Königliche Drechselkunst - Drechsler
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Königliche Drechselkunst - Drechsler
K€nigliche Drechselkunst Von Peter Gwiasda (Wehrheim) Wenn heute noch €blich w•re, was vom 14. bis zum 17. Jahrhundert f€r die M•chtigen der Welt allt•gliche Norm war, dann w€rden wir heute in der Tagesschau die folgenden Szenen genie‚en kƒnnen: Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy f€hrt seinen Gast aus Deutschland, Kanzlerin Angela Merkel, gleich nach dem Empfang am Flughafen in seine Drechselkammer, die sich neben seinen Privatgem•chern befindet. Drechselkammer ist untertrieben: Es ist ein prachtvoller Raum mit Maschinen und Werkzeugen, von den wir alle hier nur tr•umen. Sarkozy br€stet sich mit seinen neuen Drehst•hlen, seinen neuen Patronen f€r die Passigdrehbank und pr•sentiert wortreich seine gerade fertig gestellte chinesische Kugel. Frau Merkel ist hƒflich, lobt ihren Gastgeber, klappt dann aber ihr Laptop auf und zeigt nicht minder stolz einen Film €ber ein bahn brechendes neues Ovalwerk, erfunden von einem gewissen Johannes Volmer, Professor an der TU Chemnitz. Sarkozy und Merkel halten sich stundenlang in der Drechselkammer auf, die politischen Angelegenheiten erachten sie als so nebens•chlich, dass sie sie am n•chsten Morgen kurz beim gemeinsamen Fr€hst€ck regeln. Das Drechseln war vor 300, 400 oder 500 Jahren die Lieblingsbesch•ftigung der Kaiser, Kƒnige, Herzƒge, Kurf€rsten und Landgrafen in allen Teilen Europas. Allenfalls die Besch•ftigung mit den M•tressen hatte einen •hnlichen Wert. In den kƒniglichen Residenzen in Kopenhagen, Stockholm, London, Dresden, Florenz, Wien, Paris waren Drechselwerkst•tten zentrale Wirkungsorte des Hochadels. Das waren noch Zeiten! Europa Herrscher drechselten nicht f€r den Markt, sondern f€r sich zur eigenen Erbauung und zur Reputation im Kreis Gleichgestellter. Sie schufen Werke f€r ihre Kunstkabinette. Europas Feudalherren arbeiteten nicht wie wir heute mit Holz, sondern nur mit Elfenbein, Walross- und Narwalz•hnen, auch mit den Hauern von Pottwalen und Nilpferden. Manchmal akzeptierten sie auch Ebenholz oder die Schale einer Kokusnuss. Die Herren bevorzugten die Z•hne afrikanischer Elefanten, weil sie grƒ‚er als die der indischen sind. Handelspl•tze f€r Elfenbein waren damals Amsterdam und London. Die Souver•ne drechselten nicht auf Wippb•nken, sondern auf B•nken mit Kurbelwellenantrieb. Die B•nke waren reich verziert, versehen mit Spindel, Reitstock und Support aus Messing, •u‚erst pr•zise gearbeitet von exzellenten Feinmechanikern. Es ist zu vermuten, dass die Blaubl€tigen ihre Lakaien zum Schwei‚ treibenden Bedienen der Kurbelwelle anstellten. Ihre Drechselstuben waren gro‚e R•ume mit meterlangen Schr•nken, gef€llt mit unterschiedlichen St•hlen und Zubehƒr in allen Variationen. Prinzipiell drechselten die m•nnlichen Adligen, eine Ausnahme bildete Kƒnigin Sophie Magdalena von D•nemark. Sie lie‚ sich 1736 eine komplizierte Drechselbank anfertigen, die komplett in einem mit barocken Schnƒrkeln und Metall-Applikationen verzierten Sekret•r verschwand. Wahrscheinlich war es doch unschicklich, als Kƒnigin zu drechseln. Die Kunstwerke, die so an Europas Hƒfen entstanden, waren kunstvoll, aber keine Kunst wie wir sie heute verstehen. Sie waren nicht kreativ, sondern das Resultat von Maschinenkunst. Die elfenbeinernen Pokale der F€rsten waren hauchd€nn, passig, geschraubt, kurvig gedreht – und vor allem waren sie so gut wie nutzlos. Sie waren das Ergebnis von Programmen von Kurvenscheiben auf den Drechselb•nken. Es waren die Vorl•ufer der Drehautomaten der ber€hmten Firma Hempel in N€rnberg. Die Drechselleidenschaft der feudalen Herrscher zwischen 1500 bis zur Franzƒsischen Revolution entwickelte sich an hoch entwickelten Maschinen, die von Mathematikern und genialen Mechanikern und Metallurgen erdacht und erbaut wurden. Diese Maschinen dienten ausschlie‚lich dem Zeitvertreib des Adels und der Erziehung dessen Nachwuchses. Zwei Jahrhunderte dauerte es, bis diese Maschinenkunst die industrielle Revolution einleitete, zuerst in England, dann in Frankreich und schlie‚lich in Sachsen. Erst im 19. Jahrhundert begann die Vergesellschaftung der Maschine. Bis dahin dilettierten die Herrschenden an den Wundermaschinen. Dilettieren bedeutete damals, Kenntnisse und F•higkeiten zu erlernen, ohne damit sein t•glich Brot verdienen zu m€ssen. Und das konnten