Leseprobe - Delius Klasing
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(Avanti), 102 (Pressefoto Baumann), 105 (Kicker/Liedel), 110 r. (Horstmüller), 111 (Ferdi Hartung), 114 (Ulmer), 118/119 (Horstmüller), 124/125 (Kicker/Liedel), 126 (DeFodi), 128 (Miguelez Sports Foto), 129 (Magic), 130/131 (Rust), 132 (Horstmüller), 133 o. (Ulmer), 136/137 (PanoramiC), 137 (Paul Marriott), 138/139 (United Archives), 143 o. (Sven Simon), 143 u. (Colorsport) Interfoto: Seite 61 u. (picturedesk.com/ÖNB/Lothar Rübelt) Tim Jürgens: Seite 49 Picture Alliance: Seiten 14/15 (Rauchensteiner), 22/23 (Pressefoto Ulmer/Franz Waelischmiller), 23 (Sven Simon/Michael Kienzler), 27 (Schirner Sportfoto), 33 (Herbert Rudel), 40 (dpa/empics), 41 (dpa/Fritz Gahlbeck), 51 (Estadao Conteudo), 52/53 (Lutz Rauschnitz), 60 Imagno/Austrian Archives), 61 o. (dpa/empics), 67 (United Archives/TopFoto), 74 (United Archives/TopFoto), 96 o. (dpa/Olaf Kraak), 100/101 (dpa), 116/117 (Augenklick/Rauchensteiner), 117 (Picture Huebner), 118 (Empics/Matthew Ashton), 120/121 (dpa/Jimin Lai), 123, 133 u. (dpa/Bernhard Frye) Pixathlon: Seiten 112/113 (Action Images), 140/141 (Action Images) Süddeutsche Zeitung Photo: Seite 63 (Scherl) Ullstein Bild: Seiten 62 l., 62 r. (Schirner) Witters: Seiten 30, 42, 83 o Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. 1. Auflage ISBN 978-3-667-10445-8 © Delius Klasing & Co. KG, Bielefeld Lektorat: Niko Schmidt Bildredaktion: Stefan L. Scholtz, Hamburg Einbandgestaltung und Layout: Jörg Weusthoff / Weusthoff Noël, Hamburg Lithografie: scanlitho.teams, Bielefeld Druck: Westermann Druck, Zwickau Printed in Germany 2016 Alle Rechte vorbehalten! Ohne ausdrückliche Erlaubnis des Verlages darf das Werk weder komplett noch teilweise reproduziert, übertragen oder kopiert werden, wie z. B.manuell oder mithilfe elektronischer und mechanischer Systeme inklusive Fotokopieren, Bandaufzeichnung und Datenspeicherung. Delius Klasing Verlag, Siekerwall 21, D - 33602 Bielefeld Tel.: 0521/559-0, Fax: 0521/559-115 E-Mail: [email protected] ∙ www.delius-klasing.de INHALT Der Moment .............................................................. 6 Vorwort .................................................................... 14 Legenden ................................................................. 16 Weltmeister bleibt man für immer .................... 22 Essay: Torwart. Das unbekannte Wesen ........ 34 Enfants Terribles ................................................... 38 Fab Four: Knipser .................................................. 48 Legenden ................................................................. 52 Pioniere .................................................................... 58 Gentlemen & Ästheten ......................................... 64 Herrscher ohne Reich .......................................... 74 Fab Four: Elfmeterkiller ...................................... 80 Interview: Oliver Kahn über das »Phänomen Torwart«............................................. 88 Legenden ................................................................. 92 Dauerbrenner.......................................................... 94 Tragische Helden ................................................ 100 Fab Four: Südamerikas Stolz ........................... 