Zur Bedeutung von Handelsbräuchen und Gepflogenheiten nach

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Zur Bedeutung von Handelsbräuchen und Gepflogenheiten nach
Ferrari, Franco
Zur Bedeutung von Handelsbräuchen und Gepflogenheiten nach
UN-Kaufrecht
The European Legal Forum (D) 5-2002, 272 - 277
© 2002 IPR Verlag GmbH München
The European Legal Forum - Internet Portal
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Literatur Dok.-Nr. 327
Heft 5-2002 „ The European Legal Forum „
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zelnen kann nicht zugemutet werden, dass er gegen das Gesetz
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verstößt, um Zugang zu den Gerichten zu erlangen.
46. Eine Schadensersatzklage aus außervertraglicher Haftung
der Gemeinschaft führt in einem Fall wie dem vorliegenden nicht
zu einer für die Interessen des Rechtsbürgers befriedigenden Lösung. Mit ihr lässt sich ein Rechtsakt auch dann nicht aus der
Gemeinschaftsrechtsordnung entfernen, wenn er rechtswidrig
sein sollte. Diese Klage, die den Eintritt eines unmittelbar durch
die Anwendung des streitigen Rechtsakts verursachten Schadens
voraussetzt, unterliegt anderen Voraussetzungen für die Zulässigkeit und die Begründetheit als die Nichtigkeitsklage und versetzt
den Gemeinschaftsrichter daher nicht in die Lage, die Rechtmäßigkeitskontrolle, die er ordnungsgemäß durchzuführen hat, in
ihrem ganzen Umfang wahrzunehmen. Insbesondere wenn eine
Maßnahme allgemeiner Geltung wie die im vorliegenden Fall angefochtenen Vorschriften im Rahmen einer solchen Klage in Frage gestellt wird, erstreckt sich die Kontrolle des Gemeinschaftsrichters nicht auf sämtliche Faktoren, die die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme beeinträchtigen könnten, sondern beschränkt sich
darauf, die hinreichend qualifizierten Verstöße gegen Rechtsnormen zu sanktionieren, deren Zweck es ist, dem Einzelnen Rechte
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zu verleihen.
47. Nach alledem ist festzustellen, dass im Licht der Art. 6 und
13 EMRK sowie des Art. 47 der Charta der Grundrechte nicht
mehr davon ausgegangen werden kann, dass die Verfahren nach
Art. 234 EG einerseits und nach den Art. 235 EG und 288 Abs. 2
EG andererseits den Rechtsbürgern ein Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gewährleisten, das es ihnen ermöglichen würde,
die Rechtmäßigkeit von Gemeinschaftsvorschriften allgemeiner
Geltung zu bestreiten, die ihre Rechtsposition unmittelbar beeinträchtigen.
48. Freilich kann ein solcher Umstand keine Änderung des
Rechtsschutzsystems gestatten, das der Vertrag geschaffen hat
und das den Gemeinschaftsrichter mit der Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe betraut. Keinesfalls ermöglicht er es, die von einer natürlichen oder juristischen Person
erhobene Nichtigkeitsklage, die nicht die Voraussetzungen des
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Art. 230 Abs. 4 EG erfüllt, für zulässig zu erklären.
49. Doch gibt es, wie Generalanwalt Jacobs in seinen Schlussan23
trägen in der Rechtssache Unión de Pequeños agricultores/Rat
ausgeführt hat, kein zwingendes Argument für die These, dass der
Begriff der individuell betroffenen Person im Sinne von Art. 230
Abs. 4 EG es verlangt, dass ein Einzelner, der eine Maßnahme allgemeiner Geltung anfechten möchte, in ähnlicher Weise individualisiert ist wie ein Adressat.
50. Unter diesen Umständen ist es in Anbetracht der Tatsache,
dass der EG-Vertrag ein vollständiges Rechtsschutzsystem geschaffen hat, das den Gemeinschaftsrichter mit der Kontrolle der
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Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe betraut, angebracht, die bisherige enge Auslegung des Begriffes der individuell
betroffenen Person im Sinne von Art. 230 Abs. 4 EG zu überdenken.
51. Demnach ist, um einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz der Einzelnen zu gewährleisten, eine natürliche oder juristische Person als von einer allgemein geltenden Gemeinschaftsbestimmung, die sie unmittelbar betrifft, individuell betroffen anzusehen, wenn diese Bestimmung ihre Rechtsposition unzweifelhaft
und gegenwärtig beeinträchtigt, indem sie ihre Rechte einschränkt
oder ihr Pflichten auferlegt. Die Zahl und die Lage anderer Personen, deren Rechtsposition durch die Bestimmung ebenfalls beeinträchtigt wird oder werden kann, sind insoweit keine relevanten
Gesichtspunkte.
52. Im vorliegenden Fall werden der Klägerin durch die angefochtenen Vorschriften tatsächlich Pflichten auferlegt. Die Klägerin, deren Schiffe in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen, betreibt nämlich die Fischerei in einem der Gebiete, in denen
diese Tätigkeit nach den angefochtenen Vorschriften ganz bestimmten Verpflichtungen in Bezug auf die Maschenöffnung der
zu verwendenden Netze unterliegt.
53. Die Klägerin ist daher von den angefochtenen Vorschriften
individuell betroffen.
54. Da die Klägerin von diesen Vorschriften auch unmittelbar
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betroffen ist, ist die Unzulässigkeitseinrede der Kommission abzuweisen und die Fortsetzung des Verfahrens anzuordnen. (...)“
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Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 21. 3. 2002 in der
Rechtssache C-50/00 P, Unión de Pequeños agricultores/Rat, noch
nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Nr. 43.
EuGH 4. 7. 2000 – C-352/98 P – Bergaderm und Goupil/Kommission,
Slg. 2000, I-5291, Rn. 41 bis 43, und EuG 23. 10. 2001 – T-155/99 –
Dieckmann & Hansen/Kommission, Slg. 2001, II-3143, Rn. 42 und 43;
vgl. außerdem für einen nicht hinreichend qualifizierten Verstoß
EuGH 19. 5. 1992 – C-104/89 und C-37/90 – Mulder u. a./Rat und
Kommission, Slg. 1992, I-3061, Rn. 18 und 19, und für einen Fall, in
dem die angeführte Norm nicht bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu
verleihen, EuG 6. 12. 2001 – T-196/99 – Area Cova u. a./Rat und
Kommission, Slg. 2001, II-3597, Rn. 43.
Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 12. 10. 2000 – C300/00 P [R] – Federación de Cofradías de Pescadores u. a./Rat, Slg.
2000, I-8797, Rn. 37.
Zitiert in Fn. 20, Nr. 59.
EuGH 23. 4. 1986 – 294/83 – Les Verts/Parlament, Rn. 23.
Vgl. oben, Rn. 26.
INTERNATIONALES UND EUROPÄISCHES HANDELS- UND GESELLSCHAFTSRECHT
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Zur Bedeutung von Handelsbräuchen und Gepflogenheiten nach UN-Kaufrecht
Prof. dott. Franco Ferrari, LL.M.
I. Einführung
tragsbeziehungen ist von der Lehre nicht sehr oft untersucht
2
worden. Gleiches gilt auch für die Rechtsprechung, die sich
Die Frage nach der Bedeutung der Gebräuche und Gepflogenheiten im Rahmen von dem UN-Übereinkommen über in1
ternationalen Warenkaufverträge (CISG) unterliegenden Ver-
zung für das Wiener Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf, ZEuP 1995, S. 347 ff.
