Die Lage des Lokalfunks in der Hörfunk- landschaft Nordrhein

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Die Lage des Lokalfunks in der Hörfunk- landschaft Nordrhein
Die Lage des Lokalfunks in der Hörfunklandschaft Nordrhein-Westfalens
Jürgen Brautmeier
20 Jahre VG Lippewelle Hamm
Hamm, 25. August 2007
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Sehr geehrter Herr Nowoczin,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrter Herr Dr. Ippen,
meine sehr verehrten Damen und Herren!
I.
Ich darf mich zunächst den Glückwünschen anschließen, die zum 20jährigen Bestehen der Veranstaltergemeinschaft der Lippewelle Hamm
von meinen Vorrednern ausgesprochen worden sind. Die Landesanstalt
für Medien ist Ihnen altersmäßig gerade einmal um zwei Monate voraus,
sie wurde im Mai 1987 gegründet, Ihre VG im Juli, so dass beide Institutionen jetzt ihr Zwanzigjähriges feiern können. Ich sage bewusst Institutionen, denn wie wollen Sie es anders nennen, wenn sowohl der Verein
VG Lippewelle Hamm seinen Gründungsvorsitzenden, Herrn Nowoczin,
als auch die Betriebsgesellschaft ihren Gründungsgeschäftsführer, Herrn
Schmidt, in all den zwanzig Jahre in ihren Positionen hat wirken lassen.
Da kommt es einem schon merkwürdig vor, dass der Chefredakteur,
Herr Heistermann, erst 15 Jahre im Amt ist. Ihnen allen dazu also meine
herzlichen Glückwunsch, aber auch der Dank und die Anerkennung der
LfM für diese Kontinuität: Hier in Hamm ruht das Zweisäulenmodell offensichtlich auf einem sehr sicheren Fundament.
Die Lippewelle kann man ohne zu zögern als die Erfolgsgeschichte im
Lokalfunk Nordrhein-Westfalens bezeichnen. Der Sender nimmt seit Jahren in NRW kontinuierlich die Spitzenposition ein mit einem „Hörer gestern“ von 46 % (Juli 2007). Wen wundert es da, dass der Bekanntheitsgrad höher ist als der von WDR 2 oder Eins Live, den bekanntesten
WDR-Sendern, wobei Bekanntheit heißen soll, dass man den Sender
schon einmal gehört hat. Diese Erfolgsgeschichte, nämlich die erfolgreiche Positionierung der „Marke“ Lippewelle Hamm hängt sicherlich zusammen mit der personellen Kontinuität auf der Führungsebene, aber
auch und sogar in erster Linie mit dem Charakter und der Qualität des
Programms, beglaubigt z. B. im letzten Jahr mit dem LfM-Hörfunkpreis in
der Kategorie „Projekte/Serien“. Auch hierzu meine herzlichen Glückwünsche!
Als mich Herr Nowoczin vor Monaten gefragt hat, ob ich zum 20-jährigen
Jubiläum der Veranstaltergemeinschaft Lippewelle Hamm einen Vortrag
zur „Lage des Lokalfunks in der Hörfunklandschaft NordrheinWestfalens“ halten könne, habe ich spontan zugesagt, weil ich seit Beginn meiner Tätigkeit in der Landesmedienanstalt ein besonderes Verhältnis zum Lokalfunk habe und mich auch immer wieder öffentlich dazu
geäußert habe, und zwar zu programmlichen wie auch zu strukturellen
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und zu politischen Fragen. Besonders gern erinnere ich mich übrigens
an einen Vortrag vor VG-Mitgliedern und Chefredakteuren zur Programmqualität des Lokalfunks am Beispiel von Antenne Düsseldorf in
der Akademie Mülheim im Jahr 1991. Ich habe damals besonders die
Chefredakteure mit der Forderung provoziert, aus einem Formatradio
kein „Radio ohne Format“ werden zu lassen. Ich gebe heute zu, dass es
etwas unfair war, so kurz nach Sendebeginn von einem “erst rudimentär“
entwickelten journalistischen Anspruch zu reden und die hehren Programmanforderungen des damaligen Landesrundfunkgesetzes zur
Messlatte zu nehmen, aber vielleicht haben die Chefredakteure nach
den Buh-Rufen, die ich mir während der Rede eingefangen habe, danach doch eingesehen, dass ich ihnen - und den Veranstaltergemeinschaften - eigentlich den Rücken stärken wollte in ihrem damaligen Ringen mit den Betriebsgesellschaften und mit Radio NRW. Seitdem bin ich
übrigens nicht mehr so provokant, aber eine reine Festtagsrede, allen
Wohl und keinem Wehe, werden Sie auch heute von mir nicht unbedingt
erwarten dürfen: Dafür stehen wir heute wieder an einer zu wichtigen
Weggabelung.
