Leander Haußmann Herr Lehmann
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Leander Haußmann Herr Lehmann
Leander Haußmann Herr Lehmann Drehbuch Kamera Schnitt Musik Ton Ausstattung Kostüm Produktion Produzent Mit Sven Regener nach seinem gleichnamigen Roman Frank Griebe Peter R. Adam Anita Lane Cake Calexico Element of Crime Eels Fad Gadget Violent Femmes Ween Nick Cave and the Bad Seeds The Jazz Butcher Laibach Wolfgang Schukrafft Thomas Stammer Nina von Mechow Boje Buck Claus Boje Christian Ulmen Katja Danowski Detlev Buck Janek Rieke Uwe-Dag Berlin Hartmut Lange Margit Bendokat Annika Kuhl Michael Gwisdek Fabian Oscar Wien Heidi Züger Christoph Waltz Thomas Brussig Steffi Kühnert SCHULE Deutschland 2003 105 Minuten, Farbe, 35 mm/Cinemascope KINO macht Herr Lehmann HERR LEHMANN ist die kongeniale Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Sven Regener, ein authentisches Porträt der Kreuzberger Szene vor dem Mauerfall. in der Markthallen-Kneipe lernt Herr Lehmann die „schöne Köchin“ Kathrin kennen (und lieben), eine Reise nach Ost-Berlin steht bevor, und nicht zuletzt benötigt sein bester Freund Karl dringend Herrn Lehmanns Zuwendung. „Herr Lehmann“, den jene zärtliche Nonchalance auszeichnet, die wir an den besten Songs von „Element of Crime“ so schätzen, ist ein Entwicklungsroman zu Kreuzberger Bedingungen – immerhin muss sich der Held am Ende des Romans damit auseinandersetzen, dass es auch auf der anderen Seite der Oberbaumbrücke noch Menschen gibt. Alles beginnt mit einem Hund, der Herrn Lehmann daran hindert, seinen Heimweg nach vollbrachter Arbeit fortzusetzen. Wenig später kündigen seine Eltern ihren Besuch in Berlin an, Leander Haußmann, einst jüngster Theaterintendant Deutschlands und mit „Sonnenallee“ auch als Kinoregisseur erfolgreich, hatte das Glück, als Freund Sven SCHULE Mit „Herr Lehmann“ gelang Sven Regener, Sänger, Texter und Trompeter der Berliner Band „Element of Crime“, vor zwei Jahren ein erfrischendes Romandebüt, das Kritik und Publikum gleichermaßen begeisterte. Regeners eigenwilliger Held heißt Frank, „aber da es sich herumgesprochen hatte, dass er bald dreißig Jahre alt sein würde, nannte man ihn neuerdings nur noch Herr Lehmann.“ Es ist der Spätsommer des Jahres 1989, Herr Lehmann arbeitet als Barkeeper in Kreuzberg und ist gleichzeitig der stille Chronist einer übersichtlichen, kleinen Welt voller Philosophen, Künstler und Biertrinker, in die sich unaufhaltsam Störungen einschleichen. In zwanzig Kapiteln erzählt Regener mit sprühendem Witz und großem Respekt vor seinen Figuren von den Widrigkeiten, denen sich sein Held ausgesetzt sieht, während sich gleichzeitig im Osten Berlins und in der ganzen DDR gewaltige Umbrüche ankündigen. KINO macht Herr Lehmann Regeners den Roman als erster lesen zu dürfen. „Nach kurzer Lektüre war mir klar: Das muss man verfilmen.“ Es ist erstaunlich, mit welcher Leichtigkeit Haußmann die Herausforderung meisterte, ein Buch, in dem wenig passiert, für das Kino zu adaptieren. Vielleicht liegt es daran, dass Haußmann „Filme mag, deren Handlung ich nicht genau nacherzählen kann, Filme mit AbhängerCharakteren, die in den Tag hineinschauen und immer erstaunt sind, wie das Leben an ihnen vorbeigeht und die Frechheit besitzt, sie ein wenig zu fordern.