108 Champions ............................................................ 112 Playboys & Platzhirsche ................................... 124 Fab Four: Made in Germany ............................. 130 Legenden ............................................................... 134 Fab Four: Pannenkönige ................................... 140 Bert Trautmann LEGENDEN Sein Leben liest sich wie ein Roman. Im Zweiten Weltkrieg kam Bert Trautmann (* 1923, † 2013) in britische Gefangenschaft. Nach der Freilassung verzichtete der Bremer auf die Rückführung nach Hause und wurde vom Erstligisten Manchester City entdeckt. Obwohl mehr als 20 000 Anhänger gegen die Verpflichtung des Deutschen de monstrierten, unterschrieb er 1948 einen Vertrag bei den »Citizens«. Mit seiner Furchtlosigkeit, seiner Bescheidenheit und dem unumstößlichen Verständnis von Fairplay gelang es ihm schnell, die Herzen der Nord engländer zu erobern. Unsterblich wurde Trautmann im FA-Cup-Finale 1956, als er sich in der 75. Minute in eine Hereingabe warf und von einem heranstürmenden Gegner mit dem Knie im Nacken getroffen wurde. Da Spielerwechsel nicht erlaubt waren, blieb der Blondschopf trotz furcht barer Schmerzen auf dem Rasen und sorgte so maßgeblich dafür, dass ManCity den Pokal holte. Eine spätere Untersuchung ergab, dass er sich bei der Aktion einen Genickbruch zugezogen hatte und dem Tod nur knapp entronnen war. Für seine Heldentat wurde er zu »Englands Fußballer des Jahres« gewählt. Obwohl Bert Trautmann als einer der größten Torhüter seiner Zeit galt, wurde er nie in die Nationalelf berufen, weil der DFB damals nur Spieler nominierte, die bei deutschen Klubs unter Vertrag standen. Dafür zeichnete die Queen ihn für seine Verdienste für die englisch-deutsche Völkerverständigung mit einem Orden aus. ::: 19 WELTMEISTER BLEIBT MAN Manuel Neuer FÜR IMMER In der Ahnengalerie bedeutender deutscher Torleute, ist er der große Stoiker. In Interviews wirkt er – unabhängig vom Ausgang des Spiels – oft gelangweilt, mitunter fast abwesend. Hin und wieder blitzt ein Hauch von Ironie auf, aber wirklich aus der Fassung hat die Welt Manuel Neuer (* 1986) noch nie erlebt. Auch die tiefe Abneigung vieler Bayern-Fans, die sich 2011 mit der Aktion »Koan Neuer!« gegen den Wechsel des Ur-Schalkers nach München aussprachen, nahm er kühl zur Kenntnis. Er konzentrierte sich lieber darauf, weiter nahezu fehlerlos seinen Job zu versehen. Sein Gleichmut spiegelt sich auch in seiner Spielweise wider. Glanzparaden bei unhaltbaren Bällen liefert er ebenso emotionslos ab wie tödliche Pässe in die Tiefe des Raums oder spektakuläre Rettungsaktionen. Sollte Neuer eines Tages ein Denkmal gebaut werden, so wird es ihn wohl mit emporgerissenem Arm wie die Freiheitsstatue zeigen. Mit diesem Handgriff rettete er die DFB-Elf im WM-Viertelfinale 2014 gegen Frankreich vor dem Ausgleichstreffer durch Karim Benzema. Zuvor hatte Neuer sein Team bereits mit etlichen waghalsigen Ausflügen gegen Algerien im Spiel gehalten. Die große Sicherheit, die der Gelsenkirchener beim Turnier in Brasilien ausstrahlte, war ein zentraler Faktor für den späteren Titelgewinn von Jogis Jungs. Als in Rio der Abpfiff ertönte, erlebte die Welt denn auch die andere Seite des Manuel Neuer. Außer sich vor Freude fiel er oben auf das Knäuel aus