Ein Schmied mit DAMPF, KRAFT und seinen WAGEN

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Ein Schmied mit DAMPF, KRAFT und seinen WAGEN
Serie: HERRIEDER MIT BENZIN IM BLUT
von Peter Faigle
Ein Schmied mit
DAMPF, KRAFT und
seinen WAGEN
Nicht nur Herrchen gleichen ihren Tierchen
Gleich mal vorneweg, für mich steht Erich Trammer aus Leibelbach synonym
für Oldtimer. Keiner den ich sonst kenne, verkörpert die Leidenschaft dafür so
gut. Nicht nur Herrchen gleichen ihren Tierchen im Lauf der Jahre immer
mehr. Dieses ungeschriebene Gesetzt kann auch jederzeit auf Menschen und
ihre Vierbeiner, äh Vierräder oder Zweiräder, angewandt werden. Man
vergleiche hierzu Erich und seine Maschine: Ähnlichkeiten sind gewollt und
nicht zufällig.
Daher ist es kaum ein Zufall, dass Erich mit seinen antike Motorräder, Mopeds
und vierrädrigen Oldtimern eine innige Beziehung pflegt. Besonders oft ist die
Motorrad- und Autofirma DKW (Dampf Kraft Wagen) unter seinen Schätzen
anzutreffen.
Den Interviewtermin in der Tasche biege ein in den Hof von Erich, der mir als
“Original“ von Adolf Baumann (Motorsport Club Herrieden, Sie erinnern sich?)
beschrieben wurde. Ein freundliches rundes Gesicht grinst durch das
Küchenfester auf den Hof. Temperaturen um minus 15 °C bei flottem
Altmühltallüftchen machen mir das Rück-Grinsen schwer, trotzdem schaffe ich
es. Erich reicht mir an der Haustür zum Gruß seinen Schmiedehammer. Nein,
vor lauter Kälte habe ich mich getäuscht, es ist seine furchige kräftige Hand.
Später im warmen Wohnzimmer erzählte er mir, dass er früher Schmied
gewesen sei.
Hauptsächlich und bis zu seiner Rente hatte der heute 73-Jährige für das
Wasserwirtschaftsamt Ansbach im Außendienst gearbeitet, d.h. Flussläufe
begradigt, Uferstellen gepflegt, usw. Sein gegerbtes Gesicht lassen keinen
Zweifel daran.
Obgleich seines seriösen Berufslebens, ist Erich ein bunter Hund. Denn egal
wen ich während der Vorrecherche auf ihn ansprechen, sie/er fängt sofort an
lachend über Erich zu erzählen. Oft höre ich, „Erich Trammer, der Name ist
Programm“. Ebenso sagt man ihm nach, Dinge beim Namen zu nennt, auch
lautstark über die Strasse herüber. Was sonst noch erwähnt wurde war: „Von
den Trammers gibt es viele, so um die zehn Geschwister waren die“. Daher
stammt also seine Frohnatur, wie sie nur Großfamilien hervorbringen können.
Benzin im Blut? Er ja, sie nein!
Nein, seine Frau hat mit Sicherheit kein Benzin im Blut. Ganz im Gegenteil,
denn was für Erich sein größtes Restaurationsprojekt war, hat seine Frau
schon mal für eine ganze Woche außer Gefecht gesetzt. Das Ganze passierte
vor drei Jahren, nachdem der DKW F7 nach 5-jähriger Restaurationszeit seine
erste Oldtimerausfahrt geschafft hatte.
