auszog, um ein
gleichfalls christliches Nachbarland zu unterjochen.
106
Vereinigung mit den armenisch-französischen Invasionstruppen zu suchen, die von Adana nach Norden vorrückten, was ein „Großarmenien” vom Schwarzen Meer bis
zum Mittelmeer ergeben sollte (wie bei der Pariser Friedenskonferenz 1919 lautstark verlangt).
Daß die Armenier selbst zu ihren bevölkerungsstärksten
Zeiten in jenem Gebiet nur ein Sechstel der Bevölkerung
ausgemacht hatte, daß sie selbst in ihrem stärksten Wilajet, in Van, bloß ein Drittel der Bevölkerung ausgemacht
hatten . . . was sollte es?
Kars war der Expansionspunkt nach Erzurum und Sivas
im Westen, Trapezunt im Norden und Adana im Süden.
Es waren die zurückhaltende Klugheit Mustafa Kemals
und das militärische Genie des Kazim Karabekir, die
gemeinsam die Pläne der Armenier verhinderten.
Im Frühjahr des Jahres 1919 begannen die Armenier einen
Expansionskrieg nach Anatolien hinein; ihr erster Angriff
richtete sich gegen Oltu.
Ein georgischer Adler: Die Georgier konnten den armenischen
Angriffskrieg von 1920 nur dank internationaler Intervention
überstehen.
107
Die Wiedereroberung von Kars und das
Ende der armenischen Expansion
In den letzten August- und ersten Septemberwochen des
Jahres 1920 trat über Einladung der Internationale in
Baku ein „Kongreß der Völker des Ostens” zusammen,
bei dem eine geschlossene, einheitliche Front aller
Kaukasusvölker und der im Kaukasus und dessen
Umkreis lebenden Turkvölker zutage trat.
Gemeinsames Motiv all der großen und kleinen Völker
und Stämme die da vertreten waren schien die Angst vor
der Armenierherrschaft zu sein; bei den Sowjets gewiß
auch das Vorhaben, auch die Republik Armenien unter
sowjetrussische Kontrolle zu bringen, so wie vorher ja
auch Russisch-Armenien völlig unter der Kontrolle der
weißen Zaren gestanden hatte.
Für die Armenier änderte sich ja, nicht zuletzt dank ihrer
Maßlosigkeit, letztlich nichts, als daß sie nach ungeheurem Blutzoll der islamischen Völker und der eigenen
Landsleute wieder dort landeten, wo sie in der Geschichte
fast immer gewesen waren: in der Abhängigkeit; fortan
eben unter der der Russischen Bolschewiken (anstatt, wie
vorher, unter der des Zaren).
108
Auf dem internationalen Parkett hatte die junge armenische Republik inzwischen jedwede Glaubwürdigkeit,
jeden Kredit verloren. Die ununterbrochenen Kriege mit
den georgischen und aserbeidschanischen Nachbarn hatten den so kunstvoll aufgebauten Ruf vom „unbewaffneten, friedlichen Märtyrervolk” das so geschickt seine
jahrzehntelange Terrortätigkeit hatte vergessen machen
können, zerstört; die machthabenden Daschnaks, die
vorher Terroristengruppen geführt haben, dirigierten nun
eben einen ganzen (wenn auch kleinen) Staatsapparat:
vom Gruppen- zum Staatsterror war es nur ein Schritt.
Am 27. Juni 1920 griffen die armenischen Truppen Tuzla
unweit von Oltu an. Als sie sich geschlagen zurückziehen
mußten, beschossen sie am 30. Juni 1920 Oltu mit ihrer
Artillerie.
Im April 1919 besetzten die Armenier mit britischer Hilfe Kars
und bauten es zur Schlüsselstellung des Angriffs gegen Anatolien aus. Ziel war, zwei Zugänge zum Meer zu erkämpfen - im
Norden Trapezunt, im Süden Adana - und ein „Großarmerasches Reich” vom Schwarzen Meer bis zum Mittelmeer zu
errichten, obwohl die Armenier dort immer nur in einer kleinen
Minderheit gelebt hatten.
Am 8. Juli stießen sie nach Dügün Tepe vor, tags darauf
nach Cambar. Unmittelbar danach nahmen sie die Grenzgebiete von Nachitschewan und Kagizman aufs Korn und
drangen nach Kulp vor.
Nach gründlicher und gewissenhafter Vorbereitung - die
Türken verfügten nur über sehr altmodische, verbrauchte
Ausrüstung und keinerlei Luftwaffe, wohingegen die
Armenier eine kleine Staffel besaßen, - ging Kazim Karabekir im September 1920 zum Gegenangriff über.
Am 29. September eroberten die Türken Sarikamis,
zurück, am 1. Oktober erreichten sie Kagizman, nur mehr
80 Kilometer südöstlich der Schlüsselburg Kars.
Am 27. Oktober begann der Angriff gegen Kars, und drei
Tage später war die Festung mitsamt einer ungeheuren
Kriegsbeute in türkischer Hand.
Unter den Gefangenen befanden sich ein Minister, drei
Generäle, sechs Oberste und zwölf Provinzgouverneure . . .
der festgenommene armenische Kriegsminister Aratow
sah nun wohl endlich ein, daß der Vorstoß zum
Schwarzen Meer und zum Mittelmeer nur mehr ein
Traum war . . . zum Glück allerdings unblutiger Natur.
Wenige Tage darauf erreichten die Türken Gümrü-Alexandropol, und am 6. November erbaten die Armenier
einen Waffenstillstand.
Leider flackerten die Kämpfe kurz darauf wieder auf,
doch in der Nacht vom 2. zum 3. Dezember 1920 war
dann endlich Frieden: das Abkommen von Gümrü wurde
unterzeichnet.
Drei Monate später wurde das Abkommen von Gümrü
(Alexandropol; heute „Leninakan”) in Moskau noch einmal unterzeichnet; zu diesem Zeitpunkt hatten die
Sowjetrussen bereits das vollkommene Sagen und die in
dem „Vertrag von Moskau” genannten Länder Armenien
und Georgien waren von den Russen zur Vertragsunterzeichnung weder geladen noch gar gefragt worden: sie
waren wieder russische Untertanen wie vorher. Das Abkommen von Gümrü wurde übrigens nicht nur in Moskau
(am 16. März 1921) sondern, nach Approbierung durch
die Große Nationalversammlung, am 22. September 1921
auch noch in Kars unterzeichnet.
Am 26. September 1921 begannen in der gleichen Stadt
allgemeine Friedensgespräche der Kaukasusländer:
neben der russischen Delegation kamen auch die Vertreter von Aserbaidschan, Georgien und von Armenien; die
Türkei wurde durch Kasim Karabekir repräsentiert.
Die Verhandlungen liefen bis 13. Oktober; da wurde auch
der Vertrag unterzeichnet. An jenem Tag zog endlich in
der leidgeprüften Region Ostanatolien-Kaukasus ein
Friede ein - der abgesehen von kleineren armenischen
Terroranschlägen - über alle kommenden Wechselfälle
der Geschichte, auch über die gefährliche Lage während
des Zweiten Weltkrieges hinweg, hielt. Damals hatten
sich ja unter der Führung der Deutschen Wehrmacht
unter der Hakenkreuzflagge auch armenische Truppenverbände gebildet; nach dem Zweiten Weltkrieg schien
es, als wolle die Sowjetunion - so wie vorher das Zarenreich - abermals nach Kars und Ostanatolien greifen,
Kasim Karabekir Pascha.
doch blieb den Menschen jener Gebiete, die sich noch so
stark an die tragischen Ereignisse von 1915 und aller Folgen erinnerten, zum Glück ein neuer Krieg erspart.
Das Vertragswerk von Kars, datiert mit dem „13. Oktober
1921, 13-14 h” - enthält neben den präzisen Angaben
über die Gültigkeiten der Grenzverläufe (an denen sich
nichts mehr geändert hat) und die Nichtigkeitserklärung
aller allfälligen sonstigen Abmachungen bezüglich dieses
Vertrages (auch das Diktat von Sevres änderte nichts am
Vertrag von Kars, auch nicht der Friedensvertrag von
Lausanne) auch eine rechtsgültig - auch von Armenien unterzeichnete Vertragsformel, in der es wörtlich heißt:
„15 - Jede Regierung dieser Signatarmächte
(Russische S.S.R., Armenische S.S.R., S.S.R.
Aserbeidschan und S.S.R. Georgien, sowie die
Türkei) wird eine allgemeine Amnestie nach der
Vertragsunterzeichnung verkünden, ,pour tous les
meurtres et delits commis en temps de guerre . . .’”
und die Armenier waren wohl, das steht nach ihren
eigenen Angaben außer Zweifel, eine de facto
kriegführende Nation, vom August 1914 an;
eigentlich schon seit dem Jahre 1878, als die
armenischen „Volksführer” meinten, mit Hilfe der
Russen das Osmanische Reich und die Türken entmachten zu können.
109
Ein genauso tragisches Nachspiel an der
Südfront
Im Jahre 1915, als sich die osmanische Regierung nach
den mörderischen Armenieraufständen von Musch und
Van genötigt sah, das gefährdete Anatolien - die Armenier
hatten ja innerhalb der Reichsgrenzen eine zweite Front
eröffnet - durch eine Umsiedlung der Armenier zu
schützen, gelangten mehrere hunderttausend Armenier
nach Syrien.
Kaum war der Waffenstillstand von Mudros geschlossen,
fluteten die Umsiedler wieder in ihre Wohnorte zurück,
freilich nun in der Meinung, einen neuen kilikisch-armenischen Staat dort gründen zu können, wo sie nach dem
Krieg genau so eine Minderheit waren wie schon vor dem
Weltkrieg.
Ohne auf die Ereignisse auf diesem Nebenkriegsschauplatz näher eingehen zu können, sei stellvertretend eine
Episode berichtet, die das ganze Ausmaß dieses Unternehmens das an die „Tradition der Kreuzzüge erinnern”
sollte (und es leider auch tat) verstehen macht:
Nachdem die Türken die französisch-armenischen Invasoren schon längst wieder zurückgeworfen und Marsin
und Tarus wieder fest in der Hand ihrer Bewohner waren,
die sich eine armenisch-französische Herrschaft nicht
aufzwingen ließen, erklärte ein Haufen armenischer
Fanatiker die Region zwischen den Flüssen Sehun und
Jehun für „sich selbst regierend”.
Rädelsführer dieser absurden Aktion war Mihran Damadian, in Unehren ergrauter Terrorist, der sich seine ersten
blutigen Lorbeeren beim Anzetteln von Aufständen in
Sassun geholt hatte.
Als die Franzosen ihn in die Schranken weisen wollten,
erklärte er am 5. August 1920 einen „unabhängigen armenischen Staat Kilikien” unter französischem Mandat, und
besetzte nach Terroristenmanier mit einer Handvoll
bedingungslos ergebener Partisanen das Palais des Gouverneurs von Adana.
Er - als Repräsentant der Armenischen Nationalen Delegation (was immer das in Kilikien sein mochte) - erklärte
sich dort zum „armenischen Gouverneur unter französischem Schutz”. Das unglückliche Theaterstück endete
bereits eine Stunde später, als der französische Kommandant den Mihran Damadian mitsamt seiner „Regierung”
unmißverständlich aufgefordert hatte, „cette comedie
ridicule” raschest zu beenden.
Die Franzosen beendeten ihre kilikisches Abenteuer bald
darauf.
Am 11. Dezember 1918 hatte ein französisches Bataillon,
bestehend aus 400 fanatisierten Armeniern, Dörtyol - also
die notorische armenische Aufstandsgegend im Banne
des Musa Dagh und Zeituns - besetzt.
Am 20. Jänner 1920 begannen die Franzosen mit der Evakuierung von Marasch. (Am 6. Februar telegrafierte der
Patriarch von Istanbul nach Paris, 2000 Armenier seien
von den Türken „massakriert” worden; am 25. Februar
kabelte Reuter in alle Welt, die Türken hätten 70000 [sieb110
zigtausend] Armenier in Marasch hingeschlachtet . . .)
Der Kampf an der Südflanke der Türkei nahm jedenfalls
echten Kriegscharakter an, wenn auch keineswegs im
Sinne dessen, was Reuter in üblicher Manier, offenbar
noch in der Tradition der Kriegshetze, kolportierte.
Der Kampf spielte sich vielmehr zwischen den bestausgerüsteten armenischen Einheiten und ihren nunmehr wieder voll kampffähigen, von einer effizienten Regierung in
Ankara geführten türkischen Truppen ab, die mangelnde
Ausrüstung und Transportmittel durch Vaterlandsliebe
ersetzten.
Am 20. Oktober 1921 wurde zwischen M. Franklin
Bouillon als Vertreter Frankreichs und der türkischen
Regierung ein Abkommen über den bedingungslosen
Abzug der Franzosen unterzeichnet.
Dank einer unerhörten Panikmache schloß sich die überwiegende Mehrheit der erst 1918 wieder nach Kilikien
zurückgekehrten armenischen Bevölkerung - die im
Süden der Türkei als wertvolles Mitglied der türkischen
Gemeinschaft genau so wertvoll und willkommen gewesen wäre wie im übrigen Anatolien - der französischen
Rückzugsbewegung an.
Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß die geschlossene
Abwanderung der Armenier aus Kilikien geplant und auf
ein Ziel hin programmiert war: man wollte den „dümmlichen, unfähigen Türken” beweisen, daß es ohne das
armenische Element „einfach nicht ginge”; Handel - vor
allem internationaler Handel - und Gewerbe und Industrie
endgültig zusammenbrechen müßten. Das Gegenteil trat
ein. Unter allen Nachfolgestaaten des Osmanenrei-ches, in
denen sich die enorm tüchtigen Armenier zu
Hunderttausenden niederließen (sie waren ja 1915 keineswegs ausgesiedelt sondern umgesiedelt worden!) hat sich
keiner auch nur im entferntesten mit der Entwicklung in
der Türkei messen können. Einzig die Türkei schaffte bislang den Weg in eine sichere, friedliche Gegenwart mit
einer an die Grenzen der Gewißheit gehenden Option für
eine noch bessere, friedliche Zukunft, während die
unglücklichen Nachfolgestaaten, Syrien und der Libanon
vor allem, in einem Meer von Blut und Terror - nicht
zuletzt von Armeniern getragenem Terror - versinken. À
propos „Libanon”:
Der französische Oberkommandierende in Kilikien,
General Dufieux, ein notorischer Türkenhasser, der es bis
zum letzten Augenblick vermied, auch nur mit einem
Türken Kontakt aufzunehmen, verließ Adana am 24.
November 1921.
Unmittelbar vorher besuchte er noch den französischen
Soldatenfriedhof alldort, und als er den obligatorischen
Kranz niederlegte sagte er traurig: „Den französischen
Soldaten, die vergeblich ihr Blut hingegeben haben.”
Es war, als wollte er dieses Wort stellvertretend für alle
Franzosen sagen, die der Terroropfer im Libanon und
Terroropfer des libanesischen Desasters gedenken wollen; die geradezu unfaßbaren Terrorwellen, die Paris und
Frankreich aus dem Libaron in der Zwischenheit erreichten und unzählige unschuldige Opfer forderten sind alle
und ausschließlich Opfer einer französischen Politik, die
meinte, sie könnte Macht und Einfluß im Osmanenreich
(also auch in Syrien und im Libanon) gewinnen, wenn sie
armenischen Terror gewähren lasse, ja unterstütze.
Inzwischen sind in Paris zahllose, von Armeniern gelegte
Bomben hochgegangen und haben viele, viele unschuldige französische Bürger getötet; Bomben, die vor allem
aus dem einst von Frankreich zum Zwecke größeren Einflusses im Osmanischen Reich künstlich hochgepäppelten Libanon kamen.
Ein Herzstück anatolisch-orientalischer Zivilisation: die Wasser,
die vom Keban-Damm bei Elazig aufgestaut werden, kommen aus
den Quellgebieten des Euphrat, während sich die Tigrisquellen
unmittelbar am Südostrand des Kebean-Sees befinden. Hier wurden die Zeugnisse der frühen neolithischen Kultur gefunden, die
eindeutig beweisen, daß die von asiatischen Einwanderern kommende Kultur der Hurriter - die urartäische Kultur ist ihr eng verwandt - auf anatolischem Boden entstand und von dort in den
Kaukasus und in den Iran ausstrahlte.
Die armenische Einwanderung nach Anatolien - zwischen dem 6.
und 4. Jahrhundert vor Christus - bildete nur eine kleinere Episode
in der überreichen Geschichte des Landes, in dem sich nach dem
Zusammenbruch des osmanischen Vielvölkerstaates die türkische
Republik aufbaute. Die türkische und prototürki-sche Besiedlung
Anatoliens ist uralt - und noch immer bilden türkische
Halbnomaden einen wertvollen Bestandteil der Bevölkerung Ost, Zentral- und Südanatoliens.
111
Der Friede von Gümrü (Alexandropol;
heute Leninakan) vom 2. Dezember 1922
Das Burgtor der Zitadelle von Van. Die Vertragswerke von
Gümrü, Kars und Moskau (1920 und 1921) sichern die
türkische Souveränität über Ostanatolien.
Die armenischen Terroristen und ihre schiitischen Komplizen betrachten diese Hinschlachtung der an der Tragödie des Libanon völlig unschuldigen Franzosen von heute
genauso als ihren „legitimen” Tribut zu einer späten
Rache wie die noch viel unbeteiligteren Türken von
heute: denn die haben an der Unglücksserie der Armenier
noch viel weniger „Schuld” als die Franzosen an den
heutigen Zuständen im Mittleren Osten; die haben ja
einst, gemeinsam mit Russen und Briten und amerikanischen Missionaren, die unglücklichen Armenier ins
Inferno der Aufstände und des Bürgerkrieges gehetzt . . .
Am Mittwoch, dem 1. Dezember 1921 rückten türkische
Truppen an die Küste vor und in Adana fand die feierliche Übergabe der Verwaltung von den Franzosen an die
Türken statt. Damit war endlich auch der unselige
Bürgerkrieg an der Südfront beendet, der dank der
französischen Intervention wieder so grausam aufgeflackert war. Blieb noch die türkische Westfront: dort hatten die griechischen Truppen seit dem Beginn ihrer
Invasion am 15. Mai 1919 halb Westanatolien besetzt und
bereiteten bereits die Eroberung von Ankara vor.