Die Sorge um das Wohlergehen des Lokalfunks, die in der Politik wie in
der LfR in den ersten Monaten und Jahren zum Ausdruck gebracht wurde,
konzentrierte sich auch in den Veranstaltergemeinschaften vor Ort auf Fragen der Finanzausstattung und der Programmqualität, aber auch auf die
Frequenzversorgung und -optimierung. Die Themen Frequenzoptimierung, Finanzausstattung und Programmqualität sind in all den zurückliegenden Jahren Ihre und unsere ständigen Begleiter gewesen, wem sage
ich das. Insgesamt waren sich die Hauptbeteiligten - Veranstaltergemeinschaften, Betriebsgesellschaften, Chefredakteure und Radio NRW mit uns einig, gemeinsam das Beste aus dem Konstrukt machen zu wollen. Trotz aller Anfangsschwierigkeiten konnte schon nach wenigen Jahren festgestellt werden, dass sich das Lokalradio großer Beliebtheit bei
den Hörerinnen und Hören erfreute. Der lokale Inhalt war und ist das Erfolgsgeheimnis, also die journalistische Arbeit vor Ort, die kein anderer
Sender bieten kann, weil das Gesetz und die Frequenzknappheit nur jeweils einen Lokalsender je Stadt oder Kreis zulassen.
Man darf gleichzeitig nicht vergessen, dass erst durch das gesetzliche
Gebot der Flächendeckung, dass also überall in Nordrhein-Westfalen
lokaler Hörfunk veranstaltet werden sollte, und durch die Möglichkeit der
Veranstaltung eines Mantelprogramms das Ganze auf eine finanziell
tragfähige Basis gestellt wurde. Denn nur dadurch, dass die Werbung
treibende Wirtschaft über das Mantelprogramm überregionale Werbung
schalten konnte und diese überall in NRW zu hören war, kam genug
Geld in die gemeinsame Kasse. Das Besondere an diesem nur in NRW
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in Reinform zu findenden Modell ist also neben dem viel diskutierten
Zweisäulenmodell die programmliche und organisatorische Verbindung
mit einem flächendeckenden landesweiten Programm. Hinzu kam schon
bald die Idee der Servicegesellschaften auf regionaler Ebene, so dass
gleichzeitig drei Finanzierungsquellen ausgeschöpft werden konnten.
Nur durch die Kombination lokaler, regionaler und überregionaler, sprich
landesweit verbreiteter Werbung in einem Programm und damit in einer
Hand, nämlich im Wesentlichen der nordrhein-westfälischen Verlegerhand, wurde es möglich, in heute fünfundvierzig Verbreitungsgebieten
Lokalfunk zu veranstalten.
Der inhaltliche und damit auch der kommerzielle Erfolg des Modells haben dazu geführt, dass selbst die ehemaligen Kritiker und Zweifler heute
sagen, auch mit Blick auf die Hörfunklandschaft in anderen Bundesländern, dass Nordrhein-Westfalen einen starken Lokalfunk hat. Es gibt gegenwärtig auch niemanden, der das Modell in Frage stellt. Aber zu diesem Model gehört eben nicht nur die einzelne Lokalstation mit ihrem
Zweisäulenmodell. Die fünfundvierzig Lokalstationen, wie wir sie kennen,
existiert wirtschaftlich erfolgreich nur, ich wiederhole es, weil die Werbeerlöse aus drei unterschiedlichen Quellen in ein und dasselbe Unternehmen „Lokalfunk NRW“ fließen. Sobald sich diese Grundkonstellation
ändert, wird das gravierende Auswirkungen haben, weil dann das Gesamtmodell so nicht mehr funktioniert.
