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18235_FL05_088_089 23.03.2005 16:29 Uhr Seite 88 Unfallakte in rassiger Doppeldecker glänzt am 20. Oktober 2002 im goldenen Licht der Herbstsonne. Pilot und Passagier bereiten sich auf einen verheißungsvollen Flug über das idyllische Kochertal und die Waldenburger Berge unweit der malerischen Kleinstadt Schwäbisch-Hall vor. Die ungetrübte Szene auf dem Flugplatz Weckrieden verrät nichts vom dramatischen Ende, das dieser Ausflug nehmen wird. Eigentlich beginnt die Geschichte schon mehr als ein halbes Jahr zuvor, weit weg von der schwäbischen Provinz, auf einem kleinen Flugplatz irgendwo in den USA. Im März 2002 übt ein deutscher Pilot dort einige Kunstflugmanöver. Die Flugschule wird später angeben, dass er in zwei Trainingsstunden weder eine ausreichende Ausbildung noch einen Abschluss erzielt habe. Zurück in Deutschland will er aber so bald wie möglich mit der Kunstflugausbildung beginnen und meldet sich im September offiziell beim Stuttgarter Regierungspräsidium für den Erwerb der entsprechenden Berechtigung an. Bis zu jenem 20. Oktober wird er sein Vorhaben jedoch nicht mehr verwirklichen. Die Flugwettervorhersage meldet an diesem Tag CAVOK – perfekte Sichtflugbedingungen. Spontan wird ein Rundflug mit dem Pitts-Doppeldecker verabredet. Für den Passagier, ein guter Bekannter des Piloten, ist dies der erste Flug in einer Aerobatic-Maschine. Er hat keine fliegerische Ausbildung und steht Zeugenaussagen zufolge dynamischen Flugmanövern »eher zurükkhaltend gegenüber«. Der Pilot gilt mit insgesamt 560 Flugstunden als erfahren. Auf der Pitts S-2B hat er davon jedoch nur knapp elf Stunden E 88 5/2005 Wer ein Kunstflugzeug fliegt, der sollte die Grenzen seiner Maschine und auch seine eigenen besonders gut kennen. Ein Pitts-Pilot ignorierte offenbar beides und flog mit seinem Passagier ein ebenso mysteriöses wie halsbrecherisches Aerobaticprogramm – ohne die erforderliche Kunstflugberechtigung geflogen und 101 Landungen absolviert. Um 14.50 Uhr startet der Doppeldecker und nimmt Kurs auf den Ortsteil Gailenkirchen in westlicher Richtung des Platzes. Dahinter sind bereits die ersten Hügel der Waldenburger Berge in Sicht. Das satte Brummen des Lycoming-Triebwerks und die niedrige Flughöhe der Pitts machen einige Spaziergänger aufmerksam. Deren Zeugenaussagen werden später die wesentlichen Anhaltspunkte zur Rekonstruktion des Flugverlaufs geben, da weder Radar noch andere Überwachungssysteme zur Klärung des folgenden Geschehens beitragen konnten. Über dem ansteigenden Gelände beginnt die Pitts mit einigen Aufsehen erregenden Manövern, die von den Beo- bachtern als Loopings, Rollbewegungen und Abkippen beschrieben werden. Dabei nähert sich der Doppeldecker von Süden her dem nahe gelegenen Eichelberg. Plötzlich stürzt die Maschine aus niedriger Höhe in einer unkontrollierten Trudelbewegung dem Bergwald entgegen. Der Pilot kann den Doppeldecker nicht abfangen, und Ausweichen in Fotos: Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung Erschwerte Untersuchungsarbeit: Um den Pilot und Passagier bergen zu können, mussten Feuerwehrleute Ruderanschlüsse im Wrack der Pitts S-2B durchtrennen 18235_FL05_088_089 24.03.2005 16:49 Uhr Seite 89 Legt man der Massenberechnung die Gewichtsangaben der deutschen Zulassung (771 Kilo) zugrunde und addiert ein Übergewicht von bis zu 18 Prozent bei dynamischen Flugmanövern, dann scheint eine verbleibende Sicherheitshöhe von 200 Meter GND in ansteigendem Gelände geradezu selbstmörderisch – ganz abgesehen von der deutlich erhöhten Mindestgeschwindigkeit. Der Eintrag für das reduzierte zulässige Gesamtgewicht bei Kunstflugbetrieb ist in der deutschen Zulassung übrigens auf mysteriöse Weise verlorengegangen. Nicht vollständig geklärt werden konnte außerdem die Rolle des Passagiers, der auf seiner vorderen Sitzposition ebenfalls Zugriff zu allen wichDas Ende eines Kunstflugs in einer überladenen Maschine: Zerschmettert liegt der