5 - Kirchenwochenarbeit
Transcrição
5 - Kirchenwochenarbeit
3/13 Freundesbrief der Ökumenischen Kirchenwochenarbeit in Deutschland Versöhnt leben Grenzen annehmen – Trennung überwinden i nhalt „We will break dividing walls“ – so sang vor einigen Jahren eine amerikanische christliche Band. „Wir reißen trennende Mauern nieder.“ Na gut, für meine empfindlichen ostdeutschen Ohren klingt das schon etwas vollmundig. Die Berliner Mauer stand immerhin 28 lange Jahre; in manchen Köpfen steht sie noch heute … Aber dieses Lied rührt mich doch an. Es klagt Gott die Mauern, die zwischen den Menschen stehen: zwischen Mann und Frau, zwischen Jung und Alt, zwischen Schwarzen und Weißen, zwischen Juden und Heiden … Es sind keine Wände aus Stein oder Beton – dafür aus Unverständnis, aus Vorurteilen und Ablehnung. Schon unsere Vorfahren im Garten Eden zogen – bildlich gesprochen – eine Mauer hoch. Ungeachtet der ernsten Warnung des Schöpfers kamen Adam und Eva nicht an diesem Baum vorbei. Nur mal schnell von seinen Früchten naschen. Sieht doch keiner. Wumm, schon stand sie da! Zu dieser „Ur-Mauer“, wenn man so will, sind im Lauf der Zeit viele weitere dazugekommen. Heute scheint die ganze Welt von einem Geflecht aus Trennwänden überzogen – zu Gott hin, um uns herum und auch in uns selbst. Welche Abrissbirne richtet da etwas aus? Wie kann es gelingen, irgendwie Heilung zu schaffen? Im neuen „Aufwind“ wollen wir uns an ein paar Antworten herantasten. Menschen geben ihre Erfahrungen und Einsichten im Blick auf Versöhnung wieder. Dazu gibt es neueste Nachrichten von unseren Sommerdiensten. Herzlich grüßt Euch 3 „Das kann man nicht planen“ Versöhnung praktisch – auf einer Farm in Polen 4 Das große Ja Von Früchten, Opfern und Feiertagen 8 Mitte des Glaubens Eine Predigt über Kolosser 1,27 10 Der Prediger ohne Stimme Gott wird persönlich – Philipp Friedrich Hiller 14 Leuchten im Gesicht Versöhnung in Bildern 16 Bitte einsteigen! Eine Rundreise durch unsere Rüstzeiten und die Kirchenwoche 20 Pinnwand Weitere Informationen aus unserer Arbeit 22 Termine und Annoncen Stefan Lehnert Bautzen, September 2013 Titelfoto: „Kleine Seelenverwandte“ (riskiers | photocase.com) Die Ökumenische Kirchenwochenarbeit ist ein überkonfessionelles Werk. Wir möchten Menschen mit der Botschaft von Jesus Christus erreichen, Gemeinden auf der Grundlage des Wortes Gottes dienen und Christen zu verbindlicher Nachfolge und Jüngerschaft ermutigen. Das Werk besteht aus verschiedenen Arbeitsbereichen: Gemeindedienste • Rüstzeiten für verschiedene Altersgruppen • Jüngerschaftsschulen • Arbeit mit Kindern und Teenagern • Begegnungsstätte „Schmiede“ • Mission-Osthilfe mit Begegnungsstätte „Ruth“ • Medien/ „Aufwind“ • Audio- und Videodienst • Büro. Unter Ökumene verstehen wir die vom Heiligen Geist gewirkte Einheit des Leibes Christi. „Das kann man nicht planen“ Versöhnung über Ländergrenzen hinweg kann ganz klein anfangen. Bei den Kindern. Seit vielen Jahren unterstützen wir ein Sommercamp in Polen. Dort verbringen Kinder und Teenager aus Russland, Weißrussland und der Ukraine einen Teil ihrer Ferien. Unsere Annaberger Mitarbeiter Beatrix Konradi und Jens Pöschl arbeiten dort seit vielen Jahren mit. Meist bringen sie noch ein paar Ehrenamtliche aus Deutschland mit. Jens beschreibt seine Eindrücke von diesem Sommer. J. Pöschl Immer wenn ich nach Polen fahre, werde ich gefragt: Wie kommst du