43-47 Troedler
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43-47 Troedler
Edler Schrott Er mache Recycling der besonderen Art, sagt Andreas Gehrig, der in Bern Sachen verkauft, die niemand wirklich braucht. Das Geschäft läuft gut. Text: Regula Tanner Fotos: Hansueli Trachsel Natürlich | 10-2004 43 Andreas Gehrig droht hinter alten Dingen zu verschwinden. E ines Tages hiess es, am Berner Jugendfest werde ein Flohmarkt durchgeführt. Da wusste Gymnasiast Andreas Gehrig, dass seine Stunde gekommen war. Das Sammeln alter Dinge hatte es ihm angetan, er meldete sich als Verantwortlicher und durfte fortan Sitzungen besuchen anstatt Physikstunden – das war auch nicht schlecht. Er gab Inserate auf, erfuhr von Brockenhäusern und Haushaltauflösungen und lernte Leute kennen, die alte Dinge loswerden wollten. Mit Freunden schleppte er Sofas über endlose Treppen, und zerrte sperrige Kommoden in den Lastwagen, den die Stadt zu Verfügung stellte. Er schwitzte, Andreas Gehrig hat den Teddy gestern im Nidauer Brockenhaus gefunden. Bald wird er ihn zu den anderen Bären setzen, in die Welt der Perlenketten, Kerzenständer und Blumenvasen. Eine Frau blättert in der Kiste mit Ansichtskarten, zieht eine hervor «Oh, c’est Saignelégier!» Sie tippt ihrem Mann auf die Schulter. Der steht über eine alte Waage gekrümmt, schiebt mit grossen Fingern kleine Teile hin und her. «Combien?», fragt er, ohne seinen Blick vom Entdeckten zu heben. «Trente», sagt Andreas Gehrig. «Non, vingt-cinque.» «Mais ce n’est pas cher, trente!» «Vingtcinque.» «D’accord.» Andreas Gehrig wickelt die Waage in Zeitungspapier, Im Grunde genommen unnütz: Teddybären für Liebhaber. fluchte und verwünschte die Arbeit. Doch dann, als die Antiquitäten erlesen waren, drapiert und mit Preisen versehen, breitete sich in dem jungen Mann ein Gefühl der Freude aus. Das war 1969. Heute sitzt Andreas Gehrig, 54, in einem Fauteuil. Zuhinterst in seinem Brockenkeller droht er hinter Stapeln alter Dinge fast zu verschwinden. Es ist Mittwochnachmittag im Spätsommer. Der Mann hinter den Stapeln lächelt, hat wirres Haar, einen grossen Schnurrbart und blaue Augen. Aus einer seiner Hosentasche lugt ein kleiner Bär, Knopf im Ohr – Steiff-Marke – rot auf gelb. 44 Natürlich | 10-2004 legt das Geld in die Kasse und wünscht einen schönen Tag. Viel Wertvolles auf dem Müll Das Geschäft läuft, Gehrig ist zufrieden. «Ich biete Ware an, die man nicht zum Leben braucht», sagt er, «Sammlerstücke eben.» Und: «Würde ich einer Familie einen Kinderhochstuhl für 50 Franken verkaufen, den ich selber für 5 erstanden habe, hätte ich ein schlechtes Gewissen.» Die Dinge in seinem Keller hingegen seien im Grunde genommen unnütz, hätten aber Liebhaberwert. Und somit sei allen geholfen: «Die Sammler freuen sich, wenn sie ein gutes Stück gefunden haben, die Händler, wenn sie das Gefundene teurer verkaufen können, und ich verdiene dabei auf angenehme Weise Geld.» Und dass er mit seiner Arbeit zum Bewahren alter Dinge beiträgt, ist ihm auch recht. «Recycling der besonderen Art», sagt er. Doch leider werde, was alt sei, von vielen Leuten weggeworfen. Dass auf diese Weise eine Menge Wertvolles auf dem Müll und in Entsorgungsstellen lande, sei vielen nicht bewusst. Dabei gebe es andere Möglichkeiten als das Wegwerfen: «Eine Auktion, eine soziale Institution oder der Antiquitätenhändler.» Stöbert Andreas Gehrig in Brockenhäusern, sieht er, wie schnell Ware abgestossen wird. Wie sich plötzlich Chromstahlpfannen türmen, wenn es bei einem Grossverteiler Pfannenmärkli zu sammeln gibt. Doch was den einen nicht mehr gut genug ist, reicht den anderen noch längst. Er kaufe seine Küchengegenstände fast ausschliesslich in Brockenhäusern. Bis zum Herzinfarkt Früher unterrichtete Andreas Gehrig an einer Berner Sekundarschule. Dann spielte er für eine Saison Strassentheater und verkaufte nebenbei Antikes auf Gassenmärkten. Man schrieb die frühen Achtziger, als ihm sein Onkel einen Keller in der Altstadt anbot; der Raum