Erich wollte diese eintägige 80 km-Ausfahrt standesgemäß zusammen mit
seiner Frau bestreiten. Aber 80 km im DKW F7 sind nicht gleich 80 km in
einem Audi A6. Der DKW schafft nämlich mit seinen 12 PS aus einem
wassergekühlten Zweizylinder-Zweitakter lediglich eine Dauergeschwindigkeit
von ca. 40 km/h, und die wollen beherrscht werden. Lärm (Ohrstöpsel wären
bei der Fahrt sinnvoll gewesen), der Gestank/Duft des Zweitakters (geöffnete
Fenster schafften nur wenig Linderung, jedoch stieg der Geräuschpegel
dadurch nur noch weiter an) und das Gerappel (dagegen half nix) machten
Erichs Frau, Lotte, den Garaus. Zuhause wieder angekommen legte sie sich
ins Bett und blieb dort zur Erholung eine ganze Woche. Auf weitere Ausfahrten
zusammen mit seiner Frau verzichtete Erich aus Liebe zu ihr. Sie dankt es ihm
noch heute.
Trotz alle dem weiß sie, dass es ihren Mann glücklich macht, alte Fahrzeuge
zu hegen, zu pflegen oder auch mal mehr. Es ist ihrerseits ein vernünftiges
Tolerieren, „denn seinen Mann neben dem Haus in der Garage zu wissen ist
viel besser als im Gasthaus oder bei anderen Dummheiten zu erwischen“, sagt
sie. Er nickt und freut sich über diese sehr weit verbreitete weibliche
Denkweise dem Schrauberhobby gegenüber. Trotzdem sehe ich in seinen
Augen, wie auch in fast allen Augen unserer Spezies, den Wunsch, doch mal
authentische weiblich Anerkennung für die Restauration alter Kraftfahrzeuge
zu bekommen. Unglücklicherweise wird das ein unerfüllter Männerwunsch
bleiben.
Pech hat Erich was seine direkte Nachfolge in der Garage betrifft, seine Kinder
sind an der „alten Wor“ einfach nicht interessiert und die Enkel noch zu jung
dafür. Im Stillen bin ich aber zuversichtlich, dass er seine Leidenschaft doch
noch in der Familie verankern kann, ganz zu schweigen von seinen
Fahrzeugen. Hoffnung dafür gab das perfekte Park-Deck auf der Kommode im
Gang vor dem Wohnzimmer. Auf dem warteten sauber geparkt die
unterschiedlichsten Playmobil-Fahrzeuge auf ihren nächsten Einsatz. Erich ist
also dran, den Virus weiter zu geben.
Ach, fast hätte ich es vergessen, Erichs Antwort auf meine Frage, ob er Benzin
im Blut hat. Er grinst und sagt, „je mehr es danach stinkt um so besser“. Hier
bin ich richtig!
DKW
Ein kurzer Exkurs zu DKW soll dem Leser nicht erspart bleiben. Für
Zweitaktenthusiast werden die folgenden Zeilen sogar ein Genuss, alle anders
Tickenden können diesen Abschnitt gerne überspringen.
1916/17 entwickelten zwei Studienkollegen einen Dampfkraftwagen und
bauten diesen daraufhin. Das Geld dafür kam vom Militär. Nach dem Ersten
Weltkrieg wurde die Dampftechnik immer uninteressanter. Paradoxerweise
produzierte DKW (Dampf Kraft Wagen) dann einen kleinen Zweitakt-OttoMotor als Alternative zu den beliebten Spielzeugdampfmaschinen, genannt
“Des Knaben Wunsch“. 1921 wurde der erfolgreiche Spielzeugmotor zum
Fahrradhilfsmotor weiterentwickelt. Aus “Des Knaben Wunsch“ wurde „Das
Kleine Wunder, fährt bergauf wie andere runter!“ (mit Beinamen
“Arschwärmer“ weil der Hilfsmotor mit 118 ccm auf dem Fahrradgepäckträger
montiert wurde). Der nächste großer Verkaufserfolg.
1920 begann die Ära der DKW Automobile. Vor allem die frühe F-Serie von
F1(1931) bis F8 (1939) zeichnete sich durch Ihren damals revolutionären
Frontantrieb aus. Der hohe Entwicklungsaufwand sowie der vermehrte
finanzielle Aufwand in der Produktion sprachen klar gegen den Frontantrieb.
