leseprobe - Edition Temmen
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Hannovers Stadtgeschichte Um 950 Die ersten mittelalterlichen Siedlungskerne entstehen. Um 1150 Hannover wird erstmals schriftlich erwähnt, in der Schrift Miracula Sancti Bernwardi (»Die Wunder des Heiligen Bernward«). Es heißt, ein »Mädchen aus Hannover« sei am Grab Bernwards von einem Augenleiden geheilt worden. 1163 Hannover wird erstmals in einer Urkunde erwähnt: in einem Dokument Heinrichs des Löwen. 1308 Hannover hat etwa 2500 Einwohner. Der Rat legt fest, dass jeder Bürger, der jemanden »an die Ohren schlägt oder mit einem Stock verletzt«, für ein halbes Jahr die Stadt verlassen muss. 1315 Der Rat der Stadt erlaubt die Errichtung eines Schulgebäudes an der Marktkirche. Um 1350 Die drei gotischen Kirchen Marktkirche, Aegidienkirche und Kreuzkirche werden errichtet. 1375 Hannover erhält das Recht, Juden aufzunehmen und sie zu besteuern. Juden bekommen das Wohnrecht, nicht aber das Bürgerrecht. 1241 Herzog Otto das Kind bestätigt Hannovers Stadtrechte und verleiht neue. Der 26. Juni gilt als Gründungstag der »Stadt in Hannover« 1436 Erneut bricht die Pest aus. Der (auf Lateinisch »civitas in honovere«). Rat verfügt, alle Schweineställe auf Erstmals wird der Rat der Stadt den Straßen abzureißen. erwähnt. Um 1500 Die Stadt hat etwa 5000 1267 Zum ersten Mal nennt eine Einwohner. Urkunde die »schola in honovere«, den Vorläufer des Ratsgymnasiums. 1533 Hannover Die Schule lehrt Latein, Sprechen und wird evangeSchreiben sowie lisch: Zahlreiche Gesang. Arme Bürger schwören Kinder finanzieren auf dem Marktihr Schulgeld durch platz, der Refordas Singen in mation Martin Bettelchören. Luthers zu folgen. Dem Landesherrn zahlt die Stadt 4000 Gulden, damit er 1292 Erstmals erwähnt ein Dokument, die Reformation nicht behindert. Der dass sich ein Jude in Hannover aufhält. katholische Rat flieht; 1534 wird ein evangelischer Rat gewählt. 10 1588 Der Rat verfügt, dass nur noch Protestanten in Hannover leben dürfen. 1598 Eine Schulordnung verbietet Glücksspiel, Baden im Freien, Schneeballwerfen sowie das Tragen bunter Kleider. (1708 wird eine neue Schulordnung erlassen; nun sind u.a. Lüge, Naschsucht und mangelnde Reinlichkeit verboten.) 1636 Herzog Georg von Calenberg erklärt Hannover zu seiner Residenz. Zum letzten Mal tritt die Pest auf. 1666 Der Große Garten in Herrenhausen entsteht; 1676 zieht Gottfried Wilhelm Leibniz nach Hannover. 1692 Hannover wird Kurfürstentum. Kurfürstin Sophie wird 1701 Zweite in der englischen Thronfolge. 1714 Kurfürst Georg Ludwig besteigt als König Georg I. den britischen Thron: Beginn der Personalunion zwischen Hannover und Großbritannien. 1803 Französische Truppen besetzen das Kurfürstentum Hannover (bis 1813). Hannoversche Soldaten fliehen nach England und kämpfen dort gegen Napoleon. In der Schlacht bei Waterloo 1815 tragen sie zum Sieg gegen Napoleon bei. 1814 Hannover wird Königreich. Die Stadt zählt etwa 33.000 Einwohner. 1837 Die Personalunion zwischen Hannover und Großbritannien endet. Protest der Göttinger Sieben gegen die Aufhebung der Verfassung. 