GeoResources Fachzeitschrift für Ressourcen, Bergbau, Geotechnik

Transcrição

GeoResources Fachzeitschrift für Ressourcen, Bergbau, Geotechnik
Zeitschrift
Fachzeitschrift für Ressourcen, Bergbau, Geotechnik, Tunnelbau und Equipment
Bergbau 4.0
Gründung
Deponiebau
Geothermie
Förderanlagen
Sprengtechnik
Erdbeben
Streckenauffahrung
Deutschland
Schweiz
Kasachstan
International
GeoResources Verlag
Free of Charge • ISSN 2364-0278
www.georesources.net
01 | 2015
Wengeler & Kalthoff
Tools for drilling and rockbolting
MINING. TUNNELLING. CONSTRUCTION INDUSTRY. STEELMAKING.
Wengeler & Kalthoff produce one-off and seriesmanufactured boring and hammer drilling tools for
special assignments and to any customer
specification.
Tool functionality and long service life are ensured
thanks to a wide range of machining and finishing
processes that deliver the required hardness, shape
and toughness for a cost effective and high
performance result every time.
Wengeler & Kalthoff
Hammerwerke GmbH & Co. KG
Wittener Straße 164
58456 Witten
Germany
Phone: +49 (23 24) 93 47-0
Fax:
+49 (23 24) 93 47-44
E-Mail: [email protected]
www.we-ka.de
We know how…
because we do it ourselves
RAG Mining Solutions GmbH
Shamrockring 1
44623 Herne
GERMANY
Tel.: +49 (0) 23 23 15 - 53 00
http://www.ragms.com
Inhaltsverzeichnis
4
Impressum
5
Auf ein Wort
Netzwerk Bergbau –
Perspektive für die Bergbauwirtschaft
Eckehard Büscher
Anfang 2015 wurde das Netzwerk Bergbauwirtschaft bei der
EnergieAgentur.NRW gegründet. Das Netzwerk unterstützt vor
dem Hintergrund der Beendigung des Steinkohlenbergbaus in
NRW Unternehmen bei der Erschließung neuer Geschäftsfelder und ausländischer Märkte. Weltweit wächst nach wie vor
die Nachfrage nach Energie und insbesondere nach intelligenten und effizienten Techniken.
Bergbau · Energie · Zulieferer · Dienstleister · Netzwerk ·
Deutschland
Bergbau
7
Bergbau 4.0: Setzt euch zusammen!
Antworten zur Hightech-Strategie Industrie 4.0 –
und wie sie für den Bergbau gelingen kann
Thomas Bartnitzki
Industrie 4.0 – unter diesem Stichwort entwickelt die deutsche
Bundesregierung derzeit in Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden (u. a.
Fraunhofer-Gesellschaft, IG Metall, Bitkom, VDMA, ZVEI) eine
neue Hightech-Strategie, die industrielle Produktionsprozesse
mit modernster Informations- und Kommunikationstechnik
verknüpft. Auch auf dem BergbauForum 2015 wird dieses Thema diskutiert – Dr.-Ing. Thomas Bartnitzki erklärt vorab, was
der Begriff für die Bergbauindustrie bedeutet.
Geotechnik
9
Kreative geotechnische Lösungen für die Sanierung
der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister im Zwinger
Teil 1: Gründung eines neuen Lastenaufzugs
Jens Jähnig und Annett Geppert
Die Sanierung der Gemäldegalerie Alte Meister im Ostflügel
des Dresdner Zwingers ist auch in geotechnischer Hinsicht anspruchsvoll. Dieser Beitragsteil 1 gibt kurz einige allgemeine Informationen zum Sanierungsprojekt und befasst sich zunächst
mit der Ausführung der Pfahlgründung eines neuen Lastenaufzugs. Besondere Herausforderungen waren der schwierige Baugrund, der Denkmalschutz und der laufende Museumsbetrieb.
Geotechnik · Gründung · Pfähle · Baugrund ·
Denkmalschutz · Baubetrieb
14 Sanierung von Entwässerungsleitungen
aus PE-HD in Deponien
Detlef Löwe
Seit einigen Jahren treten in deutschen Deponien vermehrt
Schäden an PE-HD-Rohren zur Ableitung von Sickerwasser auf.
Inhaltsverzeichnis
Dieser Beitrag befasst sich mit den Schadensursachen und der
Sanierung. Er gibt Hinweise zur statischen Berechnung und
erläutert das Berstlining-Verfahren als grabenlose Sanierungsmethode.
Geotechnik · Deponiebau · Sanierung · Entwässerung ·
Rohre · Kunststoff
Geotechnik und Energie
19 Weichenstellung für innovative geothermische
Weichenheizung
Damian Schink
Die Verfügbarkeit der Weichen während der Wintermonate
ist ein wichtiger Schlüssel für den reibungslosen Bahnbetrieb.
Damit die Weichenzungen, die bewegten Teile von Weichen,
nicht festfrieren, werden sie mit Heizungen schnee- und eisfrei
gehalten. Neben den bekannten elektrischen und gasbefeuerten Heizsystemen ist nun auch eine vom Eisenbahn-Bundesamt (EBA) zugelassene geothermische Weichenheizung ohne
Zuführung externer Energie verfügbar. Diese neue Technologie stellt die Weichen für energiebewusstes und kostengünstiges Heizen.
Energie · Geotechnik · Geothermie · Bahninfrastruktur ·
Innovation · Kostenreduktion
Tunnelbau
25 Gotthard-Basistunnel:
Die Schachtförderanlagen von Sedrun
Teil I: Rohbauphase
Michael Flender
Der 57 km lange Gotthard-Basistunnel wurde in fünf Baulosen mit drei Zwischenangriffen errichtet. Der Zwischenangriff
Sedrun besteht aus zwei Blindschächten mit ca. 820 m Teufe,
die nur über einen etwa einen Kilometer langen Zugangsstollen erreicht werden konnten. Die komplexen und schwierigen Rahmenbedingugen und die hohen Anforderungen an
die Verfügbarkeit der Schachtförderanlagen sind eine besondere Herausforderung für den Bau und Betrieb der Anlagen.
Dieser Beitrag berichtet im ersten Teil über Bau und Betrieb
der Schachtförderanlage als Förder-, Material- und Seilfahrtsschacht und Einrichtungen zur Klimatisierung des Tunnelabschnitts Faido für die Ausbruchphase sowie im zweiten Teil
über die Demontage und Umrüstung der Schächte und die
Funktionen der endgültigen Hebeeinrichtungen der Schächte
Sedrun für die Betriebsphase des Tunnels.
Tunnelbau · Schachtbau · Schweiz · Zulieferer ·
Schachtförderung · Klimatisierung
Bergbau und Tunnelbau
35 Auswirkungen des Erdbebens vom 17. Mai 2014
in Nieder-Beerbach (Hessen) und Ableitung von
realistischen Anhaltswerten für Erschütterungen
Bernd Müller, Benjamin Litschko und Uwe Pippig
Am 17.05.2014 ereignete sich unmittelbar unter der Ortslage
von Nieder-Beerbach, Südhessen, ein Erdbeben der Stärke 4,2
(nach EMS98 VI bis VII). Dabei wurden mehr als 125 Gebäude
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
und Bauwerke beschädigt. Die entstandenen Schäden wurden
an ausgewählten Bauten systematisch erfasst und kinematisch
bewertet. Schwinggeschwindigkeitsmessungen während des
Erdbebens gestatten eine Bewertung des Ausmaßes der Erschütterungen und werden mit Sprengerschütterungsimmissionen des Gabbro-Tagebaus von Nieder-Beerbach verglichen.
Die Beurteilung und Zuordnung von entstandenen Bauwerksschäden zu den ausgelösten Schwinggeschwindigkeiten gestattet in Verbindung mit festigkeitsmechanisch-dynamischen
Untersuchungen von Gesteinen und Baustoffen die Festlegung von grenzwertigen Schwinggeschwindigkeiten sowie
Bruchdehnungen. Aus diesen vielfältigen Ergebnissen werden
zuverlässige, physikalisch eindeutig begründbare Anhaltswerte von Schwinggeschwindigkeiten und Dehnungen für das
Bauwesen abgeleitet.
logischen Bedingungen mit großen Konvergenzen soll durch
eine in Deutschland bewährte Auffahrungstechnik begegnet
werden. Im Jahr 2011 gründeten zwei deutsche Bergbauspezialunternehmen ein kasachisches Tochterunternehmen und erhielten Oktober 2012 einen Auftrag über 4.150 m Streckenauffahrungen. Am 15. August 2013 erfolgte die erste Sprengung
in etwa 900 m Teufe für das Projekt „Herstellen einer Strecke auf
der Sohle –480 m auf dem Bergwerk „10. Jahrestag der Unabhängigkeit Kasachstans“. Nach einer schwierigen Anlaufphase
im Jahr 2013 und einem guten Start in 2014 konnten bis Mitte
April 2015 nahezu 1.250 m Strecke mit Kurven, Bahnhofsbereichen und Streckenabzweigen aufgefahren werden.
Bergbau • Kasachstan • Erzbergbau • Streckenauffahrung •
NÖT
Erdbeben · Sprengtechnik · Erschütterungen · Bergbau ·
Tunnelbau · Geotechnik
Bergbau
53 Kasachstan: Streckenauffahrung in großer
Teufe und schwierigem Gebirge
für Chromerzbergwerk
Sergej Hübscher, Franz Stangl und Eugen Hoppe
Die kasachischen Chromerzlagerstätten zählen zu den größten
und reichhaltigsten Lagerstätten weltweit. Schwierigen geo-
Impressum
GeoResources Zeitschrift
GeoResources Journal
1. Jahrgang, Fachzeitschrift für Bergbau,
Tunnelbau, Geotechnik und Equipment
1st Year, Journal for Mining, Tunnelling,
Geotechnics and Equipment
ISSN 2364-0278
Erscheinungsweise:
Das Erscheinen von GeoResources ist
mit jeweils 4 Ausgaben pro Jahr in deutscher (GeoResources Zeitschrift) und 4
Ausgaben in englischer Sprache (GeoResources Journal) als Online-Ausgaben
(www.georesources.net) geplant. Ein
eventueller Druck bleibt vorbehalten.
Bei Interesse an einem gedruckten Exemplar setzen Sie sich bitte mit der Chefredaktion in Verbindung, um weitere Informationen zu erhalten.
Bezugspreis:
online-Ausgaben kostenfrei, Print-Ausgaben auf Anfrage
Chefredaktion:
Dr.-Ing. M.A. Katrin Brummermann
Mobil: +49 151 70 888 162
E-Mail: [email protected]
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Dipl.-Ing. Manfred König
Mobil: +49 172 244 16 16
E-Mail: [email protected]
Media und Anzeigen:
E-Mail: [email protected],
Mobil: +49 172 244 16 16
oder
+49 151 70 888 162
Herstellung/Layout/DTP:
Herbert Stimper
E-Mail: [email protected]
Gudrun Klick
E-Mail: [email protected]
www.grafiklick.de
Herausgeber:
GeoResources Portal Manfred König
Oleanderweg 12
47228 Duisburg
Mobil: +49 172 244 1616
oder
Tel.: +49 2043 93 75 222
E-Mail: [email protected]
Copyright:
Alle Rechte vorbehalten ©GeoResources
Portal, Duisburg, www.georesources.net
Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne
die Genehmigung des Copyrightinha-
bers in irgendeiner Form, durch Fotokopie, Mikrofilm oder andere Verfahren,
reproduziert oder in eine von Maschinen
oder Datenverarbeitungsanlagen verwendbare Form gebracht und genutzt
werden. Ausgenommen sind Wissenschaft und nichtkommerzieller Unterricht. Eine Anzeige der Nutzung ist erwünscht. Die Inhalte der eingereichten
Manuskripte bleiben im Eigentum der
Autoren (Verfasser), solange die Einreichung unentgeltlich erfolgte. Die inhaltliche Verantwortung für mit Namen
gekennzeichnete Beiträge und gelieferte Fotos und Grafiken übernimmt der
Verfasser.
Titelbild: Foto © Istock: Tief unter den
Alpen bauen die Schweizer eine Hochgeschwindigkeitseisenbahnverbindung
zwischen Zürich und Mailand. Mit 57 km
Länge ist der Gotthard-Basistunnel der
weltweit längste Eisenbahntunnel. Schwierige Geologie im Bereich des Zwischenangriffs Sedrun haben den Einsatz von konventioneller Tunnelbautechnik notwendig
gemacht. (Foto: Johannes Simon)
Inhaltsverzeichnis | Impressum
Auf ein Wort
5
Netzwerk Bergbau –
Perspektive für die Bergbauwirtschaft
Dr. Eckehard Büscher, Leiter Netzwerke Bergbau- und Energiewirtschaft, EnergieAgentur.NRW, Düsseldorf, Deutschland
A
nfang des Jahres 2015 wurde das Netzwerk Bergbauwirtschaft bei der EnergieAgentur NRW
gegründet. Das Netzwerk unterstützt vor dem Hintergrund der Beendigung des Steinkohlenbergbaus in
Nordrhein-Westfalen (NRW) Unternehmen bei der
Erschließung neuer Geschäftsfelder und ausländischer
Märkte.
Weltweit wachsende Rohstoffnachfrage
Weltweit wächst nach wie vor die Nachfrage nach
Energie und insbesondere nach intelligenten und effizienten Techniken. Hier leistet das deutsche Know-how
einen wesentlichen Beitrag.
Auch nach Einschätzung des VDMA im Jahrbuch
der europäischen Energie- und Rohstoffwirtschaft
2015 kann „die Energiewende möglicherweise neue
Märkte für Bergbautechnik eröffnen“. Der Rohstoffmarkt wird durch den Bau insbesondere von Windkraftwerken und PV-Anlagen weiter wachsen. Denn
auch erneuerbare Energien brauchen u. a. Stahl, Kupfer, Aluminium, Sand, Beton und Industrieminerale.
Die Entwicklung und der Ausbau von Speichertechnologien stellen große Anforderungen sowohl an die
Rohstoffwirtschaft als auch an das Ingenieur-Knowhow. Ehrgeizige Klimaschutzziele und Industriepolitik
mit Perspektive widersprechen sich nicht.
Deutsche Bergbautechnik –
State of the Art
Deshalb muss es unser Ziel in NRW sein, weiter an der
Spitze des technologischen Fortschritts zu stehen. Dies
gilt für die deutsche Bergbautechnik als Exporteur des
„State of the Art“ für tiefe Gruben und große Tagebaue.
Die Energiewende ist in den kommenden Jahrzehnten
das größte Infrastrukturprojekt in Deutschland und
damit ein wichtiger Auftraggeber.
Vor diesem Hintergrund sind die Schwerpunkte
der Netzwerkarbeit zunächst in den Bereichen Bergbautechnik, Grubengasnutzung und der Sanierung
bergbaulicher Schäden und Altlasten. Basierend auf
einer engen Zusammenarbeit mit Partnern wie NRW.
International, der Bergbehörde, dem VDMA Mining
und weiteren Akteuren der Zulieferindustrie sollen zusätzliche Absatzmärkte erschlossen und Arbeitsplätze
in Nordrhein-Westfalen erhalten werden.
Erfolgreicher Auftakt
Bei der Auftaktveranstaltung am 24. März mit ca. 150
Gästen in der Zeche Zollverein wurden mit den Verantwortlichen der NRW-Bergbauwirtschaft und dem
Wirtschaftsminister Duin folgende Fragen diskutiert:
Büscher:
Netzwerk Bergbau – Perspektive für die Bergbauwirtschaft
▶▶ Wie sind die Zukunftsperspektiven der NRW-Bergbauwirtschaft?
▶▶ Welche Exportchancen bestehen und wie gestalten
wir die Auslandsmärkte?
Die Unternehmen und Beschäftigten der Zulieferindustrie des Bergbaus in NRW reichen von Handwerksbetrieben und lokalen Dienstleistern bis hin zu technologieorientierten Hightech-Unternehmen. Sofern diese im
Bereich Steinkohle aktiv sind, müssen sie sich bis „2018“
nicht nur mit weiteren Produkt- und Prozessinnovationen auf die Erschließung von Anschlussmärkten und
neuen Kundengruppen einstellen, sondern dies auch
verwirklichen. Wir müssen uns daher mit den verbliebenen rd. 120 Bergbauzulieferern in NRW – überwiegend
inhabergeführten KMUs – konsequent auf potenzielle
Märkte konzentrieren. Hier kann ein gemeinsames Auftreten als Systemanbieter unter Moderation der Experten des Netzwerks Bergbau zum Erfolg verhelfen.
Wichtige Bergbaumärkte
Nach unserer Einschätzung sind – die Kohle betreffend – in erster Linie die Märkte China, Indien, Russland, Ukraine, Kasachstan, Polen, Südostasien, eventuell
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Auf ein Wort
6
auch Länder wie Mozambique und andere Bergbaunationen im südlichen Afrika perspektivisch interessant.
Nischen können wir erfolgreich auch in Chile, Brasilien oder etwa in Kolumbien und der Mongolei besetzen.
Ansonsten stellt sich stets die Frage: Welche alternativen Absatzfelder gibt es und wie werden sie erschlossen? Etwa in den Bereichen U-Bahn (Taiwan, weltweite
Großstädte), Tunnelbau (z. B. Alpen), Nicht-KohleBergbau (Kupfer Polen, Chile usw.)? Die Ergebnisse
einer globalen Kohlestudie (Borgmeier, Geldermann,
v. Hartlieb) vom Juni 2014 weisen hierzu interessante
Szenarien nach. Aber auch in den Bereichen Endlagersuche und -ausbau, Urban Mining/Recycling und im
Bereich der tiefen Geothermie, die in vielen Bereichen
der Welt sowohl für die erneuerbare Strom- als auch
für die Wärmeversorgung ausgebaut wird, ergeben sich
viele Ansätze, das deutsche Bergbau-Know-how zu vermarkten.
Kompetente Partner
Liebe Leserin, lieber Leser, die Idee eines tragfähigen
Netzwerks funktioniert nur als gemeinsame Idee mit
vielen Beteiligten. Deshalb bin ich zum einen sehr froh,
dass das Netzwerk Bergbau mit dem VDMA und hier
insbesondere dem Bereich „Mining“ einen kompetenten Partner gefunden hat, mit dem wir gemeinsame
zielgerichtete Aktivitäten für unsere Unternehmen
z. B. in Indien durchführen. Darüber hinaus hoffen wir
mit Ihnen und Ihrem Unternehmen Mitstreiter gefunden zu haben, mit denen wir gemeinsam „Bergbau aus
NRW“ vorstellen und entwickeln können.
Ein kräftiges Glückauf !
Ihr Eckehard Büscher
Bündelung von Kompetenzen
Wichtig für langfristig erfolgreiche Geschäftsbeziehungen ist der Bereich „Ausbildung“ bzw. „Capacity
Building“ bis hin zu Arbeitsschutz, Unfallverhütung
und Nachfolgebergbau. Das weltweit anerkannt gute
Niveau der dualen Ausbildung und die damit verbundene hohe Qualifikation deutscher Facharbeiter sollte
intensiver genutzt werden. Das Netzwerk Bergbau verbindet, moderiert und bündelt die Kompetenzen der
Bergbaubranche. Damit helfen wir Ihnen, Ihre ausländischen Kunden über die Vorteile von „Bergbautechnik und Dienstleistungen Made in Germany“ – auch
unter ökonomischen Gesichtspunkten – zu überzeugen.
Kontakt:
Dr. Eckehard Büscher
EnergieAgentur.NRW
Leiter Netzwerke Bergbau- und Energiewirtschaft
Tel: +49 211 210 944-15
Fax: +49 211 210 944-23
[email protected]
Völklinger Str. 4, c/o rwi4, 40219 Düsseldorf
www.energieagentur.nrw.de/bergbau
Im Interview auf den beiden folgenden Seiten erhalten Sie Anregungen, wie durch Kooperation die Hightech-Initiative Industrie 4.0 als Bergbau 4.0
erfolgreich werden kann.
Foto: © morganimation – Fotolia.com
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Büscher:
Netzwerk Bergbau – Perspektive für die Bergbauwirtschaft
Bergbau
7
Bergbau 4.0: Setzt euch zusammen!
Antworten zur Hightech-Strategie Industrie 4.0 –
und wie sie für den Bergbau gelingen kann.
Interview mit Dr.-Ing. Thomas Bartnitzki
Industrie 4.0 – unter diesem Stichwort entwickelt
die deutsche Bundesregierung derzeit in Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden (u. a. Fraunhofer-Gesellschaft, IG Metall, Bitkom, VDMA, ZVEI)
eine neue Hightech-Strategie, die industrielle
Produktionsprozesse mit modernster Informations- und Kommunikationstechnik verknüpft.
Auch auf dem BergbauForum 2015 wird dieses
Thema diskutiert – Dr.-Ing. Thomas Bartnitzki erklärt vorab, was der Begriff für die Bergbauindustrie bedeutet.
Frage: Industrie 4.0 ist ein Sammelbegriff für komplexe
Prozesse, welche die Digitalisierung der Industrie und
Wirtschaft umfassen. Was verstehen Sie konkret darunter?
Thomas Bartnitzki: Ich halte es mit einem Zitat des
Arbeitskreises Industrie 4.0 aus seinem Abschlussbericht
2013: „Nach Mechanisierung, Elektrifizierung und Informatisierung der Industrie läutet der Einzug des Internets der Dinge (...) eine 4. Industrielle Revolution ein.“
Frage: Was heißt „Einzug des Internets der Dinge“?
Thomas Bartnitzki: Im letzten Jahrhundert haben wir
drei Revolutionen erlebt – die der Mechanisierung und
der Elektrifizierung im ausgehenden 19. Jahrhundert
und dann der Informatisierung in den letzten 25 Jahren.
Aktuell haben wir eine neue Revolution in der industriellen Produktion erreicht: Die der Nutzung des Internets
und der Cyber-Physical Systems (CPS), also Netzwerke
kleiner, mit Aktoren und Sensoren ausgestatteter Computer, die u. a. in Maschinen eingebaut werden und sich
über das Internet miteinander verbinden können.
den Fehler selbst beheben und nachgeschaltete Prozesse
informieren können. Es geht also bei der Industrie 4.0
oder dem Bergbau 4.0, wie ich es bezogen auf die Branche nenne, nicht darum, noch mehr Maschinen in den
Produktionsablauf zu integrieren, sondern die Maschinen und Komponenten untereinander zu vernetzen.
Frage: Welchen Part übernimmt der Mensch dann in
den Produktionsabläufen?
Thomas Bartnitzki: Detlef Wetzel, erster Vorsitzender
der IG Metall hat es so formuliert: „Die Beschäftigten
sind nur noch vernetzte Rädchen (…) ohne nennenswerte Handlungskompetenz und entfremdet von der
eigenen Tätigkeit.“
Frage: Das klingt mehr nach einer Angstvision?
Thomas Bartnitzki: Genau dort liegt die Herausforderung: Wenn Sie neue Technologien in ein Unternehmen
einführen und Sie vergessen, die Menschen auf diesen
Prozess vorzubereiten und sie aktiv in den Prozess einzubinden, passiert Folgendes: Sobald zum Beispiel ein
Sensor an der Maschine ausfällt, werden sie diesen nicht
reparieren, sondern erst recht mit dem Schraubenschlüssel „draufhauen“. Um dann sagen zu können, das funktioniere doch alles nicht. Für den gelungenen Veränderungsprozess beim Bergbau 4.0 ist es also sehr wichtig, die
einzelnen Mitarbeiter, also die Menschen, mitzunehmen.
Frage: Was bedeutet das konkret für den Bergbau?
Thomas Bartnitzki: Auch hier möchte ich gerne den
Arbeitskreis zitieren: „Unternehmen werden zukünftig
ihre Maschinen, Lagersysteme und Betriebsmittel als
CPS weltweit vernetzen.“ Der nächste Entwicklungsschritt im Bergbau ist also die Kommunikation und
Vernetzung der Systeme und Maschinen untereinander. Es gibt zwar schon Maschinen, die mittels Aktoren
und Sensoren den teil- oder vollautomatisierten Betrieb
ermöglichen. Bislang fehlt aber die bergwerksweite
Kommunikation der Maschinen untereinander. Zum
Beispiel soll eine Maschine in der Lage sein, wie ein
Mensch zu agieren: Wenn es ihr schlecht geht, also ihr
Produktionsprozess gestört ist, soll sie das selbst merken,
Interview mit Dr.- Ing. Thomas Bartnitzki
Bergbau 4.0: Setzt euch zusammen!
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Bergbau
8
Über das BergbauForum 2015
Zum 13. Mal bietet die Veranstaltung den Teilnehmern eine thematisch
breitgefächerte und umfangreiche Betrachtung komplexer rohstoffrelevanter Themen an. In diesem Jahr spiegelt sich die zunehmend internationale Ausrichtung des Events sowohl in den Inhalten als auch in der
Akzeptanz der rund 300 Teilnehmer wider.
Das Vortragsspektrum umfasst in diesem Jahr die Hauptbereiche:
▶▶ Förderung & Transport
▶▶ Exploration & Lagerstättenentwicklung
▶▶ Modernisierung & Automatisierung
▶▶ Bergbaufolge & Nachnutzung
▶▶ Training & Sicherheit
Ergänzt wird die Veranstaltungsreihe am zweiten Tag um einen rein international ausgerichteten englischsprachigen Themenblock. Dieser umfasst die Themen:
▶▶ Mining Project Development
▶▶ Mine Operations
▶▶ Mine Closure
Eine Exkursion in das Verbundwerk Werra, Standort Hattorf-Wintershall
der K+S Aktiengesellschaft rundet das Programm in diesem Jahr ab.
Termin: 18. + 19. Juni
Ort:
Kassel, Kongress Palais
Kontakt: Jörn Philipp Jordan
Tel.: + 49 201 172-1284
[email protected]
www.bergbauforum.de
Frage: Wie kann so ein Veränderungsprozess in der
Praxis gelingen?
Thomas Bartnitzki: Zum Beispiel durch Einsatz von
Assistenzsystemen, die den Menschen bei der Arbeit aktiv unterstützen: Von Beginn an muss den Mitarbeitern
deutlich gemacht werden, dass die neue Technologie ihnen assistiert, sie aber nicht ersetzen soll. Natürlich werden das einige Führungskräfte anders sehen. Ihr Wunsch
ist es, dass sich der Einsatz der Technologie rentiert,
indem er durch Personalabbau die Produktionskosten
senkt. Und das wird auch so passieren: Irgendwann wird
es statt 1.000 Mitarbeitern nur noch 250 hochausgebildete, spezialisierte Mitarbeiter geben. Aber, seien wir realistisch: Einen Personalabbau können wir im Bergbau
ohnehin nicht verhindern. Durch Bergbau 4.0 können
wir den Personalabbau aber zeitlich strecken und so angleichen, dass die Betriebe nicht urplötzlich von einer
riesigen Kündigungswelle überrollt werden.
Den Begriff der Industrie 4.0 gibt es seit 2011. Im
Jahr 2013 nahm die sogenannte Plattform Industrie 4.0, getragen von Bitkom, VDMA und ZVEI, ihre
Dr.- Ing. Thomas Bartnitzki
Dr.- Ing. Thomas Bartnitzki ist Akademischer Oberrat an der RWTH
Aachen, Institut für Maschinentechnik der Rohstoffindustrie (IMR), und
arbeitet als freier IT-Berater für Systemanalyse und -einführung. Sein aktueller Forschungsschwerpunkt ist die Schneidtechnik für den Bergbau.
Auf dem BergbauForum 2015 wird er einen detaillierten Vortrag über
das Thema Bergbau 4.0 halten.
Kontakt: [email protected]
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Arbeit auf. Doch schon dieses Jahr wurde harsche Kritik geäußert. So erklärte Reinhard Clemens, CEO von
T-Systems, die Ziele der Plattform für gescheitert: den
deutschen Konzernen mangele es an konzertiertem
Vorgehen, der Plattform an konkreten Ergebnissen.
Dem würde ich widersprechen. Vor allem, was die
Bergbaubranche betrifft: Der Bergbau wird gerade
enorm durch australische Bergbauunternehmen, die
derzeit die dritte Stufe der Informatisierung verlassen,
angetrieben. Das heißt: Immer mehr Bergbaubetreiber
fordern von ihren Zulieferern, dass sie Schnittstellen
zur Kommunikation der Maschinen untereinander
schaffen und selbst ihren Automatisierungsgrad erhöhen. Natürlich stellt das alle vor große Herausforderungen: Solchen übergreifend zusammenarbeitenden
Systemen stehen eine Menge Einzelinteressen im Weg.
Frage: Also ist der Veränderungsprozess demnach nicht
gescheitert, sondern nur verlangsamt?