“ begleitet den einsam unter den Hochbahnpfeilern des Görlitzer Bahnhofs dahinstolpernden Herrn Lehmann, während die ironische „I Will Survive“-Coverversion von „Cake“ die distanzierte Begleitmusik zum Mauerfall abgibt. Dazu kommt ein Soundtrack mit allerfeinsten Popsongs aus den 80er und 90er Jahren, die die Bilder eher kommentieren denn verstärken. Anita Lanes grandios-traurige „Bella Ciao“-Interpretation Am Ende des Films finden Herr Lehmann und der Hund, von dem er sich in der Eingangssequenz so bedroht fühlte, wieder zueinander. Gemeinsam ziehen sie eine ungewisse, aber nicht perspektivelose Zukunft. Bis denn dann, Herr Lehmann! SCHULE In von Tom-TykwerKameramann Frank Griebe in warmes, sattes Licht getauchten Cinemascope-Bildern fängt der Film die heitermelancholische Stimmung des Romans ebenso ein wie die Atmosphäre Kreuzbergs. HERR LEHMANN ist bis in die kleinsten Nebenrollen hervorragend besetzt, Michael Gwisdek und Steffie Kühnert haben grandiose Kurzauftritte als hartgesottene Zecher, und MTV-Moderator Christian Ulmen kann als Titelfigur genauso überzeugen wie Detlev Buck als Herrn Lehmanns bester Freund Karl. KINO macht Herr Lehmann Leander Haußmanns Debütfilm „Sonnenallee“, eine groteske Nummernrevue über eine Gruppe Jugendlicher im Ost-Berlin der 70-er Jahre, sahen 1999 mehr als zwei Millionen Zuschauer; der Roman, den Drehbuchautor Thomas Brussig dem Film hinterherschickte, wurde zum Bestseller. Einen solchen hat sich Haußmann auch für sein neues Filmprojekt vorgenommen: „Herr Lehmann“, den im vergangenen Jahr erschienenen, viel beachteten Erstlingsroman des „Element of Crime“-Sängers Sven Regener. Die Titelfigur des Werks ist der knapp 30 Jahre alte Frank Lehmann, ein Oblomow aus Kreuzberg, der mit seinen Freunden im beschaulichen West-Berliner Biotop vor sich hinlebt - bis zu dem Tag, als die Mauer fällt. Ende September sollen die Dreharbeiten beginnen; gefilmt wird in Berlin und in Nordrhein-Westfalen, dessen Filmförderanstalt „Herrn Lehmann“ soeben mit einem großzügigen Zuschuss von 660.000 Euro bedacht hat. Die FAZ sprach mit Leander Haußmann über seinen cineastischen Seitenwechsel, die Zusammenarbeit mit Sven Regener und den 30. Geburtstag als Punkt, an dem jeder Mensch eine (Lebens-)Entscheidung treffen muss. Wie verfilmt man ein Buch, in dem eigentlich gar nichts passiert? Der Roman lebt ja vor allem davon, was sich in Herrn Lehmanns Kopf abspielt. Ja, das ist das Problem. Hier ist es aber so, dass der Autor auch das Drehbuch geschrieben hat, was manchmal gut ist und manchmal schlecht. In unserem Fall war es gut. Und ich persönlich mag Filme, wo nichts passiert, wo ich nicht genau die Handlung nacherzählen kann, zum Beispiel „Last Picture Show“ von Bogdanovich oder „Alice’s Restaurant“ von Arthur Penn, „Diner“ von Barry Levinson oder auch François Truffauts „Der Mann, der die Frauen liebte“. Filme mit AbhängerCharakteren, die in den Tag hineinschauen und immer erstaunt sind, wie das Leben an ihnen vorbeigeht und oft die Frechheit besitzt, sie irgendwie ein wenig zu fordern. Wie kamen Sie auf „Herr Lehmann“? SCHULE Kreuzberg ist überall KINO macht Herr Lehmann Wie „Sonnenallee“ lebt auch HERR LEHMANN von der atmosphärisch genauen Schilderung eines mehr oder weniger geschlossenen Milieus: hier das Ost-Berlin der siebziger Jahre, dort das Kreuzberg der achtziger Jahre. Sehen Sie Parallelen? Vielleicht bin ich ja jemand, auch wenn ich es nicht hoffe, der nur diese Filme macht: Solche Filme, wo komische Typen im Mittelpunkt