II.
Seit dem Sommer 2006 sprechen wir über die Genfer Wellenplankonferenz, heute in aller Munde unter dem Kürzel RRC (Regional Radiocommunication Conference) 06. Auf dieser internationalen Konferenz sind
die Rundfunkkapazitäten für ganz Europa festgelegt bzw. verteilt worden, die zur Digitalisierung des terrestrischen Fernsehens und des terrestrischen Radios zur Verfügung stehen werden. Für das Fernsehen
bedeutet dies wenig, da nur noch etwa fünf Prozent der Zuschauer ausschließlich terrestrisch versorgt werden und das digitale Antennenfernsehen DVB-T sowie erst recht das digitale Handy-TV nur eine Rest- bzw.
Komplementärversorgung bieten. Beim Hörfunk ist dies aber genau anders herum: Hörfunknutzung ist terrestrisch, der Empfang per Dach-,
Stab- oder Autoantenne ist der Hauptempfangsweg, weshalb eine Umstellung der Technik in diesem Bereich ganz andere Dimensionen hat.
Ich sage ganz bewusst „hat“ und nicht „hätte“, weil ich fest davon ausgehe, dass auch der Hörfunk digital verbreitet werden wird, die Frage ist
nur wann, und wie lange sich das alte und das neue System parallel
betreiben lassen bzw. wie der Übergang aussieht.
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Übrigens habe ich in einem Aufsatz, den ich im Jahr 1997 verfasst habe,
einen Satz gefunden, der zwischenzeitlich der Gnade des Vergessens
anheim gefallen war, den ich seit einem Jahr aber schon fast gebetsmühlenartig wiederhole, und der hieß damals und heißt heute: „Insgesamt müssen sich Perspektiven … ergeben, mit denen der lokale Hörfunk in Nordrhein-Westfalen den Übergang in das digitale Zeitalter schaffen kann. Vor allem der Wegfall des Mangels an Übertragungskapazitäten, der sich in der Zukunft abzeichnet, wird das Zwei-Säulen-Modell
nicht ungeschoren lassen.“ Damals stand die Einführung von DAB kurz
bevor, und wir alle wissen, dass daraus nicht viel geworden ist. Heute,
zehn Jahre später, sind 1.) die technischen, wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen ganz andere, es können 2.) viel mehr Kapazitäten verteilt werden, 3.) werden neben den vorhandenen Sendern
zahlreiche neue Inhaltsangebote möglich, die es bisher nicht gab, und
4.) werden neue Geräte viel schneller und billiger auf den Markt kommen
als damals.
Theoretisch können wir ab dem Jahr 2009, wenn die Frequenzplanungen weitgehend abgeschlossen, die Rundfunkgesetzgebung angepasst,
die Sendernetze aufgebaut und die Geräte am Markt sein werden, an
jedem Ort in NRW terrestrisch bis zu ca. sechzig Programme empfangen, nämlich ca. fünfzehn bundesweite Programme oder Dienste, bis zu
ca. dreißig landesweite und noch einmal ca. fünfzehn regionale. Um zu
verdeutlichen was das heißt: In NRW empfangen wir gegenwärtig auf
diesen drei Ebenen - die einen mit eher dürftiger, die anderen mit sehr
üppiger Frequenzausstattung, ohne einstrahlende Programme aus den
Nachbarländern mitzurechnen -, lediglich zwei bundesweite Hörfunkprogramme über die Antenne, nämlich den Deutschlandfunk und das
Deutschlandradio Kultur, fünf landesweite Programme des WDR sowie
den britischen Soldatensender BFBS, und in elf Regionen von NRW alltags tagsüber zur halben Stunde ein für zwei bis drei Minuten regionalisiertes WDR 2-Programm. Summa summarum könnten bundesweit, landesweit und regional bei uns neben diesen neun existierenden analogen
also mehr als fünfzig neue digitale Programme oder Dienste entstehen,
die mit den genannten neun analogen und dann natürlich auch digital
ausgestrahlten Programmen um die selben Hörer und Werbeeinnahmen
konkurrieren.