Thomas Bartnitzki: Ich denke, dass die Ziele der Industrie 4.0 zu Beginn zu hoch gesteckt waren. Man
kann nicht einfach irgendeine Revolution anzetteln
und erwarten, dass diese binnen kürzester Zeit zum
Selbstläufer wird. Aber wir sind auf dem richtigen Weg:
Der deutsche Ansatz der Industrie 4.0 genießt international hohes Ansehen und hat sich binnen kürzester
Zeit als Begriff etabliert.
Frage: Was muss jetzt in der Bergbaubranche passieren?
Thomas Bartnitzki: Bislang genießt die deutsche
Bergbauzulieferindustrie ein hohes Ansehen. Wir haben eine Menge „Hidden Champions“ in der Branche:
Mittelständische Firmen, die international erfolgreich
agieren, aber hier nicht so bekannt sind. Aber darauf
dürfen wir uns nicht ausruhen, weil wir sonst von der
internationalen Konkurrenz überholt werden.
Frage: Das bedeutet ganz genau?
Thomas Bartnitzki: Unsere Maschinenhersteller beispielsweise müssen begreifen, dass sie nicht mehr nur
Maschinen herstellen dürfen, sondern auch die Software zur Kommunikation der Maschinen mitliefern
müssen. Und das ist eine Herausforderung für kleine
bis mittelständische Unternehmen: jeder agiert mit anderen Standards und Schnittstellen. Damit die Maschinen untereinander kommunizieren können, brauchen
wir aber miteinander kompatible Schnittstellen. Die
Norm IEC 61449 liefert hierzu interessante Ansätze.
Frage: Wie lautet Ihr Lösungsansatz für dieses Problem?
Thomas Bartnitzki: Mein eindringlicher Appell an die
vielen unterschiedlichen Unternehmen in der Bergbaubranche lautet: Schließt euch unter dem Label Bergbau
4.0 zusammen und arbeitet gemeinsam an neuen Entwicklungen. Setzt euch zusammen! Schafft euch gemeinsam
neue Geschäftsfelder in der Maschinenkommunikation,
die euch weiterhin als internationale Marktführer stärken.
Das Interview führte Nina Schmulius.
Interview mit Dr.- Ing. Thomas Bartnitzki
Bergbau 4.0: Setzt euch zusammen!
Geotechnik
9
Kreative geotechnische Lösungen für die
Sanierung der Dresdner Gemäldegalerie
Alte Meister im Zwinger
Teil 1: Gründung eines neuen Lastenaufzugs
Dipl.-Ing. (FH) Jens Jähnig und Dipl.-Geol. Annett Geppert, Jähnig GmbH, Dorfhain, Deutschland
Die Sanierung der Gemäldegalerie Alte Meister
im Ostflügel des Dresdner Zwingers ist auch in
geotechnischer Hinsicht anspruchsvoll. Dieser
Beitragsteil 1 gibt kurz einige allgemeine Informationen zum Sanierungsprojekt und befasst
sich zunächst mit der Ausführung der Pfahlgründung eines neuen Lastenaufzugs. Besondere Herausforderungen waren der schwierige Baugrund,
der Denkmalschutz und der laufende Museumsbetrieb.
Geotechnik • Gründung • Pfähle • Baugrund •
Denkmalschutz • Baubetrieb
Auftrag umfasste die Ausführung der Gründung für ei­
nen neuen Lastenaufzug sowie eine Tunnel­erweiterung
mit dafür notwendigen Injektionen für die Einrichtung
eines unterirdischen Museumsgangs (Bild 2). Wegen
des unter Denkmalschutz stehenden weltberühmten
historischen Dresdner Gebäudes und wegen des laufen­
den Museumsbetriebs war der Auftrag eine nicht alltäg­
liche besondere Aufgabe.
Dieser Beitragsteil 1 gibt einige allgemeine Informa­
tionen zur Sanierung der Dresdner Gemäldegalerie Alte
Meister (siehe Kasten) und behandelt die Ausführung
der geotechnischen Arbeiten zur Gründung eines neu­
en Lastenaufzugs. Nachfolgende Beitragsteile werden
sich mit den Injektionen und der Tunnelerweiterung
für den unterirdischen Museumsgang befassen.
Allgemeines
Lage des Lastenaufzugs und
­
Die in der Region Dresden ansässige Jähnig GmbH Gründungskonzept
wurde mit geotechnischen Arbeiten für die Sanierung
der Gemäldegalerie Alte Meister im Ostflügel des Sem­
perbaus am Dresdner Zwinger beauftragt (Bild 1). Der
Die baulichen Maßnahmen dienen unter anderem der
Verbesserung der Infrastruktur des Gebäudes. Ein Trep­
penhaus und ein neuer Lastenaufzug sollen für den si­
Bild 1: Semperbau bzw. Sempergalerie im Ostflügel des Dresdner Zwingers
Quelle: © Alexander - Fotolia
Jähnig und Geppert:
Sanierung der Gemäldegalerie Alte Meister im Zwinger – Teil 1: Gründung eines Lastenaufzugs
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Geotechnik
10
schwach schluffigen Sedimenten, unverfestigte Fluss­
kiese und Sande sowie Zwischenlagen aus Auelehm bil­
den dafür jedoch nur eine schwache Basis am hinteren
Ende des Ostflügels.
Maßnahmen zur Baugrundverbesserung bezie­
hungsweise eine Nachgründung der vorhandenen
Fundamente wurden nötig. Eine Tiefgründung in den
tragfähigeren Untergrund war die Lösung. Als Ergeb­
nis der Tragwerksplanung wurde die Installation von
31 GEWI-Druckpfählen mit einem Durchmesser von
50 mm mit Längen bis zu 12 m erforderlich.
Planung und Vorbereitung der
­Gründungsarbeiten
Bild 2: Ostflügel des Zwingers in der Draufsicht mit Kennzeichnung der Lage des
Lastenaufzugs und des Tunnels
Quelle: Planautor Sunder-Plassmann und SIB NL D1, modifiziert durch Jähnig GmbH
cheren Transport der fragilen, wertvollen Kunstwerke
genutzt werden. Zu diesem Zweck wurde der Gebäude­
teil der ehemaligen Rüstkammer über mehrere Etagen
entkernt (Bild 3).
Die Umbaumaßnahmen belasten die vorhandenen
Fundamente und Bodenplatten. Baukörperreste aus
Sandsteinbruch und Betonmörtel, Auffüllungen aus
Für die beauftragten Pfahlgründungsarbeiten im In­
neren des Gebäudes – in engen Räumen und während
des laufenden Museumsbetriebs musste – ein spezielles
technisches Konzept entwickelt werden. Zum einen er­
forderte die Bauaufgabe ein leistungsstarkes Bohrgerät,
das zudem schallgedämpft, vibrationsarm und staubre­
duziert arbeitet. Zum anderen erforderte die örtliche
Situation eine außergewöhnliche und ausgefallene Lo­
gistiklösung, um das Bohrgerät an seinen Einsatzort zu
bringen.
Der Raum der ehemaligen Rüstkammer misst nur
knapp 7,5 x 8,5 m. Stellenweise waren die Bohransatz­
punkte nur 5 cm von der Wand entfernt. Weitere Ein­
schränkungen brachten die niedrigen Deckenhöhen
in den angrenzenden Räumen. Dort standen maximal
Zur Sanierung der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister im Zwinger
Das Sächsische Immobilien- und Baumanagement SIB führt gemeinsam mit den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden eine mehr­
jährige und schrittweise Sanierung der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister im Zwinger durch. Bauliche und technische Gründe
führten zur grundlegenden Instandsetzung des ursprünglich im Jahr 1855 nach den Plänen Gottfried Sempers errichteten Baus: Es
müssen die heute vorgeschriebenen Fluchtwege geschaffen, die barrierefreie Erschließung ermöglicht, die gravierenden bauphysikali­
schen, klimatischen und technischen Mängel beseitigt und die Infrastruktur ertüchtigt werden. Besucher und Kunstwerke sollen von
der Sanierung profitieren.
Um den Kunstgenuss zu erhöhen, wurde ein grundlegend neues Ausstellungskonzept für das nach dem Zweiten Weltkrieg wieder
aufgebaute Galeriegebäude am Zwinger entwickelt. Das Konzept ist nicht nur architektonisch anspruchsvoll, sondern bringt auch
geotechnische und baubetriebliche Herausforderungen mit sich. Es sieht einen unterirdischen, in die Ausstellung integrierten Durch­
gang im Untergeschoss und einen neuen Lastenaufzug vor. Der Museumsbetrieb läuft mit baubedingten Einschränkungen während
der Sanierung weiter. Zahlreiche Meisterwerke, wie Raffaels „Sixtinische Madonna“, Giorgiones „Schlummernde Venus“, Correggios
„Heilige Nacht“, Cranachs „Katharinenaltar“, Vermeers „Briefleserin“ und Bellottos Dresdener Stadtansichten, ziehen jährlich mehr
als eine halbe Million Besucher an.
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Jähnig und Geppert:
Sanierung der Gemäldegalerie Alte Meister im Zwinger – Teil 1: Gründung eines Lastenaufzugss
Geotechnik
11
Bild 3: Schnitt durch das Treppenhaus Ost mit Darstellung der Neuinstallationen. Die Bodenplatte und das Fundament im
Untergeschoss (UG) werden neu gegründet.
Quelle: Schnitt 5-5, Planautor Sunder-Plassmann Architekten und SIB NL D1
lichte 4 m für den Einbau von Ankern mit 12 m Länge
zur Verfügung.
Wegen der ungünstigen Kombination aus schwie­
rigem Baugrund, beengten örtlichen Verhältnissen
und dem weiterhin laufenden Museumsbetrieb waren
die Anforderungen an das Bohrgerä sehr hoch. Klein,
kompakt und wendig, leistungsstark bis in beträcht­
liche Tiefen bei großen Bohrdurchmessern, schallge­
dämpft und abgasreduziert, sollte sie sein. Das Keller­
bohrgerät der Hütte Bohrtechnik GmbH, Olpe, D,
erfüllte diese Anforderungen. Ausgestattet mit Elek­
tromotor und Preventer zur Staubabdichtung erfolgte
die Versorgung des Geräts mittels Stromgenerator von
der Baustelleneinrichtungsfläche (BE-Fläche) außer­
halb des Gebäudes und schaffte so ein ungestörteres,
saubereres Arbeitsumfeld in den Räumlichkeiten.
Die flexible Kinematik ermöglichte das Abteufen
mehrerer Bohrungen von einem Standpunkt aus. Für
den leistungsstarken Kraftdrehkopf war auch die Bohr­
tiefe trotz Verrohrung und 200 mm Bohrdurchmesser
kein Problem. Die teleskopierbare Lafette schaffte die
Bild 4: Einheben des Bohrgeräts mit Autokran durch ein Fenster des Semperbaus
Quelle: Jähnig GmbH, Fotograf: Robert Michael
Jähnig und Geppert:
Sanierung der Gemäldegalerie Alte Meister im Zwinger – Teil 1: Gründung eines Lastenaufzugs
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Geotechnik
12
Bild 5: Bohrgerät im Einsatz
Quelle: Jähnig GmbH, Fotograf: Jens Jähnig
Bild 6: Baustelleneinrichtung außerhalb des Gebäudes. Die Materialandienung und Versorgung der Baustelle erfolgten durch ein
geöffnetes Fenster.
Quelle: Jähnig GmbH, Fotograf: Jens Peschke
notwendige Voraussetzung, um auch bei niedrigen De­
ckenhöhen arbeiten zu können.
Mit viel Fingerspitzengefühl und in Millimeterar­
beit wurde das knapp 8 t schwere Bohrgerät Typ Hütte
HBR 202 E mit einem Autokran durch ein Fenster des
Semperbaus ins Innere gehoben (Bild 4).
Durchführung der Gründungsarbeiten
Die Arbeiten wurden im August 2014 durchgeführt.
Drei Wochen Bauzeit standen zur Verfügung.
Die alte Bodenplatte verblieb zunächst und wurde
an den Bohransatzpunkten durchbohrt. Für Mensch
und Maschine bestand so ein standfester Untergrund
und die Kernung bot bessere Ansatzpunkte für das
Bohrgerät. An besonders engen Stellen musste durch
andere Gewerke die Bestandsmauer teilweise abgebro­
chen werden, um eine minimale Baufreiheit von 30 cm
zu schaffen. Zeitgleiche Arbeiten anderer Gewerke
schränkten den Bauraum zusätzlich ein und erforderten
ein hohes Maß an Flexibilität und Koordination. Das
Bild 5 zeigt das Bohrgerät im Einsatz und Bild 6 die
Baustelleneinrichtung außerhalb des Gebäudes.
Bild 8: Ankereinbau bei niedrigen Deckenhöhen
Quelle: Jähnig GmbH, Fotograf: Jens Peschke
Bild 7: Exakte Steuerung des Bohrverlaufs durch das Bohrteam per Fernbedienung
Quelle: Jähnig GmbH, Fotograf: Jens Jähnig
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Jähnig und Geppert:
Sanierung der Gemäldegalerie Alte Meister im Zwinger – Teil 1: Gründung eines Lastenaufzugss
Geotechnik
13
Die Bohrungen wurden verrohrt. Das dabei ent­
standene schlammige Bohrklein musste angesichts des
engen Bauraums aufwändig und in Handarbeit mit
Schaufel in einen Transportkübel entsorgt und dieser
wiederum durch ein Fenster auf die BE-Fläche ver­
bracht werden. Von der BE-Fläche aus erfolgte auch die
notwendige Versorgung durch Stromgenerator, Kom­
pressor und Verpressstation.
Beim Einbau ergab sich immer wieder die bau­
grundbedingte Problematik, dass das Bohrloch ein­
schwemmte und das tiefengerechte Einbringen des
Pfahls verhinderte. Hier halfen Fachwissen und jahre­
lange Erfahrung des Bohrteams (Bild 7). Im Zusam­
menspiel von Baugrund, geeignetem Bohrwerkzeug
und erfahrenen Bohrmeistern konnte der gewünschte
Erfolg erzielt werden.
Die bis zu 12 m langen GEWI-Stabstähle wurden
wegen ihres Gewichts von über 180 kg und der stellen­
weise niedrigen Deckenhöhen in miteinander gemuff­
ten Teilstücken eingebaut und anschließend verpresst
(Bild 8).
Im nächsten Arbeitsgang wurden nach dem Rück­
bau der alten Bodenplatte die Pfahlhalsverstärkungen
und Ankerköpfe niveaugerecht eingebaut. Damit waren
alle Voraussetzungen für die Herstellung der neuen Bo­
denplatte erfüllt.
Fazit
Der erste Bauabschnitt des Auftrags am historischen
Standort Dresden stellte eine besondere Herausforde­
rung dar – technologisch wie auch logistisch. Kreativi­
tät und Know-how waren an jeder Stelle und zu jedem
Zeitpunkt gefordert. Die Jähnig GmbH hat diesen ers­
ten Bauabschnitt erfolgreich umgesetzt. Über den zwei­
ten Bauabschnitt, also die Tunnelerweiterung, wird in
weiteren Beitragsteilen berichtet werden.
Dipl.-Ing. (FH)
Jens Jähnig
Dipl.-Geol.
Annett Geppert
studierte in Cottbus
an der Ingenieurschule für Bauwesen und
erreichte 1990 seinen
Ingenieursabschluss.
Die Stabilisierung von
Fels und Baugrund
war seit jeher sein
Metier.
Nach kurzer Phase der
Bauleitertätigkeit bei der Felssicherung Königl
gründete er 1992 die Einzelunternehmung Jens
Jähnig Felssicherung. Seit 1996 ist er Geschäftsführer der Jähnig GmbH. Mit seinen innovativen
Ideen und Visionen bringt er das Unternehmen
erfolgreich voran.
Das Unternehmen ist spezialisiert auf Bohrverfahrenstechnik in unterschiedlichen Baugründen, Fels- und Böschungssicherung durch Steinschlagschutznetze, Fangzäune und Spritzbeton
sowie Gründungen und Nachgründungen von
Bauwerken.
studierte nach Abschluss der Ausbildung
zur Bauzeichnerin im
Straßen-, Tief- und
Landschaftsbau Geologie/Paläontologie an
der TU Bergakademie
Freiberg mit Vertiefung im Fachbereich
Geotechnik/Ingenieurgeologie.
Bereits während des Studiums entstand eine
enge Zusammenarbeit mit der Jähnig GmbH.
Seit dem Studienabschluss als Diplom-Geologin
und Master of Science ist sie Mitarbeiterin der
Jähnig GmbH und hat sich über die Geologie und
Geotechnik hinaus im Marketing etabliert.
Kontakt: [email protected]
Kontakt: [email protected]
Jähnig und Geppert:
Sanierung der Gemäldegalerie Alte Meister im Zwinger – Teil 1: Gründung eines Lastenaufzugs
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Geotechnik
14
Sanierung von Entwässerungsleitungen
aus ­PE-HD in Deponien
Detlef Löwe, bds Boden- und Deponie-Sanierungs GmbH, Neufahrn, Deutschland
Seit einigen Jahren treten in deutschen Deponien
vermehrt Schäden an PE-HD-Rohren zur Ableitung von Sickerwasser auf. Dieser Beitrag befasst
sich mit den Schadensursachen und der Sanierung. Er gibt Hinweise zur statischen Berechnung
und erläutert das Berstlining-Verfahren als grabenlose Sanierungsmethode.
Geotechnik • Deponiebau • Sanierung • Entwässerung • Rohre • Kunststoff
1 Einleitung
In Deponien dienen Entwässerungsrohre mit Dränageöffnungen über der Basisabdichtung zur Abführung des
anfallenden Sickerwassers. Mangels ausreichender statischer Untersuchungen und wegen des Fehlens geeigneter Rohrtypen auf dem Markt wurden in den Anfangszeiten des geordneten Deponiebaus Rohre aus dem
kommunalen Tiefbau für diese Aufgabe eingesetzt, wie
aus PVC oder Steinzeug. Ab Mitte der 1980er-Jahre kamen aber verstärkt Rohre aus PE-HD, also Polyethylen
hoher Dichte, zum Einsatz.
Viele dieser Entwässerungsleitungen aus unterschiedlichen Rohrmaterialien, die üblicherweise für Überdeckungshöhen von 10 bis 20 m konzipiert waren, weisen
mittlerweile Schäden auf (Bild 1). Schäden an Deponieentwässerungsleitungen sind seit Anfang der 1990er-JahBild 1: Beschädigtes PE-HD-Rohr
re bekannt und bedürfen in der Regel einer Sanierung.
Häufig haben die Schäden folgende Ursachen:
▶▶ Die Überdeckungshöhen, die bei der statischen
Bemessung zugrunde gelegt wurden, wurden überschritten.
▶▶ Die Anforderungen an den Werkstoff wurden damals nicht an die vorliegenden Randbedingungen
angepasst.
▶▶ In diversen Deponien wurde festgestellt, dass bei der
Verlegung der PE-HD-Rohre mangels ausreichender Bauüberwachung nicht die gemäß statischer
Bemessung erforderlichen Druckstufen eingehalten
wurden, sondern niedrigere verwendet wurden.
Die an den Rohren festgestellten Schäden bedürfen
aus statischer Sicht einer Sanierung beziehungsweise
einer Erneuerung der betroffenen Leitungen. Auch
zur Aufrechterhaltung einer kontrollierbaren Sickerwassersammlung und -abführung ist die Sanierung der
Schäden unabdingbar, wobei die Forderungen der Deponieverordnung (DepV) einzuhalten sind [1]. Weitere
Gründe für eine Sanierung – in diesem Fall Ertüchtigung – von Sickerwassersystemen können auch Änderungen der Deponienutzung, der Deponiehöhe oder
der Abfallzusammensetzung sein.
Im Deponiebereich können Rohrschäden meist nicht
mit Verfahren behoben werden, die im kommunalen
Kanalbau eingesetzt werden. Eine einfache Auswechslung scheitert an den Einbautiefen, der Einbau eines
Inliners an der Dränagefunktion. Lokale Sanierungen
sind im Regelfall wenig sinnvoll, da die Hauptschadensursache der Lastüberschreitung über beinahe die gesamte Leitungslänge vorhanden ist. Die Rohre müssen also
durchgehend ertüchtigt oder ausgetauscht werden.
2 Wahl der Sanierungsmethode
Die Sanierung von Deponieleitungen unter einem Abfallberg von 20, 30 oder auch mehr Metern Höhe ist
eine technisch anspruchsvolle Aufgabe. Im städtischen
Bereich des kommunalen Kanalbaus werden Rohre
meist durch den Einzug eines statisch ausreichend bemessenen neuen Rohrs in ein bestehendes defektes
Altrohr ertüchtigt. Dieses Verfahren eignet sich jedoch
nicht für perforierte Rohre. Es ist technisch nicht möglich ist, die Perforierungen von Alt- und Neurohren
passgenau übereinander anzuordnen. Die nachträgliche Herstellung von Dränageöffnungen schwächt Altund Neurohre und ist technisch aufwendig.
Zur Sanierung eines Deponiesickerwasserrohrs ist
demnach der Austausch des defekten Strangs erforGeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Löwe::
Sanierung von Entwässerungsleitungen aus PE-HD in Deponien
Geotechnik
15
derlich. Da der Aushub eines Rohrgrabens quer durch
einen Abfallberg Kosten und Emissionen in beträchtlichen Höhen bedingt, ist in nahezu allen Fällen der Einsatz grabenloser Austauschverfahren sinnvoll.
Für Deponien hat sich seit dem Jahr 1990 das Berstlining-Verfahren durchgesetzt [2]. Der Grundgedanke
dieses Verfahrens besteht darin, einen Bodenverdrängungskörper durch die defekte Rohrleitung zu ziehen,
die Rohrwandung zu zerstören und in den anstehenden
Boden zu verdrängen. Unmittelbar hinter dem Verdrängungskörper wird eine neue Rohrleitung gleicher
oder größerer Nennweite eingezogen.
3 Rohrmaterial
Im Deponiebau wird für Berstliningmaßnahmen seit
2013 ausschließlich das Material PE 100, also Polyethylen mit einer Mindestfestigkeit MRS = 10 N/mm2
(PE-HD), eingesetzt. Das Material ist gegen chemische
Angriffe aller üblicherweise in Deponien auftretenden
Stoffe resistent. Mechanische Belastungen können insbesondere kurzzeitig sehr gut aufgenommen werden.
Einschränkungen der Einsetzbarkeit können durch extreme Temperaturbelastungen entstehen.
Eingesetzt werden Rohre nach DIN 8074 [3] und
DIN 8075 [4]. Die Werkstoffliste [5] für zugelassene PEWerkstofftypen für Druckrohre enthält in der Fassung
von 2014 36 Typen PE 100. Während die anzuwendenden Abminderungen für die deponiespezifischen Einwirkungen in Normen und Regelwerken festgelegt sind,
sind die für eine statische Berechnung erforderlichen
Ausgangswerte materialspezifisch und müssen durch
Versuche ermittelt werden. Als Mindestanforderung
gelten für alle PE-Materialien die in den DWA-Regelwerken [6] beziehungsweise durch das DIBt festgelegten
Materialkennwerte. Da die neueren PE-Typen auch ein
anderes Alterungsverhalten haben, sind hierfür zusätzliche Materialinformationen erforderlich, wenn die Werte
in einer Berechnung angesetzt werden sollen. Es empfiehlt sich, alle tragenden PE-Bauteile aus zugelassenen
Werkstoffen herzustellen, für die zuverlässige Werksstoffkennwerte vorliegen. Diese werden in den Prüfbescheinigungen dokumentiert. Der Hersteller muss gemäß bundeseinheitlichem Qualitätsstandard BQS 8-1
[7] die Forderungen der Güterichtlinie „Rohre, Rohrleitungsteile, Schächte und Bauteile in Deponien“ [8]
erfüllen und entsprechend zertifiziert sein.
4 Statische Berechnung der
­Entwässerungsleitungen
Die übliche statische Berechnung für Rohre in Deponien basiert auf den ATV-DVWK-Regelwerken
Arbeitsblatt A 127 „Statische Berechnung von Abwasserkanälen und -leitungen“ [9] und dem Merkblatt
ATV- M 127-1 „Richtlinie für die statische Berechnung von Entwässerungsleitungen für Sickerwasser aus
Deponien“ [10]. Die entscheidenden Aspekte der Berechnung sind neben der geometrischen Beschreibung
der Rohre die Materialkennwerte des Rohrmaterials
und die Beschreibung des Rohreinbaus mit den Verfor-
Bild 2: Rohreinbau bei offener Verlegung [11]
mungsmodulen des umgebenden Bodens und der Art
der Auflagerung (Bild 2).
Die beiden letztgenannten Punkte sind für die Verlegung beim Berstlining-Verfahren nicht vorab exakt
bestimmbar. Um eine belastbare Aussage zur Standsicherheit und zur Lebensdauer der Rohrleitungen zu
erhalten, erfolgen daher Parameterberechnungen. Eine
Vorbemessung der Rohre berücksichtigt zusätzlich zur
statischen Berechnung für die zu erwartenden Langzeiteinwirkungen auch für verschiedene Einbausituationen die wahrscheinlichen Einwirkungen aus dem
Herstellverfahren. Bei den Einbausituationen müssen die Wahrscheinlichkeit und die Art verbleibender
Altrohrteile berücksichtigt werden. Während der Ausführung wird eine Bauüberwachung mit Aufnahme der
entstandenen Einbausituationen durchgeführt. Mit
der Methode der finiten Elemente (FEM) erfolgt eine
endgültige statische Berechnung (Bild 3). Mit dieser
Berechnungsmethode kann die vorgefundene Einbausituation ebenso wie mögliche Wanddickenverminderungen durch Riefen oder Materialverschwächungen
berücksichtigt werden. Dieses Vorgehen wurde durch
die LGA in zwei Forschungsvorhaben zum Thema „Bemessung von Rohren beim Berstlining-Verfahren auf
Deponien“ im Auftrag des Lf U (Bayrisches Landesamt
für Umweltschutz) ausgearbeitet und seine Anwendbarkeit in mittlerweile vielen Maßnahmen erfolgreich
getestet [12, 13].
5 Ausführung von Sanierungen
mit dem Berstlining-Verfahren
5.1 Beschreibung des dynamischen
­Verfahrens
Beim Berstlining-Verfahren wird zwischen dem statischen und dynamischen Verfahren unterschieden.
Löwe:
Sanierung von Entwässerungsleitungen aus PE-HD in Deponien
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Geotechnik
16
Bild 3: FEM Modelle eines Berstliningrohrs
Quelle: TÜV Rheinland LGA Bautechnik GmbH
Da zur Sanierung von Sickerwasserleitungen mit dem
dynamischen Verfahren die effektivsten Erfolge erzielt
werden, wird hier nur auf dieses eingegangen.
Im Bild 4 ist das Verfahren schematisch dargestellt.
Beim dynamischen Berstliningverfahren unterstützt
Bild 4: Prinzipskizze des dynamischen Berstlining-Verfahrens
die Zugkraft einer Seilwinde den Berstvorgang. Als
Verdrängungskörper kommt ein druckluftbetriebener
Bersthammer auf Basis eines Bodenverdrängungshammers zum Einsatz. Die Berstwerkzeuge, die je nach
Aufgabenstellung entweder am vorderen oder hinteren
Ende des Bersthammers angeordnet sein können, übertragen die Rammenergie auf die Altrohrleitung und
brechen diese auf. Ein nachfolgender Aufweitkörper
verdrängt die geborstene Altrohrleitung in den umgebenden Boden und vergrößert den Querschnitt so
weit, dass gleichzeitig mit dem Vortrieb ein neues Rohr
gleicher oder größerer Nennweite eingezogen werden
kann. Für die Durchführung des Verfahrens (Bild 5)
ist die Herstellung von Baugruben erforderlich. Von
diesen aus wird das Windenzugseil eingespült oder mithilfe eines Glas­fiber­stabs (Röhrenaal) eingezogen. Die
einzubringenden Rohre werden außerhalb der Baugruben zu einem Rohrstrang zusammengefügt und an den
Bersthammer angeschlossen, nachdem dieser mit dem
erforderlichen Druckluftschlauch verbunden wurde.
Daraufhin wird die Bersteinheit mit angeschlossenem
Rohrstrang in der Startbaugrube positioniert. Dann
beginnt der Berstvorgang durch Starten des Kompressors. Die Vorwärtsbewegung und Richtungsstabilität
werden durch die über die Seilwinde aufgebrachte Zugkraft unterstützt; die Verdrängungsarbeit übernimmt
der Bersthammer. Nach Ankunft des Bersthammers in
der Zielbaugrube wird dieser dort geborgen.
Dynamische Bersthämmer sind in vielen unterschiedlichen Leistungsklassen und Bauarten verfügbar.
Mit dem dynamischen Berstlining-Verfahren lassen
sich insbesondere spröde Altrohrwerkstoffe sanieren.
Hierzu gehören Grauguss – allerdings nur dünnwandige Leitungen –, PVC sowie Faser- oder Asbestzement.