stehen, die mir natürlich irgendwo ziemlich nahe sind, die scheinbar sehr unpolitisch sind und nicht in gesellschaftliche Prozesse eingreifen, eigentlich eher Spielball dieser Prozesse sind, am Ende so eine Art Läuterung durchmachen und möglicherweise später vielleicht noch ein sinnvolles Mitglied der Gesellschaft werden. Und das ist ja auch ein bisschen so beim Herrn Lehmann. Aber das Problem haben wir ja alle: Entweder wir werden dreißig, oder wir sind dreißig geworden. Das ist, glaube ich, ein internationales Problem, dass man irgendwann eine Zeit erreicht, wo man sagt: Jetzt muss irgendwas passieren, irgendwas Neues. Dreißig ist ein entscheidendes Alter: Man muss sich entscheiden, ob man verkommt oder ob man - lebt. Nach der Jugend nun die Dreißigjährigen: Sie scheinen in Ihren Filmen der Reihe nach verschiedene Lebensphasen aufzuarbeiten. Es sieht so aus. Man kann es sich leider nicht aussuchen. Wenn man mich, bevor ich überhaupt ins Filmgeschäft gekommen bin, gefragt hätte, was mich interessiert, dann hätte ich sicherlich gesagt: SCHULE Das ist relativ einfach. Ich bin mit Sven Regener befreundet; bei meiner Arbeit am Theaterstück „Peter Pan“, für das er die Musik und die Texte geschrieben hat, lernten wir uns kennen und schätzen. Und dadurch kam ich in den Genuss, das Buch als erster lesen zu dürfen, und habe mir gesagt: Eigentlich eine interessante Geschichte auch für mich - mir nach dem Osten, nach „Sonnenallee“, mal die andere Seite anzuschauen. Das, dachte ich, passt ganz gut in mein Oeuvre. Auf der anderen Seite hat mich auch der Charakter sehr interessiert, von dem ich glaube, dass es den sehr oft gibt - und die verkauften Exemplare haben mir da schon mal Recht gegeben. Dann habe ich eine Kritik für den „Spiegel“ geschrieben, die sicherlich auch dazu beigetragen hat, dass das Buch bekannt wurde. Man kann sagen: Endlich mal, wenn auch nicht zum ersten Mal in meinem Leben, war ich als Entdecker da. KINO macht Herr Lehmann Bei der „Sonnenallee“ spielte die Musik eine große Rolle. Bei HERR LEHMANN dürfte das nicht anders sein. Wird die Musik ebenfalls von Sven Regener stammen? Nein. Er wird vielleicht eine Trompete einspielen oder so etwas. Er wird aber auch jetzt, wo er das Drehbuch abgeschlossen hat, nicht mehr maßgeblich in diese Arbeit einbezogen, das will er auch nicht. Der Film soll ja auch kein Sven-Regener-Film werden, sondern am Ende doch ein LeanderHaußmann-Film sein. Ich werde sehr darum bemüht sein, nicht Pop zu machen. Ich hasse Pop. Und das ist eigentlich immer der beste Weg, dass man Pop wird. Bei einem Film über die achtziger Jahre ist Pop schwer zu vermeiden. Es ist kein Film über die achtziger Jahre. Darauf lege ich großen Wert. Es ist ein Film, der sich aus vielen Versatzstücken zusammensetzt, die international sind. Es wird ein Ort geschaffen, der sich Kreuzberg nennt. So, wie es mal einen Ort gab, der sich DDR nannte und der in „Sonnenallee“ komprimiert dargestellt wurde. So wird es hier einen Ort geben, der praktisch identisch ist mit Orten wie Greenwich Village oder Montparnasse oder Soho: etwas, wo man sich wiederfinden kann. Es ist kein Film, der sich in irgendeiner Weise an dieses Achtziger-Jahre-Revival heranhängen will, sondern der eine ganz eigene Aussage haben wird. Die Zeit könnte auch heute sein. Der Punkt ist der, dass diese historischen und gesellschaftlichen Ereignisse über unsere Figuren