In diesem Rechenexempel kommt der Lokalfunk nicht vor, weil im digitalen Rundfunk dafür, zumindest in den Anfangsjahren, gar keine Kapazitäten vorgesehen sind. Bisher war die Hörfunkwelt in NRW so aufgeteilt,
dass sich die neun bundesweiten, landesweiten und regionalen Programme und das eine Lokalprogramm mit landesweitem Mantel nicht all
zu sehr ins Gehege kamen bzw. beide nebeneinander leben konnten.
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Wenn in Zukunft allerdings aus neun Konkurrenten des Lokalfunks an
die sechzig werden könnten - sicherlich nicht an jedem Ort in NRW, aber
vielleicht doch in den Ballungsgebieten, sicherlich nicht auf Anhieb sechzig, aber vielleicht zwanzig oder dreißig -, dann wird das Modell „Lokalfunk NRW“ in seiner heutigen Form so nicht fortbestehen können. Ich
möchte bitte nicht missverstanden werden: Ich spreche nicht davon,
dass sich das bisherige Erfolgsmodell bald erledigt hat, aber es darf sich
auch nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen, sondern muss sich anpassen
an die neue Situation. Alle Hoffnung auf die Digitalisierung des UKWBandes zu setzen, was wieder lokalere Strukturen ermöglichen könnte,
wird nicht reichen, denn dieser technische Ausweg wird erst dann gangbar sein, wenn das UKW-Band von analogen Sendern geräumt ist, also
erst Jahre nach Beginn der Digitalisierung.
Ich werde seit fast einem Jahr nicht müde zu betonen, dass heute niemand sagen kann, wann und wie genau die neue digitale Radiowelt entstehen wird. Aber eins ist gewiss: Kommen wird die neue Technik, denn
sie wird den Kapazitätsmangel beseitigen, der in der analogen UKWWelt jede Weiterentwicklung hemmt. Nicht nur die Lokalradios haben ja
immer wieder über diese Mangelsituation, sprich ihre unvollkommene
Frequenzversorgung, geklagt, ganz zu schweigen von der berühmten
„zweiten Kette“, die in der analogen Welt für den Privatfunk in NRW immer wieder gerne und gratis gefordert und nie realisiert werden konnte.
Man muss kein Prophet sein – ich bin Historiker -, um vorauszusagen,
dass sich genügend bundesweit verbreitete Sender, die bisher nur über
Satellit, Kabel oder Internet zum Hörer in NRW gelangen konnten oder
die es noch gar nicht gibt, als auch landesweit und regional veranstaltete, die es ebenfalls noch nicht gibt, für die neuen Verbreitungsmöglichkeiten gerade in Nordrhein-Westfalen mit seinen 18 Millionen Einwohnern interessieren werden.
Ich habe vorhin über die vier Hauptbeteiligten des Lokalfunksystems in
NRW gesprochen: VG, BG, Chefredakteur und Radio NRW. Diese vier
sitzen in einem Boot, dass sie gemeinsam vorwärts bewegen müssen.
Dummerweise ist es beim Rudern so - und ich weiß wovon ich rede, ich
habe zu Schul- und Studienzeiten selbst gerudert -, dass Sie sich in die
eine Richtung bewegen, aber in die andere Richtung schauen. Ich habe
den Eindruck, dass sich die gegenwärtige Situation des Hörfunks im allgemeinen und des Lokalfunks im besonderen mit einem Ruderboot vergleichen lässt, nämlich mit einem Vierer ohne Steuermann, dessen Besatzung das Boot zwar kraftvoll vorwärts treibt, aber nicht so genau
weiß, wo das Ziel ist und wie sie es erreicht. Dies soll kein Vorwurf an
die Beteiligten sein, ich will ja heute keine Buh-Rufe provozieren, im Ge-
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genteil, ich sehe mich selber mit im Boot sitzen, denn klare Vorstellungen über die weitere Strecke habe ich auch noch nicht.
