Interview mit Pablo Milanés - 29.12.2008

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Interview mit Pablo Milanés - 29.12.2008
Der kubanische Sänger lässt sich lächelnd
im Zwielicht einer Wohnung in Vigo fotografieren
INTERVIEW MIT PABLO MILANÉS
„Der kubanische Sozialismus ist erstarrt.“
Während er die Motoren warmlaufen lässt für eine Tournee, die am 16. Februar in
Madrid beginnt, weist der Künstler darauf hin, dass „dieser Sozialismus alles
gegeben hat, was er wollte und konnte, wir sind gelähmt und müssen Reformen
angehen“.
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CARLOS FUENTES - MADRID - 29/12/2008 08:00
Es ist Mittagsruhe, aber Pablo Milanés (Bayamo, 1943) antwortet kraftvoll aus Vigo.
Er ist wieder in Spanien, gerade wartet er darauf, Vater von Zwillingen zu werden
(und er hat schon sechs Kinder), und er bereitet sich auf eine Tournee vor, die am
16. Februar in Madrid beginnen soll. Er antwortet entschlossen, spricht unverblümt
über Kuba, über den historischen Augenblick, der bevorsteht. Und hält die Zeit der
Castro-Brüder für abgelaufen: „Dieser Sozialismus hat alles gegeben, was er wollte
und konnte, wir sind gelähmt und müssen Reformen angehen“.
Wie ist es für Sie, ohne Havanna zu leben?
Ehrlich gesagt, schrecklich. Ich bin schon seit einem Monat hier, und nie war ich
länger als zwanzig Tage von Havanna fort. Ich kann mich nicht erinnern, in meinen
vierzig Berufsjahren einen Monat lang weg gewesen zu sein. Ich fühle mich fremd,
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habe großes Heimweh, ich gehe hier an den Strand Samil, aber das ist nicht
dasselbe wie die Uferpromenade von Havanna.
War das Heimweh eine Quelle für Ihr Lied?
Ja, dieses Heimweh ist ein ständig Bestandteil meines Werks, manchmal zeigt es
sich auf indirekte Art, aber es zeigt sich immer. Das ist ein Merkmal des
Inselbewohners.
Sie haben bereits gesungen: „Die Zeit geht vorbei, wir werden langsam alt.“1
Aber auch „Ich liebe diese Insel, ich bin aus der Karibik“2. Solche Charakteristika darf
man nicht außer Acht lassen, nicht beim Reden, beim Lachen, beim Vergnügen,
noch nicht einmal, wenn du leidest oder leidenschaftlich bist. Alles hat mit dem
Inseldasein zu tun.
Die regierende Lähmung
Erzählen Sie mir von Ihrer Insel, wie haben Sie Kuba zurückgelassen?
Ziemlich übel. Nach drei Hurrikanen, einer Krise, die immer noch nicht überwunden
ist, und Regierenden, die gar nichts tun, um dieses Land voranzubringen, das halb
paralysiert ist. Wenn man dazu noch die weltweite Krise hinzufügt, dann sind wir gut
geschafft.
Glauben Sie nicht daran, dass Raúl Castro einen Schritt nach vorne macht?
Ich vertraue keiner kubanischen Führungsperson, die älter als 75 Jahre ist, weil für
alle ihre ruhmreichen Momente vorbei sind. Das waren viele, aber jetzt sind sie
soweit, dass sie in Ruhestand geschickt werden. Jetzt muss das Staffelholz an die
nachfolgenden Generationen weitergegeben werden, damit diese einen anderen
Sozialismus erschaffen, weil dieser Sozialismus erstarrt ist. Er hat bereits alles
gegeben, was er geben konnte, glorreiche Augenblicke, Unvergängliches, das in der
Erinnerung und im täglichen Leben der Kubaner weiterlebt, aber wir müssen
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Reformen an unendlichen vielen Fronten der Revolution vornehmen, weil unsere
Führungskräfte dazu nicht mehr in der Lage sind. Ihre revolutionären Ideen sind
reaktionär geworden, und diese Rückbesinnung verhindert eine Weiterentwicklung,
sie lässt die neue Generation nicht vorankommen, die einen neuen Sozialismus
einführen will, eine neue Revolution, die in Kuba notwendig ist.