Zudem waren die Vorteile des Frontantriebes, kompakte Bauweise,
Gewichtsersparnis, neutrales Fahrverhalten und gute Wintertauglichkeit erst
im fortgeschrittenen Autozeitalter der 70er und 80er Jahre (hohe
Dauerfahrgeschwindigkeiten, stabilere und leichterer Materialien, …) wirklich
ein Gewinn. Trotzdem blieb der Frontantrieb ein Charaktermerkmal in der
weitere Entwicklung der Firma, die sich 1932 als ein Viertel in die Auto Union
einfügen musste. Schuld war die Weltwirtschaftskrise mit ihrem Börsen Crash.
Das Auto Union Logo, die vier verschlungenen Ringe (findet heute noch
Verwendung in Form der Audi-Zwiebelringe), symbolisieren die Fusion von
vier deutschen Autofirmen: DKW, Audi, Horch und Wanderer. Dieser Verbund
entwickelte sich zum zweitgrößten deutschen Automobilproduzent vor dem
Zweiten Weltkrieg, nach Opel. Während des zweiten Weltkrieges produzierte
DKW vorwiegend Militärausführungen verschiedener Motorrad- und
Automodelle. Nach dem Krieg war es fast vorbei für DKW in der Auto-Union,
denn fast alle Produktionsstätten lagen nun in der Sowjet-Zone. Die DDR
saugte die alten DKW Fabriken und Konzepte bis zum letzten Tröpfchen aus,
und modellierten darum MZ Motorrädern, Trabant und Wartburg Autos, die bis
in die 1990er Jahre gebaut wurden. Der gezwungene Fast-Neustart von DKW
im Westen gelang jedoch so gut, dass die kleinen DKW Modelle das Geld in
die Kassen der Auto-Union spülten. Genauso schell wie es aufwärts ging, ging
es den Berg runter, denn Im Lauf der 60er Jahre wollten immer weniger
Menschen die kleinen stinkenden Zweitakter fahren. Infolge dessen wurde
DKW Teil von Mercedes und zuletzt an Volkswagen verkauften. VW steckte
einfach Viertakter anstelle der Zweitakter in die DKWs und nannte das Ganze
Audi. Seitdem gibt es keine DKWs mehr. Letzter DKW-PKW war übrigens der
DKW Munga (gebaut bis 1968), den der eine oder andere noch aus seiner
Bundeswehrzeit kennen dürften.
DKW Motorräder waren zu Beginn ebenso modern und fortschrittlich wie ihre
vierrädrigen Geschwister. Was in DKW Autos der Frontantrieb als technische
Innovation prangerte, war die Entwicklung und Patentierung der
Umkehrspülung beim Zweirad. DKW Ingenieur Schnürle hatte die bis heute
erfolgreichste Schlitzsteuerung für Zweitaktmotoren geschaffen. Fast alle
Zweitaktmotoren im Fahrzeugbereich sowie im Gartengerätebereich
(Motorsägen, Laubsauger, …) nutzten und nutzen dieses Prinzip bis heute.
Von einer Beschreibung dieses Prinzips des Spülungswechsels im
Zweitaktmotor möchte ich jedoch absehen, Filme im Internet können dies
anschaulicher vermitteln. Jedenfalls verdiente DKW (und vermutlich VW bis
heute) sehr gut mit Lizenzen an die vielen Zweitakthersteller.
Hervorzuhebende DKW-Motorradmodell waren die „Blutblase“ (DKW Luxus
200, 1928-1932), das meistgebaute deutsche Motorrad & das
zweitmeistgebaute Motorrad der Welt & das meistkopierte Motorrad der Welt,
die DKW RT 125 (1939 - 1965), sowie die Sport 500 und Super Sport 600
Modell mit wassergekühlten 2-Zylinder Zweitaktmotoren von 1932.
Unvergessen natürlich die legendäre “Singende Säge“ von 1953, eine
kompressorgeladene 350 ccm 2 Zylinder Rennmaschinen.