hinwegspülen, wenn sie nicht sogar von ihrem Ort, aus ihrem Village rausgespült werden. Man könnte es vergleichen mit Tschechow: eine untergehende Gesellschaft, eine Bohème, die bis in die neunziger Jahre geduldet wurde, weil es noch so etwas wie Ideale gab - welche Ideale auch immer: ob das nun Post-Hippie war oder Marxismus, irgendwas war ja da. Das ist mit dem Fall der Mauer natürlich alles weggespült worden. Und daran soll der Film erinnern. Und weil der Film demnach kein Berlin-Film werden soll, ist es auch egal, dass wegen der Auflagen der Filmförderung Teile davon in Nordrhein-Westfalen gedreht werden müssen? SCHULE Thriller, Horrorfilme, Science Fiction. Ich hätte nicht gesagt, ich würde gerne Filme machen wie „Manhattan“. Aber irgendwie hat es sich so ergeben, man kann es sich oft nicht aussuchen. Die Themen kommen zu einem, man kann es nicht erzwingen. KINO macht Herr Lehmann Mir wäre es sowieso am liebsten, wir würden am allerwenigsten in Berlin drehen, damit der Ort kosmopolitisch wird. Ich bin ja kein Kreuzberger. Ich habe auch nie an der Sonnenallee und an der Mauer gelebt, sondern in Friedrichshagen am Müggelsee - kann mir das aber sehr gut vorstellen. Was ich mir erschaffe, sind Traumwelten: Möglichkeiten, Familien, Freunde, die ich vielleicht mal hatte und gerne wieder hätte, frühere Zeiten und ein Leben, wie ich es gerne wieder hätte. Haben Sie schon eine Besetzung für Herrn Lehmann im Auge? Nein. Das heißt, im Auge schon aber noch nichts, was man an die große Glocke hängen könnte. Das Interview führte Jörg Thomann. © Frankfurter Allgemeine Zeitung „In HERR LEHMANN gelingt Leander Haußmann ein intensives, detailliertes Milieu-Studium, der Blick auf eine Zeit, die lange vorbei ist und die doch eine ganze Generation geprägt hat. Was Haußmann beherrscht, ist dieser im deutschen Kino so seltene Balanceakt zwischen Komik und Tragik, zwischen ernsten Momenten und heiteren Episoden. Die vielen Leser, die das Buch gelesen haben, werden von Haußmanns Interpretation nicht enttäuscht sein.“ (Bayrischer Rundfunk) Herr Lehmann [Klappentext] Durch jahrelange, ausgefuchste Ausweichmanöver und heroische Trägheit hat der arglistfreie, bis ins Mark ambitionslose Bierzapfer Herr Lehmann erfolgreich Ansprüche von Eltern, Vermieter, Nachbarn und Frauen ausgesessen. Nun, wir schreiben das Jahr 1989, lebt er weitgehend störungsfrei in seiner Eineinhalbzimmerwohnung in Kreuzberg, wenn er nicht in die nächste Kneipe geht. Doch plötzlich bricht eine unvorhergesehene Störung nach der anderen in seinen heißgeliebten Alltagstrott ... [amazon.de] Kreuzberger sind schon komische Vögel. Sie sitzen Abend für Abend am Tresen, trinken Kristallweizen ohne Zitrone und gehen erst ins Bett, wenn Mutti in Bremen schon wieder aufsteht. Und wenn draußen die Mauer fällt, bestellen sie erst mal in Ruhe noch ein Bier. Denn was ist schon das Ende der Geschichte (denkt sich der Leser am Ende dieser Geschichte) gegen die Frage, ob die Zeit schneller oder langsamer vergeht, wenn man betrunken ist? Herr Lehmann ist Kreuzberger. Kreuzberger sind Menschen, die irgendwann einmal aus Schwaben, Achim oder Herford nach Berlin gekommen und dort „hängen geblieben“ sind. Herr Lehmann kommt ursprünglich aus Bremen und möchte eigentlich Frank genannt werden, aber das ignorieren seine Freunde: denn bald ist Herrn Lehmanns dreißigster Geburtstag. Und 30 Jahre alt zu