Und diese alten Revolutionäre, wird die Geschichte sie freisprechen?3
Ich glaube, ja. Sie müssen ganz einfach zurücktreten, aber ich glaube nicht, dass sie
für irgendetwas verurteilt werden müssten. Sie taten das, was sie damals tun
mussten. Ganz einfach, jetzt tun sie nicht mehr das, was sie tun sollen.
Was ist Ihrer Ansicht nach das Traurigste?
Die Lage des Kubaners ist so, dass er nicht länger von Versprechungen leben kann.
Die alten Errungenschaften sind Vergangenheit. Man muss zu neuen Eroberungen
aufbrechen. Das kann man mit neuen Ideen und mit einer neuen Dynamik erreichen,
zu denen sie [die Führungskräfte] nicht mehr in der Lage sind. Wir sind in jeder
Hinsicht gelähmt, wir machen Pläne für eine Zukunft, die nie eintreffen wird.
Und das schafft Resignation und Unruhe bei den neuen Generationen.
Nicht nur die Unruhe. Die jungen Kubaner werden sehr gut ausgebildet, aber dann
müssen sie auswandern, um in ihrem Ausbildungsberuf voranzukommen. Das ist
sehr traurig, denn es ist nicht einmal ein politisches Exil, sondern ein wirtschaftliches
Exil aufgrund der unzureichenden Bedingungen in unserem Land. Es ist zurzeit
keinesfalls hinnehmbar, dass Familien getrennt werden, dass das Eltern-KindVerhältnis beschnitten wird.
Vor ein paar Tagen schrieb Wendy Guerra über das Wegbrechen von
Stereotypen; es ist bereits politisch korrekt, schwule Freunde zu haben, es gibt
nicht mehr die brutale Unterdrückung wie in den ersten Revolutionsjahren.
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Es ist nicht so brutal, aber es ist genauso wenig offen. Vor fünfzehn Jahren widmete
ich das Lied Pecado original (Erbsünde, d.Ü.) meinem künstlerischen Leiter, der
schwul ist. Im Wesentlichen hat sich diese Wirklichkeit noch nicht verändert. Man
muss weiter gehen, von Worten zu Taten übergehen. Es gibt noch viele Vorurteile
gegen Homosexuelle in Kuba.
Auch mit dem Sextourismus, in dem die Spanier Weltmeister sind
Sextourismus gibt es überall auf der Welt. Kuba stach heraus wegen seines
makellosen Bildes vor den Augen der Weltöffentlichkeit, und als es anfing, ein
normales Land wie alle anderen zu werden, da schien es, als ginge die Welt unter.
Prostitution gibt es überall, und wesentlich korrupter als die in Kuba. Das Bild Kubas
wurde ganz einfach, in Anführungsstrichen, beschmutzt im Vergleich zu dem Bild,
das, in Anführungsstrichen, Bewunderer der Revolution hatten.
Lied und Regime
Welchen Einfluss hat diese politische Entwicklung auf
die kubanische
Dichtung?
Ich kann für mich selbst sprechen: Auf Regalo (Geschenk, d.Ü.), meiner letzten
Platte, offenbare ich alle meine aktuellen Überlegungen über die Lage Kubas und der
Welt. Nicht, dass sich ein Künstler immer auf diese Weise äußern müsse, aber wenn
seine Lieder einen Hauch Realismus und Würde haben, dann muss er den Moment
abbilden, in dem er lebt. Ebenso wie wir damals die Herrlichkeit ausgedrückt haben,
in der wir lebten, so müssen wir auch aussprechen, wie sehr wir jetzt leiden. Aber
dazu braucht es an erster Stelle Mut, man muss Würde und Charakterstärke haben,
um sich der Situation zu stellen, die Kuba jetzt durchlebt. Viele Leute haben Angst zu
reden, denn hinter der Zensur gibt es ein System von verborgener Repression, das
dir nicht erlaubt, frei zu reden, und was schleunigst radikal in Frage gestellt und
abgeschafft werden muss. Solche Dinge werden bereits seit langen vorgeschlagen,
auch von der kubanischen Führungsriege, aber sie wurden nicht umgesetzt.
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Braucht es einen Diktator, damit es Lieder von Liedermachern gibt?
