Artikel als PDF

Transcrição

Artikel als PDF
Die wollen (nicht)
nur spielen
Gute Nachrichten für alle, die sich schon mal zwischen „Minecraft“,
„Super Mario“ oder „Farmerama“ gewünscht haben, ihr Hobby zum Beruf
zu machen: Die Computerspiele-Branche boomt – und sucht dringend
gut ausgebildeten Nachwuchs.
Text Katja Stricker
www.pixelcommandergame.com
 Dev6 im Internet:
www.dev6games.com
16
Am Anfang standen Zeichenblock, Bleistifte und jede
Menge Ideen. Viereckig sollten die Spielfiguren sein, pixelig. Mit lustigen Gesichtern oder auch mal grimmig, mit
Sonnenbrille, Stahlhelm oder Army-Mütze. Schnell war
ein Name gefunden:  „Pixel Commander“. 2015
­erblickte das rundenbasierte Strategiespiel schließlich
das Licht der Welt. Es ist das erste komplette Computerspiel, das Anika Eichhorn, Janis Ubelis, Philip Rau und
­Rudolf Chrispens nach der Gründung ihres Entwickler­
studios  Dev6 vor gut zwei Jahren entwickelt haben.
„Ohne Papier und Zeichenblock geht es auch in
Zeiten der Digitalisierung nicht – zumindest bei uns“, erklärt Philip Rau lachend und weist auf die Wände des
Großraumbüros, die plakatiert sind mit Krakeleien und
Skizzen. Ideen für neue Spiele oder Grafiken. „Solche
Scribbles auf Papier helfen sehr, unsere Spiele-Ideen zu
entwickeln, auch wenn die Umsetzung später nur noch
am Computer stattfindet.“ Kennengelernt haben sich
die vier Jungunternehmer im Bachelorstudiengang „Vir­
tuelle Realitäten“ an der SRH Hochschule Heidelberg,
wo sie sich alle auf „Game Development“ spezialisiert
haben. „Dank verschiedener Praxisprojekte haben wir
schnell festgestellt, dass wir ein gutes Team sind“, erinnert sich der 27-jährige Janis Ubelis. Nach ihrem Abschluss im Februar 2014 machten sich die vier SRH Absolventen mit Unterstützung des Gründer-Instituts der
SRH Hochschule Heidelberg – dem Startup-Inkubator der
Hochschule – selbstständig. Seitdem entwickeln sie eigene Spielinhalte für Konsolen, Computer und Mobilgeräte
und übernehmen Kundenaufträge im Bereich Lernspiele.
Games-Branche wächst seit Jahren
Die Leidenschaft für Computerspiele und der Wunsch,
das Hobby zum Beruf zu machen, verbindet die jungen
Game-Entwickler aus Heidelberg. Und nicht nur sie:
Rund 31.300 Menschen verdienen derzeit nach Schätzungen des Bundesverbands Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) in Deutschland ihr Geld in der Computer- und Videospieleindustrie. Etwa 12.840 von ihnen
­ar­beiten direkt bei einem der 510 Entwicklerstudios oder
perspektiven 02/2016
Screens: Dev6
 „Pixel Commander“ gibt
es als App in Google Play und
in iTunes für 0,99 Euro zum
­Herunterladen.
Wege in die Games-Branche
 „Pixel Comman-
Gezielte Ausbildung statt Quereinstieg
der“ (links) ist ein
­Strategiespiel und das
erste komplette Computerspiel von Dev6.
Beim Funracer „SweetNuts“ fährt der Spieler
einen Parcours ab und
sammelt Nüsse ein.
So bunt die Jobprofile der Games-Branche, so vielfältig
sind nun auch die Ausbildungswege: Der Ausbildungskompass des BIU führt inzwischen 147 Bachelor- und
Masterstudiengänge rund um die Spieleindustrie. Hinzu
kommen spezialisierte Ausbildungen, zum Beispiel zum
3-D-Entwickler (siehe Kasten S. 18). BIU-Geschäftsführer
Maximilian Schenk beobachtet gestiegene Ansprüche an
die Mitarbeiter der Branche: „Quereinsteiger haben es
mittlerweile schwerer. Ein Studium oder eine Ausbildung, die gezielt auf die einzelnen Berufsbilder vorbereiten, ist aktuell der beste Weg in die Game-Industrie.“
Für einen guten Überblick über die vielfältigen
Jobs in der Spiele-Entwicklung bieten Studiengänge wie
der Bachelor „Virtuelle Realitäten: Game Development“
der SRH Hochschule Heidelberg ein breites Themenspektrum an – vom Game Design bis zur Vermarktung. Der
Schwerpunkt liegt aber auf der IT-Umsetzung der Spiele.