112
Die schweren, verlustreichen Kämpfe zwischen den
Truppen Käsim Karabekirs und der Republik Armenien
endeten zunächst mit dem Waffenstillstand vom 6.
November, den die Armenier nach der Einnahme von
Kars durch die Türken und deren Vorrücken nach Gümrü
erbeten hatten.
Nach schwierigen und zähen Vorverhandlungen und
erneuten armenischen Angriffen erbat die Republik nach
der Niederlage ihrer modernst ausgerüsteten Armee bei
Schahtachti am 15. November erneut um Waffenruhe.
Zehn Tage darauf begannen die Friedensverhandlungen
von Gümrü, die am 2. Dezember 1922 zum Abschluß
eines - bis heute gültigen und verbindlichen - Friedens
zwischen der Türkei und der Republik Armenien führten.
(Kurze Zeit darauf, am 16. März 1921, unterzeichneten
die Türken den „Vertrag von Moskau”, weil ja Armenien,
so wie fast immer in seiner Geschichte, kein souveräner
Staat war, sondern unter der Oberhoheit Moskaus stand.
Armenien hatte bereits am 11. Oktober 1920 mit dem
sowjetrussischen Bevollmächtigten Legrand vereinbart,
daß „Armenien die Vermittlung Rußlands bei der Lösung
seiner Gebietsprobleme akzeptiert” - also seine außenpolitische Souveränität an Moskau abtrat.)
Der Vertrag von Alexandropol-Gümrü legt die Grenzen
zwischen der Türkei und seinem armenischen Nachbarn
völlig eindeutig fest; so natürlich auch den Grenzverlauf
nordöstlich des Berges Ararat - der Ararat ist der höchste
Gipfel der Türkei. Nichtsdestoweniger führt die Sowjetrepublik Armenien immer noch den Ararat in ihrem Wappen, was ähnlich absurd ist wie wenn die Briten in ihrem
Wappen den Kilimandscharo führten, bloß weil sie
irgendwann einmal in ihrer Geschichte dort Souveränität
ausgeübt hatten . . .
Die türkische Ostgrenze ist eine der stabilsten der Welt. Noch
unter Sultan Selim I. wurden gewaltige Festungswerke an der
Reichsgrenze gegen Persien errichtet und später verteidigten
Stammesfürsten aus Ostanatolien das Osmanenreich (Bild:
Güzelsu, südöstlich von Van).
Kopie des Vertragswerke von Gümrü, das den Grenzverlauf
zwischen der Sowjetunion und der Türkei festlegt.
Das Ende der armenisch-griechischen
Invasion und der
Friedensvertrag von Lausanne (1923)
Als die osmanische Regierung im April 1915 nach den
verheerenden Armenieraufständen in Ostanatolien, vor
allem in Van, die Umsiedlung der anatolischen Armenier
in die sicheren Südprovinzen anordnete, sparte sie die
armenische Bevölkerung Istanbuls und Izmirs ausdrücklich aus, weil dort keine Gefahr im Verzug zu sein schien.
Spätestens im Frühjahr 1919 sollte sich in Izmir zeigen,
wie vorteilhaft für alle es gewesen wäre, auch die Armenier Izmirs rechtzeitig umzusiedeln, weil sie im Zuge der
griechischen Invasion alles taten, um ihre türkischen
Landsleute zu schädigen. Armenier taten sich in den
ersten Tagen der Besetzung Izmirs durch die Griechen
mit Gewalttaten gegen die Türken besonders hervor.
Als sich die Griechen nach dem maßlosen Ausufern des
Terrors in Izmir schließlich gezwungen sahen, gegen ihre
eigenen Parteigänger vorzugehen, um dem Morden und
Plündern Einhalt zu gebieten, befanden sich unter den
zum Tode verurteilten auch zwei armenische Rädelsführer.
Im Berichte der Bristol-Kommission (der sich in der
Kongreßbibliothek zu Washington befindet und die
Lagebeurteilung durch einen Entente-Offizier enthält) ist
ausdrücklich von armenischen Banden die Rede, die in
der Gegend zwischen Izmir und Istanbul, vor allem um
Yalova und Gemlik, türkische Dörfer brandschatzten und
das Land, das künftighin nur mehr von Griechen und
Armeniern beherrscht werden sollte, von Türken „säuberten”.
Während der späteren Friedenskonferenz von Lausanne
brachte der türkische Delegationsleiter Ismet Inönü diese
Vorkommnisse auch ausdrücklich zur Sprache - und niemand widersprach ihm.
Die griechische Invasion Anatoliens endete für die Aggressoren
mit einer Katastrophe: am 15. Mai 1919 waren sie bei Izmir
gelandet, am 9. September 1922 eroberten die Türken ihre
bedeutendste Hafenstadt zurück. Unmittelbar vor dem Einmarsch
der Türken brach im Armenierviertel ein Großbrand aus, der
25000 Wohnhäuser vernichtete und den Türken eine zur Hälfte
vernichtete Stadt hinterließ.
114
Der griechische Überraschungscoup gegen die Türken
hatte am 15. Mai 1919 mit der groß angelegten Invasion
Westanatoliens begonnen; endlich sollte - nach zweitausend Jahren! - wieder „Groß-Griechenland” auf dem
inzwischen längst türkisch gewordenen Boden Anatoliens entstehen. Die Alliierten hatten das abenteuerliche
griechische Unternehmen zuvor „abgesegnet”, was nicht
hieß, daß sie bei dessen Scheitern den Opfern dieses Größenwahns beistehen würden, wie das Schicksal der griechischen und armenischen Flüchtlinge alsbald anschaulich zeigte.
Die mit modernsten Waffen und viel Kapitaleinsatz
durchgezogene griechische Aggression wurde für das türkische Anatolien existenzbedrohend, als die hellenische
Expeditionsarmee Haymana erreichte und damit das
Weichbild der neuen Hauptstadt Ankara. Dort war ununterbrochen der Kanonenlärm vom Schlachtfeld her zu
hören und die Regierung dachte zwar nicht ans Aufgeben,
aber ans Übersiedeln - oder Fliehen - nach Sivas. Doch
die Griechen hatten ihre Expansionskraft überspannt.
Allmählich gewannen die Türken, vor den Toren
Ankaras, wieder an Boden und nach elftägiger Schlacht
(vom 21. August bis 2. September 1921) brach die
griechische Angriffsspitze vor Ankara und die Verteidiger
drängten die Aggressoren rasch nach Westen ab, barfuß
zwar und elendiglich ausgerüstet und versorgt . . . aber
eben siegreich.
Frankreich erkannte sehr rasch, daß sich das Blatt wendete und beeilte sich, gute Beziehungen zu Ankara herzustellen. Außenminister Henri Franklin-Bouillon eilte nach
Anatolien und gab so zu erkennen, daß sein künftiger
Verhandlungspartner in Ankara - und nicht in Istanbul saß, wo ja noch immer eine machtlose osmanische Regierung Souveränität vortäuschte.
Frankreich also akzeptierte den neuen türkischen „Nationalpakt” und gab gleichzeitig zu erkennen, daß es das
Diktat von Sevres als nichtig betrachte. So hat jene
Nation, die in der Vergangenheit die Armenier am
entschiedensten und unverfrorensten zu Krieg und Terror
aufstachelte, als es darum ging, das Osmanenreich zu
schwächen, reagiert, als es sich abzeichnete, daß den
Türken damit nicht beizukommen war. Über Nacht geriet
die „Sache der Armenier” so in Vergessenheit, wie jene
„Großgriechenlands”, das sich soeben durch Überspannen der Möglichkeiten selbst liquidierte.
Im August 1922 begannen die Türken nach sorgfältiger
Vorbereitung ihren Angriff gegen die griechischen Invasoren, die sich inzwischen in Westanatolien eingeigelt
hatten und alles auf die Karte „Sieg” setzten; am 13. Juni
1921 begab sich sogar König Konstantin persönlich auf
das anatolische Schlachtfeld und setzte, bedeutungsschwanger, seinen Fuß dort an Land, wo die unglücklichen Kreuzfahrer Jahrhunderte vorher (gleichfalls
vergeblich) an Land gegangen waren.
Am 2. September 1922 befreiten die türkischen Truppen
Eski§ehir, eine Woche später Manisa, das die Griechen
vor ihrem Abzug in Brand steckten, so wie kurz darauf
Izmir. Den Türken sollte „verbrannte Erde” hinterlassen
werden.
Als die Kemalisten endlich vor Izmir standen, brach
unmittelbar vor dem Einmarsch der siegreichen Türken
im Armenierviertel der Hafenstadt ein verheerender
Großbrand aus, der 25000 Häuser einäscherte, die Hälfte
des Hausbestandes von Izmir. Löschmannschaften irrten
hilflos umher und suchten vergeblich nach Wasseranschlüssen: die Zisternen waren leer, die Brandlöschgeräte
zerstört, die Wasseranschlüsse unterbrochen.
Es dürfte sich bei dem Holokauston, diesem größten
Brandopfer, das innerhalb des Kraftfeldes der Antike
jemals dargebracht worden ist, um den nach der Auslöschung von Van (im Frühling 1915) entsetzlichsten
Terrorakt der Daschnaks gehandelt haben, der je die Welt
heimsuchte.
Schreckliches Ende des griechischen Angriffskrieges gegen die
Türken: Eine Flüchtlingswelle verläßt das brennende Izmir, in der
Folge verlieren Millionen Menschen ihre angestammte Heimat, in
Griechenland wie in Anatolien. Die Rechnung der griechischen
Aggressoren war ebensowenig aufgegangen wie jene der armenischen Terroristen.
Selbstverständlich verbreiteten die Brandstifter überall in
der Welt das Gerücht, die Türken hätten - am Tage ihres
siegreichen Einzuges in Izmir! - die nach Istanbul größte,
reichste und schönste Stadt Anatoliens gebrandschatzt . .
. und die Weltöffentlichkeit schluckte auch diesen
Unsinn, so wie sie vorher die anderen Greuelberichte
befriedigt zur Kenntnis genommen hatte. Die Mär vom
„häßlichen Türken” zog immer.
Am 11. Oktober 1922 unterzeichneten die siegreichen
Türken und unterlegenen Griechen den Waffenstillstand
von Mudanya, unweit von Yalova, wo die armenischen
Freischärler während der griechischen Besatzungszeit so
schamlos gewütet hatten.
Dieser Waffenstillstand bedeutete das Ende, das siegreiche Ende, des „Istiklal Harbi”, des türkischen Unabhängigkeitskrieges. Die Regierung Seiner Majestät des Sultans - immer noch Gefangener der Entente in Istanbul -,
schickte Glückwünsche.
Istanbul, Topkapi-Serail, für Jahrhunderte Residenz der
osmani-schen Sultane-Kalifen.
Die Friedensverhandlungen begannen in Lausanne, am
22. November 1922.
Ismet Pascha, der Sieger von Inönü, trat als Führer der
türkischen Delegation nach seinen Siegen auf den
Schlachtfeldern Anatoliens auch als geschickter
Diplomat hervor. Er schaffte es, die türkischen
Unterhändler als gleichberechtigte Verhandlungspartner
zu präsentieren und keinesfalls als Diktatsempfänger, wie
es noch in Sev-res geschehen war, auch wenn die
Siegermächte diese Tatsache kaum zu fassen schienen.
Im Osten der Türkei gab es keinerlei Gebietsprobleme
mehr. Die Verträge von Gümrü, Moskau und Kars regelten längst alle Gebietsfragen, die es zwischen der Sowjetunion (als neuem Herren der Armenier) und der Türkei
gegeben haben mochte. Die Türken weigerten sich auch,
in Lausanne über ihre Ostgrenze auch nur eine Silbe zu
verlieren.
Aus den Friedensverhandlungen von Lausanne ging die
Türkei als Sieger hervor, der seine - ihm auferzwungenen
- nationalen Grenzen mit Geschick und Bestimmtheit zu
verteidigen wußte. Der ganze Fragenkomplex „Nationalität” oder „Volkszugehörigkeit” war den Osmanen ja auferzwungen worden; die osmanische Dynastie kannte ja,
wie alle gewachsenen Monarchien, die diskriminierende
Eigenschaft einer „Nationalzugehörigkeit” nicht: bei einer
115
Dynastie zählte ausschließlich die Loyalität innerhalb
eines Reichsverbandes, und niemals eine Bluts- oder
Stammeszugehörigkeit. Obwohl die Türkei - gezwungenermaßen, und absolut nicht freiwillig! - nun auf dem
Wege zu einem modernen „Nationalstaat” dahinschritt,
weigerten sich die türkischen Vertreter in Lausanne, ihre
nun gewonnene „nationale Integrität” durch zusätzliche
Nationalismen gefährden zu lassen. Folgerichtig kommt
das Wort „Armenier” im Vertrag von Lausanne nicht einmal andeutungsweise vor.
Als Lord Curzon, offensichtlich in der Meinung, eine
Pflichtübung absolvieren zu müssen, auf die Armenier zu
sprechen kam, obwohl sie ihn nicht mehr interessierten
(sie hatten ihre Schuldigkeit als nützliche Idioten der Entente längst getan) fuhr ihm Ismet Inönü über den Mund:
„Es ist jetzt an der Zeit, zu betonen, daß auf dem Boden
des Osmanischen Reiches, heute auf seine rein türkischen
Landesteile zusammengeschmolzen, keinerlei Minderheit
lebt, die einen eigenen Staat beanspruchen könnte.
Obwohl der Grundsatz der Nationalität nicht überall gleichermaßen angewendet werden kann, erscheint mir die
Tatsache, daß mancher unserer Nationalitäten Unabhängigkeit anstrebten und den osmanischen Reichsverband
verlassen wollten, bis zu einem gewissen Maße gerechtfertigt. Aber heute ist die Lage völlig anders. (Die Türkei
war ja bereits auf den Rang eines reinen Nationalstaates
zusammengestutzt worden!).
So wie es völlig undenkbar wäre, daß die Griechen, die
zum Beispiel in Marseille wohnen, dort einen unabhängigen Staat bilden könnten oder Marseille ihrem griechischen Mutterland einverleiben könnten, ist es auch
ausgeschlossen, daß Griechen oder Armenier der Türkei
solche Rechte beanspruchen!”
Als der griechische Ministerpräsident Venizelos, der
durch die Invasion griechischer Truppen in Anatolien und
das nachfolgende Debakel dieses Angriffskrieges eine
gewaltige Blutschuld auf sich geladen hatte (er mußte ja
das ganze Flüchtlingselend verantworten!) in seiner Rede
kurz auch die armenische Problematik streifen zu müssen
glaubte, fiel ihm Ismet Inönü ins Wort:
„Mir scheint, Herr Venizelos hat vergessen, darüber eine
Bemerkung zu machen, welch eine Quelle des Unglücks
die Besetzung Kleinasiens durch die griechische Invasionsarmee auch für die Armenier gewesen ist. Diese
bedauernswerten Menschen waren gezwungen, in die
griechische Armee einzutreten (. . .) und wurden an die
Front geschickt, um auf die Türken zu schießen. Nach der
griechischen Niederlage gab es dann diese verheerenden
Brände und Zerstörungen. Anderseits haben die Griechen
versucht, die Untaten, die während jener griechischen
Besatzungszeit geschahen, nachher den Armeniern in die
Schuhe zu schieben. Schließlich, als sich die Griechen
geschlagen aus Kleinasien zurückziehen mußten, rissen
sie die Armenier mit sich. Die griechische Regierung ist
wohl die letzte, die sich für die Armenier verwenden darf,
weil sie direkt in alles verwickelt ist, was den Armeniern
an Schlimmem widerfuhr . . .”
116
Als Lord Curzon am 13. Dezember von „drei Millionen
Armeniern” zu faseln begann, „die es einstmals in Kleinasien gegeben habe” antwortete ihm Inönü, daß es im
gesamten
Laufe
der
Weltgeschichte
keinen
Bevölkerungsstand von drei Millionen Armeniern in
Anatolien gehabt habe (tatsächlich lebten vor dem
Ausbruch des Ersten Weltkrieges dort 1,5 Millionen
Armenier). Bitter bemerkte Inönü, daß man die Armenier
Kilikiens erst jüngst gezwungen habe - und zwar von
seifen ihrer eigenen Revolutionskomitees - ihre Heimat
gemeinsam mit den abrückenden Franzosen in Richtung
Syrien wieder zu verlassen. Der Hintergedanke bei
solchen forcierten Abwanderungen war, daß die türkische
Wirtschaft völlig zusammenbrechen würde, verfügte sich
nicht über die armenische Infrastruktur und die
Außenhandelserfahrung der Armenier - ein Gedanke, der
sehr bald durch die Tatsachen widerlegt wurde.
Als am 6. Jänner 1924 noch einmal die Rede auf die
Armenier kam, erklärte Inönü: „Es sind ausschließlich
die Alliierten, die Schuld gegenüber den Armeniern
haben. Es sind die Alliierten, die die Armenier gegen die
Türken aufhetzten und sie als Werkzeug ihrer Politik
mißbrauchten . . . es sind die Alliierten, die die Armenier
dem Hunger, den Epidemien und schließlich dem Exodus
überantworteten. Uns trifft dafür keine Schuld, sondern
ausschließlich die Mächte der Entente. Wenn die
Armenier eine Kompensation für all das verdienen, was
sie erlitten haben, dann gebt sie ihnen!”
Nach diesem dramatischen Konferenztag kam die Problematik der bedauernswerten Armenier, die sich von den
Versprechungen der Entente hatten hinreißen lassen,
nicht mehr zur Sprache.
Da das Wort „Armenien” oder „Armenier” im Vertragstext von Lausanne nicht vorkommt, war auch endlich der
diabolische Vorwand, den die Russen durch Einfügung
einer armenischen Klausel in San Stefano und in Berlin
(1878) geschaffen hatten, aus der Welt geschafft, zum
Nutzen jener Armenier, die in der Türkei verblieben und
dort als Bürger wie jeder andere Mensch der türkischen
Gemeinschaft leben, unter den gleichen Gesetzen, mit
gleichen Rechten und Pflichten wie alle.