Nein, keinesfalls. Die Frage, die Sie mir stellen, ist ungeheuerlich. Nirgends und für
gar nichts braucht es Diktatoren auf der Welt.
Buena Vista Social Club
Politik beiseite, Kuba bleibt modern. Der Bolero ist wiedergekommen …
Wir in Kuba haben einen Fehler: wir vergessen die Ausdrücke, die uns vorausgingen.
Und zwei davon waren das Filin und das traditionelle Lied. 1981 fing ich damit an,
den Bolero Filin wieder zurückzuerobern, und 1982 begann ich mit der Serie Años
(Jahre, d.Ü.), die schon sechs Platten umfasst .Damals hatte man diese Musik
vollständig vergessen. Ich möchte nicht sagen, dass das alles wegen mir sei, denn
das wäre zu überheblich, aber es gibt keinen Zweifel, dass ich der erste war, der
versuchte, diese Werte zurückzuerlangen, die verloren und vergessen waren.
Es mussten ein nordamerikanischer Gitarrist und ein englischer Produzent
kommen, um Buena Vista Social Club aufzunehmen. Wie war das für Sie?
Ausgesprochen schlecht, denn ich war ja dabei, mit meinen ärmlichen Mitteln, diese
ganze Arbeit zu machen, die früher nicht anerkannt wurde. Tatsächlich ist sie bis
heute nicht anerkannt worden.
Zumindest hat Buena Vista vielen Legenden eine angenehmes Alter beschert.
Ja, das Alter, das ihnen immer zugestanden hätte.
Was in Kuba nicht möglich war.
Man hatte sie völlig vergessen
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USA
Setzen Sie Hoffnungen auf die Präsidentschaft von Barack Obama?
Ja, natürlich. Ich bin ein schwarzer Bürger, und wenn in den USA in den sechziger
Jahren ein Gesetz über Bürgerrechte geschaffen wurde, und wenn es dort, weniger
als 40 Jahre danach einen schwarzen Präsidenten gibt, dann ist das ebenso viel
oder mehr wie wir in Kuba erreicht haben, wo die Schwarzen immer noch weder die
wirkliche Macht noch wirkliche Möglichkeiten haben. Es ist eine Schande, dass es in
den USA einen farbigen Präsidenten gibt, und hier haben sie in diesen fünfzig Jahren
keine Macht ausgeübt.
Ein halbes Jahrhundert ist auch die Blockade alt, die häufig als reine Ausrede
benutzt wird.
Die Blockade4 hat zwei Seiten: Sie hat uns 50 Jahre lang geschadet, aber es gibt
auch die andere Seite, die Selbst-Blockade, die wir wie einen Notausgang benutzt
haben, um unsere Fehler in bestimmten Augenblicken der Vergangenheit zu
kaschieren.
Epilog
In einem Ihrer letzten Lieder …
Ich hätte gerne, dass du mich über etwas Künstlerisches fragst. Ich komme mir ja vor
wie ein Minister statt eines Sängers.
In Suicidio (Selbstmord, d.Ü.) zeichnen Sie das Bild eines Gestalters im
Untergang.
Nicht, dass er untergeht, er ist eher enttäuscht über alles, was um ihn herum
geschieht.
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Ist das ein autobiographisches Lied?
Ja, vollkommen autobiographisch.
Und hat Pablo Milanés das Gefühl, dass er nur noch wenig zu erzählen hat?
Nein, ich habe noch viel zu erzählen. Wenn ich von etwas Negativem singe, sieht es
aus, als wäre ich kurz vor dem Sterben, aber nein, ich lebe noch.
Original unter: http://www.publico.es/culturas/186756/socialismo/cubano/estancado
Anmerkungen der ÜbersetzerInnen:
1) Anspielung auf seine berühmte Liedzeile „El tiempo pasa, nos vamos poniendo
viejos“.
2) Anspielung auf eine andere berühmte Liedzeile: „Amo esta isla, soy del Caribe“.
3) Anspielung auf die Verteidigungsrede von Fidel Castro vom 16. Oktober 1953 mit
seinem Ausspruch „Die Geschichte wird mich freisprechen!“ („La historia me
absolverá!“).
4) Im westlichen Sprachgebrauch: das Embargo.
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