Für die Sanierung von PE-Leitungen wird das dynamische Verfahren ebenfalls eingesetzt – jedoch mit höheren Zugkräften als bei den vorab genannten Rohrmaterialien. Bedingt durch die größeren zu überwindenden
Mantelreibungskräfte während des Berstvorgangs lassen sich in Abhängigkeit von der Überdeckungshöhe
bei der Erneuerung von PE-Leitungen Haltungslängen
von bis zu 100 m realisieren, während die vorab genannten Werkstoffe Berstlängen von bis zu 200 m ermöglichen.
5.2 Besonderheiten beim Bersten von
­Deponieentwässerungsleitungen
In Deponien stellt insbesondere die Lage der Sickerwasserleitungen oft hohe Anforderungen an die Ausführung. Bevor die eigentliche Sanierung erfolgen
kann, muss grundsätzlich von zwei Seiten ein Zugang
zu der defekten Leitung hergestellt werden (Bild 4).
Hierfür müssen entsprechende Baugruben hergestellt
werden, die je nach Ausbildung der Deponie als „einfache“ Böschungsanschnitte oder als tiefe Baugruben
im Müllkörper hergestellt werden. Zusätzlich sind die
Länge der zu sanierenden Rohrleitung und die Abfall­
überdeckung von entscheidender Bedeutung für die
Wahl der Ausbildung der erforderlichen Baugruben.
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Löwe::
Sanierung von Entwässerungsleitungen aus PE-HD in Deponien
GEOTECHNIK
17
Darüber hinaus werden an den Arbeitsschutz erhöhte
Anforderungen gestellt, dieser wird nach BGR 128 realisiert [14]. Die Anforderungen an das neue Rohr aus
PE 100 sind in der Güterichtlinie für Rohre, Schächte
und Bauteile in Deponien [8] festgelegt, die gleichzeitig als bundeseinheitlicher Qualitätsstandard BQS 8-1
gemäß Deponieverordnung gilt. Ebenso sind in diesem
BQS die Anforderungen an den Verlegefachbetrieb beschrieben, der eine entsprechende Zertifizierung nachweisen muss.
Sofern Lage und Länge der Rohrleitungen einen
Zugang von den Böschungsseiten der Deponie ermöglichen, wird im jeweiligen Bereich ein Böschungsanschnitt bis zur Deponiebasis hergestellt. Die so hergestellte Baugrube wird in der Regel geböscht hergestellt;
eine statische Berechnung des Böschungswinkels erfolgt im Vorwege. Die Baugruben dienen als Start- und
Zielbaugrube.
Wenn die Lage und/oder Länge der zu sanierenden
Rohrleitungen keinen Zugang über entsprechende Böschungsanschnitte erlauben, ist die Herstellung von
verbauten Baugruben notwendig. Diese Baugruben
werden grundsätzlich kreisrund hergestellt und mit
Spritzbeton oder speziellem Stahlrohrverbau statisch
gesichert (Bilder 6 und 7). Der Baugrubendurchmesser richtet sich nach dem Mindestbiegeradius des als
Rohrstrang einzuziehenden PE-Rohrs. Der Biegeradius ist temperaturabhängig und beträgt beispielsweise
bei 20 °C das Zwanzigfache des Rohraußendurchmes-
Bild 5: Durchführung des Berstlining-Verfahrens
sers. Das bedeutet, dass ein PE-Rohr mit einem Außendurchmesser von 280 mm mindestens eine Startbaugrube mit einem Innendurchmesser von 5,60 m benötigt.
In Abhängigkeit von den Randbedingungen der jeweiligen Deponie ist auch eine Kombination einer tiefen Baugrube mit einem Böschungsanschnitt möglich.
Unsere maßgeschneiderten
Lösungen und innovativen Produkte
sind der Garant für erfolgreiche
Projekte. Überall dort, wo Erde
bewegt wird stehen wir für die
Sicherheit des starken Verbundes.
Entdecken Sie die Welt der
Geokunststoffe, entdecken Sie
HUESKER.
Löwe:
Sanierung von Entwässerungsleitungen aus PE-HD in Deponien
Jedes Projekt sicher im Griff.
www.HUESKER.com | E-Mail: [email protected] | Tel.: +49 (0) 25 42 / 701 - 0
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
GEOTECHNIK
18
Bild 6: Blick in eine Startbaugrube für das BerstliningVerfahren
Bild 7: Blick in eine Zielbaugrube für das BerstliningVerfahren
7 Schlussfolgerungen
[8]
Das Berstlining-Verfahren stellt eine technisch ausgereifte und kostengünstige Methode zur Rohrsanierung
im Deponiebereich dar. Es birgt gegenüber einer Neuverlegung Risiken bezüglich der Einbauqualität. Dieses
Risiko wird minimiert, wenn unter Berücksichtigung
des Verlegeverfahrens eine geeignete Rohrauswahl getroffen wird. Hierfür sind im Planungsstadium Vorarbeiten erforderlich. Wegen der nicht eindeutig vorab
festlegbaren realisierbaren Berstlängen sind die endgültig entstehenden Kosten nicht in jedem Fall vorher
exakt bestimmbar.
[9]
Quellen
[12]
[1]
[2]
[3]
[4]
[5]
[6]
[7]
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit: Verordnung über Deponien und
Langzeitlager (Deponieverordnung - DepV). Deponieverordnung vom 27. April 2009 (BGBl. I S. 900), zuletzt durch Artikel 7 der Verordnung vom 2. Mai 2013
(BGBl. I S. 973) geändert.
Stegner, A; Löwe; D.: Sanierung von Sickerwasserleitungen im Berstlining-Verfahren. 23. Nürnberger Deponie-Seminar 2012.
DIN 8074:2011-12: Rohre aus Polyethylen (PE) - PE
80, PE 100 - Maße.
DIN 8075: 2011-12: Rohre aus Polyethylen (PE) - PE
80, PE 100 - Allgemeine Güteanforderungen, Prüfungen.
Fachverband der Kunststoffrohr-Industrie (KRV):
Werkstoffliste „Zugelassene PE-Werkstofftypen für
Druckrohre und Formstücke“. Stand: September 2014.
Online: http://www.krv.de/home/zertifizierung/krvwerkstofflisten.html
DWA Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft,
Abwasser und Abfall e.V.: DWA-Regelwerk. http://
de.dwa.de/regelwerk-fachpublikationen.html
LAGA Ad-hoc-AG „Deponietechnik“: Bundeseinheitlicher Qualitätsstandard 8-1 Rohre, Rohrleitungsteile, Schächte und Bauteile in Basis- und
Oberflächenabdichtungssystemen von Deponien vom
24.09.2013.
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
[10]
[11]
[13]
[14]
SKZ/TÜV-LGA: Güterichtlinie „Rohre, Schächte und
Bauteile in Deponien“. Stand September 2013
ATV-DVWK Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V.: Arbeitsblatt A 127
„Statische Berechnung von Abwasserkanälen und -leitungen“. 4. Auflage, 04/2008.
ATV-DVWK Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V.: Merkblatt ATV-M
127-1 „Richtlinie für die statische Berechnung von Entwässerungsleitungen für Sickerwasser aus Deponien“.
Ausgabe 03/1996.
DIN 19667:2009-10: Dränung von Deponien – Planung, Bauausführung und Betrieb.
Hoch, A.; Stegner, A. ; Henkel, F.-O.; Reuchlein, R.:
Bemessung von Rohren beim Berstliningverfahren in
Deponien. Forschungsvorhaben der Landesgewerbeanstalt Bayern (LGA) und der Wölfel Beratende Ingenieure GmbH & Co. im Auftrag des Bayerischen Landesamtes für Umweltschutz (Lf U), 2000.
TÜV Rheinland LGA Bautechnik GmbH, Institut für
Statik: Bemessung von Rohren beim Berstliningverfahren in Deponien unter Berücksichtigung des statischen
Berstens und des Kurzrohrberstlining. Untersuchung
im Auftrag des Bayerischen Landesamtes für Umweltschutz (Lf U), 2006.
Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften Fachausschuss „Tiefbau”: Berufsgenossenschaftliche
Regeln für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit,
DGUV Regel 101-004 (bisher BGR128) Kontaminierte Bereiche: Mai 2014.
Quelle der Bilder ist die bds Boden- und Deponie-Sanierungs
GmbH, sofern die Bilder nicht anders gekennzeichnet
sind.
Dipl.-Ing. Detlef Löwe
ist Prokurist der bds Boden- und Deponie-Sanierungs GmbH in Neufahrn in Deutschland.
,POUBLU: [email protected]
Löwe:
Sanierung von Entwässerungsleitungen aus PE-HD in Deponien
Geotechnik und Energie
19
Weichenstellung für innovative
geothermische Weichenheizung
Dipl.-Ing. Damian Schink, Pintsch Aben geotherm GmbH, Dinslaken, Deutschland
Die Verfügbarkeit der Weichen während der
Wintermonate ist ein wichtiger Schlüssel für den
reibungslosen Bahnbetrieb. Damit die Weichenzungen, die bewegten Teile von Weichen, nicht
festfrieren, werden sie mit Heizungen schneeund eisfrei gehalten. Neben den bekannten elektrischen und gasbefeuerten Heizsystemen ist nun
auch eine vom Eisenbahn-Bundesamt (EBA) zugelassene geothermische Weichenheizung ohne
Zuführung externer Energie verfügbar. Diese
neue Technologie stellt die Weichen für energiebewusstes und kostengünstiges Heizen.
Energie · Geotechnik · Geothermie · Bahninfrastruktur · Innovation · Kostenreduktion
1 Einleitung
Seit Jahrzehnten macht die Pintsch Aben geotherm
GmbH mit Weichenheizungssystemen den Bahnverkehr winterfest. Die neueste Entwicklung ist eine geothermische Weichenheizung, die ohne externe Energiezufuhr für den Heizbetrieb völlig autark arbeitet und
im Betrieb kein CO2 ausstößt. Das neuartige Weichenheizungssystem erreicht durch die technische Nutzung
eines sogenannten Wärmerohrs ein hohes Maß an
Energieeffizienz.
Der Schlüssel zu dieser Effizienz ist die Erschließung
der oberflächennahen Erdwärme durch den naturgegebenen Prozess des latenten Wärmetransports mithilfe
der CO2-Technologie. Die natürliche Zirkulation des
Arbeitsmediums CO2, die nur von der Temperaturdifferenz zwischen der Weiche und dem Boden abhängig
ist, sorgt ganz ohne Umwälzpumpen und Steuerelemente für die Beheizung der Weichen.
Dieses technische Konzept hat einen enormen Einfluss auf die Lebenszykluskosten (LCC) des Systems.
Zu den Betriebskosten der konventionellen Weichenheizungen tragen die Energiekosten den größten Anteil
bei. Bei der geothermischen Weichenheizung spielen
die Energiekosten keine Rolle mehr. Weiterhin werden
durch den Verzicht auf aktive Steuerelemente und Förderpumpen die Instandhaltungskosten sowohl beim
Einsatz von Personal als auch von Ersatzkomponenten
positiv beeinflusst. Durch den Betrieb der geothermischen Weichenheizung mit dem Arbeitsmedium CO2
entsteht keinerlei Gefährdung für das Grundwasser, da
CO2 nach der „Verwaltungsvorschrift wassergefährdende Stoffe (VwVwS)“ vom 27.07.2005 als nicht wasser-
gefährdend eingestuft ist. Damit steht dem Betrieb der
geothermischen Weichenheizungen sogar in Wasserschutzbetrieben nichts entgegen. Die Verwendung dieses Arbeitsmediums führt zu keinen Umweltschäden,
falls es durch Leckagen im System freigesetzt wird.
2 Wirkungsprinzip
Für die Weichenheizung wird das technische Prinzip des
Wärmerohrs (Thermosyphon) genutzt, in dem CO2 als
Arbeitsmedium zirkuliert. Wie Bild 1 zeigt, erschließt
das Wärmerohr einerseits die Energiequelle, nämlich
die oberflächennahe Erdwärme, und sorgt andererseits
Bild 1: Schematische Darstellung der geothermischen ­Weichenheizung
1 Wärmeabgabezone: Das Arbeitsmedium CO2 kondensiert in den Wärmeübertragern und gibt die Energie in Form von
Wärme ab.
2 Transportzone: Das Arbeitsmedium CO2 wird horizontal zu den Wärmeübertragern verteilt.
3 Wärmeaufnahmezone: Das Arbeitsmedium CO2 verdampft im Wärmerohr durch die aufgenommene Erdwärme.
Schink:
Weichenstellung für innovative geothermische Weichenheizung
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Geotechnik und Energie
20
3 Technik
Die Hauptkomponenten der geothermischen Weichenheizung sind:
▶▶ Tiefensonde
▶▶ Beheizbare Gleitstühle
▶▶ Wärmeübertrager für das Schwellenfach (Bild 2)
Bild 2: Technische Ausführung der geothermischen Weichen­heizung
zusammen mit den Wärmeübertragern im kritischen
Bereich der Weiche für Schnee- und Eisfreiheit. Der
Phasenübergang des Arbeitsmediums zwischen Flüssig- und Dampfphase ist dabei die Grundlage für den
Transport der latenten Wärme. Er ist die Basis für ein
Weichenheizungssystem, das ohne extern zugeführte
Energie für eine ständige Verfügbarkeit von Schienenwegen sorgt.
Das Arbeitsmedium CO2 wird in dem Wärmerohr
mit einem solchen Druck beaufschlagt, dass es innerhalb des Systems seinen Siedepunkt bei der im Boden
vorherrschenden Temperatur hat. Es liegt im Ruhezustand des Systems in beiden Aggregatzuständen (flüssig
und gasförmig) im Wärmerohr vor. Das Wärmerohr
wird bei der geothermischen Weichenheizung aus der
Sonde zusammen mit den beheizten Komponenten an
der Weiche gebildet. Sobald die Temperatur der zu beheizenden Komponenten unter die Bodentemperatur
sinkt, beginnt das CO2 in den beheizbaren Gleitstühlen
und den Wärmeübertragern in den Schwellenfächern
zu kondensieren. Der dadurch hervorgerufene partielle
Druckabfall hat zur Folge, dass flüssiges CO2 in der im
Boden befindlichen Sonde zu sieden beginnt und als
Dampf zu den Weichenbauteilen aufsteigt, wo es wiederum kondensiert. Dieser Kreislauf bleibt so lange in
Gang, wie die zu beheizenden Weichenbauteile kälter
sind als der Boden. Die zum Heizen erforderliche Wärme wird latent übertragen. Durch den Phasenübergang
von flüssig zu gasförmig, der in dem Teil des Systems
erfolgt, der sich im Boden befindet, wird Energie aufgenommen und in dem an der Weiche befindlichen
Teil durch das Kondensieren (Phasenübergang von
gasförmig zu flüssig) wieder in Form von Wärme abgegeben. Der in dem Wärmerohr ablaufende Prozess ist
ein Kreislauf, der in seiner Intensität nur durch die Temperaturdifferenz von Boden und Weichentemperatur
angetrieben und durch die Gravitationskräfte aufrecht
gehalten wird. Das ermöglicht ein pumpenloses Umwälzen des Arbeitsmediums ohne Zuführung externer
Energie.
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Die Tiefensonde besteht aus einem Rohrbündel von­
einander unabhängiger Sondenrohre (Wärmerohre)
und wird in den Boden eingebaut. Jedes Sondenrohr
stellt für sich zusammen mit den verbundenen Wärmeübertragern ein eigenes abgeschlossenes System (Wärmerohr) dar. Die Länge der Tiefensonde wird durch die
erforderliche Heizleistung und die meteorologischen
und geologischen Gegebenheiten bestimmt.
Um die Zungenbewegung der Weiche auch bei Eis
und Schnee zu gewährleisten, werden im Bereich der
Zungenvorrichtung beheizbare Gleitstühle und Wärmeübertrager in den Schwellenfächern eingesetzt. Diese sind aus Gründen der Redundanz sektionsweise mit
jeweils einem Sondenrohr der Tiefensonde verbunden.
Durch die Kondensation des CO2 in beiden beheizten
Komponenten werden diese immer in einem positiven
Temperaturbereich gehalten und Schnee und Eis im
Spalt zwischen Zungen- und Backenschiene abgetaut.
Die beheizbaren Gleitstühle sind für diesen Anwendungsfall von Pintsch Aben geotherm entwickelt worden. Die Basis dazu bildet die schon zuvor übliche Bauform mit Innenverspannung, der zusätzlich links und
rechts der Gleitfläche jeweils ein Kondensator angefügt
wurde. Die Kondensatoren dienen der Wärmeübertragung. Die beiden Kondensatoren bilden zusammen
mit dem Gleitstuhl als einteiliges Gusswerkstück eine
Einheit. Nur so wird eine optimale Wärmeübertragung
vom Kondensator zur Gleitfläche des Gleitstuhls und
auf die Zungen- beziehungsweise Backenschiene gewährleistet.
Die Wärmeübertrager in den Schwellenfächern sind
Aluminiumkörper, deren Innenstruktur als Kondensator dient. Im Inneren des Wärmeübertragers findet
durch den Phasenwechsel von der Dampf- zur Flüssigphase die Freisetzung der latent gespeicherten Energie
als Wärme im Arbeitsmedium CO2 statt. Die gesamte
himmelwärts gerichtete Oberfläche des Wärmeübertragers bildet die Taufläche für winterliche Niederschläge,
die in das Schwellenfach fallen. Indem der Wärmeübertrager bei der Montage auf den Schienenfuß der Backenschiene geschoben wird, wird auch in die Schiene Wärme eingetragen. Eine Adaption des Wärmeübertragers
an unterschiedliche Schienenprofile ist durch ein integriertes Adapterprofil möglich. Unterschiedliche Varianten des Wärmeübertragers für das Schwellenfach erlauben es auch, Schwellenfächer mit Rollenvorrichtungen
und weiteren Einbauten zu beheizen.
Die Heizleistung der Wärmeübertrager wurde für die
Wetterbedingungen im deutschen Alpenraum bemessen.
Die Leistung entspricht dem notwendigen Abtauvermögen, das anhand der Wetterdaten der Testreferenzjahre
Schink:
Weichenstellung für innovative geothermische Weichenheizung
Geotechnik und Energie
21
des Deutschen Wetterdienstes für die Alpen ermittelt
wurde. In dieser Region sind in Deutschland die widrigsten winterlichen Wetterbedingungen zu erwarten.
Sowohl der beheizte Gleitstuhl als auch der Wärmeübertrager im Schwellenfach sind mit der Tiefensonde
über Rohrleitungen verbunden. Hierzu sind unterhalb
der Wärmeübertrager in den Schwellenfächern Schutzwannen montiert, die die Leitungen und Verbindungen
vor dem Schotter und mechanischen Beschädigungen
beim Weichenunterhalt schützen. Zusätzlich werden
alle im Schotter verlegten Rohrleitungen durch massive
Schutzrohre geführt.
Die Entwicklungsarbeiten der geothermischen
Weichenheizung erfolgten im Rahmen eines durch das
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestags
geförderten Forschungsvorhabens (FKZ 0327446B)
und machen sich die Technologie des CO2-Wärmerohrs, patentiert durch das FKW Hannover, zunutze
[1, 2].
4 Anwendungsvoraussetzungen
4.1 Weichentypen
Die wichtigsten Bauteile der geothermischen Weichenheizung nach dem Prinzip der Direktverdampfung
sind der beheizte Gleitstuhl und der Wärmeübertrager für das Schwellenfach. Wegen der verschiedenen
verwendeten Weichen- und Schienenprofiltypen ist
es notwendig, unterschiedliche geometrisch passende Kernkomponenten zu konzipieren. Während der
Entwicklungsphase wurden die Schienenprofile S49
beziehungsweise SBB I und S54 respektive SBB IV priorisiert und entsprechende Komponenten kon­struiert.
Somit können alle Weichen mit den genannten Schienenprofilen mit dem System ausgerüstet werden. Die
Schwellenart spielt keine Rolle; sowohl Weichen mit
Betonschwellen als auch mit Holzschwellen können
ausgerüstet werden.
Im günstigsten Fall sollte der Einbau der geothermischen Weichenheizung beim Neubau der Weichen
berücksichtigt werden. Dabei können die Gleitstühle
vor der Montage der weiteren Weichenbaugruppen
mit den Schwellen verschraubt und als Einheit in
die Trasse eingebaut werden. Auf den nachträglichen
Wechsel der Gleitstühle kann in diesem Fall verzichtet
werden
Bei den Prototypanlagen wurden bereits im Schienennetz liegende Weichen ausgerüstet. Dazu mussten
zunächst die konventionellen Gleitstühle durch beheizbare ausgetauscht werden, um danach die Ausrüstung
mit dem gesamten System zu vollziehen.
4.2 Geologie
Die geothermische Weichenheizung nutzt die oberflächennahe Erdwärme mit Tiefen von bis zu 100 m,
wobei Bodentemperaturen von 10 bis 12 °C zu erwarten sind. Außer von der Temperatur wird die mögliche
Energieausbeute durch den Wärmeleitwiderstand des
Bodens bestimmt. Dieser hängt von der Beschaffenheit
der Erdschichten am geplanten Standort ab. Für den
wirtschaftlich sinnvollen Betrieb sollte der Wärmeleitwiderstand des Erdreichs größer als 1,5 W/(m K)
sein. Dieser Wert hat einen maßgeblichen Einfluss auf
die Länge der Sonde. Je höher die Wärmeleistung des
Bodens ist, um so kürzer kann die Tiefensonde werden.
Niedrige Energieausbeuten erfordern große Sondenlängen.
Eine erste Einschätzung der Standorteignung kann
durch das Studium der von den geologischen Landesämtern herausgegebenen Leitfäden zur oberflächennahen
Geothermie oder in geothermischen Portalen im Internet durchgeführt werden [3]. Weitere Informationen
haben die unteren Wasserbehörden der Landkreisämter, die später auch die Genehmigung zur Errichtung
der geothermischen Anlage erteilen. Die Genehmigung
beinhaltet auch die Auflagen zur baulichen Realisierung
der Tiefenbohrung in Bezug auf Bohrungsdurchmesser,
Verpressmaterial und zulässige Bohrtiefen.
Einen verlässlichen Aufschluss über die geothermische Ergiebigkeit am geplanten Standort kann nur ein
geologisches Gutachten spezialisierter Unternehmen
beziehungsweise Institute geben. Dieses ist vor der Planung und dem Bau einer Anlage erstellen zu lassen.
5 Betriebssicherheit
Nicht nur in analytischen, sondern auch in diversen
Versuchen wurde die Betriebssicherheit der Komponenten der geothermischen Weichenheizung sowohl
hinsichtlich der thermischen Funktion als auch der
mechanischen Festigkeit nachgewiesen. Alle Ergebnisse dieser Vorprüfungen wurden durch die Erfahrungen
der Prototypanlagen im laufenden Betrieb bestätigt.
5.1 Dauerfestigkeit
Nachdem der Nachweis der statischen und dynamischen
Festigkeit analytisch erbracht worden war, wurden die
Hauptkomponenten der geothermischen Weichenheizung im Materialprüfungsamt der TU München
entsprechend den Belastungsanforderungen der Deutschen Bahn AG in einem Dauerschwingversuch geprüft. Die Untersuchung ergab ein positives Ergebnis
als eine wichtige Voraussetzung für die Zulassung und
den Einsatz der Komponenten in den Schienennetzen.
5.2 Messtechnischer Funktionsnachweis
Um einen messtechnischen Nachweis der Funktion des
Systems zu erbringen, wurden die Prototypanlagen mit
umfangreicher Messtechnik ausgestattet. Es werden
neben der Umgebungstemperatur die Temperaturen
entlang der Tiefensonde im Boden und an den Wärmeübertragern in der Weiche erfasst. Weiterhin werden
von jedem Kreislauf die jeweils herrschenden Drücke
des Arbeitsmediums aufgenommen. Diese Messdaten
geben ein umfassendes Bild der jeweiligen Betriebszustände der geothermischen Weichenheizung.
In dem Diagramm im Bild 3 sind die Messdaten der
Prototypanlage im Bahnhof Grünberg für die Winter-
Schink:
Weichenstellung für innovative geothermische Weichenheizung
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Geotechnik und Energie
22
Bild 3: Messdaten der Prototypanlage Bahnhof Grünberg
saison 2012/2013 dargestellt. Im Einzelnen sind die
Umgebungstemperatur [°C] (grün), mittlere Bodentemperatur [°C] (braun), Übertragertemperaturen [°C]
von drei Wärmeübertragern (rot, orange und gelb) und
der Niederschlag [mm/h] (blau) für den Zeitraum vom
30.11.2012 bis 15.04.2013 dargestellt.
Die Auswertung der Messdaten hat ergeben, dass die
Temperatur der Wärmeübertrager unabhängig von der
Außentemperatur und den herrschenden Niederschlägen zu jedem Zeitpunkt über dem Gefrierpunkt lag.
Eis und Schnee konnten immer abtauen. Im gesamten
Beobachtungszeitraum sind die Temperaturen an den
Wärmeübertragern nicht unter 5 °C gesunken. Auch
zum Ende der Wintersaison konnte keine Verminderung der Funktion durch ein mögliches Auskühlen des
Erdreichs festgestellt werden. Damit wurde die exakte
Auslegung der Anlage bezüglich der meteorologischen
Lasten und der Energieergiebigkeit des Bodens mit dem
eigens hierfür von Pintsch Aben geotherm in Zusammenarbeit mit dem ZAE Bayern entwickelten Projektierungswerkzeug [4] bestätigt. Der Boden hatte sich
bereits Mitte April wieder vollständig regeneriert. Die
mittlere Bodentemperatur war zu diesem Zeitpunkt bereits wieder auf dem Niveau der mittleren Bodentemperatur zu Beginn der Heizsaison, was äußerst positiv
im Hinblick auf die Langzeitfunktion der Weichenheizung positiv zu bewerten ist.
5.3 Wartung der Weiche
Mit einem Stopfversuch wurde eine mit geothermischer Heizung ausgestattete Weiche getestet. Untersucht wurde, ob und gegebenenfalls wie bei Instandhaltungsmaßnahmen, also der Neuausrichtung der
Weiche und Verdichtung des Schotters unterhalb der
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Schwellen, gegebenenfalls die Heizungskomponenten
im eingebauten Zustand negativ beeinträchtigt werden.
Die Stopfarbeiten wurden in dem Versuch seitens
der DB Netz AG vorgenommen. Vor dem Stopfen
wurden entsprechend der Streckenlage die horizontalen und vertikalen Abweichungen der Gleislage
ausgemessen und auf dem Schienenkopf kenntlich gemacht. Die Komponenten der geothermischen Weichenheizung wurden dagegen nicht gekennzeichnet.
Die Schutzrohre, in denen die CO2-Leitungen in die
Schwellenfächer geführt werden, waren komplett mit
Schotter bedeckt. Der gesamte Aufbau entsprach dem
für das Heizsystem vorgesehenen, üblichen funktionellen Aufbau.
Nach den Stopfarbeiten konnte festgestellt werden,
dass die Konstruktion den mechanischen Anforderungen, die durch das Stopfen auf das System einwirken,
gewachsen ist. Der Versuch hat gezeigt, dass keine die
Funktion beeinträchtigenden Beschädigungen an den
Funktionsbaugruppen aufgetreten sind, da diese bis auf
die Zuführungsleitungen unterhalb der Backen- und
Zungenschiene angeordnet sind und damit außerhalb
des Stopfbereichs liegen. Es wurden nur an den Oberflächen Kratzspuren festgestellt, die von herumwirbelnden Schottersteinen hervorgerufen wurden.
Das am meisten beanspruchte Bauteil ist das Schutzrohr, das entlang der Schwellen – vom Stützpunkt aus
bis zum Schwellenkopf – direkt in dem Bereich verlegt
ist, in dem auch die Stopfpickel zum Einsatz kommen.
Für dieses Bauteil konnte die Wahrscheinlichkeit einer
Beschädigung konstruktiv nur dadurch minimiert werden, dass der Raumbedarf des Schutzrohrs im Stopfbereich sehr klein gehalten wird.
Schink:
Weichenstellung für innovative geothermische Weichenheizung
Geotechnik und Energie
23
Bild 4: Pilotanlage im Bahnhof Grünberg in Hessen:
Weiche mit geothermischer Heizung
Bild 5: Pilotanlage im Bahnhof Grünberg in Hessen:
Schnee- und eisfreier bewegter Weichenteil
6 Zulassung
7 Pilotanlagen
Das System der geothermischen Weichenheizung der
Pintsch Aben geotherm GmbH wurde im Dezember
2013 vom Eisenbahn-Bundesamt zugelassen [5]. Diese
Zulassung ist ein wichtiger Meilenstein in der jahrelangen Entwicklung der Komponenten und für ihren Einsatz in den Schienennetzen. Sie bildet die Anerkennung
der durch Prüfungen nachgewiesenen Betriebstauglichkeit mit zahlreichen Versuchen zur Funktion und
Dauerfestigkeit sowie Betriebssicherheit und Stopffestigkeit.