dazu, dort eine Freizeit mit zumeist jüdischen Kindern und Jugendlichen zu unterstützen? Das liegt an den Kontakten der Kirchenwochenarbeit zur Farm Olesin bei Warschau. Vor allem aber liegt es an Gustaw und Maria Muszkiet, die die Farm leiten. Sie suchen mit Hingabe Kontakte zu Gemeinden in ihren östlichen Nachbarländern. Aus diesen Kontakten heraus entstanden die Sommercamps. Gustaw und Maria laden die Kinder aus unterschiedlichem Hintergrund dazu ein: aus traditionell jüdischen Gemeinden, aus jüdisch-messianischen* oder aus Kirchgemeinden, die gute Kontakte zu Juden in ihrer Umgebung haben. Diesmal kamen die Kinder aus einer messianischen Gemeinde in Zhitomir, Ukraine. Das Spannendste ist immer die erste Begegnung. Wir sind auf alles eingestellt und auf vieles vorbereitet. Es gibt einen Ablaufplan mit den Zeiten für Essen, Verkündigung, Freizeit usw. Aber wer was macht und was wir tun sollen, ist noch offen. In der ersten Vorstellungsrunde werden dann die Aufgaben verteilt. Wir vier Mitarbeiter aus Deutschland – Trixi, Nina, Marco und ich – hatten diesmal tatsächlich „nur“ für das Rahmenprogramm zu sorgen. Es gab Jahre, da standen wir plötzlich vor der Aufgabe, die Verkündigung für Teenager zu übernehmen. Das Spontane liegt mir ja sehr – das Ganze in Englisch zu tun, ist aber noch mal etwas anderes. Gott war immer gnädig und hat mir zur rechten Zeit die nötigen Vokabeln in Erinnerung gerufen … * Juden, die an Jesus glauben Vom ersten Tag an hatten wir ein gutes Miteinander – das kann man nicht planen und organisieren. Die Herzlichkeit von Menschen, die man nie zuvor gesehen hat, ist beeindruckend. Das hat mich auch ermutigt, in den ersten Tagen die ukrainischen Mitarbeiter zu fragen, wie jeder von ihnen zu Jesus gefunden hat. So war die gemeinsame Gebetszeit am Abend davon geprägt, dass jeder die Möglichkeit hatte, aus seinem Leben zu berichten. Das war nicht nur bewegend für uns, sondern auch eine gute Gelegenheit, sich kennenzulernen. Vor allem war es ein Zeugnis für Gott, der auf unterschiedliche Weise an Menschen handelt. „Ihr kommt nicht mit großen Geschenken, sondern mit eurer Zeit und der Hingabe zu den Kindern“ Mit den Kindern haben wir viel gebastelt. Kinder zu sehen, die mit Wenigem glücklich sind, ist immer wieder etwas Besonderes. Ein Beispiel: An einem Ausflugstag in Warschau gingen wir in kleinen Gruppen durch ein Kaufhaus. Ich war mit drei Jungs unterwegs. Einer von ihnen hatte 10 Złoty zur Verfügung – umgerechnet nicht mal 2,40 €. Davon kaufte er für seine Mutter einen Besen und eine Schaufel und für seine Großmutter drei Glasschüsseln. Selten habe ich jemanden so glücklich und zufrieden gesehen. Es wäre mir ein Leichtes gewesen, diesem Jungen noch mehr Wünsche zu erfüllen. Aber kein Geld der Welt hätte ihn glücklicher gemacht. Das ist es auch, was uns oft die anderen Mitarbeiter zu verstehen geben: „Ihr kommt nicht mit großen Geschenken, sondern mit eurer Zeit und der Hingabe zu den Kindern.“ Jeder von uns – die Kinder, ihre Begleiter und wir – fahren beschenkt wieder nach Hause. Wir haben Gott in dieser Zeit erlebt und dürfen das mit in den Alltag nehmen. Diese Erfahrung mit jüdischen Kindern zu teilen, macht vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte dann noch einen besonderen Aspekt aus. Gottes Zusagen an sein Volk sind nicht hinfällig; in Olesin darf ich das ein Stück weit erleben. • Jens Pöschl ist Mitarbeiter der Kirchenwochenarbeit. Er ist verheiratet mit Silke und lebt in Crottendorf, sie haben drei Kinder. 