Manifesta Episode 7

Transcrição

Manifesta Episode 7
Manif esta
Episode 7:
Sparring
Hey Azem, Yeah!
Bist du bereit?
­Werden die Leute
kommen? Wie viele?
Matyásˇ Cho­chola
kommt aus Prag
und hat an der
Kunstakademie
Bildhauerei studiert. Christian
Jankowski wurde
während einer
Recherchereise
auf ihn aufmerksam.
Matyás’
ˇ Projektpartner Azem ist 14-facher Weltmeister im Thaiboxen. Ihn als Klitschko des Thaiboxens zu
bezeichnen, ist keineswegs übertrieben. 2010 erschien
der Kinofilm ‹Being Azem›, seither gilt er als Promi.
Hoi Matyás.
ˇ Also meine Familie
kommt, meine Schwester, meine
Frau mit den Kindern und ein paar
Kollegen. Vom Gym haben wir
alle Teilnehmer des Workshops
eingeladen … und ich bin ja da.
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Mit 18 Jahren übernahm Azem die Kampfsportschule von
seinem Vorgänger und ist seither selbständig.
Kommt dein
Bruder
mit dem
Lamborghini?
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Also zuerst gibt’s
Make-up für alle Performer, dann warten
wir, bis es dunkel ist.
Am Feuer beschwören
wir die guten Geister,
dann machen wir Sparring zu Musik und
zerstören an den
Bäumen befestigte
Styropor­tafeln. Und
wir werfen Farbpulver
in die Luft, das sieht
super aus! Am Ende
sammle ich alle Überreste ein und schmeisse Farbe und Gips
drauf. Dann gönnen wir
uns einen Drink und
das war’s!
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Keine Ahnung. Ich habe die
Leute ab 17 Uhr eingeladen,
sie können eine Wurst grillieren oder Prosecco trinken. Ich trinke nichts, für
mich ist einen Monat lang
keine Zigi, kein Alkohol, nix.
Ein halber Ramadan ist das!
In den letzten Jahren war
ein bisschen zu viel Party,
ich habe zugenommen,
da
um die Hüfte …
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Mit einem Lieferwagen voller Requisiten verschiebt
man sich zum Goldenberg.
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Kunstbulletin 6/2016
Während
zwei Wochen
organisierten
Matyásˇ und
Azem einen
Workshop im
Wing Thai
Gym in Winterthur.
Matyásˇ hatte
seine Fläche
in der Mitte
des Raums
und holte
während des
Trainings
Leute zu sich,
die auf rohe
Tonmasse
einwirken
oder zeichnen
konnten.
Azem ist sich
nicht zu
schade, die
letzten Spuren selber zu
beseitigen.
Der legendäre Goldenberg: Hier
habe ich quasi meine Karriere
gemacht. Als Schüler kamen wir
jeden Tag zum Joggen hierher.
Ich trainiere oft mit Jugendlichen. Viele sind aus einfacheren Verhältnissen und können sich keinen Tennis- oder Fussballunterricht leisten. Bei
manchen arbeiten beide Eltern, sie sind allein und brauchen Halt; für sie
bin ich wie ein Vater. Ich finde es super, wenn Kinder etwas mit ihren
Händen machen. Ich selber bin in den Bergen aufgewachsen, drei Monate
ohne Strom, da musste man fantasieren, eine Strasse und Autos aus Steinen bauen und so; heute haben die Kinder alles, sie müssen nichts mehr
überlegen.
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Der Goldenberg ist beliebt.
Die Leute hier interessieren
sich für alles und es stört
sie auch eigentlich alles.
Andererseits wäre es hier
nicht so schön, wenn sie
nicht so wären. Wahrscheinlich wird jemand die
Polizei rufen; aber bis die
hier sind, ist alles im
Kasten und das Fest können
wir abbrechen. Ich kann
mit der Polizei reden, sie
kennen mich.
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Schau, hier beim
Workshop hast
du mit der Faust
draufgeschlagen;
ist glatt durchgegangen!
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Also ich mache das aus Spass
an der Sache. Ich interessiere
mich grundsätzlich für alles;
und man lernt ein paar andere
Leute kennen. Allerdings wusste ich zu Beginn nicht, dass
es am Ende so einen Riesenaufwand geben würde …
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Vom Team der Manifesta
habe ich gehört, man habe
hier manchmal Probleme mit
der Mentalität. Als man
Studenten eine Zusammenarbeit anbot, war die erste
Reaktion: «Weshalb müssen
wir das machen? Wie viel
Geld gibt’s?» Man dachte,
tolle Inhalte auf dem Silbertablett zu servieren,
und die Reaktion war dann
häufig «Nö».
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Da war recht Power
drauf! Ich habe etwa
300 bis 400 kg Schlagkraft, mit dem Fuss
kriege ich bis zu einer
halben Tonne hin.
Jetzt ist es gebrannt,
ich komme gar nicht
mehr durch … Kann ich
es behalten?
Wärst du einverstanden, wenn deine Söhne
eine Kampfsportkarriere
machen wollen?