Ich glaube nicht, dass wir alle Hoffnung darauf setzen können, in einem
Vierer mit Steuermann kämen wir besser zurecht. Abgesehen davon,
dass der Steuermann beim Rudern in der Regel ein Leichtgewicht ist,
müssten die LfM, die Politik oder Jemand aus Ihren eigenen Reihen, die
den Steuermann stellen könnten, dafür auch erst fit gemacht werden. Im
Übrigen hätten die LfM oder die Politik diese Rolle auch in anderen Booten, um im Bild zu bleiben, denn die Aufgabe kann ja nicht darin bestehen, nur für die bisherigen Wettbewerbsteilnehmer da zu sein. Und egal,
ob sich ein Steuermann findet oder nicht, erst wenn wir mehr wissen über die Rennstrecke, die Bootsklassen, die Zahl der Boote und die Wetterverhältnisse während des Wettkampfs, können wir mit Aussicht auf
Erfolg in das Rennen gehen.
Was ich eigentlich sagen will, und bevor ich das Ruderbild überstrapaziere, ist, dass uns die bevorstehende Beseitigung der Mangelsituation
zu entschlossenem Handeln zwingt. Der Lokalfunk wird in der analogen
Welt solange weitersenden können, wie er gehört wird, sprich, einen
Zeitpunkt für die analoge Abschaltung wird es so schnell nicht geben.
Aber das darf uns nicht dazu verleiten abzuwarten, was passiert. Die
Ausgangslage muss analysiert, die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen müssen definiert, die ökonomischen Gegebenheiten müssen berechnet und ein konkretes Umstiegsszenario muss entworfen werden. Dies müssen die LfM, die Politik, und alle bisherigen sowie alle neuen Programmveranstalter tun, und zwar zunächst jeder für sich, aber
bald auch gemeinsam, wobei die LfM als Moderator zur Verfügung steht.
Die Modelle, die bisher diskutiert werden, um mit dieser Situation fertig
zu werden, scheinen mir noch nicht ausreichend durchdacht. Sie finden
alle keine Antwort auf die zentrale Frage, wie eine viel größere Anzahl
von Programmen von im Wesentlichen gleich bleibenden Werbeerlösen
finanziert werden kann. Zwar gibt es noch Steigerungsraten bei den
Werbeumsätzen, auch und gerade in Nordrhein-Westfalen, aber reichen
die aus, um das Vorhandene zu bewahren und das Neue zu ermöglichen? Und muss man nicht dagegenrechnen, dass z. B. die zusätzliche
Weiterverbreitung vorhandener Lokalfunkprogramme in regionalen Verbünden, die ja denkbar ist, zusätzliche Kosten verursacht? Durch eine
zusätzliche regionale Verbreitung eines lokalen Programms bekomme
ich unter dem Strich keine zusätzlichen Hörer und damit auch keine zusätzlichen Werbeeinnahmen.
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Nehmen wir zum Beispiel, um keinen Anwesenden zu direkten Reaktionen zu verleiten, die Region Düsseldorf, deren Lokalsender in Düsseldorf, Neuss, Mettmann, Krefeld, Mönchengladbach, Duisburg, Kleve und
Wesel analog wie bisher und daneben digital alle parallel im Gesamtgebiet verbreitet werden könnten. Die These ist ja, dass dann die Reichweite z. B. von Antenne Düsseldorf größer würde und dadurch zusätzliche
Werbeeinnahmen erzielt werden könnten. Abgesehen davon, dass die
regionale Werbung ohnehin schon jetzt parallel auf allen Sendern läuft,
wird die Düsseldorfer Reichweite vielleicht größer. Da die anderen Sender aber alle den gleichen Effekt anstreben, kann dies doch nur zu gegenseitigen Verschiebungen bei der Einschaltquote und bei der lokalen
Werbung führen, also zu Reichweitenverlusten von Mettmann, Neuss,
Mönchengladbach usw. Der Medienkonsum des Hörers, der übrigens
schon in der analogen Welt auch Programme aus den Nachbargebieten
hören konnte, wird sich wohl nicht nennenswert steigern, wie sich überhaupt das Medienbudget jedes einzelnen von uns durch neue Angebote
nicht unbedingt ausweitet, sondern eher in sich verändert.