3 Das große Ja Von Früchten, opFern und Feiertagen Stefan Lehnert (Bautzen) Meine Frau und ich sind gern miteinander verheiratet. Aber wie in den besten Familien kommt es auch bei uns vor, dass wir uns mal „zoffen“. Recht haben trifft auf Recht haben, ein Wort ergibt das andere, die Luft wird dicker, die Stimmen (geringfügig) lauter. Aber schon nach kurzer Zeit gehen uns die Argumente aus und wir merken: Genug gefochten. Einer von uns tut den ersten Schritt und wir vertragen uns wieder. as geht da beim Sich-wieder-Vertragen im Einzelnen vor? Irgendwann trifft (meistens) meine Frau im Herzen einen Entschluss: ,Okay, es war nicht fair von ihm, so auf meinen Gefühlen herumzutrampeln. Aber ich verzeihe ihm.‘ Wenn sie mir das dann noch verbal oder durch eine Geste signalisiert, dann stehe ich vor der Wahl: Entweder schmolle ich weiter, weil es so schön ist und ich ja sowieso Recht habe – oder aber ich nehme das Angebot an und antworte auf dieselbe Weise. Tue ich letzteres, dann trifft gewissermaßen Verzeihen auf Verzeihen und die Welt ist wieder in Ordnung. Wir haben uns versöhnt. 4 Was ist eigentlich Versöhnung? Im Sprachgebrauch meinen wir damit das Wiederherstellen von Freundschaft, von Beziehung und Harmonie. Sie ist das Überwinden von Trennendem, im persönlichen wie auch im gesellschaftlichen Rahmen. In Ländern mit ethnischen Konflikten versuchen Wahrheits- und Versöhnungskommissionen, Recht zu sprechen und Rache einzudämmen. Versöhnung ist Werkzeug zum Frieden, zu gesunden Verhältnissen unter- einander. Letztlich ist sie Ausdruck von Wertschätzung, von Liebe: Vor dem Aussöhnen steht ein inneres Ja – ich nehme den Anderen an, wie er ist. Auch in seiner Andersartigkeit. Es ist seltsam: Auch wenn Versöhnung in der Bibel ein absolut wichtiger Gedanke ist, kommt das Wort selbst gar nicht so oft vor. Das mag daran liegen, dass es sowohl im Alten wie im Neuen Testament eine andere Bedeutung hat. Das alttestamentliche kippurim heißt „Verschirmungen“1. Es meint ein Bedeckt-, ein Abgeschirmtsein vor den Vergeltungsansprüchen, die sich zwangsläufig aus menschlicher Schuld ergeben2. Das neutestamentliche „Versöhnen“ weist sprachlich ebenfalls in eine etwas andere Richtung. Das altgriechische Wort katalasso bedeutet, wörtlich übersetzt, „Ändern durch ein Herab“, durch ein Erniedrigtwerden. Hier deutet sich schon an, dass da jemand tief hinunter muss. Es kostet Sühne. Das deutsche Wort „versöhnen“ geht denn auch auf „sühnen“, „versühnen“, „gut machen“ zurück. Heiliger Boden Wenn es in der Bibel um Versöhnung zwischen Gott und Mensch geht, ist der Schlüssel dazu das stellvertretende Opfer: Nicht der Schuldiggewordene soll büßen, sondern ein anderer für ihn. Etwa die Opfertiere im Alten Testament. Schon als Adam und Eva sich plötzlich ihrer Nacktheit schämten, mussten als eine Art Sühnopfer Tiere sterben. Mit den Fellen hatten Adam und Eva etwas, womit sie sich anziehen konnten. Danach flogen sie zwar hochkant aus dem Garten Eden. Aber sie blieben erst einmal am Leben. Nach dem Hinauswurf aus Eden setzte Gott einen Opferdienst ein. Später bekam das Volk Israel in der Thora akribische Verordnungen für die Opfer im Tempel. Zentraler Gedanke dabei ist, dass nicht die Priester Gott die Opfer darbrachten, sondern umgekehrt: Er gab sie ihnen (3.Mo.17,11). Die täglichen Opfer waren das Mittel, um die Schuld des Volkes zu überdecken. So war der Weg frei, dass Gott weiter an seinem Volk handeln konnte. Doch auch das perfekteste Opfer war wertlos, wenn es nicht zu Gehorsam führte. Das macht der Prophet Samuel deutlich: „Hat der Herr so viel Lust an Brandopfern und Schlachtopfern wie daran, dass man der Stimme des Herrn gehorcht?