2
*
1
Ordentlicher Professor für Internationales Recht an der Universität Verona (I); ehem. Mitglied des Rechtsausschusses der Vereinten Nationen,
Sektion für Internationales Handelsrecht (UNCITRAL).
Diese Abkürzung scheint die am häufigsten benutzte Abkürzung zu
sein; vgl. hierzu Flessner/Kadner, CISG? Zur Suche nach einer Abkür-
*
Für sich mit der Frage der Bedeutung der Gebräuche und Gepflogenheiten beschäftigende Aufsätze, siehe Bainbridge, Trade Usages in International Sales of Goods: An Analysis of the 1964 and 1980 Sales
Convention, 24 Va. J. Int’l L. 1984, S. 619 ff.; Bonell, Die Bedeutung
der Handelsbräuche im Wiener Kaufrechtsübereinkommen von 1980,
östJBl 1985, S. 385 ff.; Farnsworth, Unification and Comparative Law
in Theory and Practice: Liber amicorum Jean Georges Sauveplanne,
„ The European Legal Forum „ Heft 5-2002
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mit Art. 9 CISG, der diese Frage regelnden Bestimmung, bislang nur selten, und m.E. nicht immer ausschöpfend, beschäftigt hat: In den verschiedenen Entscheidungen sind in der Tat
immer nur einzelne (wenn auch wichtige) Aspekte angesprochen worden. Dies gilt auch bezüglich der neuesten zu Art. 9
CISG ergangenen Entscheidung, St. Paul Guardian Insurance
3
Co., et al. v. Neuromed Medical Systems & Support, et al., die
sich mit der Frage beschäftigt hat, wie in einem dem CISG unterstehenden Vertrag eingefügte Klauseln, wie etwa CIF,
FOB, etc., in dem Fall auszulegen sind, dass ein Hinweis auf
die INCOTERMS fehlt.
4
Diese, sowie andere die Bedeutung von Gebräuchen und
Gepflogenheiten im Rahmen von dem CISG unterliegenden
Verträgen betreffende Fragen sollen in diesem kurzen Beitrag
untersucht werden.
Ausgangspunkt ist dabei natürlich der Text von Art. 9
CISG, der seinen Vorläufer in Art. 13 EAG und Art. 9 EKG
5
hat, anlässlich der Wiener Konferenz aber dennoch zu hefti6
7
gen Diskussionen geführt hat. Art. 9 legt dispositiv fest, welche rechtliche Bedeutung Gebräuchen und Gepflogenheiten
im Rahmen von dem CISG unterliegenden Verträgen zu8
kommt. Dabei muss aber zwischen kraft Parteiwillens relevanten Gebräuchen und zwischen den Parteien entstandenen
Gepflogenheiten (Abs. 1) einerseits und bei Fehlen eines entsprechenden Parteiwillens dennoch relevanten Gebräuchen
9
(Abs. 2) andererseits unterschieden werden.
tung der Gebräuche kann auch stillschweigend vereinbart
10
werden, solange vom Vorliegen einer realen Einigung ausge11
gangen werden kann, die auch nach Vertragsschluss erfolgen
kann.
Der Begriff der „Gebräuche“ ist im CISG leider nicht defi12
niert worden, was aber nicht zum Rückgriff auf nationale
Vorstellungen bzw. Definitionen führen darf, da dies der ratio
13
conventionis zuwiderlaufen würde. Der Begriff ist - wie die
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Mehrzahl der im CISG verwendeten Begriffe - vielmehr au15
tonom auszulegen, d.h. „aus sich selbst heraus zu interpretieren [...]. Ein Rückgriff auf das nationale Recht des Anwenders
oder auf bestimmte nationale Begriffe oder Verständnisse ver16
bietet sich.“ Gebräuche im Sinne des CISG sind demnach alle Übungen oder Verhaltensweisen (zu denen auch Unterlas17
sungen zählen), die bei der Geschäftsabwicklung in einem
spezifischen Handelszweig oder an einem bestimmten Han18
delsplatz regelmäßig und allgemein beachtet werden. Das
10
II. Von den Parteien vereinbarte Gebräuche und zwischen ihnen entstandene Gepflogenheiten
1.Gebräuche
Ex Abs. 1 sind die Parteien an die Gebräuche gebunden, mit
denen sie sich einverstanden erklärt haben. Nicht notwendig
ist dabei, dass die Vereinbarung ausdrücklich erfolgt; die GelDeventer (NL), 1984, S. 81 ff.; Ferrari, La rilevanza degli usi nella convenzione di Vienna sulla vendita internazionale di beni mobili, Contr.
Imp. 1994, S. 239 ff.; Goldstajn, in: Sarcevic/Volken (Hrsg.), Dubrovnik Lectures, New York (USA), 1986, S. 55 ff.; Holl/Keßler, „Selbstgeschaffenes Recht der Wirtschaft“ und Einheitsrecht - Die Stellung der
Handelsbräuche und Gepflogenheiten im Wiener UN-Kaufrecht, RIW
1995, S. 457 ff.
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2002 U.S. Dist. Lexis 5096 (S.D.N.Y. 2002).
Zu dieser Frage vgl. den Text zu Fn. 78 ff.
Vgl. Achilles, Kommentar zum UN-Kaufrechtsübereinkommen
(CISG), Neuwied (D), 2000, Art. 9 Rn. 2; Bianca/Bonell/Bonell,
Commentary on the International Sales Law, Mailand (I), 1987, Art. 9
Anm. 1.2; Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Kommentar
zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 11. April 1980
über Verträge über den internationalen Warenkauf, München (D),
1991, Art. 9 Rn. 1; Honsell/Melis, Kommentar zum UN-Kaufrecht,
Berlin (D), 1997, Art. 9 Rn. 1; Staudinger/Magnus, Kommentar zum
Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen,
Wiener UN-Kaufrecht (CISG), 13. Bearb., Berlin (D), 1999, Art. 9
CISG Rn. 3.
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Siehe Official Records: Documents of the Conference and Summary
Records of the Plenary Meetings and of the Meetings of the Main
Committees (Vienna, 10 March – 11 April 1980), U.N. Doc.
A/Conf.97/19, New York (USA), 1981 (zitiert: O.R.), S. 89 (262 ff.);
Bianca/Bonell/Bonell aaO, Art. 9 Anm. 2.3.
Bonell, Commento all’art. 9 della convenzione di Vienna, Nuove leggi
civ. comm. 1989, S. 37 (38).
Holl/Keßler (oben Fn. 2), S. 457.
Vgl. auch Goddard, El Contrato de Compraventa Internacional, México City (MEX), 1994, S. 80; Diez-Picazo/Calvo Caravaca, La compraventa internacional de mercaderías. Comentario de la Convención de
Viena, Madrid (E), 1998, Art. 9, S. 137.
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18
O.R. (oben Fn. 6), S. 19; Achilles (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 4; Bianca/Bonell/Bonell (oben Fn. 5), Art. 9 Anm. 2.1.2; Bonell (oben Fn. 7),
S. 39; Ferrari (oben Fn. 2), S. 247; Honsell/Melis (oben Fn. 5), Art. 9
Rn. 2; Huber, Der UNCITRAL-Entwurf eines Übereinkommens über
internationale Warenkaufverträge, RabelsZ 1979, S. 413 (427); Karollus,
UN-Kaufrecht, Wien/New York (A/USA), 1991, S. 50; Rudolph,
Kaufrecht der Export und Import Verträge, Kommentierung des UNÜbereinkommens über Internationale Warenkaufverträge mit Hinweisen für die Vertragspraxis, Freiburg/Berlin (D), 1996, Art. 9 Rn. 2;
Schlechtriem/Junge, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht
(CISG), 3. Aufl., München (D), 2000, Art. 9 Rn. 8; Soergel/Lüderitz/Lorenz, Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz
und Nebengesetzen, Band 13, Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf (CISG), Stuttgart (D), 2000, Art. 9 CISG Rn. 3; Witz/Salger/Lorenz, Einheitliches
Kaufrecht, Heidelberg (D), 2000, Art. 9 Rn. 5; ebenso in der Rechtsprechung etwa OGH (A) 21. 3. 2000 – 10 Ob 344/99g, CISG Austria
Online; a.A. Goddard (oben Fn. 9), S. 80 f.; Gilette, Harmony and Stasis in Trade Usages for International Sales, 39 Va. J. Int’l L. 1999, S. 707
(713).
