Fall 1 - Institut für Staats- und Verwaltungsrecht

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Fall 1 - Institut für Staats- und Verwaltungsrecht
ao.Univ.-Prof. Dr. Dieter KOLONOVITS, M.C.J.
Pflichtübung aus Öffentlichem Recht, SS 2013
e-mail: [email protected]; homepage: http://staatsrecht.univie.ac.at/ao-professoren/kolonovits/
Universität Wien, Institut für Staats- und Verwaltungsrecht, Schottenbastei 10-16, 1010 Wien
Fall 1
I. Mit 10.3. diesen Jahres (in der Folge: dJ) brachte der in der Gemeinde Fehring – eine ca 3000
Einwohner zählende Gemeinde in der Steiermark – ansässige Landwirt Anton Gierig bei der örtlich
zuständigen Baubehörde ein Baugesuch für den Zu- und Umbau des bestehenden Stalles und den Neubau
eines Mastschweinestalles mit Güllegrube auf seiner Liegenschaft ein. Entsprechend der Baubeschreibung
sollen der Mastschweinestall und die Güllegrube (mit Durchmesser von 16,40 Meter) für wenigstens 800
Mastschweine ausgerichtet sein. Dies wäre eine Vervierfachung des bisherigen Bestandes.
II. In der Folge beraumte das zuständige Organ der Baubehörde am 14.3.dJ, durch Anschlag im
Gemeindeamt, eine Bauverhandlung für den 31.3. dJ an. Überdies wurden sowohl Gierig als auch sein
Nachbar Emil Empfindlich persönlich zur Bauverhandlung geladen. Den Erledigungen ist neben Termin und
Ort der Bauverhandlung folgender Text zu entnehmen:
„Gemäß dem steiermärkischen Baugesetz können Einwendungen bis spätestens am Tag vor Beginn der
Verhandlung bei der Behörde oder während der Verhandlung erhoben werden.“
III. Zur Bauverhandlung erscheint neben dem zuständigen Organ, dem Bausachverständigen und dem
immissionstechnischen Sachverständigen nur Empfindlich, der gegen das Bauvorhaben ist und einwendet,
dass die Lagerung der Gülle wegen des geringen Abstandes zu seiner Grundgrenze zu einer unangemessenen
und nicht ortsüblichen Geruchsbelästigung führen würde, die in der Folge auch eine
Gesundheitsbeeinträchtigung nach sich ziehen könnte. Weiters sei die Art der Massentierhaltung barbarisch
und würde dem Tierschutz widersprechen.
Der immissionstechnische Sachverständige gelangt in seinem Gutachten zu dem Schluss, dass aufgrund
der Größe der Güllegrube, die hervorgerufene Geruchsbelästigung tatsächlich das ortsübliche Ausmaß
übersteigen würde und eine Gesundheitsbeeinträchtigung nicht ausgeschlossen werden kann.
Frage 1: Wer ist die zuständige Baubehörde (Nennen Sie bitte auch die verfassungsrechtliche
Grundlage)?
Frage 2: Wie beurteilen Sie Empfindlichs Einwendungen in der Bauverhandlung?
IV. Mittels Bescheid vom 14.3.dJ wird dem Baugesuch unter der Auflage stattgegeben, dass die
Güllegrube einen Durchmesser von 10 Meter nicht überschreiten darf, weiters wird die Einhaltung eines
Mindestabstandes von 50 Meter zum Grundstück des Empfindlich vorgeschrieben. Dagegen erheben sowohl
Gierig als auch Empfindlich Berufung an die örtlich zuständige Berufungsbehörde.
Empfindlich hält in der Berufung seine Einwendungen sowohl hinsichtlich des Tierschutzes als auch der
Geruchsbelästigung – die auch von einer Güllegrube mit 10 Meter Durchmesser und 50 Meter
Mindestabstand ausgehen würde – aufrecht. Darüber hinaus macht er in der Berufung geltend, dass durch die
Vervielfachung des Schweinebestandes unzumutbare Lärmimmissionen entstehen würden.
Frage 3: Wer ist die zuständige Baubehörde in der Berufungsinstanz?