sich eben nur die F€rsten leisten. Ihr Alltag war bestimmt von politischem R•nkespiel bis hin zum Krieg, vom Spa‚ mit M•tressen und vom Zeitvertreib an der Drechselbank. Vergessen wir aber nicht die wahren Meister und K€nstler an diesen Maschinen. Das waren die handwerklich ausgebildeten Drechslermeister aus Paris, N€rnberg, Prag und Moskau, die die Blaubl€tigen unterrichteten und daf€r sorgten, dass die Maschinen funktionierten, die St•hle immer scharf waren und stets genug Elfenbein bestellt wurde. Die bekanntesten Hofdrechsler waren Georg Wecker aus Sachsen und Martin Teuber aus N€rnberg. Sie verkauften ihre Dienste an mehreren Hƒfen Europas. Anders als die heutigen Meisterdrechsler boten sie also mobile Kurse an. Viele der artifiziellen Arbeiten sind erhalten geblieben, so die Werke des s•chsischen Kƒnigs im Gr€nen Gewƒlbe zu Dresden. Zweifel an der wahrhaftigen Herkunft der Werke werden allerdings immer wieder ge•u‚ert. Einige hochwohlgeborene Herren erlangten aber wirklich die Meisterschaft; so Maximilian I., der in Bayern erst als Herzog und sp•ter als Kurf€rst regierte. Auch Zar Peter I., der Zimmermann, soll ein begeisterter und bef•higter Drechsler gewesen sein. Seine umfangreiche Maschinensammlung kann heute noch in der Eremitage in Petersburg bewundert werden. Konstantin Nartov war ein kreativer Ingenieur im Dienste des Zaren. Er bereiste die Hauptst•dte Europas auf der Suche nach neuen Maschinen. Er soll €brigens den ersten brauchbaren Kreuzsupport gebaut haben. Seine ingeniƒsen Leistungen wirkten aber w•hrend seiner Lebenszeit nicht €ber den zaristischen Hof hinaus, sie wurden weder von b€rgerlichen Handwerkern noch von fr€hen Industriellen genutzt. Ein hoher Herr wurde, was einmalig war, von der Drechslerzunft „geadelt“, und zwar der hessische Landgraf Ernst Ludwig mit Sitz auf Schloss Darmstadt. Er erhielt 1737 wegen seiner au‚erordentlichen Geschicklichkeit, Kunst und Erfahrung „auch in Anschauung deren von hƒchstderselben Hand verfertigten nettesten und k€nstlichen Meisterst€cke“ den Meisterbrief. Wahrscheinlich ohne die €blichen Pr€fungen. Einen echten Meisterbrief besa‚ Graf Franz I. von Erbach. Er ist Begr€nder der weltber€hmten Erbacher Elfenbein-Drechslerzunft. Ein geschickter Drechsler soll auch Ludwig XV., Kƒnig von Frankreich, gewesen sein. Ein angeblich von ihm gearbeitetes Pendulengeh•use aus Elfenbein ist im Schloss Versailles zu bestaunen. Und es ist wirklich schƒn!. Charles Plumier verfasste 1701 ein Standardwerk der Drechselkunst. Kai Kƒthe besitzt eine Kopie einer 1776 in Deutsch und Franzƒsisch in Leipzig verfassten Ausgabe seines Werkes. Darin ist zusammengetragen das gesamte Wissen jener Zeit €ber Mechanik und Werkstoffe. Es ist gigantisch. Sehr viel mehr wissen und kƒnnen wir heute nicht. Plumier ist so etwas wie der Fritz Spannagel des 18. Jahrhunderts. Sein Werk wurde auch ins Russische €bersetzt und somit ein Lehrwerk am Zarenhof. Die Polygone, die sich gegenseitig durchdringenden Kƒrper aus Elfenbein, mussten immer aus einem St€ck gedreht werden, was unendliches Umspannen erforderte. Das war Ehrensache. Nur ein F€rst hat nachweislich geschummelt: Landgraf Wilhelm IX., Erbprinz von Hanau, hat es sich einfach gemacht und die Sternspitzen einfach nagelartig auf die Kugeln geleimt. Das Ende der f€rstlichen Drechsler bewirkte unbeabsichtigt der Engl•nde Henry Maudslay, der 1794/97 entscheidende Verbesserungen mit der Leitspindel und der programmierten Verschiebung des Supports schuf. Diese Maschine konnte wieder Maschinen in der immer gleichen Pr•zision bauen. Die Kombination von Dampf und diesen neuen Werkzeugmaschinen verwandelten die Manufakturen in die moderne Industrie. An den Drehb•nken standen fortan keine Herzƒge mehr, sondern Arbeiter, registrierte korrekt Friedrich Engels in einem seiner Werke. Die Drechslerei wurde Sache des Proletariats und war damit f€r Feudalherren ungeeignet, weil zu volkst€mlich. Vielleicht wird das Drechslerhandwerk bald eine Volkskunst. W•re das eine gute Entwicklung..? Die wichtigsten Quellen f€r diesen Vortrag sind das Werk von Klaus Maurice „Der drechselnde Souver‚n“ – Materialen zu einer f€rstlichen Maschinenkunst, 1985 in der Schweiz erschienen, und der historische Klassiker von Charles Plumier: „Die Kunst zu drechseln oder alle Arten von Arbeiten auf der Drehbank vollkommen zu verfertigen“, in deutscher und franz…sischer Sprache 1776 in Leipzig verlegt.)