Achilles (oben Fn. 5), Rn. 5; Herber/Czerwenka (oben Fn. 5), Art. 9
Rn. 6; Staudinger/Magnus (oben Fn. 5), Art. 9 CISG Rn. 9.
Goddard (oben Fn. 9), S. 80; Bianca/Bonell/Bonell (oben Fn. 5), Art. 9
Anm. 3.1; Bonell (oben Fn. 7), S. 38; Diez Picazo/Calvo Caravaca (oben Fn. 9), Art. 9, S. 140; Goldstajn (oben Fn. 2), S. 96; Honsell/Melis
(oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 3; Rudolph (oben Fn. 10), Art. 9 Rn. 6;
Schlechtriem/Junge (oben Fn. 10), Art. 9 Rn. 2.
Ferrari, Vendita internazionale di beni mobili. Artt. 1-13. Ambito di
applicazione. Disposizioni generali, Bologna (I), 1994, S. 187;
Holl/Keßler (oben Fn. 2), S. 458.
Vgl. hierzu ausführlicher Schlechtriem/Ferrari (oben Fn. 10), Art. 7
Rn. 11 ff.
Achilles (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 2; Bianca/Bonell/Bonell (oben Fn. 5),
Art. 9 Anm. 3.2; Bonell (oben Fn. 2), S. 386; Diez Picazo/Calvo Caravaca (oben Fn. 9), Art. 9, S. 140; Ferrari (oben Fn. 13), S. 187; Herber/Czerwenka (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 4; Honsell/Melis (oben Fn. 5),
Art. 9 Rn. 3; Witz/Salger/Lorenz (oben Fn. 10), Art. 9 Rn. 4.
Staudinger/Magnus (oben Fn. 5), Art. 7 CISG Rn. 12; ebenso Diedrich,
Autonome Auslegung von Internationalem Einheitsrecht. Computersoftware im Wiener Kaufrecht, Baden-Baden (D), 1994, S. 77; Ferrari,
Besprechung von Magnus, Wiener UN-Kaufrecht, Berlin (D), 1995,
IPRax 1997, S. 64 (65); Heuzé, La vente internationale de marchandises
- droit uniforme, 2. Aufl., Paris (F), 2000, Anm. 95; Honsell/Melis (oben Fn. 5), Art. 7, Rn. 5; Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht,
Tübingen (D), 1996, Rn. 43; Torzilli, The Aftermath of MCC-Marble:
Is This the Death Knell for the Parol Evidence Rule?, 74 St. John’s L.
Rev. 2000, S. 843 (859); vgl. in der Rechtsprechung OLG Karlsruhe (D)
25. 6. 1997 – 1 U 280/96, Unilex: „deutschrechtliche Begriffe wie „Fehler“ bzw. zugesicherte Eigenschaften“ sind [...] auf das CISG nicht übertragbar“; Gerichtspräsident Laufen, 7. 5. 1993, Unilex: „[Das Übereinkommen] soll aus sich heraus ausgelegt werden, und nicht aus der
Sicht des jeweils nationalen Rechts des Rechtsanwenders.“
Ferrari (oben Fn. 2), S. 244; Schlechtriem/Junge (oben Fn. 10), Art. 9
Rn. 2.
Bianca/Bonell/Bonell (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 4; Honsell/Melis (oben
Fn. 5), Art. 9 Rn. 3; Staudinger/Magnus (oben Fn. 5), Art. 9 CISG
Rn. 7.
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Bewusstsein der betreffenden Verkehrskreise über die Rechts19
geltung der Gebräuche ist jedoch nicht erforderlich.
Im Gegensatz zu den ex Abs. 2 die Parteien bindenden Gebräuchen ist jedoch ex Abs. 1 nicht notwendig, dass es sich um
20
internationale Gebräuche handelt, auch lokale, regionale o21
der nationale Gebräuche können ex Abs. 1 relevant sein.
22
Auch verlangt Abs. 1 - im Gegensatz zu Abs. 2 - nicht, dass
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die Gebräuche „weithin bekannt“ sein müssen. Der Umstand, dass sowieso jede vereinbarte Regel denen des CISG
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vorgeht, hat einige Autoren dazu verleitet, zu behaupten, für
Abs. 1 komme es auf eine genaue Abgrenzung der Gebräuche
25
- anders als in Abs. 2 - nicht an.
Ob die Gebräuche, die die Parteien vereinbaren, gültig sind,
26
entscheidet - da es sich um eine grundsätzlich im CISG nicht
27
geregelte Frage handelt - das kollisionsrechtlich berufene na28
tionale Recht oder, handelt es sich um an bestimmten Orten
geltende Gebräuche, wie etwa Häfen oder Warenbörsen, das
29
Recht dieses Ortes. Ergibt sich, dass die Gebräuche gültig
(und wirksam vereinbart worden) sind, dann gehen sie den
30
Regeln des CISG vor.
2. Gepflogenheiten
Gepflogenheiten i.S. des CISG sind Verhaltensweisen, die
zwischen den konkreten Parteien regelmäßig beachtet werden
31
bzw. worden sind, wie zum Beispiel die prompte Lieferung
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von Ersatzteilen für verkaufte Maschinen. Es kommt dem19
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Schlechtriem/Junge (oben Fn. 10), Art. 9 Rn. 3.
Honsell/Melis (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 6; Karollus (oben Fn. 10), S. 51;
so ausdrücklich in der Rechtsprechung OGH (A) 21. 3. 2000 – 10 Ob
344/99g, Unilex.
Achilles (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 4; Bonell (oben Fn. 2), S. 388; Schlechtriem/Junge (oben Fn. 10), Art. 9 Rn. 8.
Vgl. hierzu den Text zu Fn. 65 ff.
nach auf eine individuelle - keine allgemeine - Übung der Par33
teien an, die notwendigerweise eine gewisse Dauer der Geschäftsbeziehung mit einer Mehrzahl von Verträgen voraus34
setzt. Diese Voraussetzung, so die Rechtsprechung, „erfüllt
eine vorbestehende Beziehung zwischen zwei Parteien, welche
sich auf zwei zur gleichen Zeit abgewickelte Kontrakte be35
schränkt, [jedoch] nicht“, genauso wenig wie sich aus einer
einmaligen Warenlieferung zwischen den Parteien Gepflogen36
heiten ergeben können. Daher überrascht ein Urteil des
37
OGH, wonach es durchaus denkbar sei, dass „aus Vorgesprächen sich ergebende Vorstellungen einer Partei, die nicht
ausdrücklich vereinbart wurden, schon bei Beginn der Geschäftsbeziehung als ‚Gepflogenheiten’ im Sinne des Art. 9
UN-K Inhalt auch bereits des ersten Vertrages werden können.“
Die Bindung an die zwischen den Parteien während länger
dauernder Geschäftsbeziehungen entstandenen Gepflogenheiten entspricht dem dem CISG zugrunde liegenden Gebot von
38
Treu und Glauben und dem Verbot des venire contra factum
39
proprium, kann man doch davon ausgehen, dass diese einen
Vertrauenstatbestand geschaffen haben, der nicht enttäuscht
40
werden soll. Demnach kann sich eine Partei zum Beispiel
nicht darauf berufen, dass der Vertrag keine besonderen (von
ihr nicht eingehaltenen) Rügemodalitäten vorsieht, wenn sich
aus den Gepflogenheiten das Gegenteil ergibt. Natürlich können die Parteien von diesen Gepflogenheiten durch Vereinba41
rung Abstand nehmen.