feiernden Kickern (Foto oben). Und als die Nationalelf später am Brandenburger Tor zu den Klängen von Schlagerstar Helene Fischer feierte, wirkte er beim Disco Jive regelrecht ausgelassen. Kein Wunder, schließlich rückte er als Weltmeister endgültig in die Riege der besten Schlussmänner aller Zeiten auf. ::: 23 Hans van Breukelen Joël Bats Eigentlich war die Karriere von Joël Bats (* 1957) bereits vorbei, bevor sie richtig begonnen hatte. Mit 24 Jahren wurde bei ihm Hodenkrebs diagnostiziert. In der Chemotherapie ließ sich seine Frau von ihm scheiden. Bats begann damit, Gedichte zu schreiben, um den Schmerz zu überwinden, fasste neuen Lebensmut und kämpfte sich zurück. 1984 hütete er das Tor der französischen Elf, die in Paris Europameister wurde. Bei der WM 1986 hielt er im epochalen Viertelfinale gegen Brasilien zwei Elfmeter und wurde als Held gefeiert. Doch das Drama ließ nicht lange auf sich warten: Im darauffolgenden Halbfinale ließ er einen Freistoß von Andreas Brehme durchrutschen – und brachte sein Team auf die Verliererstraße. »Mehr als je zuvor frage ich nach dem wirklichen Sinn des Lebens«, sagte er nach dem K. o. gegen die DFB-Auswahl traurig. Doch sein Selbsterhaltungstrieb war größer als die Depression – und er reüssierte fortan als Interpret von Kinderliedern. Bats größter Hit: »L’escargot« (dt.: »die Schnecke«). ::: ENFANTS TERRIBLES Der blonde Hans aus Utrecht war als Aktiver ein Besessener: Lange bevor Spieldaten mithilfe spezieller Computerprogramme ausgewertet wurden, notierte der Niederländer bereits minutiös alle Infos über Gegner und archivierte diese in Karteikästchen, um sie bei Bedarf herauszuholen und seine Chancen bei Torschüssen zu berechnen. Eine Akribie mit positiven Folgen: Hans van Breukelen (* 1956) galt als Elfmetertöter – lange bevor Jens Lehmann mit einem Notizzettel Fußballgeschichte schreiben sollte. Zudem erwarb er sich den Ruf als Heißsporn, bei den großen Duellen zwischen Deutschland und Holland Ende der 1980er-Jahre ging er keinem Scharmützel aus dem Weg. Im WM-Achtelfinale 1990 knöpfte er sich schon kurz nach Anpfiff Rudi Völler vor und peitschte die Situation derart an, dass am Ende gleich zwei Spieler vom Platz flogen: der deutsche Stürmer und Hollands Frank Rijkaard. Später bereute er den Auftritt: »Ich wollte unbedingt gewinnen, gerade wegen der Niederlage von 1974«, erklärte van Breukelen seine Ausraster mit der Niederlage, die das Oranje-Team einst im WM-Finale in München gegen Deutschland erlitten hatte, »und euren Rudi habe ich dafür gehasst, dass er das Gleiche wollte. Wir waren wie Brüder, die sich gegenseitig fertigmachen. Ein bisschen wie Kain und Abel.« ::: 41 Uli Stein Gegentore gingen ihm unglaublich auf die Nerven. Bei Halbzeitansprachen kam es vor, dass Uli Stein (* 1954) fehlte, weil er zur Entspannung auf der Toilette eine Zigarette rauchte. Ein Torwart mit genialen Momenten, der sich allerdings mit seiner exzentrischen Ader ab und an selbst im Weg stand. Bei der WM 1986 wurde Stein vorzeitig nach Hause geschickt, weil er Teamchef Beckenbauer »Suppenkasper« genannt haben soll. Bei seinem Herzensverein, dem HSV, wurde er entlassen, weil er BayernStümer Jürgen Wegmann 1987 nach einem Tor einen Faustschlag verpasste. Unvergessen auch die Rote Karte, die er erhielt, als er sich als Keeper