“ (1.Sam. 15,22). Und ein jüdischer Schriftgelehrter bringt es im Gespräch mit Jesus auf den Punkt: „Gott zu lieben … ist viel mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer“ (Mk.12,33). Ein besonderes Opfer war für Jom Kippur, den Versöhnungstag vorgesehen. Der Hohepriester betrat, in ein besonderes Gewand gekleidet, als Repräsentant seines Volkes einmal im Jahr das Allerheiligste im Tempel. Dann vollzog er die genau vorgeschriebene stellvertretende Sühnung – für sich selbst, für sein Volk und für das Heiligtum, die Bundeslade. Das Reglement war absolut streng; Gott verstand da keine Späße. Niemand außer dem Hohenpriester durfte das Allerheiligste überhaupt betreten. Er hatte ein Seil um den Körper, damit man ihn notfalls herausziehen konnte, falls er dort drin tot umfiel. Das alles macht deutlich, was für ein heiliger Boden Versöhnung ist. Bis heute ist Jom Kippur der höchste Feiertag des jüdischen Volkes. Da es keinen Tempel und kein Allerheiligstes mehr gibt, begehen Juden diesen hohen Festtag mit Buße, Fasten und Beten in den Synagogen. Besonders an diesem Tag sind sie zur Versöhnung gerufen – als Zeichen der Versöhnung mit dem Höchsten. Der Hebräerbrief weist darauf hin, dass die Opfer des Alten Bundes vorläufige „Schatten“ der Ereignisse auf Golgatha sind und dass dort am Kreuz eine endgültige Versöhnung besiegelt wurde. Gott hat seinem Sohn Jesus Christus alle unsere Übertretungen zugerechnet. Wie der Hohepriester Israels zu Jom Kippur ins Allerheiligste vor die Gegenwart Gottes trat, so trat Jesus mit seinem Blut im himmlischen Tempel vor die Gegenwart Gottes (Heb.9,12). Er, der ewige Hohepriester, wurde selbst das Opferlamm, das stellvertretend Sühne schafft für die Sünde der Welt. Der Apostel Johannes schreibt in einem seiner Briefe sogar, dass Jesus gleichsam personifiziert, was er bewirkt hat: „Er ist die Versöhnung für unsere Sünden“ (1.Joh.2,2). Stellvertretendes Sterben widerspricht natürlich unserem Gerechtigkeitsempfinden. Was bitte kann das arme Opfertier für unsere Neigung zum Bösen, die uns irgendwie in den Knochen steckt? Was kann Jesus dafür, der doch selbst ohne Sünde war? Aber das ist Gottes Vaterherz: Er will den Schuldigen nicht bestrafen, sondern mit ihm Frieden schließen. Damit bekommt der Gedanke des stellvertretenden Opfers wieder eine Logik: Mit jemandem, der gerade für seine Schuld hingerichtet worden ist, kann niemand mehr ins Reine kommen. Und ist es nicht pure Barmherzigkeit, wenn der Richter selbst aus Liebe zum Angeklagten für Ersatz sorgt? Natürlich sind stellvertretende Opfer niemals ein Freibrief zum fröhlichen Weitersündigen. Der Begnadigte ist dennoch für die Folgen seiner Sünde verantwortlich, muss sie eventuell wiedergutmachen und sich um Unterlassen bemühen. Vor dem Aussöhnen steht ein inneres Ja – ich nehme den Anderen an, wie er ist. Auch in seiner Andersartigkeit. 