Frage 4: Ist Gierig berufungslegitimiert obwohl er der Bauverhandlung fern blieb?
Frage 5: Könnte Gierig – sofern er berufungslegitimiert ist – die Verletzung von Grundrechten
erfolgreich geltend machen?
Frage 6: Kann Empfindlich in der Berufung Lärmimmissionen geltend machen?
Frage 7: Stehen gegen eine Entscheidung der Berufungsbehörde weitere Rechtsmittel zur
Verfügung? (Legen Sie Ihrer Antwort bitte die verfassungsrechtliche Grundlage zugrunde)?
V. Um auch in turbulenten Zeiten wirtschaftlich unabhängig zu bleiben beschließt Gierig, sich nicht nur
auf die Haltung von Mastschweinen zu beschränken, sondern diese künftig selbst vor Ort zu schlachten, um
das Fleisch in der Folge an eine Supermarktkette zu veräußern. Im Fleischergewerbe verspricht er sich in
Zukunft seine Haupteinnahmequelle. Für die Realisierung dieses Projekts plant Gierig die Errichtung eines
eigenen Schlachthauses auf seinem Grundstück. Lediglich die Frage der Ableitung des bei der Entblutung
der Tiere freiwerdenden Blutes bereitet Gierig, aufgrund des hohen Grundwasserspiegels, Sorgen.
Frage 8: a) Welche Regelungen hat Gierig hinsichtlich des gewerblichen Berufsrechts bei all
seinen Tätigkeiten zu beachten? b) Wie beurteilen Sie die entsprechenden gewerberechtlichen
Voraussetzungen aus grundrechtlicher Sicht?
Frage 9: Bedarf Gierig zur Errichtung des Maststalles einer gewerberechtlichen Genehmigung?
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Frage 10: Bedarf Gierig zur Errichtung des Schlachthauses einer gewerberechtlichen
Genehmigung?
VI. Als Empfindlich von Gierigs neuem Vorhaben erfährt reicht es ihm endgültig. Er möchte
gemeinsam mit anderen Tierschützern am Vormittag des 2.5.dJ in der Grazer Innenstadt eine friedliche
Demonstration gegen Massentierhaltung organisieren, dabei soll auch auf die „Mastschweinefabrik“ Gierigs
aufmerksam gemacht werden um die steiermärkische Bevölkerung gegen dieses Vorhaben zu mobilisieren.
Bereits am 28.4.dJ bringt Empfindlich eine Versammlungsanzeige ein.
VII. Der Organwalter der Versammlungsbehörde hat gegen die ordnungsgemäß angezeigte
Versammlung vorerst keine Bedenken. Erst auf Druck der steiermärkischen Bauernvereinigung – deren
Vorsitzender Gierig ist – untersagt der Organwalter die Versammlung, da eine vermeintliche Gefährdung der
öffentlichen Sicherheit zu befürchten sei. Die dagegen erhobene Berufung wird von der im Instanzenzug
übergeordneten Behörde als unbegründet abgewiesen.
Frage 11: Wer ist die örtlich zuständige Versammlungsbehörde und wer die im Instanzenzug
übergeordnete Behörde?
Frage 12: Stehen Empfindlich gegen die Entscheidung der Berufungsbehörde Rechtsmittel offen?
Frage 13: Wie beurteilen Sie die Untersagung der Versammlung aus grundrechtlicher Sicht?
VIII. Nach einem Treffen der steiermärkischen Bauernvereinigung am 3.5.dJ in Graz – bei dem mit
reichlich Most auf das geplante Schlachthaus angestoßen wurde – geht Gierig zu seinem Auto um die
Heimfahrt nach Fehring anzutreten.
Als er hinter der Windschutzscheibe einen „Strafzettel“ wegen des Verstoßes gegen das Halte- und
Parkverbot gem § 99 Abs 3 lit a iVm § 52 Z 13b StVO findet ist er außer sich, da auf der Straßenseite auf der
er sein Auto abstellte, zwar mehrere „HALTEN UND PARKEN VERBOTEN“ Zeichen aufgestellt sind,
jedoch nirgends Zusatztafeln „Anfang“ und „Ende“ angebracht wurden.
