Abenteuer - aber sicher!

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Abenteuer - aber sicher!
Natur-Erlebnis-Räume
Abenteuer - aber sicher!
Spielräume für Tom Sawyer und die Rote Zora.
Die ersten Abenteuerspielplätze sind vor
fünfzig Jahren entstanden und haben
über Jahre Haltungen gegenüber dem
spielenden Kind geprägt. Feuer, Wasser,
Dreck, Lärm und kriminellschiefe Baustellen prägen das Bild. Vor dreissig Jahren kamen mobile Spielaktionen dazu
und gaben der Neugier spielender Kinder mehr Gewicht. Öde Plätze wurden
zu Oasen fröhlicher Kinder. Und heute?!
– Heute spricht die westliche Welt über
Sicherheit!
Was ist da geschehen? Ist etwas passiert?
Wer sind wir, die wir voller Überzeugung
die Meinung vertreten, auf einem Spielplatz dürfe einem Kind nichts passieren?
Und parallel dazu erklären, Kinder lernen
im Spiel … Fachtheoretisch über Spiel
diskutieren und nachweisen, dass im
Spiel immer etwas passiert.
Bedeutet „etwas passieren“ aus Kindersicht Aktivität, Leben, Bewegung, Abenteuer, Lernschritte, … so heisst das aus
Sicht der Erwachsenen Absturz, Gefahren,
Risiken, Unfälle, Haftungsgeschichten, …
dabei geht es doch nur darum, für Kinder
unsichtbare Gefahren zu entschärfen. Wir
nähern uns einem Thema, das in der Diskussion um Werte des Spiels immer mal
wieder zwischen den Zeilen hervortritt.
Betrachten wir diese Bilder noch etwas
näher, so stellen wir fest, dass Beiträge
aus aller Welt die Sache des Spiels ins
Zentrum rücken, wir aber unsere eigene
Einstellung zur Wichtigkeit des Spiels dabei so ernst nehmen, dass „es kein Spiel
mehr ist“. Das führt zu täglich harter Arbeit: Projekte werden immer ernsthafter
konzipiert und umgesetzt, Arbeitsfelder
sind klar strukturiert – es ist wirklich kein
Spiel mehr! Nur … ist Dir auch schon
aufgefallen, dass Du spielend Probleme
leichter löst, als wenn Du sie in harter Arbeit vor Dir her schiebst?
Schade, aus der spielerischen Haltung,
Kindern lebensfrohe Erfahrungen ermöglichen zu wollen, sind grosse Strukturen
gewachsen, sind klein karierte, das Spiel
konterkarierende Strukturen erwachsen,
deren Beachtung heute vielerorts wichtiger geworden ist als die durch sie zu
befördernden Inhalte. Nehmen wir uns
doch bitte selber an der Nase und bewer-
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Natur & Garten April 2009
Wahre Spielräume erkennt man an Kletterturm und Rutsche
ten „Ziele“ und „Mittel“ wieder so, dass
spielende Kinder im Zentrum unseres Engagements stehen!
In Grünberg lädt der Spielträumer zu
Streifzügen durch Erinnerungswelten der
Kindheit, lässt Bilder, Gerüche, Erlebnisse
und Jugendfreundschaften wieder aufleben. Solche Rückblicke zeigen, dass nur
wenige besonders wertvolle Erlebnisse
an ‚richtige Spielplätzen’ gebunden sind.
Meist erzählen sie von Hinterhöfen, Waldrändern, vergessenen Arealteilen und
immer über intensiv verspielte Zeiten in
Kinderbauten, von ausgedehnten Streifzügen voller Hütten, von Freundschaften, Abenteuern und Gefahren. Prägende
Kindheitserlebnisse sind längst zum wertvollen Teil des Erfahrungsschatzes geworden und wirken in unserer erwachsenen Persönlichkeit weiter nach. Wenn wir
dann später als Grosseltern den Enkeln
aus längst vergangenen Zeiten erzählen,
tauchen diese Abenteuer wieder auf, verdichten unsere Kindheitsgeschichten zu
farbenprächtigen Erzählungen über unvergessliche Zeiten und Werte. Die Kraft
der Geschichten lässt Augen leuchten
und weckt Gedanken, Träume und Lust
auf eigene Unternehmungen.