1842 Die Juden werden den anderen Bürgern gesetzlich gleichgestellt. In der heutigen Roten Reihe entsteht 1864 – 70 eine große Synagoge. 1845 Die Schulpflicht wird eingeführt. 1866 Preußen annektiert das Königreich Hannover. Hannover wird Hauptstadt der neuen preußischen Provinz Hannover. 1873 Hannover hat erstmals 100.000 Einwohner und wird Großstadt. 1914 Am 10. Juni wird die Stadthalle eingeweiht, ein Jahr nach dem Neuen Rathaus. 1925 Am 15. April wird der Serienmörder Fritz Haarmann hingerichtet. 1929 Das Wappen der Stadt Hannover erhält seine heutige Form: Es zeigt eine silberne Mauer mit zwei Zinnentürmen, zwischen denen ein goldener Löwe steht. Unter einem Fallgitter prangt ein Kleeblatt (oder eine grüne Marienblume). Das Wappen geht auf ein Siegel aus dem 13. Jahrhundert zurück. 1933 In Deutschland gelangen die Nationalsozialisten an die Macht. Auch in Hannover werden Juden sowie SPD- und KPDAnhänger verfolgt; es kommt zu Bücherverbrennungen. 1938 Am 9. November werden 27 jüdische Geschäfte, 94 Wohnhäuser sowie mehrere Synagogen zerstört. Abschiebung aller Sinti und Roma, kurz darauf auch aller Juden (die noch nicht geflohen waren). 1945 Am 10. April besetzen USTruppen die stark zerstörte Stadt. Ab Mai gehört Hannover zur britischen Besatzungszone. 1945 Kurt Schumacher erreicht am 1. Dezember die Wiederzulassung der SPD im Stadtgebiet Hannover. Damit beginnt der Wiederaufbau der SPD in den westlichen Besatzungszonen. Am 1. November wird in Hannover das Land Niedersachsen gegründet. 1954 Auf einem großen Trümmerberg wird das Niedersachsen-Stadion eröffnet. Hannover 96 wird Deutscher Fußballmeister. Seit 2004 heißt das Stadion nach seinem Sponsor »AWD-Arena«. 1972 Herbert Schmalstieg (SPD) wird mit 28 Jahren Hannovers jüngster Oberbürgermeister. Das Amt hat er bis 2006 inne. Hier siehst du ihn mit seiner goldenen Amtskette. 2000 Die Weltausstellung Expo 2000 lockt 18 Millionen Menschen in die Leinestadt. 2001 Aus der Stadt Hannover und ihrem ehemaligen Landkreis entsteht die Region Hannover. 2010 Die Hannoveranerin Lena siegt im Eurovision Song Contest. 2010 Erstmals erfährt eine breite Öffentlichkeit von der Existenz des »Goldenen Briefes«, den der birmanische König Alaungpaya 1756 an König Georg II. schickte – in einem ausgehöhlten Elefantenstoßzahn! Der Asiate bot Georg II. in dem mit Rubinen verzierten Schreiben einen befestigten Handelsstützpunkt an. 2012 Das wieder errichtete Herrenhäuser Schloss soll eröffnet werden. 11 Das Neue Rathaus – prächtig wie ein Schloss Das Neue Rathaus von Hannover ist groß und prächtig wie ein Schloss. Seine Eingangsfront ist 129 Meter lang, seine Kuppelspitze ragt 97,67 Meter in die Höhe. Von 1901 bis 1913 wurde das Rathaus außerhalb des alten Stadtkerns in der Aegidienmasch errichtet. Um den sumpfigen Boden bebauen zu können, rammte man 6026 Buchenpfähle in den Untergrund. Darauf goss man ein meterdickes Betonfundament. Gebaut wurde das Neue Rathaus im Stil des Historismus. Das bedeutet, dass der Architekt keinen neuen Stil verwendete, sondern auf vergangene (= historische) Bauformen zurückgriff. Deshalb wirkt das Neue Rathaus von