Zurzeit sind drei Pilotanlagen im Betrieb. Eine befindet sich im Schienennetz der HPA (Hamburg Port
Authority). Sie wurde zur Wintersaison 2010/2011
als erste Anlage dieser Art in Betrieb genommen. Zwei
weitere befinden sich im Schienennetz der DB Netz
AG. Eine wurde in der Wintersaison 2011/2012 im
Bahnhof Grünberg/Hessen (Bilder 3, 4 und 5) in
Betrieb genommen und die jüngste nahm im Bahnhof Sponholz vor der Heizperiode 2014/2015 ihren
Dienst auf.
Tabelle 1: Geothermische Portale
Nr.
URL geothermischer Portale
0
http://geoportal.bayern.de/energieatlas-karten/?1
1
http://maps.lgrb-bw.de/?app=lgrb&lang=de
2
http://www.stadtentwicklung.berlin.de/umwelt/umweltatlas/k218.htm
3
http://geoportal.bayern.de/energieatlas-karten/?1
4
http://www.hlug.de/start/geologie/erdwaerme-geothermie/oberflaechennahe-geothermie/karten-standortbeurteilung.html
5
https://www.umweltkarten.mv-regierung.de/script/?aid=89
6
http://nibis.lbeg.de/cardomap3/?TH=GTSCHNITT#
7
http://www.geothermie.nrw.de/geothermie_basisversion/?lang=de
8
http://mapclient.lgb-rlp.de//?app=lgb&view_id=10
9
http://www.geothermie.de/fileadmin/useruploads/wissenswelt/gesetze/Leitfaden/Saarland_Leitf_Erdwaerme.pdf
10
http://www.lagb.sachsen-anhalt.de/fileadmin/Bibliothek/LaGB/geothermie/portal/Leitfaden_LSA_03_12.pdf
11
http://asellus.thueringen.de/cadenza/show.xhtml?repositoryId=Anwendungen.Geothermie.geothermie%2Ftiefe_geothermie_uebersichtskarte.mml
12
http://www.umweltdaten.landsh.de/nuis/upool/gesamt/geologie/geothermie_2011.pdf
Schink:
Weichenstellung für innovative geothermische Weichenheizung
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Geotechnik und Energie
24
Die Pilotanlagen haben die Erwartungen bezüglich
der Schnee- und Eisfreihaltung weit übertroffen und
unter Beweis gestellt, dass das zum Einsatz kommende
natürliche Funktionsprinzip der CO2-Technologie eine
uneingeschränkte Verfügbarkeit der Fahrwege garantiert.
8 Ausblick
Für die Schienennetzbetreiber bietet das innovative System der geothermischen Weichenheizung im Vergleich
zu konventionellen Heizungen durch die Unabhängigkeit vom Energiemarkt ein Maximum an Effizienz.
Die Energiekosten für den Betrieb werden vollständig
eingespart. Zusätzlich verringert sich der Wartungsaufwand durch den Verzicht auf aktive Systemkomponenten und Verschleißteile auf ein Minimum. Das
Gesamtpotenzial der möglichen Energieeinsparung ist
enorm. Allein die DB Netz AG besitzt etwa 60.000
Weichen im Schienennetz, die mit einer elektrischen
Gesamtheizleistung von mehr als 500 MW ausgerüstet
sind. Der jährliche Energieverbrauch beläuft sich auf
geschätzte 2,5 GWh. Dieses Potenzial an möglicher
Energieeinsparung unterstreicht die Umweltfreundlichkeit dieser Weichenheizungstechnologie, bei der die
Schnee- und Eisfreihaltung ohne extern zugeführte, aus
fossilen Brennstoffen gewonnene Energie erreicht werden kann. Zusätzlich erfolgt im Betrieb keine Emission
von klimaschädlichen Abgasen oder bei Systemstörungen von bodenverunreinigenden Stoffen.
Die Funktionalität der geothermischen Weichenheizung der Pintsch Aben geotherm GmbH mit Wärmerohren wurde durch den Betrieb dreier Pilotanlagen
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
seit dem Jahr 2010 in positiver Weise erbracht und
durch die Zulassung des Eisenbahn-Bundesamts bestätigt.
Jetzt liegt es an den Betreibern der Schienennetze
durch den Einsatz dieser nachhaltigen Technologie die
Weichen für energiebewusstes und kostengünstiges
Heizen zu stellen.
Quellen
zu Forschungsvorhaben FKZ
0327446B im Auftrag des Bundesministeriums für
Wirtschaft und Technologie
[1] Forschungsbericht
[2] FKW Hannover Forschungszentrum für Kältetechnik
und Wärmepumpen GmbH: CO2-Wärmerohr. http://
www.fkw-hannover.de/9.html
[3] Geothermische Portale der deutschen Bundesländer: s.
Tabelle 1
[4] Pintsch Aben geotherm GmbH/ZAE Bayern: Projektierungswerkzeug
[5] Eisenbahn-Bundesamt: Zulassung 21izbo/013-2010#
045-(522/10-ZzB) für Pintsch Aben geotherm GmbH
Bilderquelle: Pintsch Aben geotherm GmbH
Dipl.-Ing. Damian Schink
ist Projektleiter bei der Pintsch Aben geotherm
GmbH in Dinslaken.
Kontakt: [email protected]
Schink:
Weichenstellung für innovative geothermische Weichenheizung
Tunnelbau
25
Gotthard-Basistunnel:
Die Schachtförderanlagen von Sedrun
Teil 1: Rohbauphase
Michael Flender, Siemag Tecberg GmbH, Haiger, Deutschland
Der 57 km lange Gotthard-Basistunnel wurde in
fünf Baulosen mit drei Zwischenangriffen errichtet. Der Zwischenangriff Sedrun besteht aus zwei
Blindschächten mit ca. 820 m Teufe, die nur über
einen etwa einen Kilometer langen Zugangs­
stollen erreicht werden konnten. Die komplexen
und schwierigen Rahmenbedingungen und die
hohen Anforderungen an die Verfügbarkeit der
Schachtförderanlagen waren und sind eine besondere Herausforderung für den Bau und Betrieb
der Anlagen. Dieser Beitrag berichtet im ersten
Teil über Bau und Betrieb der Schachtförderanlage als Förder-, Material- und Seilfahrtsschacht
und Einrichtungen zur Klimatisierung des Tunnelabschnitts Faido für die Ausbruchphase sowie im
zweiten Teil über die Demontage und Umrüstung
der Schächte und die Funktionen der endgültigen Hebeeinrichtungen der Schächte Sedrun für
die Betriebsphase des Bahntunnels.
Tunnelbau • Schachtbau • Schweiz • Zulieferer •
Schachtförderung • Klimatisierung
1 Einleitung
Der Gotthard-Basistunnel (GBT) in der Schweiz ist ein
Jahrhundertbauwerk. Er wird mit seinen zwei parallel
verlaufenden einspurigen Tunnelröhren von je 57 km
Länge der längste Eisenbahntunnel der Welt sein. Diese
Pionierleistung im Tunnelbau wird massive Verbesserungen des Reise- und Güterschwerverkehrs im Herzen
Europas mit sich bringen. Reisezüge können durch die
flache und relativ gerade Schienenführung der Gotthardbahn mit Höchstgeschwindigkeiten von bis zu
250 km/h verkehren, wodurch sich beispielsweise die
Fahrzeit zwischen Zürich und Mailand um rund eine
Stunde verkürzt. Durch die Verlagerung des Verkehrs
von der Straße auf die Schiene verwirklicht die Schweiz
zudem eines der größten Umweltschutzprojekte zur Erhaltung der Berg- und Alpenwelt in Europa. Die Eröffnung des GBT ist für Dezember 2016 geplant.
Die AlpTransit Gotthard AG ist Bauherrin der neuen
Eisenbahn-Alpentransversale Achse Gotthard mit den
Basistunnels am Gotthard und Ceneri. 1998 gegründet,
beschäftigt die Tochtergesellschaft der SBB heute am
Bild 1: Gesamtansicht des Gotthard-Basistunnels
Quelle: AlpTransit Gotthard AG
Flender:
Gotthard-Basistunnel: Die Schachtförderanlagen von Sedrun – Teil 1: Rohbauphase
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Tunnelbau
26
Hauptsitz in Luzern und an den Außenstellen in Altdorf,
Sedrun, Faido und Bellinzona rund 160 Mitarbeitende.
Die Siemag Tecberg GmbH wurde im Jahr 1999 erstmals von der AlpTransit Gotthard AG mit dem Bau und
Betrieb von Schachtförderanlagen am Zwischenangriff
Sedrun beauftragt. In der Tunnelbauphase folgte die Lieferung einer mobilen Schachtwinde für den sicheren Betrieb der Schächte Sedrun und für den Zwischenangriff
Faido wurden Einrichtungen zur Tunnelklimatisierung
geliefert. Für die zukünftige Inspektion, Wartung und
Kabelmontage in den Schächten Sedrun wurden weltweit erstmalig Hebeeinrichtungen mit runden Inspektionsplattformen für eine vorgegebene 100-jährige Nutzungsdauer geliefert. Nach einigen Informationen zum
Gesamtprojekt Gotthard-Basistunnel und den Schächten am Zwischenangriff Sedrun wird in diesem Beitrag
erläutert, wie die Herausforderungen bei komplexen und
schwierigen Rahmenbedingungen und hohen Anforderungen an die Verfügbarkeit der Förderanlagen gelöst
wurden. Der Teil 1 befasst sich mit den Einrichtungen
für die Bauphase und der Teil 2 mit der Umrüstung der
Schächte und den Funktionen der neu gelieferten Hebeeinrichtungen für die Betriebsphase des GBT.
2 Gotthard-Basistunnel, Multifunktionsstellen, Schächte Sedrun
Das Bild 1 enthält eine Gesamtansicht des GBT. Auf
der nördlichen Seite der Alpen befindet sich das Portal
Erstfeld, südlich der Alpen liegt das Portal Bodio. Die
beiden Tunnelröhren des Eisenbahntunnels sind alle
325 m über Querschläge miteinander verbunden. Um
die Bauzeit des GBT kurz zu halten, wurde der Tunnel
in fünf Abschnitte unterteilt, in denen gleichzeitig gearbeitet wurde. Die Tunnelvortriebe wurden sowohl von
den Portalenden als auch von drei sogenannten Zwischenangriffen aus durchgeführt.
Durch die beiden Zwischenangriffe Sedrun und Faido wird der Tunnel in drei annähernd gleich lange Abschnitte aufgeteilt. Aus diesem Grund wurden an diesen Stellen ganze Bahnhöfe in den Fels gesprengt, die
als Multifunktionsstellen (MFS) bezeichnet werden.
Bei einer Störung oder einem Notfall können die Züge
in den seitlich angelegten Nothaltestellen der MFS parken. Von dort aus können die Passagiere über Fluchtwege in die jeweils andere Röhre gelangen und in einen
Rettungszug umsteigen. Sollte ein Brand entstehen,
wird über die Betriebslüftung der Rauch abgesaugt. Die
MFS bestehen neben den Nothaltestellen aus großen
Kavernen, in denen die erforderlichen Technikgebäude
für den Bahnbetrieb und die Betriebslüftung untergebracht sind.
Die MFS Faido wird über einen 2.700 m langen
Zugangsstollen und die MFS Sedrun über zwei Vertikalschächte mit etwa 800 m Teufe sowie einen Entlüftungsschacht belüftet. Die beiden Blindschächte und
die Schachtförderanlagen in Sedrun sind über einen ca.
Bild 2: Zwischenangriff für Teilabschnitt Sedrun
Quelle: AlpTransit Gotthard AG
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Flender:
Gotthard-Basistunnel: Die Schachtförderanlagen von Sedrun – Teil 1: Rohbauphase
Tunnelbau
27
1.000 m langen Zugangsstollen erreichbar (Bild 2). Für
die Schachtförderanlagen wurden Kavernen ausgebrochen.
Der Zwischenangriff in Sedrun war nicht nur aufgrund
seiner Zugänglichkeit über die Schächte und seiner
untertägigen Baustelle eine Besonderheit, auch die
Tunnelvermessung über die Schächte, der hohe Gebirgsdruck und die weichen Gesteinsschichten stellten
große Herausforderungen dar. Ein Bohren mit einer
Tunnelbohrmaschine und ein schnelles Fortkommen
waren aufgrund der besonderen Geologie im 8,5 km
langen Teilabschnitt Sedrun nicht möglich. Die MFS
und die vier Tunnelvortriebe wurden daher im konventionellen Sprengvortrieb ausgebrochen und jeder neu
gewonnene Meter musste aufwendig gesichert und befestigt werden.
Für eine mögliche unterirdische Bahnhaltestelle, die
sogenannte „Porta Alpina Sedrun (PAS)“, erweiterte
die AlpTransit Gotthard AG die beiden Nothaltestellen
in der MFS Sedrun um je zwei Wartehallen. Der aktuelle Planungsstand zur Leistungsfähigkeit des GBT sieht
die Realisierung und Nutzung der PAS aber nicht vor.
Eine alternative Nutzung der bestehenden Wartehallen
zu touristischen Zwecken oder eine Realisierung der
PAS in der Zukunft sind jedoch möglich.
3 Übersicht des Projektablaufs
Die AlpTransit Gotthard AG hat Siemag Tecberg während
des GBT-Projekts mit folgenden Baulosen beauftragt:
▶▶ Teil 1: Planung, Herstellung, Lieferung, Montage,
Inbetriebnahme und Betrieb von Einrichtungen zur
Schachtförderung und zur Tunnelklimatisierung für
die Bauphase in den Jahren 1999 bis 2012:
▷▷ Im September 1997 Auftrag zur Lieferung, Inbetriebnahme und Betrieb der Schachtförderanlagen Schacht I (Lose 356, 360)
▷▷ Im August 2001 Auftrag zur Lieferung, Inbetriebnahme und zum Betrieb einer mobilen
Schachtwinde (Los 372)
▷▷ Im Jahr 2001 Auftrag zur Lieferung zusätzlicher Einrichtungen für den Wagenumlauf am
Schachtkopf und -fuß der Schachtförderanlage
Schacht I (Auftraggeber hierfür war die ARGE
Transco/UN Los 360)
▷▷ Inbetriebnahme der Schachtförderanlagen (Los
356), gemäß TAS und BVOS, im September 2002
▷▷ Betrieb der vollautomatischen Schachtförderanlagen von September 2002 bis August 2012 in
eigener Regie und Verantwortung der Siemag
Tecberg für den Bau der untertägigen Bahntunnel und der Multifunktionsstelle (Los 360)
▷▷ Im Jahr 2002 und 2008 Lieferung eines Dreikammerrohraufgebers zur Klimatisierung des
Tunnelabschnitts Faido
▶▶ Teil 2: Umrüstung der Schächte Sedrun und Funktionsbeschreibung der neu gelieferten Hebeeinrichtungen für die Betriebsphase des Bahntunnels:
▷▷ Im November 2011 Unterzeichnung eines Werkvertrags zwischen der AlpTransit Gotthard AG
und Siemag Tecberg über die Installation und den
Betrieb der neuen und endgültigen Hebeeinrichtungen (Los D) für die zwei 800 m tiefen Vertikalschächte in Sedrun
▷▷ Im August 2013 Inbetriebnahme der Doppeltrommel- und Einseiltrommelwinde der neuen
Hebeeinrichtungen zunächst für den Betrieb
der temporären Baustelleneinrichtungen für den
Schachtausbau
▷▷ Im März 2014 Inbetriebnahme der neuen Hebeeinrichtungen Los D mit spurlattengeführter Inspektionsplattform für die Betriebsphase des GBT
▷▷ Zurzeit Integration der neuen Hebeeinrichtungen in die Leittechnik des Bahntunnels und Schulungen des Wartungs- und Prüfpersonals
4 Schachtförderanlagen
für die Tunnelbauphase (Los 356)
4.1 Allgemeines
Der Schacht I war die Hauptschlagader der Tunnelbaustelle im Teilabschnitt Sedrun. Durch dieses Nadelöhr gingen während der Bauphase nahezu der gesamte
Schüttgut- und Materialtransport sowie die Personenbeförderung. Außerdem wurde über den Schacht I die
Versorgung der Baustellen mit elektrischer Energie,
Druckluft, Brauchwasser und Verbrauchsstoffen sowie
die Versorgung für die Wasserhaltung und insbesondere
auch die Bewetterung mit Frischluft sichergestellt. Zusätzlich war die gesamte Signal- und Kommunikationstechnik im Schacht I untergebracht.
Die Schachtförderanlagen im Los 356 mussten in
der Ausbruch- und Rohbauphase im 3-Schichtbetrieb
an sieben Tagen pro Woche und 340 Tagen im Jahr mit
der maximalen Förderleistung für folgende Aufgaben
zur Verfügung stehen:
▶▶ Personenbeförderung (Seilfahrten)
▶▶ Materialtransporte (Ausbruchmaterial)
▶▶ Transporte von Einbaumaterial
▶▶ Schwerlasttransporte
▶▶ Langteiltransporte
▶▶ Nebenseilfahrten (Selbstfahrerseilfahrten)
▶▶ Schachtrevisionen
Die kompletten Schachtförderanlagen im Los 356 wurden nach den Regelwerken der deutschen Bergverordnung für Schacht- und Schrägförderanlagen (BVOS)
und den zugehörigen Technischen Anforderungen an
Schacht- und Schrägförderanlagen (TAS) ausgelegt.
Darüber hinaus wurden die Richtline für Schachttransportanlagen der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) und weitere geltende Schweizer Vorschriften berücksichtigt.
Das Los 356 für den Schacht I bestand im Wesentlichen aus den beiden folgenden Schachtförderanlagen
(Bild 3):
▶▶ Hauptseilfahrtanlage als vollautomatische Großkorbförderanlage mit Seilführung
▶▶ Mittlere Seilfahrtanlage mit Schienenführung
Flender:
Gotthard-Basistunnel: Die Schachtförderanlagen von Sedrun – Teil 1: Rohbauphase
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Tunnelbau
28
Bild 3: Schachtförderanlagen im Schacht I Sedrun für die Rohbauphase
Quellen: Siemag Tecberg GmbH, wenn nicht separat gekennzeichnet
Zusätzliche Einbaukomponenten im Schacht I waren:
▶▶ Führungsgerüst Schachtkopf
▶▶ Krananlagen Schachtkopf und -fuß
▶▶ Schachtfußeinrichtungen
▶▶ Schachtstuhl
▶▶ Beschickungseinrichtungen
▶▶ Seilauflege- und Seilwechseleinrichtungen
▶▶ Unabhängige mobile Schachtwinde (Los 372)
Mit der Großkorbförderanlage (Bild 3) wurden die
Baumaterialien für die untertägigen Kavernen, Technikgebäude und vier Tunnelvortriebsstellen transportiert und das Ausbruchmaterial gefördert. Die als
Hauptseilfahrtanlage konzipierte Großkorbförderanlage bestand aus einer eintrümigen, zweietagigen
Großkorbgegengewichtsanlage. Auf jeder Korbetage
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
wurde ein Förderwagen mit einem Fassungsvermögen
von 11 m³ und einer Nutzlast von 19,2 t transportiert.
Am Schachtkopf und am Schachtfuß sorgten automatische Beschickungseinrichtungen für eine kontinuierliche Be- und Entladung des Großkorbs. Bei Notfällen
oder Betriebsunterbrechungen konnten zusätzlich
Personen mit dem zweietagigen Förderkorb der Mittleren Seilfahrtanlage (MSFA) befördert oder evakuiert
werden.
Die Mittlere Seilfahrtanlage diente hauptsächlich
als vollautomatische Seilfahrtanlage für Selbstfahrer.
Die Anlage wurde für Schachtrevisionsfahrten, gelegentliche Seilfahrten zur Beförderung von Wartungsund Bedienpersonal sowie für die eventuelle Personenrettung vom Großkorb oder aus dem Tunnelvortrieb
genutzt. Eine Personenrettung vom Großkorb wäre auf
der Westseite des Großkorbs durch Notverschlüsse in
den Seitenwänden der beiden Fördermittel möglich gewesen, kam glücklicherweise aber nie zum Einsatz.
Die Schachtfördermaschinen von Los 356 befanden
sich, wie im Bild 3 dargestellt, in einer separaten Fördermaschinenkaverne westlich des Schachts I in Flur­
aufstellung. Die 2-Satz-4-Seil-Umlenkscheiben mit
einem Durchmesser von 4,8 m waren am Schachtkopf
oberhalb des Führungsgerüsts auf Trägerkonstruktionen – der oberen und der unteren Seilscheibenbühne
– in der Schachtglocke montiert. Die Seilführung der
Förderseile erfolgte vom Fördermaschinenraum durch
einen Schrägschacht (Seilkanal) in die Schachtglocke,
in der die Seile über die Seilscheibenbühnen in den
Schacht I umgelenkt wurden. Auf der unteren Seilscheibenbühne mit den Seilscheiben für das Gegengewicht der Hauptseilfahranlage war auch die Seilscheibe
der Mittleren Seilfahrtanlage mit einem Durchmesser
von 3,2 m angeordnet.
In den folgenden Kapiteln werden die Schachtförderanlagen und ein Teil der zusätzlichen Einbaukomponenten näher beschrieben. Das Kapitel 4.5 geht auf
den Betrieb der Anlagen in der Rohbauphase ein. Die
wesentlichen technischen Daten der beiden Förderanlagen sind in der Tabelle 1 zusammengefasst. [1]
4.2 Hauptseilfahrtanlage
4.2.1 Maschine, Treibscheibe und
­Bremseinrichtungen
Die 4-Seil-Koepe-Fördermaschine (Bild 4) wurde direkt über einen Fördermotor mit einer Motorleistung
von ca. 4,2 MW angetrieben. Der Fördermaschinenmotor war mit einer Wasserkühlung ausgestattet, um
eine unnötige Aufheizung des Fördermaschinenraums
zu verhindern. Die Rückkühlanlage arbeitete im geschlossenen Kreislauf mit einem Wärmetauscher. Die
Seilbetriebslast der Anlage setzte sich aus der Nutzlast
von 50,8 t, dem Korbgewicht von 26 t, dem Seilgewicht
von 32 t und sonstigen Lasten in Höhe von 7,2 t zusammen und betrug insgesamt 116 t.
Die Treibscheibe mit einem Durchmesser von 4,8 m
verfügte über zwei Bremsscheiben. Die hydraulische
Flender:
Gotthard-Basistunnel: Die Schachtförderanlagen von Sedrun – Teil 1: Rohbauphase
Tunnelbau
29
Scheibenbremseinrichtung, Typ SB1 bremste im Sicherheitsbremsfall die Fördermittel mit verzögerungsgeregelter Bremskraft sicher bis zum Stillstand. Insgesamt zehn Bremszangen des Typs BE 100 hielten die
maximale Überlast statisch mit mindestens dreifacher
Sicherheit. Die Koepe-Fördermaschine war mit robusten Gleitlagern ausgerüstet, die mit einer Ölumlaufschmierung und hydrostatischer Anfahrhilfe versorgt
wurden. Doppelrilliges Treibscheibenfutter ermöglichte ein einfaches Nachdrehen mittels einer Abdrehvorrichtung. Die Treibscheibe der Fördermaschine wurde
zur Vereinfachung von Transport, Montage und Demontage zweiteilig ausgeführt. [1]
4.2.2 Großkorb, Gegengewicht und
­Beschickungseinrichtungen
Der zweietagige Großkorb mit den Abmessungen
6,0 m × 2,6 m × 9,5 m wurde im Schacht I an vier
Seilen geführt. Der mittlere Etagenboden konnte für
Großteiltransporte mittels einer Schiebebühne leicht
demontiert werden. Der Kopfrahmen des Großkorbs
war mit zwei Kettenzügen mit einer Hublast von je
10 t ausgerüstet, welche die Handhabung schwerer und
sperriger Transportteile erleichterten. Der Gegengewichtsrahmen war zum Auflegen des notwendigen Ballasts beziehungsweise zur Kompensierung der halben
Nutzlast mit Gewichtsplatten ausgelegt. Das Gegengewicht wurde ebenfalls an vier Seilen geführt.
Alle Transporte für die untertägigen Baustellen
wurden mit schienengebundenen Förderwagen mit
einer maximalen Gesamtmasse von ca. 25 t durchgeführt. Das Ausbruchmaterial der Tunnelvortriebe
wurde mit der Schachtförderanlage nach über Tage
und dann mit Loks bis zur Kippstation transportiert.
In umgekehrter Folge wurde das Ausbaumaterial vom
übertägigen Installationsplatz zu den Tunnelvortrieben transportiert. Ein eigens konzipierter Wagenumlauf (Gleisharfe) am Schachtkopf und -fuß sowie
eine völlig neu entwickelte Beschickungseinrichtung
stellten den reibungslosen Betrieb sicher (Bild 5).
Die Förderwagen wurden auf der Tunnelsohle und
im Zugangsstollen im Zugverband auf ein Zuführgleis gefahren, dort automatisch entkuppelt und einzeln dem Schacht zugeführt. Eine Vorsperre und eine
Schachtsperre regelten den Zulauf der Förderwagen
zur Aufschiebeposition. Die Beschickungseinrichtung ermöglichte es, die besonders schweren Förderwagen dennoch schnell, sicher und punktgenau
auf den Korb aufzuschieben und vom Korb abzuziehen. Die Förderwagen wurden von Aufschiebern
bzw. Abziehern zur Zielposition geführt, die durch
Kupplungsklauen kontrolliert wurden. Eine besondere Herausforderung lag darin, das vollautomatische
Beschleunigen, Abbremsen und punktgenaue Positionieren von Förderwagen mit automatischen Kupplungen zu gewährleisten. Dies wurde mithilfe einer
speicherprogrammierbaren Steuerung und frequenzgeregelten Antrieben mit einer Leistung von 30 kW
realisiert.
Tabelle 1: Technische Daten der Schachtförderanlagen im Schacht Sedrun I für die
Ausbruchphase
Bezeichnung
Art der Förderung
Förderkapazität
Fördermittel
Art der Führung im Schacht
Förderhöhe
Nutzlast
Hauptseilfahrtanlage
Mittlere Seilfahrtanlage
4-Seil-Koepe
Eintrommel
täglich 6.350 t + 50 Material­
einheiten + 960 Personen
18 Personen/Zug
zweietagiger-Großkorb +
­Gegengewicht
zweietagiger Korb
Seilführung
Schienenführung
795 m
795 m
50,8 t
1,6 t
18 m/s (Material);
12 m/s (Seilfahrt)
4 m/s
KW / 4800 / D
SDW / 3000 / G
4,8 m
3,0 m
Motorleistung
4.176 kW
270 kW
Seilbetriebslast
1.140 kN
60 kN
Anzahl der Seile
4
1
Fördergeschwindigkeit
Maschinentyp
Treibscheiben-/
­Trommeldurchmesser
Seildurchmesser
52 mm
28 mm
Seilbruchlast
4 x 1.980 kN
570 kN
Bremsentyp
Scheibenbremse, 2 Scheiben
Scheibenbremse,1 ­Scheibe
4
1
Anzahl und Typ
der Bremszangen
10 BE 100
3 BE 100
Bremsensteuerung
SB1
ST1 SB
verzögerungsgeregelt
Restdruckbremse
Anzahl Bremsständer
Art der Sicherheitsbremse
Bild 4: 4-Seil-Koepe-Fördermaschine 4.800 mm mit Direktantrieb
Flender:
Gotthard-Basistunnel: Die Schachtförderanlagen von Sedrun – Teil 1: Rohbauphase
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Tunnelbau
30
Bild 5: Beschickungseinrichtung zur Be- und Entladung des Förderkorbs mit kontrolliert geführten Förderwagen
Der Großkorb wurde an beiden Anschlägen mittels
einer Korbhaltevorrichtung auf Sohlenniveau in Position gehalten, sodass die Beladung des Korbs horizontal
erfolgen konnte und keine Schwingbühnen zum Ausgleich der Seillängungen erforderlich waren. Nach dem
Be- oder Entladen wurde über die Steuerung der Korbhaltevorrichtung die Last in die Seile übergeben. [1]
4.2.3 Seillastmess- und Bremseinrichtungen
Die Schachtförderanlagen des Loses 356 wurden nach
den Sicherheitsvorschriften der deutschen TAS und der
BVOS sowie den geltenden Schweizer Vorschriften und
im Hinblick auf die Sicherstellung der Förderleistung
und Verfügbarkeit ausgelegt. Wie für moderne und
sichere Schachtförderanlagen üblich, wurden folgende
dem Stand der Technik entsprechende Sicherheitseinrichtungen installiert:
▶▶ Seillastmesseinrichtungen (SME)
▶▶ Siemag Tecberg Safety Arrestor (SSA)
Die Oberseil-Zwischengeschirre des Typs ST 320 am
Großkorb waren mit Klemmkauschen und hydrauli-
schen Versteckvorrichtungen sowie mit einer integrierten elektronischen Seillastmesseinrichtung SME ausgerüstet. Die Verstecklänge des Geschirrs betrug 600 mm.