Das mit der Zylinderanzahl war Ansichtssache, da der Kompressorzylinder als
Arbeitszylinder getarnt war. Somit sah der Motor für viele nach 3-Zylinder aus.
Solch ein Rennluxus war DKW kurz nach dem zweiten Weltkrieg nur dadurch
möglich geworden, weil DKW mit einer Vielzahl an klein- aber auch
großvolumigen Zweitaktmotorrädern seine Hochzeit feierte. Doch mit dem
weiteren wirtschaftlichen Aufschwung Deutschlands kam zugleich der
Untergang des Motorrades als Massenfortbewegungsmittel. Das betraf nicht
nur DKW, sondern auch den damals erfolgreichsten Zweiradhersteller der
Welt, NSU. Die Neckarsulmer beendeten aus dem gleichen Grund die
Motorradproduktion in 1968 und widmeten sich ausschließlich dem
aufstrebenden Vierrad. 1958 übernahm die Zweirad-Union (unter Beteiligung
von Victoria und Express) die Motorradfertigung. Die Motorradproduktion
schlief ein, es wurden am Ende nur noch Mopeds gefertigt. Natürlich konnten
die Mopeds den finalen Untergang der Zweiradproduktion nicht aufhalten.
1966 wurde DKW von Fichtel & Sachs übernommen. Ab dann war die Marke
dem so genannten Badge Engeniering preisgegeben, d.h. das DKW Logo
wurde nur noch vereinzelt an Hercules Zweiräder (meist Exportmodelle für den
US-Markt) geklebt. Warum der Name DKW dort besser ankam als Hercules ist
mir unbekannt geblieben.
Oldtimer gab es auch schon früher !?!?!
Das Schönste an dieser Interviewerei ist, dass man tiefe Einblicke in die
Benzin-Seelen der Benzin-Brüder bekommt und deswegen die eine oder
andere Parallele ziehen kann. Im besten Falle erkannt man in anderen den
eigenen Tick, Sigmund Freud nannte dies Projektion. Dieses Mal lief es
allerdings anders, ehr bewusstseinserweiternd. Warum? Nach Erichs
Erzählungen über eine “Oldtimerszene in den 1950ern“ musste ich erkennen,
dass mein Oldtimerweltbild korrekturbedürftig war. Erichs Leidenschaft begann
nämlich nicht mit dem Restaurieren und Sammeln von Fahrzeugen, die er, wie
es bei 99 % aller Oldtimer- und Youngtimer der Fall ist, in seiner Jugend.
Freud hatte also unrecht, frühkindliche Prägungen bestimmen nicht das ganze
weitere Leben, vor allem wenn es sich um Autos oder Motorräder handelt.
Nein, er fing in seiner Jugendzeit direkt mit damals schon alten Motorrädern
an.
Bislang war ich der Überzeugung, dass die Leute in den 50ern wirklich kein
Faible für Nostalgie hatten. Wollte man damals nach Krieg, Verlust, Hunger
und Niederlage nicht nur einfach nach vorne und nicht zurück schauen?
Wollten damals nicht jeder neue, moderne, schnelle und schicke Fahrzeuge
haben? Und hatten die, die noch abgehalfterte Fahrzeuge mit deutlichen
Kriegsspuren fuhren und immer wieder neu zusammenflickten, nicht einfach
nur kein Geld dazu? Wie konnte man sich damals nur mit alten Fahrzeugen
beschäftigen, die lange vor dem Krieg gebaut wurden? Meine neue Theorie
dafür, dass Menschen nach dem Krieg Vorkriegsfahrzeuge hegten und
pflegten sieht folgendermaßen aus: Die Fahrzeuge, die während dem Krieg in
Scheunen oder Kellern gebunkert und versteckt wurden waren in den 50ern
für einen Apfel und ein Ei zu bekommen. Mit den alten Fahrzeugen konnte
man außerdem Aufmerksamkeit und Anerkennung erntete, denn der Betrieb
und das Vorführen von alten technischen Errungenschaften war immer schon
auf Kirchweihen, Faschingsumzügen, Stadtfesten … beliebt.