von Eintracht Frankfurt 1989 weigerte, nach einem Gegentreffer des FC Bayern in sein Tor zurückzukehren. Als ihn der Unparteiische verwarnte, klatschte Stein nur höhnisch Applaus – und durfte vorzeitig zum Duschen. ::: Wolfgang Kleff Leistung bringt. Bot sich aber die Gelegenheit, war Kleff stets gut für einen Gag. So entledigte er sich nach Abpfiff seines letzten Heimspiels für Fortuna Düsseldorf vorm Fanblock seiner Klamotten und zeigte dem Präsidium, das seinen Vertrag nicht verlängert hatte, den nackten Hintern. Kleffs Kommentar: »Ich habe den Fans nur gegeben, was sie wollten.« ::: ENFANTS TERRIBLES Wenn gegnerische Fans »Otto ist nervös!« skandierten, täuschte er zitternde Knie vor und sorgte für Stimmung auf den Rängen. Die Ähnlichkeit mit Otto Waalkes brachte Wolfgang Kleff (* 1946) sogar eine Rolle als Friseur im ersten Kinofilm des Komikers ein. Doch der Rückhalt der Gladbacher Fohlen wusste, dass sich ein Keeper Showeinlagen nur erlauben kann, wenn er kontinuierlich 43 Oliver Kahn LEGENDEN »Eier, wir brauchen Eier«. »Weiter, immer weiter.« Die Weisheiten des Oliver Kahn (* 1969) sind Monumente des Unzweifelhaften. Erfolgsformeln eines adrenalinschwangeren Willensmenschen. Mantras des Überzeugungstäters. Kein Torwart hat so öffentlichkeitswirksam den Kampf mit dem inneren Schweinehund ausgetragen – und stets aufs Neue für sich entschieden. Oliver Kahn brauchte keinen Coach, um sich zu motivieren. Er brauchte nur sich selbst. Misserfolge waren im System des »Titans« nicht einprogrammiert. Wenn ihn Fans mit Bananen bewarfen, spornte ihn der Spott erst an. Als er 1999 in der Verlängerung des Champions-League-Finals mit dem FC Bayern noch zwei Treffer fing – und die sicher geglaubte Krone in der »Königsklasse« aus der Hand gab –, verglich er die Niederlage mit einem Todesfall. Doch aus jedem Verlust ging er gestärkt hervor. Im Endspiel 2001 war er mit seinen Paraden im Elfmeterschießen gegen den FC Valencia der Vater des Erfolgs. Am Gipfel seines Schaffens, bei der WM 2002 in Asien, schien er lange unverwundbar. Erst im Endspiel ließ er einen Ball von Ronaldo abprallen, brachte Brasilien damit auf die Siegerstraße und wirkte urplötzlich menschlich. Und dem dreimaligen Welttorhüter wurde bewusst: Erst die Brüche in einer Biografie machen aus einem wie ihm – dem perfektionistischen Terminator – eine große, zeitlose Sportlerpersönlichkeit (siehe: Interview ab Seite 88). ::: 87 »ICH BIN EIN SPIELVERDERBER« INTERVIEW OLIVER KAHN ÜBER DAS »PHÄNOMEN TORWART« 88 OLIVER KAHN Oliver Kahn, stimmt der Spruch: »Torwart und Linksaußen haben ’ne Macke«? Warum ausgerechnet der Linksaußen ’ne Macke haben soll, ist mir nicht ganz klar. Als Torwart hingegen braucht man eine bestimmte charakterliche Veranlagung. Das bedeutet? Feldspieler zu sein, macht Spaß. Ob auch es auch gute Laune macht, im Tor zu stehen, muss jeder selbst beurteilen. Im Gegensatz zum Spieler besteht die Aufgabe des Keepers in erster Linie darin, zu reagieren. Sprich: kein Tor zu fangen. Der Torwart ist ein Spielverderber. Die Leute kommen ins Stadion, weil sie schöne Ballkombinationen und Tore sehen wollen. Und dann steht da hinten einer, der macht allen den Spaß madig. Aber genau dieser Umstand war es, der diese Position für mich so reizvoll macht. Der Lümmel von der letzten Bank. Als