Stadtentwicklung für Kinder stellt ihre
Spiel- und Lebensräume ins Zentrum
und verlangt heute weit mehr, als die In-
szenierung einer planerischen Nische mit
etwas Spielgerät. Schleichwegplanung,
Lebensraum Brachland, Naturerlebniszonen und Spielqualitäten in Zwischenräumen sind Ansätze. Bilder und Beispiele aus Spielträumer-Welten illustrieren
Überlegungen und laden zu verspielten
neuen Wegen zur Bereicherung meines
nächsten Projekts. Hand aufs Herz –Abenteuer gehören nicht in virtuelle Welten,
sondern mitten ins Leben!
In meinen Streifzügen quer durch Europas Spielwelten treffe ich immer wieder
auf neue Projekte die mir Mut machen,
weiter auf die Kraft des Spiels zu vertrauen, spielerisch am Ball zu bleiben, den
Spiess umzudrehen und wieder Raum für
das „Abenteuer Kindheit“ zu gewinnen.
Und so könnte ich doch nun den Titel
dieser Gedanken neu setzen: „LEBENSGEFAHR AUF SPIELPLÄTZEN – hier besteht
die Gefahr, dass Kinder hier lebendig
werden!“
Toni Anderfuhren, CHBauma. Seit 25 Jahren
auf Abenteuerspielplätzen tätig, seit 35 Jahren
Urgestein der Schweizer
Spielszene, freiberuflicher
Spieträumer.
Natur-Erlebnis-Räume
Gute Luft rund ums Spiel
alle Fotos und Zeichnungen © Toni Anderfuhren
nen will. Ein Spaziergang mit geschärftem
Blick auf Randzonen gängiger Spielplatzbilder hilft beim Schärfen der Sinne auf
Unorte einer spannenden Kindheit.
Mit Vollgas die Kindheit geniessen
Chancen und Gefahren
Was ist los mit unserer Welt? Denken wir
ans Spiel der Kinder, so zucken wir sofort
zusammen und fürchten mögliche Gefahren. Das war nicht immer so. Noch vor
wenigen Jahren forderten die gleichen
Menschen abenteuerliche Plätze für das
Spiel der Kinder und sprachen über Hüttenbau, Feuer und wichtigen Erlebnissen
im Dreck.
Mit dem Wandel der Inhalte hat sich auch
die Haltung geändert. Statt an Chancen
denken wir an Gefahren und verbauen uns
so einfache Lösungen für starke Kinder. Ob
das so sein muss, das entscheiden wir tagtäglich mit der Ausrichtung unserer persönlichen Haltung! – Hast Du auch schon
gemerkt, dass eine Konzentration auf
positive Entwicklungen saumässig gute
Gefühle zulässt? Sie schaffen den Wechsel
vom erniedrigenden Denken an alles Gefährliche, hin zu wahren Abenteuern!
Kinderlärm ist Natur
Kinder brauchen naturnahe Spiel- und
Erfahrungszonen. Für und während ihres
Aufwachsens sind sie wichtiger Teil unserer natürlichen Umwelt. ‚Kinder müssen
zu Laut, zu Stimme, zu Wort kommen. Sie
müssen sich selbst und den Lärm, d.h. alle
Töne, die sie fähig sind zu erzeugen, hören
können. Sie haben Anrecht auf ihre akustischen Spuren, drinnen und draussen.’ Diesem Postulat von Dorothee Frutiger ist wenig zuzufügen. Höchstens die Folgerung,
dass somit Kinderlärm natürlich ist …
In meiner langen Spielträumerzeit habe
ich einen städtischen Lärmschutzbeauftragten getroffen, der sich weigert, bei
Kinderlärm auszurücken. Lärmende Kinder seinen Teil unserer natürlichen Umwelt – er habe ja bei einem Gewitter auch
nicht auszurücken!
Unorte und
Zwischenräume
Diese „Grenzzonen plus“ im Umfeld kinderfroher Lebensräume befinden sich
mitten im blinden Fleck der Lebensraumgestaltung. Wo planenden Menschen
Ideen verloren gehen, Grenzräume fast
selbstverständlich mit Abstandsgrün,
Zaun oder Böschung möbliert werden, da
stecken unendliche Chancen spannender Herausforderungen für Kinder und
ihre Spiele. Nur, man muss das Thema
angehen und für einmal einwenig über
die eigene Nasenspitze hinaus denken.
Vielleicht erinnert man sich an Lieblingsplätze der Kindheit und beginnt zu ahnen,
welche Vielfalt an Möglichkeiten sich öff-
Und die Jugend?
Sandspielanlagen in Sichtweite der
Mutter, bewegungsfrohe Spielinseln für
Schulkinder an zentralen Plätzen einer
der Siedlung. Diese beiden Faustregeln
leiten seit vierzig Jahren bei der Planung
von Spielarealen. Geht dabei die Jugend
vergessen, so besetzt sie nächtlicherweise Orte mit dem geringsten Widerstand
und verschmutzt so den Sand mit Scherben, spielt mit Feuer und Messer an Seilen und erprobt Kräfte im Lösen der Verankerungen von Spielinstallationen.