Am 24. Juli 1923 unterzeichneten die Mächte den Vertrag
von Lausanne. Die armenische Delegation hatte schon
am 2. Februar, als sie die Aussichtslosigkeit ihrer
Bemühungen und die Hilflosigkeit ihrer „Verbündeten”
erkannte, Lausanne verlassen.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß die Sowjetrussen, die Russisch-Armenien am 29. November 1920
durch die Gründung der „Armenischen Sozialistischen
Sowjetrepublik” wieder völlig in der Hand hatten, durch
ihren Außenminister Tschitscherin von einem neuen
„nationalen Foyer für die Armenier” an der Wolga oder in
Sibirien redeten. In den dreißiger Jahren machte dann
Stalin diesen Zynismus zur schrecklichen Wirklichkeit,
als er begann, die Armenier in großem Umfange ausgerechnet in das Altai-Gebiet (die Urheimat der Türken)
umzusiedeln.
Nach der Beendigung der Friedenskonferenz von Lausanne verlassen die Delegierten der Entente und der Türkei am 24. Juli
1923 den Schauplatz des Geschehens, bei dem sich Ismet Inönü
als türkischer Delegationschef voll durchgesetzt hatte, das Konferenzgebäude, die Universität von Lausanne.
Meist wird im Zusammenhang mit der Tragödie der
Armenier übersehen, auf den Artikel 31 des Vertrages von
Lausanne hinzuweisen: er enthält die Bestimmung, daß
jeder ehemalige Staatsangehörige des Osmanischen
Reiches, der im Zuge der Gründung der Nachfolgestaaten
eine neue Staatsbürgerschaft erhalten hatte innerhalb von
zwei Jahren als türkischer Bürger in die Türkei kommen konnte
und Artikel 31 galt selbstverständlich auch für alle
osmanisch-armenischen Bürger, die während des Krieges
umgesiedelt worden waren, ja aus welchem Grund auch
immer in der Nachkriegszeit nicht auf türkischem Boden
weilten. Artikel 31 war für die umgesiedelten
Die Türkei schrumpft nach dem Weltkrieg auf ein Zehntel ihrer
Fläche.
(Aus: „Chronik der Menschheit”, Chronik-Verlag, Dortmund.)
117
Armenier, die in die Türkei zurückkehren wollten, maßgeschneidert.
Entsprechend diesem Vertragspunkt konnte jeder Armenier,
der einmal osmanischer Bürger gewesen war, bis zum 24. Juli
1925 als gleichberechtigter türkischer Bürger in die Türkei
kommen.
Damit ist jede Rede von „Austreibung” hinfällig; zumal die
Armenier nach den Aufständen von Ostanatolien ja nicht aus
dem Reichsgebiet ausgesiedelt, sondern in weniger gefährdete
Provinzen umgesiedelt worden waren.
Mit dem Untergang des Osmanischen Reiches zerbrach einer
der vornehmsten, großartigsten Vielvölkerstaaten der Weltgeschichte. Die Welle des tödlichen Giftes „Nationalismus” hatte
ihn spät, aber umso verheerender erreicht. Trotz aller Fehler
und Fehlleistungen der Osmanen schält sich im Bild der
Geschichte immer klarer die Bedeutung dieses Reiches heraus,
in dem Sunniten wie Schiiten, Christen vieler Bekenntnisse,
Juden und Sabäer ihre gute Zeit hatten.
118
Der Terrorismus als blutiger, realer
Phantasiekrieg
Terrorismus ist die Kampfart des Phantasiekrieges. Terror
und Phantasiekrieg sind ein Phänomen, das Menschen
dazu verleitet, so zu tun, als gäbe es „Krieg” mit all
seinen Freibriefen zum Töten, wobei in fast allen Fällen
der Gegner (meist sind es Staaten, denen der
Phantasiekrieg erklärt wird) dazu neigt, denselben
wegzuleugnen, zu verdrängen, so zu handeln, als gäbe es
diese phantastische Kriegserklärung nicht.
Wird einmal einer der Kriegsgegner gefaßt, versucht die
Staatsgewalt meist, den Unhold so schnell wie möglich
wieder loszuwerden, ihn laufen zu lassen, um nicht lästigen Erpressungen ausgesetzt zu sein. Frankreich kann für
diese Verhaltensweise besonders gegenüber dem Armenierterror als abschreckendes Beispiel genannt werden.
Es braucht zu einem solchen Phantasiekrieg mindestens
zwei gegenseitige, organisierte Gruppen (und manch ein
Staat scheint aus diesem Grunde den Eindruck erwecken
zu wollen, nicht organisiert handeln zu wollen). Meist
handelt es sich um einen bestimmten Staat auf der einen
Seite, der sich den Angriffen einer mehr oder weniger
großen Organisation ausgesetzt sieht, die sich staatliche
Attribute (Vollmacht zur Exekution von „Urteilen”, also
Herrschaft über Leben, Freiheit und Tod, erpresserisches
Eintreiben von Steuern und Abgaben, Beeinflussung oder
gar Beherrschung der Medien) arrogiert.
Terrorgruppen verüben die schlimmsten Verbrechen im
Namen ihrer „Eigenstaatlichkeit” und der daraus resultierenden „Eigengesetzlichkeit”, die sie zur allgemeinen
Norm erheben und anerkannt sehen wollen.
Die Phantasiekriege der Terroristen führen entweder zum
offenen, „echten” Krieg, der mit dem Unterliegen einer
Partei endet - allzuoft mit dem Untergang eines Staates oder sie laufen sich im fortgesetzten, oft über Jahrzehnte
oder wie im Falle des armenischen Terrors gar über mehr
als ein Jahrhundert währenden Schreckenstaten fest.
Gerade solche Organisationen wie die armenischen Terrorkommandos zeichnen sich durch eine besondere, wenn
auch pervertierte „Liebesbeziehung” zu einem „Liebesobjekt” aus: sie wollen einen armenischen Großstaat,
obwohl es so etwas bloß vor zwei Jahrtausenden und für
eine ganz kurze Zeit gegeben hat und das noch dazu auf
einem Territorium, auf dem es niemals in der Geschichte
eine armenische Mehrheit gegeben hat. Sie wollen außerdem Rache für ein bestimmtes historisches Ereignis, das
zumindest in der Form, wie sie es verstehen, niemals stattfand. Eine doppelt irrationale Motivation, offensichtlich
doppelt gefährlich als andere Terrorgruppen mit wenigstens einer Spur von Wirklichkeitssinn und historischem
Rüstzeug.
Terroristen - besonders armenische Terroristen - leben
mitten unter uns, bauen sich ihre eigene Subkultur auf,
mit eigenem Wertsystem und versuchen zudem ständig,
Proselyten zu machen, Überläufer zu finden, die ihre ter-
Zeitgenössische armenische Postkarten mit den Helden des
Terrors; in der Mitte der oberen Reihe einer der Rädelsführer
des Überfalls auf die Osmanische Bank, Papkenian.
roristische Gegenkirche höher einschätzen als eine orthodoxe armenische Kirche oder eine andere, friedliche
armenische Organisation.
Da die Armenier ein überdurchschnittlich intelligentes
Volk mit - dank ihrer Tüchtigkeit und ihres Fleißes - überdurchschnittlich hohen Einkommen und Bildungsgraden
sind, zeichnen sich die durch die Führer des armenischen
Terrors gewonnenen Kader durch besondere Effizienz
aus, eine Wirkungskraft die so weit geht, daß es Journalisten, Historiker, Filmemacher oder Fernsehmanager, die
durchaus genug Einfluß und Wissen hätten, gerade den
armenischen Terror und die falschen Voraussetzungen der
ihm zugrundeliegenden Argumentation zu enttarnen,
ängstlichst vermeiden, etwas gegen die Gewalttäter zu
unternehmen. Das ist einer der Hauptgründe, wenn nicht
der Hauptgrund, warum an jede Meldung über einen
neuen Bomben- oder Revolveranschlag armenischer Terroristen wie in einer fest eingefahrenen rituellen Pflichtübung der Standardsatz angehängt wird: „Das Terrorkommando, das die Verantwortung für den Anschlag
übernommen hat, rechtfertigt das Attentat mit dem von
den Türken im Jahre 1915 verübten Völkermord an den
Armeniern.” Hier wird eine ganz gewöhnliche PR-Nachricht nicht mit Geld, sondern mit Blut eingehandelt!
Allein das Weglassen dieses albernen, durch nichts zu
entschuldigenden Nachsatzes würde das wesentliche
Motiv der Attentäter - die ständige Wiederholung eines
niemals in dieser Form stattgefundenen Ereignisses zunichte machen.
Solange die „Botschaft” mit Hilfe des Blutzolls allerdings
so leicht über die Rampe zu bringen ist, wird es auch Terroranschläge von dieser Seite geben.
Im „Normalfall” der menschlichen Existenz spielt der
biologisch motivierte Überlebenstrieb, der den Gedanken
an Tod und ein endgültiges „Aus” meisterhaft zu verdrän-
Gewisse armenische Kreise, vor allem in den Vereinigten Staaten,
pflegen den „Helden”-Kult um zeitgenössische Terroristen genauso wie ihre geistigen Väter im 19. Jahrhundert.
Das Verbrechen des Schweigens liegt weniger über der Sache des
Unglücks des armenischen Volkes - über das sehr, sehr viel publiziert wurde -, sondern vielmehr auf Seiten jener Autoren und
Historiker, die geschichtliche Zusammenhänge wohl kennen, aber
aus Angst vor armenischem Terror die Wahrheit nicht sagen.
gen weiß, durch tausend Mechanismen übertölpelt und
endlich dazu führt, daß der Mensch Jahr für Jahr dahinlebt, und seinen Freuden und Leiden lebt als gäbe es kein
endgültiges „Aus”, das allerdings jede Sekunde eintreten
kann, eine lebensbeherrschende Rolle. In manchen Fällen
hilft die Vorstellung von Unsterblichkeit, der Hoffnung
(oder Gewißheit), der Tod sei nichts als ein Schritt vom
irdischen, zeitlich begrenzten in das ewige Leben. Während in fast allen menschlichen Existenzen der Tod als
etwas Schwerwiegendes, als ein nach Möglichkeit
hinauszuschiebendes Ereignis betrachtet wird und Ärzte
in diesem „Hinausschieben” mitunter Unmenschliches zu
leisten wissen, während Priester um längeres Leben oder
119
ewiges Leben beten und Sakramente spenden, geht der
Terrorist in vielen Fällen mit einem Achselzucken über
eigenes — und fremdes - Leben hinweg: die anderen
Toten sind nichts als Bauschutt auf dem Wege zum Ziel
und sein eigener Tod ist ein gerne geleisteter Zoll an das
angenommene Ideal, sei es nun ein (armenisches) Utopia
oder vollzogene Rache, auch wenn es nichts zu rächen
gab.
Es gibt im menschlichen Zusammenleben allerdings einen
Ausnahmezustand in dem der Tod so massenhaft auftritt,
daß er dadurch seine Schreckhaftigkeit wie oft sogar
seine Meßbarkeit zu verlieren scheint; einen Ausnahmezustand, in dem der Tod mitunter mit größter Begeisterung
gesucht wird, und Freunde und Verwandte den Tod eines
geliebten Menschen mit Jubel, Stolz und Begeisterung
begrüßen können, besonders dann, wenn der DahingeWährend sich weder auf dem Festungshügel von Van noch auf
dem von Cavustepe auch nur eine Spur von armenischer Besiedlung findet, gibt es mehrere urartäische Inschriftensteine, die
später entweder mit Kreuzen verziert oder in armenische Grabsteine umgewandelt wurden; solche Monumente fanden sich auch
in dem Dorf zu Füßen von Чavuшtepe, das an der gleichen Stelle
liegt wie das alte urartäische Dorf.
Zum Schaden aller hat der extreme Nationalismus der armenischen Führungsschicht ein weiteres Zusammenleben dieses Volkes mit den anderen Völkern und Stämmen Ostanatoliens verhindert.
Es gibt verschiedene Arten der Meuchel-Propaganda; eine der
übelsten ist die der versteckten Fälschung. Das Pamphlet „Der
Völkermord an den Armeniern vor Gericht” - schon in sich eine
Unwahrheit - wird garniert durch eine Bildmontage, hergestellt
aus einem Portrait des inkriminierten Talaat Pascha sowie einem
schaurigen Berg von Totenschädeln.
Der flüchtige, oberflächliche Betrachter - und auf den kommt es
an, weil er die überwältigende Mehrheit bildet - wird unweigerlich Talaat mit dem auf dem Titelbild wiedergegebenen Kranion
in Verbindung bringen; womöglich gar als Täter. Die Wahrheit ist
freilich völlig anders: Die Schädelstätte gibt ein Gemälde des russischen Schlachtenmalers Wassilij W. Werestschagin (1842-1904)
wieder und ist eine „Apotheose des Krieges” von 1871 (PreußenFrankreich), stammt also aus einer Zeit, in der es ein „armenisches Problem” noch gar nicht gab . . . das wurde erst 1878 beim
Diktat von San Stefano von Rußland ins Spiel gebracht.
schiedene vor seinem eigenen Tod noch möglichst viele
„Feinde” umgebracht oder mit in den Tod genommen hat;
wenn er etwa ein Flugzeug zum Absturz oder ein Passagierschiff zum Sinken oder eine Stadt zum Verglühen
gebracht hat. Solche Menschen werden ausgezeichnet,
hoch dekoriert, sogar auf ihre Gräber legen die Oberen noch
Diplome und Orden: es ist der Krieg, der diesen Primat des
Todes über das Leben öffentlich gutheißt, ja begrüßenswert
erscheinen läßt, daß eine Gesellschaft die andere auslöscht,
eine Hochkultur die andere in den Abgrund stürzt.
120
Jeder einzelne Soldat darf im Kriege Mitmenschen in
beliebiger Zahl umbringen, wenn sie nur auf der „anderen” Seite stehen, je mehr, desto besser, und der Kriegszustand ermöglicht es, daß gefangengenommene, hochdekorierte feindliche Soldaten, die den Ausweis über ihre
Tötungskapazität sozusagen stolz auf der Brust tragen,
sogar vom siegreichen Feinde geehrt und geachtet werden.
Ein gefangengenommener Terrorist, ein geschnappter
Killer von der Terrorfront, verlangt denn auch stereotyp,
von seinen Häschern als „Kriegsgefangener” behandelt
zu werden, nicht nur wegen der besseren Haftbedingungen, sondern auch wegen der Schwierigkeit einer Verurteilung und einer baldigen Entlassung.
Tatsächlich befindet sich jeder Terrorist - subjektiv - im
Kriegszustand, wenngleich es sich dabei um seinen persönlichen Phantasiekrieg handelt, denn zum wirklichen
Kriegführen bedarf es wenigstens zweier klar unterscheidbarer Einheiten, die wenigstens über eine
beschränkte Souveränität verfügen. Dazu muß kommen,
daß wenigstens eine der Streitparteien einen „Feind”
erkennt (im Falle Türken - Armenier recht schwierig, weil
die Türken die Armenier noch immer sehr achten und
hoch einschätzen, wie jeder Türkeireisende leicht selber
feststellen kann) und es muß ein casus belli vorhanden
sein, ein Kriegsgrund, der in fast allen Fällen auch den
friedfertigsten Gegner zwingt, eine ähnlich feindselige
Haltung einzunehmen wie der Feind, will er überleben.
Die Folgerungen für die Terrorszene sind klar: die Terroristen haben der menschlichen Gesellschaft, unter welchen Vorwänden auch immer, den Krieg erklärt.
Auffallend bei der Entwicklung des armenischen Terrors
ist die Haltung, die einige armenische Gemeinschaften vor allem in den USA und in Frankreich, wo sie einen
gewichtigen, finanzkräftigen und hochintellektuellen
Faktor des öffentlichen Lebens ausmachen - gegenüber
der Terrorszene einnehmen. Armenische Vereine und
Verbände geben sich dort mitunter bemerkenswert konziliant, wenn sie nicht gar den Terror offen unterstützen.. Es
ist sogar wiederholt vorgekommen, daß in öffentlichen
Gottesdiensten umgekommener oder dingfest gemachter
Terroristen gedacht wurde. Das „Betriebsklima” bei diesen Gedächtnis- und Sympathiekundgebungen, die sich
in weltlichem wie in kirchlichem Rahmen abspielen,
stammt nicht nur von der Tatsache her, daß viele Armenier Opfer von Erpressungen durch die eigenen Terrororganisationen werden, sondern vor allem von dem aufgeputschten, weitgehend falschen Geschichtsbewußtsein,
das vor allem in manchen Presseerzeugnissen der armenischen Diaspora verbreitet wird, wobei es auf solche Lappalien wie „EINE Million Tote im Jahr 1915, zwei oder
zweieinhalb Millionen Opfer” (gelegentlich in der gleichen Zeitschrift!) überhaupt nicht anzukommen scheint.
Armenische Intellektuelle zeigen auch eine bemerkenswerte Intoleranz gegenüber Fachleuten, die anderer
Ansicht über den Verlauf der Geschichte sind als sie: so
kann Univ.-Prof. DDr. Justin McCarthy, der die sensatio-
nelle, wissenschaftlich unwiderlegbare Publikation
„Muslims and Minorities” verfaßte, in der die wahren
Bevölkerungszahlen Anatoliens erstmals aufscheinen,
seine Vorträge stets nur unter massivem Polizeischutz
abhalten; dem Historiker Stanford J. Shaw, dessen
„History of the Ottoman Empire” dem armenischen
Geschichtsbild nicht entsprach, wurde das Haus zerbombt, um ihn einzuschüchtern und an weiteren
Publikationen zu hindern.
Diese Einschüchterung geht so weit, daß heute bezweifelt
werden darf, ob sich noch ein armenischer Verleger
fände, der das einigermaßen objektive, aber durchaus
armenierfreundliche Buch der Louise Nalbandian über
das „Armenian Revolutionary Movement” neu auflegen
wollte, weil sich darin immerhin einige kritische Worte
finden.
Die armenischen Terrororganisationen
Die armenischen Terroristen führen ihre Anschläge unter
dem (Deck)namen mehrerer Organisationen durch, aber
trotz der verwirrend erscheinenden Vielfalt von Kürzeln
und breit ausgewalzten Programmtiteln läuft alles auf
bloß zwei Organisationen hinaus.
Die älteste armenische Terrororganisation erwuchs aus
der Daschnakisten-Partei, die von Anfang an im Banne
der russischen Anarchisten und Ultras stand. Sie wurde in
Russisch-Armenien groß und war eine Antwort der
Extremisten auf die vergeblichen Bemühungen der gleichen Kreise, der armenischen Minderheit innerhalb des
osmanischen Reichsverbandes einen eigenen Staat
zukommen zu lassen, Bemühungen, die wegen der kleinen Minderheit, die die Armenier in Ostanatolien immer
gebildet hatten, von vornherein zum Scheitern verurteilt
waren.