Was das Verhältnis zwischen unter den Parteien entstandenen Gepflogenheiten und den Vorschriften des CISG angeht,
42
so ist davon auszugehen, dass erstere Vorrang haben. Widersprechen sich jedoch die vereinbarten Gebräuche und die zwischen den Parteien entstandenen Gepflogenheiten, gehen die
43
vereinbarten Gebräuche vor.
33
So bereits Soergel/Lüderitz/Fenge (oben Fn. 10), Art. 9 CISG Rn. 3;
Staudinger/Magnus (oben Fn. 5), Art. 9 CISG Rn. 8; vgl. in der Rechtsprechung OGH (A) 15. 10. 1998, JBl. 1999, S. 318.
Vgl. etwa Bianca/Bonell/Bonell (oben Fn. 5), Art. 9 Anm. 2.1.2.
Staudinger/Magnus (oben Fn. 5), Art. 9 CISG Rn. 7; so im Ergebnis
auch Rudolph (oben Fn. 10), Art. 9 Rn. 7.
Aus Art. 11 CISG ergibt sich jedoch, dass bezüglich der im anwendbaren nationalen Recht hinsichtlich der Gültigkeit aufgestellte Formerfordernisse in der Regel nicht zu beachten sind; vgl. statt aller Herber/Czerwenka (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 5.
Vgl. etwa Bonell (oben Fn. 7), S. 42; Karollus (oben Fn. 10), S. 50; Rudolph (oben Fn. 10), Art. 9 Rn. 3; Schlechtriem/Ferrari (oben Fn. 10),
Art. 4 Rn. 26 ff.; vgl. in der Rechtsprechung OGH (A) 22. 10. 2001 – 1
Ob 49/01i, Unilex; OGH (A) 21. 3. 2000 – 10 Ob 344/99g, CISG
Austria Online.
Achilles (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 13; Goddard (oben Fn. 9), S. 83; Bianca/Bonell/Bonell (oben Fn. 5), Art. 9 Anm. 3.4; Ferrari (oben Fn. 13),
S. 188; Holl/Keßler (oben Fn. 2), S. 460; Honsell/Melis (oben Fn. 5),
Art. 9 Rn. 4; Soergel/Lüderitz/Fenge (oben Fn. 10), Art. 9 CISG Rn. 6;
Staudinger/Magnus (oben Fn. 5), Art. 9 CISG Rn. 10;
Witz/Salger/Lorenz (oben Fn. 10), Art. 9 Rn. 13; vgl. in der Rechtsprechung OGH (A) 15. 10. 1998, ZfRvgl 1999, S. 63.
34
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Schlechtriem/Junge (oben Fn. 10), Art. 9 Rn. 5.
Goddard (oben Fn. 9), S. 81; Enderlein/Maskow/Strohbach, Internationales Kaufrecht, Berlin (D), 1991, Art. 9 Rn. 1.2; Ferrari (oben
Fn. 13), S. 192; Herber/Czerwenka (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 6;
Holl/Keßler (oben Fn. 2), S. 460; Honsell/Melis (oben Fn. 5), Art. 9 Rn.
6; Karollus (oben Fn. 10), S. 50; Plantard, Un nouveau droit uniforme
de la vente internationale: La Convention des Nations Unies du 11 avril 1980, J.D.I. 1988, S. 311 (317); Rudolph (oben Fn. 10), Art. 9 Rn. 1;
Schlechtriem/Junge (oben Fn. 10), Art. 9 Rn. 2; so in der Rechtsprechung ausdrücklich OGH (A) 21. 3. 2000 – 10 Ob 344/99g, Unilex.
Bonell (oben Fn. 2), S. 387; Karollus (oben Fn. 10), S. 51; Piltz, Internationales Kaufrecht, München (D), 1993, § 2 Rn. 177.
Schiedsgericht der IHK Paris (F), Schiedsspruch Nr. 8611, Unilex.
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43
So schon Achilles (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 16; Bianca/Bonell/Bonell (oben Fn. 5), Art. 9 Anm. 2.1.1; Bonell (oben Fn. 7), S. 39; Ferrari (oben
Fn. 13), S. 189; Herber/Czerwenka (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 3;
Holl/Keßler (oben Fn. 2), S. 457; Honsell/Melis (oben Fn. 5), Art. 9
Rn. 4; Karollus (oben Fn. 10), S. 51; Neumayer/Ming, Convention de
Vienne sur les contrats de vente internationale de marchandises. Commentaire, Lausanne (CH), 1993, Art. 9 Anm. 1; Rudolph (oben Fn. 10),
Art. 9 Rn. 4; Soergel/Lüderitz/Fenge (oben Fn. 10), Art. 9 CISG Rn. 2;
Staudinger/Magnus (oben Fn. 5), Art. 9 CISG Rn. 13.
Vgl. auch Schlechtriem/Junge (oben Fn. 10), Art. 9 Rn. 7; vgl. auch
Schlechtriem (oben Fn. 16), Rn. 60, der von der Notwendigkeit „einer
gewissen Häufigkeit und Dauer einer Übung“ spricht.
ZG Kanton Basel-Stadt (CH) 3. 12. 1997 – P4 1996/00448, Unilex; vgl.
auch AG Duisburg (D) 13. 4. 2000, IHR 2001, S. 114 (115), wo aber
ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass „eine gewisse Dauer und
Häufigkeit bei zwei vorangegangenen Lieferungen noch nicht [besteht]“.
LG Zwickau (D) 19. 3. 1999 – 3 HKO 67/98, CISG Online.
OGH (A) 6. 2. 1996 – 10 Ob 518/95, Unilex.
Honsell/Melis (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 4; Schlechtriem/Junge (oben
Fn. 10), Art. 9 Rn. 7.
Achilles (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 16; Diez-Picazo/Calvo Caravaca
(oben Fn. 9), Art. 9, S. 137; Honnold, Uniform Law for International
Sales, 3. Aufl., Boston (USA), 1999, Rn. 116; Honsell/Melis (oben
Fn. 5), Art. 9 Rn. 4; Rudolph (oben Fn. 10), Art. 9 Rn. 4;
Witz/Salger/Lorenz (oben Fn. 10), Art. 9 Rn. 16.
Herber/Czerwenka (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 3; Honnold aaO, Rn. 116;
Soergel/Lüderitz/Fenge (oben Fn. 10), Art. 9 CISG Rn. 2.
Honnold, aaO.; vgl. in der Rechtsprechung Schiedsgericht der IHK Paris, Schiedsspruch Nr. 8817, Unilex.
Diez-Picazo/Calvo Caravaca (oben Fn. 9), S. 138; Rudolph (oben
Fn. 10), Art. 9 Rn. 1; Staudinger/Magnus (oben Fn. 5), Art. 9 CISG
Rn. 12; Witz/Salger/Lorenz (oben Fn. 10), Art. 9 Rn. 1.