Zudem kam Mann mit anderen Menschen AUTOmatischen in Kontakt, der oft
so begann: „So eine bin ich auch mal gefahren“, worauf man oft ungefragt und
bis ins kleinste Detail die Lebensgeschichte des Autos und ganz nebenbei
auch die des Besitzers erzählt bekommt. Oder war es der Kontakt mit einer
abgeschlossenen Ära, die sich nicht mehr verändert, die abgeschlossen ist,
die in aller Ruhe von außen betrachtet werden kann. Eine Ära die Ruhe,
Stabilität und etwas Ewigkeit ausstrahlt. Oder ist es das Bestimmen der
Geschwindigkeit, mit der man Gegenstände oder Riten erleben kann ohne mit
der Zeit gehen zu müssen. Hier können Parallelen zu Ritualen, Glaube an
Götter, Traditionen gesehen werden, die auch den Zeitsprung in die
Vergangenheit vorsehen. Und genau hier möchte ich den Wust aus
philosophischen Fragen einfach so stehen lassen.
Garagogramm
Damit Erich pünktlich zu dem bereits gut duftenden Mittagessen kommt,
dränge ich zum Garagengang. Wir tauchen ab in ein Labyrinth aus
Halbgaragen, länglicher Werkstatt mit Schmiedeutensilien und Schuppen.
Zuerst vorbei an einem gestrippten Zündapp R 50 Roller aus1964, den er “in
Pflege“ hat. Für mich sieht das nicht nach Pflege aus sonder nach einer
zweckmäßigen soliden Restaurierung ohne übertriebenes Perfektionsgehabe.
Dann gehts durch eine Tür in die Hauptgarage, in der Erich’s Prunkstück
schlummert. Natürlich aufgebockt, um Blattfedern und Reifen zu entlasten.
Dem so unschuldig und prachtvoll dastehenden 1939er DKW F7 Reichsklasse
600 sieht man seine Hinterhältigkeiten, die er erst zeigt wenn man ihm seine
Lederkleider auszieht, gar nicht an. Ein Großteil der Karosserie besteht
nämlich aus einem Holzrahmen überspannt mit Matten und Leder. Wären auf
den Restaurierungsfotos nicht ab und zu Räder, Motoren und Mechanik im
Hintergrund zu sehen, könnte man meinen, die Bilder seien in einer
Schreinerei oder Küffnerei entstanden. Dies beweißt, dass der Automobilbau
in den 30ern immer noch stark mit dem Kutschenbau verwandt war.
Während der Restauration hat Erich natürlich Lehrgeld bezahlt, z.B. hat die
Heckscheibe nach Fertigstellung der Karosserie nicht mehr gepasst. Dazu
Erich’s arttypischer Kommentar, „jetzt wüsst ich wies geht“. Jedenfalls hat ihn
Erich in 5 Jahren so gut hinbekommen, dass der DKW F7 wie am ersten Tag
glänzt.
Dicht gedrängt im Garagenheck steht noch ein Trio schöner Mopeds für das
sommerabendliches Pendeln nach Herrieden: Ein „gallischer Nasenwärmer“
aus 1966 (Velo Solex), eine 1992er Hercules Saxonette (erhältlich seit 25
Jahren als neuzeitliche Inkarnation des Fahrrades mit Hilfsmotor) und eine
1968er Zündapp C 50 Sport in strahlendem Blau. Neben dem DKW stehen die
Motorräder zum Oldtimerflanieren in stilechter Kleidung: Eine restaurierte
1930er Standard BS 500 (und hier merkt der aufmerksame Leser den BRUCH,
das schwarze, äh rote Schaaf, den Dorn in Erichs Sammlung
Auflösung am
Ende des Artikels*). Und dann wäre da noch die lindgrüne Damensachs, und
nun hoffe ich, bei der nächsten Bemerkung keine Schwierigkeiten mit Erich zu
bekommen. Denn die 1937er Damensachs (Sachs Typ 715, Touren-MotorFahrrad für Damen), mit ihrem Federgewicht und dem niedrigen Durchstieg ist
Erich’s beliebtester Nutzoldtimer. „Die kannst wieder aufheben wenns umfällt,
die Standard ned“.