Bei dem geschilderten Szenario würde ein ruinöser Wettbewerb untereinander das Ergebnis sein bzw. das Erstarken einiger großer und das
Kränkeln bzw. Sterben kleinerer Lokalsender. Vielleicht ist aber auch
umgekehrt der Wettbewerb in den Ballungszentren so stark, dass gerade
dort die Gefahr für den Lokalsender am größten ist und sich das Lokale
in den weniger umkämpften Märkten besser halten kann. Dies kann heute noch niemand prognostizieren. Ich will mit diesem Beispiel auch nur
deutlich machen, dass es mit Beginn der Digitalisierung zwangsläufig zu
Verschiebungen und Veränderungen kommen wird, deren genaue Ausprägungen niemand kennt. Nur wer davon ausgeht, dass die Digitalisierung wieder, wie schon beim ersten Anlauf mit DAB, scheitert, kann darauf hoffen, dass es so weitergeht wie bisher.
Ich glaube dies nicht, und ich glaube deshalb auch nicht, dass eine 1 zu
1-Abbildung aller bisherigen Lokalradios in einer Region viel Sinn macht.
Gerade zu Beginn, wenn außer Kosten noch nichts entsteht, ist der Aufwand zu hoch, vor allem, wenn man auch noch bisher teilidentische Lokalprogramme mit unterschiedlichen Rahmenprogrammen, sprich unterschiedlichen Musikfarben umgeben will, um nicht fünf- oder sechsmal ein
und dasselbe Radio NRW-Rahmenprogramm zu verbreiten. Dies wäre,
nebenbei bemerkt, auch eine grandiose Ressourcenverschwendung. Ich
glaube vielmehr, dass die vorhandenen Sender, die ja weiterhin analog
im jeweiligen Verbreitungsgebiet ihr Monopol behalten, gemeinsam auf
der regionalen Ebene und darüber hinaus neue digitale Angebote entwickeln müssen, mit denen sie nicht verhindern können, dass andere
Wettbewerber ihnen einen Teil der Hörer abspenstig machen, aber sie
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können auf diese Weise zumindest einen Teil der verlorenen Werbeeinnahmen zurückgewinnen. Das bisherige Modell, ein landesweites Programm mit selbständigen lokalen Bestandteilen von in der Regel fünf
oder acht Stunden, stellt ein internes Ausgleichssystem zwischen den
verschiedenen Werbeebenen dar; dieses muss durch ein externes Ausgleichssystem ersetzt werden, bei dem mehrere eigenständige Programme auf den drei genannten Ebenen wirtschaftlich miteinander verbunden sind und so das wirtschaftlich schwächste Glied in der Kette, die
Lokalstation, so lange wie möglich weiter existieren kann.
Der bisherige Lokalfunk wird sich dabei nicht überall auf Dauer halten
lassen. Selbst dort, wo er stark ist, würde er, wenn er wirtschaftlich isoliert bliebe, am Ende des Tages untergehen. Nur wenn seine Betreiber
auch auf den anderen Ebenen, auf denen der eigentliche Wettbewerb
um die Werbeeinnahmen ausgetragen wird, mit weiteren selbst veranstalteten Programmen die Möglichkeit haben, die absehbaren Verluste
bei der regionalen und überregionalen Werbung auszugleichen, kann
sich der Lokalfunk wirtschaftlich und damit publizistisch halten. Er wird
möglicherweise zu einem Regionalfunk mutieren müssen, denn nach allem, was wir gegenwärtig wissen, hat er zumindest mittelfristig technisch
keine andere Zukunft. In der Übergangszeit wird es darauf ankommen,
das bisherige Modell so lange wie möglich am Leben zu halten, das
neue Modell aber so zügig wie nötig einzuführen.
Dies heißt aber auch, dass den bisher Beteiligten ein zusätzliches Engagement auf allen Ebenen, bundesweit, landesweit und regional, erlaubt
sein muss. Die bisherige Bestimmung des Landesmediengesetzes, dass
Zeitungs- oder Zeitschriftenverleger, die in ihrem Verbreitungsgebiet eine
marktbeherrschende Stellung haben, dort bei einem Rundfunkveranstalter keinen beherrschenden Einfluss ausüben dürfen, heißt, dass sie sich
nach herrschendem Recht an regionalen Veranstaltern in ihrem Zeitungsgebiet nur beschränkt beteiligen können. Dies hat in Zeiten von
Frequenzknappheit und Ein-Sender-Gebieten seinen Sinn, aber in Zukunft wird der eine Verleger, selbst wenn er ein Zeitungsmonopol in seiner Region hat, im Hörfunkbereich einer von vielleicht acht oder zehn
oder fünfzehn Wettbewerbern sein. Welchen Sinn macht es da noch, ihn
auf die Rolle des Minderheitsgesellschafters bei einem oder auch mehreren Sendern in seiner Region zu beschränken? Hier muss der Gesetzgeber neue Regelungen finden, die der unternehmerischen Weiterentwicklung der Zeitungshäuser zu Medienhäusern nicht im Weg stehen
und dennoch eine vielfältige Medienlandschaft gewährleisten können.