Ebenso Achilles (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 8; Diez-Picazo/Calvo Caravaca (oben Fn. 9), Art. 9, S. 138; Ferrari (oben Fn. 13), S. 192; Garro/Zuppi, Compraventa internacional de mercaderías, Buenos Aires
„ The European Legal Forum „ Heft 5-2002
275
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III. Die Bindung der Parteien an internationale Handelsbräuche
1. Weithin bekannte und regelmäßig beachtete Gebräuche
Abs. 2 statuiert, dass wenn die Parteien nichts anderes vereinbart haben, sie dennoch an bestimmte Gebräuche des internationalen Handels gebunden sind. Um den Bedenken einiger Länder entgegenzukommen, die die Geltung von ihnen
unbekannten Gebräuchen bzw. von Gebräuchen, an deren
44
Entwicklung sie nicht mitgewirkt haben, fürchteten, ist der
Kreis der kraft der in Abs. 2 enthaltenen Fiktion einer Partei45
46
vereinbarung bindenden Gebräuche sehr eng umschrieben
47
worden: Es muss sich um im betreffenden internationalen
48
Handelszweig weithin bekannte und regelmäßig beachtete
Gebräuche handeln, die die Parteien kannten oder kennen
49
mussten. Liegen die soeben erwähnten Voraussetzungen vor,
50
finden die Gebräuche Anwendung und gehen den Vorschrif51
ten des CISG vor; dies ist mittlerweile auch von der Recht52
sprechung anerkannt worden. Im Falle eines Widerspruchs
(RA), 1990, S. 62; Piltz (oben Fn. 31), § 2 Rn. 178 Reinhart, UNKaufrecht, Kommentar zum Übereinkommen der Vereinten Nationen
vom 11. April 1980 über Verträge über den internationalen Warenkauf,
Heidelberg (D), 1991, Art. 9 Rn. 2; a.A. Staudinger/Magnus (oben
Fn. 5), Art. 9 CISG Rn. 15, auf den Einzelfall abstellend; Enderlein/Maskow/Strohbach (oben Fn. 30), Art. 9 Anm. 3, sich für den Vorrang der Gepflogenheiten aussprechend.
44
45
46
47
48
49
50
51
52
Vgl. Schlechtriem/Junge (oben Fn. 10), Art. 9 Rn. 9; van Houtte, Algemene Bepalingen en interpretatie, in: van Houtte/Erauw/Wautelet
(Hrsg.), Het Weens Koopverdrag, Antwerpen/Groningen (B/NL),
1997, S. 53 (65).
Von einer „Fiktion“ sprechen auch Achilles (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 6;
Bonell (oben Fn. 7), S. 40; Enderlein/Maskow/Strohbach (oben Fn. 30),
Art. 9 Rn. 4; Herber/Czerwenka (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 7; Honsell/Melis (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 8; Rudolph (oben Fn. 10), Art. 9
Rn. 2; Staudinger/Magnus (oben Fn. 5), Art. 9 CISG Rn. 16;
Witz/Salger/Lorenz (oben Fn. 10), Art. 9 Rn. 6; in der Rechtsprechung
siehe etwa OGH (A) 21. 3. 2000 – 10 Ob 344/99g, CISG Austria Online; gegen die Qualifizierung als „Fiktion“ sprechen sich hingegen
Neumayer/Ming (oben Fn. 33), Art. 9 Anm. 3, aus.
Soergel/Lüderitz/Fenge (oben Fn. 10), Art. 9 CISG Rn. 1, sprechen von
„normativen Verkehrssitten“; ähnlich auch Rudolph (oben Fn. 10),
Art. 9 Rn. 8; vgl. in der Rechtsprechung Juzgado Nacional de Primera
Instancia en lo Comercial Nr. 7 (Argentinien) 20. 5. 1991 – 50272, Unilex.
Vgl. Schlechtriem (oben Fn. 16), Rn. 61.
zwischen kraft Parteiwillens anzuwendenden Gebräuchen oder zwischen den Parteien entstandenen Gepflogenheiten einerseits und kraft der Fiktion der Parteivereinbarung anzu53
wendenden Gebräuchen andererseits gehen aber erstere vor.
Gleiches gilt auch für das Verhältnis zwischen einzelnen Vertragsklauseln und kraft Art. 9 Abs. 2 anzuwendenden Ge54
bräuchen ergibt sich der Vorrang der Vertragsklauseln doch
unschwer aus dem Einleitungssatz des Abs. 2. Widersprechen
sich hingegen kraft Abs. 2 anwendbare Gebräuche, dann ist
davon auszugehen, dass die Gebräuche vorgehen, die den
engsten Zusammenhang mit dem Vertragsverhältnis aufwei55
sen.
Die Gebräuche, die die Parteien auch ohne Vereinbarung
binden, müssen in dem betreffenden internationalen Handels56
zweig „weithin bekannt“ sein; dies bedeutet zum einen, dass
nicht alle in diesem Handelszweig Tätigen die Gebräuche
57
kennen müssen, zum anderen, dass sie nicht weltweit be58
kannt sein müssen.
Das Gesagte schließt jedoch nicht aus, dass auch lediglich
lokale bzw. an bestimmten Orten geltende Gebräuche, wie
etwa an Messen und Häfen existierende Gebräuche, relevant
59
sein können. Voraussetzung für die Geltung dieser lokalen
Gebräuche kraft Abs. 2 ist aber, dass an diesen Orten interna60
tionaler Handel betrieben wird und dass die Gebräuche alle
in Abs. 2 aufgezählten Anforderungen an den Bekanntheits61
grad und ihre regelmäßige Beachtung erfüllen.
In Bezug auf die soeben erwähnte Notwendigkeit der regelmäßigen Beachtung der Gebräuche hat ein Teil der Lehre
die Ansicht vertreten, es handele sich um eine „überflüssige“
Voraussetzung, würden doch alle weithin bekannten Gebräu53
54
55
56
Vgl. OGH (A) 15. 10. 1998, östJBl. 1999, S. 318.
Ferrari (oben Fn. 13), S. 195; Herber/Czerwenka (oben Fn. 5), Art. 9
Rn. 8; Gilette (oben Fn. 10), S. 719; Maskow, The Convention on the
International Sale of Goods from the Perspective of the Socialist Countries, in: La vendita internazionale. La convenzione di Vienna
dell’11 aprile 1980, Mailand (I), 1981, S. 39 (58); Neumayer/Ming (oben
Fn. 33), Art. 9 Anm. 3; vgl. in der Rechtsprechung Schiedsgericht der
IHK Paris (F), Schiedsspruch Nr. 8324/1995, Unilex; ZG Kanton
Basel-Stadt (CH) 21. 12. 1992 – P4 1991/238, Unilex.
Falsch daher Geneva Pharmaceuticals Technology Corp./Barr Laboratories Inc., 2002 WL 959574 (S.D.N.Y. 2002), wonach die Gebräuche
immer Anwendung finden, solange die Parteien diese nicht ausdrücklich ausgeschlossen haben.
Ebenso Audit, La vente internationale de marchandises, Paris (F), 1990,
S. 45; Bernardini, La compravendita internazionale, in: Mirabelli
(Hrsg.), Rapporti internazionali nel diritto internazionale, Mailand (I),
1991, S. 77 (82); Bydlinski, Das allgemeine Vertragsrecht, in: Doralt
(Hrsg.), Das UNCITRAL-Kaufrecht im Vergleich zum österreichischen Recht, Wien (A), 1985, S. 57 (76); Carbone, L’ambito di applicazione ed i criteri interpretativi della convenzione di Vienna sulla vendita internazionale, in: La vendita internazionale. La convenzione di
Vienna dell’11 aprile 1980, Mailand (I), 1981, S. 61 (77); Diez Picazo/Calvo Caravaca (oben Fn. 9), Art. 9, S. 144; Ferrari (oben Fn. 13),
S. 202; Garro/Zuppi (oben Fn. 43), S. 62; Gilette (oben Fn. 10), S. 711;
Honnold (oben Fn. 39), Rn. 122; O.R. (oben Fn. 6), S. 19; Rudolph (oben Fn. 10), Art. 9 Rn. 9.