ich aufwuchs, waren Keeper immer ganz besondere Typen. Leute, die auch eine diebische Freude daran hatten, den Ärger der Zuschauer auf sich zu ziehen. Die Harmonie zu stören. Kurz: Die, die Eier hatten, Spielverderber zu sein. Eine Eigenschaft, die alle großen Torhüter gemeinsam haben? Glaube ich nicht. Wenn ich Peter Schmeichel anschaue, stelle ich fest, dass wir sehr unterschiedliche Typen sind. Peter ist vom Wesen ein typischer Däne. Er ist immer gut drauf, er hat Spaß am Leben und strahlt große Gelassenheit aus. Da war ich als Aktiver ganz anders. Ich brauchte Konstrukte, musste mich ständig disziplinieren, Konzentration und Druck aufbauen, um Höchstleistungen zu bringen. Heute frage ich mich, ob ich nicht auch auf angenehmere Weise meine Ziele hätte erreichen können. Und? Keine Ahnung. Es spielt auch keine Rolle mehr. Wichtig war, dass ich damals daran geglaubt habe, dass es der richtige Weg ist. Mit anderen Worten: Klassekeeper lassen sich nicht kategorisieren? Was alle großen Torhüter verbindet, ist das tief verankerte Wissen, dass wir durch unser Verhalten Spiele entscheiden. Diese ständige Furcht. Natürlich kann ein Torwart ein Match positiv beeinflussen, es aber eben auch in eine negative Richtung wenden. Ich habe das im WM-Finale 2002 auf brutalste Weise erleben müssen. Und dieser ständige innere Kampf – die Angst vor dem Blackout zu verdrängen, auf den Platz zu gehen und Höchstleistungen abzurufen – verbindet alle Schlussmänner. Kann ein intaktes Team dieses Gefühl lindern? Nein, niemand außer einem Keeper kann sich vorstellen, wie es ist, mit dieser Verantwortung den Platz zu betreten. Vieles im Fußball hängt von Zufällen und Glück ab. Dinge, auf die kein Mensch Einfluss hat. Das merke ich besonders jetzt, da ich im Fernsehen als Experte fungiere, und dabei im Prinzip immer Herr der Lage bin. In einem Fußballspiel aber kann ein Ball vom Pfosten an die Latte, an mein Schienbein und von dort an meinen Kopf springen. Dann entscheidet nur das Glück, ob er reingeht oder nicht. Und ich als Depp dastehe – oder als Held. Gibt es einen Albtraum, den Sie immer als Aktiver hatten? Na, welcher wohl? In der aktiven Zeit habe ich wiederkehrend davon geträumt, dass ich abstürze. Kinder, die sich dem Fußball zuwenden, tun dies oft, weil sie sich nach dem rauschhaften Moment sehnen, ein Tor zu erzielen. Diese Vorstellung habe ich nie gehabt. Wenn ich als Kind beim Bolzen auf dem Feld spielte, kam es natürlich vor, dass ich ein Tor erzielte. Ich war dann eher verdutzt darüber, dass dieses Gefühl durchaus Spaß machen kann. Habe es aber nie weiter verfolgt. (Lacht.) Welche Situation war für Sie mit dem Gefühl vergleichbar, das ein Stürmer empfindet, wenn er einen wichtigen Treffer erzielt? Es gab viele wichtige Paraden, mit denen ich Spiele mitentscheiden konnte. Aber wenn ich eine Situation meiner Karriere herausgreifen müsste, fällt mir ein Reflex im Champions-League-Spiel gegen Celtic Glasgow im Jahr 2003 ein. Erzählen Sie. Der Ball kam von der linken Seite in den Strafraum, ich laufe vom linken zum rechten Pfosten, als der gegnerische Stürmer bereits aus etwa acht Metern abzieht. Alles ging so schnell, dass ich praktisch nichts mehr gesehen habe. Aber irgendwie zuckte meine Hand, und der Ball ging nicht ins Tor, sondern an die Unterseite der Latte. Was macht diesen Augenblick für Sie so besonders? Es ist einer dieser Momente, für die ein Torhüter jahrelang wie ein Verrückter im Training arbeitet. Dass er Dinge hält, die das Auge eigentlich nicht mehr wahrnimmt. Außenstehende haben das damals gar nicht mitbekommen, ich selbst habe erst in der Superzeitlupe gesehen, was mir da gelungen war. Gerd Müller hat über sein Erfolgsgeheimnis als Torjäger gesagt: »Wenns denkst, is’ eh zu spät.