Die Seillastmesseinrichtung SME wurde für die kontinuierliche Überwachung der Seillasten bei Mehrseilanlagen entwickelt. Für jedes Seil war jeweils eine
Kraftmessdose vorgesehen, die vor mechanischen Beschädigungen geschützt im Oberseil-Zwischengeschirr
des Großkorbs integriert war. Mit einer SME können
genaue und zuverlässige Lastmessungen durchgeführt
und ausgewertet werden.
In den Übertreibwegen des Großkorbs und Gegengewichts im Schachtkopf sowie im Schachtsumpf waren
SSA-Übertreibabbremseinrichtungen eingebaut, die
bei unkontrolliertem Überfahren der Schachtendpunkte den Großkorb und das Gegengewicht sicher und
kontrolliert abzubremsen vermochten. Aus Platzgründen wurden für das Gegengewicht die SSA-Bremseinrichtungen in die Vierkant-Hohlprofile der Spurlatten
eingebaut. Über Fanghaken konnte das Gegengewicht
aufgenommen und sicher abgebremst werden. Die SSA
funktioniert über Umwandlung von kinetischer und
Bild 6: Prinzipieller Aufbau der SSA-Bremseinrichtung
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Flender:
Gotthard-Basistunnel: Die Schachtförderanlagen von Sedrun – Teil 1: Rohbauphase
Tunnelbau
31
potenzieller Energie in Verformungsenergie und Wärme. Der prinzipielle Aufbau der SSA-Bremseinrichtung ist im Bild 6 dargestellt. Sie besteht in der Regel
aus einem Bremsrahmen mit Rollenboxen, welche an
Flachstahlbändern (Bremsbänder) geführt werden.
Die Bremsbänder sind fest im Schacht verlagert. Beim
Übertreiben prallt das Fördermittel (1) auf den Bremsrahmen (4) und die Bremsbänder (3) werden durch
die Rollenboxen (2) in linearer Richtung plastisch
verformt. Als Endanschlag am Fahrwegende befinden
sich die Prellträger (5). Die Bremskraft wird durch die
wechelseitige Kaltumformung der Flächstähle erzeugt
und führt zu einer kontrollierten Verzögerung des Fördermittels. Da die SSA-Bremseinrichtung relativ genau
berechnet werden kann, kommt es im Ereignisfall nicht
zur Überlastung der dafür ausgelegten Bauteile. [1, 2, 3]
4.3 Mittlere Seilfahrtanlage
Die Mittlere Seilfahrtanlage bestand aus einem schienengeführten zweietagigen Förderkorb, der maximal
18 Personen bzw. 1,6 t Nutzlast aufnehmen konnte.
Die Führung des Förderkorbs im Schacht erfolgte
über gefederte Führungsrollen. Der EinseiltrommelFörderhaspel (Bild 7) wurde mit einem Fördermotor
mit einer Leistung von 270 kW indirekt über ein Kegelstirnradgetriebe mit einer maximalen Fördergeschwindigkeit von 4 m/s betrieben. Die Trommel mit einem
Durchmesser von 3 m verfügte über eine Bremsscheibe.
Eine hydraulische Scheibenbremseinrichtung Bauart
ST1 SB bremste im Sicherheitsbremsfall das Fördermittel mit konstanter Bremskraft sicher bis zum Stillstand. [1]
Bild 7: Einseiltrommel-Förderhaspel der mittleren
­Seilfahrtanlage
Tabelle 2: Technische Daten der mobilen Schachtwinde
Seilkapazität
4.4 Mobile Schachtwinde
Seilbetriebslast
Das Sicherheitskonzept für den Zwischenangriff Sedrun sah eine unabhängige mobile Schachtwinde
(Bild 8 (a+b)) zur Rettung von Personen an den beiden Schächten Sedrun beispielsweise für einen Ausfall der Spannungsversorgung der Förderanlagen vor,
sodass in in derartigen Fällen die mobile Schachtwinde an der dafür vorgesehenen Position am jeweiligen
Arbeitsradius
885 m
5t
7,2 bis 9,7 m
Maximale Auslegehöhe
12,2 m
Schwenkbereich
360 °
Seildurchmesser
22 mm
Maximale Seilgeschwindigkeit
1 m/s
Trommeldurchmesser
1.200 mm
Bilder 8 a und b: Mobile Schachtwinde
a
Flender:
Gotthard-Basistunnel: Die Schachtförderanlagen von Sedrun – Teil 1: Rohbauphase
b
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Tunnelbau
32
Bild 9: Mobile Friktionswinde mit Umlenkrollenbock
Schacht aufgestellt und fixiert werden konnte. Für die
Personenrettung standen zwei unterschiedlich große
Rettungskörbe zur Verfügung. Im Einsatzfall konnte
ein Rettungskorb an der Rundseilkausche der mobilen
Schachtwinde angeschlagen werden. Zur Personenrettung konnte der Rettungskorb mithilfe des verdrehbaren und teleskopierbaren Auslegers über den Schacht
geschwenkt und in diesen herabgelassen worden.
Die technischen Daten der mobilen Schachtwinde
sind in der Tabelle 2 zusammengefasst. Alle Arbeitsfunktionen werden hydraulisch angetrieben. Die Energieversorgung erfolgt über ein Kabel oder alternativ
über ein fest auf der Winde installiertes Dieselaggregat.
Die maximale Seillast beträgt 5 t. Die Geschwindigkeit
ist im Bereich von 0 bis 1,0 m/s stufenlos einstellbar.
Ein Kabel im Förderseil ermöglicht die Kommuni­ka­
tion zwischen dem Windenfahrer und der Besatzung
im Rettungskorb. Die Winde ist auf einem vierachsigen
Lkw montiert und entspricht den Bergbauvorschriften
mit bergamtlicher Zulassung. [1, 4]
4.5 Betrieb der Schachtförderanlagen
in der Rohbauphase und Hilfseinrichtungen für den Seilwechsel
Die vollautomatische Großkorbförderanlage musste
von September 2002 bis August 2012 im 3-Schichtbetrieb, an sieben Tagen pro Woche und 340 Tagen
im Jahr dem Tunnelbauunternehmen ARGE TranscoSedrun für seine Personenbeförderung und Materialtransporte zur Verfügung stehen. Die Siemag Tecberg
GmbH war als Betreiberin verpflichtet, jederzeit die
maximale Förderleistung von 6.350 t Berge/d zuzüglich
Tabelle 3: Technische Daten der mobilen Friktionswinde
Trommeldurchmesser
Zugkraft
Geschwindigkeit
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
1.200 mm
700 kN
0 bis 0,2 m/s
50 Materialeinheiten fördern zu können. Bis zu 650 m³
Betonkies/d wurden für den Innenausbau der Tunnelröhren verbraucht.
Die Hauptaufgabe bestand also darin, einen störungsfreien Betrieb der Schachtförderanlagen zu gewährleisten. Das erforderte gezielte Maßnahmen, wie
planmäßige Wartungen oder vorbeugende Ersatzmaßnahmen bei Verschleißteilen mit entsprechender
Ersatzteilhaltung. Um ein Höchstmaß an Sicherheit
zu bieten, wurden alle verfügbaren sicherheitsrelevanten Einrichtungen in die Schachtförderanlagen im
Schacht I eingebaut. Darüber hinaus wurden während
des 3-Schichtbetriebs alle bergrechtlich vorgeschriebenen Revisionen der Anlagenteile vom Betriebspersonal
durchgeführt. Unterstützt wurde das Personal vor Ort
bei Bedarf durch Mitarbeiter der Service- und Montageabteilung des Hauptsitzes in Deutschland. Die kaufmännische Betreuung des Betreibers der Betriebsstätte
erfolgte ebenfalls von dort aus.
Der Seilwechsel ist eine höchst sicherheitsrelevante und durch die deutschen Sicherheitsstandards TAS
und BVOS vorgeschriebene Maßnahme. Seile müssen
an den Schachtförderanlagen täglich visuell durch das
Betriebspersonal überprüft werden. Durch mindestens
jährlich stattfindende magnetinduktive Seilprüfungen
durch Sachverständige wird der Zeitpunkt eines notwendigen Seilwechsels festgestellt. Zu den typischen
Seilwechseleinsätzen zählt das Wechseln der Förderseile, Unterseile und der zugehörigen Seilgeschirre. An
der Großkorbförderanlage im Schacht I erfolgte der
Seilwechsel in der Regel alle drei Jahre.
Die Mitarbeiter von Siemag Tecberg führten mit
ihrem Know-how als Spezialisten für Schachtfördereinsätze für die Schachtförtechnik die Seilwechsel­
deranlagen in Sedrun selber durch. Um kostspielige
Betriebsunterbrechungen zu minimieren, wurden geeignete Hilfseinrichtungen aus eigener Konstruktion
genutzt. Das notwendige Equipment wurde an den dafür vorgesehenen Stellen aufgebaut. In Sedrun wurden
für den Seilwechsel folgende Einrichtungen aufgebaut:
▶▶ Mobile Friktionswinde,
▶▶ Klemm- und Hubvorrichtung
▶▶ Wickelhäspel mit leeren Seiltrommeln
▷▷ zum Aufspulen der alten Seile
▷▷ zum Einhängen neuer Seile
▶▶ Vertikale Umlenkscheiben am Schacht
▶▶ Horizontale Umlenkscheiben am Einlauf der Frik­
tionswinde.
Mit der im Bild 9 dargestellten mobilen Mehrseil-Friktionswinde konnten alle vier Seile gleichzeitig in den
Schacht eingezogen und im Umkehrbetrieb herausgezogen werden. Die Fahrwerke der Friktionswinde sind
hydraulisch absenkbar, sodass selbige auf den vorgesehenen Fundamenten abgesetzt und verankert werden
konnte. Die Tabelle 3 enthält die technischen Daten
der mobilen Friktionswinde.
Die im Bild 10 dargestellte Klemm- und Hubvorrichtung war auf der Prellträgerbühne unterhalb der
Flender:
Gotthard-Basistunnel: Die Schachtförderanlagen von Sedrun – Teil 1: Rohbauphase
Tunnelbau
33
Tabelle 4: Technische Daten der Klemm- und
Hubvorrichtung
Hubkraft
1.000 kN
Hub
1.200 mm
Seilscheibenbühne fest installiert und konnte im Bedarfsfall von der Parkposition in die Arbeitsposition
zwischen die Förderseile gefahren werden. Mithilfe
der Klemm- und Hubvorrichtung konnten gleichzeitig alle vier Förderseile geklemmt und die Gesamtlast
eines Fördertrums angehoben oder abgesenkt werden.
Neben dem Einsatz beim Seilwechsel kann mit der
Klemm- und Hubvorrichtung auch Schlaffseil zum
Seilkürzen und für das Wechseln der Fördermittel erzeugt werden. Die Tabelle 4 enthält die technischen
Daten der Klemm- und Hubvorrichtung.
Mithilfe der mobilen Friktionswinde und der
Klemm- und Hubvorrichtung konnten die komplizierten und gefährlichen Arbeiten am Schacht I in Sedrun
sicher durchgeführt werden. Das schachterfahrene Personal der Betreiberin führte die Seilwechsel der 4-SeilKoepe-Fördermaschine in ca. sechs Schichten durch.
Es galt außerdem zu beachten, dass die neuen Förderseile zu Beginn des Förderbetriebs langsam eingefahren
wurden. [1, 5, 6, 7, 8, 9]
5 Tunnelklimatisierung
im Teilabschnitt Faido
An die Tunnelklimatisierung werden die gleichen
Anforderungen wie an Schachtförderanlagen gestellt.
Höchste Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit und Betriebssicherheit muss gewährleistet sein, um Wartungs- und
Instandhaltungskosten auf ein Minimum zu reduzieren und um Stillstands- und Produktionsausfallkosten
möglichst zu vermeiden.
Wegen der Gebirgswärme und der Abwärme von
Maschinen war eine Kühlung erforderlich, um die
schwül-heißen Arbeitsbedingungen unter Tage zu verbessern. Für untertägige Arbeiten sind von der SUVA
(Schweizerische Unfallversicherungsanstalt) klare Vorgaben an den Arbeitsplatz formuliert, um Hitzekrankheiten bei achtstündiger Schwerstarbeit vorzubeugen.
Die Lufttemperatur darf aus diesen Gründen in den
Bereichen der Hauptarbeitsstellen nicht höher als
28 °C Trockentemperatur (bei 100 % Luftfeuchtigkeit)
betragen [1]. Für die Kühlung im Tunnelabschnitt Faido wurde im Jahr 2002 ein Dreikammerrohraufgeber
geliefert. Der Dreikammerrohraufgeber ist ein wichtiges Bindeglied zwischen dem Primärkreislauf der Kaltwassererzeugung und dem Sekundärkreislauf mit der
Weiterleitung des Kaltwassers zu den Wetterkühlern.
Als Drucktauscher schleust er das Hochdruckwasser
in den Niederdruckbereich und übernimmt das Niedrigdruckwasser in den Hochdruckbereich. Mit einem
Durchsatz von 800 m³/h kann eine Kälteleistung von
bis zu 13 MW ausgetauscht werden. Bei herkömmlichen Hochdruck-Niederdruck-Wärmetauschern entsteht ein Temperaturverlust von rund 4 °K. Alternativ
Bild 10: Klemm und Hubvorrichtung
dazu kann ein im Betrieb effizienterer Dreikammerrohraufgeber eingesetzt werden. Bei diesem resultiert
lediglich ein Temperaturverlust von kleiner 0,5 °K. Dies
wirkt sich auf das gesamte restliche System (Pumpen,
Leitungsdurchmesser, Wärmetauscher, Wassermengen,
etc.) positiv aus [nach 1, jedoch mit von Siemag Tecberg korrigierten IST-Angaben]. Die thermischen und
energetischen Vorteile des Dreikammerrohraufgebers
ermöglichten einen wirtschaftlichen Einsatz bei der
temporären Tunnelklimatisierung in Faido.
Im Jahr 2008 wurde aufgrund eines erhöhten Kühlungsbedarfs im Tunnel – bedingt durch höhere Gebirgstemperaturen als ursprünglich prognostiziert – ein
zweiter Dreikammerrohraufgeber in den Kühlkreislauf
integriert und im Gesamtsystem als Parallelanlage betrieben. [1, 10, 11]
6 Fazit Teil 1
Der Gotthard-Basistunnel (GBT) selbst wird voraussichtlich ab Dezember 2016 am besten die Frage beantworten: Wie umgeht man das Verkehrshindernis „die
Alpen“?
Am Zwischenangriff Sedrun betrieb die Siemag
Tecberg GmbH, Haiger, Deutschland, eine vollautomatische Schachtförderanlage für den Transport der
Berge, des Baumaterials und des Personals während der
gesamten Tunnelbauphase. Die Schachtförderanlage im
Schacht I war die Hauptschlagader der Tunnelbaustelle.
Die Hauptaufgabe bestand darin, einen störungsfreien
Betrieb zu gewährleisten. Zur Ausrüstung der Gesamtanlage gehörten neben der Hauptseilfahrtanlage eine
mittlere Seilfahrtanlage für Nebenseilfahrten, Einrichtungen zum Handling der Förderseile und eine mobile
Schachtwinde zur Personenrettung. Um ein Höchstmaß an Sicherheit zu bieten, wurden alle sicherheitsrelevanten Einrichtungen aus dem eigenen Lieferpro-
Flender:
Gotthard-Basistunnel: Die Schachtförderanlagen von Sedrun – Teil 1: Rohbauphase
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Tunnelbau
34
gramm in die Schachtförderanlage eingebaut. Für die
Siemag Tecberg war insbesondere der eigene Betrieb
der Schachtförderanlagen in Sedrun vorteilhaft. Das
direkte Feedback des eigenen Betriebspersonals hat zu
innovativen Lösungen, Konstruktionsverbesserungen
und Weiterentwicklungen der Produkte geführt.
Zur Tunnelklimatisierung wurde für die Tunnelvortriebe am Zwischenangriff Faido erst einer, und – bedingt durch höhere als ursprünglich prognostizierte
Gebirgstemperaturen – später ein zweiter Dreikammerrohraufgeber beauftragt. Durch eine permanente Überwachung der einzelnen Parameter des Tunnelklimas
konnte frühzeitig das Kühlsystem erweitert werden, um
jederzeit die einzuhaltenden Arbeitsbedingungen während des Vortriebs unter Tage sicherstellen zu können.
Die mit den Schachtförderanlagen und den leistungsfähigen Bergwerkskühlanlagen gemachten Erfahrungen haben gezeigt, dass der verantwortliche Betrieb solcher Anlagen eine besondere Herausforderung
darstellt, da alle Eventualitäten abzudecken sind, um
die Förderleistung der Anlagen jeder Zeit sicherzustellen. Höchste Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit und Be-
Autor
Dipl.-Ing. Michael
Flender, (geb. 1978),
Vertriebs-Manager,
SIEMAG TECBERG
GmbH, war von 2011
bis zur Inbetriebnahme
im Jahr 2014 verantwortlicher Projektleiter
für die Umrüstung der
mechanischen Komponenten der Schachtförderanlagen Sedrun.
Kontakt
[email protected]
Tel.: +49 2773 9161 308
Über Siemag Tecberg GmbH
Die Siemag Tecberg GmbH mit Hauptsitz in Haiger, Deutschland, und weltweit ca. 400 Beschäftigten ist seit 1871 im Bergbauzuliefergeschäft
tätig. Sie ist eine international tätige Systemanbieterin im Maschinen- und Anlagenbau der
Schacht-, Schräg- und Schwerlastfördertechnik,
der Endlagertechnik sowie der Untertage- und
Tunnelkühlung für die Bergbau-, Energie- und
Infrastrukturindustrie.
www.siemag-tecberg.com
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
triebssicherheit muss jederzeit gewährleistet sein, um
Wartungs- und Instandhaltungskosten auf ein Minimum zu reduzieren und um Stillstands- und Produktionsausfallkosten sowie Behinderungskosten möglichst
zu vermeiden.
Im nächsten Teil dieses Artikels wird ein Überblick
über den Endausbau des Zwischenangriffs Sedrun,
die Demontage und Umrüstung der Schächte und die
Funktionen der neu gelieferten Hebeeinrichtungen
Los D für die Betriebsphase des GBT gegeben.
Literatur
[1] J. Fuhrmann: Hochleistungsförderanlage GotthardBasistunnel. Siemag Tecberg, internes Papier, 2007
[2] Seillast-Messeinrichtung
SME.
Technische
Information, Siemag Tecberg, (zuletzt abgerufen:
12.05.2015, http://www.siemag-tecberg.de/infocenter/
technische-informationen/) (2015)
[3] Sicherheits-Bremseinrichtung (SSA). Technische
Infor­
mation, Siemag Tecberg, (zuletzt abgerufen:
12.05.2015, http://www.siemag-tecberg.de/infocenter/
technische-informationen/)(2015)
[4] Mobile Schachtwinde für Befahrungs-, Hilfsfahrund Notfahranlage. Technische Information, Siemag
Tec­
berg, (zuletzt abgerufen: 12.05.2015, http://
www.siemag-tecberg.de/infocenter/technischeinformationen/)(2015)
[5] Betrieb eigener Schachtförderanlage. Technische Infor­
ma­tion, Siemag Tecberg, (zuletzt abgerufen: 12.05.2015,
http://www.siemag-tecberg.de/infocenter/technischeinformationen/)(2015)
[6] Der Gotthard-Basistunnel, Sedrun 2011. Infobroschüre,
AlpTransit Gotthard AG, 11/2011
[7] Mobile Friktionswinde. Palabora Mining Company,
Phalaborwa, Südafrika. Technische Information, Sie­
mag Tecberg, (zuletzt abgerufen: 12.05.2015, http://
www.siemag-tecberg.de/infocenter/technischeinformationen/)(2015)
[8] Klemm- und Hubvorrichtungen. Technische Informa­
tion, Siemag Tecberg, (zuletzt abgerufen: 12.05.2015,
http://www.siemag-tecberg.de/infocenter/technischeinformationen/)(2015)
[9] H. Sunderhaus: Seilwechsel an der Siemag M-Tec²Schacht­
förderanlage
am
Gotthard-Basistunnel,
Schweiz, News Siemag M-Tec², 2009
[10] P. Zbinden; A. Sala; Dr. Busslinger: Probleme der Kli­
matisierung bei Vortrieb und Betrieb von Tunneln mit
hoher Überdeckung: Lösungskonzepte für den Gott­
hard-Basistunnel. IUT`02. Erschienen in : Tunnel,
Heft 06/2002, Bauverlag BV GmbH, Gütersloh. (2002)
[11] Bergwerkskühlung. Technische Information, Siemag
Tecberg, (zuletzt abgerufen: 12.05.2015, http://
www.siemag-tecberg.de/infocenter/technischeinformationen/)(2015)
Flender:
Gotthard-Basistunnel: Die Schachtförderanlagen von Sedrun – Teil 1: Rohbauphase
Bergbau und Tunnelbau
35
Auswirkungen des Erdbebens vom 17. Mai 2014
in Nieder-Beerbach (Hessen) und Ableitung
realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen
Dr.-Ing. habil. Dipl.-Geol. Bernd Müller, Geschäftsführer
Dipl.-Geol. Benjamin Litschko, Wissenschaftlicher Mitarbeiter,
Dipl.-Geoph. Uwe Pippig, Wissenschaftlicher Mitarbeiter,
alle drei: Geotechnisches Sachverständigenbüro Dr. Müller – Movement and Blasting Consulting, Leipzig, Deutschland
Am 17.05.2014 ereignete sich unmittelbar unter
der Ortslage von Nieder-Beerbach, Südhessen,
ein Erdbeben der Stärke 4,2 (nach EMS98 VI bis
VII). Dabei wurden mehr als 125 Gebäude und
Bauwerke beschädigt. Die entstandenen dynamischen Schäden wurden an ausgewählten Bauten
systematisch erfasst und kinematisch bewertet.
Schwinggeschwindigkeitsmessungen während
des Erdbebens gestatten eine Bewertung des
Ausmaßes der Erschütterungen und werden mit
Sprengerschütterungsimmissionen des GabbroTagebaus von Nieder-Beerbach verglichen. Die
Beurteilung und Zuordnung von entstandenen
Bauwerksschäden zu den ausgelösten Schwinggeschwindigkeiten gestatten in Verbindung mit
genauen
festigkeitsmechanisch-dynamischen
Untersuchungen von Gesteinen und Baustoffen
die Festlegung von grenzwertigen Schwinggeschwindigkeiten sowie Bruchdehnungen. Aus
diesen vielfältigen Ergebnissen werden zuverlässige, physikalisch eindeutig begründbare Anhaltswerte von Schwinggeschwindigkeiten und
Dehnungen für das Bauwesen abgeleitet.
Erdbeben • Sprengtechnik • Erschütterungen •
Bergbau • Tunnelbau • Geotechnik
1 Veranlassung und Zielstellung
Am 17.05.2014 ereignete sich um die Ortschaften OberRamstadt/Modau, südlich Darmstadts, Südhessen, zur
Anmerkung der Verfasser: Das nächstliegende Wohnhaus im Umfeld des Natursteintagebaues Nieder-Beerbach liegt mehr als 320 m
entfernt. Von der zuständigen Aufsichts- und
Genehmigungsbehörde des RP Darmstadt
werden bei Annäherung < 450 m im Tagebau
die Lademengen pro Zündzeitstufe auf 37,5 kg
begrenzt, um die Schwinggeschwindigkeit im
Niveau ≤ 3 mm/s im Fundament des Gebäudes einzuhalten. Durch Forschungsarbeiten
konnte eindeutig nachgewiesen werden, dass
die Lademenge pro Zündzeitstufe nicht für die
Herdzeit 16:46:26 Uhr ein Erdbeben der Magnitude
4,2 mit einer Herdtiefe von 5 bis 8 km [17]. In diesem
Zusammenhang entstanden insbesondere in der Ortslage von Nieder-Beerbach dynamisch bedingte Schäden
an über 125 Bauwerken und Gebäuden. Weitere, aber
weitaus geringere 17 Schadensbildungen wurden aus den
Ortsteilen Trautheim, Waschenbach und Nieder-Ramstadt nördlich von Nieder-Beerbach gemeldet.
Die Hartsteinwerke Thomas GmbH & Co. KG,
Waschenbach, betreiben nordöstlich zwei GabbroTagebaue zwecks Herstellung von gebrochenen, schweren Zuschlagstoffen. Das erforderliche Haufwerk wird
mittels Bohr- und Sprengtechnik aus dem Festgebirge
gelöst. Zur Überwachung der Sprengerschütterungsimmissionen sind zwei Dauermessstellen jeweils in der
nördlichen Ortslage von Frankenhausen und NiederBeerbach installiert. Anlässlich des mehrere Sekunden
andauernden Erdbebens wurden an den Messstellen
Schwinggeschwindigkeiten mit den dazugehörigen
Frequenzen aufgezeichnet. Da die sprengtechnische
Betreuung durch das Geotechnische Sachverständigenbüro Dr. Müller erfolgte, wurden diesem freundlicherweise von dem übergeordneten Leitbetrieb Mitteldeutsche Hartstein-Industrie GmbH, Hanau, vertreten
durch den technischen Leiter, Herrn Dipl.-Ing. B. Sc.
C. Lüdiger, die Schwinggeschwindigkeitsmessungen
des 17.05.2014 zur Auswertung zur Verfügung gestellt.
Einerseits auf Grundlage dieser Messungen und
andererseits durch die abgeschlossenen Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Sprengtechnik sowie Erschütterungsprognose u. a. im Gabbro-Tagebau von
Nieder-Beerbach boten sich angesichts der verbreitet
Erschütterungsprognose geeignet ist. Tatsächlich maßgebend sind die Lademenge eines
Bohrlochs und der eingesetzte Sprengstoff
[11, 12, 13]. Während des Erdbebens wurde im
gleichen Gebäude eine Schwinggeschwindigkeit von 104,77 mm/s bei 7 Hz gemessen. Am
historischen Mühlengebäude wurden keine
Schäden festgestellt. Sind derartig strenge und
der sprengtechnischen Praxis fern liegende
behördliche Forderungen nach den neuesten
Erkenntnissen hinzunehmen? Der beiliegende
Bericht wird darauf eine klare Antwort geben.
Müller, Litschko und Pippig:
Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen
Die vorhandenen Normen sind im Interesse
der praktischen, sprengtechnischen Tätigkeit
zwingend den neuen, objektiven Erkenntnissen anzupassen.
(Anm. d. Red.: Der Beitrag wurde bereits in
der Spreng-Info, der Zeitschrift des Deutschen
Sprengverbands H3/2014 veröffentlicht. Für
die GeoResources Zeitschrift wurde er leicht
überarbeitet. Die in dem Beitrag beschriebenen Ergebnisse sind nach Einschätzung der
Redaktion auch für die Leserschaft der GeoResources sehr interessant und nützlich.)
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Bergbau und Tunnelbau
36
aufgetretenen, erdbebenbedingten Bauwerksschäden
folgende Zielstellungen für eine Bearbeitung an:
▶▶ Systematische Erfassung der wichtigsten, geschädigten Gebäude und Bauten mit einer digitalen Kamera, gelegentliche Aufnahmen von Thermogrammen
mit einer Infrarotkamera sowie die zeichnerische
Kennzeichnung zwecks kinematischer Beurteilung
der dynamischen Einwirkungen
▶▶ Auswertung und Interpretation der durch das Erdbeben ausgelösten Schwinggeschwindigkeiten unter
Beachtung der regionalen tektonischen Situation
einschließlich der lokalen Kinematik der beobachteten Bauwerksschäden in Nieder-Beerbach
▶▶ Bewertung der Bauwerksschäden hinsichtlich der
möglichen Kinematik und Intensität der Riss- und
Bruchbildungen
▶▶ Gesteins- und baustofftechnische Untersuchungen
aus dem Archiv des Geotechnischen Sachverständigenbüros Dr. Müller mit neueren Ergänzungen zu
den wichtigsten Baustoffen zwecks Ableitung von
Bruchdehnungs- sowie Zugfestigkeitswerten
▶▶ Vergleich der Schwinggeschwindigkeits- und Dehnungsmessungen zur möglichen Ableitung von
Bruchdehnungs- sowie Schwinggeschwindigkeitsgrenzen mit Bruchbildung an Baustoffen
▶▶ Unterschiede von anthropogenen Sprengungen und
geogenen Erdbeben hinsichtlich ihrer Schadenswirkung bis zum Stärkegrad VII der EMS-98 mit der
Bild 1: Vereinfachte geologische Übersichtskarte des Oberrheingrabens und kristallinen
Odenwalds [verändert nach 8]
Ableitung von objektiven Anhalts- und Grenzwerten für eine Erschütterungsprognose bzw. zur Beurteilung wirklicher, dynamisch bedingter Gebäudeschäden
Die Analysen, Bewertungen und Untersuchungen
durch das Geotechnische Sachverständigenbüro Dr.
