Schwalben, Fouls und Meckereien - h

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Schwalben, Fouls und Meckereien - h
Schwalben, Fouls und Meckereien
Von wegen Fairplay:
In Fußballvereinen lernen Jugendliche vor allem geschickt den Schiedsrichter zu hintergehen
Von Marcus Anhäuser
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Das wäre fair gewesen: Zuzugeben, dass es nicht die „Hand Gottes“ war, sondern seine eigene.
Stattdessen hält sich Diego Maradona 1986 im WM-Viertelfinale gegen England bedeckt. Der
Schiedsrichter hat nichts gesehen und gibt Maradonas irreguläres Tor zum 1:0. England verliert
2:1, Argentinien besiegt im Finale Deutschland und wird zum zweiten Mal nach 1978 Weltmeister. Der kleine Argentinier ist der Held der WM und wird für seine Schlitzohrigkeit bewundert.
„Fairness heißt, fair spielen und wenn es sein muss foulen.“ Das sagte nicht Maradona. Es war
auch nicht die Antwort eines ausgebufften Fußballprofis vom FC Bayern München oder von
Schalke 04. Das ist die Definition eines 14-jährigen Jugendspielers einer niedersächsischen
Bezirksklasse. Wer bisher geglaubt hat, im Fußballverein würden Jugendliche zu fairem Verhalten erzogen, den belehrt jetzt eine im Bundesgesundheitsblatt veröffentlichte Studie eines Besseren (Bd. 48, S. 881, 2005): Je länger die Nachwuchskicker im Verein spielen, desto mehr verabschieden sie sich von der Idee des Fairplay, wie die Befragung von über 4500 Jugendfußballern
belegt.
Der Druck der Eltern
Das Ergebnis überrascht, weil Politiker und Pädagogen Sport in Vereinen und Verbänden seit
jeher als Ort preisen, an dem Jugendliche „Toleranz, Streitanstand und Regelakzeptanz“ lernen,
wie es Manfred von Richthofen, der Präsident des Deutschen Sportbundes, ausdrückte. Andere
bezeichnen Sport als „Königsweg in der Sucht- und Gewaltprävention“ und als „Schutzimpfung
gegen Jugendkriminaliät“.
Schon vor vier Jahren holte eine Studie der Universität Paderborn die Vereinsmeier in die Realität zurück. Damals ging es um den Konsum von Drogen. „Bei Bier und Zigaretten sind Vereinsfußballspieler Spitzenreiter“, zerstörte der Sportwissenschaftler Wolf Dieter Brettschneider
seinerzeit die Illusion. Bei illegalen Drogen mache es keinen Unterschied, ob Jungs in einem
Verein spielen oder nicht. Brettschneider forderte schon damals von den Verantwortlichen mehr
Sinn für die Realität. Nun zeigt sich: Auch als Erziehungsanstalt zu mehr Fairplay scheint der
Fußballverein ein Mythos zu sein.
„Fairplay bedeutet im eigentlichen Sinn mehr als nur die Regeln einzuhalten" , sagt der Sportwissenschaftler Günther Pilz, der die Ergebnisse der Befragung im Rahmen des niedersächsischen Fairplay-Cups zusammengefasst hat. Diese klassische Vorstellung von fairem Spiel haben
auch Kinder und Jugendliche, wenn es nicht um sportliche Hochleistungen geht: „Fairness ist,
wenn die guten Spieler die schlechten mit einbeziehen. Wenn jemand etwas schlechter kann,
dann soll man ihn nicht als Versager abstempeln, denn er hat das geleistet, was er kann“, klingt
es aus dem Kindermund und auf den Bolzplätzen der Republik. Das entspricht ganz dem Ethos,
das englische Adlige einst im viktorianischen England ins Spiel brachten.
Doch je länger Jugendliche im Verein spielen, desto mehr wandelt sich ihre Vorstellung. „Fairplay wird immer mehr eingeschränkt auf die Absicht, ,fair zu foulen', das heißt, seinen Gegner
nicht zu verletzen“, sagt Pilz, der Mitglied der DFB-Kommission Gewaltprävention ist und an
der DFB-Arbeitsgruppe Fair Play teilnimmt. Von den B-Jugendspielern (14 bis 16 Jahre), die
weniger als sieben Jahre im Verein waren, stimmten 38,5 Prozent folgendem Satz zu: „Man
muss gewinnen, auch mit Fouls.“ Waren sie länger als neun Jahre dabei, unterstrichen diesen
Satz 50 Prozent. Für ein „faires Foul“ plädieren von den Anfängern 17 Prozent, bei den Erfahrenen sind es über 26 Prozent. „Bereits in der B-Jugend lernen die Jugendlichen im Verein, dass
es im Interesse des Erfolgs wichtig und richtig ist, Regeln zu verletzen", sagt Pilz.