« Sie haben sich als Keeper weitaus mehr Gedanken über Ihr Spiel gemacht. Womöglich zu viele. Wie lässt sich dieses ständige Reflektieren mit dem Training des Torhüters in Einklang bringen, das unerhört redundant wirkt? Es ist wie bei einem Weltklassepianisten, der bis zur absoluten Stupidität immer wieder Etüden kloppt, damit ihm die Technik in Fleisch und Blut übergeht. Man nennt das Overlearning. Ein Torwart trainiert so lange und monoton, bis er keinen Gedanken mehr daran verschwenden muss, wie er sich im Spiel verhält. Die Technik, mich fallenzulassen, im richtigen Moment zu fliegen, muss ich im Schlaf beherrschen, sonst baue ich mein Torwartspiel auf einem morschen Fundament auf. Und in diesem Wissen kann auch ein denkender Typ wie Sie tagein tagaus ohne schlechte Laune trainieren? Sie können sich nicht vorstellen, wie oft ich zum Training gefahren bin, ohne nur einen Hauch von Motivation zu haben. Erschwerend hinzu kam, dass ich mich generell nur selten fit und frisch gefühlt habe. Aber sobald ich den Platz betrat, war ich wie in eine andere Welt gebeamt. Eine Welt, in der es nur darum ging, diszipliniert zu sein und besser zu werden. Ich habe mich irgendwann so daran gewöhnt, dass sich nur nach richtig hartem, erschöpfendem Training das Gefühl der Zufriedenheit bei mir einstellte. Mohammad ad-Da’ayya’ Bei so einer Zahl verlieren auch Statistiker schon mal die Übersicht. Waren es 177? Oder 181? Inzwischen vermerkt die FIFA exakt 178 Länderspiele für Mohammad ad-Da’ayya’ (* 1972) in ihren Bilanzen. Der saudische Dauerbrenner debütierte am 24. September 1990 bei einem 4:0-Sieg über Bangladesch im Nationaltor des Scheichtums. Sein letztes Match absolvierte der 1,88 Meter große Schlussmann am 11. Mai 2006 gegen Belgien. Zwischen 2006 und 2012 war ad-Da’ayya’ sogar Weltrekordhalter bei den Länderpartien, dann übertraf ihn der ägyptische Mittelfeldspieler Ahmed Hassan, der heute mit 184 Spielen gelistet ist. So gewaltig die Zahl, so überschaubar sind die sportlichen Erfolge des Saudis. Bei allen vier WM-Teilnahmen scheiterte ad-Da’ayya’ stets in der Vorrunde. Mit insgesamt 25 Gegentoren bei Weltmeisterschaften – zwölf davon allein bei der WM 2002 – führt er zudem die Rangliste der schlechtesten WM-Keeper aller Zeiten an. ::: Timo Hildebrand Der Wormser ist der große Unvollendete unter den deutschen Keepern. Bei der WM 2006 war Timo Hildebrand (* 1979) der Kronprinz, der nach Oliver Kahn und Jens Lehmann eine neue Ära im Nationaltor prägen sollte. Als er 2007 mit dem VfB Stuttgart die Meisterschaft gewann und mit wehenden Fahnen zum FC Valencia wechselte, schien es nur noch eine Frage der Zeit, bis Hildebrand das Zepter übernehmen würde. Doch in Spanien wurde er Opfer interner Klubquerelen – und er verlor den Anschluss. Comebacks in Hoffenheim, Lissabon, Schalke und Frankfurt waren jeweils nur von kurzer Dauer. Doch