außen wesentlich älter als 100 Jahre. Mit seinen drei Flügeln erinnert es zudem an ein Schloss der Barockzeit. Andere Stil elemente entstammen der Spätgotik und der Renaissance. Am 20. Juni 1913 wurde das Neue Rathaus im Beisein von Kaiser Wilhelm II. feierlich eröffnet. Zehn Millionen Reichsmark hatte der Bau gekostet. »Alles bar bezahlt, Majestät«, soll Stadtdirektor Heinrich Tramm dem Kaiser stolz gesagt haben. Seither gilt das Neue Rathaus als ein Wahrzeichen Hannovers. Der Platz vor dem Rathaus heißt heute Trammplatz. Kurt Schwitters schrieb 1920: »Das Rathaus gehört den Hannoveranern – und das ist doch wohl eine berechtigte Forderung.« 12 Wie ein in Stein gemeißeltes Bilderbuch: Über die gesamte Eingangsfassade verläuft ein Bilderfries, der Sagen und Anekdoten aus der Geschichte Hannovers zeigt, wie die Geschichte vom blinden Mädchen oder die Residenz nahme 1636 durch Georg von Calenberg. Die erste Steintafel auf der rechten Seite blieb leer: Hier sollte ein Besuch von Kaiser Wilhelm II. gezeigt werden. Wegen des Ersten Weltkriegs ab 1914 und der Ausrufung der Republik 1918 kam es nicht mehr dazu. Hast du eine Idee für die leere Steintafel? Dann zeichne sie hier. Die balkonartige Ratslaube ist von zwei Statuen auf hohen Säulen eingerahmt: rechts steht die Hannovera mit der Marktkirche, links die Germania mit einem Schwert in der Hand. Sie verdeutlichen die Einbindung des Königreichs Hannover (= Hannovera) in das Deutsche Reich (= Germania). Die Spitze des Uhrengiebels ist mit Kronos’ Kopf geschmückt (dem Vater des griechischen Gottes Zeus) sowie zwei Delfinen und zwei Füllhörnern. Seit der Antike symbolisieren Delfine Intelligenz und Menschenfreundlichkeit, Füllhörner stehen für Fülle und Fruchtbarkeit. Direkt neben der Uhr befinden sich zwei Posaunenengel. Während der östliche Engel musizierend die Sonne begrüßt, betrachtet der westliche Engel das Versinken des Himmelskörpers zur Nacht. Unter ihnen zeigen der welfische Löwe und das Sachsenross ihre ganze Kraft. Der Haupteingang ist von zwei mächtigen Löwen flankiert. Viel öfter als die schattige Nordseite wird die sonnige Südfassade des Neuen Rathauses fotografiert. Kuppel und Kuppelhalle Die Kuppel des Neuen Rathauses ist in Deutschland einmalig. Kein anderes deutsches Rathaus wird von einer Kuppel gekrönt! Der Architekt des Kuppelbaus war Hermann Eggert. Ganz wichtig war den Stadtvätern, dass die Kuppel »ihres Rathauses« höher war als die des Reichstagsgebäudes in Berlin. Das war kurz zuvor erbaut worden (1884 – 94) und besaß eine Kuppelhöhe von knapp 75 Metern. Die Kuppelspitze des Neuen Rathauses war mehr als 20 Meter höher! Wenn du das Rathaus betrittst, gelangst du erst in die schöne Vorhalle. Hier befindet sich die Rathaus-Information. Nur wenige Schritte weiter öffnet sich die riesige, 38 Meter hohe Zentralhalle, auch Kuppelhalle genannt. In ihrer Mitte erhebt sich eine große Freitreppe. Auf ihr findet alljährlich die Verpflichtung der vier Bruchmeister statt ( Schützenfest). Nach den heftigen Bombardements von 1943 diente der Kuppelsaal als Lazarett und als Markthalle. 