werden, weiß Herr SCHULE Sven Regener: „Herr Lehmann“ Ein Roman Eichborn Berlin Verlag, Berlin 2001 ISBN 3821807059, gebunden, 300 Seiten KINO macht Herr Lehmann [Frankfurter Rundschau vom 30.08.2001] Den medial ausgerufenen „literarischen Sommerhit 2001“ will Marius Meller mal auf Herz und Nieren resp. auf den Text hin überprüfen. Das Buch aber, muss man sagen, hält stand. Nach anfänglichen Bedenken („eine ziemlich behäbige Intro“), findet der Rezensent derart Gefallen am Charme des so unspektakulären Helden, an der alles andere als umständlichen Art des Autors, Figuren zu etablieren, und an den „anspruchslosen, aber wirklich gut geschriebenen und intensiven Dialogen,“ dass er dem Buch sogar das Zeug Sven Regener kennt, wovon er schreibt. Als zum übersaisonalen Hit zutraut. Und gespannt Sänger und Texter der Berliner Band Element of auf Zukünftiges von diesem Autor ist er auch. Crime ist er seit genau jenen Spätachtzigern, in denen die Romanhandlung spielt, immer auch [Die Tageszeitung vom 21.08.2001] genauer Chronist eines Kreuzberger Flauschiges Buch, das, vermeldet unser Lebensgefühls jenseits von „Kreuzberger Rezensent. Seltsames Epitheton, meinen wir. Nächte sind lang“ gewesen. Mit Herr Lehmann Was Gerrit Bartels indessen meint, ist ein ist ihm das erstaunliche Kunststück gelungen, Unspektakuläres, das uns ganz sanft mitnimmt, jene zärtlich-rotzige Nonchalance, die seine bis wir, huch, schon auf der letzten Seite angeLieder auszeichnet, umstandslos in die lange kommen sind. „So weit, so unspektakulär.“ Form zu überführen – und das gleich in seinem Oder so „wohnlich“ eben. Das Flauschigliterarischen Erstlingswerk! Behagliche des Buches hat für Bartels vor allem damit zu tun, dass es Kreuzberg als Mit seinem Roman setzt Regener jenem Handlungsort und den „sympathischen und merkwürdig zeitlosen Kreuzberg der gezielt planlosen Herrn Lehmann, der keiner Vorwendezeit, das einem heute so weit weg Fliege was zu Leide tun kann“, als Helden hat. erscheinen will, so etwas wie ein Denkmal – für Kann sich der Kreuzberger mitunter hübsch die Zeit „Damals hinterm Mond“. Doch trotz so spiegeln. Weniger gefällt Bartels da schon das schöner Einsichten wie „Der Elekrolytmangel ist effekthascherische Hinschreiben auf den 9. der größte Feind des Trinkers. Von der November 1989. Wirkungspotential, findet er, Dehydrierung einmal abgesehen“, geht es hier hätte das Buch auch ohne das genug gehabt. keineswegs nur ums Bohème-Leben im Und aufs Literarische Quartett, das just darauf Allgemeinen und ums Trinken im Besonderen. ansprang, hätte es sowieso verzichten können. Das Ganze ist nämlich auch eine Art Entwicklungsroman – freilich zu Kreuzberger [Süddeutsche Zeitung vom 17.08.2001] Bedingungen: Muss doch der Held – für den es Thomas Steinfeld hält diesen Band für ein anfangs noch eine Qual ist, wenn er auf dem „freundliches, leichtes und gekonnt belangWeg von Kreuzberg nach Kreuzberg durch loses Buch“, bei dem ihm offenbar besonders Neukölln muss – gegen Ende des Romans gut gefällt, dass der Autor hier einen „unerbittimmerhin zur Kenntnis nehmen, dass es auch lichen Konservatismus“ der alternativen Szene hinter der Oberbaumbrücke noch Menschen ins Visier nimmt, in der vor allem eines wichtig gibt. Das Ende der Geschichte? Erst mal ist: dass man nicht gestört wird in seinem losgehen, denkt sich Herr Lehmann. eingerichteten Leben. Steinfeld ist der Ansicht, „Der Rest wird sich schon irgendwie dass dieses Buch beinahe genauso gut in den ergeben.