mit den 885 Minuten, die er in Folge in den Bundesliga-Spielzeiten 2002/03 und 2003/04 ohne Gegentor blieb, hält Hildebrand zumindest einen bedeutenden Rekord. ::: Antonio Carbajal den Rasen die Haartolle, die Frauen kreischten, wenn er ohne viel Aufhebens dem Gegner die Bälle stibitzte. Mit fünf WM-Teilnahmen in Folge – von 1950 bis 1966 – stellte Carbajal einen Rekord auf, den bis heute nur Lothar Matthäus und Gianluigi Buffon einstellen konnten. Dem Mann aus Mexiko-City reichten gerade mal 48 Länderspiele für diese Bestmarke. Am Stadion seines langjährigen Klubs in León, »La Martinica«, hängt zu seinen Ehren eine Gedenktafel: Sie erinnert an »El Eterno« – »den Ewigen«. ::: DAUERBRENNER Mit seiner stoischen Ruhe entsprach er so gar nicht dem Klischee des exzentrischen Latinos, der mit spektakulären Flugeinlagen die Massen in Aufruhr versetzt. Antonio Carbajal (* 1929) trug Schnauzbart und frisierte sich vor jedem Gang auf 99 Jerzy Dudek Es gibt den »Lambada«, den »Macarena« – und es gibt den »Dudek Dance«. Benannt nach der Verwirrungstaktik, mit der Jerzy Dudek (* 1973) gegnerische Elfmeterschützen vorm Strafstoß aus dem Konzept brachte. Wie ein aufgeputschter Gorilla tigerte der Pole auf der Linie, machte kleine Hüpfer und Ausfallschritte, während der Schütze bereits anlief. Mit dieser Strategie gelang es ihm, im Champions-League-Finale 2005 die Elf des AC Mailand derart zu verunsichern, dass im Elfmeterschießen drei Spieler am Keeper des FC Liverpool scheiterten. Nach dem Gewinn der Henkelpotts stieg eine Band namens The Trophy Boyz mit dem Song »Du the Dudek« hoch in die britischen Charts ein. ::: Kaum zu glauben: Heinz Stuy (* 1945) gewann mit Ajax Amsterdam dreimal in Folge den Europapokal der Landesmeister – und fing in keinem der Finals ein Tor. Er hält seit 1971 mit 1082 Minuten ohne Gegentreffer den Rekord in der holländischen Ehrendivision. Und dennoch machte er kein einziges Länderspiel. »Kroket«, wie Fans ihn zärtlich riefen, weil er Flanken wie eine heiße Krokette abtropfen ließ und erst im zweiten Zupacken unter Kontrolle brachte, war ein technisch beschlagener Rückhalt, an dem ein Feldspieler verlorengegangen war. Als Ajax 1971 das erste Mal den Europacup gewonnen hatte, ließ Coach Rinus Michels seinem Keeper freien Lauf und stellte ihn im letzten Ligaspiel gegen die Go Ahead Eagles als Stürmer auf. ::: CHAMPIONS Heinz Stuy 119 Anhänger machten sich einen Spaß daraus, nach Heimspielen weiße Laken über den Querbalken des Tores an der Anfield Road zu hängen. »Clean Sheets« versinnbildlichten die Bilanz von Ray Clemence (* 1948) im Tor des FC Liverpool, der in 665 Pflichtspielen für die »Reds« 323 Mal ungeschlagen blieb. Er war der Fels im Rückraum der Mersey-Kicker in einer bahnbrechenden Ära. Fünf Meisterschaften, zwei UEFA-Cup-Siege und drei Erfolge im Europapokal der Landesmeister dokumentieren die atemlose Rallye, die der kantige Keeper mit der fluffigen Bay-City-RollersFrisur zwischen 1966 und ’83 mitverantwortete. Im Nationaltor wechselte er sich stetig mit Peter Shilton ab. Selbst Experten konnten keinen Qualitätsunterschied zwischen diesen beiden Ikonen erkennen. Erst als Clemence 1982 freiwillig seinen Dienst quittierte, stieg Shilton auf Jahre zur unumstrittenen Nummer eins Englands auf. ::: CHAMPIONS Ray Clemence 123