Das Erbe dieses armenischen Ur-Terrors (in diesem
Buche wird über den armenischen Terrorismus im
Osmanischen Reich des 19. und 20. Jahrhunderts ausführlich berichtet), der dem Terror der schiitischen
Selbstmordkommandos verblüffend ähnelt, trägt - aus
historischer Sicht - in erster Linie die JCAG (Justice
Commandos of the Armenian Genocide, Gerechtigkeitskommandos für den Armenischen Völkermord’).
Die Terrorüberfälle der JCAG gelten, es klingt fast
komisch, als von „Konservativen” ausgeführt. Ihre Spezialität scheint die Ermordung türkischer Diplomaten und
ihrer Familienangehörigen zu sein.
ASALA (Armenian Secret Army for the Liberation of
Armenia, Armenische Geheimarmee zur Befreiung
Armeniens’) wird hingegen allgemein als eine marxistische, stark am Gängelband der Sowjetunion hängende
Terrororganisation angesehen, die in der Existenz einer
„Sozialistischen Armenischen Sowjetrepublik” einen
Idealzustand sieht und die „Vereinigung” Ostanatoliens
mit der ASSR anstrebt.
121
Die Sowjets können diesem Gedanken nur bedingt zustimmen, fürchten sie doch, daß ein allzu großes Armenien leicht abtrünnig werden könnte, unterstützen aber
dennoch die gegen die Türkei (auch als wichtigem
NATO-Bündnispartner) gerichteten Aktivitäten.
Die ASALA genoß im Libanon jahrelang auch die Gastfreundschaft und Förderung schiitischer Terrorgruppen,
zu denen diese armenischen Terroristen überhaupt eine
besondere Affinität zu haben scheinen . . . von der
Todesbereitschaft, ja Todessehnsucht bis zu der Radikalität der Anschläge, bei denen stets ohne die Spur einer
Rücksicht auf völlig Unbeteiligte vorgegangen wird.
Trotz der offenkundigen geistigen Verwandtschaft zu den
schiitischen Auffassungen über Wert oder Unwert des
Lebens verkündete die ASALA in ihrem Sprachrohr
ARMENIA: „Unsere Streitkräfte werden niemals gegen
die Sozialistische Armenische Sowjetrepublik (ASSR)
vorgehen, die schon befreit ist.”
Das entspricht vollendet den Interessen der Sowjetrussen, die so wie ihre zaristischen Väter den Zugang zu den
„Warmen Wassern”, also die Herrschaft über Ostanatolien (als Brücke zum Golf) und den Bosporus (als
Passage ins Mittelmeer) mit allen Mitteln anstreben.
Trotz der Massendeportationen von Armeniern ins Innere
Asiens, die Stalin durchführen ließ, kamen die armenischen Intellektuellen mit dem Sowjetsystem meist
bestens zurecht, wie die Karrieren eines Anastas Mikojan
oder eines Juri Andropow, der es gar zum sowjetischen
Staatsoberhaupt brachte, schlagend beweisen. Die
zahllosen anderen Terrororganisationen, die in den
Verbrechenslisten aufscheinen, sind nichts als Sigel für
die zwei großen Terrorgruppen, die nach Gutdünken und
Belieben Umbenennungen vornehmen, teils, um die
Öffentlichkeit über die wahren Größenverhältnisse zu
täuschen, teils um die eigenen Mitglieder in ihrer
Eitelkeit zu befriedigen, eine „neue” Terrorgruppe führen
zu dürfen.
Die Öffentlichkeit sollte sich von gelegentlichen Streitereien oder Eifersüchteleien - wenn etwa JCAG und
ASALA um den Lorbeer ringen, wer wen wann wo
umgebracht habe - nicht täuschen lassen. In dieser
unheimlichen Welt der Schatten und Spiegelbilder ist der
unlautere Wettbewerb ein Bestandteil des gleichen
unlauteren blutigen Handwerks, das letztlich nur ein Ziel
kennt: den Terror um seiner selbst willen.
122
Der politische Hintergrund der armenischen Terrororganisation ASALA
Ein in der Geschichte des internationalen Terrors bislang
beispielloser „Gipfel” fand im Februar des Jahres 1986 in
Teheran statt, wo sich anläßlich des 7. Jahrestages der
Revolution unter Führung des Ayatollah Khomeini die
„Ismaischen Revolutionäre” - iranischer Prägung - mit
den Führern der libanesischen Hezbollah-Bewegung,
Hussein Mussavis Männern der Jihad-Organisation, den
saudiarabischen Mudschahedin, den schiitischen AmalGruppierungen aus Bahrein, Vertretern der Moro-Banden
von den Philippinen sowie libyschen Geheimdienstmännern zusammenfanden.
Was westliche Beobachter an diesem Treffen besonders
beunruhigte, war die Tatsache, daß bei der Teheraner Terroristen-Konferenz auch die Armenier mit von der Partie
waren.
Im Iran allein leben an die 200000 Armenier, die bisher
von den fanatischen Schiiten des Ayatollah bemerkenswert ungeschoren davonkamen. Diese Armenier werden
weitgehend gegen die Türkei genützt, die offiziell wohl
gute Beziehungen zur Türkei unterhält, auch stark von
Transitverkehr durch Anatolien abhängt, aber nach den
verbesserten Beziehungen der Türkei mit dem Irak
zunehmend in ein antitürkisches Fahrwasser gerät. Die
Armenier dienen, wieder einmal, als nützliche Idioten der
Machthaber eines Landes, das ausschließlich seine eigenen Interessen vertritt.
Die ASALA, bislang im Iran „unter Verschluß” gehalten,
kann nun recht offen und mit offizieller iranischer Unterstützung, verstärkt mit Terrorgruppen wie jener Abu
Nidals, kooperieren. Beobachter weisen auch immer wieder auf die verblüffenden Parallelen armenischer und
schiitischer Terrorüberfälle (etwa auf den Flughäfen von
Wien, Rom und Paris) hin. Kürzlich veröffentlichte die in
Paris erscheinende armenische Zeitung „GAMK” einen
groß aufgemachten Artikel, in dem „bewaffneter Kampf”
propagiert wurde, nachdem GAMK vorher die rhetorische Frage stellte, ob „der Versuch, den Westen zu
schwächen, mit der Armenischen Frage zusammenhängt”. Die Antwort lautete: „In Türkisch Armenien (!)
gibt es sowohl NATO- als auch US-Basen. Das ist auch
der Grund, warum die USA sich jedem Versuch widersetzen, die Stabilität dieser Region zu gefährden oder deren
Status quo zu ändern. Mit anderen Worten: um armenisches Land zu befreien, müssen nicht nur die Türken,
sondern auch die Amerikaner bekämpft werden sowie die
Atlantische Allianz. Wenn sich der armenische Freiheitskampf verstärkt, wird die amerikanische Regierung die
Freiheit der Armenier innerhalb wie außerhalb der USA
einschränken und alles Menschenmögliche tun, um die
armenische Freiheitsbewegung zu zerbrechen. Entweder
wir geben den armenischen Freiheitskampf auf und versöhnen uns mit der Türkei und den USA oder wir
befreien armenisches Land und erzürnen damit die Tür-
kei, die NATO und die USA . . . Eine geschwächte NATO
und geschwächte Vereinigte Staaten würden es leichter
machen, armenisches Land zu befreien . . . und außerdem
helfen, die Dritte Welt vom Joche des amerikanischen
Imperialismus zu befreien”.
Die stärkste armenische Terrorgruppe, die ASALA, die
sich völlig an die Sowjetunion anlehnt, findet neuerdings
sehr starke Unterstützung auch durch den Iran. Von der
ASALA spalteten sich kürzlich wieder zwei besonders
marxistisch orientierte Splittergruppen ab, die DFPMLA
(Democratic Front of the Populär Movement for the Liberation of Armenia) und die ÄRA, die „Armenian Revolutionary Army”, bis vor kurzem noch unter dem Kürzel
JCAG (Justice Commando of the Armenian Genocide)
bekannt. Die ASALA verfügt in Frankreich über eine breite Unterstützung durch die dort ansässigen Armenier,
eine sehr wohlhabende, einflußreiche Gruppe, die mehr
als 400000 Menschen zählt. An einem Demonstrationsmarsch, der von der ASALA organisiert worden war, nahmen nicht weniger als 5000 Armenier teil, von denen
viele ASALA-Abzeichen und Fahnen mit sich führten.
Viele ASALA-Anhänger werden auch mit dem von Ära
Toranian geführten Armenian National Movement in Verbindung gebracht.
Mehrere armenische Terroristen, die der Polizei ins Netz
gingen, bestätigten die Unterstützung, die die ASALA
von der PFLP des George Habasch erfährt. Die PFLP
unterstützt übrigens auch kurdische Separatistenbewegungen im Nahen Osten.
Sowohl die ASALA als auch die ÄRA haben wiederholt
unter Beweis gestellt, daß sie weltweit operieren können,
auch in Zusammenarbeit mit palästinensischen wie auch
kurdischen Extremistengruppen. Im Lichte des erklärten
Zieles, sowohl die USA als auch die NATO und deren
Mitgliedsländer - vor allem die Türkei - zu schwächen,
bestärkt den vielfach ausgesprochenen Verdacht, daß hinter allen armenischen Terroraktionen letztlich die Sowjets
und deren unmittelbare Interessen stehen.
(Aus: „Confidential Early Warning, Vol. IV, No 1,
Februar 1986; die Stichhaltigkeit der Beweisführung
wurde durch die grauenhafte Attentatsserie vom
September 1986 - hinter der die ASALA steckte bewiesen. „Early Warning” ist davon überzeugt, daß eine
Fülle von Beweisen und Indizien vorliegt, die die
Sowjetunion als den „ultimate Sponsor” der armenischen
Terroristen ausweist.)
Eine beispiellose Verherrlichung von Terroristen findet
sich in dem Buche „The First Genocide of the 20th Century” von James Frazer, in New York bei T & T
Publishing Inc. erschienen: die Attentäter Arschavir
Schiragian, So-ghomon Tehlirian, Aram Yerganian und
Missak
Torlakian
werden
als
„Armenische
Nationalhelden” gefeiert - als ob politischer Mord,
„Hinrichtung ohne Verfahren und Beweisführung” jemals
einem Volk Gutes gebracht hätten.
Varudschian Garabedian, der Anführer der Bande, die am 15. Juli
1983 in Orly einen Massenmord verübte: acht Menschen wurden
bei der Bombenexplosion getötet, 60 andere Menschen wurden
verwundet, viele von ihnen werden zeitlebens Krüppel sein.
Garabedian wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, und es gibt
Beobachter, die meinen, Garabedian könnte sogar der Kopf der
ASALA sein, der unter dem Decknamen Hagop Hagopian agiert,
dessen wahrer Name und Identität den Behörden aber nicht
bekannt sind.
123
Der armenische Terror - eine Bilanz
17. Jänner 1973 Santa Barbara, Kalifornien
Der Teufelskreis modernen armenischen Terrors
beginnt: der Armenier Karakin Yanikian, US-Bürger,
lädt den türkischen Generalkonsul Mehmet Baydar
und Konsul Bahadir Demir zu sich nach Hause „zum
Tee” ein. Arglos befolgen die beiden Diplomaten die
freundliche Einladung. Karakin Yanikian ermordet
seine beiden Gäste und wird zu lebenslänglicher Haft
verurteilt, doch wegen Krankheit wieder entlassen.
4. April 1973 Paris
Bombenanschlag gegen das türkische Generalkonsulat und das Büro der THY (Türk Hava Yollari) - der
türkischen Fluglinie. Schwerer Sachschaden.
26. Oktober 1973 New York
Attentatsversuch gegen das Türkische Fremdenverkehrsbüro. Die Bombe wird rechtzeitig entdeckt und
entschärft. Zu dem Anschlag bekennt sich eine
„Gruppe Verurteilter Karakin Yanikian” - sie will den
Doppelmörder von Santa Barbara, Karakin Yanikian,
der zwei türkische Diplomaten hinterhältig ermordete, freipressen.
7. Februar 1975 Beirut
Attentatsversuch gegen das Türkische Fremdenverkehrsbüro. Die Bombe explodiert während der Entschärfung. Ein libanesischer Polizist wird verletzt.
Bekenneranruf der „Yanikian”-Gruppe.
20. Februar 1975 Abermals schlägt die „Yanikian”Gruppe zu, die den Doppelmörder von Santa Barbara
freipressen will. Erheblicher Sachschaden nach einer
Bombenexplosion im Büro der THY. Übrigens
bekennt sich auch die ASALA (Secret Army for the
Liberation of Armenia) zu dem Anschlag.
22. Oktober 1975 Wien
Der türkische Botschafter Dani§ Tunaligil wird in seinem Arbeitszimmer von drei armenischen Terroristen
ermordet. ASALA übernimmt die „Verantwortung”.
124
24. Oktober 1975 Paris
Botschafter Ismail Erez und sein Fahrer Talip Yener
werden ermordet. Um die „Verantwortung” streiten
sich ASALA und JCAF („Justice Commandos for the
Armenian Genocide”).
28. Oktober 1975 Beirut
Granatenwerferangriff gegen die türkische Botschaft.
Zur „Verantwortung” bekennt sich die ASALA.
16. Februar 1976 Beirut
Der Erste Sekretär der türkischen Botschaft, Oktay
Cirit, wird in einem Restaurant in der Hamrastraße
ermordet. Die ASALA übernimmt die „Verantwortung”.
17. Mai 1976 Frankfurt, Essen, Köln
Die Generalkonsulate von Frankfurt, Essen und Köln
sind gleichzeitig Ziel armenischer Bombenanschläge.
28. Mai 1976 Zürich
Bombenanschläge gegen das Büro des türkischen
Arbeitsattaches und der Garanti Bankasi. Erheblicher
Sachschaden. Eine im türkischen Fremdenverkehrsbüro plazierte Bombe wird rechtzeitig entschärft. Die
„Verantwortung” übernimmt die JCAG.
2. Mai 1977 Beirut
Die Wagen des Militärattaches Nahit Karakaya und
des Verwaltungsrates Ilhan Özbabacan werden zerstört; die beiden Diplomaten bleiben unverletzt. „Bekenner” ist die ASALA.
14. Mai 1977 Paris
Bombenanschlag gegen das türkische Fremdenverkehrsbüro, erheblicher Sachschaden. Die „Neue
armenische Widerstandsorganisation” übernimmt die
„Verantwortung”.
6. Juni 1976 Paris
Bombenanschlag gegen den Laden des türkischen
Staatsbürgers Hüsejin Bülbül.
9. Juni 1977 Rom
Mordanschlag gegen den türkischen Botschafter
beim Heiligen Stuhl, Taha Carim, der bald nach dem
Attentat seinen schweren Verletzungen erliegt. Die
„Verantwortung” übernimmt die JCAG.
4. Oktober 1977 Los Angeles, Kalifornien
Vor dem Hause des amerikanisch-jüdischen Universitätsprofessors Stanford Shaw, der in Los Angeles
osmanische Geschichte lehrt und auch eine zweibändige „Geschichte des Osmanischen Reiches und der
Modernen Türkei” veröffentlichte, explodiert eine
Bombe; offensichtlich, um den Historiker einzuschüchtern. Die „Verantwortung” übernimmt eine
„Armenische Gruppe 28”.
2. Jänner 1978 Brüssel
Bombenanschlag
gegen
eine
türkische
Bankniederlassung. Dazu bekennt sich eine Gruppe
„Neuer armenischer Widerstand”.
2. Juni 1978 Madrid
Terroranschlag gegen den Wagen des türkischen Botschafters Zeki Kuneralp. Seine Frau, Necla Kuneralp,
sowie Botschafter a. D. Beschir Balcioglu sterben im
Kugelhagel sofort, der spanische Chauffeur Antonio
Torres erliegt im Krankenhaus seinen Verletzungen.
Um die „Verantwortung” streiten ASALA und JCAG.
6. Dezember 1978 Genf
Eine Bombe explodiert vor dem türkischen Konsulat.
Schwerer Sachschaden. Die „Verantwortung” übernimmt eine „Neue armenische Widerstandsgruppe”.
17. Dezember 1978 Genf
Eine Bombe explodiert vor dem THY-Büro. Die
„Verantwortung” übernimmt diesmal die ASALA.
8. Juli 1978 Paris
Die französische Hauptstadt erlebt an einem einzigen
Tage gleich vier Bombenanschläge: zunächst im
THY-Büro. Dann explodiert eine Sprengladung im
Büro des Arbeitsattaches, hierauf im Türkischen
Fremdenverkehrsbüro. Das vierte Attentat, es galt
dem türkischen ständigen Delegierten bei der OECD,
konnte rechtzeitig verhindert werden. Die
„Verantwortung” übernahm die JCAG.
22. August 1979 Genf
Eine Bombe wird gegen das Auto des türkischen
Konsuls, Niyazi Adali, geschleudert. Der Diplomat
bleibt unverletzt, zwei unbeteiligte Schweizer werden
verletzt, zwei Wagen zerstört.
27. August 1979 Frankfurt
Die THY-Büros werden durch eine Bombenexplosion
völlig zerstört. Ein Passant wird verletzt. Die „Verantwortung” übernimmt die ASALA.
4. Oktober 1979 Kopenhagen
Zwei Dänen werden verletzt, als eine nahe des THYBüros abgelegte Bombe explodiert. „Verantwortung”
trägt die ASALA.
12. Oktober 1979 Den Haag
Ahmed Benler, der Sohn des türkischen Botschafters
Özdemir Benler, wird von armenischen Terroristen
auf offener Straße überfallen. Zehn Personen müssen
zusehen, wie die Terroristen den Medizinstudenten Jahrgang 1952! - abschlachten. Die Mörder entkommen. Sowohl die JCAG als auch die ASALA
reklamieren die „Verantwortung”.
30. Oktober 1979 Mailand
Das Büro der THY wird durch eine Bombenexplosion
zerstört. Die ASALA zeichnet „verantwortlich”.
8. November 1979 Rom
Das Büro des Leiters der Türkischen Fremdenverkehrswerbung wird durch eine Bombe zerstört. Die
ASALA übernimmt die „Verantwortung”.