Müller wurden in Eigeninitiative vorgenommen, um
möglichst eine bestehende Lücke zwischen der beginnenden Schadensentwicklung grenzwertiger dynamischer Belastungen und den tatsächlich, realistisch zulässigen Anhaltswerten bei Erschütterungseinwirkung
auf Bauwerke und Gebäude objektiv zu schließen. Die
empirischen Festlegungen der Anhaltswerte in der
DIN 4150 sollen dabei eine kritische Beurteilung erfahren.
2 Auswertung des Erdbebenereignisses
vom 17. 05. 2014
2.1 Lage des Gebiets um Nieder-Beerbach
Nieder-Beerbach breitet sich im romantischen Tal des
Beerbachs um N-S bis NNE auf einer Fläche von etwa
8,3 km² aus. Die Höhenlage schwankt zwischen 220
und 245 m ü. N. N. Die erste urkundliche Erwähnung
geht auf das 14. Jahrhundert zurück und wird im Jahr
1318 als „Berbach“ urkundlich belegt. Im waldhufenartigen Straßendorf wohnen etwa 2.200 Einwohner. Die
L 3098 verbindet den Ort mit Nieder-Ramstadt zur
B 426 im Norden und Reichenbach zur B 47 im Süden.
Der Ortsteil Nieder-Beerbach gehört zur Gemeinde
Mühltal (Hessen) im Landkreis Darmstadt-Dieburg.
Landschaftlich befindet sich der Ort im nördlichen
Teil des kristallinen Odenwaldes unmittelbar östlich
der bekannten Burg Frankenstein. Nordöstlich wird das
hochwertige Tiefengestein Gabbro in zwei Tagebauen
der Hartsteinwerke Thomas GmbH & Co. KG Waschenbach zur Herstellung gebrochener Zuschlagstoffe
abgebaut.
Die Umgebung Nieder-Beerbachs wird von ausgedehnten Waldflächen mit hohem Erholungswert
entlang der 310 bis 427 m hohen Bergrücken bedeckt.
Darmstadt liegt etwa 8 km nördlich der Ortslage Nieder-Beerbach.
2.2 Geologisch-tektonische Verhältnisse
Für die geologische Kennzeichnung des Gebiets um
Nieder-Beerbach ist regionalgeologisch sowohl der
kristalline Odenwald als auch der Oberrheingraben
maßgebend. An der östlichen Grabenschulter des
Oberrheingrabens tritt zwischen Darmstadt und Heidelberg das variszische, kristalline Grundgebirge des
Odenwaldes zutage (Bild 1).
Im westlichen Teil, welcher Bergsträsser Odenwald
genannt wird, befindet sich Nieder-Beerbach. Die
kristallinen Gesteine des Bergsträsser Odenwaldes
verschwinden im Norden unter das Rotliegende des
Sprendlinger Horstes. Im Süden und Osten wird das
Grundgebirge von mächtigen Sedimentgesteinen des
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Müller, Litschko und Pippig:
Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen
Bergbau und Tunnelbau
37
Buntsandsteins diskordant überlagert. Nach Westen
begrenzen ausgedehnte Tiefenbrüche um NNE-SSW
streichend den Rand des Oberrheingrabens, die als Gebirgsabbrüche morphologisch deutlich in Erscheinung
treten.
Das Kristallin des Bergsträsser Odenwaldes wird
von schmalen, oft zerteilten Zügen von Metamorphiten gekennzeichnet, in die ausgedehnte Tiefengesteinskomplexe bestehend aus Gabbros, Dioriten und Graniten intrudiert sind. Um Nieder-Beerbach verlaufen die
metamorphen Komplexe NE-SW und setzen sich von
NW nach SE wie folgt zusammen:
▶▶ Südöstlich Darmstadt: Schiefergneise, Amphibolite, Kalksilikatgesteine.
▶▶ Frankensteiner Gabbro-Massiv: Amphibolite.
▶▶ Schieferzug Bensheim-Groß Bieberau: Amphibolite, Schiefergneise, Kalksilikatgesteine, Marmore.
Im Anschluss an die amphibolitfazielle Regionalmetamorphose drangen bei Nieder-Beerbach die Gabbros und Diorite des Frankenstein-Plutons zwischen
die metamorphen Züge, die letztlich Gegenstand der
Natursteingewinnung in den bestehenden Tagebauen
sind. Die jüngste magmatische Tätigkeit erfolgte im
Perm mit der effusiven Folge von Rhyolithen und Ignimbriten.
Die Heraushebung des Odenwaldes insbesondere
gegen den Oberrheingraben erfolgte vor allem im Pliozän. Die bruchtektonische Bildung des Oberrheingrabens bis in Tiefen von mehr als 3.000 m verdeutlicht
gleichzeitig die aktiven, tektonischen Störungszonen
an dessen Rändern im Odenwald (Bild 1). Parallel zum
Grabenbruch bildeten sich im kristallinen Odenwald
Bruchzonen aus, die bis heute aktiv sind. Eine solche
regionale Störungszone verläuft durch das BeerbachTal und trennt einen westlichen metamorphen Gesteinszug vom massiven Gabbro-Komplex, der bis in
große Tiefen reicht (Bild 1). Derartige Störungen können bei einem Erdbeben aktiv werden. Im jüngeren Tertiär bis heute änderte sich das für die Grabenbildung
erforderliche regionale tektonische Spannungsfeld. Die
Hauptspannung ist seither NW-SE ausgerichtet. Diese
krustale Belastung löste eine Reaktivierung von NNESSW streichenden Störungszonen aus, von denen eine
um Nieder-Beerbach anzutreffen ist.
Diese Reaktivierung geschieht insbesondere im
Zusammenhang mit der Erdbebentätigkeit, wobei
eine erwartete relative Verschiebung der Ostscholle
nach NNE und der Westscholle nach SSW stattfindet
(Bild 1). Die Verschiebungen entlang von Bruchstörungen strahlen seismische Energie an die Umwelt ab
und erklären das Erdbeben vom 17.05.2014 (Bild 4).
2.3 Ergebnisse der Schwinggeschwindigkeitsmessungen und die Verteilung
der Einwirkungen des Erdbebens um
Nieder-Beerbach
Im tektonischen Strukturbild Westeuropas bildet der
Oberrheingraben einen Abschnitt einer von der Nord-
see bis zum Mittelmeer reichenden, absetzenden und
sich verzweigenden, gegenwärtig noch aktiven Bruchzone, die zwischen Basel und Frankfurt am Main durch
Erdbeben mit geringeren bis mittleren Stärkegraden
markiert wird. Das Ausmaß der Einsenkung des Grabens erreicht gegenüber seinen heutigen Grabenschultern bis zu 4.500 m (Bild 1). Die tektonischen Bewegungen der Grabenstruktur halten bis heute an, sodass
mit den Vertikal- und Horizontalbewegungen eine seismische Aktivität verbunden ist.
Die Ortslage von Nieder-Beerbach befindet sich in
der Erdbebenzone 1 [4]. Die Erdbebenzone 1 umfasst
Gebiete, denen gemäß der EMS-98 das zugrundegelegte
Gefährdungsniveau dem Intensitäts- bzw. Stärkegradsintervall von 6,5 bis < 7,0 zugeordnet wird (Tabelle 1).
Der zugehörige Bemessungswert der Bodenbeschleunigung beträgt in dieser Erdbebenzone bis ag = 0,4 m/s².
Die Gefährdung innerhalb der Erdbebenzone wird als
einheitlich angenommen. Veränderungen ergeben sich
durch unterschiedliche geologische Untergrundbedingungen bzw. die jeweiligen Baugrundverhältnisse am
Standort von Gebäuden oder Bauwerken [4].
Nach der DIN 4149 gehört das Gebiet zur geologischen Untergrundklasse R und der Baugrund für
die Bereiche mit einer Schädigung der Gebäude zur
Baugrundklasse C [4]. Zum besseren Verständnis,
aus welchen Locker- und Festgesteinen die genannten
Klassen zusammengesetzt sind, wurde im Bild 18 und
in der Tabelle 2 ein Vorschlag auf der Grundlage der
zahlreichen, vorliegenden Messungen der akustischen
Impedanz (P-Welle, Primärwelle) und des dynamischen
E-Moduls zur Quantifizierung der geologischen Untergrund- bzw. Baugrundklasse sowie des mechanischen
Verhaltens der Gesteine abgeleitet [nach 10]. Für die
zerstörende Wirkung eines Erdbebens oder einer anderen dynamischen Belastung und das Entstehen bzw.
Ausmaß von Zug- und Scherbrüchen sind insbesondere
die Elastizitäten des Untergrunds und der Baustoffe des
Bauwerks maßgebend. Reagiert das Medium nur noch
plastisch, kann sich keine Scherwelle aufbauen, und es
kommt zu anderen Effekten, die schlimmstenfalls eine
Verflüssigung oder Fließbewegung des Untergrunds
auslösen (Bild 18).
Alle vom Erdbeben geschädigten Gebäude und
Bauwerke in Nieder-Beerbach sind nach Recherchen
der Autoren auf bindigem, brauchbar tragfähigem
Baugrund gegründet, sodass die Tragfähigkeitsbedingungen durchaus vergleichbar sind. Allerdings ist ein
Großteil der Wohn- und Geschäftshäuser in Hanglage
errichtet worden, bei der sich bei nicht sachgemäßer
Gründung ein bauwerksschädigendes, ungleichmäßiges
Setzungsverhalten ergeben kann. Weitere, ungleichmäßige Reaktionen der Gebäude bei dynamischer Belastung können unter anderem durch folgende Gegebenheiten entstehen:
▶▶ Alterung und Ermüdungserscheinungen von Baustoffen bei älteren Bauten
▶▶ Verwendung sehr verschiedenartiger Baustoffe beim
Umbau, Ausbau oder bei der Aufstockung
Müller, Litschko und Pippig:
Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Bergbau und Tunnelbau
38
Tabelle 1: Europäische Makroseismische Skala (EMS 98), verändert nach [3, 9, 17]; rot markiert = Erdbeben 17.05.2014 in Nieder Beerbach
Stärke­
grad
Durchschnittliche
Spitzenge­
schwindigkeit
[mm/s]
Durchschnittliche
Spitzen­be­
schleunigung
(g= 980 cm/s²)
Wirkung - Beschreibung
Kurzbezeichnung
Schäden an Bauwerken/Gebäuden
sonstige Vorgänge
ohne
nur durch Messgeräte
nachweisbar
I
<1
< 0,001
- nicht fühlbar (nur von Wenigen unter günstigen Umständen fühlbar)
(unmerklich)
II
1-5
0,001 - 0,002
- kaum bemerkbar (in oberen Stockwerken von hohen Gebäuden) (sehr leicht)
ohne
-
III
6 - 10
0,002 - 0,005
- schwach besonders in oberen Stockwerken (leicht)
ohne
stehende Autos und
hängende Objekte schwingen leicht
0,005 - 0,01
- deutlich in Gebäuden von vielen,
außerhalb tagsüber von einigen
Personen wahrgenommen;
einige Schlafende erwachen
ohne
Teller, Fenster und Türen klirren, zittern;
Wände knarren,
stehende Autos schwingen sichtbar
0,01 - 0,02
- stark fast jeder spürt,
viele Schlafende erwachen
zersetzter Putz
fällt teilweise ab
Geschirr und Fensterscheiben können
zerspringen, instabile Objekte fallen um,
Pendeluhren können anhalten;
Bäume, Masten schwanken,
Fenster und Türen können aufgehen
0,02 - 0,05
- leichte Gebäudeschäden von allen verspürt; viele Menschen verängstigen, laufen nach
draußen
leichte Rissbildung und Abfallen von Putz,
beschädigte Schornsteine
gehen wird schwierig,
schwere Möbel bewegen sich;
Gegenstände fallen von Regalen,
Bilder von Wänden;
Bäume schwanken
- Gebäudeschäden alle laufen aus den Gebäuden;
stehen wird schwierig; selbst in
fahrenden Autos spürbar
leichte bis mäßige Schäden
an normgerechten Bauwerken;
Gebäude mit unzureichender Bauweise,
gealterte oder mit fehlerhaftem Bauentwurf werden stark beschädigt; geringfügige Schäden an erdbebensicher gebauten
Bauwerken; einige Kamine zerbrechen;
Dachziegel stürzen ab
Schäden an Möbeln;
Kirchenglocken schwingen;
Rutschungen in empfindlichen
Lockergebirgen
- schwere Gebäudeschäden teilweise Behinderung;
Autofahren wird schwierig
größere bis beträchtliche Schäden an
normgerechten Bauwerken bis zum
Teileinsturz; teilweise Zerstörung von
Ziegelbauten; Mauern, Schornsteine und
schlanke Türme stürzen ein;
leichte Schäden an erdbebensicheren Bauwerken; größte Schäden an
mangelhaft errichteten Gebäuden
schwere Möbelstücke stürzen um;
Veränderungen im Brunnenwasser;
Abbrechen von Ästen,
bei wenig tragfähigem Untergrund
Risse im geneigten Gelände
- zerstörend -
große bis zerstörende Schäden an
stabilen Gebäuden bis zum Teileinsturz;
Häuser werden von den Fundamenten
verschoben; Schäden an unterirdischen
Rohrleitungen, Talsperren; Beträchtliche
Schäden an Gebäuden mit guter Bauweise
und -art; selbst gut geplante Tragwerksstrukturen verziehen sich
Auslösen größerer Rutschungen;
Bodenverschiebungen 7 - 10 cm
Bahnschienen werden verbogen,
starke Schäden an Dämmen; sehr große
Rutschungen werden ausgelöst;
Wasser in Seen, Kanälen und Flüssen
tritt über die Ufer; Bodenverschiebungen 10 - 30 cm (Bodenaufreissungen)
IV
V
VI
VII
VIII
IX
11 - 25
26 - 50
51 - 100
101 - 250
251 - 500
(501 - 1000)
0,05 - 0,1
0,1 - 0,2
0,2 - 0,5
X
(1001 - 2500)
0,5 - 1
- sehr zerstörend -
selbst gut ausgeführte Holzrahmenkons­
truktionen werden teilweise zerstört;
die meisten gemauerten Objekte und
Tragwerkskonstruktionen werden samt
ihrer Fundamente zerstört;
Brücken werden teilweise zerstört
XI
(2501 - 5000)
1-2
- verwüstend -
fast alle gemauerten Gebäude stürzen ein;
Brücken werden zerstört;
Versorgungsleitungen werden vernichtet
Bahnschienen werden stark verbogen;
große Bodenaufreissungen 30 - 100
cm; Felsstürze und Lockergesteins­
rutschungen werden ausgelöst
totale Zerstörung anthropogener
Bausubstanz;
Erdbebenwellen werden sichtbar
starke Veränderungen an der
Erdoberfläche, Zerreissungen > 1 m;
größere Felsmassen
geraten in Bewegung,
Gegenstände werden in die Luft geschleudert
XII
(> 5000)
>2
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
- vollständig verwüstend -
Müller, Litschko und Pippig:
Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen
Bergbau und Tunnelbau
39
▶▶ Statische Veränderungen durch spätere Auf-, Anund Umbauten von Gebäuden
Die mit den Dauermessstationen der Hartsteinwerke
Thomas GmbH & Co. KG erfassten Schwinggeschwindigkeiten sind in der Tabelle 3 zusammengefasst und
beispielhaft in den Bildern 2 und 3 dokumentiert.
Das Erdbeben dauerte nach den Messungen mehr
als 10 s an. Die Frequenzen der Schwinggeschwindigkeitskurven des Erdbebens haben im Unterschied zu
den Sprengerschütterungen stets Werte < 15 Hz. Die
Station Waldmühle zeigte nahezu übereinstimmende
horizontale Schwingungsebenen, die auf eine horizontale Verschiebung entlang der vorhandenen NNE
- SSW Störungszone hinweisen könnten (Tabelle 3).
Neben dieser Störungszone quer durch den Ort
Nieder-Beerbach ist für die Bewertung der Erschütterungen des Erdbebens die dynamische Beschaffenheit
des Untergrunds beachtenswert. Der im Osten von
Nieder-Beerbach verbreitete Gabbro und Diorit des
Odenwaldes wurde mit Ultraschallmessungen vielfältig
untersucht. Die Ergebnisse sind in der Tabelle 4 zusammenfassend aufgeführt.
Mithilfe der dynamischen Eigenschaften des Gabbros unter dem Ostteil von Nieder-Beerbach und der gemessenen Schwingungskurven wurde in einem aufwendigen Berechnungsverfahren nachgewiesen, dass die
Hauptschwingungsrichtungen tatsächlich NNE-SSW
gerichtet waren und der Erdbebenherd mit großer
Wahrscheinlichkeit > 5 km direkt unterhalb von Nieder-Beerbach gelegen haben müsste. Dafür sprechen
insbesondere die festgestellten Bauwerksschäden in der
Ortslage von Nieder-Beerbach gegen die wenigen von
Nieder-Ramstadt und Trautheim im Norden (Bild 11).
Die meisten geschädigten Bauten folgen dabei auffälligerweise etwa dem Einflussbereich der regionalen, tiefreichenden Störungszone.
Auf der Grundlage der vorgenannten Messungen
und Berechnungsergebnisse sowie unter Beachtung der
beobachteten Bauwerksschäden wurde systematisch
die Isoliniendarstellung der Schwinggeschwindigkeitswerte von Nieder-Beerbach erarbeitet (Bild 4).
Im Ergebnis dieser Auswertung ist eine NNE-SSW
Bild 2: Schwinggeschwindigkeitsmessung des Erdbebens vom 17.05.2014 –
ppvmax = 104,77 mm/s Fundamentbereich Messstelle Waldmühle
nördlich Nieder-Beerbach
Tabelle 2: Empfehlung zur Quantifizierung der geologischen Untergrund- und Baugrundklasse nach DIN 4149 [4] (vgl. Bild 18)
geologische
Untergrundklasse
Baugrundklasse
mögliches
kinematisches Verhalten
akustische Impedanz
(P-Welle)
[106 kg/(m²s)]
dynamischer Elastizi­
tätsmodul [kN/mm²]
der Gesteine
R
A
hochelastischer
Bereich
> 15
> 60
B
mäßig elastischer
Bereich
12 - 15
30 - 60
8 - 12
C
elastoplastischer
Bereich
Übergangsbereich
2-4
>0-8
plastischer Bereich
(Liquefaktion)
<2
0
T
S
noch nicht
zugeordnet
nicht berücksichtigt
Baugrund nicht tragfähig,
Gefahr der Verflüssigung
Müller, Litschko und Pippig:
Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen
4-8
8 - 30
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Bergbau und Tunnelbau
40
Bild 3: Schwinggeschwindigkeitsmessung des Erdbebens vom 17.05.2014 – ppvmax = 25,114 mm/s Fundamentbereich Messstelle südöstlich von
Nieder-Beerbach
Tabelle 3: Ergebnisse der Schwinggeschwindigkeitsmessungen der Station Waldmühle und Frankenhausen (rot = Maxima)
vom Erdbeben am 17.05.2014
Schwinggeschwindigkeit ppv (mm/s)
Messort
Waldmühle
Frankenhausen
1)
Datum und
Zeitanzeige
der Messstationen 1)
Frequenz f (Hz)
horizontale Komponenten
vertikale Komponente
x
y
z
fx
fy
fz
17. 05. 2014, 19:02:20
104,77
104,56
23,28
7
6
11
17. 05. 2014, 19:02:22
5,18
15,04
2,36
7
5
5
17. 05. 2014, 19:02:24
2,69
2,30
1,0
4
4
10
17. 05. 2014, 19:02:26
1,52
1,43
0,63
4
6
9
17. 05. 2014, 18:45:58
25,114
20,9092
16,3738
4,88
4,98
6,35
30. 03. 2014, 16:57:22
1,3611
1,4264
0,8163
12,5
17,19
10,35
Die Messstationen sind nicht auf die genaue Uhrzeit eingestellt worden.
gestreckte, anisotrope Ausbreitung der Schwinggeschwindigkeiten festzustellen, die flächenhafte, in einer
Größenordnung liegende Erschütterungen erkennen
lässt. Die 50 mm/s -Isolinie zeigt beispielsweise um
den Herd eine maximale Entfernung von 2.825 m an
und belegt einen großen Wirkungsbereich des Erdbebens. Die Gebäude von Nieder-Beerbach wurden teilweise ganzheitlich von Schwinggeschwindigkeiten im
gleichen hohen Niveau mindestens 2 bis 3 s belastet.
Das Erdbeben hat auf einer größeren NNE-SSW geGeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
streckten Fläche entlang einer Tiefenstörung Erschütterungen in bauwerksschädigender Intensität ausgelöst
(Bilder 4 und 11).
Zum Vergleich wurde in gleicher Art und Weise eine
Isoliniendarstellung der Schwinggeschwindigkeitswerte
erarbeitet, die anlässlich der Gewinnungssprengung am
05.09.2012 mit 20 t Emulsionssprengstoff im Tagebau
Nieder-Beerbach ausgelöst wurden (Bild 4 im NE).
Man bemerkt, dass die hohen Schwinggeschwindigkeiten bis 50 mm/s in einem Bereich mit maximal 225 m
Müller, Litschko und Pippig:
Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen
Bergbau und Tunnelbau
41
Abstand um die Sprengung entstehen und die abgestrahlten Werte in der Umgebung unter hoher Dämpfung rasch abgebaut werden. In diesem Fall würden
theoretisch vorhandene Gebäude nur einseitig und im
direkten Umfeld von < 80 m zur Sprenganlage mutmaßlich beschädigt. Infolge der Anisotropie des Gebirges und der Abstrahlrichtung der Sprengung breiten
sich die Spreng­erschütterungen in einer oval gestreckten
Form aus.
3 Auswertung und Einstufung der dynamischen Bauwerksschäden von Nieder-Beerbach nach der Intensität der
Bruchbildungen
3.1 Beschreibung einzelner, typischer Bauwerksschäden infolge des Erdbebens
Die Ergebnisse der Schwinggeschwindigkeitsmessungen und deren Auswertung im Bild 4 zeigen, dass die
Gebäude und Bauwerke von Nieder-Beerbach eine
ganzheitliche dynamische Belastung insbesondere in
den horizontalen Schwingungsebenen x und y erfahren
haben. Diese Schwingungen folgten mutmaßlich einer
NNE-SSW bzw. WNW-ESE Richtung (Bild 12)
Bei den Untersuchungen und Aufnahmen der geschädigten Gebäude waren folgende, sich wiederholende Beobachtungen an den Risserscheinungen festzustellen:
▶▶ Die Schäden nahmen meist von unten nach oben in
den einzelnen Stockwerken zu. Im unteren Geschoss
war nicht selten zu beobachten, dass dynamische
Schäden fehlten.
▶▶ Die neuen Rissbildungen bzw. -muster konnten bei
der überwiegenden Anzahl der erfassten Schäden als
dynamische Scherbrüche gedeutet und von solchen
anderer Ursachen unterschieden werden.
▶▶ Die einzelnen Scherbruchbildungen ließen verschiedene Intensitäten der dynamischen Einwirkungen erkennen.
▶▶ Die Gebäude wurden infolge unterschiedlicher Bauweisen, wechselnder Lagen der Giebelseiten, altersbedingter Zustände, statisch unausgewogener Anbauten,
Bild 4: Isoliniendarstellung der Schwinggeschwindigkeitswerte ausgelöst durch das
Erdbebeben vom 17.05.2014 (blau) und durch die 20-t-Gewinnungssprengung
vom 05.09.2012 (grün) um Nieder-Beerbach
Tabelle 4: Gesteinstechnische und -dynamische Eigenschaften von Gabbro und Diorit des nördlichen, kristallinen
Odenwalds
Gesteinstechnische
und -dynamische Eigenschaft
Rohdichte
Poisson-Zahl
Festgestein
Dimension
Gabbro
Diorit
Streuung
Mittelwert
Streuung
Mittelwert
g/cm³
2,83 - 3,0
2,9
2,81
2,81
-
0,159 - 0,278
0,2255
0,262 - 0,274
0,269
m/s
5867 - 6787
6386
6234 - 6311
6273
S-Wellengeschwindigkeit
m/s
3385 - 3959
3787
3521 - 3540
3531
R-Wellengeschwindigkeit
m/s
3115 -3601
3463
3252- 3264
3258
dynamisches Elastizitätsmodul
kN/mm²
81,91 - 106,30
100,45
88,71 - 88,96
88,83
G-Modul
kN/mm²
37,76 - 45,45
41,04
34,81 - 35,24
35,02
akustische Impedanz (P-Welle)
106 kg/(m²s)
16,77 - 79,27
18,24
17,51 - 17,72
17,62
einaxiale Druckfestigkeit (cal)
MPa
138 - 160
155
-
150
P-Wellengeschwindigkeit
Müller, Litschko und Pippig:
Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Bergbau und Tunnelbau
Bild 5: Putzausbrüche eines gealterten Mörtels
42
Bild 6: Horizontale Schubrisse mit leichten Mörtelabplatzungen
im Deckenbereich
Bild 7: Schwache, diagonale, treppenartige, fugenbezogene
Schubrisse im Mauerwerk
ungleicher Baustoffe usw. trotz vergleichbarer dynamischer Belastungen nicht einheitlich geschädigt.
▶▶ Ungenutzte, durch Fugen vom Bauwerk getrennte, alternde und frei stehende Schornsteine wurden
infolge der hohen horizontalen Erschütterungen
vergleichsweise häufig geschädigt bis zerstört, ohne
dass die betroffenen Gebäude größere Rissbildungen
aufwiesen.
▶▶ Nicht selten waren die Gebäude an einer Seite die
richtungsorientiert zur NNE-SSW-Achse lag beGeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Bild 8: Stärkere Treppen- bis X-förmige Schubrisse im
Mauerwerk mit durchgehender Bruchbildung
(digitales Bild und Infrarotaufnahme)
sonders von dynamischen Rissbildungen und die
Gegenseite nicht bzw. nur untergeordnet betroffen,
sodass man oft eine Bewegungstendenz innerhalb
des Bauwerks ableiten konnte.
Die beispielhaft ausgewählten Bilder 5 bis 9 belegen
die tatsächlichen Schadensbildungen an den erfassten
Gebäuden. Das Bild 10 fasst die vereinfachten, überwiegend beobachtbaren dynamischen Schäden an den
Bauwerken in einer kinematischen Darstellung zusam-
Müller, Litschko und Pippig:
Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen
Bergbau und Tunnelbau
43
Bild 9: Zugbruchartige Trennung und Abkippen in Anbauund Kaminbereichen
men. Putzausbrüche waren in leicht geschädigten Gebäuden insbesondere bereits dann zu beobachten, wenn
es sich um sehr alte, bindemittelarme Mörtel handelte
(Bild 5). Die Zugbruchbildungen sind häufige Schäden
an Fugen von Anbauten, bei Materialwechsel, Schornsteinen oder anderen ausgeprägten Trennbereichen der
Wände bzw. Decken, die auch ohne dynamische Einflüsse sehr häufig auftreten. Außerordentlich verbreitet sind horizontale Deckenschubrisse verschiedener
Größenordnungen von ganz schwach gegeneinander
bewegten Decken bis hin zu Schubbewegungen mit
Mörtelausbrüchen und Zerreibsel auf den bewegten
Bruchflächen (Bild 6). Andere Schub- oder Scherbeanspruchungen führen zu treppenartigen, geöffneten,
fugenbezogenen Diagonalbrüchen (Bild 7). Derartige Brüche können bei stärkerer Belastung zu teilweisen bis vollständigen X-förmigen Schubrissen in den
Wandbereichen führen (Bild 8 und unteres Schema in
Bild 10). Das Bild 9 vermittelt die oft beobachteten
Ablösungen oder Abkippungen entlang der Fugen zwischen Schornstein und Giebelseite, die ebenfalls meist
richtungsorientiert den regionalen dynamischen Belastungen zugeordnet werden konnten.
Bild 10: Vereinfachte kinematische Darstellung der überwiegend beobachteten
dynamischen Schäden durch Erdbeben des Stärkegrads V bis VII
rote Colorierung: Gebäude mit größeren, teilweise reparaturbedürftigen Rissbildungen;
Zugrisse und Scherbrüche durchgehend; teilweise Scherbrüche im 3. Stadium;
starke Putzabgänge
hellgrüne Colorierung: Gebäude mit mittleren Rissbildungen; Zugrisse, Schubrisse 1.
und 2. Stadium; verbreitet das ganze Gebäude geschädigt; leichte Putzschäden
gelbe Colorierung: Gebäude mit leichten Rissbildungen; Zugrisse, Schubrisse im
1. Stadium überwiegen; Abfallen von altem Putz
Markierung mit grünem Strich: Gebäude mit beschädigtem oder zerstörtem
Schornstein (Sonderfall); andere Rissschäden können fehlen
3.2 Bewertung der Bauwerksschäden von
Gebäuden in Nieder-Beerbach nach
der Intensität der Bruchbildungen
Von den über 125 festgestellten, dynamisch bedingten
Bauwerksschäden wurden 43 Gebäude teilweise oder
vollständig hinsichtlich der Riss- sowie anderer Schadensbildungen erfasst und dokumentiert.