hatte als Lager für Onkels Zoogeschäft gedient. Wo einst Vogelkäfige aufgesta- Porträt GESELLSCHAFT vorgenommen, das wissen die Händler. Sie warten und räumen den Astra gleich selber aus: heben Kistendeckel, durchstöbern Körbe, wühlen in Eingepacktem. «Das gehört in diesem Geschäft dazu», sagt Andreas Gehrig, «wer etwas ergattern will, muss früh zur Stelle sein.» Auch auf Flohmärkten. Jeder wolle der Erste sein, derjenige, der die besten Stücke bekomme. Da habe es schon Herzinfarkte gegeben. «Bei mir ist das so: Wenn ich ein Schnäppchen mache, ist das in Ordnung – wenn nicht, dann geht die Welt auch nicht unter.» Das Geschäft geht trotzdem weiter. Das Leben auch. Er freue sich jeweils auf Mittwoch, doch für ihn gebe es auch pelt waren, richtete sich Andreas Gehrig seinen Brockenkeller ein. Lampen, Knöpfe, Teekannen. Koffer, Silberlöffel, Porzellanpuppen. Öffnungszeit: Mittwoch, schulfreier Nachmittag. So würde er, dachte Andreas Gehrig, sein Brot mit Stellvertretungen verdienen können. Heute, mehr als 20 Jahre später, ist der Keller immer noch am Mittwochnachmittag offen – also wird er in Bern «Midwuchslädeli» genannt. Andreas Gehrig kann davon leben – ohne Stellvertretungen. Das habe drei Gründe, sagt er: «Das Geschäft läuft nicht schlecht, die Hausbesitzerin überlässt mir den Keller zu einem günstigen Zins, und ich führe ein bescheidenes Leben.» Schon früh erkannte Gehrig den Wert alter und besonderer Dinge. Im Kindergarten bastelte der Bub eine Skulptur aus leeren Filmdosen, erntete das Lob der Kindergärtnerin, trug das Kunstwerk heim und nahm es auf der Stelle auseinander. Denn ihn freute die Zahl der speziellen Filmdosen mehr als der Anblick der Skulptur. Später, er ging bereits zur Schule, entdeckte er auf einem Flohmarkt ein Grammophon, eilte heim, erbettelte sich die 5 Franken, die es kostete. Er kaufte das Stück, lud es aufs Trottinett, zerlegte es zuhause und baute den Motor als Antrieb in seine Schwebebahn ein. Jeden Mittwoch um halb acht Uhr fährt Andreas Gehrig mit seinem Opel Astra vor, schliesst den Keller auf, klappt die Türflügel zur Seite, stellt ein Schild auf die Treppe, «Offen ab 13 Uhr». Jeden Mittwoch ein Auto voll, das hat er sich pen, dahinter ein Stapel Suppenteller mit Blumenrand, obendrauf ein Frisierkopf, schmal und rot seine Lippen. Von der Wand grinst eine Maske, weiter hinten harrt Napoleon, klein und golden, an der Decke hängt ein Alphorn. Ein brasilianisches Paar durchforstet die Vitrine mit Zinn und Silber, ein Amerikaner beugt sich über eine Schublade alter Militärmesser. Der Herr des Kellers kommt mit Dame und PicknickKorb zurück, der Brasilianer, nun an jedem Finger seiner Hand einen Fingerhut, trommelt auf einen Stuhl, hält Andreas Gehrig die Hand vors Gesicht, fragend sein Blick. «vier Franken», sagt Andreas Gehrig. «Gut, ich nehme sie.» 80 Prozent der «Midwuchslädeli»-Besucher sind Stammkunden. anderes. Das Wohnen zum Beispiel. In einem Mehrfamilienhaus in Nidau bei Biel, wo er gemeinsam mit den Hausbewohnern kocht. Oder die Genossenschaft Kreuz, auch in Nidau, bei deren Gründung er dabei gewesen war. Ein Begegnungsort für Kulinarisches und Kultur. «Wie viel kostet der Korb mit dem Picknick-Geschirr?» ruft eine Dame von der Treppe her. Andreas Gehrig steht auf, windet sich durch den schmalen Pfad dem Ausgang zu, vorbei an Filmrollen, Schallplatten und Schaukelpferd. Zur Linken 2 Schaufensterpup- Sympathische Sucht Die Kundschaft sei durchmischt, sagt Andreas Gehrig, mehrheitlich älter als vierzig, davon achtzig Prozent Stammkunden. Viele von ihnen Sammler, die ihrer Leidenschaft frönten, den Keller regelmässig nach Bestimmtem absuchten: Nach Feuerzeugen, Messern und Blechdosen, nach Bildern, Uhren und Ansichtskarten. Viele kennt Andreas Gehrig seit Jahren, einige kommen jeden Mittwoch, andere einmal pro Monat. Was er auch schon beobachtet hat: Dass Sammeln zu einem suchtähnlichen Zustand werden kann. Man wolle immer Natürlich | 10-2004 45 Glaskunst im Bad fürs