IX. Verärgert über den „Strafzettel“ tritt Gierig die Fahrt nach Hause an. Jedoch kommt er nicht weit.
Bereits am Joanneumring gerät er in ein Planquadrat, wo er von zwei Organen des öffentlichen
Sicherheitsdienstes aufgefordert wird – zur Ermittlung seines Atemalkoholgehaltes – in einen Alkomaten zu
blasen. Nachdem der Alkomat aufgrund der noch immer anhaltenden Aufregung Gierigs keine brauchbaren
Ergebnisse liefert, verfügen die Polizisten eine Blutabnahme. Dies verweigert Gierig unter Berufung auf
seine körperliche Integrität. Daraufhin wird Gierig mit Geldstrafe von 2150 Euro, wegen § 99 Abs 1 lit c
iVm § 5 Abs 6 StVO bestraft.
Frage 14: Wie beurteilen Sie die Aufstellung der „HALTEN UND PARKEN VERBOTEN“
Zeichen?
Frage 15: Wie beurteilen Sie die Bestrafung Gierigs, aufgrund der Verweigerung der
Blutabnahme, aus grundrechtlicher Sicht?
ao.Univ.-Prof. Dr. Dieter KOLONOVITS, M.C.J.
Pflichtübung aus Öffentlichem Recht, SS 2013
e-mail: [email protected]; homepage: http://staatsrecht.univie.ac.at/ao-professoren/kolonovits/
Universität Wien, Institut für Staats- und Verwaltungsrecht, Schottenbastei 10-16, 1010 Wien
Auszug aus dem steiermärkischen Baugesetz
idF LGBl 2003/78:
§ 2 Behördenzuständigkeit
(1) Behörde erster Instanz ist der Bürgermeister, Behörde
zweiter Instanz der Gemeinderat.
(2) In Städten mit eigenem Statut ist Behörde erster Instanz
der Stadtsenat, Behörde zweiter Instanz die
Berufungskommission.
§ 13 Abstände
(12) Läßt der Verwendungszweck von baulichen Anlagen
eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung oder
Gesundheitsgefährdung der Nachbarschaft erwarten oder ist
dies zum Schutz des Ortsbildes erforderlich, hat die Behörde
größere Abstände vorzuschreiben.
§ 25 Kundmachung und Ladung zur Bauverhandlung
(1) Die Anberaumung einer Bauverhandlung hat durch
persönliche Verständigung der bekannten Beteiligten zu
erfolgen. Als bekannte Beteiligte gelten insbesondere
1. der Bauwerber,
2. der Grundeigentümer,
3. der Inhaber des Baurechtes,
4. die Verfasser der Projektunterlagen,
5. die Nachbarn,
6. die Gemeinde in jenen Bauverfahren, die durch
Übertragungsverordnung der Landesregierung auf staatliche
Behörden des Landes übertragen wurden.
Wenn noch andere Personen als Beteiligte in Betracht
kommen, ist die Verhandlung überdies durch Anschlag in der
Gemeinde oder durch Verlautbarung in der für amtliche
Kundmachungen der Behörde bestimmten Zeitung
kundzumachen.
(2) Die Bauverhandlung ist so anzuberaumen, dass die
Teilnehmer rechtzeitig und vorbereitet erscheinen können.
Die Verständigung (Kundmachung) über die Anberaumung
der Verhandlung hat den Gegenstand, die Zeit und den Ort
der Bauverhandlung einschließlich des Hinweises auf die
gemäß § 27 Abs. 1 eintretenden Folgen (Verlust der
Parteistellung) zu enthalten. Falls für Zwecke der
Verhandlung Pläne oder sonstige Behelfe zur Einsicht der
Beteiligten aufzulegen sind, ist dies bei der Anberaumung der
Bauverhandlung unter Angabe von Zeit und Ort der
Einsichtnahme bekannt zu geben.“
(3) Ein Nachbar, der seine Parteistellung gemäß Abs. 1
verloren hat und glaubhaft macht, dass er durch ein
unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert
war, rechtzeitig Einwendungen im Sinne des § 26 Abs. 1 zu
erheben, und den kein Verschulden oder nur ein minderer
Grad des Versehens trifft, kann binnen zwei Wochen nach
dem Wegfall des Hindernisses seine Einwendungen auch
nach Abschluss der Bauverhandlung vorbringen, und zwar
1. bis zum Ablauf von acht Wochen ab tatsächlichem
Baubeginn oder
2. ab Kenntnis der bewilligungspflichtigen
Nutzungsänderung, längstens jedoch bis zum Ablauf eines
Jahres ab durchgeführter Nutzungsänderung.