5 Mit Gott versöhnt zu sein, heißt auch, versöhnt zu sein mit seinen Ordnungen, mit seinen Zielen und mit seinen Wegen. Golgatha ist das Schlüssel-Geschehen in der Geschichte, von dem an die Welt nicht mehr dieselbe ist. Wir können mit Gott ins Reine kommen. Das klingt vielleicht ein bisschen harmlos, ist aber eine ständige Herausforderung. Mit Gott versöhnt zu sein heißt auch, versöhnt zu sein mit seinen Ordnungen, mit seinen Zielen und mit seinen Wegen. Man nennt das auch Heiligung, Gehorsam und Demut. Veränderte Verhältnisse Nehmen wir den Frieden mit Gott an, dann „befriedet“ das auch die Beziehungen untereinander. Versöhnt sein mit Gott führt zu Versöhnlichkeit gegenüber dem Mitmenschen. Egal, ob der so fromm ist wie wir (oder wie wir meinen, es zu sein) oder nicht. Schon die Thora, das jüdische Gesetz, hat dafür den Grund gelegt: „Du sollst deinen Bruder in deinem Herzen nicht hassen … Du sollst dich nicht rächen und den Kindern deines Volkes nichts nachtragen und sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst …“ (3.Mo.19,17f). Der Apostel Paulus sagt uns, wie das konkret aussieht: „Zieht an als Auserwählte Gottes, als Heilige und Geliebte: herzliches Erbarmen, Güte, Demut, Milde und Langmut! Ertragt einander und vergebt euch gegenseitig“ (Kol.3,12f). Offenbar brauchen wir wie damals die Kolosser auch solche konkreten Handreichungen. Vielleicht fallen wir ja nicht mehr mit Schwertern und Spießen übereinander her, wie man das in früheren, „barbarischen“ Zeiten zu tun pflegte. Wir sind da kultivierter und besorgen das mit Worten und Gesten. Aber auch aus diesen Schwertern sollen wir Pflugschare schmieden, damit unser Miteinander nicht zerstückelt und zerstört wird, sondern beackert, durchlüftet und fruchtbar. Und was das „Ertragen“ betrifft, so weist der katholische Theologe Karl Rahner darauf hin: „Wir dürfen nicht übersetzen ,zu ertragen‘; da meinen wir schon, der andere sei eine Last, die er eigentlich uns nicht zumuten dürfte; wenn wir aber das Wort richtig übersetzen: ,Traget einander, so wie Christus euch trägt‘, wie ein Fundament, wie 6 eine liebende Mutter ihr Kind, dann merken wir, wie Schweres von uns gefordert wird […] Man kann es nur in Gottes Gnade; denn so selbstlos kann ein Mensch nur sein, wenn Gott selbst sein Partner ist und Gottes Freiheit unsere geworden ist.“ 3 Versöhnlichkeit kann ich nur leben, aber niemals einfordern. Es wird Menschen geben, die sich gar nicht mit mir versöhnen wollen. Das muss ich respektieren. Vielleicht brauchen sie Zeit oder sie haben andere Gründe. Versöhnte Beziehungen sind auch kein Kuschelclub. Es kann bedeuten, dass mir jemand ein paar unangenehme Wahrheiten über mich zumutet. Dann gibt es auch unter uns Christen den Fall, dass man miteinander zuweilen einfach auf keinen richtigen Nenner kommt. Wir sind eben Menschen. Vielleicht hat man einander zu sehr verletzt. Oder die „Chemie“ stimmt nicht – manchmal ticken wir von der Mentalität her wohl zu unterschiedlich. Wenn Versöhnen so etwas wie eine Folge beiderseitigen Vergebens ist, darf man es doch nicht automatisch mit Vertrauen gleichsetzen. Letzteres braucht vor allem Zeit, damit es wieder wachsen kann. Unser Schicksal lieben Ein weites Feld zur Aussöhnung tut sich auch in uns selbst auf – etwa mit unserer eigenen Vergangenheit. Die scheint sich manchmal zu sperren und bitter ihr Recht auf Wiedergutmachung zu fordern. Gründe dafür gibt es sicher haufenweise. Was aber könnte wieder gut gemacht werden, was Jesus nicht gut gemacht hätte? Welchen Frieden gibt es jenseits von dem, den er unserer Seele geben kann? Mit den dunklen Punkten in unserer Biographie Frieden zu schließen, hat sicherlich damit zu tun, dass wir uns mit Gott aussöhnen, dass er sie zugelassen hat. Fjodor Dostojewski lässt einen seiner Romanhelden sagen: „Habe dein Schicksal lieb, denn es ist der Weg Gottes mit deiner Seele.