Studierende können dabei wählen, ob sie sich eher auf
Computergrafik, Modellierung und A
­ nimation oder mehr
auf Softwareentwicklung und Programmierung spezialisieren möchten. „Aus unserer Erfahrung sind die technischen Jobs in der Games-Branche die sichersten und die
bestbezahlten“, begründet Stu­diengangsleiter Daniel
Görlich die Fokussierung.
Dass es ohne Spezialisierung nach dem Studium
nicht geht, haben auch die vier ehemaligen SRH Studenten von Dev6 erkannt. Mittlerweile sind die Rollen im
Entwicklerstudio klar verteilt, jeder betreut einen anderen Schwerpunkt. „Bei der Ideenfindung und dem Game
Design darf aber jeder ran – das war uns von Anfang an
wichtig“, erklärt Rudolf Chrispens. „Wir machen intern
einen kleinen Wettbewerb, und die beste Idee wird
Verlage, auch Publisher genannt. Der Markt für digitale
Spiele boomt. Allein in Deutschland spielen sie 34,3 Millionen Menschen, hat der BIU errechnet. 2015 haben
die Umsätze hierzulande neue Höchstmarken erreicht:
Auf 2,8 Milliarden Euro wuchs der Markt für digitale
Spiele und Spielekonsolen an (siehe Grafik), 4,5 Prozent
mehr als im Vorjahr. Auch künftig sehen Branchen­
experten Potenzial. „Online- und Browser-Games
sowie Casual Games für Mobilgeräte bleiben wichtige
Wachstumsmärkte“, sagt Martin Zepezauer, Leiter der
SRH ­Berufsfachschulen für MediaDesign, Informatik und
3-D-Entwicklung.
Fotos: Dev6
Professionalisierung im vollen Gange
Der anhaltende Boom hat die Arbeit in der Games-Branche in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Während
früher oft ein einziger Programmierer ein komplettes
Spiel entworfen, gelayoutet, betextet und programmiert
hat, arbeiten heute an den großen Computerspielen
Hunderte Menschen mit. Mit der Komplexität der Spiele
hat auch die Spezialisierung der Arbeitsplätze zugenommen. „Da gibt es beispielsweise Mitarbeiter, die sich auf
das 3-D-Modeling von Landschaften spezialisiert haben,
oder die den ganzen Tag nur Modelle und Zubehör für
verschiedene Fahrzeuge entwerfen“, sagt Zepezauer.
Eine Vielzahl unterschiedlichster Berufe hat sich
entwickelt: Beim Producer als Cheforganisator laufen
alle Fäden zusammen. Der Game-Designer legt – quasi
als Regisseur – die grundlegende Spiele-Idee, den Ablauf
und die Spielregeln fest. 2-D-Artists zeichnen und entwerfen Figuren, Fahrzeuge und Landschaften, die später
von 3-D-Entwicklern umgesetzt, animiert und mit Schatten- und Licht-Effekten versehen werden. Parallel arbeiten Programmierer daran, die technische Basis für die
künstlichen Welten zu erschaffen. Und auch rund um die
Vermarktung und das Publishing der neuen Spiele sind
eige­ne Berufsbilder und Unternehmen entstanden.
Bildung
Die Gründer von Dev6:
Rudolf Chrispens, Anika
Eichhorn, Janis Ubelis und
Philip Rau (von oben) machten
sich gleich nach ihrem BachelorAbschluss als Spieleentwickler
selbstständig.