1946 wurde hier das Land Niedersachsen ausgerufen. Aufregend ist die Fahrt mit dem Bogenaufzug. Der an Seilen aufgehängte Fahrstuhl ist weltweit einzigartig, denn er verläuft bogenförmig. Das heißt, er folgt der Wölbung der Kuppel und verändert seine Neigung um 15 Grad. Im April 2008 wurde der alte Fahrkorb durch einen neuen ersetzt. Mutige Fahrgäste können durch eine Glasplatte in die Tiefe schauen. Oben angekommen hat man eine tolle Sicht auf Hannover und seine Umgebung – bei gutem Wetter sogar bis zum Harz! 14 Vier große Stadtmodelle zeigen Hannover zu verschiedenen Zeiten: im Mittelalter (1689), vor dem Zweiten Weltkrieg (1939), nach dem Krieg (1945) und heute. Siehst du die Marktkirche? Und den Beginenturm? Findest du die Wappen von Hannovers Partnerstädten? Wie heißen sie? seit 1947 seit 1960 seit 1966 seit 1967/68 / seit 1979 seit 1987 seit 1983 Wo regiert der Oberbürgermeister? Seit 1946 ist das Zimmer 103 im ersten Obergeschoss das Dienstzimmer des Oberbürgermeisters. Es verfügt über eine runde Ausbuchtung, genannt Rotunde, die durch zwei Säulen vom übrigen Raum abgetrennt ist. Ihre Holzvertäfelung stammt von 1913, ebenso der prachtvolle Schreibtisch mit Holzeinlegearbeiten (Intarsien). Bis 1918 hieß der Oberbürgermeister übrigens Stadtdirektor. Das Zimmer des Oberbürgermeisters ist stets im Visier des bronzenen Bogenschützen, der am Trammplatz steht. 1909 erhielt der Architekt Gustav Halmhuber den Auftrag, das Innere des Neuen Rathauses auszuschmücken. Er tat dies im Jugendstil. Typisch für diese Kunstrichtung sind Blumen, Ornamente und geschwungene Linien. Auch Kinder wurden gern dargestellt, ebenso lustige Figuren wie dieser Harlekin, der die Tür zum Gobelinsaal ziert. Das Neue Rathaus verfügt über 287 Bürozimmer. Darüber hinaus gibt es fünf Sitzungssäle, sieben Besprechungsräume, eine Küche, eine Kantine, mehrere Lager und Archive, das Gartensaal-Restaurant sowie eine Hausmeisterwohnung. Der Hausmeister ist der einzige Mensch, der im Rathaus wohnt. Streng geheim ist der Zugang zum Tresorraum: In seinen Panzerschränken werden das städtische Schützensilber und die Goldenen Bücher (Gästebücher) aufbewahrt. Drei Säle sind weitgehend original erhalten: der Hodlersaal, der Mosaiksaal und die Rats stube. Du kannst sie bei einer Führung besichtigen. Der berühmteste Saal ist der Hodlersaal. Er ist nach dem Schweizer Maler Ferdinand Hodler benannt, der das 15 mal 5 Meter große Gemälde namens »Einmütigkeit« schuf. Es zeigt, wie sich Hannovers Bürger am 26. Juni 1533 auf dem Marktplatz zur evangelischen Lehre bekannten. Über der Eingangstür zum Hodlersaal steht der Sinnspruch: »Nur der Lebendige beherrscht das Leben.« Als Erster trug sich Kaiser Wilhem II. 1913 in das Goldene Buch der Stadt ein. Mehr als 1000 Politiker, Künstler und Sportler folgten. Heute ist schon Band III in Gebrauch. Sogar »Lucky Luke« ist hier verewigt, gezeichnet vom Cartoonisten Morris, sowie die Sängerin Lena. Am Tag der Offenen Tür darfst du die Bücher anschauen. Ganz in der Tiefe liegt ein Zivilschutzbunker. Hier fanden Rathausmitarbeiter während des Zweiten Weltkriegs Zuflucht. 