OGH (A) 21. 3. 2000 – 10 Ob 344/99g, CISG Austria Online; OGH
(A) 15. 10. 1998, östJBl. 1998, S. 318 ff.
57
58
59
60
61
Vgl. Achilles (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 1; Bonell (oben Fn. 7), S. 40; Gilette (oben Fn. 10), S. 722; Herber/Czerwenka (oben Fn. 5), Art. 9 Rn.
7; Rudolph (oben Fn. 10), Art. 9 Rn. 7; Soergel/Lüderitz/Fenge (oben
Fn. 10), Art. 9 CISG Rn. 1; Staudinger/Magnus (oben Fn. 5), Art. 9
CISG Rn. 19.
OLG Saarbrücken (D) 13. 1. 1993 – 1 U 69/92, Unilex; vgl. in der Lehre statt aller Honnold (oben Fn. 39), Rn. 121.
Achilles (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 8; a.A. Bianca/Bonell/Bonell (oben
Fn. 5), Art. 9 Anm. 2.2.3, die davon ausgehen, dass sich die sich widersprechenden Gebräuche gegenseitig ausschließen.
Auf die Dauer der Übung der Gebräuche kommt es nicht an, sofern sie
weithin bekannt sind und regelmäßig beachtet werden; vgl. Honnold
(oben Fn. 39), Rn. 120.1; Staudinger/Magnus (oben Fn. 5), Art. 9 CISG
Rn. 23.
Staudinger/Magnus (oben Fn. 5), Art. 9 CISG Rn. 22.
Ebenso Achilles (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 6; Audit (oben Fn. 51), S. 46;
Bonell (oben Fn. 2), S. 391; Diez Picazo/Calvo Caravaca (oben Fn. 9),
Art. 9, S. 142; Ferrari (oben Fn. 13), S. 199; Herber/Czerwenka (oben
Fn. 5), Art. 9 Rn. 9; Rudolph (oben Fn. 10), Art. 9 Rn. 9; Schlechtriem/Junge (oben Fn. 10), Art. 9 Rn. 9; van Houtte (oben Fn. 44),
S. 65.
Achilles (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 5; Audit, aaO; Bianca/Bonell/Bonell
(oben Fn. 5), Art. 9 Anm. 2.2.3; Bonell (oben Fn. 7), S. 40; Ferrari (oben
Fn. 2), S. 255; Herber/Czerwenka (oben Fn. 5), Art. 9. Rn. 11; a.A.
Berman/Kaufman, The Law of International Commercial Transactions
(Lex Mercatoria), 19 Harv. Int’l L. J. 1978, S. 221 (221); Honsell/Melis
(oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 8.
Herber/Czerwenka (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 9; Schlechtriem/Junge (oben Fn. 10), Art. 9 Rn. 9; Soergel/Lüderitz/Fenge (oben Fn. 10), Art. 9
CISG Rn. 4.
Achilles (oben Fn. 5), Rn. 9; Audit (oben Fn. 51), S. 46; Bonell (oben
Fn. 2), S. 391; Diez Picazo/Calvo Caravaca (oben Fn. 9), Art. 9, S. 142;
Ferrari (oben Fn. 13), S. 199; Honnold (oben Fn. 39), Rn. 120.1; Karollus (oben Fn. 10), S. 52; Neumayer/Ming (oben Fn. 33), Art. 9 Anm. 4;
Staudinger/Magnus, (oben Fn. 5), Art. 9 CISG Rn. 22; vgl. in der
Rechtsprechung OLG Graz (A) 9. 11. 1995 – 6 R 194/95, Unilex, wo
auf die Frage der Relevanz lokaler Gebräuche als Auslegungshilfe eingegangen wird.
Heft 5-2002 „ The European Legal Forum „
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62
che regelmäßig beachtet. Diese Ansicht kann nicht geteilt
63
werden; es ist durchaus möglich, dass bestimmte Gebräuche,
die in bestimmten Ländern existieren, auch in anderen Ländern bekannt sind, dort aber nicht regelmäßig angewendet
64
werden.
2. Bekanntheit der Gebräuche
Ex Abs. 2 können Gebräuche die Parteien eines konkreten
Geschäfts nur binden, wenn diese die Gebräuche zum Zeit65
punkt des Vertragsschlusses kannten bzw. kennen mussten
(wobei für das Kennenmüssen kein besonderer Grad von
66
Nachlässigkeit gefordert wird). Dieses subjektive Erforder67
nis wird bei „weithin bekannten“ Gebräuchen oft - aber eben nicht immer - vorliegen; überflüssig bzw. redundant ist es
68
demnach nicht. Es sind in der Tat Fälle denkbar, in denen
Gebräuche zwar „weithin bekannt“ sind, den Parteien in
69
concreto aber nicht bekannt waren bzw. sein mussten.
In bezug auf das Kennenmüssen hat ein Teil der Lehre –
70
sowie die neuere Rechtsprechung - zu Recht darauf hingewiesen, dass nur solche Parteien es sich entgegenhalten lassen
müssen, die im Verbreitungsgebiet der Gebräuche ansässig
sind oder sich dort in dem betreffenden Geschäftszweig betä71
tigen.
3. Schweigen auf kaufmännisches Bestätigungsschreiben
Auf der Grundlage des in den vorangehenden Abschnitten
Gesagten bemisst sich, ob die Regeln zum Schweigen auf ein
kaufmännisches Bestätigungsschreiben als Gebräuche die Par72
teien eines dem CISG unterstehenden Vertrages binden. Sicher ist, dass die Regeln zum Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben als Gebräuche im (autonomen)
73
Sinne des CISG zu verstehen sind, dies allein genügt aber e-
benso wenig, um die Parteien ex Abs. 2 zu binden, wie der
Umstand, dass die Regeln zum Bestätigungsschreiben am Sitz
74
des Empfängers gelten. Vielmehr müssen beide Parteien im
Verbreitungsgebiet dieser Übung niedergelassen sein oder
dort ständig Geschäfte schließen und die Übung in dem
betreffenden Handelszweig bekannt sein und regelmäßig be75
achtet werden. Dies ist so zumindest von demjenigen Teil
76
der Rechtsprechung bestätigt worden, der nicht pauschal
ausschließt, dass die Regeln zum Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben als internationaler Handels77
brauch im Sinne des CISG gelten können.
4. INCOTERMS
Die Geltung der INCOTERMS kann sich entweder ex
78
Abs. 1 aus dem Einverständnis der Parteien oder ex Abs. 2
dann ergeben, wenn die dort niedergelegten Voraussetzungen
vorliegen. Die INCOTERMS selbst enthalten keine Rechtsre79
geln, sie stellen vielmehr einen Katalog von Regeln zur Auslegung der wichtigsten in Außenhandelsverträgen enthaltenen
Formeln (vor allem hinsichtlich des Zeitpunktes und der Modalitäten der Lieferung der Ware und der Übergabe der Do80
kumente, der Abnahme und des Gefahrenübergangs) dar.