18. November 1979 Paris
Bombenexplosionen zerstören die Büros der THY,
der KLM und der Lufthansa, wobei zwei französische Polizisten verletzt werden. „Verantwortung”
wird von der ASALA reklamiert.
25. November 1979 Madrid
Bombenexplosion vor den Büros der Trans World
Airlines und British. Die ASALA, die dafür die
„Verantwortung” übernimmt, erklärt, das sei eine
Warnung für den Papst gewesen: Er möge seine
geplante Türkeireise absagen.
9. Dezember 1979 Rom
Zwei Bomben explodieren im Stadtzentrum und zerstören die Büros von PAN AMERICAN, BRITISH
und Philippine Airways. Neun Menschen werden bei
dem Terroranschlag verwundet. Die „Neue armenische Widerstandsbewegung” übernimmt die Verantwortung.
17. Dezember 1979 London
Schwerer Sachschaden bei einer Explosion im Büro
der THY. Die „Verantwortung” übernimmt eine
„Front zur Befreiung Armeniens”.
22. Dezember 1979 Paris
Yilmaz Colpan, der türkische Tourismusattache, wird auf
den Champs Elysees angeschossen und ermordet. Die
ASALA, die JCAG und eine „Armenische militante
Macht gegen den Völkermord” raufen um die
„Verantwortung”.
22. Dezember 1979 Amsterdam
Schwerer Sachschaden durch eine Explosion vor dem
THY-Büro. Die „Verantwortung” übernimmt die
ASALA.
23. Dezember 1979 Rom
Bombenexplosion vor dem Flüchtlingszentrum des
Weltkirchenrates. Dort finden oft armenische Flüchtlinge aus dem Libanon vorübergehend Asyl. Die
ASALA übernimmt die „Verantwortung” und „warnt
die italienische Regierung davor, die armenische Diaspora in ihrer Bewegungsfreiheit einzuschränken”.
23. Dezember 1979 Rom
Drei Bomben explodieren vor den Büros der TWA
und der Air France. Ein Dutzend Passanten wird verletzt. Die ASALA übernimmt die „Verantwortung”
und will das Attentat als eine Warnung für die französische Regierung verstanden wissen, „keine repressiven Maßnahmen gegen die Armenier in Frankreich
zu ergreifen” (Verdächtige zu überprüfen, Verbrechen
zu verfolgen . . .).
10. Jänner 1980 Teheran
Explosion vor dem THY-Büro, schwerer Sachschaden.
„Verantwortung” reklamiert die ASALA.
20. Jänner 1980 Madrid
Eine ganze Serie von Bombenanschlägen mit zahllosen Verletzten gilt den Büros der TWA, der BRITISH,
SWISSAIR und der SABENA. Eine Gruppe
„Gerechtigkeitskommando Völkermord an den
Armeniern” beansprucht die „Verantwortung”.
125
2. Februar 1980 Brüssel
Im Stadtzentrum explodieren innerhalb weniger
Minuten Bomben vor den Büros der THY und der
Aeroflot. Eine „Neue armenische Widerstandsgruppe” veröffentlicht ein „Communique” dazu und
übernimmt die „Verantwortung”.
6. Februar 1980 Bern
Ein Terrorist schießt auf den türkischen Botschafter
Dogan Türkmen, der mit leichteren Verletzungen entkommt. Der Beinahe-Mörder, ein Armenier aus Marseille namens Max Klindjian, wird gefaßt und an die
Schweiz ausgeliefert. „Verantwortung” trägt die
JCAG.
18. Februar 1980 Rom
Durch zwei Bombenanschläge werden die Büros von
LUFTHANSA, El AI und SWISSAIR beschädigt.
Telephonische Botschaften geben drei „Ursachen” für
die Anschläge an: 1. Die Schweizer verhielten sich
„repressiv” gegenüber Armeniern; die Deutschen
unterstützten den „türkischen Faschismus” und die
Juden seien Zionisten. (ASALA).
10. März 1980 Rom
Bombenanschläge auf die Büros der THY und der
Türkischen Fremdenverkehrswerbung auf der Piazza
della Repubblica. Dabei werden zwei Italiener getötet
und vierzehn weitere verwundet. „Verantwortung”
trägt der „Neue armenische Widerstand der armenischen Geheimarmee”.
17. April 1980 Rom
Der türkische Botschafter beim Heiligen Stuhl, Vecdi
Türel, wird bei einem Attentat schwer, sein Fahrer
Tahsin Güvenc leicht verletzt. „Verantwortung”
reklamiert die JCAG.
19. Mai 1980 Marseille
Eine Rakete, auf das türkische Konsulat zielend, wird
rechtzeitig entdeckt und entschärft, ASALA und eine
Gruppe „Schwarzer April” streiten um die „Verantwortung”.
31. Juli 1980 Athen
Galip Özmen, Verwaltungsrat an der türkischen Botschaft, wird mitsamt seiner Familie im Auto von
armenischen Terroristen attackiert. Galip Özmen und
seine vierzehnjährige Tochter werden dabei ermordet,
seine Frau Sevi und sein sechzehnjähriger Sohn Kaan
kommen mit schweren Verletzungen davon.
„Verantwortung” für diese Morde reklamiert die
ASALA.
5. August 1980 Lyon
Zwei armenische Terroristen stürmen das türkische
Konsulat und feuern wild um sich. Sie bringen dabei
zwei Menschen um und verwunden mehrere andere.
ASALA übernimmt die „Verantwortung”.
126
11. August 1980 New York
Eine „Armenische Gruppe” schleudert Farbbomben
gegen das Turkish House (genau gegenüber des
Gebäudes der Vereinten Nationen; es beherbergt das
türkische Konsulat und die türkische UN-Delegation)
und „erinnert die imperialistische türkische
Regierung ihrer Verbrechen gegen das armenische
Volk”.
26. September 1980 Paris
Selcuk Bakalbasi, Presserat an der türkischen Botschaft, wird beim Nachhausekommen zweimal angeschossen. Er überlebt, bleibt aber teilweise gelähmt.
ASALA und eine „Armenische geheime Armeeorganisation” wollen die „Verantwortung” tragen.
3. Oktober 1980 Genf
Zwei Armenier werden in ihrem Hotelzimmer verletzt, als unter ihren Händen eine Bombe hochgeht.
Die beiden Männer, Suzi Machseredian aus Ganoga
Park in Kalifornien und Alexander Jenikomechian,
werden verhaftet. Das führt zur Bildung einer neuen
Gruppe, die sich „3. Oktober” nennt und in der Folge
zahlreiche Anschläge gegen schweizerische „Ziele”
richtet.
3. Oktober 1980 Mailand
Zwei Italiener werden durch eine Bombenexplosion
vor dem THY-Büro verwundet. „Verantwortung”
trägt die ASALA.
5. Oktober 1980 Madrid
Die Büros der ALITALIA fallen einem Bombenanschlag zum Opfer, wobei zwölf Menschen verletzt
werden. Die „Geheimarmee zur Befreiung Armeniens” übernimmt die „Verantwortung”.
6. Oktober 1980 Los Angeles
Zwei Molotowcocktails werden in die Wohnung des
türkischen Konsuls, Kemal Arikan, geschleudert. Der
Konsul kommt mit Verletzungen davon.
10. Oktober 1980 Beirut
Zwei Bomben gehen in der Nähe schweizerischer
Büros hoch. Der Verein „3. Oktober” meldet sich als
Urheber. Am gleichen Tag ähnliche Anschläge in
London.
12. Oktober 1980 New York City
Vor dem „Turkish House” explodiert eine Bombe,
vier Passanten werden verwundet. JCAG übernimmt
die „Verantwortung”.
12. Oktober 1980 Los Angeles
Ein Reisebüro, dessen Besitzer aus der Türkei
stammt, wird zerstört. ASALA zeichnet „verantwortlich”.
12. Oktober 1980 London
Eine Bombe beschädigt das Türkische Fremdenverkehrsbüro. ASALA übernimmt die „Verantwortung”.
12. Oktober 1980 London
Ein schweizerisches Geschäftszentrum in der City
wird zerstört. Wieder hat der „3. Oktober” zugeschlagen.
13. Oktober 1980 Paris
Das schweizerische Tourismusbüro wird von einer
Bombe zerstört. Wieder reklamiert die Organisation
„3. Oktober” die Urheberschaft.
21. Oktober 1980 Interlaken
In einem schweizerischen Expreßzug, der aus Paris
kommt, wird eine Bombe gefunden, die zum Glück
nicht explodierte. Als Urheber des Anschlags, der
eine Katastrophe hätte auslösen können, wird der „3.
Oktober” angesehen.
4. November 1980 Genf
Der schweizerische Justizpalast wird durch eine
Explosion schwer beschädigt. Der „3. Oktober”
zeichnet „verantwortlich”.
9. November 1980 Straßburg
Schwerer Sachschaden nach einer Explosion im
türkischen Konsulat. Eine „Türkisch-Kurdische
Arbeiterpartei” und die ASALA zeichnen „verantwortlich”.
10. November 1980 Rom
Fünf Menschen werden bei Anschlägen auf die Büros
der SWISSAIR und der Verkehrswerbung verletzt.
ASALA, der „3. Oktober” und die „Kurdisch-türkische Arbeiterpartei” geizen um die „Verantwortung”.
19. November 1980 Rom
Das türkische Tourismusbüro und das der THY werden bei Bombenexplosionen beschädigt. ASALA
reklamiert die „Verantwortung”.
25. November 1980 Genf
Die Büros des Schweizerischen Bankvereins werden
von einer Bombe beschädigt. Urheber: „3. Oktober”.
5. Dezember 1980 Marseille
Eine Bombe, die im schweizerischen Konsulat entdeckt wird, kann rechtzeitig entschärft werden. „3.
Oktober”.
15. Dezember 1980 Paris
Zwei Bomben werden im Französischen Fremdenverkehrsbüro rechtzeitig entdeckt. Der „3. Oktober”
bezeichnet den versuchten Anschlag als Rache für die
französisch-schweizerische Zusammenarbeit in der
Bekämpfung des armenischen Terrors.
17. Dezember 1980 Sydney
Zwei Terroristen ermorden den türkischen Generalkonsul Sarik Aryak und seinen Leibwächter Engin
Sever. JCAG zeichnet „verantwortlich”.
25. Dezember 1980 Zürich
Eine Bombenexplosion zerstört die Radaranlage des
Flughafens Zürich-Kloten. Eine Bombe auf der
Landepiste kann rechtzeitig entschärft werden.
„Verantwortlich” für diesen versuchten Massenmord:
der „3. Oktober”.
29. Dezember 1980 Madrid
Ein Spanischer Journalist wird von einer Bombe zerrissen, als er aus einer Telefonzelle über den Bombenanschlag auf das Büro der SWISSAIR an seine
Redaktion berichten will. „Verantwortung”: „3. Oktober”.
30. Dezember 1980 Beirut
Bombenanschlag gegen das Büro der „Credit Suisse”.
ASALA und „3. Oktober” streiten um die Urheberschaft.
2. Jänner 1981 Beirut
In einem Pressecommunique droht die ASALA allen
schweizerischen Diplomaten wegen der „schlechten
Behandlung, die Suzi und Alex in der Schweiz widerfährt”; ein paar Tage darauf erklärt die ASALA, den
Schweizern bis 15. Jänner „Bedenkzeit” zu geben.
14. Jänner 1981 Paris
Im Auto von Botschaftsrat Ahmet Erbeyli explodiert
eine Bombe. Obwohl der Wagen völlig zerstört wird,
bleibt Erbeyli am Leben. Für den Mordanschlag
zeichnet eine Gruppe „Alex Jenikomechian
Kommando”, aber auch die ASALA „verantwortlich”.
27. Jänner 1981 Mailand
Die Büros der SWISSAIR und des Schweizerischen
Fremdenverkehrsbüros werden durch eine Bombenexplosion beschädigt, zwei Passanten verwundet. In
einem Rundruf an alle lokalen Blätter bezeichnet sich
die Gruppe „3. Oktober” als „verantwortlich”.
3. Februar 1981 Los Angeles
Im schweizerischen Konsulat kann eine Bombe entschärft werden. Die Terroristen „teilen mit”, die
Anschläge würden „so lange fortgesetzt, bis unser
Freund Suzy Mahseredian freigelassen wird”.
5. Februar 1981 Paris
Bombenexplosion in den Büros von TWA und Air
France. Ein Verletzter, schwerer Sachschaden. Urheber: „Die armenische nationalistische Bewegung vom
3. Oktober”.
4. März 1981 Paris
Zwei Terroristen eröffnen das Feuer: es gilt Re§at
Morali (Arbeitsattache) und Teceli Ari (Attache für
religiöse Angelegenheiten an der türkischen Botschaft) sowie dem Repräsentanten der Anadolu
Bankasi, Ilkay Karakoc. Als die drei Türken schon
fast entkommen und Re§at Morali sowie Ilkay
Karakoc in ein Cafe flüchten können, werden sie vom
Eigentümer wieder auf die Straße gestoßen. Karakoc
kann fliehen, Morali wird vor dem Cafe ermordet.
Tecelli Ari, der schon als erster angeschossen wurde,
starb kurz darauf. Zahllose Zeugen - doch niemand
konnte sich „erinnern” wie die Mörder ausgesehen
hatten. Die Gruppe „Schahan Natali” der ASALA
zeichnete „verantwortlich”.
12. März 1981 Teheran
Eine Gruppe ASALA-Terroristen versucht, die türkische Botschaft zu besetzen und ermordet dabei zwei
Wachen. Zwei Attentäter werden gefaßt und von den
Persern hingerichtet. ASALA zeichnete „verantwortlich”.
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3. April 1981 Kopenhagen
Cavit Demir, der Arbeitsattache an der türkischen
Botschaft, wird spät abends bei seiner Heimkehr vom
Büro vor seiner Wohnung zusammengeschossen und
schwer verwundet. Eine ganze Serie von Operationen
rettet ihm das Leben. ASALA und JCAG reklamieren
„Verantwortung”.
3. Juni 1981 Los Angeles
Bomben verhindern den Auftritt einer türkischen
Volkstanzgruppe. Ähnliche Bombendrohungen verhindern auch den Auftritt der Gruppe in San Francisco.
9. Juni 1981 Genf
Mehmet Savas Yerguz, Konsularbeamter, wird von
dem armenischen Terroristen Mardiros Jamgotschian
ermordet. Die Verhaftung des ASALA-Terroristen
führt zur Bildung einer neuen Terrorzelle - des „9.
Juni”. Sie wird für eine Serie, neuer Anschläge
„Verantwortung” tragen . . .
11. Juni 1981 Paris
Eine Gruppe armenischer Terroristen besetzt unter
der Führung von Ära Toranian die Büros der THY.
Die französischen Behörden sehen dem Terroranschlag zunächst tatenlos zu und greifen erst nach
energischem Protest der türkischen Botschaft ein.
19. Juni 1981 Teheran
Bombenexplosion bei der SWISSAIR. Der „9. Juni”
zeichnet „verantwortlich”.
26. Juni 1981 Los Angeles
Bombenexplosion vor den Büros der Schweizerischen Banking Corporation. Es war wieder der „9.
Juni” . . .
19. Juli 1981 Bern
Bombenexplosion vor dem Schweizerischen Parlament. „9. Juni” . . .
20. Juli 1981 Zürich
Wieder schlägt der „9. Juni” zu: eine Bombe explodiert in einer Paßfoto-Zelle am Flughafen ZürichKlo-ten.
21. Juli 1981 Lausanne
20 Frauen werden verwundet, als eine von Armeniern
gelegte Bombe in einem Warenhaus explodiert. („9.
Juni”)
22. Juli 1981 Genf
Eine Bombe explodiert in einem Schließfach des Bahnhofs. Man vermutet einen fehlgegangenen Anschlag
des „9. Juni”.
22. Juli 1981 Genf
Eine Stunde später explodiert abermals eine Bombe
in einem Bahnhofs-Schließfach. Da das Gelände
wegen der vorhergegangenen Explosion noch abgesperrt war, gibt es glücklicherweise keine Verletzten.
11. August 1981 Kopenhagen
Zwei Bomben zerstören das Büro der SWISSAIR.
Ein amerikanischer Tourist wird dabei verwundet.
Der „9. Juni” übernimmt die „Verantwortung”.
128
20. August 1981 Los Angeles
Vor dem Büro der „Swiss Precision Instruments”
explodiert eine Bombe. Urheber: „9. Juni”, spezielle
Terrorgruppe der ASALA.
20. August 1981 Paris
Explosion bei ALITALIA. Die Terrorgruppe „3.
Oktober” bringt sich in Erinnerung.
15. September 1981 Kopenhagen
Zwei Personen werden schwer verletzt, als eine
Bombe vor dem Büro der THY explodiert. Ein weiterer Explosivkörper kann rechtzeitig entschärft werden. Urheber: „Die 6. armenische Befreiungsarmee”.
17. September 1981 Teheran
Eine Bombenexplosion beschädigt das Gebäude der
Schweizerischen Botschaft. (ASALA, „9. Juni”).
24. September 1981 Paris
Vier armenische Terroristen besetzen das türkische
Konsulat in Paris. Während des Eindringens werden
Konsul Kaya Inal und der Sicherheitsmann Cemal
Özen schwer verwundet.
Die Terroristen nehmen 56 Geiseln, zwei von ihnen
werden leicht verletzt. Als die Terroristen endlich den
Abtransport von Kaya Inal und Cemal Özen erlauben,
ist es für den Beamten schon zu spät: er stirbt im Spital. Da der Forderung nach Freilassung armenischer
Terroristen naturgemäß nicht nachgegeben wird, verlangen sie den Status als „politische Häftlinge”. Alle
Terroristen kamen aus dem Libanon und gehörten der
ASALA an.
3. Oktober 1981 Genf
Das Hauptpostamt und das Kantonsgericht sind Ziel
armenischer Bombenanschläge . . . im Gerichtsgebäude war eine Verhandlung gegen einen armenischen Terroristen anhängig. Ein Verletzter. Urheber:
die ASALA-Filiale „9. Juni”.