15 Das Alte Rathaus Gegenüber der Marktkirche steht Hannovers Altes Rathaus. Es wurde ab 1410 erbaut und mehrfach umgestaltet. Der 1565 errichtete Apothekenflügel an der Köbelinger Straße wurde 1844 abgerissen und durch einen Neubau ersetzt, der an einen italienischen Palast erinnert. Der Erbauer dieses »italienischen Palastes«, Heinrich Andreae, hätte das Rathaus am liebsten ganz abgerissen. Doch die Hannoveraner protestierten dagegen. Daraufhin wurde das Rathaus 1877 – 91 umfassend restauriert. Die Pläne dafür lieferte der Architekt Conrad Wilhelm Hase. 100 Jahre später wurde das Rathaus noch einmal umgestaltet: Nun gibt es im Innern einen gläsernen Lichthof mit Geschäften und einem Restaurant. Die Stadt verwaltung war bereits 1863 in das Wangenheim-Palais und 1913 in das Neue Rathaus übergesiedelt. Hannovers erstes Rathaus wurde schon 1236 errichtet. In dem Gebäude tagte nicht nur der Stadtrat, es gab auch einen Weinkeller, einen Tanzsaal, ein Gefängnis und einen Teil, der als »Kaufhaus« diente. Hello Max! Backsteinbauten kommen hier häufig vor, weil es wenig Naturstein gibt. Deshalb stellte man im Mittelalter die Steine selbst her: Man backte sie aus Lehm, denn Lehm war reichlich vorhanden. Zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert war die vorherrschende Bauweise in ganz Norddeutschland die Gotik. Gotische Bauten sind sehr schlank und spitz. Ihre Fassaden sind häufig mit Ornamenten versehen, wie beim Alten Rathaus. Deshalb ist es ein gutes Beispiel für die norddeutsche Backsteingotik. Weiter südlich findet man kein Bauwerk dieser Art mehr! Hi Henry! Warum gibt es in Norddeutschland so viele Backsteinbauten? Und was ist eigentlich die Backsteingotik? 16 In etwa drei Meter Höhe läuft ein Tonfries um das Alte Rathaus. Die 61 Reliefs entstanden zwischen 1410 und 1504 und zeigen Heilige, Fürsten, Wappen – sowie das Luderziehen, ein mittelalterliches Volksspiel. Dabei ringen zwei Männer mit einander, während ihnen Zuschauer die Hosen herunterziehen! Besonders hübsch sind die gotischen Treppengiebel. Die ehemalige Gerichtslaube kannst du noch gut erkennen. Hier sprachen die Ratsherren im Mittelalter Recht. Ganz in der Nähe wurden Straftäter an den Pranger gestellt. Heute regnet es hier Reis und rote Rosen, da in der Nähe das Standesamt angesiedelt ist. Neben der Laube befindet sich ein eingemauerter Fratzenkopf. Früher glaubte man, mit furchterregenden Köpfen von Fabelwesen, Tieren oder Menschen böse Geister fernhalten zu können. Diese Fratze zählte zu den sieben Wahrzeichen Hannovers, die Handwerks gesellen auf ihrer »Wanderschaft« gesehen haben mussten. 17 Wann zog der Landtag ins Leineschloss? In der Leinstraße errichtete Herzog Georg von Calenberg ab 1637 das Leineschloss. Es war zunächst ein schlichter Fachwerkbau. An der Stelle hatte sich früher ein Kloster befunden, dessen Kirche nun zur Hofkapelle umgebaut wurde. Herzog Johann Friedrich erweiterte das Schloss und erbaute eine Hofbibliothek, die Gottfried Wilhelm Leibniz ab 1676 betreute. Leibniz wohnte damals auch im Schloss. 