“ 4 Für manche Menschen ist dieser Satz eine Zumutung. Vielleicht klingt es blasphemisch, aber kann es sein, dass wir Gott „vergeben“ müssen, dass er manches geschehen ließ? Natürlich wissen wir im Kopf, dass Gott kein Versehen unterläuft. Er ist schließlich Gott! Aber unser Herz sagt oft: „Dies und jenes hätte einfach nicht geschehen dürfen.“ Vielleicht ist die Hürde, für unser Schicksal dankbar zu sein, zu hoch. Manchmal brauchen wir einfach Zeit, damit etwas heilen kann. Aber wir können es lernen, Gott dafür zu danken, dass er größer ist als alle Not. Und dass er mitleidet und uns bis hierher durchgetragen hat. Wir dürfen, ja wir müssen wegkommen von einem rückwärts gewandten „Was wäre wenn“ – hin zu einem „So war es. Punkt.“ Das öffnet den Blick nach vorn. Wir dürfen Frieden schließen mit unseren Fehlern und Begrenzungen. Gott ist imstande, all unseren Mangel auszufüllen. Mit ihm können wir über Mauern springen, er will stark sein in unserer Schwachheit. Eine Hilfe kann hier sein, den Psalm 139 zu beten und Gott zu danken, „dass ich auf eine erstaunliche, ausgezeichnete Weise gemacht bin. Wunderbar sind deine Werke …“ (V. 14). Ich glaube, wir können auch Frieden schließen mit der eigenen Vergänglichkeit und mit der letzten Grenze unseres irdischen Daseins. Es ist ein Verdienst von christlicher Kultur, den Tod aus den Randzonen des Gemeinwesens ins Blickfeld geholt zu haben. Mit dem Einzug des Christentums wurden Friedhöfe oft mitten im Ort angelegt, meistens um die Kirche herum. Im Angesicht der Vergänglichkeit dürfen wir aufblicken zu Gott, der in Ewigkeit bleibt. Jesus ist wahrhaftig auferstanden. Er hat es versprochen: Wenn wir ihm folgen, dann werden wir auch auferstehen zum ewigen Leben. Was für ein Horizont, der sich da öffnet! Ich weiß von einem sehr agilen Missionar, der mit etwa 60 Jahren eine unheilbare Krankheit bekam. In den ersten Wochen nach der Diagnose haderte er sehr mit Gott und seinem Schicksal. Viele beteten um Heilung und auch er selbst streckte sich danach aus. Nichts passierte. Doch als er sich willentlich entschieden hatte, diese Krankheit anzunehmen – und das war ihm bestimmt nicht leicht gefallen –, kam ein unglaublicher Frieden in sein Herz. Einige Wochen später starb er. Aber er wusste sich bis zuletzt in Gottes Hand geborgen. Die Grenzen der Versöhnung Auch wenn Jesus unser Verhältnis zu Gott sozusagen auf Normalnull zurückgesetzt hat – vor die Zeit des Sündenfalls – so steht doch die allerletzte Versöhnung noch aus: die Wiederherstellung des Paradieses. Der neue Himmel, die neue Erde und Gottes sichtbare Gemeinschaft mit den Menschen. Christen glauben, dass das geschieht, wenn Jesus Christus wiederkommt. Bis dahin müssen wir damit leben, dass sich hier auf dieser Welt nicht alles harmonisieren lässt. Mit vielen Misstönen muss man einfach leben. Wir brauchen sogar ein gesundes Maß an Konflikten und Widerständen, um dieselben zu überwinden und daran zu reifen. Ohne Spannung gäbe es kein Leben, kein Wachstum. Und alle Versuche, durch