Der deutsche Markt für digitale Spiele
Mehr Umsatz als die Filmbranche an den Kinokassen (in Mio. Euro)
Spiele-Abos
145
Hybrid-Spielzeuge
72
Kaufspiele
1.207
Virtuelle Zusatzinhalte/
Güter 562
Gesamt
2.811 Mio. Euro
Quelle: BIU, 2016
Konsolen & Co
825
17
Bildung
Wege in die Games-Branche
Wie die SRH für die Games-Branche flottmacht
 Ausbildung zum Game- und Multimediaentwickler
Ort: SRH Fachschulen GmbH in Heidelberg und Stuttgart
„Ich wollte
einen Blick hinter die Kulissen
der Spiele werfen und wissen,
wie die Ent­wickler arbeiten.“
Jeanette Motzek,
Auszubildende zur Game- und Multimediaentwicklerin
an der SRH Berufsfachschule für Informatik
Dauer: zwei Jahre
Abschluss: staatlich anerkannter Informatiker,
Fachrichtung Game- und Multimedia-Entwicklung
Voraussetzung: Abitur, Fachhochschulreife oder mittlere Reife
Inhalt: die drei Schwerpunkte Konzeption, Design und Development von
Multimedia-Anwendungen, Spielen für PCs, Konsolen und Mobilgeräten
sowie Lern- und Informationssystemen
 Ausbildung zum 3-D-Entwickler
Ort: SRH Fachschule in Heidelberg
Abschluss: staatlich anerkannter 3-D-Entwickler
Dauer: zwei Jahre
Voraussetzung: Abitur, Fachhochschulreife oder mittlere Reife
Lieber selber machen als selbst spielen
Noch ganz am Anfang ihrer Laufbahn steht Jeanette
Motzek. Die 22-Jährige absolviert bis Oktober 2017 eine
Ausbildung zur Game- und Multimediaentwicklerin an
der SRH Berufsfachschule für Informatik in Heidelberg.
„Als Jugendliche habe ich vor allem Strategie- und Rollenspiele gespielt. Und je mehr ich gespielt habe, umso
neugieriger wurde ich“, erklärt Motzek. Sie studierte erst
vier Semester Maschinenbau, bevor sie sich doch für die
Ausbildung zur Game- und Multimedia-Entwicklerin
­entschied: „Ich wollte einen Blick hinter die Kulissen der
Spiele werfen und wissen, wie die Entwickler arbeiten.“
18
Inhalt: Schwerpunkte sind Modeling und Animation, Audio- und Videobearbeitung sowie VisualFX, SpecialFX und die 3-D-Gestaltung/Programmierung
www.fachschulen-it.de
 Studium Virtuelle Realitäten, Schwerpunkt Game Development
Ort: SRH Hochschule Heidelberg
Abschluss: Bachelor of Science
Dauer: drei Jahre
Voraussetzungen: allgemeine oder fachgebundene Hochschulreife, Fachhochschulreife oder berufliche Qualifikation plus Eignungsprüfung
Inhalt: in der ersten Studienhälfte Grundlagen zu Game Design, Prototyping, Gestaltung, 3-D-Modellierung, Animation, Programmierung, Vermarktung und Unternehmensgründung. Studenten können sich im Verlauf des Studiums spezialisieren.
www.hochschule-heidelberg.de/vr/
Gleich am ersten Tag bekommen alle Teilnehmer ein neues Laptop mit allen wichtigen Programmen
von der Fachschule gestellt. „Zum Arbeiten und Lernen,
nicht zum Zocken“, betont die 22-Jährige augenzwinkernd. Im Unterricht lernt die angehende GameEntwicklerin das nötige Handwerkszeug, um selbst
Spiele entwickeln und umsetzen zu können. „Die
gestalte­rische Umsetzung und die Animation, aber
auch die P­ rogrammierung liegen mir am meisten“, sagt
Jeanette Motzek. Zum Spielen bleibt mittlerweile wenig
Zeit: „Ehr­lich gesagt, macht es mir längst viel mehr Spaß,
­selber kleine Games zu entwickeln als fremde Spiele zu
spielen.“ Foto: privat
umgesetzt.“ Während der Entwicklungsphase, die bei
größeren Projekten bis zu zwei Jahre dauern kann, setzen sich die vier Gründer einmal wöchentlich zusammen,
präsentieren sich gegenseitig die Ergebnisse ihrer Arbeit,
besprechen Probleme und fügen erste Bausteine zusammen. Dass dabei ständig Entwürfe im Papierkorb landen,
gehört zum Alltag eines Spieleentwicklers ebenso dazu
wie Zeitdruck und die Notwendigkeit, ständig auf dem
neuesten Stand zu bleiben. „Obwohl wir gerade erst mit
dem Studium fertig sind, müssen wir uns p
­ ermanent
weiterbilden, um aktuelle Entwicklungen und neue
Trends nicht zu verpassen“, sagt Philip Rau.
Dazu gehört auch zu wissen, welche Spiele ge­
rade angesagt sind. „Wenn ich übers Wochenende eine
Game-Neuheit durchspiele, ist das nicht nur pures Vergnügen, sondern für uns auch eine wichtige Marktana­
lyse“, erklärt Rudolf Chrispens lachend und fügt hinzu:
„Auch wenn uns die Freude am Computerspiel verbindet, sitzen wir mittlerweile nach Feierabend nur noch
selten zusammen und zocken zum Vergnügen.“
perspektiven 02/2016