Klausen-Memorial 2006 - Alfa Romeo Club 2000 + 2600

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Klausen-Memorial 2006 - Alfa Romeo Club 2000 + 2600
Klausen-Memorial 2006 und Teil 2 „Herbst im Zeichen 8C“
Die tollkühnen Männer in ihren brüllenden Kisten
Staubfahnen über unbefestigter, mit tiefen Schlaglöchern übersäter Fahrbahn,
grazile, zerbrechliche Fahrzeuge, todesmutige Kerle mit manchmal
muskelbepackten Oberarmen – so stellt man sich das Klausenbergrennen aus
der Retrospektive vor! 1922 bis 1934 wurde auf der Klausenpassstrasse
zwischen Linthal und der Passhöhe, auf einer Länge von 21.5 Kilometer eine der
anspruchvollsten Bergprüfungen in ganz Europa ausgetragen. Nein, es waren
keine Nasenbohrer am Start: Ein halbes Grand-Prix-Starterfeld, sonst in Monza,
auf dem Nürburgring oder in Spa-Francorchamps unterwegs, fand den Weg in
das entlegene Glarner-Bergtal. Und die „Bergprüfungs fahrt“ (Ausschreibung
1922) mit nur 14 echten Rennwagen, mutierte zwei Jahre später zum
„Klausenrennen“ mit der Crème de la Crème des internationalen Rennsportes:
Rudolf Caracciola, Giulio Masetti, die Mercedes-Cracks Christian Werner und
Otto Merz, Louis Chiron, die Auto-Union-Werksfahrer Hans Stuck und Bernd
Rosemeyer, Hans Rüesch - und man höre und staune – auch Alfa-RomeoWerksfahrer und Rennfahrer-Ikone Tazio Nuvolari sind in den Ranglisten zu
finden.
Herbst 2006 oder genauer, 21. bis 24. September: Die beiden Alfa Romeo P3 stehen
wieder im Glarnerland. Die Chauffeure heissen nun Robert Fink, der das Caracciola-Auto
sein eigen nennt und Maurizio Monti, Cheftechniker vom Alfa-Romeo-Museum, der das
Privileg hat, nicht nur schrauben sondern ab und an auch fahren zu dürfen. Am Klausen
sitzt er im Ex-Nuvolari P3. Optisch unterscheiden sich die beiden Autos. Fink’s P3 trägt
immer noch das Original-Rot der damaligen Zeit, das Rot von Monti’s P3 erinnert eher an
das Rosso Alfa Romeo 501 als an den klassischen, ins Burgund abdriftenden Farbton.
Auch sonst gibt es Unterschiede. Methanol ist in Italien verboten – der Benzintank des
Werks-P3 wird an der örtlichen Agrola-Tankstelle in Linthal gefüllt. Nicht so der heute in
München beheimatete Fink-P3. Aus mitgeführten Kannistern wird eine exklusive
Mischung von, sagen wir mal „Rennbenzin“, um nicht in die Details gehen zu müssen,
getankt. Bei laufenden Motoren steigert sich der Fink-Alfa Romeo in ein infernalisches
Kreischen, Monti’s P3 brabbelt in schönen Basstönen vor sich hin. Auf der Strecke sieht
das dann so aus: Robert Fink treibt sein Auto unter einer Standing Oviation der
Zuschauer in zwei Läufen mehr als sechseinhalb Minuten schneller auf die Passhöhe als
Maurizio Monti. Und mit einem schelmischen Lächeln meint der Müncher, der seinen in
England zugelassen Rennwagen unter ungläubigem Staunen der Passanten schon mal
durch die Münchner-Innenstadt treibt: „Spass macht’s, vor allem wenn im dritten Gang
die Räder immer noch durchdrehen!“
Der Eye-Catcher des Klausenmemorials 2006 war aber nicht einer der beiden Alfa Romeo
P3 sondern der 8C 2900 B Le Mans, Jahrgang 1938, aus den Museumsbeständen aus
Arese. Der 8C – und nun kommen wir zum zweiten Teil der Geschichte „Ein Herbst im
Zeichen 8C“ ist ein ganz spezielles Auto. Es wurde extra für das 24-Stunden-Rennen von
Le Mans 1938 gebaut und feierte – bis eine Stunde vor Rennende – einen furiosen
Einstand. Clemente Biondetti und Raymond Sommer, zwei Cracks der
Vorkriegsrennszene, führten die 24 Stunden überlegen an. Eine Stunde vor Rennschluss,
mit einem Vorsprung von 160 km, kollabierte ein Ventil am 8C 2900 B Le Mans. Aus,
vorbei – in Le Mans kommt nur in die Wertung, wer aus eigener Kraft die Ziellinie
überqueren kann. Alfa Romeo blieb wenigstens die schnellste Runde, von Raymond
Sommer in 5:13.8 gefahren, die einen Schnitt von 154,784 km/h bedeuteten. Und sonst:
Ein Totalausfall, kein einziger Alfa Romeo sah die Zielflagge!