25. Oktober 1981 Rom
Feuergefecht zwischen einem armenischen Terroristen und dem Zweiten Sekretär der Türkischen Botschaft, Gökberk Ergenekon, der trotz seiner Verwundung bei dem Überfall sein Auto verläßt und den Terroristen anschießt, der aber flüchten kann. Die Terrororganisation „24. September”, ein Zweig der
ASALA, übernimmt die „Verantwortung”.
25. Oktober 1981 Paris
Das elegante Restaurant „Fouket’s” wird Ziel eines
armenischen Bombenanschlags. Urheber: „September-France”.
26. Oktober 1981 Paris
Die gleiche Gruppe läßt vor dem Restaurant „Le
Drugstore” eine Autobombe hochgehen.
27. Oktober 1981 Paris
„September-France” verübt ein Bombenattentat auf
dem Flughafen Paris-Roissy.
27. Oktober 1981 Paris
Eine zweite Bombe explodiert in einem Aufzug des
Flughafens Paris-Roissy. Keine Verletzten. Urheber:
„September-France”.
28. Oktober 1981 Paris
Die gleiche Gruppe verübt einen Bombenanschlag in
einem Film-Theater. Drei Verletzte.
3. November 1981 Madrid
Drei Verletzte bei einer Explosion im Büro
der SWISSAIR. Schwerer Sachschaden bei den
umliegenden Gebäuden. Urheber: ASALA.
5. November 1981 Paris
Ein Verletzter bei einer Bombenexplosion auf dem
Gare de Lyon. Urheber: die armenische „OrlyOrgani-sation”.
12. November 1981 Beirut
Gleichzeitige Bombenexplosionen vor drei französischen Ämtern: vor dem Kulturinstitut, der AIR
FRANCE sowie dem Haus des Konsuls. Urheber: die
„Orly-Organisation”. Sie verdankt ihren Namen der
Tatsache, daß die französische Polizei auf dem Flughafen von Paris-Orly einen Armenier wegen seiner
gefälschten Papiere festgenommen hatte; der Mann
sollte, wie in anderen Fällen auch, „freigebombt”
werden . . .
14. November 1981 Paris
Ein Auto wird nahe des Eiffelturms zerbombt.
„Orly” . . .
November 1981 „Orly” beschießt eine Gruppe Tou
risten, die ein Seine-Boot verlassen wollen.
November 1981 Die „Orly-Gruppe” droht, ein AIR
FRANCE-FLUGZEUG während des Fluges mit
allen Passagieren in die Luft sprengen zu wollen.
15. November 1981 Beirut
Drei französische Ziele werden gleichzeitig angegriffen: das Büro der Union des Assecurances de Paris,
das der AIR FRANCE sowie das der Banque LibanoFrancaise. Urheber: „Orly”.
15. November 1981 Paris
Ein McDonald’s-Restaurant wird von „September
France” zerstört.
16. November 1981 Paris
Eine Bombenexplosion verletzt zwei völlig unbeteiligte Menschen auf dem Gare de l’Est. „Orly” übernimmt die „Verantwortung”.
18. November 1981 Paris
„Orly” kündigt eine Explosion auf dem Pariser Nordbahnhof an, doch wird keine Bombe gefunden.
20. November 1981 Los Angeles
Das türkische Konsulat von Beverly Hills wird schwer beschädigt. Bombenleger: die CCAG.
13. Jänner 1982 Toronto
ASALA verursacht mit einer Bombenexplosion im
türkischen Konsulat schweren Sachschaden.
17. Jänner 1982 Genf
Bombenexplosionen - die Urheberschaft reklamieren
ASALA und der „9. Juni”. Keine Verletzten, bloß zerstörte Autos.
17. Jänner 1982 Paris
Bombenexplosion in der „Union des Banques”, kurzdarauf bei „Credit Lyonnais”. Da war wieder „Orly”
am Werk.
19. Jänner 1982 Paris
Bombenexplosion im AIR-FRANCE-Büro des Palais
des Congres. Es war wieder „Orly”.
28. Jänner 1982 Los Angeles
Kemal Ankan, der türkische Generalkonsul, fällt
während der Fahrt zu seinem Arbeitsplatz dem
armenischen Terrorismus zum Opfer. Sein Mörder,
ein Neunzehnjähriger (!), wird gefaßt und zu
lebenslangem Kerker verurteilt; sein Komplize, gleichfalls ein libanesischer Armenier, namens Krikor
Saliba, entkommt. Der neunzehnjährige Hampig
Sassunian ist wie ein trauriges Symbol für die
armenische Terrorszene zu betrachten: Nicht der
jugendliche Mörder ist schuldig, sondern seine teuflischen Hintermänner, die wider besseres Wissen
und Gewissen ihre jungen Opfer in die Terrorszene
hetzen und sie zu seelischen Krüppeln und schließlich
Mördern werden lassen.
22. März 1982 Boston (Cambridge, Mass.)
Vorspiel zu einem grauenhaften Mord: der türkische
Generalkonsul in Boston besitzt einen Laden, der in
die Luft gesprengt wird. Gleichzeitig erhält er ein
Ultimatum: entweder er legt seine Würde zurück,
oder er wird „hingerichtet”. Orhan Gündüz lehnt ab.
„Verantwortung” - das Wort scheint sich zu sträuben,
in so einem Zusammenhang zitiert zu werden —
übernimmt die JCAG.
26. März 1982 Beirut
Zwei Tote bei einer Bombenexplosion in einem Kino,
das gelegentlich türkische Filme zeigte. 16 Verwundete. Ein ASALA-Anschlag.
8. April 1982 Ottawa
Kani Gungor, Handelsdelegierter der türkischen Botschaft in Kanada, wird bei einem Anschlag in der
Garage seines Wohnhauses von armenischen Terroristen schwer verwundet. Ein ASALA-Attentat.
24. April 1982 Dortmund
Mehrere türkische Geschäftsleute fallen armenischen
Terroranschlägen zum Opfer. Die „Neue armenische
Widerstandsorganisation” zeichnet „verantwortlich”.
129
4. Mai 1982 Boston (Cambridge, Mass.)
Orhan Gündüz, türkischer Honorarkonsul in Boston,
hat dem Ultimatum der armenischen Terroristen, seinen ,Honorarkonsul’-Titel zurückzulegen, nicht
gebeugt. Nun wird er überfallen, kaltblütig abgeknallt. Präsident Ronald Reagen ordnet persönlich
eine umfassende Untersuchung an. Vergeblich. Ein
Augenzeuge, der eine Personenbeschreibung des
Täters geben könnte, wird niedergeschossen. Er überlebt . . . schweigt aber fürderhin. Einer der scheußlichsten „Triumphe” des sinn- und hirnlosen armenischen Terrors. Denn: das Morden bringt absolut
nichts - außer Selbstbestätigung innerhalb der in
Selbstbefriedigung versinkenden armenischen Terrorszene.
Wenn solche Spuren eines Mörders bleiben - wie hier im Falle des
Mordes am türkischen Honorarkonsul Orhan Gündüz (Boston,
Mai 1982), ist es schon viel: eine 357 Magnum sowie eine 9-mmHandfeuerwaffe und eine von dem Verbrecher benützte
Joggerbluse blieben am Tatort zurück. Nach den Angaben eines
Augenzeugen fertigte die Polizei ein Phantombild an und Fernsehen und Presse beteiligten sich an der Jagd nach dem Attentäter.
Als der Zeuge allerdings niedergeschossen wurde und den
Anschlag nur knapp überlebte, versiegten alle Hinweise aus der
Bevölkerung. Ergebnis: der Mörder des Orhan Gündüz wurde nie
gefaßt.
130
4. Mai 1982 Genf
Bomben explodieren in zwei Bankfilialen. Urheber:
eine armenische „Welt-Strafexpedition”.
18. Mai 1982 Toronto
Vier Armenier werden verhaftet. Sie wollten für die
Terrorszene Geld außer Landes schmuggeln, das vorher, wie weltweit üblich, Armeniern abgepreßt worden war. Im Zuge der Untersuchungen stellte sich
heraus, daß die Terroristen das Haus eines Armeniers,
der sich geweigert hatte, seinen „Beitrag” zum
armenischen Terror zu leisten, mit Hilfe von Brandbomben dem Erdboden gleichgemacht worden war.
18. Mai 1982 Tampa (Florida)
Nag Karahan, türkischer Honorarkonsul, verteidigt
mit der Pistole in der Hand sein Büro. Die armenischen Terroristen fliehen.
18. Mai 1982 Los Angeles
Der Schweizerische Bankverein wird von einer armenischen Bombe beschädigt. Verdächtige: vier polizeibekannte armenische Terroristen, die der ASALA
angehören.
26. Mai 1982 Los Angeles
Drei Angehörige der ASALA werden verhaftet, als
sie soeben
eine Bombe im AIR CANADA
Frachtbüro legen.
7. Juni 1982 Lissabon
Erkut Akbay, Verwaltungsattache an der türkischen
Botschaft, und seine Frau Nakide werden vor ihrem
Wohnhaus umgebracht. JCAG übernimmt die „Verantwortung”.
1. Juli 1982 Rotterdam
Kemalettin Demirer, türkischer Generalkonsul in
Rotterdam, wird von vier armenischen Terroristen
überfallen. Die „Armenische Rote Armee”
beansprucht die „Verantwortung”. Oder was sie
darunter verstehen.
21. Juli 1982 Paris
16 Verwundete nach einer Bombenexplosion in
einem Cafe auf der Place Saint-Severin. Urheber:
„Orly”. Ursache: „Orly” beklagt sich darüber, daß die
Franzosen die armenischen gefangenen Terroristen
nicht als „politische Gefangene”, sondern als
gewöhnliche Verbrecher behandeln.
26. Juli 1982 Paris
„Orly” verwundet zwei Frauen bei einem Bombenanschlag auf das Pub „Saint-Germain”.
2. August 1982 Pierre Gulumian, ein armenischer Terrorist, tötet sich selbst, als ihm beim Hantieren mit
einer Bombe die tödliche Ladung unter den eigenen
Händen explodiert.
7. August 1982 Ankara, Flughafen Esenboga
Zwei armenische Terroristen eröffnen auf dem Flughafen von Ankara das Feuer auf wartende Reisende.
Als einer der Massenmörder von der Polizei gefaßt
wird, nimmt der andere 24 Menschen als Geisel. Insgesamt fallen den skrupellosen, von ihren „Lehrern”
perfekt indoktrinierten Killern 9 Menschenleben zum
Opfer, zweiundachtzig Menschen wurden, zum Teil
schwer, verwundet. Der überlebende Terrorist Levon
Ekmekian, der seine Untat vor seiner Hinrichtung
erkannt hat, richtete einen flammenden Appell an
seine jungen Genossen, von dem Mordprogramm, das
auf Irreführung beruhe, Abstand zu nehmen.
Levon Ekmekdschian (übrigens ein türkischer Name, der so
viel wie Bäckersohn bedeutet) war einer der beiden
Massenmörder von Ankara. Im Zuge eines Feuerüberfalls auf
völlig unbeteiligte Fluggäste starben neun Menschen, 82
Personen wurden zum Teil sehr schwer verletzt. Der ASALAAttentäter, der das Feuergefecht mit den Sicherheitskräften
überlebte, wurde vor Gericht gestellt und hingerichtet.
So wie alle diese bedauernswerten Attentäter, die Opfer einer
umfassenden Indoktrinierung durch ihre Auftraggeber sind,
war auch er zunächst von der „Rechtmäßigkeit” seiner
Handlungsweise überzeugt. Er hat allerdings während seiner
Haft eine völlig andere Haltung eingenommen und einen
Appell an seine Landsleute gerichtet, diese sinnlosen
Mordtaten zu unterlassen.
131
8. August 1982 Paris
Eine Bombe wird rechtzeitig entschärft. „Orly” bedauert die Entdeckung.
12. August 1982 Paris
Terroristen eröffnen das Feuer auf einen Polizisten,
der den türkischen Fremdenverkehrsbeauftragten
bewacht. Der Mann entkommt glücklicherweise
unverletzt.
27. August 1982 Ottawa
Oberst Attila Altikat, Militärattache an der türkischen
Botschaft, gerät in einen armenischen Feuerüberfall,
entkommt aber unverletzt.
9. September 1982 Burgas (Bulgarien)
Bora Sülkan, Verwaltungsrat am türkischen Konsulat
von Burgas, wird vor seinem Hause ermordet. Der
Attentäter hinterläßt eine „Botschaft”: „Wir erschossen einen türkischen Diplomaten. Kampfeinheit der
Gerechtigkeitspartei gegen den Armenischen Völkermord”. Ein anonymer Anrufer nannte eine Teilorganisation der ASALA-Zentrale in Beirut als „verantwortlich”.
26. Oktober 1982 Los Angeles
Fünf armenische Terroristen stehen vor Gericht, weil
sie das Büro des türkischen Honorarkonsuls in Philadelphia in die Luft sprengen wollten. Alle gehörten
der JCAG an.
8. Dezember 1982 Athen
Zwei motorisierte Armenier bombardieren das Büro der
SAUDI ARABIAN AIRLINES. Ein Explosivkörper
traf eine Starkstromleitung und tötete den Terroristen.
Sein Komplize, ein iranischer Armenier namens
Vahech Kontaverdian, wurde verhaftet. Es stellte sich
eindeutig heraus, daß die beiden im Auftrag der
ASALA gehandelt hatten, weil Saudi-Arabien mit der
Türkei freundschaftliche Beziehungen pflege . . .
21. Jänner 1983 Anaheim, Kalifornien
In einer armenischen Bäckerei in Anaheim werden
neun „äußerst wirkungsvolle” Bomben sichergestellt,
nachdem den Armeniern eine Bombe unfreiwillig losgegangen war und einen Großbrand verursacht hatte.
22. Jänner 1983 Paris
Zwei Terroristen greifen das THY-Büro mit Handgranaten an. Sachschaden, keine Verletzten, „Verantwortlich”: die ASALA.
22. Jänner 1983 Paris
Die französische Polizei entdeckt rechtzeitig
eine starke Bombenladung in der Nähe des THYSchalters in Paris-Orly.
2. Februar 1983 Brüssel
Bombenanschlag gegen das THY-Büro. „Verantwortlich”: die „Neue armenische Widerstandsorganisation”.
28. Februar 1983 Luxemburg
Eine Bombe in der türkischen Botschaft wird
rechtzeitig entschärft. Der „Armenian Reporter” in
New York berichtet, Urheber sei eine „Neue
Armenische Widerstandsorganisation”.
132
28. Februar 1983 Paris
Bombenexplosion im „Marmara-Reisebüro”. Ein
Franzose, Angestellter der Firma, Renee Martin,
kommt bei dem Anschlag ums Leben, vier weitere
Franzosen werden dabei verwundet. Wenige Minuten
nach dem Attentat „bekannte” sich die ASALA zu
dem mörderischen Anschlag.
9. März 1983 Belgrad
Galip Baikar, türkischer Botschafter in Jugoslawien,
wird in Belgrad ermordet. Necaty Kayar, seinen
Chauffeur, trifft ein Schuß in den Magen. Bürger der
Stadt Belgrad verfolgten die Mörder mutig. Ein jugoslawischer Oberst wird niedergeschossen, ein Polizist
verhaftet einen der Attentäter. Der zweite Armenier
schoß während der Flucht einen jungen Studenten
und ein Mädchen nieder, beide erlagen ihren Verletzungen. Sowohl Krikor Levonian als auch Raffi Elbekian - die Mörder - wurden verhaftet und verurteilt.
31. März 1983 Frankfurt
Bombendrohung gegen die Redaktion des „TERCÜMAN”.
24. Mai 1983 Brüssel
Bombenexplosion vor dem türkischen Kulturinstitut
und dem türkischen Fremdenverkehrsbüro. Der italienische Direktor wird verwundet. Urheber: ASALA.
16. Juni 1983 Istanbul
Armenische Terroristen greifen mit Handgranaten
und automatischen Waffen im Basar von Istanbul an.
Zwei Tote, 21 Verwundete. Eine ASALA-Verantwortlichkeit.
8. Juli 1983 Paris
Das „British Council” wird von armenischen Terroristen angegriffen. Ursache: in London stehen armenische Terroristen vor Gericht.
14. Juli 1983 Brüssel
Dursun Aksoy, Verwaltungsattache an der türkischen
Botschaft, wird ermordet. Gleich drei Terrorgruppen
bewerben sich um die Schande, die Mördereinheit
gestellt zu haben: ASALA, JCAG und eine „Armenische Revolutionäre Armee”.
15. Juli 1983 Paris
Bombenexplosion am Schalter der THY in ParisOrly. Acht Tote, mehr als 60 Verwundete. Ein
achtund-zwanzigjähriger syrischer Armenier gesteht
den Massenmord: Waradian Garbidian. Er gesteht
auch, daß geplant war, die Bombe erst während des
Fluges explodieren zu lassen.
15. Juli 1983 London
Eine Bombe wie jene von Orly wird rechtzeitig entdeckt. „Verantwortlich” für beide Anschläge zeichnet
die ASALA.
18. Juli 1983 Lyon
Bombendrohung der ASALA gegen den Lyoner
Hauptbahnhof.
20. Juli 1983 Lyon
Panikartige Evakuierung der Eisenbahnstation Perrache in Lyon nach Bombendrohung der ASALA.
22. Juli 1983 Teheran
Bombenattacke der „Orly” gegen französische Botschaftsgebäude und die Air France.
27. Juli 1983 Lissabon
Fünf armenische Terroristen versuchen, die türkische
Botschaft zu stürmen. Als es mißlingt, das Kanzlerbüro zu besetzen, dringen sie in die Residenz ein und
nehmen den Geschäftsträger sowie dessen Familie als
Geiseln. Unter den Händen der Terrorgruppe explodieren die mitgebrachten Bomben; vier der Verbrecher
und die Frau des Geschäftsträgers, Cahide Micioglu,
werden in Stücke gerissen; Yurtsev Micioglu und sein
Sohn werden verletzt. Der fünfte Terrorist war beim
Sturm auf das Gebäude von einem türkischen Sicherheitsbeamten erschossen worden. Auch ein portugiesischer Polizist kam ums Leben, ein anderer wurde
verwundet. „Verantwortlicher” für das Massaker war
eine Terrorgesellschaft namens „ARA”.
28. Juli 1983 Lyon
Neuerliche Bombendrohung gegen die Eisenbahnstation Perrache (ASALA).
29. Juli 1983 Teheran
Drohung eines Raketenangriffs gegen die türkische
Botschaft. Der Iran verstärkt Maßnahmen zur Kontrolle der Armenier.