agile Doppeldecker tigen Steuerorganen hatte.Aufauf dem Waldboden des Eichelbergs grund der Zeugenaussagen, die eine Unsicherheit oder sogar das tiefer gelegene Gnadental Hecklastigkeit. Die Stellung nach Deutschland überführt Abneigung des Passagiers ist zu diesem Zeitpunkt eben- des Trimmhebels bestätigt die- und neu zugelassen wurde. gegenüber den waghalsigen falls nicht mehr möglich. Die se Annahme. Ein Blick ins Sowohl die SchwerpunktbeManövern des Piloten vermuPitts schlägt um 15.03 Uhr am Flughandbuch verrät, dass der stimmung als auch die Wäten lassen, ist nicht auszusüdöstlichen Hang des Eichel- Doppeldecker für eine maxi- gung weichen bei der deutschließen, dass er während der bergs auf. Beide Insassen sind male Abflugmasse von 771 Ki- schen Zulassung deutlich von Kunstflugübungen im Cockpit sofort tot. logramm im Normalbetrieb zu- den zuletzt gültigen Messung Halt suchte und dabei den fataAn der Unfallstelle bietet gelassen ist. in den USA ab, wobei sich die len Trudelsturz mitverursachte. sich ein Bild des Grauens. Das Obwohl die Füllmenge des neueren Angaben jeweils unEin Indiz dafür ist die wenig Wrack liegt weit über das un- Rumpftanks sowie der Flä- günstiger auf die weiteren BePassagier-freundliche Ausstatwegsame Gelände verteilt, von chentanks nicht mehr exakt rechnungen auswirken. tung der Pitts: Die einzige dem kleinen, quirligen In jedem Fall war die festgestellt werden Möglichkeit, vermeintDoppeldecker ist nicht lichen Halt zu finden, Griff der Erhebliche konnte, berechneten Pitts erheblich überlamehr viel zu erkennen. die Experten der den: Pilot und Passabietet der SteuerknüpPassagier pel. Die pathologiBeide rechten Tragflä- Unterschiede Bundesstelle für Flug- gier brachten zusamchen sowie das Höhenunfalluntersuchung men immerhin ein Geetwa ins schen Untersuchungen bei den leitwerk wurden bei für den Unglückszeit- wicht von fast 200 Kilo ergaben dagegen, dass Steuer? Wägungen punkt ein Übergewicht auf die Waage. Als Folder Kollision mit den beim Passagier, anders Bäumen vom Rumpf von drei bis acht Pro- ge war die maximal zuals beim Pilot, keine abgerissen. Die Feuerwehr zent, unter der Annahme von lässige schwanzlastige SchwerBrüche oder Blutergüsse am muss die Leichen regelrecht Kunstflugbetrieb sogar bis zu punktlage um zwei bis vier Handgelenk nachzuweisen waaus den Trümmern heraus- 18 Prozent über dem zulässi- Zentimeter nach hinten verren. Er hatte demnach zuminschneiden. schoben. Wie sich aus den gen Fluggewicht. dest beim Aufschlag der MaIm ebenfalls stark beschäDen Zeugenaussagen war zu weiteren Nachforschungen schine seine Hände nicht am digten Cockpit und am abge- entnehmen, dass sich die Pitts ergab, bezieht sich der im Knüppel. trennten Höhenleitwerk fin- während der kunstflugähn- Flughandbuch angegebene Doch selbst wenn er vor dem den sich erste Hinweise auf die lichen Manöver auf das anstei- Höhenverlust für das Abfantödlichen Sturzflug aus Panik Unfallursache: Der Hebel der gende Gelände des Eichel- gen nach Überziehen von etin die Steuerung eingegriffen Höhenrudertrimmung steht bergs zu bewegte und infolge- wa 400 Fuß (122 Meter) nicht hätte: Viel schwerer wiegt, dass bis zum Anschlag auf »kopflas- dessen die Sicherheitshöhe von auf die deutschen Grenzwerein erfahrener Pilot sich selbst tig«, das Trimmruder selbst 350 Meter GND in der Ebene te, sondern auf das in den und seinen Passagier ohne Not ebenso. Die beiden gewichti- auf gerade mal 200 Meter an USA gemessene Fluggewicht und vor allem ohne Kunstfluggen Insassen haben sich offen- der Absturzstelle schrumpfte. von nur 737 Kilo. Der Höhenberechtigung durch grobe bar nachteilig auf die SchwerNachforschungen führten die verlust nach einem Stall wäre Fahrlässigkeit und Selbstüberpunktlage der Maschine ausge- Untersucher auch in die USA: nach den deutschen Angaben schätzung so zu Tode bringen wirkt. Folge war eine starke Dort flog die Pitts, bevor sie also deutlich größer. musste. Samuel Pichlmaier 5/2005 89