1680 bezog Herzog Ernst August das Schloss. Seine Ehefrau, die spätere Kurfürstin Sophie, war nicht begeistert: Sie fand das Haus »schmutzig« und »schrecklich«. Doch ihr Mann gestaltete es um: Er errichtete ein hölzernes Hofopernhaus, das mit 1300 Plätzen eines der größten Europas war, und einen prächtigen Rittersaal, in dem rauschende Feste gefeiert wurden. Den Saal zierten schwere Kristall lüster und viele Gemälde, die die welfischen Ahnen zeigten. Die Bilder hatte Leibniz ausgesucht. Durch den Schlosshof führte nun ein öffentlicher Weg zur Neustadt, der tagsüber von allen Hannoveranern benutzt werden konnte. 1803 machten die französischen Besatzer aus dem Schloss eine Kaserne für 3000 Soldaten. Möbel und Gemälde wurden geplündert. Das Leineschloss verfiel. 1817 begann Hofbaumeister Laves, das Schloss umzubauen. Er schuf den Portikus an der Leinstraße sowie den Wintergarten an der Leineseite. Den Wintergarten hatte sich Königin Friederike gewünscht; heute arbeitet hier der Landtagspräsident. Das Hofopernhaus wurde 1854 abgerissen, an seiner Stelle steht das heutige Plenarsaalgebäude. Wenn die deutschen Kaiser nach der Reichsgründung 1871 Hannover besuchten, wohnten sie im Leineschloss. Insgesamt 21 Mal nächtigte Kaiser Wilhelm II. hier. Kaiser und Kaiserin besaßen eigene Wohn- und Schreibzimmer. 1898 wurden erstmals Badezimmer eingebaut – die gab es dort bis dahin nicht! 18 Kinder und Jugendliche können den Landtag besuchen und mit Abgeordneten diskutieren. Anmeldung Tel. 3030-2045 Ein US-amerikanischer Bombenangriff legte am 26. Juli 1943 das Leineschloss in Schutt und Asche. Zwischen 12:05 und 12:15 Uhr wurde es an etwa 100 Stellen getroffen. Nur wenige Möbel und Gemälde konnten gerettet werden. In luftiger Höhe befinden sich am Plenarsaalgebäude drei Fahnenträger, gestaltet vom Bildhauer Jürgen Weber. Sie sollen den Sonnenwind, den Sturmwind und den Regenwind darstellen. Ab 1958 wurde das Schloss wiederaufgebaut – zumindest seine Fassade. Im Inneren wurde alles neu gestaltet: Die alten Säle existieren nicht mehr. Nach Plänen des Architekten Dieter Oesterlen wurde 1962 das Plenarsaalgebäude hinzugefügt, im selben Jahr zog der Niedersächsische Landtag in das Schloss. Im holzgetäfelten Plenarsaal versammeln sich seither die 152 Landtagsabgeordneten. Ihre Bänke sind halbkreisförmig um das Rednerpult angeordnet. An einer Art Baldachin prangt das Niedersachsenross. Am 16. März 2010 beschlossen die Abgeordneten der CDU und SPD, das Plenarsaalgebäude abzureißen und stattdessen ein neues Gebäude zu errichten – obwohl der Bau denkmalgeschützt ist. Viele Hannoveraner sind gegen diesen Abriss und protestieren mit »Rote-Punkt«-Aufklebern. Sie erinnern damit an die »Rote-Punkt-Aktion« von 1969. Das Leineschloss bietet nicht genug Platz für alle Mitarbeiter des Landtags. Seit 1984 werden daher Räume im gegenüberliegenden Gebäude genutzt. Es ist mit dem Schloss durch einen unterirdischen Gang verbunden. Das Parlament eines Bundeslandes nennt man . Der Vorsitzende dieses Parlaments heißt präsident. Die niedersächsischen Landtagsabgeordneten werden alle fünf Jahre gewählt (zuletzt 2008). Sie kontrollieren die Arbeit der Landesregierung. Der Chef der Landes regierung ist der präsident. 19