künstliches Nivellieren von natürlichen Unterschieden eine vollkommene Welt zu schaffen, werden nur neue und vielleicht noch viel größere Probleme erzeugen. Versöhnung ist wie ein großes Ja von Gott zu uns Menschen. Nicht zu allem, was wir so anstellen. Aber zu uns als Personen, als seine geliebten Geschöpfe. Gelingt es uns, dieses Ja von Herzen mit unserem Ja zu beantworten? Gelingt es mir? Diese Punkte in meinem Text klingen ja gut und schön. Doch wenn ich sie mir vor Augen halte, merke ich, wie sehr ich selber auf dem Weg bin. Vielleicht ist Versöhnung ja auch eine dieser Lebensaufgaben. Gut zu wissen, dass der, der das gute Werk in uns angefangen hat, es auch vollenden wird. • Stefan Lehnert ist Mitarbeiter der Kirchenwochenarbeit. Er ist verheiratet mit Beate und lebt in Bautzen. Anmerkungen: (1) Das hebräische Wort kommt im Alten Testament nur in der Mehrzahl vor. (2) Die Kopfbedeckung der jüdischen Männer, die Kippa, ist ein Zeichen des Versöhntseins mit Gott. (3) aus K. Rahner, „Das große Kirchenjahr“ (Herder Ver. 1987) (4) Raskolnikow in Dostojewskis „Schuld und Sühne“ Die Bibelzitate sind der Elberfelder Übersetzung entnommen. 7 Mitte des Glaubens EINE PREDIGT ÜBER KOLOSSER 1,27 Was ist der Kern des Christseins? Meistens machen wir das an bestimmten Verhaltensweisen fest: Ein Christ tut dies und jenes. Aber es geht nicht um das, was wir tun, sondern um das, was wir sind. Der Kern liegt ja immer innen, den sieht man von außen nicht. Aber er ist entscheidend. 8 Foto: Francesca Schellhaas | photocase.com Das Erste, über das jeder Mensch Klarheit braucht, ist zunächst einmal die Frage: Wer bin ich eigentlich? Anders gefragt: Was ist meine Bestimmung? Wenn ich mit ihr in Übereinstimmung bin und zur Mitte gefunden habe, dann komme ich auch mit den äußeren Dingen ganz anders zurecht. Der Apostel Paulus sagt: Der Kern des Christseins ist ein Geheimnis. Eines, das lange verborgen war, das wir aber kennen sollten. Ein Geheimnis, aus dem wir leben dürfen. Es ist: „Christus in euch, die Hoffnung der Herrlichkeit“ (Kol.1,27). Christus – nicht weit weg, nicht graue Theorie, nicht ferne Vergangenheit oder Zukunft, sondern Christus – heute ganz nahe. Da wird es praktisch. Wenn Christus in mir ist, wird mein Ich heil und neu. Dann komme ich in meine Bestimmung. Da habe ich keine Minderwertigkeitskomplexe mehr, denn dann ist in mir ein riesengroßer Schatz. Ich kann froh „Ja“ zu mir sagen, ohne stolz zu werden und mich über andere zu stellen. Denn der Schatz ist Gottes Verdienst und nicht meiner. Wenn das Innere stimmt und in der Balance ist, dann sortiert sich auch das Äußere. Deshalb liegt so viel daran, dass der Kern da ist und dass der nicht faul, sondern gesund ist. Worauf es Jesus am meisten ankam, wofür er am Ende seines Lebens u.a. gebetet hat, war: „Vater, ich in ihnen und du in mir … damit die Liebe, mit der du mich liebst, in ihnen sei und ich in ihnen“ (Joh.17,23.26). An die Christen in Ephesus schreibt Paulus: „dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid“ (Eph.3,17). Er selbst bekannte froh: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir“ (Gal.2,20). Wenn wir dieses Geheimnis erfassen, dann sind wir auf den Kern des christlichen Glaubens gestoßen. Dort werden wir froh und gelöst. Dort stehen uns alle Kraftquellen offen, wir bekommen eine große Klarheit und einen tiefen Frieden. „Christus in euch, die Hoffnung der Herrlichkeit“, das hat einen Anfang, wirkt sich auf die Gegenwart aus und gibt uns Zukunft, ja Ewigkeit. 