31. Juli 1983 Lyon und Rennes
Bombendrohungen armenischer Terroristen zwingen
zwei Linienflugzeuge mit 424 Passagieren zur
Notlandung.
10. August 1983 Teheran
Bombenexplosion in einem Auto vor der französischen Botschaft. Die ASALA „bekennt” sich zu dem
Anschlag.
25. August 1983 Bonn
In einer ganzen Serie von Bombenanschlägen gegen
französische Konsulate kommen zwei Menschen ums
Leben, 23 andere werden verwundet. Die ASALA
zeichnet „verantwortlich”.
9. September 1983 Teheran
Bombenangriff gegen die französische Botschaft.
Zwei Passanten werden verwundet. Urheber: die
„Orly”-Gruppe.
1. Oktober 1983 Marseille
Eine Bombenexplosion zerstört die Pavillons
der Sowjets, der USA und Algeriens auf der
Internationalen Handelsmesse. Ein Toter, 26
Verwundete. ASALA und „Orly” „bekennen” sich zu
dem Anschlag.
6. Oktober 1983 Teheran
Zwei Verwundete bei einem Bombenanschlag auf
einen Wagen der französischen Botschaft. „Orly”.
29. Oktober 1983 Beirut
Handgranatenangriff gegen die französische Botschaft. Einer der ASALA-Attentäter wird gefaßt.
29. Oktober 1983 Drei armenische Terroristen greifen
die türkische Botschaft an. Einer der Attentäter,
Sarkis Danielian, wird von den türkischen Wachen
dingfest gemacht: der arme Kerl ist ganze 19 Jahre alt
. . . und die „Verantwortung übernahm ASALA”.
4. Februar 1984 Paris
Armenische Bombendrohung gegen die New-YorkMaschine der Air France.
28. März 1984 Teheran
Eine zeitlich genau konzertierte Aktion gegen türkische Diplomaten wird generalstabsmäßig durchgeführt:
Zwei armenische Terroristen schießen auf Ismail
Pamukcu, Mitglied der Militärmission, und verwunden ihn schwer.
Hasan Servet Oktem, Erster Botschaftssekretär, wird
beim Verlassen seines Hauses angeschossen. Ibrahim
Özdemir,
Verwaltungsattache,
kann
die
Dingfestmachung von zwei Armeniern veranlassen.
Nachmittags werden nochmals zwei Terroristen vor
der Botschaft verhaftet.
Ein armenischer Terrorist fliegt mitsamt seiner
Bombe in die Luft, als er sie im Auto des türkischen
Handelsrates befestigen will. Der Tote wird als Sultan
Grego-rian Semaperdan identifiziert (ASALA).
29. März 1984 Los Angeles
Die ASALA schickt eine schriftliche Attentatsdrohung
gegen türkische Sportler, die an der Olympiade teilnehmen werden.
8. April 1984 ASALA verschickt ein „Communique”: sie
betrachtet alle Linienmaschinen, die die Türkei
anfliegen, als „militärische Ziele”.
26. April 1984 Ankara
Premierminister Turgut Özal empfängt eine ASALADrohung: während seines Iranbesuches werde eine
größere „Aktion” gegen die Türkei beginnen.
28. April 1984 Teheran
Zwei Motorradfahrer eröffnen das Feuer auf Isik Yonder und dessen Frau Sadiye, als er zu seinem Arbeitsplatz in der türkischen Botschaft fährt. Isik Yonder
wird tödlich getroffen. ASALA „bekennt” sich zu
dem neuen, völlig sinnlosen Mord.
133
20. Juni 1984
Wien
Erdogan Özen, Arbeits- und Sozialattache an der türkischen Botschaft in Wien, wird Opfer der armenischen Terroristen, als eine Bombe in seinem Wagen
explodiert. Fünf Menschen werden verwundet, unter
ihnen ein wachhabender Polizist, der unter den Folgen der Explosion besonders zu leiden hat. Ehre seiner Frau, die treu zu ihm steht, alles für ihn tut.
„ARA”-Terroristen „bekennen” sich zu der Untat.
Persönliche Bemerkung des Autors:
Es war dieses Attentat, das in mir spontan den Entschluß
weckte, etwas gegen diesen Wahnsinn zu unternehmen,
da ich Erdogan Özen, einen besonders liebenswürdigen,
arglosen Menschen, der nichts mehr liebte als seine Frau
und seinen zwölfjährigen Sohn und seine Sozialarbeit,
gut kannte; er war mir ein verehrungswürdiger Freund,
ein anständiger feiner Kerl. R. I. P.
Den Attentätern sei verziehen: sie wußten nicht, wen sie
töteten, sonst hätten sie es bestimmt nicht getan.
Monika Özen, eine gebürtige Salzburgerin, mit ihrem zwölfjährigen Sohn Murad Özen bei der Überführung des Leichnams von
Erdogan Özen nach Istanbul auf dem Wiener Flughafen . . . Sohn
Murad und Frau Monika bildeten den Lebensinhalt des Erdogan
Özen, der sonst in seiner Aufgabe, die türkischen Gastarbeiter in
Österreich zu betreuen, voll aufging.
Anatomie einer sinnlosen Untat: Mittwoch den 20. November
1983 erreicht der Arbeits- und Sozialattache der türkischen Botschaft um dreiviertel neun seinen Arbeitsplatz. Er parkt seinen
Wagen vor einer Seitenfront des Botschaftsgebäudes, begrüßt den
wachhabenden Polizisten . . . und dann explodiert eine ferngezündete Bombe.
Das Auto wird in die Luft geschleudert, kommt schließlich verkehrt zum Stehen, und Erdogan Özen ist tot . . . sein Körper bis
zur Unkenntlichkeit verkohlt; der Wachhabende, der 62jährige
Polizist Leopold Smetacek, geriet in den Feuerstrahl der Explosion . . . er wird monatelang mit dem Tode ringen, sein Gesicht ist
völlig verbrannt. Mehrere Passanten werden verletzt. Die
„Armenische Revolutionäre Armee” - Kürzel „ÄRA” - übernimmt wieder einmal die „Verantwortung”. Der Mörder war
sicherlich von der „Gerechtigkeit” seiner Tat überzeugt; wahrscheinlich hat er von den wahren Hergängen und den Hintergründen der Tragödie seines Volkes während des Ersten Weltkrieges keine Ahnung - das einzige, was er weiß, sind die ihm
eingetrichterten Lehren vom „häßlichen Türken”. Geschichte falsch verstandene Geschichte - als Motiv für unmenschliche
Taten: das ist im Umfeld der Terrorszene einmalig.
(Foto: Neue Kronenzeitung)
134
135
25. Juni 1984 Los Angeles
Eine französische Agentur erhält die Warnung, daß
alle, Regierungen, Organisationen, Firmen, Individuen . . . kurzum alle, die dem türkischen Olympiateam
behilflich sein sollten, auf die Abschußliste des armenischen Terrors kommen.
14. Juli 1984 Brüssel
Dursun Aksoy, Verwaltungsrat an der türkischen Botschaft, wird umgebracht. „ASALA” übernimmt die
„Verantwortung”.
13. August 1984 Lyon
Bombenanschlag auf den Bahnhof. Erheblicher Sachschaden; ein ASALA-Attentat.
September 1984 Teheran
Nach Erhalt von Drohbriefen kommen türkische Firmen im Iran ins Schußfeld. Erstes Opfer wird die
Sezai Türkes Comp.; während der Löscharbeiten
wird ein türkischer Angestellter verletzt. Eine Kette
von „kleineren” Einschüchterungsanschlägen folgt selbstverständlich ohne politisches Ergebnis.
1. September 1984 Teheran
Die iranischen Behörden decken ein armenisches Mordkomplott gegen Ismet Birsel, den
türkischen Botschafter, auf.
3. September 1984 Istanbul
Zwei armenische Terroristen sterben, als eine ihrer
Bomben zu früh losgeht. Im Hintergrund: ÄRA.
19. November 1984 Wien
Enver Ergun, Botschafter bei den Vereinten Nationen,
wird während der Fahrt ins Büro kaltblütig „abgeschossen”. Der Attentäter legt eine Flagge mit den
Buchstaben „A. R. A.” über den Leichnam.
Persönliche Bemerkung:
Ich kannte Enver Ergun nicht, aber ich kenne seine
Frau. Sie betrauert ihren Mann - einen treuen, aufrechten Ehepartner, einen Geliebten und Freund. Sie
ist ohne jedwedes Haßgefühl gegen die Mörder ihres
Mannes. Im Gegenteil: sie hat Mitleid mit dem
unwissenden (wahrscheinlich sehr jungen) Attentäter,
der meinte, für eine „gerechte Sache” morden zu
müssen. Fluch den Hintermännern, den Verführern
dieser weitgehend unschuldigen „Kämpfer” - oder
wie immer sie sich nennen mögen - für eine ebenso
ungerechte wie unmenschliche Sache.
Die türkische Presse reagiert mit Verbitterung - und Unverständnis - auf die armenischen Terroranschläge in Österreich: „Die 3.
Schandtat in Wien”, schreibt der Hürriet; es handelt sich um den
3. Mord nach der „Hinrichtung” von Botschafter Danis Tuna-ligil
(1975) und Arbeitsattache Erdogan Özen (1984), als der türkische
Botschafter bei den Vereinten Nationen in Wien, am 19.
November 1984, auf offener Straße ermordet wird. Das
„Phantombild” der Polizei ist so dürftig wie die Ergebnisse der
Nachforschungen: außer dem Bekenneranruf der A. R. A. gibt es
keine Spuren, der Mörder läuft noch immer frei herum.
136
Dezember 1984 Brüssel
Ein Attentat auf Selcuk Incesu, türkischen
Botschaftsangestellten, wird rechtzeitig verhindert.
29. Dezember 1984 Beirut
Bombenangriff gegen zwei französische Anwesen.
ASALA reklamiert „Verantwortung”.
29. Dezember 1984 Paris
Die Polizei verstärkt ihre Sicherheitsmaßnahmen auf
dem Charles-de-Gaulle-Flughafen, nachdem neuerliche armenische Bombendrohungen einlangen.
3. Jänner 1985 Beirut
Die Büros der Agence France Press werden durch einen
armenischen Bombenangriff schwer beschädigt.
3. März 1985 Paris
AFP erhält einen Drohanruf: Alle, die in den Prozeß
gegen die Orly-Attentäter irgendwie verwickelt sind,
mögen sich „in acht nehmen”.
12. März 1985 Ottawa
Drei schwerbewaffnete armenische Terroristen stürmen die türkische Botschaft und ermorden dabei den
Sicherheitsmann - den Kanadier Fred Pinkerton.
Nachdem sie das Tor sprengten, dringen sie in die
Botschaft ein. Botschafter Coskun Kirca kann
entkommen, verletzt sich aber bei der Flucht schwer.
Während der folgenden, vierstündigen Belagerung
muß er regungslos - trotz seiner Verletzungen - auf
dem eiskalten Betonboden des Hofes liegen.
Schließlich geben die Terroristen auf und lassen die
Geiseln - darunter die Frau und die Tochter des
Botschafters - frei. Drei Terroristen wird der Prozeß
gemacht. „Verantwortlich”: ÄRA.
26. März 1985 Toronto
Bombendrohung gegen die Untergrundbahn. Armenische Terroristen erzwingen die vollständige Lahmlegung des Verkehrssystems während der Spitzenzeit
des Berufsverkehrs. „Verantwortlich” zeichnet eine
Terrororganisation für die „Befreiung des Heimatlandes”.
November 1985 Brüssel
Eine Spezialeinheit der belgischen Polizei enttarnt
und verhaftet eine Dreiergruppe armenischer
Terroristen mit portugiesischen Pässen. Sie planten
einen Anschlag gegen türkische Offiziere im NATOHaupt-quartier.
28. November 1985 Paris
Die französische Polizei verhaftet den Führer der amerikanisch-armenischen Terrororganisation ASALARM (Geheime armenische Armee für die Befreiung
Armeniens - Revolutionäre Bewegung).
Monte Melkonian, Rädelsführer der ASALA-RM,
war früher die rechte Hand des Hagop Hagopian*,
Gründer der ASALA, bis er nach dem Orly-Attentat
seine eigene Organisation (die RM) gründete. Im
Hause Hagopians wurden nicht nur Waffen, Munition
und Bomben gefunden, sondern auch Unterlagen zu
einem bevorstehenden Schlag gegen türkische Passagierschiffe. Auch ein Foto des türkischen Botschafters
wurde gefunden; wahrscheinlich war ein Mordanschlag gegen Adnan Bulag geplant.
Dezember 1985 Paris
41 Geschäftsleute werden verletzt, als eine Kette von
Bombenexplosionen in der berühmten Geschäftsstraße Galerie Lafayette & Printemps explodiert. In
Panik flüchten etwa 10000 Menschen, die ihre Weihnachtseinkäufe tätigten, auf die Straße. Zwölf Menschen werden dabei zusätzlich verletzt. ASALA
rühmt sich des Attentats.
In New York meint die Zeitung schon am 12. Dezember, daß ASALA hinter diesem Anschlag steckt.
23. November 1986 Melbourne/Australien
2.15 Uhr, Explosion vor dem türkischen Generalkonsulat.
1 Toter (vermutlich der Bombenleger) und ein australischer Verletzter.
Die Schlagzeile von „TIME” vom September 1986 „PARIS IN
FEAR” (Paris in Angst) täuscht über die Wirklichkeit hinweg:
in Wahrheit waren nämlich die meisten lournalisten und
Kommentatoren selber mehr als ängstlich bemüht, die
Wahrheit zu verdrängen und zu verschweigen, um die alle
wußten: hinter der grauenhaften Bombenserie vom blutigen
September 1986 in Paris steckte die ASALA, die sich des
aufgeblasenen und trotzdem genau programmierten Namens
„Committee for Solidarity with Arab and Middle East Political
Prisoners” (C. S. P. P. A.) bediente, um zu verkünden, was sie
wollte, nämlich die Freibom-bung des Hauptverantwortlichen
für den mörderischen Bombenanschlag auf dem Flughafen
Orly (15. Juli 1983, 8 Tote, 60 Verwundete), Varadschian
Garabedian, der sich selbst als der Führer der ASALA in
Frankreich bezeichnete.
* Hagop Hagopian - in Wirklichkeit dürfte er Mihran
Mihranian oder Bedros Ohanesian aus Mossul, heißen - war
schon einer der Rädelsführer bei dem entsetzlichen
Terrorangriff auf die Münchner Olympischen Spiele 1972.
137
Gebet der armenisch-apostolischen Kirche um Frieden eine innerhalb der christlichen Gemeinschaften einmalige
Liturgie.
138
Kaum eine Kirchengemeinschaft hat unter dem tödlichen
Einfluß übersteigerten Nationalgefühls mehr gelitten als
die armenisch-apostolische, die gregorianische Kirche.
Gelang es bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein der
Kirche, das armenische Volk ohne Fanatismus, aber dennoch im stolzen und freien Bekennen armenischer Eigenart und Einmaligkeit durch die Zeiten zu führen, ohne
Staat, aber im Vollbesitz nationalen Selbstbewußtseins,
brachte die Entwicklung der Missionen aus Europa und
Amerika, die üble Proselytenmacherei christlicher
Gemeinschaften untereinander, ein Wettrennen im Kampf
um die Herzen der Armenier. Schließlich mischten auch
noch die verschiedenen politischen Parteien mit, revolutionär, nationalistisch, sozialistisch in ihrem Programm
und vollkommen gewissenlos in der Exekutierung ihres
irrationalen Vorhabens, ein utopisches Ziel - einen
großarmenischen Nationalstaat - zu erreichen.
Die verheerenden Folgen für das armenische Volk sind
bekannt. Von drei Opfern der armenischen Terrorkommandos sind gleich zwei armenischer Volkszugehörigkeit. Das Ergebnis ist ein Vorhang des Schweigens;
kaum ein Armenier (außer jenen, die in Sicherheit, also in
der Türkei leben) getraut sich, öffentlich gegen den
armenischen Terrorismus aufzutreten.
Die Ironie der Geschichte will es, daß die armenischen
Terroristen, die gegenüber ihren ursprünglichen Feindbildern, den zaristischen oder sowjetischen Russen sowie
den osmanischen oder kemalistischen Türken durch ihre
Schreckenstaten nichts, aber auch schon gar nichts
erreichten - denn weder Russen noch Türken gaben
terroristischen Forderungen jemals nach - das erwünschte
Klima der Furcht dafür bei ihren eigenen Landsleuten
erzeugten. Das muß auch der Grund dafür sein, daß es aus
den Reihen der Armenier so gut wie niemals Stimmen
gegen den Terrorismus gibt - ein sonst völlig unerklärbarer Tatbestand bei einem Volk vom Intelligenz- und
Bildungsgrad wie dem der Armenier. Dafür bilden sich heute wie in den zwanziger Jahren, als es ein „Soghomon
Techlirian” Komitee gab, um dem Mörder Talaats
beizustehen -augenblicklich Zirkel, die Geld sammeln,
um einem Mörder unserer Zeit beizuspringen: so geschah
es auch im Jahre 1982, als ein zwanzigjähriger armenischer Immigrant den türkischen Generalkonsul in Los
Angeles, Kemal Arikan, umbrachte.
Sofort gab es ein „Hamping Sassunian-Komitee”, das
alles unternahm, um den hinterhältigen Mord zu rechtfertigen und nach Möglichkeit ungesühnt zu lassen. Oft lassen sich auch kirchliche Kreise in dieses schamlose Treiben ein, denn der Konkurrenzkampf um die Seelen der
armenischen Emigranten geht auch in der Neuen Welt
weiter.
Die armenisch-apostolische Kirche in der Türkei hat
allerdings aus den Lehren der Vergangenheit ihre
Schlüsse gezogen. Sie und die Armenier der Türkei
verurteilen einmütig den Terrorismus, der niemandem
nützt als den Terroristen selbst, - und ihren durch
Terrorismus stets wohlgefüllten Kassen.
Erklärung Seiner Seligkeit des Patriarchen Schnorkh
Kalu-stian zum Problem des Armenischen Terrors und
der Lage der armenischen Bevölkerungsgruppe in der
Türkischen Republik; Istanbul, Kumkape (Armenisches
Patriarchat) am 27. Mai 1985.
