Preisträger - Der Deutsche Innovationspreis
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Preisträger - Der Deutsche Innovationspreis
Technik&Wissen Ideen schmieden Karies behandeln, ohne zu bohren, Messgeräte gegen Lebensmittelgifte und kühlende Hemden: mit welchen Ideen die Sieger und Finalisten die letzte Hürde des Deutschen Innovationspreises 2010 schafften. FOTO: TIMMO SCHREIBER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE K 94 Nr. 18 I 3.5.2010 I WirtschaftsWoche © Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an [email protected]. risenzeiten sind Innovationszeiten. Während Aufträge ausblieben, sicher geglaubte Märkte verschwanden und unerwartet Wettbewerber auftauchten, besannen sich viele Unternehmen auf das, was sie groß gemacht hat: Innovationen. Viele haben in den vergangenen Monaten ihre Forschungsbudgets aufgestockt. „Doch sobald die Krise vorüber ist, verlieren Innovationen auf dem Wahrnehmungsradar von Managern an Bedeutung“, sagt Bernd Kriegesmann vom Institut fürAngewandte Innovationsforschung an der Ruhr-Universität in Bochum. Dabei eint erfolgreiche Unternehmen, dass Innovationen für sie zum Selbstverständnis gehören: Neue Ideen, Geschäftsmodelle und Produkte verstehen sie als minutiös geplante Entwicklung und harte Arbeit. Das belegen die Preisträger Kategorie: Mittelstand DMG, Hamburg Die DMG-Chefs Wolfgang Mühlbauer und Susanne Stegen ermöglichen schmerzfreie Kariesbehandlung Geschichten der Sieger und Finalisten des Deutschen Innovationspreises, den die WirtschaftsWoche zusammen mit Accenture, dem Energieversorger EnBW und dem Mischkonzern Evonik ausrichtet. Es dauerte fast ein Jahrzehnt, bis es Schott gelang, alle Glasschmelzen für Ceran-Kochfelder auf die Produktion ohne giftige Schwermetalle umzustellen. Der Lohn: Heute ist die Glaskeramik aus Mainz Maßstab für eine ganze Branche. Jahrelang grübelten auch die Mitarbeiter des Hamburger Zahntechnikherstellers DMG, wie sie Karies mit einer Flüssigkeit behandeln können – ohne zu bohren. Die Lösung, die sie fanden, nimmt schon jetzt Tausenden Patienten die Angst vor dem Zahnarztbesuch. Nur ein Jahr nach der Markteinführung der neuen Technik. Die Beispiele zeigen auch, wie wichtig es ist, „neue Entwicklungen und Technologien so zu nutzen, dass daraus marktreife Lösungen entstehen“, sagt Frank Riemensperger, Deutschland-Chef von Accenture. Wie eindrucksvoll das den Gewinnern und Finalisten gelingt und wie bedingungslos in den Siegerunternehmen des Deutschen Innovationspreises Innovationen vorangetrieben werden, » lesen Sie auf den nächsten Seiten. [email protected] WirtschaftsWoche I 3.5.2010 I Nr. 18 © Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an [email protected]. 95 Technik&Wissen | Innovationspreis Nie wieder bohren Das Unternehmen DMG will mit einer neuen Behandlungstechnik Karies stoppen und Zahnarztbesuchen den Schrecken nehmen. 96 Mineralschicht des Zahnes entfernt. Das Dentalharz, das anschließend aufgetragen wird, dringt dann – genau wie Wassertropfen in einen Zuckerwürfel sickern – in die kariöse Stelle ein. Zuletzt härtet der Zahnarzt die Flüssigkeit mit einer Tageslichtlampe. Dabei setzt sich das Harz zwischen die kristallförmigen Partikel des Schmelzes und festigt deren Struktur. Wenn Firmenchef Mühlbauer die Gelegenheit bekommt, erklärt er Icon am liebsten selbst. Dann steht er vor einem Flipchart und malt mit rotem Filzstift Zahnzwischenräume und Kariesbefall. Ob die neuartige Füllung 10 oder 20 Jahre hält, ist noch nicht belegt. Mühlbauer macht klar: Ein Wundermittel ist es nicht. Icon kann nur im Anfangsstadium von Karies helfen. Ist die Struktur des Zahns zerstört, muss der Zahnarzt doch bohren. Im Sommer bekommt DMG die Werte einer Drei-Jahres-Studie: An der Charité in Berlin untersuchen Forscher gerade, ob die Karies an der behandelten Stelle zurückkehrt. Die Ergebnisse einer Studie aus dem Sommer 2009 stimmen Exper- Kategorie: Startup Smartfiber, Rudolstadt Smartfiber-Chef Michael Kohne produziert den Grundstoff für temperaturregulierende Textilien VERHANDLUNG MIT KASSEN Eine Behandlung mit Icon müssen Patienten dennoch selbst bezahlen, im Schnitt kostet sie 130 Euro pro Zahn. Doch Mühlbauer verhandelt bereits mit den Krankenkassen, damit Icon in den Leistungskatalog aufgenommen wird. Die Idee für Icon allerdings kommt nicht direkt von DMG. Das Konzept stammt von den Forschern Hendrik Meyer-Lückel und Sebastian Paris von der Universitätsklinik Kiel und der Charité Berlin. 2006 präsentieren sie die Idee bei DMG. Doch damals war Icon unvollständig: Die Forscher hatten keine Lösung, wie das lichtempfindliche Harz auf den Zahn aufgetragen werden kann. DMG-Chef Mühlbauer erkannte dennoch das Potenzial und kaufte den Forschern die Lizenz an ihrer Idee ab. Zwei Jahre suchten seine Kollegen nach Wegen, das Problem zu lösen. Sie entwickelten die Folien für das Auftragen des Harzes. Es glückte: „Icon war das größte Projekt in der Firmengeschichte. Noch nie haben wir ein Produkt so zielstrebig entwickelt und eingeführt“, sagt Mühlbauer. DMG stemmte das Projekt mithilfe einer großen Forschungsabteilung. 60 der rund 300 Mitarbeiter befassen sich mit der Entwicklung von Innovationen. Mehr als zehn Prozent seines Umsatzes steckt DMG in die Forschung. Bei einem Umsatz von 41 Millionen Euro waren das 2009 mehr als vier Millionen Euro. „Es erfordert einen langen Atem, denn nur jede zweite Idee wird ein Erfolg“, sagt er. Wenn Mühlbauer aber von einer Geschäftsidee überzeugt ist, probiert er sie auch durchaus mal an sich selbst aus. Auch Icon hat er schon im Mund. Und neuerdings untersucht er regelmäßig die Zähne seiner vier Kinder nach Karies. Doch bislang waren immer nur seine eigenen Zähne befallen. Rund 80 Prozent der jungen Menschen leiden unter Karies zwischen den Zähnen VÖLLIG SCHMERZFREI Wie die Kariesbehandlung von DMG funktioniert Die kariöse Stelle im Zahn wird... 1 ...mit dem flüssigen Produkt getränkt... 2 ...und mit speziellem Licht ausgehärtet. 3 larissa haida | [email protected] Nr. 18 I 3.5.2010 I WirtschaftsWoche © Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an [email protected]. Wellness-Fasern Smartfiber fertigt erstmals Funktionsfasern aus Naturrohstoffen. Daraus entstehen kühlende Hemden und antibakterielle Socken. D FOTO: CHRISTOPH BUSSE FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE W olfgang Mühlbauer hat etwas, was sich so ziemlich jeder in seinem Leben einmal wünschen wird – spätestens auf dem Zahnarztstuhl, wenn sich das Geräusch des Bohrers in die Tiefen des Bewusstseins schraubt. Der 47-jährige Chemiker und Chef des Hamburger Unternehmens DMG, ein Hersteller von Dentalprodukten, hat eine Flüssigkeit namens Icon entwickelt. Damit können Zahnärzte Karies schmerzfrei behandeln. Ganz ohne zu bohren. Kommt die Substanz in Berührung mit kariesbefallenen Zähnen, bekämpft sie die Bakterien sofort. Anschließend füllt die Flüssigkeit den Schmelz auf und dichtet den Zahn ab. Die Behandlungsmethode kommt nicht nur bei Patienten gut an: Rund 5000 der etwa 80 000 deutschen Zahnärzte behandeln bereits mit Icon. Und es könnten mehr werden: Experten glauben, das Material könne das Milliardengeschäft mit den Spritzen und Zahnfüllungen verändern. Grund genug für die Jury des Deutschen Innovationspreises, DMG mit dem ersten Preis in der Kategorie Mittelstand auszuzeichnen: „Die Technik birgt ein Innovationspotenzial, das für eine ganze Branche bedeutsam werden kann“, sagt Hans-Peter Villis, Chef des Energieversorgers EnBW und Mitglied der Jury. Zahlen der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) belegen jetzt schon den Erfolg der Innovation. Demnach war Icon mit einem Umsatz von rund zwei Millionen Euro im vergangenen Jahr die erfolgreichste Produkteinführung der Branche. Das war, so hofft das Unternehmen, erst der Anfang. Studien belegen, dass die Zahnzwischenräume von fast 80 Prozent der Menschen unter 28 Jahren von Karies befallen sind. Und gerade die Behandlung von Karies in den Zwischenräumen vereinfacht Icon: Denn die Substanz wird mithilfe dünner Folien aufgetragen, die auch in schwer zugänglichen Stellen passen. Die Behandlung mit Icon, eine sogenannte Kariesinfiltration, dauert etwa 20 Minuten. Mit einer Salzsäure wird zuerst die oberste Preisträger ten optimistisch. „Die Studien nach 18 Monaten haben gezeigt, dass die Anwendung bei einer frühen Karies deren Voranschreiten stoppen kann“, sagt Thomas Attin, der Direktor der Klinik für Parodontologie und Kariologie an der Universität Zürich. ie letzten Meter bis zum Gipfel. Die Füße sind heiß gelaufen. Hose und T-Shirt kleben auf der Haut. Smartfiber-Chef Michael Kohne kennt das: In seiner Freizeit besteigt er selbst gern Berge. Deshalb liegt ihm eine der neuesten Errungenschaften seines Unternehmens auch besonders am Herzen: Seit 2008 produziert Smartfiber aus Rudolstadt bei Erfurt die Thermofaser Smartcel-Clima. Daraus lässt sich Kleidung herstellen, die Bergsteiger im Sommer kühlt und Skifahrer im Winter wärmt. Die Stoffe mit Zellstoff aus skandinavischen Bäumen werden umweltfreundlich und ressourcenschonend hergestellt. „Den Rohstoff für unsere Produkte könnte man sogar essen“, sagt Kohne, der dieses Jahr einen Umsatz von fünf Millionen Euro anpeilt. Jahrelang bestanden Outdoor-Outfits überwiegend aus Kunstfasern. Mitunter waren sie sogar mit schädlichen Chemikalien beschichtet, um Wind und Wetter zu widerstehen. Dabei haben die Hersteller von Outdoor-Produkten eine Zielgruppe, die „nachhaltig und vor allem gesund leben will“, sagt Klaus Engel, Vorstandschef des Chemieriesen Evonik aus Essen und Jurymitglied des Deutschen Innovationspreises. „Kunstfasern sind ein Widerspruch dazu.“ Diesen Widerspruch löst Smartfiber auf. Denn das Unternehmen verknüpft Naturfasern mit intelligenten Funktionen. Dafür wurde Smartfiber mit dem ersten Platz des Deutschen Innovationspreises in der Kategorie Startup ausgezeichnet: „Smartfiber ist es als Erstem gelungen, Funktionsfasern aus pflanzlicher Zellulose herzustellen“, sagt Jurymitglied Engel. „Es ist eine einzigartige Innovation mit großem Marktpotenzial, denn sie bedient gleich zwei Megatrends: Ressourceneffizienz und Wellness.“ Das spricht sich herum: Der deutsche Markenhersteller Bogner plant eine Winterkollektion mit der Smartfiber-Faser. Längst werden auch Bettdecken, Sportunterwäsche und Socken aus dem Stoff geschneidert, auch Golfhosen und Arbeitsschutzanzüge von Hiltl. Die temperaturregulierenden Textilien funktionieren nach einem einfachen Prinzip: Die Cellulose-Fasern sind mit Wachs vollgesogen, das oberhalb von 25 Grad Celsius schmilzt. Dabei nimmt es Wärme aus der Umgebung auf, von der Haut zum Beispiel. Sobald der Körper auskühlt, gibt das geschmolzene Wachs seine Wärme wieder ab. Rund 1,2 Tonnen Fasern produziert Smartfiber jeden Tag. Alles wird sofort weiterverkauft: Das Unternehmen schätzt, dass 2010 der Umsatz allein mit diesem Produkt um das Zweieinhalbfache gegenüber dem Vorjahr steigen wird. Das entspräche 2,4 Millionen Euro und wäre ein großer Erfolg – vor allem, wenn man bedenkt, dass die Forscher des Thüringischen Instituts für Textil- und Kunststoff-Forschung TTK in Rudolstadt erst vor zwei Jahren auf die Idee für die wachsgetränkte Naturfaser kamen. NEUHEITEN IM HALBJAHRESTAKT Durch die Zusammenarbeit mit der Ideenschmiede TTK kommt Smartfiber an rund zwei Innovationen pro Jahr. Erst im November präsentierte Kohne seinen Kunden eine Faser mit Pharmaklasse4-Zinkoxid namens Smartcel Sensitive. Zink beschleunigt die Wundheilung und beruhigt gereizte Haut. Inzwischen wird das Produkt bereits in Baby- und Kinderbekleidung, Unterwäsche, T-Shirts, Bademäntel und Bettwäsche eingewoben. Und in Kohnes Kopf schwirren schon neue Produktideen herum: zum Beispiel eine Faser mit Creme zur Hautpflege oder als Sonnenschutz. Daraus ließe sich Sommerbekleidung fertigen. Eine Art Kosmetik-Kleider? Kohne lächelt: „Den » Frauen wird das gefallen.“ susanne donner | [email protected] WirtschaftsWoche I 3.5.2010 I Nr. 18 © Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an [email protected]. 97 Technik&Wissen | Innovationspreis Geniestreich im Glas Schott erfindet die Glaskeramikproduktion neu. Das entlastet die Umwelt von Hunderten Tonnen giftiger Schwermetalle. E Was genau sich darin verbirgt, verrät er nicht, denn die von Siebers mitentwickelte Technik ist streng geheim. Kein Wunder. Denn das neue Fertigungsverfahren ist für die Branche eine ökologische Revolution – und für Schott ein unschätzbarer Wettbewerbsvorteil. Als bisher einziger Hersteller weltweit beherrscht Schott, was industrieweit jahrzehntelang undenkbar schien: Glas für schwarze Glaskeramik herzustellen, ohne hochgiftige Substanzen wie Arsen oder Antimon einzusetzen. Die Schwermetalle galten bislang als unersetzliche Bestand- Preisträger Kategorie: Großunternehmen Schott, Mainz Schott-Chef Udo Ungeheuer (links) und Glasentwickler Friedrich Siebers treiben umweltfreundliche Ceran-Poduktion voran STRAFFE INNOVATIONSKONTROLLE FOTO: KLAUS WEDDIG FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE s ist so etwas wie gezähmtes Höllenfeuer, das in der riesigen Fabrikhalle des Mainzer Spezialglasproduzenten Schott brennt. Im Schmelzofen, groß wie ein Bungalow, bringen Gasbrenner Glas bei bis zu 1600 Grad zum Sieden. Durch winzige Öffnungen fällt der Blick auf die gleißend-glühende Masse, aus der Glaskeramik werden soll. Rohstoff für Abermillionen fast unzerstörbarer Kochfelder oder feuerfester Kaminglasscheiben, aber auch für die Spiegel der besten Teleskope der Welt. Über Stunden bleibt die Glasschmelze in den Flammen. Dann fließt sie einem technischen Geniestreich entgegen: „Das da“, sagt Friedrich Siebers, und in der Stimme schwingt Stolz, „das ist die neue Läuterung.“ Der Physiker und verantwortliche Entwickler für Schotts Ceran-Glaskeramik weist auf einen hinter Dämmplatten und Rohrleitungen verborgenen Anbau am Schmelzofen. möglicht es Hausgeräte-Designern, erstmals ins rot schimmernde Glas auch bunte Lichtanzeigen einzubauen und so neue Bedienkonzepte umzusetzen. Auch das soll den Mainzern, die bisher mehr als 100 Millionen Ceran-Kochfelder produziert haben, die Marktführung sichern. „Schott beweist, dass Nachhaltigkeit ins Kerngeschäft integriert gehört und nicht den Gutmenschen überlassen werden darf“, lobt Stephan Scholtissek, Global Managing Director beim Beratungsunternehmen Accenture und Jurymitglied des Deutschen Innovationspreises. Der Erfolg in der diesjährigen Ausschreibung des Innovationspreises ist zugleich Auszeichnung für die Zukunftsorientierung des Glasspezialisten durch den Vorstandschef Udo Ungeheuer. Seit ervor gut 25 Jahren von BMW zu Schott wechselte, treibt der Maschinenbau-Ingenieur die Technologieentwicklung des Unternehmens voran – zunächst als Innovationsvorstand, seit 2004 als Chef. teile der Glasrezeptur. Nur sie lösten verlässlich alle Gasblasen aus der Schmelze – der Fachmann spricht von „Läuterung“ – und liefern so das hochwertige Rohglas. Nun beweisen die Mainzer, dass es auch umweltverträglich geht: Seit Herbst haben sie die Schwermetalle aus der Produktion schwarzer Glaskeramik verbannt. Das spart 200 Tonnen der toxischen Substanzen im Jahr. „Mehr als zehn Jahre lang haben wir alle Fertigungsschritte auf Umweltverträglichkeit optimiert“, sagt Ceran-Entwickler Siebers. Für diesen bemerkenswerten Techniksprung wird Schott mit dem ersten Platz beim Deutschen Innovationspreis in der Kategorie Großunternehmen ausgezeichnet. Vom neuen Fertigungsverfahren profitiert Schott mehrfach. Einerseits, weil die umweltverträglichere Produktion die Fertigung in Mainz sichert, da das Unternehmen bestehende Umwelt- und Arbeitsschutzvorgaben leichter erfüllen kann. Aber auch, weil Schott schon jetzt künftig schärfere Umweltrichtlinien einhält. „Wenn wir ohne Schwermetalle auskommen, werden das die Behörden in Zukunft auch von unseren Wettbewerbern verlangen“, sagt Siebers. Und schließlich besitzt die Hightrans Eco genannte Glaskeramik ganz neue Produkteigenschaften: Der Glasmix er- 98 Nr. 18 I 3.5 2 10 I WirtschaftsWoche © Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an [email protected]. In allen Bereichen des Unternehmens, das 2008 gut 2,2 Milliarden Euro Umsatz und knapp 290 Millionen Euro Gewinn vor Steuern und Zinsen erwirtschaftete, hat Ungeheuer ein straffes Innovationsmanagement installiert. Ständig überprüfen die Mainzer intern und gemeinsam mit Kunden Technik- oder Produktneuerungen auf Marktfähigkeit. Fortlaufend müssen sich die Neuheiten so im Wettbewerb um die gut 70 Millionen Euro beweisen, die Schott im Jahr in Forschung und Entwicklung investiert. Der stete Wissenswettlauf sorge gegenüber Konkurrenten für den Knowhow-Vorsprung und sichere in Deutschland 6700 Arbeitsplätze. „Und er zeigt frühzeitig, wo sich neue Marktchancen bieten“, sagt Ungeheuer. Und so gehören neben der Ceran-Fertigung so vielfältige Segmente wie Spezial-, Schutz- und Architekturglas, Fotovoltaik und Solarthermie ins Portfolio des Unternehmens. Ob Airbag-Sensor oder Weltraumteleskop, Fahrzeugleuchten oder Spezialampulle für Medikamente – wo Schott mit seiner Kompetenz Geld verdienen könne, wolle er das tun, sagt Vorstandschef Ungeheuer. Wichtig sei nur stets, den entscheidenden Unterschied zwischen Idee und Innovation im Auge zu behalten: „Gute Ideen hat man viele – aber nur eine echte Innovation hat auch einen Businessplan.“ [email protected] Montage mit Biss Eine Schraube soll die Konstruktionswelt revolutionieren. Sie kann Rundstäbe blitzschnell befestigen und lösen – beliebig oft. H arald Böhl hatte schon Dutzende Erfindung gemacht zu haben: Sie soll sonderbar aussehende Schrauben eines der wichtigsten Produkte des elf hergestellt. Die jüngste schien Jahre alten Unternehmens werden. „Heugründlich missraten zu sein. „Ich te produzieren wir noch zu 90 Prozent wollte sie schon in den Schrott werfen“, für die Industrie“, sagt Böhl. Sein Untersagt der Maschinenbaumeister und Chef nehmen fertigt unzählige Produkte, dades Metallbearbeitungsunternehmens runter komplexe Bauteile aus Titan unter Habö im nordhessischen Rosenthal. anderem für Kampfflugzeuge und AirbusDann aber gab er ihr noch eine Chance. Klimaanlagen. Und staunte nicht schlecht: „Sie funktio„In einigen Jahren wollen wir den Annierte besser als alle Vorgänger.“ teil auf die Hälfte zurückfahren“, sagt der Böhls Ziel war ein Befestigungssystem Unternehmer. Frei werdende Kapazitäten für Rundstäbe aus Edelstahl. Es sollte die an den Bearbeitungsstationen, in denen Stäbe mit festem Griff packen und sie Metallteile gebohrt, gefräst, gesägt und durch einfaches Lockern wieder loslas- geschliffen werden, sollen dann verstärkt sen. Es dauerte eine Weile, bis er heraus- für Eigenprodukte wie die Schraube mit gefunden hatte, warum das vermeintlich Biss genutzt werden. missratene Teil genau die erwünschten Das Umsatzpotenzial der Schraube Eigenschaften hatte, die beziffert Böhl kühn auf Böhl suchte. 50 bis 70 Millionen Euro. Die Öffnung im InneDafür muss nicht nur ren der hohlen Schraube die Schraube ein gigantibietet Platz für Rundstäbe, scher Erfolg werden. Böhl deren Durchmesser wenimuss auch sein Unternehge Zehntel Millimeter kleimen massiv vergrößern. ner ist als jener der SchrauDerzeit kommt er auf gut be. Mit ihrem Außengezehn Millionen Euro Umwinde lässt sie sich in eine satz pro Jahr. Mutter schrauben, die beiHätte es die Finanzkrispielsweise fest in ein Rese nicht gegeben, würde er galbrett versenkt ist. Bei mehr als 15 Millionen Euro der letzten Vierteldrehung umsetzen, ist er überzeugt. verkleinert sich der Innen- Böhl-Innenspannschraube Wobei der Habö-Chef durchmesser dank der be- Flexible Verbindungen selbst dem Einbruch etwas sonderen Konstruktion für Rohre und Rundstäbe Positives abgewinnen der Schraube, sodass sie kann: „Bis dahin waren sich an den Stab presst. wir so gut ausgelastet, Die so geschaffene Verbindung hält Ge- dass wir an eigene Produkte gar nicht denwichte von immerhin bis zu 330 Kilo- ken konnten.“ Um den krisenbedingten gramm aus. Umsatzeinbruch abzufedern, hat Böhl InTrotzdem bleibt die Befestigung flexi- novationen vorangetrieben und inzwibel: So lässt sich etwa die Position von Re- schen eine eigene kleine Entwicklungsgalbrettern sekundenschnell wieder ver- abteilung aufgebaut. ändern, um Platz für den neuen Weltatlas Jüngstes Projekt der hessischen Tüftler zu schaffen, der deutlich höher ist als an- ist eine Befestigung für Fotovoltaikmodudere Bücher: Eine Vierteldrehung gelöst, le, die – natürlich – auf die ISS setzt. Jedes erlaubt es die Schraube, das Brett einfach erhält vier runde Edelstahlbeine, die in ein paar Zentimeter höher zu schieben. den Dachsparren befestigt werden. Wenn Unternehmer Böhl ist sich sicher, mit das Dach besonders wellig ist, vergrößert der neuen inzwischen Habö ISS – das der Installateur einfach den Abstand – » Kürzel steht für Innenspannschraube – und zieht die ISS wieder an. [email protected] getauften Schraube eine revolutionäre WirtschaftsWoche I 3.5.2010 I Nr. 18 © Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an [email protected]. 99 Technik&Wissen | Innovationspreis Der zweite Coup Ein neuer Blutgerinnungshemmer von Boehringer Ingelheim lässt sich schlucken und beugt schonend Schlaganfällen vor. N orbert Hauel ist ein Glückspilz: Schon zum zweiten Mal ist es ihm gelungen, ein hochwirksames Medikament für seinen Arbeitgeber, das Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim, zu entwickeln. Manch anderem Chemiker ist das nicht ein einziges Mal in seiner Berufslaufbahn vergönnt. Es sei schon „sehr befriedigend“, gibt der 59-Jährige zu. Und „ganz schön stolz“ sei er auf „sein“ neues Medikament auch. Tatsächlich hat Hauel geschafft, was anderen Forschergruppen seit über 40 Jahren misslang: einen neuen Blutgerinnungshemmer zu entwickeln, der extrem wenig Nebenwirkungen hat und sich ganz einfach schlucken lässt. Die Substanz Dabigatran, mit der Boehringer Ingelheim bis in die Endrunde des Deutschen Innovationspreises kam, beugt Blutgerinnseln in den Adern vor. Die gehören zu den großen Übeltätern in unserem Körper: Wenn sie verklumpen und sich als Blutpfropf – Ärzte nennen ihn Thrombus – in einer Ader im Herzen, der Lunge oder im Gehirn festsetzen, drohen Herzinfarkt, Lungenversagen oder Schlaganfall, mitunter mit tödlichem Ausgang. Um solche Verstopfungen in den Adern zu verhindern – etwa nach Operationen oder wenn Patienten lange liegen müssen –, wird oft mit dem Gerinnungshemmer Heparin vorgebeugt. Wer jemals länger im Krankenhaus lag, kennt den täglichen Auftritt des Pflegers oder der Krankenschwester mit der Spritze – und damit auch das Problem: Die hochwirksame Substanz Heparin muss injiziert werden. Dabigatran kann geschluckt werden. In Tablettenform gibt es für Menschen mit Vorerkrankungen wie etwa dem VorMedikamenten-Entwickler Hauel im Labor Mit harter Arbeit zur wirksamen Pille Solarlite baut Solarthermieanlagen, mit denen sich die Produktionskosten für Strom um 15 Prozent senken lassen. S 100 sich darangemacht, die Substanz nachzubauen – und sie zu verbessern. Denn in der ursprünglichen Form wurde sie viel zu schnell vom Körper abgebaut. Drei Jahre und 79 Molekülvarianten später hatten die Boehringer-IngelheimForscher eine Substanz entwickelt, die im Labor zwar funktionierte, nicht aber im Körper. Doch Hauel synthetisierte unverdrossen neue Molekülvarianten, hängte hier eine Seitenkette und dort einen Stickstoffring an und maskierte schließlich den Wirkstoff Dabigatran chemisch so, dass er vom Darm überhaupt in den Körper aufgenommen wird. KAMPF UM MILLIARDENMARKT Erst dann wurde die Substanz am Menschen erprobt: Zunächst zum Schutz vor Blutgefäßverschlüssen nach Hüft- und Knieoperationen. Für diese Anwendung ist das Mittel unter dem Namen Pradaxa seit 2008 auf dem Markt. Parallel dazu wurde es zur Vorbeugung gegen Schlaganfälle erprobt. Hier fielen die Ergebnisse so gut aus, dass die Pille auch für dieses Krankheitsbild nun in Europa und den USA auf die Zulassung wartet. Obwohl das Unternehmen Bayer mit einem anderen Wirk-Konzept und seinem Gerinnungshemmer Xarelto nun Dabigatran dicht auf den Fersen ist, hofft Boehringer Ingelheim einen großen Teil des derzeit gut sieben Milliarden Dollar großen Weltmarkts für Gerinnungshemmer für sich erobern zu können. Chemiker Hauel hat sich derweil schon der nächsten Substanzklasse zugewandt und hofft, bis zur Rente vielleicht noch einen dritten Pillen-Coup zu landen. [email protected] Spiegel aus Kunststoff olarthermieanlagen, in denen Parabolspiegel die Sonnenwärme konzentrieren, erzeugen bekanntlich grüne Energie. Doch das Innere der Anlagen ist alles andere als grün: Das sogenannte Thermoöl, das die Sonnenwärme am heißesten Ort des Spiegels aufnimmt, um damit später Wasser zu erhitzen, ist höchst schädlich für die Umwelt, hofflimmern zwar ebenfalls schon eine Reihe von Präparaten wie Marcumar oder Warfarin. Doch deren Wirkung muss ständig kontrolliert werden, weil sie mitunter die Gerinnung so stark hemmen, dass lebensgefährliche innere Blutungen drohen. Der Wirkstoffspiegel dieser über 40 Jahre alten Präparate schwankt beispielsweise sehr stark in Abhängigkeit vom Speiseplan. „Die Patienten laufen ständig Gefahr“, sagt Hauel, „entweder zu wenig oder zu viel Gerinnungshemmer im Blut zu haben.“ Entscheidende Vorarbeit zu Hauels neuem Medikament leistete eine MaxPlanck-Forschergruppe 1992: Es war ihnen erstmals gelungen, die dreidimensionale Struktur des an der Blutgerinnung ganz wesentlich beteiligten Moleküls Thrombin und eines dazu passenden möglichen Hemmstoffs darzustellen. Forscher in aller Welt waren elektrisiert, erinnert sich Hauel. Zahllose Pharmalabors hätten wenn es ein Leck gibt. Das Öl hat einen weiteren Nachteil: Es ist nur für Temperaturen von bis zu 400 Grad Celsius geeignet. Bei höheren Temperaturen würde sich der Wirkungsgrad der Anlage verbessern. Trotz dieser Nachteile kommt kein solarthermisches Kraftwerke der heutigen Generation ohne dieses Öl aus. Doch nun trägt die Forschungsarbeit des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) im südspanischen Solarforschungszentrum Plataforma Solar de Almeria Früchte. Den Wissenschaftlern ist es gelungen, das Thermoöl durch Wasser zu ersetzen, das die Hitze der Sonne direkt in 500 Grad heißen Dampf zur Stromerzeugung umwandelt. Der Effekt: Die Kosten der Energieerzeugung sinken um 15 Prozent. Damit nähert sich der grüne Strom zumindest in sonnenreichen Regionen der Wettbewerbsfähigkeit. In abgelegenen Gebieten ohne zentrale Stromversorgung ist die Energie aus den neuen Anlagen sogar billiger als die von Dieselgeneratoren. Zu den ersten Unternehmen, die solarthermische Kraftwerke mit DirektverNr. 18 I 3.5.2010 I WirtschaftsWoche © Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an [email protected]. dampfung bauen, gehört Solarlite, das seinen Unternehmenssitz in Schloss Duckwitz im gleichnamigen Örtchen in Mecklenburg hat. Und weil das Unternehmen diese wichtige Technik einen großen Schritt vorangebracht hat, wird das Unternehmen Finalist des Deutschen Innovationspreises in der Kategorie Startup. Die erste kommerzielle Solarlite-Anlage mit einer Leistung von fünf Megawatt ist in Kanchanaburi nördlich von Bangkok im Bau. Sie soll noch in diesem Jahr in Betrieb gehen und später auf neun Megawatt ausgebaut Intelligente Sensoren Mit einem automatischem Analysesystem überwacht Endress + Hauser die Qualität von Trinkwasser und Lebensmitteln. K ein Produkt, das in großen Mengen hergestellt wird, steht unter so sorgfältiger Überwachung wie deutsches Trinkwasser. Regelmäßig entnehmen Mitarbeiter von Wasserwerken Proben und analysieren sie im Labor – ein zeitaufwendiges Verfahren. Mit Mess- und Analysesystemen, die die wichtigsten Daten kontinuierlich erfassen, lassen sich die Intervalle von Labortests erheblich verlängern. Erst recht, wenn Liquiline im Einsatz ist, eine Gerätfamilie des Messspezialisten Endress + Hauser. Unermüdlich sind die Entwickler des Unternehmens, wenn es darum geht, Produkte wie Liquiline noch einfacher und sicherer zu machen. Der jetzt erreichte Stand überzeugte die Jury des Deutschen Innovationspreises. Sie wählte das Produkt für die Finalrunde aus. Liquiline lässt sich mit unterschiedlichen Sensoren ausstatten, die beispielsweise die Trübung oder den Sauerstoffgehalt von Flüssigkeiten messen. Sie werden an eine Auswerte- und Sendeeinheit angeschlossen, Messwertsammler aus der Liquiline-Familie In vielen Schritten hin zum Optimum werden. Auf einen Wärmespeicher, der kurzzeitige Ausfälle der Sonne durch Wolken überbrückt, verzichtet Solarlite. Wie die Lücken gefüllt werden? „Das ist unser bestgehütetes Geheimnis“, sagt Moritz von Plate, einer der Solarlite-Geschäftsführer. Die Direktverdampfung ist nicht die einzige revolutionäre Neuerung, die Solarlite in seinen Anlagen unterbringt. Parabolrinnenspiegel in heutigen Kraftwerken bestehen aus Glas. Solarlite ersetzt es durch ein Faserverbundmaterial. Als Reflektor dient eine dünne Alumini- Rund um die Uhr Strom und Wärme aus Sonne und Biogas die die Daten analysiert und Alarm schlägt, wenn sie auffällig sind. Das System kann von jedem Mitarbeiter angeschlossen werden und erfordert praktisch keine Fachkenntnisse: Es muss nicht kalibriert, also eingestellt werden, ehe es seine Arbeit aufnimmt. Das geschieht vorab beim Hersteller. Danach justiert es sich selbst und schlägt Alarm, wenn es Fehler macht oder ganz ausfällt. Das Gerät ist so flexibel, dass es außer zur Kontrolle von Trinkwasser auch zur Überwachung von Produktflüssigkeiten in der Lebensmittelindustrie und in Kläranlagen eingesetzt wird. Liquiline ist eins von zahlreichen Systemen, die der Spezialist für Mess- und Analysesysteme anbietet. Dass diese stets auf dem neuesten Stand sind, liegt nicht zuletzt an einem internen, mit 10 000 Euro dotierten Innovationspreis, mit dem jedes Jahr drei Produkte ausgezeichnet werden. Das schlägt sich auch in Patenten nieder: 200 waren es im vergangenen Jahr – eine stolze Bilanz für ein Unternehmen mit einem Unsatz von gut einer Milliarde Euro. [email protected] umschicht. Auf Spiegelfolien, die noch weitaus dünner sind und besser reflektieren, verzichtet das Unternehmen bislang noch. Solarlite legt Wert auf eine vielseitige Nutzung der Technik. Das Solarkraftwerk lässt sich beispielsweise mit einer Biogasanlage kombinieren. Ein solches Hybridkraftwerk produziert rund um die Uhr Strom und Wärme. Besonders attraktiv ist die Möglichkeit, solare Wärme mit einer Absorptionskältemaschine in Klimakälte zu verwandeln, die passenderweise genau dann benötigt wird, wenn die Wärmeproduktion am » größten ist. [email protected] WirtschaftsWoche I 3.5.2010 I Nr. 18 © Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an [email protected]. 101 { Wettbewerb } Technik&Wissen | Innovationspreis Die Jury Testfalle für Schimmel Schwamm aus Keramik W D ROLAND TICHY Chefredakteur der WirtschaftsWoche und Vorsitzender der Jury aus Düsseldorf HUBERTUS CHRIST Ehemaliger Vorsitzender, Deutscher Verband technischwissenschaftlicher Vereine DVT aus Berlin DIETMAR FINK Professor für Unternehmensberatung und -entwicklung, Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Rheinbach MATTHIAS KLEINER Präsident der renommierten Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG aus Bonn KLAUS ENGEL Vorstandschef, Evonik Industries aus Essen CORNELIA RUDLOFF-SCHÄFER Präsidentin, Deutsches Patentund Markenamt aus München STEPHAN SCHOLTISSEK Global Managing Director, Accenture aus Kronberg GÜNTHER SCHUH Prorektor für Produktionssystematik, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule aus Aachen HANS-PETER VILLIS Vorsitzender des Vorstands, EnBW Energie Baden-Württemberg aus Karlsruhe MANFRED WITTENSTEIN Präsident, VDMA, und Vorstandsvorsitzender der Wittenstein AG aus Igersheim 102 Giftstoffe in Lebensmitteln lassen sich mit einem neuen Analyseverfahren des Startups Aokin schnell und zuverlässig aufspüren. enn Martina Kirsch Nein sagt, kann der Lastwagenfahrer auf dem Hof der Rosenmühle in Landshut direkt kehrtmachen und mit seinen 25 Tonnen Weizen wieder abfahren. Denn dann hat die Laborleiterin mit einem Test das Gift des Schimmelpilzes Fusarium in dem Getreide entdeckt. Weil es krebserregend ist, hat der Gesetzgeber Grenzwerte festgelegt: „Sind mehr als 1250 Mikrogramm pro Kilogramm davon im Weizen, darf ich die Lieferung gar nicht annehmen“, sagt Kirsch. Rechtlich ist sie damit auf der sicheren Seite. Doch das bisherige Testverfahren – das ähnlich wie ein Schwangerschaftstest anhand einer spezifischen Immunreaktion per Farbumschlag den Giftstoff nachweist – war recht ungenau. In der Praxis passierte es daher immer wieder, dass ein Lieferant mit seiner 3000 bis 3800 Euro teuren Fuhre Weizen zu einem externen Gutachterlabor fuhr, das die Messungen der Rosenmühle widerlegte. Seit vorigem Sommer ist das jedoch nicht mehr passiert. Denn Laborleiterin Kirsch konnte ihren Chef davon überzeugen, gut 20 000 Euro in die brandneue Analysetechnik des jungen, sechsköpfigen Berliner Unternehmens Aokin zu investieren. Das Aokin-Verfahren sei etwas schneller als der bisherige Test und zudem viel genauer, sagt Kirsch: „Damit fühle ich mich wesentlich besser.“ Die Rosenmühle ist eines der ersten Unternehmen, das den neuen Schnelltest einsetzt, der es bis ins Finale des Deutschen Innovationspreises schaffte. Wenn es nach Aokin-Chefin Ursula Dahmen-Levison geht, soll die neue Methode der sogenannten kinetischen Fluoreszenzpolarisation bald weltweit zum Einsatz kommen. Gerade bei Herstellern von Erdnüssen und Pistazien sei sie sehr gefragt, sagt die Forscherin: „Wir haben sogar schon Systeme in den Iran und nach China verkauft.“ Tatsächlich ist der Bedarf nach einem robusten Gift-Schnelltest in der Lebensmittelindustrie groß. Denn es sind nicht nur die Fusarien, die Weizen- oder Maispflanzen schon während der Blüte auf dem Feld anfliegen. Gerade bei Nüssen, Kaffee, Früchten oder Gewürzen, die gelagert oder über lange Strecken transportiert werden, kommen noch jene Schimmelpilze hinzu, die besonders gut im Feuchten gedeihen. Viele ihrer Stoffwechselprodukte sind hochgiftig und krebserregend. Exakt bestimmt werden konnten sie bisher nur mit der Hochleistungsflüssigkeitschromatografie (HPLC), doch die dauert mehrere Tage. Der bisher übliche immunologische Farb-Schnelltest namens Elisa (Enzyme Linked Immunosorbent Assay) ist fehlerträchtig, denn er benötigt eine Vielzahl von Vorbereitungsschritten. Außerdem müssen Temperaturen genau eingehalten und Reaktionszeiten beachtet werden. Das Aokin-Testgerät misst dagegen nahezu vollautomatisch, ob und wie schnell sich die Polarisationsrichtung eines Fluoreszenzlichtstrahls verändert, mit dem die Probe angeregt wird. Dazu müssen Nüsse oder Weizenkörner zuvor klein gemahlen und ein Extrakt hergestellt werden. Das Weizenextrakt wird zusammen mit dem mitgelieferten fluoreszentmarkierten Reagenzmittel in ein Klarsicht-Messröhrchen gefüllt. Den Rest erledigt eine 19 Zentimeter hohe Apparatur, die die Grundfläche eines Laptops besitzt. Alles in allem sei die Prozedur in acht bis zehn Minuten erledigt, bestätigt Laborleiterin Kirsch. Acht Schimmelgifttests hat Aokin bereits entwickelt. Doch dabei soll es nicht bleiben, verspricht Chefin Dahmen-Levison. Sie ist überzeugt: „Diese Methode lässt sich nicht nur bei Lebensmittelgiften, sondern auch in der medizinischen Diagnostik einsetzen, etwa zum schnellen Nachweis von Krankheitserregern.“ Bosch Siemens Hausgeräte hat eine Spülmaschine entwickelt, die besser als andere trocknet und dazu noch Strom spart. ie Idee kam den Entwicklern des Münchner Hausgeräteherstellers BSH vor fünf Jahren. Sie erinnerten sich an die vielseitigen Eigenschaften von sogenannten Zeolithen. Eine davon schien wie geschaffen für ihre Zwecke. Diese Mineralien vulkanischen Ursprungs saugen wie Schwämme jegliche Feuchtigkeit in ihrer Umgebung auf und speichern sie in unzähligen feinen Poren. Genau das, so glaubte das Team um Michael Rosenbauer, Entwicklungsleiter bei BSH, könne helfen, ein altes Ärgernis bei Spülmaschinen zu beseitigen: Um das Geschirr zu trocknen, müssen die Heizstäbe, die zuvor das Wasser erhitzt haben, nach dem Spülgang noch einmal angeworfen werden. Eine teure Lösung, die zudem nur eingeschränkt hilft: Kaum eine Maschine schafft es, die Wassertröpfchen von Glas- oder Kunststoffteilen wirklich komplett zu beseitigen. Zeolithe dagegen saugen den Wasserdampf, den ein kleiner Ventilator in den Mineralienbehälter drückt, regelrecht auf und binden die Feuchtigkeit. Dabei erhitzen sie sich und erwärmen die Luft, sodass weiteres Wasser verdampft. Damit fanden die vielseitigen Minerale erstmals den Weg in die Küche. Anderswo sind sie schon seit Jahren bekannt: In Waschmitteln enthärten sie das Wasser. Tierfutter beigemischt binden sie Geruchsstoffe in den Ausscheidungen von Schweinen und Kühen. Und der Heizungsgerätehersteller Vaillant nutzt sie Der neue Schnelltest kann auch Krankheitserreger nachweisen [email protected] seit Kurzem in Brennwertkesseln, um deren Wirkungsgrad zu erhöhen. Die kurioseste Anwendung findet sich in selbstkühlenden, mehrwandigen Bierfässern: Wenn der Bierfreund ein Ventil öffnet, saugen die Zeolith-Kügelchen feuchte Luft an, die das innere Fass umgibt, kühlen dessen Inhalt und geben die freiwerdende Wärme nach außen ab. Dass BSH mit seinen wichtigsten Marken Bosch, Siemens, Neff und Gaggenau zu den innovativsten Hausgeräteherstellern der Welt gehört, ist kein Zufall. Drei Prozent seines Umsatzes – 2008 lag er bei 8,76 Milliarden Euro – gibt das Unternehmen für Forschung und Entwicklung aus. Konzernweit und in allen Sparten beschäftigt BSH 2240 Forscher. 2008 meldeten sie 800 Patente an. In Berlin sind allein im BSH Technologiezentrum für Wäschepflege rund 400 Entwickler und Ingenieure beschäftigt. Kooperationen mit Hochschulen spielen eine wichtige Rolle in den Innovationsprozessen. Auch beim Zeolith-Geschirrspüler zahlte sich die Zusammenarbeit mit unternehmensfremden Forschern aus. Beteiligt war das Bayerische Zentrum fürAngewandte Energieforschung. Das Ergebnis: Die Spülmaschine braucht nur noch gut 0,8 Kilowattstunden pro Spülgang, 20 Prozent weniger als vergleichbare TopModelle von Wettbewerbern. Doch die Sparsamkeit hat ihren Preis: Unter 700 Euro gibt es kein Gerät mit Zeolith-Turbotrockner. Demnächst, so teilt das Unter- Spülmaschine mit Zeolith-Entfeuchter Mineralien saugen feuchte Luft (blau) auf und geben erwärmte Luft (rot) ab nehmen mit, werde die Zeolith-Box aber auch in preiswertere Spülmaschinen eingebaut. BSH hat ausgerechnet, dass jährlich 1,2 Millionen Tonnen Welche Unternehmen es Kohlendioxid weniger in die Nähe des Siegeremittiert werden könntreppchens schafften ten, wenn in Deutschsowie Fotos der Preisland alle Spülmaschiverleihung finden nen, die älter sind als Sie unter wiwo.de/ innovationspreis zehn Jahre, durch die neuen Energiesparmodelle ersetzt würden. Das entspräche in etwa den CO2-Emissionen von 600 000 Autos. ■ [email protected] { Ausschreibung } FOTO: MICHAEL DANNENMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE Preiswürdig – oder nicht? Welche der zahlreichen Bewerbungen für den Deutschen Innovationspreis tatsächlich revolutionäre Neuerungen, welche sich ausreichend am Markt bewährt haben und welche bloß Marketingmasche sind, hat ein elfköpfiges, hochkarätiges Gremium aus Wirtschaft, Forschung und Beratung analysiert. Nr. 18 I 3.5.2010 I WirtschaftsWoche © Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an [email protected]. Neue Runde Mit der feierlichen Siegerehrung startet der Deutsche Innovationspreis in die neue Runde: Zur Bewerbung zugelassen sind ab sofort Konzerne, Mittelständler und Startups aller Branchen. Von der Jury ausgezeichnet werden zukunftsweisende Innovationen, die in der Lage sind, Märkte zu bewegen. „Der Wettbewerb richtet sich aber keineswegs nur an das produzierende Gewerbe“, sagt der JuryVorsitzende, WirtschaftsWoche-Chefredakteur Roland Tichy. „Neben Produkten werden auch Geschäftsmodelle, Dienstleistungen und Marketinginstrumente prämiert.“ Einzige Bedingung: Die Ideen sollten in Deutschland entwickelt worden sein. Die WirtschaftsWoche richtet den Preis erneut mit namhaften Part- nern aus, der Unternehmensberatung Accenture, dem Energieversorger EnBW und dem Mischkonzern Evonik. Die Sieger werden 2011 bei einer festlichen Gala geehrt. Preisträger und Finalisten werden zudem in der WirtschaftsWoche porträtiert. Die Bewerbung ist ausschließlich über das Internet möglich: unter www. der-deutsche-innovationspreis.de WirtschaftsWoche I 3.5.2010 I Nr. 18 © Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an [email protected]. 103