“ Pflichtlektüre für die zwanziger Jahren hätte geschrieben werden Jahrgänge 1959-1969, für können, vor allem wegen der „Milde, (...) dem Kreuzberger sowieso. Axel Henrici betulichen Ton eines ebenso langmütigen wie SCHULE Lehmann, ist Scheiße, weil man da langsam „beginnt, eine Vergangenheit zu haben, eine gute alte Zeit und den ganzen Scheiß.“ Und weil auf einmal alle anfangen zu fragen, was man denn bitte schön anfangen wolle mit dem eigenen Leben. Denn dass jemand zufrieden damit ist, Kellner zu sein, ist in dieser Stadt, in der alle „eigentlich Künstler“ sind, nicht vorgesehen – „aber was ist das für ein trauriger Umgang mit dem, was man tut, wenn man es immer nur als Zwischenlösung ansieht, als nichts Richtiges?“ KINO macht Herr Lehmann [Die Zeit vom 16.08.2001] Hochgradig beglückt ist Evelyn Finger von diesem „urkomischen“ Buch. „Sternstunden farcenhaften Humors“ wurden ihr beschieden. Sie stellt fest, dass die Komik scheinbar „wider Willen“ entsteht und in diesem „Unabsichtlichen läge die erzählerische Eleganz“. Evelyn Finger ist verblüfft und lacht sich schief. Der Autor malt den Lebensüberdruss in einem „frischen Grau“, schreibt sie. Das „abgegriffene Sujet des Weltschmerzes“ finde durch dieses Buch einen festen Platz in der jüngsten Literatur. Das ist es, was sie so schätzt an diesem „Erbauungsbuch, nicht nur für Stadtbewohner“, das für sie das Gegenteil zum „popkulturellem BerlinGeschwätz“ darstellt. Sie findet die Schachtelsätze „beachtenswert“ und die Abschweifungen „wunderbar“. Selbstironisch sei der Ton des Erzählers, und trotz der deftigen Prosa hört Evelyn Finger die „sentimentale Geige“ und den „sarkastischen Unterton der Trompete“ heraus. Eine durchweg begeisterte Rezension. [Neue Zürcher Zeitung vom 14.08.2001] Martin Krumbholz rezensierte offenbar mit Vergnügen das Romandebüt des Sängers und Songtexters der Rockgruppe „Element of Crime“. Er beschreibt die Rahmenbedingungen der Geschichte des Herrn Lehmann, die sich nicht aus dem Kreuzberger Viertel SO 36 herausbewegt und die am 9. November 1989 ihren Endpunkt findet: Sie sei „in hohem Maß vergangen“, und das sei gerade eine günstige Vorraussetzung, erzählt zu werden. Krumbholz benennt die wichtigsten Eckdaten: Der Protagonist ist ein noch nicht dreißigjähriger Barmann, und zwar nicht Barmann, der eigentlich wirklich Künstler oder sonst irgendetwas ganz anderes ist, sondern Barmann und weiter nichts, und dieser Herr Lehmann kämpft kapitelweise gegen die Widrigkeiten eines ganz normalen Lebens in SO 36. Die handelnden Figuren und ihre Beziehungen sind differenziert gezeichnet, die Dialoge entfalten sprühenden Witz, sie wirken, bei aller Absurdität, bemerkenswert authentisch und vor allem entwickelt der Leser eine starke Sympathie für Herrn Lehmann, SCHULE teilnehmenden Beobachters, den man sich eigentlich immer als dicken Mann mit Hosenträgern vorgestellt hat“. Dass der Roman letztlich aus zwanzig Anekdoten besteht, hat zwar nach Steinfeld seinen Reiz, doch findet er, das zwölf durchaus gereicht hätten. Irgendwann bei der Lektüre schien es Steinfeld so, als ob man einem Partygast zuhört, der lustige Dinge erzählt, einem jedoch ab einem gewissen Punkt nur noch auf die Nerven geht. Auch ein bisschen mehr „literarische Seele“ hätte dem Herrn Lehmann nicht geschadet, findet