An dieser Stelle kommen auch die Veranstaltergemeinschaften wieder
ins Spiel. Waren sie bisher der Garant der publizistischen Unabhängig-
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keit des Lokalradios, so müssen sie diese Rolle mindestens so lange
ausfüllen, wie es die prognostizierte Vielfalt der Hörfunkprogramme in
der Realität noch nicht gibt. Aber auch in der digitalen Welt wird es Vielfalt sichernde Maßnahmen des Gesetzgebers geben müssen. Wäre es
da nicht nahe liegend, ein in fast zwanzig Jahren bewährtes Instrument
der Gewährleistung von Meinungsvielfalt in die neuen Medienkonzentrationsbestimmungen einzubauen? Statt Beteiligungsverbote oder prozentuale Schranken einzuführen, sollte der Gesetzgeber nicht unbedingt das
Zweisäulenmodell auf weitere Bereiche oder Ebenen ausdehnen, aber
die Existenz einer derartigen Einrichtung auf der lokalen Ebene könnte
die Beteiligungsmöglichkeiten auf den darüber liegenden Ebenen wesentlich erleichtern. Hier sollte der Gesetzgeber mit Phantasie und Intelligenz vernünftige Lösungen finden; aus ausländischen Modellen kann
man dabei übrigens eine Menge lernen.
Sehr geehrter Herr Nowoczin, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Ich hoffe, ich habe die mir zugedachte Zeit nicht überzogen und Ihre Geduld nicht überstrapaziert. Die Lage des Lokalfunks in der Hörfunklandschaft Nordrhein-Westfalens wird sich verändern. Die bisherigen, am Anfang nicht unbedingt absehbaren Erfolge dürfen kein Anlass sein, sich
zurück zu lehnen. Gerade jetzt, wo es noch keinen festen Fahrplan, keine gesetzlichen Festlegungen, keine durchgerechneten Modelle gibt, ist
die Zeit zum Handeln, wenn man nicht behandelt werden will.
Handeln heißt, selbst Hand an das Ruder zu legen. Wenn man einen
Steuermann findet, umso besser, aber verlassen darf man sich darauf
nicht, denn selbst wenn der Steuermann gut und erfahren ist, kommt
auch er nur gemeinsam mit den Ruderern ins Ziel. Auch die anderen
Boote werden sich ins Zeug legen, wobei die Erfahrung auf der bisher
zurückgelegten Strecke und die erzielten Erfolge der bisherigen Bootsbesatzung gerade hier in Hamm Grund zu Optimismus sein können.
Starke Lokalsender wie hier in Hamm werden das Fundament für die
weitere Entwicklung der Radiolandschaft in der digitalen Welt sein. Alle
bisherigen Mitstreiter in VG, BG und die erst Recht die Mitarbeiter in beiden Säulen des Systems werden dafür dringend gebraucht, denn nur mit
ihrer Erfahrung und ihrem Können lässt sich Neues Erfolg versprechend
beginnen.
Alles Gute für die Lippewelle Hamm! Herzlichen Glückwunsch allen Beteiligten! Lassen Sie uns heute gemeinsam feiern und ab morgen gemeinsam am Wohl des Lokalfunks weiterarbeiten, damit seine Lage in
der Hörfunklandschaft Nordrhein-Westfalens noch solange wie möglich
stabil bleibt und auch in der zukünftigen digitalen Welt der lokale Inhalt
seinen besonderen Stellenwert hat. Der Zuhörer will es so, hier in Hamm
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haben Sie es bewiesen. Deshalb sollten wir das als Auftrag verstehen
und die Neuordnung daran ausrichten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

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