Und dieses Le-Mans-Auto stand nun in Linthal und in diesem Auto durfte der Verfasser
dieser Zeilen Co-Pilot spielen. Weihnachten, Geburtstag, Ostern – alles fand in der
Zeitspanne vom 21. bis 24. September 2006 statt.
Dreh- und Angelpunkt am Klausen waren die beiden Boxen-Zelte von Alfa Romeo, gleich
beim Start gelegen. Fahnen und Alfa-Romeo-Logos wurden kurzfristig vom Schweizer
Importeur beigesteuert, nachdem im Fundus des Museums nichts zu finden war. Der
Verfasser dieser Zeilen hat prophylaktisch ein Zelt reserviert, ebenso der lokale AlfaRomeo-Garagist Hermann Luchsinger: Das Team „Alfa Romeo Museo storicho“ hatte also
plötzlich zwei nebeneinanderliegende Zelte und da ging eine ganze Menge. Robert Fink
stellte seinen P3 zum Museums-P3, Carlo Vögele parkierte seine 8C 2600 Monza, Raphael
Weibel seinen RLSS und Ugo Isgro brachte seinen 6C 1750 GS TT mit. Hochkarätigs aus
der damaligen Zeit eng beieinander und sehr selten zu sehen.
Co-Pilot ist eine schöne Beschäftigung. Man hat praktisch nichts zu tun, hält sich bereit,
damit zu den Trainingsläufen und den Rennläufen rechtzeitig gestartet werden kann und
überhaupt: Die Hauptbeschäftigung besteht im Geniessen. Das Klausenmemorial hätte
Monate dauern können, man hätte nie genug gekriegt.
Kurz vor der Start fädelt man sich in den Beifahrersitz und stellt fest, dass genügend
Platz für Fahrer und Beifahrer vorhanden ist. Der Co-Pilot sitz übrigens links, der
Chauffeur rechts. Dann gehts los. Unter dem infernalischen Kreischen der Kompressoren
(richtig, der 8 C 2900 B Le Mans hat deren zwei) wird das Auto vorwärts getrieben, man
ist erstaunt, wie elastisch der Motor f ast endlos Drehzahl aufnimmt. Der Pilot, Axel Marx,
ist geübt, man merkt’s. Kein Kratzen der Getrieberäder, weder beim hoch- noch beim
runterschalten. Das Auto hält er sicher auf der Strasse. Die Reifen sind alt, die
Haftungsgrenze in jeder Kurve relativ schnell erreicht und zum Gaudi der Zuschauer
werden die Biegungen in einem schönen Powerslide genommen. Die Schaulustigen
quittieren es mit begeistertem Hände-Klatschen.
Begeisterte Zuschauerreihen kennt aus italienischen Veranstaltungen. Sie sind nicht zu
toppen, bis auf eine Veranstaltung: Das Klausen-Memorial 2006. Überall zuwinkende und
Beifall-spendende Kibitze, beim runterfahren (das in zivilien Geschwindigkeitsbereichen
stattfindet) säumen sie die Strassenränder. Durch einen Spalier von Menschen gleiten die
Autos zu Tale, die Begeisterung der Teams springt auf die Zuschauer über und
umgekehrt. Man hätte nie geglaubt, dass so etwas in der Schweiz möglich ist!
Ja, und dann ist ja bekanntlich doch alles einmal zu Ende. Am Sonntagabend werden die
beiden Museums-Autos in die temporäre Garage zurückgestellt, die das Altersheim von
Linthal sehr zum Gaudi seiner spontan und kurzfristig zur Verfügung gestellt hat. Vier
Tage Glarnerland, vier Fahrten auf die Passhöhe, viele Begegnungen
Überhaupt: Es dürfte schwierig sein, einen Oldtimer-Anlass mit so hochkarätigen Fahrzeugen zum Vergleich heranzuziehen. Weder die Mille-Miglia (I) noch Goodwood (GB)
oder Monterey (USA) weisen eine solche vielfältige Pretiosen-Dichte auf. Die Schweizer
Oldtimer-Szene kann sich auf das nächste Klausen-Memorial freuen. Wann es stattfinden
wird, darauf mochte sich Organisator Bernhard Brägger (noch) nicht festlegen.
Thomas Suter