Wir kommen durch das Garagentor auf den Hof. Ok, ich habe die Orientierung
verloren. Egal, kürz diagonal zu einem Schuppen der, um die Spannung zu
erhalten, durch ein Rolltor verschlossen ist.
Ans grelle Tageslicht kommen zwei 1965er Blechbananen vom Schlage
Zweiradunion "Hummel" Typ 115. Die Bessere von beiden wird eventuelle
restauriert. Jedoch hadert Erich noch mit sich, denn der in ein Moped
verzauberte Amischlitten ist mit ebensoviel Glitzer geschmückt wie das USVorbild. 600 € soll alleine das Verchromen des Tanks kosten. Was wohl das
Auftragen der Glanzschicht auf die vielen Motorenteilen, Felgen, Zierleisten
usw. kostet? Zudem ist das Mopedle aufgrund der aufwändigen
Blechkarosserie kein Restaurationsspaziergang. Ich rate Erich ab, der
Aufwand steht hier nicht im Verhältnis zu 40 km/h High-Speed.
Ganz links steht noch eine schwarze DKW RT 175 von 1954, sozusagen die
erwachsene Schwester der RT 125. Erich will sie aber nicht restaurieren,
sondern technisch fit machen und optisch in ihrer ganzen Pracht belassen.
Also die ganzen Spuren aus sechs Jahrzehnte nur konservieren. Was beim
Menschen graue Haare, Lachfalten und eine raue Stimmen sind, sind bei alten
Fahrzeugen Schrammen, Flugrost und matte Gussteile. Was beim Menschen
mit „schaut aus wie ein Opa“ beschrieben werden, wird beim Oldtimer viel
liebevoller mit „ganz original mit wunderschöne Patina“ beschwärmt. Wer will
da nicht Oldtimer sein. Jedoch ist Patina nur schön, wenn die Funktion
gegeben ist, ansonsten ist es Schrott. So ist es beim Menschen übrigens
auch.
Ich biete Erich noch Hilfe an, seine Schätzchen für den weiteren Winterschlaf
wieder mit Tüchern und Planen einzumummen. Er winkt dankend ab und
erwähnt, „das mache ich heute Nachmittag, aber vorher schür ich noch mal
richtig an“. Wir wünschen uns warmes Wetter und einen baldigen
Motorradfrühling. Auf der Heimfahrt schafft es die Scheibenspritzanlage
meines asiatischen Blechgokarts erstmals seit zwei Wochen, die
salzverschmierte Scheibe mit fast-flüssigem Scheibenfrostschutz abzuklaren.
Eine Woche später ist die Eiszeit vorübergehend vorüber und wird durch
massigen Schnee abgelöst. Zufällig sehe ich am Tag des ersten Schneechaos
in 2012 auf dem Weg zur Arbeit einen dick eingemummten Mann, der mit
einem zweitaktenden Irus Schneeräumer Baujahr 1984 den Gehsteig
freikämpfte. Es ist Erich in seinem Element. Ich bin neidisch und komme ins
Träumen, so ein alter Holder- oder Agria-Einachser mit Anhänger zum
Draufsetzen, das wärs doch. Dem Gedanken noch nachhängend, fahre ich
dank wunderschön flauschig aussehender Schneewehe fast in den Graben ;-)
* Auflösung zu der Frage, warum die Standard das rote Schaaf in Erichs
Sammlung ist? Lösung: Es ist ein Viertakter, alle anderen arbeiten mit zwei
Takten (und somit mit vielen Bauteilen!) weniger

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