Steinfeld. Doch insgesamt überwiegt das positive Urteil in der Rezension, zumal Steinfeld zum Schluss noch lobend auf die „Originalität und Kraft“ dieses Buch hinweist. KINO macht Herr Lehmann was wiederum daran liegt, dass Herr Lehmann starke Sympathien auch für schwache Mitmenschen entwickelt, findet der Rezensent. Wenn’s denn doch zu hart wird, mutiert Herr Lehman auch schon mal „zum menschlichen Nagetier“, so Krumbholz. Das Fazit der Rezension scheint eindeutig: Selber lesen! „Die Kombination aus Herr Lehmann und duzen ist das Übelste, was es gibt.“ [Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11.08.2001] Fraglos „eine kleine Welt“, in der sich der Herr Lehmann im Debütroman von Element-ofCrime-Sänger Sven Regener bewegt: Kreuzberg 1989, kurz vor dem Mauerfall. Da ist es nur wenig erstaunlich, dass von der bevorstehenden Zeitenwende so gar nichts zu bemerken ist und dass die Protagonisten, fest eingemummt in ihren kleinen Berliner Westen, von dem was zu bemerken wäre, so gar keine Notiz nehmen wollen. Gerade darum aber, so der Rezensent Tilman Spreckelsen, handelt es sich um einen „glänzenden Wenderoman aus westlicher Sicht“. Herrn Lehmann beschreibt Spreckelsen als „sympathische OblomowGestalt“ und lobt den Autor dafür, dass er zwar auf Distanz zu seiner Figur setzt, das Abdriften ins allzu Skurrile aber vermeidet. Lobend erwähnt werden die „hohe Komik“ einiger der stets „in sich abgerundeten“ Szenen, aus denen der Roman besteht, außerdem noch die sehr gelungenen „vielstimmigen Diskussionen“. SCHULE Zusammenstellung der Kritiken: perlentaucher.de KINO macht Herr Lehmann Statements der Macher „Das Besondere an Herrn Lehmann ist das Normale.“ Leander Haußmann: „Autobiographisches? Das Biertrinken.“ Frank Griebe: „Leander wollte einen Tresen ganz ins Bild – und ein Tresen ist lang. Also drehten wir Cinemascope.“ Sven Regener: „Ich bin nicht gruppenarbeitsfähig. Ich kann das eigentlich nicht leiden, wenn andere Leute mir in das, was ich da mache, reinpfuschen. Und das musste ich dann lernen auszuhalten. Schön ist was anderes...“ Detlev Buck: „Ich habe tagelang eine schwarze Jeans angehabt. Immer und immer. Das muss schon wirklich ein bisschen riechen, sonst ist es nicht authentisch. Waschen war doch Luxus – fast schon was Kommerzielles. Und kommerziell – das wollte damals keiner sein.“ Christian Ulmen: „Am 9.11. 1989 war ich 14 Jahre alt und saß beim Frühstück, als mein Vater nackt aus der Dusche kam und sagte: „Die Mauer ist auf“. Das war das erste Mal, dass ich meinen Vater nackt sah.“ Christian Ulmen: „Ende der 80er Jahre war ich noch so jung – die Dreharbeiten waren für mich wie ein zwei Monate andauernder Museumsbesuch.“ Leander Haußmann: „Der private Moment ist immer stärker als der politische Moment.“ Claus Boje: „Ich habe was ähnliches gemacht wie Lehmann. Nicht einer Tagarbeit nachgegangen, sondern einer Nachtarbeit, im Kino. Ich habe gearbeitet, während die Leute sich vergnügt haben.“ Charlotte Goltermann: „Fad Gadgets „Collapsing New People“ ist für mich das Herzstück des Films. Es taucht in der Original-Fassung und später in der grandios von Westbam geremixten Version als Hauptmotiv auf und ist für mich eine ganz wichtige Lehmann-Musik. Stampfend, böse, vorwärtstreibend. Ein Stück, das einen durch die Nacht treibt und blinzelnd und einsam im fahlen Morgenlicht zurücklässt...“ SCHULE Leander Haußmann: KINO macht