(4) Ein Nachbar, der nicht seine Parteistellung verloren hat
und dem kein Bescheid zugestellt worden ist (übergangener
Nachbar), kann nur bis zum Ablauf von drei Monaten ab
tatsächlichem Baubeginn oder ab Kenntnis der
bewilligungspflichtigen Nutzungsänderung, längstens jedoch
bis zum Ablauf eines Jahres ab durchgeführter
Nutzungsänderung nachträgliche Einwendungen gegen die
bauliche Maßnahme vorbringen oder die Zustellung des
Genehmigungsbescheides beantragen.
(5) Solange über das Bauansuchen noch nicht entschieden
wurde, sind Einwendungen nach Abs. 3 und 4 von der
Behörde in gleicher Weise zu berücksichtigen, als wären sie
in der mündlichen Verhandlung erhoben worden. Wurde
hingegen der Baubewilligungsbescheid bereits erlassen, gilt
die Einbringung der Einwendung als Antrag auf Zustellung
des Genehmigungsbescheides. Gegen den
Genehmigungsbescheid oder gegen den dem Antrag auf
Zustellung nicht stattgebenden Bescheid ist die Berufung
zulässig. Für das weitere Verfahren ist die zum Zeitpunkt der
Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides maßgebliche
Rechtslage zu berücksichtigen.“
§26 Nachbarrechte
(1) Der Nachbar kann gegen die Erteilung der
Baubewilligung Einwendungen erheben, wenn diese sich auf
Bauvorschriften beziehen, die nicht nur dem öffent lichen
Interesse, sondern auch dem Interesse der Nachbarn dienen
(subjektiv-öffentlich-rechtliche Einwendungen).
Das sind Bestimmungen über
1. …
2. die Abstände (§ 13);
3. den Schallschutz (§ 43 Abs. 2 Z. 5);
…
(2) Wird von einem Nachbarn die Verletzung eines Rechtes
behauptet, das ausschließlich der Wahrung öffentlicher, von
der Behörde von Amts wegen wahrzunehmender Interessen
dient (objektiv-öffentlichrechtliche Einwendung), so hat die
Behörde dieses Vorbringen zurückzuweisen.
§ 27 Parteistellung
(1) Wurde eine Bauverhandlung gemäß § 25 Abs. 1 letzter
Satz und zusätzlich in geeigneter Form kundgemacht, so hat
dies zur Folge, dass ein Nachbar seine Stellung als Partei
verliert, soweit er nicht spätestens am Tag vor Beginn der
Verhandlung bei der Behörde oder während der Verhandlung
Einwendungen im Sinne des § 26 Abs. 1 erhebt. Eine
Kundmachungsform ist geeignet, wenn sie sicherstellt, dass
ein Nachbar von der Anberaumung der Bauverhandlung
voraussichtlich Kenntnis erlangt.
(2) Wurde eine Bauverhandlung nicht gemäß Abs. 1
kundgemacht, so erstreckt sich die darin bezeichnete
Rechtsfolge (Verlust der Parteistellung) nur auf jene
Nachbarn, die rechtzeitig die Verständigung von der
Anberaumung der Bauverhandlung erhalten haben.
§ 43 Allgemeine Anforderungen
(2) …
5. Schallschutz
Das Bauwerk muß derart geplant und ausgeführt sein, daß der
von den Benützern oder von Nachbarn wahrgenommene
Schall auf einem Pegel gehalten wird, der nicht
gesundheitsgefährdend ist und bei dem zufriedenstellende
Wohn- und Arbeitsbedingungen sichergestellt sind.

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