Fraglich ist, ob die Bezugnahme auf Klauseln, die auch in den
INCOTERMS enthalten sind (CIF, FOB, etc.), Einverständnis mit den dort bestimmten Auslegungsregeln selbst dann indiziert, wenn ein ausdrücklicher Hinweis auf die
INCOTERMS fehlt. Das in der Einführung zitierte US81
amerikanische Urteil beantwortet diese Frage positiv. M.E.
82
ist dies nicht selbstverständlich, haben die Abkürzungen in
74
75
62
63
64
65
66
67
68
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70
71
72
73
Huber (oben Fn. 10), S. 428.
Vgl. auch Herber/Czerwenka (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 10.
Ebenso Enderlein/Maskow/Strobach (oben Fn. 30), Art. 9 Rn. 10; Ferrari (oben Fn. 2), S. 253.
Karollus (oben Fn. 10), S. 52.
76
Vgl. Staudinger/Magnus (oben Fn. 5), Art.9 CISG Rn. 30.
So qualifizieren dieses Erfordernis etwa Achilles (oben Fn. 5), Art. 9
Rn. 7; Ferrari (oben Fn. 13), S. 196; Frignani, Il contratto internazionale, Padua (I), 1990, S. 311; Herber/Czerwenka (oben Fn. 5), Art. 9
Rn. 10; Reinhart (oben Fn. 43), Art. 9 Rn. 3; a.A. Bainbridge (oben
Fn. 2), S. 655, der das erwähnte Erfordernis hingegen als ein objektives
Erfordernis qualifiziert.
So aber Huber (oben Fn. 10), S. 428; vgl. auch Soergel/Lüderitz/Fenge
(oben Fn. 10), Art. 9 CISG Rn. 5, die von „geringer praktischer Bedeutung“ des im Text erwähnten Erfordernisses sprechen.
77
Enderlein/Maskow/Strohbach (oben Fn. 30), Art. 9 Rn. 8; Ferrari (oben Fn. 13), S. 198.
OGH (A) 21. 3. 2000 – 10 Ob 344/99g, CISG Austria Online: „Handelsbräuche, die weithin bekannt und beachtet sind, müssen nur solchen Parteien geläufig sein, die im Verbreitungsgebiet dieser Bräuche
ansässig sind oder sich dort in dem betreffenden Geschäftszweig ständig betätigen.“
78
79
80
So ausdrücklich Staudinger/Magnus (oben Fn. 5), Art. 9 CISG Rn. 25;
vgl. auch Achilles (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 7.
Ebenso ZG Kanton Basel-Stadt (CH) 21. 12. 1992 – P4 1991/238, Unilex: „ein Bestätigungsschreiben [hat] nur dann eine vertragsbegründende Wirkung im Sinne des CISG, wenn diese Form des Vertragsschlusses als Handelsbrauch nach Art. 9 CISG qualifiziert werden
kann.“
So etwa Esser, Die letzte Glocke zum Geleit? - Kaufmännische Bestätigungsschreiben im Internationalen Handel: Deutsches, Französisches,
Österreichisches und Schweizerisches Recht und Einheitliches Recht
unter der Kaufrechtskonvention von 1980, ZfRvgl 1988, S. 167 (188 f.);
Piltz (oben Fn. 31), § 2 Rn. 178.
81
82
In diesem Sinne auch Herber/Czerwenka (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 12;
a.A. Ebenroth, Internationale Vertragsgestaltung im Spannungsverhältnis zwischen AGBG, IPR-Gesetz und UN-Kaufrecht, östJBl. 1986,
S. 681 (688).
Ebenso Achilles (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 4; Bydlinski (oben Fn. 51),
S. 79 f.; Holl/Kessler (oben Fn. 2), S. 459; Neumayer/Ming (oben
Fn. 33), Art. 9 Anm. 4; Schlechtriem (oben Fn. 16), Rn. 62; Soergel/Lüderitz/Fenge (oben Fn. 10), Art. 9 CISG Rn. 7; Staudinger/Magnus (oben Fn. 5), Art. 9 CISG Rn. 27; weniger strenge Voraussetzungen verlangt van Houtte (oben Fn. 44), S. 65.
Vgl. OLG Frankfurt (D) 5. 7. 1995 – 9 U 81/94, Unilex („Aufgrund des
in Art. 9 Abs. 2 CISG statuierten Internationalitätserfordernisses reicht
es zur Geltung eines bestimmten Handelsbrauchs nicht aus, wenn dieser lediglich in einem der beiden Vertragsstaaten Gültigkeit hat [...]. Insoweit ist es auch nicht etwa ausreichend, dass der Handelsbrauch bezüglich des kaufmännischen Bestätigungsschreibens lediglich am Sitz
des Empfängers des Schreibens in Deutschland besteht“); ZG Kanton
Basel-Stadt (CH) 21. 12. 1992 – P4 1991/238, Unilex, das aber übersehen hat, dass in einem der zwei involvierten Staaten (namentlich Österreich) eine vertragsbegründende Wirkung des Bestätigungsschreibens
ausgeschlossen ist (vgl. zum österreichischen Recht etwa OGH (A)
26. 6. 1974, östJBl. 1975, S. 89).
So jedoch LG Frankfurt (D) 6. 7. 1994 – 2/1 O 7/94, Unilex: „Die im
deutschen Recht entwickelten Regeln zum Schweigen auf Bestätigungsschreiben gelten im Bereich des einheitlichen UN-Kaufrechts nicht.“
Vgl. hierzu Honsell/Melis (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 7.
Herber/Czerwenka (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 16; Rudolph (oben Fn. 10),
Art. 9 Rn. 6.
So ausdrücklich neuerdings St. Paul Guardian Insurance Co.
u.a./Neuromed Medical Systems & Support u.a., 2002 U.S. Dist. Lexis
5096 (S.D.N.Y. 2002).
A.A. St. Paul Guardian Insurance Co. u.a./Neuromed Medical Systems
& Support u.a., 2002 U.S. Dist. Lexis 5096 (S.D.N.Y. 2002): „pursuant
to CISG art. 9(2), Incoterms definitions should be applied to the contract despite the lack of an explicit Incoterms reference in the contract”;
ähnlich auch Corte d‘Appello Genova (I) 24. 3. 1995 – Nr. 211, Unilex.
Zu Recht verneinend auch Achilles (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 14;
Witz/Salger/Lorenz (oben Fn. 10), Art. 9 Rn. 14; bejahend Goddard
(oben Fn. 9), S. 85; Bianca/Bonell/Bonell (oben Fn. 5), Art. 9 Anm. 3.5;
Bonell (oben Fn. 7), S. 42; Enderlein/Maskow/Strohbach (oben Fn. 30),
Art. 9 Anm. 11; Herber/Czerwenka (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 16.
„ The European Legal Forum „ Heft 5-2002
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den verschiedenen Ländern doch nicht immer die Bedeutung,
83
die ihnen die INCOTERMS zumessen.
fragen im Haager und Wiener Kaufrecht, Frankfurt a.M. (D), 1995.