Wie Rabenvögel treiben sich Jugendliche
quer durch Lebensräume. Rotten sich
mal da und dort zusammen, um bald
wieder einen nächsten Ort zu bevorzugen. Jugendgerechte Stadtteilentwicklung thematisiert Anliegen der Jugend,
schafft partizipativ Lümmelplätze an
lärmresistenten Orten. Plätze an Einfallsachsen sind wichtiger als der Ort mitten
im Quartier, ‚Qualitäten zum Rumhängen’
sind mehr als eine Sitzbank mit Abfalleimer, … Aufsuchende Jugendarbeit mit
gestalterischen Interventionen an sozialen Brennpunkten sind Stichworte aktueller Jugendpolitik, die zwingend zu den
Rahmenbedingungen einer kinderfördernden Freiraumplanung gehören. Für
Menschen mit Lust auf fantastische Planungsrunden ist der Spielträumer gerne
Partner bei der Entwicklung des Abenteuerspielplatzes für die Altersstufe von
zwölf an aufwärts.
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Echte Freiräume
einem neuen Planungsgesetz für Spielräume: Nicht mehr als die Hälfte einer
Umgebungsgestaltung darf demnach
spielfeindlich sein.
Veränderungen stecken voller Qualitäten
Spinnen wir diese Gedanken etwas weiter, so entdecken wir Spielqualitäten
explizit in Veränderungsprozessen. Zwischengelagerte abgebrochene Spielinstallationen, wie auch bereitliegende Baumaterialien für neue Gestaltung reizen
Kindersinne zu neuen Entdeckungen.
Langatmige partizipative Spielraumaufwertungen machen diesen Weg zum
Ziel, laden Kinder und Familien zu aktiver
Mitgestaltung, verknüpfen Spielbedürfnisse mit Erfahrungen selbstgestalteter
Lebensräume, fördern Heimatgefühle
in einer entwurzelten Welt. – Zur neuen
Idee vom wandernden Spielplatz ist es
nun nicht mehr weit …
Toni Anderfuhren
Foto © Jürgen Heuser
brauchen eine wichtige Komponente, die
vielen guten Spielräumen immer mehr
fehlt: erwachsenenfreie Zonen! Dorothee
Frutiger formuliert dieses Postulat so: ‚Ein
Kind braucht Sicht- und Lichtschutz, um
sich der Kontrolle der ständigen Förderung und Erziehung, dem Kommentar
und dem Beobachtetwerden von Erwachsenen entziehen zu können um zu
verdauen, zu träumen, andere Kinder zu
treffen, Abenteuerliches auszudenken,
zum Traurigsein, zum Alleinsein - um bei
sich selber zu sein.’
So schwenkt die Optik über den Rand des
alltäglichen Spielplatzes hinaus und beginnt Spielqualitäten im ganzen Lebensraum der Kinder zu thematisieren. Bald
merken wir, dass in Zwischenräumen
weit mehr Chancen stecken, als auf den
minimalistisch kostenbewusst geplanten
Spielinszenierungen mit ihren fallschutzwütigen Untergründen. Eine Tagung unter Fachleuten für Spiel- und Lebensraum
erhebt schon 1994 die Forderung nach
Eroberung der Wildnis.
Lebe wild und gefährlich!
Risiko als Spielwert. Zur Sicherheit unorganisierten Spielens.
Foto © Jürgen Heuser
Junge Leute neigen naturgemäß zu einer
risikoreichen Lebensweise. Zwei für sie typische Manifestationen werden von Inge
Seiffge-Krenke – Professorin für Entwicklungs- und Pädagogische Psychologie an
der Universität Mainz – beschrieben: die
„imaginäre Audienz“, nämlich das Gefühl,
ständig durch andere beobachtet und
bewertet zu werden, und die von ihnen
erlebte Einzigartigkeit, kombiniert mit
dem Gefühl, von niemandem verstanden
zu werden.
Kulturspuren in der Natur
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Änderungen gesellschaftlicher Sichtund vor allem Handlungsweisen haben
das Aufwachsen junger Leute, ihr Heranreifen zu kompetenten Persönlichkeiten – vor allem in den letzten zwei bis
drei Jahrzehnten – in praxi auffallend
verändert. Diese Feststellung ist aus unterschiedlicher Sicht ganz und gar nicht
widerspruchsfrei: