PC-basierte Steuerungstechnik Mainstream mit breitem Delta

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PC-basierte Steuerungstechnik Mainstream mit breitem Delta
STEUERN · REGELN
TRENDB
ERIC
Teil I HT
PC-basierte
Steuerungstechnik
Mainstream mit
breitem Delta
Über Sinn und Nutzen, einen PC als Steuerungsplattform
einzusetzen, braucht man nun wirklich nicht mehr zu streiten. Hierüber wurde über die Jahre ausführlichst diskutiert.
Der Industrie-PC ist heute längst ein Mainstream, allerdings
mit einem breiten Delta: Unterschiedlichste Bauformen, Prozessorvarianten und Schnittstellenoptionen lassen einen
schnell den Überblick verlieren, wohin sich die PC-basierte
Steuerungstechnik entwickelt. Zu den wichtigsten Themen
haben wir einige Experten befragt.
D
ie PC-Plattform in Kombination
mit einer Soft-SPS wird zunehmend der zentrale Knotenpunkt
bei der Lösung von Automatisierungsaufgaben sein! Davon ist Thomas Linde
von ads-tec überzeugt: „Die Vorteile in
Richtung Service, Diagnose und Schnittstellen wie USB und Ethernet lassen die
Applikationsaufgabe einfacher lösen.“
Bei kleineren und einfachen Steuerungsaufgaben sieht er allerdings noch Platz
für kleine SPSen und Controllerplattformen.
Spätestens wenn die Entscheidung pro
Industrie-PC gefallen ist stellt sich die
Frage nach dem Formfaktor – Panel-PC
oder einen für die Montage im Schaltschrank bzw. für die Hutschiene?
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Industrie-PCs, bei denen die Anzeigeeinheit abgesetzt von dem eigentlichen
Rechnerkern angebracht wird, bieten
Verkabelungsvorteile im Schaltschrank
und erlauben es, den PC in einer weniger
rauen Umgebung zu betreiben. PanelPCs bieten dagegen Kostenvorteile, da
die Übertragungstechnik zwischen Display/Tastatur und Rechner entfällt und
nur ein Gehäuse benötigt wird. „Da alle
Bauformen ihre spezifischen Vor- und
Nachteile haben, haben wir bei Beckhoff
alle Varianten im Programm“, so Andreas Thome. Dennoch sieht er einen Trend
in Richtung modularer Erweiterbarkeit:
„Ein kompakter Rechnerkern stellt über
Ethernet die Verbindung zur Feldebene
her und wird über USB mit allen erfor-
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derlichen Peripherie-Einheiten erweitert.“
Auch bei B&R hat man keinerlei Präferenzen. „Bei der Bauform sollten einzig
die Parameter der Applikation und Kundenvorstellungen entscheiden, weshalb
wir alle Varianten im Programm haben“,
so Frank Winter. Bei Mitsubishi sieht man
zwei Lösungen auf dem Vormarsch: Panel-PCs und PCs mit abgesetztem Display. „Der Reiz bei dieser Lösung ist die
fast grenzenlose Flexibilität, insbesondere bei der Kombination des PCs mit
SPS, Motion-Control und den Feldbussen“, so Olaf Ophoff von Mitsubishi
Electric.
Für Dietmar Knecht von Phoenix Contact
steht dagegen fest: „Der Panel-PC ist unumstritten die Nummer eins und wird es
auch noch bleiben. Für kleinere, dezentrale Steuerungsaufgaben werden aber
auch in Zukunft SPSen und HutschienenPCs mit entsprechender Performance zu
Klaus Schwarz,
Keba
finden sein.“ Für viel interessanter hält
Knecht aber die Anforderung nach dezentralen Technologiesteuerungen, die
bestimmte Funktionen wie Positionierung und Prozessregelung übernehmen
und somit die Steuerung entlasten oder
auch ganz ersetzen.
Klaus Schwarz von Keba ist sich sicher:
„Im Trend liegt sicher der HutschienenPC mit abgesetztem Display, da man bei
Bedarf hohe Performance mit individuellen Displays beliebig kombinieren
kann.“ Auch bei Kontron erwartet man
eine Hinwendung zu modularen Box-PCs
mit abgesetzten Displays. Heinz Egger
sieht aber auch eine Tendenz zu Computer on Modules (COMs): „Mechatronik
ist ein großer Trend, der noch kompaktere Steuerungsplattformen verlangen
wird als sie heute Hutschienen-PCs bereitstellen können.“
Thomas Linde,
ads-tec
hinsichtlich Prozessorleistung und Taktraten wie in den letzten Jahren weiter
steigen wird, „allerdings moderater als
in der Vergangenheit“, so Janson von
Siemens. Aus seiner Sicht genügt die
heute erreichte Performance für viele
Anwendungen und wird lediglich bei
anspruchsvollen Applikationen wie Motion Control und Bildverarbeitung noch
steigen. Die generellen Gründe für den
Leistungshunger liegen in den Applikationsfeldern der Industrie-PCs: Anforderungen hinsichtlich Echtzeit, Visualisierung, Kommunikation, Datenbanken
und Qualitätssystemen müssen von der
Steuerung geleistet werden. Hinzu kommen dann die immer komplexeren Produktionsprozesse. Einen weiteren Treiber der CPU-Performance haben Frank
Winter und Thomas Linde identifiziert:
die Betriebssysteme. Sie liegen laut Linde bei mindestens 500 MHz für CE und
beginnen bei Linux oder embeddedXP
bei 1 GHz bis 2 GHz.
Während die Taktraten, getrieben von
den Performanceanforderungen, in immer größere Höhen aufsteigen, gibt es
ein dämpfendes Element – die Modularisierung und Dezentralisierung. „Die
Aufteilung der Applikation in Maschinenmodule senkt die Anforderungen an
den einzelnen Steuerungsrechner, da
die Subsysteme selbst kleiner, modularer
und damit skalierbarer werden“, so
Heinz Egger von Kontron.
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Leistungshunger ist nach
wie vor ungebrochen
Stichwort Performance: Hier sind sich die
Experten einig, dass die Anforderung
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Andreas Thome,
Beckhoff
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Die Experten:
Thomas Linde, Vertriebsleiter
ads-tec, Leinfelden-Echterdingen
Andreas Thome, Produktmanager
PC-Control, Beckhoff, Verl
Frank Winter, Geschäftsführer
B&R, Bad Homburg
Klaus Schwarz, Produktmanager
Steuerungstechnik, Keba, Linz
Heinz Egger, General Manager
Kontron Industrial Control,
Kaufbeuren
Olaf Ophoff, Produktmanager
modulare SPS-Systeme, Mitsubishi
Electric, Ratingen
Dietmar Knecht, Systemvertrieb
Automation, Phoenix Contact,
Blomberg
Rüdiger Janson, Leiter PC based
Automation, Siemens, Nürnberg
Olaf Ophoff,
Mitsubishi
Zwar bevorzugt man bei Beckhoff mehr
eine zentrale Steuerungstechnik, jedoch
macht die PC-basierte Steuerungstechnik in der gesamten Bandbreite verfügbarer PC-Prozessoren Sinn und die kann
von z. B. 166 MHz bis 3,2 GHz reichen.
„PC-Steuerungstechnik muss in der Performance – und somit auch im Preis –
skalierbar sein und bleiben“, bringt es
Andreas Thome von Beckhoff auf den
Punkt.
Heinz Egger,
Kontron
mit eine Erhöhung der Gesamtkosten
über die komplette Lebenszeit des Gerätes. Je weniger Verlustleistung der Prozessor erzeugt, desto größer der Einsatzbereich des Gerätes – und natürlich auch
die Lebensdauer. Schließlich sinkt die
MTBF von Bauteilen mit ansteigender
Temperatur. Die Betriebssicherheit von
Steuerungssystemen ist sicherlich eine
der wichtigsten Forderungen an PC-basierende Steuerungen. „Der Anwender
erwartet heute eine hochverfügbare
Plattform, das heißt keine drehenden
Teile und somit auch keinen Lüfter“, betont Thomas Linde von ads-tec. Heute
sind Hutschienen-Rechner mit CPUs von
700 MHz bis Pentium IV 2,0 GHz-Performance machbar – natürlich ohne Lüfter.
„Das entscheidende Merkmal und Voraussetzung in der industriellen Anwendung ist die Lüfterlosigkeit, d. h. die Eliminierung des schwächsten Bauteils
beim PC“, bekräftigt Ophoff. Dementsprechend wichtig sind hier die Aktivitäten der Halbleiterhersteller, Prozessorarchitekturen mit geringer Verlustleistung
zu entwickeln. Dies wird von allen einstimmig betont.
IPC als SPS-Ersatz? Dann
sollte nichts mehr rotieren
Neben dem Temperaturverhalten spielen bei der Betriebssicherheit die mechanische Robustheit des Systems gegen
Schock und Vibrationen eine ebenso
Spagat zwischen Wirkund Verlustleistung?
Doch kein Licht ohne Schatten. Mit den
immer höheren Taktraten steigt auch die
Verlustleistung in schweißtreibende Regionen, die ohne Gegenmaßnahmen zu
Sauna-typischen Temperaturen führen
würden. Im Office-Bereich fächelt man
dem Prozessor einfach Luft zu, was sich
in industriellen Anwendungen nur
schwer realisieren lässt. Denn jeder Lüfter ist ein Verschleißteil und bedeutet eine Verringerung der MTBF (Mean Time
between Failure) des Systems – und da-
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große Rolle. Schließlich tritt die PC-basierte Steuerungstechnik gegen klassische SPS-Systeme an und muss sich
zwangsläufig daran messen lassen.
„Deswegen bauen wir bei B&R unsere
Industrie-PCs auch nach der SPS-Spezifikation“, so Frank Winter. Dem pflichtet
Linde bei: „Da die Anforderungen vergleichbar mit denen an eine StandardSPS sind, sollte auch die PC-Plattform ohne drehende Teile wie Lüfter und Festplatten aufgebaut sein.“ Auch bei Beckhoff, Keba, Mitsubishi und Phoenix Contact identifiziert man den Trend – ohne
Lüfter und rotierende Massenspeicher.
Heinz Egger differenziert hier stärker,
da die unterschiedlichen Bauformen –
Panel-/Hutschienen-/Schaltschrank-PCs –
ihrer Montage entsprechend verschiedene Anforderungen haben: „Wer mit
geschlossenen Schaltschränken automatisiert und nur abgesetzte Bedienpanels
vor Ort installiert, hat deutlich geringere
Anforderungen an Vibration, Schock,
Temperatur etc. zu erfüllen.“ Der nächs-
Rüdiger Janson,
Siemens
te Kunde verbaut seinen PC in einen
Steuerungskasten direkt an der Maschine. Hier steigen dann die Anforderungen. Auch Rüdiger Janson von Siemens
sieht hier eine Polarisierung: „Kunden
fragen heute entweder nach Geräten,
die härtere Geräteeigenschaften als
heute üblich erfordern, besonders bei
maschinennahem Einsatz, oder nach Systemen mit erheblich geringeren.“ (ku)
Fortsetzung folgt:
Dietmar Knecht,
Phoenix Contact
Im zweiten Teil, den wir in der
nächsten Ausgabe der IEE veröffentlichen, zeigen die Experten die Entwicklung bei den PeripherieSchnittstellen von morgen, der
Langzeitverfügbarkeit sowie der
Betriebssystem-Pflege auf und geben ihre Einschätzung zum Kenntnisstand der Automatisierer hinsichtlich
PC-Technologien
und
Ethernet.
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