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Es kommt zuerst an die Manifesta, danach übernimmt es
meine Galerie. Wenn du etwas willst, kann ich es dir
schenken, aber vielleicht
möchte ein Sammler die gesamte Installation. Wir können das später entscheiden.
Weniger. Ich weiss, wie man
nach Kämpfen aussieht;
man wird manchmal halbtot
im Rollstuhl rausgebracht …
Wenn, dann sollen sie
Fussball spielen und zwei
­Millionen verdienen!
FOKUS // MANIFESTA / EPISODE 7
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Langsam dunkelt es ein und die mitgebrachten Requisiten funkeln in der Abenddämmerung. Thaiboxen ist beinahe
wie Kickboxen, allerdings sind auch Ellbogen- und Kniestösse erlaubt; und man darf den Gegner festhalten.
Im Kickboxen wiederum darf man, anders als beim Boxen, die Füsse für Schläge benutzen. Ursprünglich war Thai­
boxen ohne Handschuhe, später mit einbandagierten Händen; in die Bandagen wurden manchmal Glasscherben
auf dem Handrücken eingearbeitet, eine äusserst brutale Variante. Als Sport wird es mit Handschuhen ausgeführt.
Die Titel werden wie im Boxen von verschiedenen Verbänden vergeben, Azem hat alle der fünf grossen mehrfach
geholt. Ein gutes Preisgeld beträgt um die 100'000 Franken; mit Thaiboxen Millionär zu werden, ist allerdings
kaum möglich, da keine grossen Werbeverträge winken und die Vorbereitung auf einen Kampf viel Geld verschlingt.
Wir glasieren zuerst die
kleinen Objekte und
brennen sie im Raku-Kiln.
Den kann man übrigens
aus einem Ikea-Abfall­
eimer selber machen.
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Kommt her, ich bete
für diesen Ort und
uns alle, zusammen
mit meinem gross­­ar­
tigen Freund Aze­m …­
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… und nun
wünscht euch
etwas und
werft das Pulver ins Feuer!
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Nach dem Eröffnungsritual
beginnt die Performance.
Nach unserem ersten Training war ich
blutig geschlagen,
ich konnte am
nächsten Tag kaum
mehr laufen! Das
bisschen Kung-Fu
von früher hat mir
nicht viel geholfen.
Rocky hat mich fasziniert; wie ein einzelner Mensch alles verändern kann.
Am Ende von Rocky IV sagt er: «Wenn
ich mich ändern kann, dann könnt ihr
euch auch ändern, dann muss sich auch
die ganze Welt ändern können!» Ich
kam 1990 aus dem Kosovo als Flüchtling
hierher und wollte etwas bewegen.
­Wegen Rocky begann ich zu boxen.
Hast du den
Schweizer Pass?
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Ich arbeite gerne mit Klischees:
Die Masken der
Menschen zeigen
am allerbesten,
was dahinter
verborgen liegt.
Ich bevorzuge
die Oberfläche,
denn alle Legenden, Mythen
und Psychologien
bilden sich darin
ab. Ich möchte
versuchen, die
Energie des Kickboxens in meine
Kunst einfliessen
zu lassen…
Yeah!!
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Ich halte nicht viel von Kung-Fu, damit kann man
keine Karriere machen. Mit Karate schon eher, wie
Andy Hug. Aber auch er wechselte zum Verband
K-1, wo Boxer, Kickboxer und Thaiboxer mitmachen
können. Andy ist eine Legende, er war der Mann
der Stunde. Dann starb er völlig überraschend an
Krebs, innerhalb von zwei Wochen war alles vorbei.
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Ja. Den vom Kosovo auch,
aber den brauche ich
eigentlich gar nicht
mehr. Wir haben viele
Sportler aus dem Kosovo,
in der Schweizer Nati
sind es etwa sieben. Es
hat auch viel mit der
Schweiz zu tun, hier war
es möglich, sich zu entfalten; aber wir waren
vor allem hungrig! Oder
Rita Ora, die ist sogar
über ein paar Ecken mit
meiner Frau verwandt.
Und du? Ist das hier
deine übliche Art, Kunst
zu produzieren?
Hast du mir eine
Zigarette?
Normalerweise nicht,
aber als die Manifesta mich mit der
Idee der Kooperationen konfrontierte,
war ich sofort bereit!
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Ob Matyásˇ die Atmosphäre des launigen Abends
tatsächlich in seinem Kunstwerk einfangen kann,
zeigt die Manifesta in Zürich ab dem 11. Juni.
Aber du bist doch
auf Diät?!
Fortsetzung
folgt
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Heute ist Ausnahme, einmal
pro Woche darf ich alles
reinhauen ... Es beginnt mir
richtig Spass zu machen!
Mitwirkende: Matyás
ˇ Chochola (Künstler) und Azem Maksutaj (Weltmeister im Thaiboxen und Inhaber der Kampf­
sportschule Wing Thai Gym). Script: Oliver Kielmayer; Fotografie: Livio Baumgartner. ↗ m11.manifesta.org
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