Inm Bild 11 wurden alle geschädigten oder schadhaft gemeldeten Bauten von Nieder-Beerbach farblich
markiert und einer empirisch entwickelten Schadensintensität verbal zugeordnet (Bild 10).
Die Schäden verteilen sich trotz hoher Schwinggeschwindigkeitseinwirkung im Fundamentbereich in der
Ortslage nicht gleichmäßig (Bild 4). Dieser Umstand ist
einerseits auf die recht unterschiedliche, nicht gleich alte
Bausubstanz zurückzuführen und hängt andererseits mit
zwei maximalen Schwinggeschwindigkeitsbereichen im
Müller, Litschko und Pippig:
Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Bergbau und Tunnelbau
44
Norden sowie im Gebiet südlich der Mühlstraße/Kreuzgasse von Nieder-Beerbach zusammen (vgl. Bild 4). Bei
der Entstehung der Schäden mit und ohne BruchbilBild 11: Durch das Erdbeben vom 17.05.2014 beschädigte Gebäude und Bauwerke in
Nieder-Beerbach [nach 15]
dung muss die im folgenden beschriebene Wirkung der
Erschütterungen Berücksichtigung finden:
Die vom Erdbeben ausgelösten und dargestellten
maximalen Schwingungen gelangen zu den Fundamenten oder/und Untergeschossen der in den Baugrund
eingebetteten Bauten und regen jedes Gebäude für sich
oder die in einer ganzen Bautenreihe aneinander stehenden Häuser an, so in ausgerichtete Bewegungen zu
geraten, dass sich die Schwinggeschwindigkeiten aufschaukeln und in jedem Stockwerk höhere Werte annehmen. Nach unseren langjährigen Erfahrungen und
messtechnisch belegbaren Messergebnissen können für
Gebäude, die nach den allgemein anerkannten Regeln
der Bautechnik errichtet worden sind, die nachstehenden, mittleren Übertragungsfaktoren gelten:
▶▶ Fundamentwert (= i. d. R. Messwert)
x1
▶▶ 1. Obergeschoss
Fundamentwert x 1,6
▶▶ 2. Obergeschoss
Fundamentwert x 1,8
Lokale Abweichungen sind allerdings nicht auszuschließen. Die Vielfalt der beobachteten Schäden ist im
Einzelfall für die Gebäude annähernd erklärbar; in der
Komplexität der nebeneinanderstehenden Bauten mit
unterschiedlichen Gründungstiefen und wechselnden
Baustoffen kann die Bewertung der Ursachen von Rissbildungen durch dynamische Einwirkung nicht immer
zweifelsfrei erfolgen.
So sind beispielsweise in der Mühlstraße Nr. 17-1921 der nördliche Teil Nr. 21 und in der Häuserreihe
Nr. 11-13-15 das südliche Wohnhaus Nr. 11 am stärksten von Schäden bei ähnlicher Schwinggeschwindigkeit im Fundamentbereich betroffen. Diese eigenwillige
Situation könnte auf eine Impulswirkung mit N-S-Ausrichtung zurückzuführen sein, wobei die am jeweiligen
Ende der Häuserreihe liegenden Gebäude den stärksten
„Impuls“ erhielten und die mittigen Wohnhäuser nur
als „Durchgangsleiter“ der Wellenfront fungierten.
Im Falle der Gebäude In der Hohl Nr. 7, Kreuzgasse 2, Mühlenstraße 79, 77A, Burgweg 7 und 9 sind
weitestgehend einzeln stehende Bauten mit starken
Schäden belastet. Einige Wohnbauten zeigen vielfältige
Rissbildungen, die durch die Erdbebeneinwirkung nur
verstärkt oder von den Bewegungen benutzt worden
sind und somit nicht als Neubrüche in Erscheinung treten. Die charakteristischsten, verallgemeinerungswürdigen Merkmale dynamischer Rissbildungen sind nach
den Beobachtungen:
▶▶ Scherbrüche mit und ohne Zerreibsel an den Rissufern bzw. auf den Rissoberflächen
▶▶ Stockwerksbedingte Verstärkung von unten nach
oben
▶▶ Häufiges Auftreten an Eck- und einseitigen Wandbereichen, richtungsorientiert zur Hauptausbreitungsrichtung der Wellenfront
▶▶ Treppenartige, diagonale Scherbrüche bei Belastungen von > 120 mm/s ≤ 15 Hz.
Die Auswirkungen des Erdbebens sind trotz gleich
hoher Erschütterungen auf die einzelnen Bauwerke
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Müller, Litschko und Pippig:
Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen
Bergbau und Tunnelbau
45
nicht einheitlich und durchgängig an den Schadensbildern nachzuweisen. Jedes Bauwerk reagiert infolge
der Bauweise, der Baustoffe, des Alterungszustands, des
Standorts, der Gründungsausführung sowie der Baugrundverhältnisse vollkommen unterschiedlich. Die
Waldmühle wurde beispielsweise nahezu vollständig
aus Naturstein und Holz errichtet. Die örtlich gemessenen Schwinggeschwindigkeiten im Fundamentbereich
weisen Werte von 105 mm/s bei 7 Hz auf. Der Wohnhauskomplex wurde sichtbar nicht geschädigt. Allerdings haben die Bewohner die Erschütterungen extrem
stark gespürt. Aus diesen objektiven Beobachtungen
und den durchgeführten Befragungen der Bewohner
ist die bereits bekannte Aussage in [13] eindeutig zu
belegen: (siehe Kasten).
Die letztere Aussage wurde von den meisten befragten Bewohnern von Nieder-Beerbach zum Erdbeben
vom 17.05.2014 bestätigt und zeigt, dass die Anwendung der DIN 4150, Teil 2, nur für Dauerbelastungen
von Erschütterungen gelten sollte. Wird eine Sprengung bei den Bewohnern angekündigt, sollten die Forderungen der DIN 4150, Teil 2 nicht gelten.
4 Begründete Einstufung der
entstandenen dynamischen
Bauwerksschäden nach Anhaltswerten
der Schwinggeschwindigkeit
4.1 Methodische Vorgehensweise
Es ist weltweit noch keine anerkannte und gesicherte
Aussage zu den bauwerksschädigenden Größenordnungen der Schwinggeschwindigkeiten vorgelegt worden [1, 11, 12, 13]. In [13] wird auf der Grundlage von
Forschungsarbeiten eine objektive, auf Messungen beruhende Erschütterungsprognose in Form einer fiktiven Energie-Abstandsbeziehung vorgeschlagen und in
den Rahmen physikalisch begründbarer Anhaltswerte
für die einzelnen Bauwerke und Gebäude gestellt. Die
darin enthaltenen Ergebnisse sind auf der Basis von
mehr als 10.000 Einzelmessungen der Schwinggeschwindigkeit mit der dazugehörigen Frequenz sowie
von über 500 Messwerten der dynamischen Dehnung
unter Sprengeinwirkung entstanden.
Die im Teil 3 der DIN 4150 enthaltenen zulässigen
Anhaltswerte sind empirisch und ohne messtechnisch
begründbaren Datenfundus von einem Normenausschuss eingebracht worden, deren Mitglieder nicht
mehr bekannt sind. Diese seit mehr als 30 Jahren gültigen Werte gehören zu den weltweit niedrigsten, die für
den Schutz von Gebäuden und Bauwerken jeder Art
Anwendung finden. In der Zulassungspraxis wird dazu
oft von den Sprengtechnikern verlangt, dass lediglich
50 % der ohnehin niedrigeren Größen der Schwinggeschwindigkeit erreicht werden dürfen.
Es ist daher von erheblicher praktischer Bedeutung,
aus den Folgen des Erdbebens mit den entstandenen
Bauwerksschäden und der Kenntnis der ausgelösten
Schwinggeschwindigkeiten die bruchmechanisch wirksamen, tatsächlichen Grenzwerte der Erschütterungs-
Objektive Messungen und subjektive Empfindungen der Menschen
bei dynamischen Einwirkungen auf Bauwerke
Dynamische Einwirkungen auf Bauwerke können größere Schwinggeschwindigkeitswerte annehmen, ohne dass Schäden entstehen. Diese
Grenzen für eine Bruchbildung in Bauten und Gebäuden sind durch systematische Untersuchungen an Baustoffen messtechnisch zu finden. Im Gegensatz dazu sind die Empfindungen und Belästigungen der Menschen,
die sich in den Gebäuden aufhalten, bei 400 bis 500-fach geringeren
Schwinggeschwindigkeiten mit entsprechender, anhaltender Intensität
wegen ihrer hohen Sensibilität weitaus kritischer zu bewerten.
Eine angezeigte, signalisierte kurzzeitige Sprengung ≤ 2 s wird von den
meisten Bewohnern als vertretbare Erschütterung angenommen. Nahezu
jede dynamische Dauerbelastung wird als Belästigung empfunden. Ein Erdbeben mit einem Stärkegrad > V (nachTabelle 1) wird weder signalisiert noch
vorhergesagt, sodass diese Art der dynamischen Belastung mit der Dauer von
≥ 2 s berechtigterweise als Belästigung bis Angst und panikauslösend angesehen wird.
messgrößen Schwinggeschwindigkeit und Dehnung
herauszufinden. Zur objektiven Findung von Grenzwerten, die eine Bruchbildung an und in den Bauwerken beginnend auslösen, werden vielfältige Beobachtungen und Messwerte herangezogen:
▶▶ Literaturrecherche zu Anhalts- und Grenzwerten
von Schadensbildungen bei dynamischer Einwirkung [in 8]
▶▶ Bewertung der beobachteten Bauwerksschäden in
Nieder-Beerbach unter Beachtung der ermittelten
Bild 12: Beispielhafte Darstellung aller Riss- und Bruchschäden im Grundriss eines
Gebäudes mit Kennzeichnung der einwirkenden Schwingungsrichtung [aus 7]
Müller, Litschko und Pippig:
Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Bergbau und Tunnelbau
Bild 13: Beziehung zwischen dynamischem E-Modul und Schermodul
verschiedener Baustoffe und Gesteine
46
Bild 14: Beziehung zwischen dynamischem E-Modul und
akustischer Impedanz (P-Welle) verschiedener Baustoffe
und Gesteine mit Abschätzung des statischen E-Moduls
Bild 15: Beziehung zwischen Rohdichte und akustischer Impedanz
(P-Welle) verschiedener Baustoffe und Gesteine
Bild 16: Beziehung zwischen einaxialer Druckfestigkeit bzw.
Zugfestigkeit und akustischer Impedanz (P-Welle)
verschiedener Baustoffe
Bild 17: Beziehung zwischen gemessener maximaler Schwinggeschwindigkeit ppvmax
und ermittelter maximaler Dehnung εmax und die Festlegung von Grenzwerten
und abgeschätzten Schwinggeschwindigkeiten (Bilmit möglicher, beginnender Baustoffschädigung
der 4 und 11)
▶▶ Berechnung des Schwingwegs unter Einbeziehung
der gemessenen Schwinggeschwindigkeiten und
Frequenzen sowie der Idealisierung der Schwingungen als Sinuskurven (Bilder 2 und 3)
▶▶ Systematische Bestimmung der dynamischen
Kennwerte von Baustoffen und deren Einordnung in die der Fest- und Lockergesteine (Bilder 13 bis 15)
▶▶ Vergleich der einaxialen Druckfestigkeit, Zugfestigkeit und akustischen Impedanz zwecks Ermittlung der minimalen Zugfestigkeit für Baustoffe
(Bild 16)
▶▶ Ableitung der Bruchgrenzen von verschiedenen Baustoffen unter Beachtung der Schwinggeschwindigkeit mit geringen Frequenzen und der
Bruchdehnung auf der Grundlage langjähriger
Messungen und in-situ-Überprüfungen (Bilder 16
und 17)
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Müller, Litschko und Pippig:
Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen
Bergbau und Tunnelbau
47
Bild 18: Zusammenhang zwischen dynamischem E-Modul und akustischer Impedanz (P-Welle) der Gesteine und
Baustoffe zur Abschätzung des mechanischen Verhaltens, der Poissonzahl, des statischen E-Moduls sowie der
Verflüssigungsgefährdung bei Wassersättigung und dynamischer Einwirkung
4.2 Bewertung der dynamischen Eigenschaften von Festgesteinen und
Baustoffen
Die zerstörungsfreie Ermittlung der P-(Druck-) und
S-(Scher-) Wellengeschwindigkeit, der akustischen Impedanz (P-Welle), des dynamischen Elastizitätsmoduls
sowie des G- oder Schubmoduls ist sowohl für den wellenmechanischen Vorgang beim Erdbeben bzw. einer
Sprengung als auch für die Beurteilung des Bauraumes,
Untergrundes sowie der Sprengbarkeit des Festgebirges
nach neuesten Erkenntnissen von großer Bedeutung
[11, 12, 16]. Daneben liefern die gesteinsdynamischen
Untersuchungen eine Reihe von Kennwerten der Festgesteine und Baustoffe, die im Rahmen der Beurteilung
der Erdbebeneinwirkung und des Sprengvorgangs auf
die Bausubstanz maßgebend sind. Als Messapparatur
kommt das Ultraschallmessgerät UKS-D, bestehend aus
einem Ultraschallgenerator USG 40 und einem PC-Oszilloskop Pico Scope 3224 von Geotron Elektronik, Rolf
Krompholz, Pirna, seit 7 Jahren zum Einsatz [10, 11].
Zwischen den P- und S-Wellengeschwindigkeiten
gibt es einen eindeutigen Zusammenhang und es können unabhängig von der Bildung sowie Beschaffenheit
alle Materialien objektiv beurteilt werden. Mit steigenden Geschwindigkeiten verbessern sich die Festigkeiten
und das elastische Verhalten nimmt zu. Zwangsläufig
besteht zwischen dem dynamischen Elastizitätsmodul
und dem G-Modul von allen Baustoffen – außer Holz –
und den Gesteinen eine hohe Abhängigkeit (Bild 13).
Die akustische Impedanz (P-Welle) zeigt mit dem
dynamischen E-Modul die im Bild 14 dargestellte
Beziehung. Im komplexen dynamischen E-Modul verbirgt sich das wechselvolle Verhalten von Dispersion
und Absorption bei der Ausbreitung der Wellen [8].
Der frequenzabhängige Wert des dynamischen E-Moduls ist gegenüber dem statischen Modul, der das augenblickliche Deformationsverhalten bei zeitproportional zunehmender Belastung beschreibt, stets größer
und stimmt bei hoher Elastizität überein mit dem statischen E-Modul. Die unterste Grenze des Streubereichs
des dynamischen E-Moduls fällt etwa mit der Größe
des statischen E-Moduls zusammen (Bild 14). Das
mechanische Verhalten von Gesteinen und Baustoffen
kann vereinfacht nach den Angaben des Bildes 18 zugeordnet werden.
Die statistische Bewertung der dynamischen Kennwerte von Gesteinen und Baustoffen belegt, dass die
gesamte Palette der möglichen Materialien voneinander
abhängig ist, zusammengehörende Eigenschaften aufweist und eine objektive Beurteilung des Bruchverhaltens ermöglicht.
4.3 Beziehung zwischen Schwing­
geschwindigkeit und Dehnung auf
Grundlage von in-situ-Messungen
Zwischen der Schwinggeschwindigkeit und der Dehnung gibt es über die Gleichungen (1) und (2) einen
physikalischen Zusammenhang, sodass die Dehnung
neben der Schwinggeschwindigkeit als gleichberech-
Müller, Litschko und Pippig:
Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Bergbau und Tunnelbau
48
tigte Messgröße für Erschütterungen genutzt werden
kann:
σ = ppv × ρG × cP ....................................................... ( 1 )
σ = ε × Estat .................................................................... ( 2 )
Es bedeuten:
σ = Spannung (kN/mm²)
ppv = Schwinggeschwindigkeit (mm/s)
ρG = Rohdichte des Gesteins/des Baustoffs (kg/m³)
cP = P-Wellengeschwindigkeit der Gesteine/Baustoffe (m/s)
ε = Dehnung (mm/m)
Estat = statischer Elastizitätsmodul (kN/mm²)
Die Größe der Dehnung kann hierbei als dynamische
Einwirkung sowohl zur genauen Bewertung einer Schädigung als auch zur Ermittlung der ausgelösten Spannungen direkt verwendet bzw. interpretiert werden [2].
Ist die Bruchdehnung eines Materials bekannt, wird die
Festlegung von Grenzwerten der dynamischen Belastung näherungsweise ermöglicht.
Die Messungen der dynamischen Dehnung mit
dem Faser-Bragg-Gitter-Sensor sind insbesondere im
Nahbereich ≤ 100 m wesentlich genauer als Schwinggeschwindigkeitsmessungen [2, 13].
Die Möglichkeit des statistischen Vergleichs der
Schwinggeschwindigkeits- mit den Dehnungsmessungen gestattet eine objektive Beurteilung der Einwirkungen auf die Bausubstanz, wenn die Bruchdehnungen der
Baustoffe bekannt sind. Aus der akustischen Impedanz
(P-Welle) werden die einaxiale Druck- und Zugfestigkeit der wichtigsten Baustoffe über eine Regressionsbeziehung berechnet und mit den vielseitigen Angaben
aus der Fachliteratur (Bild 17) verglichen [8, 10, 13].
Sind die Zug- und Druckfestigkeiten der Materialien
bekannt, lassen sich mit den Beziehungen (1) und (2)
die unteren Bruchdehnungen ermitteln, bei denen ein
Bruch entsteht. Bei einer Zugbelastung von 0,3 N/mm²
beginnt die Rissbildung im Mörtel, dem geringfestesten
Baustoff (Bilder 16, 17). Aus den Zusammenhängen
der Bilder 13 bis 16 und den Beziehungen (1)/(2) wurden letztlich die Bruchdehnungen abgeleitet (Bild 17).
Mithilfe der messtechnisch gefundenen Beziehung
zwischen εmax und ppvmax (Bild 17) sind die den Dehnungen entsprechenden Schwinggeschwindigkeiten be-
rechnet worden. Auf diese Weise konnten die untersten
Bruchgrenzen von Baustoffen und Gesteinen objektiv
und auf verschiedenen Wegen ausgewiesen werden.
Die berechneten Schwinggeschwindigkeiten gelten für
den Frequenzbereich ≤ 10 Hz. Mit zunehmender Frequenz bei gleicher Schwinggeschwindigkeit nimmt der
Schwingweg für angenommene sinusförmige Schwingungen deutlich ab, sodass bei höheren Frequenzen die
grenzwertigen ppv-Größen deutlich ansteigen [1]. Für
die niederfrequenten Erdbebeneinwirkungen sind die
untersten Grenzwerte des Bilds 17 gültig.
4.4 Unterschiede der dynamischen
Einwirkungen durch anthropogene
Gewinnungssprengungen und
geogene Erdbeben
Das Studium des Erdbebenereignisses vom 17.05.2014
in Nieder-Beerbach zeigt die wesentlichsten Gemeinsamkeiten und Unterschiede der anthropogenen und
geogenen Erschütterungen auf. Erdbeben und Sprengungen sind in einer bestimmten Reaktionsphase wellenmechanische Vorgänge mit einer sonischen Wirkung [11, 12, 13, 16].
Je nach der Größenordnung und Intensität des
Erdbebens wird an der Erdoberfläche eine anisotrope
Ausbreitung von Erschütterungen meist in Form von
Rayleigh-Wellen über dem Erdbebenherd ausgelöst, die
der Bruchfläche in der Tiefe folgen kann (Bild 4). Bei
einer Sprengung sind dagegen die erzeugten Schwinggeschwindigkeitsamplituden auf einen wesentlich kleineren Raum beschränkt (Bild 4). Die Dauer der Einwirkungen ist bei Erdbeben mindestens 2 und mehr
Sekunden messbar (Tabelle 3). Eine Gewinnungssprengung hält in ihrer Erschütterungseinwirkung weniger als 1 s und selten bis 2 s an.
Infolge der flächenhaften Ausbreitung von Schwingungen geraten die Gebäude und Bauwerke ganzheitlich in Bewegung und Erschütterungseinwirkung, sodass charakteristische Riss- und Putzschäden entstehen.
Bauwerksschädigende Einflüsse durch Sprengungen
sind bisher nur im Nahfeld denkbar und belasten die
Bauten einseitig.
Nicht zuletzt sind Erschütterungen durch Erdbeben
stets niederfrequent und solche durch Sprengungen
haben je nach Baugrundverhältnissen Frequenzen von
5 bis 100 Hz. Die Tabelle 5 fasst die Unterschiede der
dynamischen Einwirkungen zusammen.
Tabelle 5: Dynamische Einwirkung von Erdbeben und Gewinnungssprengungen
Art der Einwirkung
Geogenes Erdbeben
Anthropogene Gewinnungssprengung
> 2 s (dauerhafte Erschütterung)
≤ 2 s (kurzzeitige Erschütterung)
Frequenz
< 1 bis 20 Hz
5 bis > 100 Hz
Belastung der Bauwerke
ganzheitlich
einseitig
ohne
Vorwarnung möglich
supersonisch
sub-, trans- bis supersonisch
anisotrop
großflächig
anisotrop,
kleinflächig,
stark gedämpft
Dauer
Vorwarnung
Sonizität
Ausbreitung der Schwinggeschwindigkeiten (Rayleigh-Wellen)
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Müller, Litschko und Pippig:
Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen
Bergbau und Tunnelbau
49
Abschließend sollte erwähnt werden, dass beim Erdbeben zwangsläufig keine quasi-statische Gasdruckphase wie beim Sprengvorgang nach der chemischen Umsetzung des Sprengstoffs stattfinden kann.
Tabelle 6:Beziehung des Schwingweges zur Frequenz und
Schwinggeschwindigkeit (berechnet)
Schwingweg
Schwinggeschwindigkeit
Frequenz
2 mm
~ 90 mm/s
~ 7 Hz
2 mm
~ 126 mm/s
10 Hz
2 mm
~ 251 mm/s
20 Hz
4.5 Ableitung begründbarer
Anhaltswerte für verschiedene
Erschütterungseinwirkungen auf
komplexer physikalischer Grundlage
Zwecks Ableitung der begründbaren Grenzwerte der
Schwinggeschwindigkeit und Dehnung, bei denen an
verschiedenen Baustoffen eines Gebäudes die Rissbildung beginnt, wurde neben der Ermittlung der Bruchdehnung bzw. rissauslösenden Schwinggeschwindigkeit
der Schwingweg berechnet. Die Berechnung ist möglich, wenn man einen sinusartigen Verlauf der Schwingungen annimmt oder in den Kurven beobachtet (Bilder 2 und 3) [1].
Die Ergebnisse zeigen, dass ein Schwingweg von
2 mm, der eine Untergrundbewegung dieser Größenordnung angibt, etwa durch eine Schwinggeschwindigkeit von 90 mm/s bei 7 Hz ausgelöst wird.
Diese 90 mm/s entsprechen einer Bruchdehnung von
157,8 μm/m für den einfachsten Kalkmörtel (Bild 17).
Die Tabelle 6 vermittelt den Anstieg der rissauslösenden Schwinggeschwindigkeit bei zunehmender Frequenz.
Mit steigender Frequenz wird die ankommende
Schwinggeschwindigkeit quasi ungefährlicher, sodass
frequenzabhängige Schwinggeschwindigkeitswerte angegeben werden müssen. Die im Bild 17 angegebenen
Bruchgrenzen für Baustoffe gelten für Frequenzen unter 10 Hz.
In Anlehnung und Weiterentwicklung der Empfehlungen in [13] sowie auf der Grundlage der erarbeiteten Ergebnisse in Nieder-Beerbach werden in den
nachstehenden Tabellen 7 bis 12 tatsächlich zulässige
Anhaltswerte für kurzzeitige und dauerhafte Erschütterungen vorgeschlagen. Die sogenannten „Zeilen“
der DIN 4150, Teil 3 werden sprachlich besser ersetzt
durch die Objektklassen (OK) für Gebäude, Bauwerke,
Verkehrswege, empfindliche Geräte und Rohrleitungen,
geordnet nach dauerhaften (d), > 2 s, und kurzzeitigen
(k), ≤ 2 s, Einwirkungen anthropogener, insbesondere
Sprengerschütterungen. Die in den Tabellen 7 bis 12
Bild 19: Zusammenfassende Darstellung der Auswirkungen von dauerhaften und kurzzeitigen Erschütterungen auf Gebäude sowie Bauwerke
(vgl. Tabellen 7 bis 12)
Müller, Litschko und Pippig:
Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Bergbau und Tunnelbau
50
Tabelle 7: Zulässige Anhaltswerte der Schwinggeschwindigkeit vi und Frequenz für kurzzeitige Sprengungen (≤ 2 s)
über und unter Tage [verändert nach 13]
Tabelle 8: Zulässige Anhaltswerte der Dehnung/Stauchung εmax für kurzzeitige Sprengungen (≤ 2 s) über und unter Tage
[verändert nach 13]
Tabelle 9: Zulässige Anhaltswerte für die Schwinggeschwindigkeit vi zur Beurteilung
der Wirkung von kurzzeitigen Erschütterungen (≤ 2 s) auf erdverlegte
Leitungen [verändert nach 13]
Tabelle 10: Zulässige Anhaltswerte für die Dehnung εmax zur Beurteilung der Wirkung
von kurzzeitigen Erschütterungen (≤ 2 s) auf erdverlegte Leitungen
[verändert nach 27]
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
enthaltenen zulässigen Anhaltswerte gelten nicht für
Untergründe aus:
▶▶ wassergesättigten Torfen (Mooren), Faulschlämmen
oder anderen organischen wasserreichen Lockergesteinen
▶▶ setzungsfließgefährdeten, wassergesättigten Sanden
oder anderen wasserreichen Lockergesteinen oder
▶▶ Untergründen ohne Entwicklung einer S-Wellenfront.
Im Wasser und in Gasen bzw. Luft kann sich physikalisch keine Scherwellenfront aufbauen, sodass in derartigen Medien andere Auswirkungen erwartet werden
(Bild 18).
Das Bild 19 enthält zusammengefasst sowohl die
Ergebnisse für die grenzwertigen Eigenschaften von
Baustoffen bei Erschütterungsbelastung als auch die in
den Tabellen 7 bis 12 aufgeführten zulässigen Anhaltswerte. Im Bild 19 wird ebenfalls zwischen den geogenen und anthropogenen dynamischen Vorgängen vermittelt, um den Zusammenhang und die Unterschiede
aufzuzeigen. Die Schadensfälle und deren Intensität
an den Gebäuden in Nieder-Beerbach werden mit der
Zusammenstellung der wichtigsten Eigenschaften und
den gemessenen Schwinggeschwindigkeiten erklärbar.
Glücklicherweise waren die ausgelösten Schäden in
Müller, Litschko und Pippig:
Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen
Bergbau und Tunnelbau
51
Tabelle 11: Zulässige Anhaltswerte für die Schwinggeschwindigkeit vi zur Beurteilung der Wirkung von
Dauererschütterungen jeder Art auf Bauwerke (> 2 s) [verändert nach 27]
Tabelle 12: Zulässige Anhaltswerte für die Dehnung εmax zur Beurteilung der Wirkung von Dauererschütterungen jeder Art
auf Bauwerke (> 2 s) [verändert nach 27]
allen Fällen reparabel und führten bis auf ungenutzte
Schornsteine nicht zum Abriss von Gebäuden.
Die physikalisch begründeten und durch das Erdbebenereignis sichtbaren Auswirkungen von grenzwertigen Schwinggeschwindigkeiten schaffen sichere
Aussagen zur Festlegung tatsächlich zulässiger Anhaltswerte für Erschütterungseinwirkungen im Bauwesen.
Die Angaben der Tabellen 7 bis 12 sollten genutzt
werden, um die viel zu geringen, empirischen Festlegungen der DIN 4150, Teil 1 und 3 den realistischen
Bedingungen anzupassen. Auf diese Weise wird die
Bohr- und Sprengtechnik wirtschaftlicher und sicherer
gestaltet sowie manche wenig sinnvolle Auflage der Behörden überarbeitet werden können.
Literatur
[1] Aimone-Martin, C. et al. (2014): Tall Structure Response to close in Urban Blasting in New York City. - The
Journal of Explosives Engineering, Vol. 31, Number 4,
July/August 2014, pp. 6 - 15 and 38.