„Wir Armenier bilden heute die größte Minderheit in der
Türkei, etwa 50000 Menschen, die hauptsächlich in
Istanbul leben, einige sind in Anatolien zerstreut.
Dank Gott - es geht uns gut, wir üben unsere Religion frei
aus und genießen die gleichen Rechte wie andere türkische Bürger.
Unsere hauptsächliche Schwierigkeit ist, daß wir hören,
wie unschuldige Menschen getötet werden; das beunruhigt uns, wie andere Mitbürger auch.
Alle Religionen fühlen sich der Erhaltung menschlichen
Lebens verpflichtet, töten ist in allen Religionen untersagt - und als gläubiger Mensch verurteile ich alle
Anschläge auf das kostbare menschliche Leben - ich
verurteile sie immer wieder.
Wir leben hier, wie ich schon sagte, unter glücklichen
Umständen, unsere Schulen sind wohlbestallt und niemand mischt sich in unser innerkirchliches Leben ein.
Wir wollen nur in Frieden leben, in Glück und in diesem
Land, und wir wünschen allen, daß auch sie in Frieden
leben können.
Mögen doch diese unglückseligen Ereignisse endlich
aufhören - ich bin sicher, daß alle Verantwortlichen
zusammenwirken, um diese Terroranschläge, die in vielen Ländern stattfinden, zu einem Ende zu bringen. Möge
der Friede Gottes mit allen Menschen guten Willens
sein!”
139
Ausgewählte Bibliographie
Eine Feierstunde der armenisch-orthodoxen Kirche auf Kinali
Ada bei Istanbul unter dem Vorsitz von Patriarch Schnorkh
Kalustian. Friedlich sitzen die Vertreter der katholischen, chaldäischen, griechisch-orthodoxen, der protestantischen und der
unierten Kirche zusammen. Ihr Überleben im Mittleren Osten verdanken alle diese Kirchen der Tradition der Toleranz, wie sie die
omaijadischen, abbasidischen und vor allem die osmanischen
Kalifen pflegten; ohne diese Vorherrschaft hätten sich die Kirchen
wahrscheinlich gegenseitig ausgerottet. Es gehört zu den traurigen Entwicklungen des 19. und 20. Jahrhunderts, daß der nationalistische Wettstreit der Kirchen untereinander (wenn vielleicht
auch unfreiwillig) die geistigen Voraussetzungen für den nationalistischen Wettstreit der revolutionären Gruppierungen schuf.
140
Die Zahl der zum Thema „Armenien” - besonders im
Hinblick auf die Ereignisse von 1915 - erschienen
Publikationen ist Legion. Der Kriegslage von 1915/16
entsprechend gibt es, ausgenommen eine im Jahre 1917
in Istanbul erschienene Sammlung „Aspirations et
Agissements Revolutionnaires des Comites Armeniens
avant et apres la proclamation de la Constitution
Ottomane”, die versucht, die damals bekannten Fakten
entsprechend der militärischen Lage zu veröffentlichen,
so gut wie keine Literatur, welche „die osmanischtürkische Seite” vertreten würde. Nach der Veröffentlichung der - gefälschten -„Telegramme” mit den
„Mordbefehlen” des osmanischen Innenministers durch
Aram Andonian (1922) folgte eine wahre Flut von
Veröffentlichungen zu diesem Thema, die so gut wie
ausschließlich den armenischen Standpunkt vertreten,
während die türkische Seite zu diesem Thema aus völlig
falsch verstandener „Position der Unschuld” heraus das
Schweigen vorzog. Das Ergebnis war eine völlig einseitige Information der Weltöffentlichkeit, die heute weitgehend die armenischen Anschuldigungen für bare Münze
nimmt, dabei übersieht, daß die Armenier tatsächlich
gegen das Osmanische Reich, dem sie angehörten, Krieg
führten (ein Faktum, das sie nach dem Kriege sehr heftig
unterstrichen, dann aber vergessen machten, als es opportun erschien, „unbewaffnet” dazustehen) und eine endgültige Aufteilung des Osmanenreiches wie der Türkei
betrieben.
In der nachfolgenden Zusammenstellung der bekanntesten und wichtigsten Bücher zu diesem Thema, die nicht
den geringsten Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, sind
beide Standpunkte - der türkische wie der armenische vertreten; in einem Annex wird noch auf die Publikationen von türkischer Seite hingewiesen, die in jüngster Zeit
erschienen, die - spät aber doch - die Ereignisse aus türkischer Sicht darstellen.
Aghassi „Zeitun depuis les Origines jusqu’à l’Insurrection de
1895” Paris, 1895
W. E. D. Allen & Paul Muratoff „Caucasian Battlefields”,
Cambridge 1953
Aram Andonian „Les Memoires de Naim Bey: Documents officiels turcs relatifs à la déportation et aux massacres des Arméniens” Paris, 1920
The Assembly of Turkish American Assodations „Myth and Reality. A Handbook of Facts and Documents” Washington, 1986
Robert Bedrosian „Armenia in Ancient and Medieval Times”
New York 1969
Edwin M. Bliss „Turkey and the Armenian Atrocities”
Philadelphia, 1896
Viscount Bryce „The Treatment of Armenians in the Ottoman
Empire 1915-1116” London, 1916
Jean Marie Carzou „Un genocide exemplaire”, Paris, 1975
Afif Erzen „Eastern Anatolia and Urartians” Ankara, 1984
Rev. Henry Fanshawe Tozer „Turkish Armenia and Eastern
Asia Minor” London 1881
Kamuran Gürün „The Armenian File. The Myth of Innocence
Exposed”. K. Rüstern & Bro. and Weidenfeld & Nicolson Ltd.,
London, Nicosia, Istanbul 1985
Cyrus Hamlin „My Life and Times”, Boston 1893
David Marshall Lang „Armenia, Cradle of Civilization”
London 1980
Heath W. Lowry „The LT. S. Congress and Adolf Hitler on the
Armenians” Crane, Russak & Comp., New York 1985
D. M. Lang „The Armenians, A People in Exile” London 1981
Johannes Lepsius „Deutschland und Armenien” Tempelverlag,
Potsdam, 1919
Johannes Lepsius (Herausgeber) „Die Große Politik der
Europäischen Kabinette 1911-1914” Berlin, 1922-1927
Johannes Lepsius „L’Armenie et l’Europe”, Lausanne 1896
Peter Mansfield „The Ottoman Empire and its Successors” The
McMillan Press, London 1979
Le Général Mayewski „Les Massacres d’Armenie” St.
Petersburg 1916
Justin McCarthy „Muslims and Minorities. The Population of
Ottoman Anatolia and the End of the Empire” New York
Univer-sity Press, N. Y. and London, 1983
Pierre A. Moser „Armeniens - ou est la realite?” Editions
Mallier, Saint Aquilin de Pacy, 1980
Louise Nalbandian „The Armenian Revolutionary Movement:
The Development of Armenian Political Parties through the
19th Century” Berleley and Los Angeles, 1963
Maj. Gen. James G. Harbord „Report of the American Military
Mission to Armenia” Senate Document No 266 (1920)
James Nazer (comp. & ill. by) „The First Genocide of the 20th
Century”, N. Y. 1970
A. H. Hartunian „Neither to Laugh nor to Weep” Boston, 1968
C. B. Norman „Armenia and the Campaign of 1877-1878”
London 1878
Tessa Hofmann (Herausgeber) „Das Verbrechen des
Schweigens. Die Verhandlung des türkischen Völkermordes an
den Armeniern vor dem Ständigen Tribunal der Völker”
pogrom Taschenbücher 1012, Göttingen und Wien, 1985
Шinasi Orel & Süreyya Yuca „Les <Telegrammes> de Talât
Pacha. Fait historique ou fiction?” Societé Turque d’Historie,
Ankara 1983
Richard G. Hovanissian „Armenia on the Road to
Independence” Berkeley and Los Angeles, 1978
Harry N. Howard „The Partition of Turkey” New York 1966
Marjorie Husepian „Smyrna 1922, The Destruction of a City”
London, 1972
K. S. Papasian „Patriotism Perverted” Boston, 1934
Kara Schemsi „Turcs er Arméniens devant l’Histoire” Genf, 1919
Bilâl Шimшir (Editor) „British Documents on Ottoman Armenians”, Vol. I & II, Türk Tarih Kurumu Ba§imevi, Ankara 1982
Hovhannes Katchaznuni „The Tashnaks Have Nothing More to
do” Wien, Mechitaristendruckerei, 1923
Stanford J. Shaw & Ezel Kural Shaw „History of the Ottoman
Empire and Modern Turkey” Vol. I & II, Cambridge University
Press, Cambridge, 1978
Hovhannes Katchaznouni „The Armenian Revolutionary Federation (Dashnagtzoutiun) has nothing to do any more” Published by
the Armenian Inf. Service, New York 22, reprint 1955
Arnold J. Toynbee „A Study of History” Oxford University
Press, 1963
Twerdo Khebof „Journal de Guerre du 2éme Régiment
d’Artillerie de forteresse Russe d’Erzéroum, et Notes d’un
officier Supe-rieur Russe sur les atrocites d’Erzéroum” Traduit
de manuscrit original russe, 1919
Korganoff „La Participation des Armeniens á la Guerre
Mondiale sur le Front du Caucase 1914-1918” Paris, 1927
Mesrop Krikorian „Armenians in the Service of the Ottoman
Empire 1860-1908” London, 1978
Arnold J. Toynbee „Armenian Atrocities: The murder of a
nation” New York 1975
Aram Turabian „Les Volontaires Arméniens sous les Drapeaux
Francais” Marseilles 1917
Cristopher Walker “ARMENIA the Survival of a Nation”
Croom Helm, London, 1980
Rev. A. W. Williams „Bleeding Armenia” Publisher’s Union,
1896, Boston
141
Türkische Publikationen aus jüngster Zeit
Bilâl Шimшir „Aperчu Historique Sur LA QUESTION ARMÉNIENNE” Ankara 1985
Türkkaya Ataöv „A British Report (1895): The
Armenians unmasked”, Ankara University, 1985
Türkkaya Ataöv „A <Statement> wrongly attributed to
Mustafa Kamäl Atatürk” Ankara University, 1984
Türkkaya Ataöv „An Armenian Author on >Patriotism
Perverted<, Ankara University, 1984
Türkkaya Ataöv „Documents on the Armenian Question:
Forged and Authentic” Ankara University, 1985
Türkkaya Ataöv „Hitler and the ,Armenian Question’”
Ankara University, 1984
Türkkaya Ataöv „The Andonian ,Documents’ attributed
to Talat Pasha are Forgeries!” (auch frz. und deutsch)
Ankara 1984
„Documents on Ottoman Armenians” Vol I & II, Prime
Ministry, Directorate of Press and Information, Ankara
1978
Kâmuran Gürün „Le Dossier Arménien” Societé Turque
d’Histoire, Ankara 1983
„International Terrorism and the Drug Conncection”
(Symposion on International Terrorism, a summary)
Ankara University, 1984
Enver Ziya Karal „Armenian Question” Ankara 1975
„Armenian Terrorism and the Paris Trial” („Terrorisme
Armenian et Proces de Paris”) Preface by Dr. Tarik
Somer, University of Ankara, 1984
Bilâl Шimшir „The Deportees of Malta and the Armenian
Question” Ankara 1984
„Terrorist Attack at Orly” Statements and Evidence presented at the Trial; Feb. 19 - March 2, 1985.” University
of Ankara, 1985.
Epilog
Armenischer Terrorismus: die Geschichte ist Gift und
Gegengift zugleich!
Historiker tragen zur Diskussion über den zeitgenössischen Terrorismus gewöhnlich nur wenig oder gar nichts
bei. Historiker, die sich mit der Zeitgeschichte des Nahen
Ostens beschäftigen, äußern sich niemals zum armenischen Terror und ziehen es vor, eher über alte Gefechte zu
reden, weil dabei die Wahrscheinlichkeit geringer ist, daß
noch zurückgeschossen wird.
Dennoch darf auch die Geschichte nicht vergessen werden, wenn über armenische Gewalttaten gesprochen wird.
Denn Geschichte ist zugleich Ursache, aber auch einziges
Heilmittel des armenischen Terrors.
Armenischer Terrorismus wurzelt in falscher Geschichtsbetrachtung.
Nur wenn wir diesen irrigen Blickwinkel ausschalten, die
Geschichte ins richtige Licht rücken, kann der armenische Terrorismus überwunden werden. Ich schlage deshalb
eine ansonsten unübliche Arbeitsweise vor, um den
armenischen Terrorismus zu bekämpfen: das Studium der
Geschichte.
Jeder Terrorist braucht eine raison d’etre - eine Philosophie und eine Motivation, für die er töten und sterben
kann. Geschichte spielt in diesem Zusammenhang
gewöhnlich eine gewisse Rolle, und das gleich aus zweierlei Grund: erstens bedeutet Vergangenheit für viele Terroristen eine Art friedlichen Hafens, in dem noch alles gut
war, und zweitens wollen Terroristen fast immer an
irgend jemandem Rache nehmen, weil dessen Ahnen
angeblich Unheil angerichtet haben; stets aber wollen sie
jemanden befreien, von fremdem Joch, versteht sich. So
verhielt es sich mit dem Vietkong, den Mau Mau, so ist es
mit der I. R. A. Die armenischen Terroristen sind da einmalig: denn Geschichte, wie sie sie verstehen, ist überhaupt ihr einziger Rechtfertigungsgrund für alle ihre
Taten.
Es gibt im Falle des armenischen Terrors ja kein Volk, das
zu befreien wäre. Im Falle des armenischen Terrors gibt es
nur einen einzigen Beweggrund: Rache, Rache für etwas,
was sie für Fehler der anderen - der Türken - halten.
Ich ging davon aus, zu behaupten, daß die beste Waffe
gegen den armenischen Terrorismus das Studium der
Geschichte sei. Es wäre vielleicht noch besser zu sagen:
die beste Waffe ist die Wahrheit.
Dann könnte auch das Wort von Patriarch Schnorkh
Kalustian Wahrheit werden, der sagte:
„Mögen doch diese unglückseligen Ereignisse endlich
aufhören. Möge der Friede Gottes mit allen Menschen
guten Willens sein!”
Wien, im Dezember 1986
Der Verfasser
142
Inhalt
Ein persönliches Wort zum Geleit ..............................................................................................................................................
Einführung von Afif Erzen ..........................................................................................................................................................
„Five faces of terrof” ...................................................................................................................................................................
Die Armenier und ihr sogenannter Terror ....................................................................................................................................
Armenien: Mythos und geschichtliche Wirklichkeit ......................................................................................................................
Die prähistorischen Kulturen Ostanatoliens ...................................................................................................................................
Seldschuken, Mongolensturm und Osmanen..................................................................................................................................
Juden im Osmanenreich ..................................................................................................................................................................
Das griechisch-orthodoxe Patriarchat ..........................................................................................................................................
Das armenisch-orthodoxe Patriarchat .............................................................................................................................................
Der Triumph der Osmanen in Ostanatolien und Kilikien ............................................................................................................
Die Ursachen der armenischen Tragödie ........................................................................................................................................
Der Anfang vom Ende - ein protestantisch-armenisches Milkt wird errichtet ...............................................................................
Das 19. Jahrhundert: Ein goldenes Zeitalter für Armenier und Osmanen, trotz der beginnenden nationalistischen
Hetze von außen ......................................................................................................................................................................
Die Politik der Großmächte und die Armenische Frage.................................................................................................................
Der Nationalismus greift von den Kirchen auf profane Organisationen über ................................................................................
Die Bab Ali-Demonstration, die Hintschakisten und die Kusaktsakan ..........................................................................................
Einer der Höhepunkte armenischen Terrors: Der Überfall auf die Osmanische Bank ................................................................
Die letzte Chance der Armenier - von den Daschnakisten vertan ..................................................................................................
Der Umsiedlungsauftrag: Die Ursachen und Folgen ..................................................................................................................
Die Fälschungen des Aram Andonian .............................................................................................................................................
Und die islamischen Opfer? .........................................................................................................................................................
Nach den Freisprüchen von Malta griffen die armenischen Terroristen zur Selbstjustiz und ermordeten
die osmanische Führungsschicht ..................................................................................................................................................
Vom Ersten Weltkrieg zu einem neuen Abschnitt türkisch-armenischer Beziehungen: die wichtigsten Etappen
zu den Friedensschlüssen von Gümrü-Alexandropol und Lausanne sowie deren Folgen ..........................................................
Von den Pyrrhussiegen von Brest-Litowsk und Bukarest zu den Katastrophen der Diktate in den Pariser Vororten . .
Der Zusammenbruch der Mittelmächte und der fortdauernde Widerstand des Osmanenreiches ................................................
Der Überlebenskampf der Türkei und Armeniens: beide Nationen retten ihren Bestand; die Türkei in traditioneller
Unabhängigkeit, die Armenier in ebenso historisch gewachsener, beschränkter Souveränität ......................................................
Die Wirren einer verlängerten Kriegszeit ........................................................................................................................................
Die Kriege der Republik Armenien .................................................................................................................................................
Die Wiedereroberung von Kars und das Ende der armenischen Expansion ...............................................................................
Ein genauso tragisches Nachspiel an der Südfront..........................................................................................................................
Der Friede von Gümrü (Alexandropol; heute Leninakan) vom 2. Dezember 1922 .......................................................................
Das Ende der armenisch-griechischen Invasion und der Friedensvertrag von Lausanne (1923) ...................................................
Der Terrorismus als blutiger, realer Phantasiekrieg .....................................................................................................................
Die armenischen Terrororganisationen ............................................................................................................................................
Der politische Hintergrund der armenischen Terrororganisation ASALA ......................................................................................
Der armenische Terror - eine Bilanz .............................................................................................................................................
Ausgewählte Bibliographie..............................................................................................................................................................
Türkische Publikationen aus jüngster Zeit.......................................................................................................................................
Epilog ...............................................................................................................................................................................................
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Nachweis der Abbildungen
Titelfoto: Eine armenische Terrorgruppe aus dem ostanatolischen Van (1912), Armenischer Terrorüberfall auf dem Flughafen von Ankara sowie eine Seite aus dem Boston Herald, American Sunday, vom 24. Oktober 1982.
Alle Farbbilder vom Autor.
Schwarzweißfotos, wenn nicht in der Bildlegende anders angeführt, aus dem Heeresarchiv Ankara.
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