85
86
IV. Beweislast
Abschließend sei noch kurz eine Anmerkung zur Beweislast
angefügt, hat diese doch durchaus praktische Bedeutung. Ausgangspunkt ist dabei die Anwort auf die Frage, ob es möglich
ist, mit Bezug auf die Beweislast eine oder mehrere allgemeine
Grundsätze aufzustellen, mit der Folge, dass ex Art. 7 Abs. 2
CISG nicht auf nationales Recht zurückgegriffen werden
84
muss. Dies ist umstritten. Obwohl verschiedene Autoren
dies ablehnen, die vertreten, dass die Beweislast im CISG ü85
berhaupt nicht geregelt sei, und daher einen Rückgriff auf
nationales Recht propagieren, kann man durchaus davon ausgehen, dass das UN-Kaufrecht auch in diesem Bereich einen
86
allgemeinen Grundsatz vorsieht: Grundsätzlich hat derjeige
die tatsächlichen Voraussetzungen derjenigen Vorschrift zu
87
beweisen, aus der er einen Vorteil für sich herleitet. Ausgangspunkt bei der Verteilung der Beweislast ist also der
88
Grundsatz „actore incumbit probatio“, der mittlerweile auch
von der Rechtsprechung als dem CISG zugrundeliegend aner89
kannt worden ist. In bezug auf die Gebräuche und Gepflogenheiten führt dies dazu, dass diejenige Partei, die sich auf
Gepflogenheiten bzw. Gebräuche stützt, diese nachzuweisen
90
91
hat, zumindest dann, wenn das nationale Prozessrecht die
92
Feststellung der Gebräuche als Tatfrage qualifiziert bzw.
93
wenn die Feststellung nicht Sache des Gerichts ist, was oft
94
der Fall ist. Gelingt der Nachweis der Gepflogenheiten bzw.
95
Gebräuche nicht, so binden diese die Vertragsparteien nicht.
83
84
87
88
89
90
91
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93
94
95
Ebenso Gilette (oben Fn. 10), S. 736 f.
Monographisch zu Fragen des Verhältnisses zwischen UN-Kaufrecht
und Prozessrecht im allgemeinen und der Beweislast im besonderen,
vgl. Henninger, Die Frage der Beweislast im Rahmen des UNKaufrechts: Zugleich eine rechtsvergleichende Grundlagenstudie zur
Beweislast, München (D), 1995; Jung, Die Beweislastverteilung im
UN-Kaufrecht, Frankfurt a.M. (D), 1996; Reimers-Zocher, Beweislast-
So zum Beispiel Bianca/Bonell/Khoo (Fn. 5), Art. 2, Anm. 3.2.
Ebenso in der Rechtsprechung Trib. Vigevano (I), IHR 2001, S. 72 ff.;
HG Zürich (CH) 26. 4. 1995 – HG 920670, Unilex, das auf „allgemeiner Grundsätze“ des CISG zurückgreift, um eine Beweislastfrage zu
beantworten; a.A. Schiedsgericht der IHK Paris (F), Schiedsspruch
Nr. 6653/93, J.D.I. 1993, S. 1040 (1044), das das Übereinkommen anwendet, aber die Frage der Beweislast anhand französischen unvereinheitlichten Rechts löst.
Ebenso Magnus, Die allgemeinen Grundsätze im UN-Kaufrecht, RabelsZ 1995, S. 469 (489); Neumayer/Ming (oben Fn. 33), Art. 4 Rn. 13;
Schlechtriem (oben Fn. 16), Rn. 50.
Vgl. in der Lehre statt aller Schlechtriem/Ferrari (oben Fn. 10), Art. 4
Rn. 48 ff.
Vgl. hierzu etwa Trib. Vigevano (I) 12. 7. 2000, Giur. it. 2001, S. 280
(286).
Achilles (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 11; Baumgärtel/Laumen/Hepting,
Handbuch der Beweislast im Privatrecht, Bd. 2, BGB Sachen-, Familien- und Erbrecht, Recht der EG, UN-Kaufrecht, 2. Aufl., Köln (D),
1999, Art. 9 WKR Rn. 1; Herber/Czerwenka (oben Fn. 5), Art. 9
Rn. 19; Witz/Salger/Lorenz (oben Fn. 10), Art. 9 Rn. 11.
In Österreich ist die Frage des Bestands eines Handelsbrauchs eine Tatfrage; so ausdrücklich in der CISG-Rechtsprechung OGH (A)
21. 3. 2000 – 10 Ob 344/99g, CISG Austria Online.
Achilles (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 10; Diez Picazo/Calvo Caravaca (oben
Fn. 9), Art. 9, S. 143; Honsell/Melis (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 9; Neumayer/Ming (oben Fn. 33), Art. 9 Anm. 3; Schlechtriem/Junge (oben
Fn. 10), Art. 9 Rn. 13; Staudinger/Magnus (oben Fn. 5), Art. 9 CISG
Rn. 33.
Achilles (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 10; Diez Picazo/Calvo Caravaca (oben
Fn. 9), Art. 9, S. 143; Honsell/Melis (oben Fn. 5), Art. 9 Rn. 9; Neumayer/Ming (oben Fn. 33), Art. 9 Anm. 3; Schlechtriem/Junge (oben
Fn. 10), Art. 9 Rn. 13; Staudinger/Magnus (oben Fn. 5), Art. 9 CISG
Rn. 33.
In diesem Sinne Goddard (oben Fn. 9), S. 84.
Vgl. etwa OLG Dresden (D) 9. 7. 1998 – 7 U 720/98, Unilex (der Partei, die einen internationalen Handelsbrauch behauptete, dass Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben als Zustimmung gelte, gelang es nicht, diesen Handelsbrauch darzutun); ZG Basel-Stadt
(CH) 3. 12. 1997 – P4 1996/00448, Unilex (die den Bestand eines nach
Art. 9 Abs. 2 CISG verbindlichen internationalen Handelsbrauchs,
wonach im Importhandel die bargeldlose Zahlung mittels Banküberweisung auf das Konto des Verkäufers üblich sei und die Parteien dies
Übung gekannt hätten, behauptende Partei vermochte diesen nicht
nachzuweisen).
Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zu „Goldenen Aktien“
der Mitgliedstaaten an privatisierten Unternehmen:
Besprechung der Urteile des EuGH vom 4. 6. 2002
*
Dr. Kurt Weil / Ekkard Lustig
A. Einleitung
Mit drei Entscheidungen vom 4. 6. 2002 hat der EuGH die
europarechtliche Zulässigkeit von besonderen Stimmrechten
aus Sonderaktien der Mitgliedstaaten in privatisierten (ehemals
staatlichen) Unternehmen sowie weiterer Mittel der Einflussnahme der Mitgliedstaaten auf die Unternehmensentscheidungen stark eingeschränkt. Diese Instrumente werden zusammenfassend oftmals als „Goldene Aktien“ („Golden Shares“)
bezeichnet, auch wenn im Einzelfall besondere Rechte des
Mitgliedstaates nicht immer mit dessen Aktionärsstellung ver1
knüpft sind.
*
**
1
Rechtsanwalt und Partner im Düsseldorfer (D) Büro von Lovells.
**
Während in den Vertragsverletzungsverfahren C-367/98,
Kommission/Portugal,
und
C-483/99,
Kommission/Frankreich, Verstöße gegen den EG-Vertrag durch die von
der Kommission beanstandeten nationalen Regelungen festgestellt wurden, entschied der EuGH in der Rechtssache C503/99, Kommission/Belgien, dass Regelungen über Sonderaktien des belgischen Staates an privatisierten Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen mit EG-Recht vereinbar
sind. Der EuGH konkretisiert in seinen Entscheidungen die
Kriterien, an denen sich staatliche Maßnahmen zur Einflussnahme auf privatisierte Unternehmen insbesondere im Hin2
blick auf die Kapitalverkehrsfreiheit der Artikel 56 ff. EGV
messen lassen müssen. Der EuGH setzt den Maßstab, wie
fortan ähnliche Gestaltungen von Sonderstimmrechten und
Rechtsanwalt im Düsseldorfer (D) Büro von Lovells.
EuGH 4. 6. 2002 – C-367/98 – Kommission/Portugal, in diesem Heft
S. 285.
2
Artikel 73 b ff. EGV a.F.

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