[2] Baumann, I. ; Müller, B. (2000): Neues Messverfahren
für die Erfassung von Sprengerschütterungen und ande-
[3]
[4]
[5]
[6]
[7]
[8]
Müller, Litschko und Pippig:
Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen
ren dynamischen Einwirkungen im Bauwesen. SprengInfo 22 (2): 19 - 32.
Bolt, B. A. (1995): Erdbeben – Schlüssel zur Geodynamik. Spektrum Akad. Verlag Heidelberg, Berlin, Oxford.
DIN 4149 (2011): Bauten in deutschen Erdbebengebieten: Lastannahmen, Bemessung und Ausführung üblicher Hochbauten, Teil 1 (2011) und Teil K Bautenschutz
(2005).
DIN 4150 (1997): Erschütterungen im Bauwesen,
Teil 1: Allgemeine Grundlagen (VA 1997). Beuth Verlag, Berlin.
DIN 4150 (1999): Erschütterungen im Bauwesen, Teil
2: Einwirkungen auf Menschen in Gebäuden ( Juni
1999). Beuth Verlag, Berlin.
DIN 4150 (1999): Erschütterungen im Bauwesen,
Teil 3: Allgemeine Einwirkungen auf bauliche Anlagen
(Februar 1999). Beuth Verlag, Berlin.
Geotechnisches Sachverständigenbüro Dr. Müller
(2014): Ergebnisbericht zur Erfassung und Bewertung
von Bauschäden in Nieder-Beerbach im Zusammenhang
mit dem Erdbeben vom 17.05.2014, 16:46:26 Uhr. Leipzig, 10.10.14 (2 Teile, unveröffentlicht)
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Bergbau und Tunnelbau
52
[9] Grünthal, G. et al. (1998): European Macro Seismic Scale 1998, EMS-98. European Seismological Commission,
Subm. on Engineering Seismology, Working Group Macroseismik Scales, Luxembourg 1998.
[10] Müller, B. ; Pippig, U. (2011): Praktikable geotechnische
Klassifikationen von Festgesteinen und Festgebirgen
für das Bauwesen sowie den Bergbau. Felsbaumagazin,
Heft 1, S. 10 - 31.
[11] Müller, B. ; Pippig, U. (2011): Physikalische Zusammenhänge revolutionieren die Bohr- und Sprengtechnik und
ermöglichen eine statistisch gesicherte Erschütterungsprognose. Felsbaumagazin, Heft 4, S. 253 - 272.
[12] Müller, B. et al. (2013): Umsetzung der sonischen Wirkung bei Gewinnungssprengungen in die Praxis zwecks
Reduzierung von Umwelteinwirkungen. Abschlussbericht Projekt 29049-21/0 gefördert von der DBU. Leipzig, den 31.01.2013. Unveröffentlicht.
[13] Müller, B., Litschko, B. & Pippig, U. (2013): Richtige Erschütterungsprognose – sichere Anhaltswerte. SprengInfo 35 (2013) 2, S. 12 - 23.
Dr.-Ing. habil. Dipl.-Geol.
Bernd Müller
1961 bis 1967 Studium der Geologie an der Bergakademie Freiberg
1967 bis 1969 Assistent des Geologischen Instituts der Bergakademie Freiberg
1969 bis 1977 Geologe und
Geotechniker in der Steine- und
Erden-Industrie
1975 Dr.-Ing. Geotechnik/Felsbau
Geschäftsführung Geotechnisches Sachverständigenbüro
Dr.-Ing. habil. B. Müller
1977 bis 1985 Assistent am Institut für Geotechnik, Hochschule für Verkehrswesen „F. List“ Dresden „facultas docendi“
1985 bis 1990 Hochschuldozent für Ingenieurgeologie an
der TH Leipzig
1986 Dr.-Ing. habil. Geotechnik
1990 bis 1996 Leiter verschiedener Büros
Seit 1996 Selbstständig, Geotechnisches Sachverständigenbüro Dr. Müller, Sachverständiger Sächsisches Oberbergamt
Gutachter Eisenbahnbundesamt Geotechnik, Felsbau, Bodendynamik
Ausbilder Sprengschule Dresden
Kontakt:
Tel.: +49 341 358 70 30
E-Mail: [email protected]
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
[14] Müller, B. & Rossmanith, H. P. (2013): New physical
findings revolutionize the drilling and blasting technologie as well as the prediction of ground vibrations, Part
1: The new drilling model; Part 2: Practical applications
above ground and underground. Blasting in Mines – New
Trends. Ghose & Joshi (Eds.); Workshop hosted by Fragblast 10, New Delhi, India, 24.-25. November 2012; pp.
29-50. CRC Press, Taylor & Francis Group.
[15] Nieder-Beerbach/Freiwillige Feuerwehr (2014): Liste
der am 17.05.2014 durch das Erdbeben geschädigten
Bauwerke und Gebäude (freundlichst vom Ortsvorsteher, Herrn Muth mit der Bebauungskarte übergeben).
[16] Rossmanith, H. P. & Müller, B. (2011): The importance
of sonicity in blasting. Lisbon Conferenz Proc. 2011
Sixth EFEE World Conference on Explosives and Blasting. Ed. Holmberg, R., pp. 401 - 413.
[17] www.simon.hlug.de (2014): Seismisches Monitoring im
Zusammenhang mit der geothermischen Nutzung des
nördlichen Oberrheingrabens (Erdbebenaufzeichnungen).
Dipl.-Geoph. Uwe Pippig
1986 bis 1991 Studium der
Geophysik an der Bergakademie
Freiberg
1991 bis 2000 Wissenschaftlicher
Mitarbeiter im Uran- und Salzbergbau
2000 bis 2010 Projektleiter in verschiedenen Ingenieurbüros
Seit 2010 Wissenschaftlicher
Mitarbeiter im Geotechnischen
Sachverständigenbüro Dr.-Ing. habil. Bernd Müller
Kontakt:
Tel.: +49 341 358 70 30
E-Mail: [email protected]
Dipl.-Geol. Benjamin Litschko
2000 bis 2002 Ausbildung zum Kaufmann im Großhandel
2003 bis 2012 Studium der Geologie/Paläontologie, Universität zu Leipzig
Seit 1. August 2012 Geowissenschaftler Mitarbeiter im Geotechnischen Sachverständigenbüro Dr.-Ing. habil. B. Müller
Kontakt:
Tel.: +49 341 358 70 30
E-Mail: [email protected]
Müller, Litschko und Pippig:
Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen
Bergbau
53
Kasachstan: Streckenauffahrung in großer
Teufe und schwierigem Gebirge
auf einem Chromerzbergwerk
Sergej Hübscher, Franz Stangl, Eugen Hoppe, alle Thyssen Schachtbau GmbH, Mülheim an der Ruhr, Deutschland
Die kasachischen Chromerzlagerstätten zählen
zu den größten und reichhaltigsten Lagerstätten
weltweit. Schwierigen geologischen Bedingungen mit großen Konvergenzen soll durch eine in
Deutschland bewährte Auffahrungstechnik begegnet werden. Hierzu gründeten im Jahr 2011
zwei deutsche Bergbauspezialunternehmen ein
kasachisches Tochterunternehmen und erhielten
im Oktober 2012 einen Auftrag über 4.150 m Streckenauffahrungen. Am 15. August 2013 erfolgte
die erste Sprengung in etwa 900 m Teufe für das
Projekt „Herstellen einer Strecke auf der Sohle
–480 m auf dem Bergwerk „10. Jahrestag der Unabhängigkeit Kasachstans“. Nach einer schwierigen Anlaufphase im Jahr 2013 und einem guten
Start in 2014 konnten bis Mitte April 2015 nahezu
1.250 m Strecke mit Kurven, Bahnhofsbereichen
und Streckenabzweigen aufgefahren werden.
Bergbau • Kasachstan • Erzbergbau • Streckenauffahrung • NÖT
Einleitung
Im Frühjahr 2011 gründeten die Schachtbau Nordhausen GmbH und die Thyssen Schachtbau GmbH die
„TOO Schachtbau Kasachstan“. Hauptziele der Gesellschaft sind:
▶▶ das Teufen von Schächten,
▶▶ das Auffahren von Strecken sowie
▶▶ die Durchführung von Bohr- und Gefrierarbeiten.
Der erste Auftrag konnte im Oktober 2012 mit 4.150 m
Streckenauffahrung für das Chromerzbergwerk Donskoy GOK, Chromtau, Kasachstan, des Unternehmens
TNK Kazchrome akquiriert werden. Der Auftraggeber
Kazchrome, Aktöbe, gehört mit einem Umsatz von
rund 7 Mrd. €/Jahr zu den führenden Exporteuren von
Ferrochrom.
Die kasachischen Chromerzlagerstätten zählen zu
den größten und reichhaltigsten Lagerstätten weltweit.
Die Projektierung, Maschinenakquisition und Mobilisierung von Personal mit anschließender Baustelleneinrichtung wurden unmittelbar nach Auftragserteilung
für das Projekt „Herstellen einer Strecke auf der Sohle
–480 m auf dem Bergwerk „10. Jahrestag der Unabhängigkeit Kasachstans“ aufgenommen (Bild 1). Bereits am
15. August 2013 erfolgte die erste Sprengung in etwa
900 m Teufe. Nach einer schwierigen Anlaufphase im
Jahr 2013 und einem guten Start in 2014 konnten bis
Ende Juni 2014 nahezu 700 m Strecke mit zwei Kurven,
einem Bahnhofsbereich und einem Streckenabzweig
aufgefahren werden. Inzwischen wurden 1.250 Streckenmeter erreicht.
Vertragsabschluss zur
Streckenauffahrung
Nach einem Planungsauftrag zum Teufen eines Schachts
im Jahr 2008 für das Chromerzbergwerk „10. Jahrestag der Unabhängigkeit Kasachstans“ von Donskoy
GOK, einer Beteiligungsgesellschaft der AO „TNK
Kazchrome“ im Nordwesten Kasachstans, gelang es im
Bild 1: Bergwerk „10. Jahrestag der Unabhängigkeit Kasachstans“
Hübscher, Stangl, Hoppe:
Kasachstan: Streckenauffahrung in großer Teufe und schwierigem Gebirge auf einem Chromerzbergwerk
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Bergbau
54
Oktober 2012 bei eben dieser Gesellschaft einen weiteren Auftrag zu gewinnen. Der Einstieg in das Projektgeschäft Kasachstans konnte mit dieser wichtigen Akquisition realisiert werden.
Verständlicherweise sind ein solcher Einstieg, ebenso wie der Neueinstieg in einem anderen fremden Land,
mit zusätzlichen unternehmerischen Risiken und Unwägbarkeiten behaftet. Erklärtes strategisches Unternehmensziel ist es jedoch, in diesem prosperierenden,
rohstoffreichen Land Fuß zu fassen und Projekte unter
Anwendung heimischer Kernkompetenz zu realisieren.
Die Devise ist, Schritt für Schritt das Geschäft aufzubauen und die Eigenheiten und Gesetze des Landes und
die Anforderungen und Ansprüche der Auftraggeber
kennenzulernen.
Werkvertrag – Festvertrag
Ein Werkvertrag darf nach kasachischem Gesetz nur
ein Festvertrag sein und die Vertragssumme sich im Verlauf der Ausführung nicht ändern. Wie soll das gehen,
wenn 4.150 m Strecke in einer Teufe von etwa 900 m in
schwierigem Gebirge aufzufahren, jedoch die geologischen Kenntnisse über die aufzufahrende Strecke sehr
spärlich sind?
Das Vertragswerk wurde so gestaltet, dass diverse Variationen des Gebirges zugelassen und optional definiert
wurden. Die als wahrscheinlich geltende Gebirgsklasse
bildete die Basis des Festpreisvertrages. Abweichungen
von den Normalbedingungen der Ausbruchsklasse 5
wurden in den Anlagen des Vertragswerks geregelt. Der
Werkvertrag wurde Ende Oktober 2012 unterzeichnet.
Bild 2: 14. November 2012: Ortsbrust nördlicher Querschlag nach Westen,
steilstehende diagonale, subparallele Großklüftung mit Harnischen und
Talk-Belag, bisherige Ausbaumethode
Vorbereitungen
Parallel zu den Vertragsverhandlungen wurde ein Kontingent von 51 Mitarbeitern als Expatriates für die
Jahre 2013 bis 2016 beantragt und vom kasachischen
Parlament im Juni 2012 bewilligt. Der Einsatz dieser
deutsch-österreichischen Fachleute bildete die Grundvoraussetzung des Werkvertrags.
Zwischen den Gesellschaftern der TOO Schachtbau Kasachstan wurde eine Beistellungsvereinbarung
erarbeitet und signiert. Damit wurden die Verantwortlichkeiten ähnlich einem ARGE-Vertrag projektbezogen festgeschrieben. Schachtbau Nordhausen übernahm die technische und Thyssen Schachtbau die
kaufmännische Verantwortung dafür, wie die beiden
Gesellschafter ihre Ressourcen der TOO Schachtbau
Kasachstan zum bestmöglichen Gelingen des Projekts
beistellen.
Gebirgsprognose
Die Chromitlagerstätten von Chromtau befinden
sich am südlichen Saum der Ural-Gebirgskette. Die
in der Baugrundsäule beschriebenen Gesteine sind
Gabbro-Amphibolit und ein serpentinisierter Peridotitkomplex. Die Gesteine wurden stark verfaltet, dann
zerschert und mit unterschiedlicher Intensität zerbrochen, also kataklasiert, mylonitisiert oder brekzienartig
verändert.
Die Störungs- und Kluftflächen bzw. Scherklüfte
sind stark ausgebildet. Extreme Druck- und Temperaturbedingungen während der Metamorphose mit
Mineral­um­bildungen der basischen Minerale hatten
unter anderem eine Serizitisierung und Chloritisierung
zur Folge. Das fördert im Gesteinsverband glatte Mineral- und Kluftflächen sowie Mineralausfüllungen mit
niedrigen Reibungswerten.
Die Chromerzlagerstätte ist auch von plattentektonischen Einflüssen betroffen. Ein Großteil der aufzufahrenden Bergwerksstrecken sind in mittel- bis
starkklüftigem Serpentinitgestein mit serizitischen
Kluftfüllungen zu erstellen.
Besonders in Verbindung mit Wasser löst sich der
Gebirgsverband schnell auf und neigt zu Nachbrüchen.
Das Beherrschen der daraus folgenden Konvergenzen
erfordert neue bzw. in Kasachstan bisher eher ungewöhnliche Auffahrtechniken und Sicherungssysteme.
Das bisherige Ausbaukonzept des Kunden mit Stahlbögen und Handsteinverzug bietet nur in Bereichen mit
guten Gebirgseigenschaften längerfristigen Ausbauwiderstand (Bild 2).
Planungsphase – „Das Projekt“
In den ehemals sowjetisch geprägten Regionen werden die Genehmigungsplanung als „P-Phase“ und die
Ausführungsplanung als „RD-Phase“ unterschieden,
gemeinsam als „Das Projekt“ bezeichnet. Im Rahmen
der Genehmigungsplanung war für das akquirierte
Streckenauffahrungsprojekt zunächst das passende Sicherungskonzept für verschiedene Gebirgsklassen zu
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Hübscher, Stangl, Hoppe:
Kasachstan: Streckenauffahrung in großer Teufe und schwierigem Gebirge auf einem Chromerzbergwerk
Bergbau
55
entwickeln. Darauf aufbauend erfolgte die Auswahl
des dafür am besten geeigneten maschinentechnischen
Konzepts.
Donskoy GOK konnte davon überzeugt werden,
dass ein Streckenquerschnitt von knapp 15 m² anstelle
des ursprünglich geplanten, etwa 11 m² großen Querschnitts Voraussetzung für eine qualitativ hohe Auffahr- und Ausbauleistung ist.
Schachtbau Nordhausen erstellte innerhalb von zwei
Monaten als Beistellung für Schachtbau Kasachstan die
Änderungen zur Genehmigungs- und Ausführungsplanung. Im Februar 2013 wurde „Das Projekt“ von drei
Instituten aus Russland und Kasachstan genehmigt und
von Donskoy GOK der Schachtbau Kasachstan schriftlich zur Ausführung freigegeben.
Zwei Querschläge – im Mittelteil reduziert auf eine
Strecke – sind von der bestehenden zur neuen Schachtanlage mit mehreren Verbindungsstrecken herzustellen. Einen Teil der Auffahrungen hat Donskoy GOK
bereits selbst erstellt; davon sind einige Abschnitte wegen zu großer Konvergenzen nicht mehr nutzbar.
Fortan ist auf der Sohle –480 m nur noch Schachtbau Kasachstan mit Vortriebsarbeiten beschäftigt und
Donskoy GOK bedient das Hinterland.
Statische Berechnung
Die Berechnung der Spannungsumlagerungen im Gebirge und der Ausbaubelastungen erfolgen an ebenen
Modellen für aufeinanderfolgende Vortriebs- und Ausbauphasen. Im Streckenausbaumodell wurden folgende
Phasen erfasst:
▶▶ 1. Primärzustand Gebirge
▶▶ 2. Vorentspannung im Ausbruchbereich
▶▶ 3. Teilweise Sicherung
▶▶ 4. Vollständige Sicherung bzw. Auskleidung
Die Berechnung wurde mit der Finite-Elemente-Methode durchgeführt. Mithilfe des Modells können die
Veränderungen der Spannungen, Kräfte und Verformungen auf Grundlage von Steifigkeitsänderungen
während der einzelnen Vortriebsphasen berechnet werden. Als tragende Ausbauelemente werden der Spritzbeton und die radial eingebauten Anker berücksichtigt.
Weitere Ausbauelemente erhöhen die Sicherheit in der
Bauphase.
Bild 3: 10. September 2013: Ein Gebirgsverbund ist nicht mehr erkennbar,
Vortrieb in AKL 7.1 mit Stahlbogen
zepts als Anker-/Spritzbetonausbau nach dem System
der sogenannten Neuen Österreichischen Tunnelbauweise (NÖT). Dadurch können erwartete Konvergenzen geringgehalten werden(Bild 3). Die bisher erzielten Auffahrleistungen bestätigen die Annahmen. Die
Ausbaukonvergenzen bewegen sich im Millimeterbereich.
Das gewählte Konzept ist im heimischen Berg- und
Tunnelbau als Standardkonzept zu bezeichnen. Im kasachischen Bergbau, in dem die Mechanisierung und
Flexibilisierung des Vortriebs- und Ausbausystems im
Streckenvortrieb noch nicht eingeführt ist, stellt das gewählte Maschinen- und Ausbaukonzept jedoch ein NoBild 4: Die ersten Maschinen erreichen die Baustelle
NÖT: Neuartiges Vortriebs- und Ausbau­
konzept im kasachischen Bergbau
Die Anforderung, hohe Vortriebsleistungen mit maximalem Sicherheitsstandard zu gewährleisten, konnte
nur unter Anwendung einer innovativen Technologie
und mit Einsatz eines hochmechanisierten Bohr- und
Sprengvortriebs realisiert werden. Es sollte die Möglichkeit geschaffen werden, mit Anpassungen am Maschinen- und Sicherungskonzept auf etwaige unerwartete geologische Bedingungen kurzfristig reagieren zu
können.
Die gebirgsmechanischen Anforderungen führten
zur Festlegung des Sicherungs- und AuskleidungskonHübscher, Stangl, Hoppe:
Kasachstan: Streckenauffahrung in großer Teufe und schwierigem Gebirge auf einem Chromerzbergwerk
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Bergbau
56
Bild 5: Bohrwagen mit Teleskoplafette beim Ankersetzen
Bild 6: Ladearbeit mit dem Tunnel- und Ladebagger ITC 120
Bild 7: Die 3-Wege-Weiche von Maschinenbau Mark bei einem Streckenquerschnitt
von 15 m²
vum dar. Um die Mechanisierung und Flexibilisierung
ohne nennenswerte Anlaufschwierigkeiten konsequent
umsetzen zu können, wurde eine volle Vortriebsmannschaft aus beiden Mutterhäusern rekrutiert.
Problematisch war die Auswahl des Maschinenparks
für den relativ kleinen Streckenquerschnitt (Bild 4).
Zur Realisierung des Vortriebs unter Einhaltung der
vielfältigen Anforderungen wurde schlussendlich folgender Maschinenpark ausgewählt:
▶▶ Zweiarmiger Bohrwagen Typ AtlasCopco Rocket
Boomer 282 mit zwei Teleskoplafetten(Bild 5): Damit können alle erforderlichen Bohrungen erstellt
werden, auch die Radialanker im kleinen Querschnitt. Die installierte Luft-Wasser-Spülung schont
den Gebirgsverbund und ersetzt zum Teil das Ausblasen der Sprenglöcher.
▶▶ Tunnel- und Ladebagger ITC Terex-Schaeff 120 F4
(Bild 6): Bereißen des freigelegten Gebirges, Laden
des Haufwerks in 4,5 m³ große Bergewagen und Hilfestellung bei der Installation der Gitterbögen sind
die wesentlichen Aufgaben, die wie erwartet erfüllt
werden.
▶▶ Schleppweiche mit drei parallelen Gleisen des Typs
Maschinenbau Mark (Bild 7): Diese kann nah an
der Lademaschine nachgeführt werden. Mit einem
Zugverband von etwa sieben Bergewagen können in
kurzer Zeit jeweils der volle Wagen entfernt und ein
leerer Wagen wieder dem ITC zugeführt werden.
Dazu kann auf dem Mittelgleis die Rangierarbeit für
die Großgeräte erfolgen. Die Rangierarbeit funktioniert zur Zufriedenheit aller.
▶▶ Betonnachmischer von Mühlhäuser (Bild 8): Bei
einem Fassungsvermögen von 3,2 m³ Spritzbeton
werden pro Abschlag ca. drei Einheiten verarbeitet.
Kommt es zu geologisch bedingtem Mehrausbruch,
wird dieser auch mit Spritzbeton verfüllt.
▶▶ Spritzbetontechnik mit der Spritzmaschine Meyco
Altera und dem Spritzmanipulator Meyco Oruga
(Bild 9): Sie passen exakt zu den getroffenen Anforderungen. Besonders der Spritzmanipulator mit
einem bis zu vier Meter ausfahrbaren Spritzarm erlaubt ein beinahe sofortiges Einbringen der Erstsicherung bei schlechten Gebirgsverhältnissen.
▶▶ Stationäre Betonmischanlage des Typs Hartmann
HA MP 1125/750 S: Herstellung des Spritzbetons
in Eigenregie in der Schachthalle mit direkter Gleisanbindung zum Schacht. Die Halle wurde komplett
abgedämmt, um in Verbindung mit Wärmestrahlern auch bei –40 °C Außentemperatur die nötigen
+5 °C sicherzustellen. Die Zuschlagstoffe werden
mit dem Fahrlader und der Zement aus Big Bags in
Vorsilos gefüllt, bevor sie abgewogen dem Mischer
zugeführt werden.
Zwischenbilanz der Projektrealisierung
Nach nur gut neun Monaten Mobilisierungszeit wurde
am 15. August 2013 der erste Abschlag erstellt. Bereits
nach wenigen Tagen wurde eine Störungszone durchörtert, deren Beherrschung bereits fünf Tage in Anspruch
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Hübscher, Stangl, Hoppe:
Kasachstan: Streckenauffahrung in großer Teufe und schwierigem Gebirge auf einem Chromerzbergwerk
Bergbau
57
nahm. Es bestätigte sich sogleich, dass das gewählte
Vortriebskonzept beinahe perfekt auf die schwierige
Geologie abgestimmt ist. Kein Mitarbeiter musste den
gefährdeten Bereich betreten; alle Auffahrungsschritte
konnten maschinentechnisch aus dem gesicherten Bereich heraus ohne Personen- und Maschinenschäden
gelöst werden.
Es wurde dabei bestätigt, wie wichtig es ist, so schnell
wie möglich die Erstsicherung mit einer ca. 5 cm dicken
Spritzbetonlage aufzubringen. Auflockerungen des
Gebirges werden damit frühzeitig vermieden, zudem
wird das Gebirge versiegelt und so vor Feuchtigkeit geschützt.
Trotz Lernphase und widriger Gebirgsverhältnisse konnten bis Dezember 2013 bereits 172 m Strecke
bei Begrenzung der Abschlagslängen auf 1,0 bis 1,5 m
aufgefahren werden. Das entspricht einer Vortriebsleistung von 1,35 m/Tag. In den ersten fünf Monaten
2014 wurde die Leistung auf 3,1 m/Tag gesteigert. Der
im Jahr 2014 aufgefahrene Streckenabschnitt hatte
eine günstigere Geologie und überwiegend eine gerade
Streckenführung. In diesen fünf Monaten wurden aber
auch ein Bahnhofsbereich und ein Streckenabzweig sowie 25 % der Auffahrung in der von den Normalbedingungen abweichenden Ausbruchsklasse 6 erstellt. Die
Tagesleistung hängt wesentlich von der Geologie und
der Streckenführung ab.
„Wir haben eine sehr motivierte Mannschaft
(Bild 10). Unser Streckenausbausystem ist sicher und
genügt unter gebirgsmechanischen Gesichtspunkten
höchsten Ansprüchen. Die Bergleute befinden sich zu
keinem Zeitpunkt in einem ungesicherten Bereich,“ resümiert der verantwortliche Reviersteiger Sergej Hübscher.
Bis April 2015 sind nun insgesamt 1.250 m Strecke
im Bohr- und Sprengbetrieb mit gleisgebundener Logistik aufgefahren und „TOO Schachtbau Kasachstan“
ist zuversichtlich, den im Jahr 2017 avisierten Durchschlag zum Nachbarschacht ohne nennenswerte Komplikationen und Schwierigkeiten planmäßig realisieren
zu können.
Bild 8: Der erste Betonnachmischer unter Tage am 15. August 2013
Bild 9: Spritzmanipulator Typ MEYCO Oruga mit Teleskoparm bei der Erstsicherung
Bild 10: Durchschlag zur Nordstrecke nach 666 m Auffahrung am 5. Juli 2014
Fazit
Die kompetenteder Mannschaft und das gewählte
Vortriebs- und Sicherungskonzept haben sich in dieser
doch äußerst schwierigen und anspruchsvollen Geologie in den Ausläufern des Uralgebirges vollumfänglich
bewährt. Weiteres Optimierungspotenzial zur stetigen
Leistungssteigerung auszuschöpfen ist Aufgabe der Betriebsleitung, die bereits erfolgreich daran arbeitet.
Mit dem auf der Neuen Österreichischen Tunnelbaumethode (kurz als „NATM“ bezeichnet) basierenden Ausbausystem, das selbstbohrende Anker und
stahlfaserbewehrten Spritzbeton sowie Gitterbogenausbau resp. Stahlbogenausbau beinhaltet, konnte ein
für den gesamten post-sowjetischen Raum fortschrittliches und neuartiges Streckenausbausystem auf dem
Chromerzbergwerk von Kazchrome erfolgreich implementiert werden.
Hübscher, Stangl, Hoppe:
Kasachstan: Streckenauffahrung in großer Teufe und schwierigem Gebirge auf einem Chromerzbergwerk
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Bergbau
58
Dipl.-Ing.
Sergej Hübscher ·
Dipl.-Ing.
Eugen Hoppe
Dipl.-Ing. Sergej
Hübscher ist seit
2007 bei Thyssen
Schachtbau GmbH
als Reviersteiger
und nach seiner
Rückkehr von der
Schachtbaustelle in
Norilsk ab dem Jahre
2012 für das Projekt
der Streckenauffahrung zuständig, wo er in
einem Schichtwechsel „ON/OFF“ 6 Wochen zu
2 Wochen federführend die Vortriebsarbeiten
leitet.
Dipl.-Ing. Eugen
Hoppe begann im
Jahr 2012 – nach
dem Abschluss seiner
Hochschulausbildung
an der TFH Georg
Agricola – bei der
Thyssen Schachtbau
GmbH in dem Projekt
Streckenauffahrung
in Kasachstan seinen beruflichen Werdegang.
Er ist vor Ort für die Überwachung der technologischen Vorgänge beim Streckenvortrieb als
führender Ingenieur-Technologe zuständig.
Kontakt:
Kontakt:
[email protected]
[email protected]
Dipl.-Ing.
Franz Stangl
Dipl.-Ing. Franz Stangl
zählt zu den erfahrensten Mitarbeitern
im Auslandsgeschäft
der Thyssen Schachtbau GmbH. Er hat das
in diesem Beitrag beschriebene Projekt als
stellvertretender Generaldirektor aufgebaut
und bis zu seiner Pensionierung Ende 2014 aus
Deutschland, aber auch vor Ort, geleitet.
GeoResources Zeitschrift 1 | 2015
www.georesources.net
Hübscher, Stangl, Hoppe:
Kasachstan: Streckenauffahrung in großer Teufe und schwierigem Gebirge auf einem Chromerzbergwerk

Documentos relacionados