Jugendspieler mit einem klassischen Fairness-Verständnis bleiben in dem rauer werdenden
Klima im Laufe einer Karriere im Sportverein offenbar auf der Strecke. Anzeichen dafür finden
Pilz und seine Kollegen in den Aussagen vieler Spieler: „Jugendliche haben sich beklagt, dass
der Spaß mehr und mehr verloren geht.“
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Das verwundert nicht, denn schon Sechs- bis Zehnjährige müssen sich auf dem Sportplatz Beschimpfungen ihrer Eltern anhören, wenn der Erfolg auszubleiben droht: „Bewegungslegastheniker“ oder „Spiel endlich richtig, du Kackarschmongole“ haben die Wissenschaftler protokolliert. Die Stimmung überträgt sich auf den Platz - je älter die Spieler und je stärker der Erfolgsdruck in den höheren Ligen, desto mehr. Provozierte in der C-Jugend (12 bis 14 Jahre) nur jeder
Zweite den Gegenspieler mit Worten, waren es in der B-Jugend Bezirksliga rund 60 Prozent, in
der höheren Landesliga sogar 63 Prozent der Befragten.
Neben den Eltern, sieht Pilz vor allem die Trainer in der Pflicht: „Anstatt Fairness zu lernen,
wird vielen Jugendlichen in den Vereinen oft das Gegenteil vermittelt“ , beklagt er. Trainer
förderten die Erziehung zur Unfairness, was Pilz mit typischen Aussagen belegt wie der eines
C-Jugendtrainers in Niedersachen: „Fairplay wird viel zu hoch gehängt. Ich werde bezahlt, um
erfolgreich zu sein, und da kann ich keine Rücksichten auf Fairplay-Bemühungen nehmen.“ Pilz
findet einen klaren Zusammenhang: Je größer das Interesse des Trainers für Fairness ist, desto
eher sind seine Schützlinge bereit, fair zu spielen. Dann verzichten sie nach eigener Aussage
häufiger auf unfaire Notbremsen, Schwalben oder Zeitspiel. Gerade mal drei Prozent der Spieler, deren Trainer Fairplay bevorzugen, provozieren ihre Gegenspieler. Hält ihr Coach eine
Blutgrätsche für ein probates Mittel, beschimpft jeder Dritte seiner Spieler den Gegner auf dem
Platz. „Das zeigt eindrucksvoll, dass Trainer das Fairnessverständnis der jungen Fußballer beeinflussen können“, sagt Pilz.
Dass dem Fairplay im Fußballsport auf die Sprünge geholfen werden muss, hat der Deutsche
Fußball-Bund schon erkannt: „Seit 1996 betreiben wir die Aktion Fair ist mehr“, sagt Wolfgang
Möbius, Leiter der Abteilung Qualifizierung/Sozial- und Gesellschaftspolitik. Faires Verhalten
soll „geoutet“ werden von Spielern, Trainern, Schiedsrichtern oder Zuschauern. „Wir haben
inzwischen mehr als 2000 Meldungen“, sagt Möbius. Ob das Veröffentlichen und Prämieren
von fairem Verhalten allerdings tatsächlich auch auf das Verhalten der Spieler abfärbt, kann der
DFB nicht sagen: Wissenschaftlich begleitet wurde das Projekt nicht, faires Verhalten wird
nicht unabhängig protokolliert.
Bundesliga kein Vorbild
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Ob es gelingt, alle Trainer für das Thema Fairplay zu gewinnen, scheint indes fraglich. Jugendtrainer kann jeder werden, der sich berufen fühlt. Kurzlehrgänge werden angeboten, sind aber
nicht verpflichtend. Das könne man von den Trainern auch nicht verlangen, sagt Möbius:
„Die machen das ehrenamtlich neben der regulären Arbeit, da ist für sowas keine Zeit.“ In manchen Regionen sei man froh, überhaupt jemanden zu finden, der sich am Wochenende bei jedem
Wetter auf den Platz stellt. Es gebe aber auch viele gute Beispiele, wie die Aktion beweise.
„Letztes Jahr hatten wir 18 000 Teilnehmer bei unseren Kurzschulungen.“ Das zeige das Interesse sich fortzubilden. Außerdem könnten die Schiedsrichter besonders schwerwiegendes
Fehlverhalten von Trainern im Spielbericht melden. „Aber bei 100 000 Jugendmannschaften
und Trainern im Land kann man auch nicht auf jeden einzelnen Betreuer eingehen“, sagt Möbius.
Auch wenn die Daten belegen, dass Politiker und Offizielle falsch liegen mit ihrer Vorstellung,
Fußballvereine seien eine Erziehungsstätte für faires Verhalten, findet Günther Pilz die Ergebnisse trotzdem „Mut machend“: „Sie zeigen, dass wir über die Trainer etwas erreichen können,
wir sind nicht völlig ausgeliefert.“ Von Vorbildern aus der Bundesliga sollte man indes nicht zu
viel erwarten. „Im Profisport herrschen einfach andere Gesetze als im Breitensport, da steht der
Erfolg nun mal über allem.“
Vorbilder sollten Spieler wie Manuel Heil vom badischen SV Oberachern sein. Er ist einer der
diesjährigen Bundessieger der Aktion Fair ist mehr: Der Schiri hatte nicht erkannt, dass der Ball
von der Latte hinter die Torlinie gesprungen war und ließ weiter spielen. Da nahm Heil den
Ball, trug ihn zum Schiedsrichter, und sagte ihm, dass der Ball drin war. Der Referee entschied
auf Tor. Nach dem Spiel machte der Trainer Manuel Heil Ärger: Er solle still sein und weiter
spielen, wenn der Schiri nicht pfeift. Der Spieler brach in Tränen aus. Verständlich für einen
Siebenjährigen.
Süddeutsche Zeitung vom 31.8.2005