tägliche Vergnügen. Wir fertigen Fusing-Glas zu Lavabos, Duschwänden, Abdeckungen usw. n Desig 19354-10 19002-10 18772-10 Erfolgreich lernen Ausbildung zum/zur Lernberater/in IK Durchführung von Lerntests und Begabungsdiagnostik, Beratung, Anwendung und Einübung erfolgreicher Lerntechniken bei Kindern und Jugendlichen. Der praxisorientierte Lehrgang eignet sich für: Menschen die Interesse an Kindern/ Jugendlichen und deren Lernförderung haben. Beginn: Frühling 2005 Info & Anmeldung: Institut Knickenberg Am Stutz 1, 4314 Zeiningen 061 851 54 04, [email protected] 46 Natürlich | 10-2004 19879-10 19408-10 18737-10 16925-10 18999-10 19596-10 Porträt GESELLSCHAFT Melkerstuhl, auf einem Tablar thront eine Offiziersmütze, gegenüber eine Ente, ausgestopft. Der Mann, ein Sammler, kauft. 3 Fotoapparate. Andreas Gehrig kassiert, dankt, wickelt ein. Der Traum vom leeren Raum In der Schweiz sei es trendiger, Ware aus Billig-Möbelhäusern zu kaufen. mehr, noch dies, noch jenes, etwas zu erstehen, könne zum Zwang werden. Das Interessante an dieser Sucht: Sie sei nicht verpönt, nein, sie werde von der Gesellschaft akzeptiert, gelte als etwas Sympathisches, habe etwas Leichtes, Spielerisches an sich. Manchmal ist Andreas Gehrig selber der Suchende, schlendert durch Brockenhäuser und über Flohmärkte, hält nach Ware für seinen Keller Ausschau. Und hat gelernt, dabei mit den Augen seiner Kunden zu blicken. Dem einen könnte dieser Kristallleuchter gefallen, der andere würde vielleicht diese Vase aus Muranoglas kaufen. Doch bei alldem ist er sich bewusst: Der Handel mit Antiquitäten wird zunehmend schwieri- ger. «In der Schweiz», sagt er, «ist es momentan trendiger, entweder ein Designerstück zu kaufen oder dann Ware aus Billigmöbelhäusern.» Grossmutters Kommode sei weniger gefragt. In Italien, Frankreich und Portugal sei das anders, dort würden Antiquitäten noch mehr geschätzt, das Geschäft mit Touristen aus diesen Ländern laufe deshalb nicht schlecht. Jetzt steigt ein Mann die Treppe hinunter, blickt nach links und rechts, schiebt sich weiter, findet endlich, was er sucht, ganz hinten im Gewölbe, Fotoapparate. Bald hat er 3 nebeneinander gelegt, vergleicht, drückt Auslöser, schraubt Objektive ab. Von der Diele baumeln Spazierstöcke, dazwischen ein Manchmal begegnet Andreas Gehrig den Dingen wieder, die er verkauft, Jahre später. Wie jenem Leuchter, den er einst in einem kleinen Laden im Seeland erstanden hatte, ihn an einen Händler weiterverkaufte und schliesslich im selben Seeländer Laden wiederentdeckte. Er kaufte ihn – zu einem günstigeren Preis als beim erstenmal. Den Thuner Keramikteller aber, den er einmal in Frankreich ergattert hatte, einem Spanier verkaufte und nach Jahren in einem Antiquitätenladen im Berner Oberland zu einem horrenden Preis wiederfand, liess er stehen. «Man lernt mit der Zeit, wann und wo es sich lohnt, zuzugreifen», sagt Andreas Gehrig. Manchmal sei es auch ein zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Wie damals, als eine Kleiderfirma liquidiert wurde, und er das gesamte Knopflager übernehmen konnte, einige hundert Kilo. Oder als er vernahm, dass ein ehemaliger Bahnhofsvorstand einer Schule sein Hab und Gut vermacht hatte. Eine Frau fragt nach alten Kleiderhaken. Andreas Gehrig, keinen Moment um eine Antwort verlegen, steigt über Schichten alter Zeitschriften, schiebt Kisten beiseite, hebt ein Tuch und greift in eine Schachtel. «Das ist alles, was ich im Moment habe», sagt er, zeigt eine Handvoll Goldenes. Und spätestens jetzt weiss der Besucher: Der Brockenkeller ist zum Bersten voll, scheint unübersichtlich und wirr. Andreas Gehrig aber wird den Überblick nicht verlieren. «Doch eigentlich», sagt er, «eigentlich gibt es für mich nichts Schöneres als einen leeren Raum.» Und das meint er durchaus ernst. ■ Brockenkeller Andreas Gehrig Rathausgasse 49, 3011 Bern Öffnungszeiten: Mittwoch 13 bis 18.30 Uhr, während der Schulferien geschlossen Telefon 032 331 09 16 Natürlich | 10-2004 47