1. Der Anfang. Dazu heißt es im Johannesevangelium: „Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden“ (Joh.1,12). Manch einer von uns bekommt vom Arzt Tabletten verschrieben. So eine Tablette mag raffiniert zusammengesetzt und teuer sein; ich kann sie andächtig betrachten und voller Ehrfurcht den Beipackzettel lesen. Aber wirksam wird die Tablette erst, wenn ich sie schlucke. Erst wenn sie in meinen Körper hineinkommt, kann sie mir helfen. Man kann Jesus nicht wie eine Tablette schlucken, das ist klar. Aber genauso klar ist: Er wird erst dann in mir wirken und mich heil machen, wenn er in mir ist. Nicht solange er außerhalb ist und ich ihn vielleicht nur andächtig betrachte oder von ihm in der Bibel lese. Ich darf Jesus aufnehmen; darf ihm sagen: „Komm bitte in mein Herz und fülle es aus. Bring alles mit, was du mir schenken willst und wirf alles aus meinem Leben hinaus, was dich stört! Du sollst mein Herr und Erlöser sein. Ich bekenne dir als Schuld, was deiner Herrschaft und deinem Willen widerspricht und wovon du mich erlösen musst.“ Das ist ein folgenreicher Schritt und will gut überlegt sein. Denn wenn es echt ist, ändert sich dadurch ganz viel. Aber es ist die wichtigste Entscheidung, die ich treffen kann. Dann nimmt Jesus in mir Wohnung. Er tut es, nach dem Gesamtzeugnis der Bibel, durch den Heiligen Geist. Der Heilige Geist ist Christus multipliziert für jeden einzelnen Gläubigen. Dann lebt etwas von Gott in mir: Ich bin sein Kind und er ist mein Vater. Kind zu sein ist mehr als eine freundschaftliche oder sympathische Verbundenheit. Ein Kind ist Kind, weil der Vater es gezeugt und die Mutter es geboren hat – nicht, weil oder solange es sich anständig benimmt. Es hat Anlagen und Gaben der Eltern in sich und die dürfen sich in ihm entfalten. Kinder Gottes sind wir nicht, weil wir uns in einer bestimmten Weise benehmen, sondern weil Gott seinen Geist, weil er Jesus in uns hineingelegt hat. 2. Die Gegenwart. Das wird ganz konkret. Wir dürfen lernen zu leben: „Du, Christus, bist in mir und was ich nicht kann, das kannst du. Ich bin müde und kaputt – aber du nicht. Du gibst dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden! … Herr Jesus, ich komme mit diesem Menschen da nicht klar. Aber du in mir nimmst ihn an, würdest ihn vielleicht sogar umarmen und hast ein gutes Wort für ihn … Herr, ich weiß hier keine Antwort. Aber du bist in mir und du hast die Antwort … Jesus, ich bin voller Hemmungen. Aber du in mir bist frei und mutig, lebe du das jetzt in mir … Herr, wie soll ich jemals ein liebender Mensch werden? Ich bin im Leben so oft zurückgewiesen und verletzt worden. Aber du, Jesus, wurdest nicht nur zurückgewiesen und verletzt, du wurdest grausam gekreuzigt und hast deine Liebe nicht verloren. Du bringst mich in das hinein, was Gott sich von mir gedacht hat: dass ich ein Ausdruck seiner Liebe bin und darin ganz zur Ruhe und zum Frieden finde … Jesus, wie soll ich dieses Leid aushalten? Ich kann nicht mehr! Aber du hast viel mehr als ich gelitten. Du bist mir nahe in allen inneren oder äußeren Schmerzen. Mit dir zusammen will ich und kann ich diesen Weg gehen. Dein Wort sagt: Du trugst meine Krankheit und hast meine Schmerzen auf dich geladen, durch deine Wunden bin ich geheilt. Du bist der Heiland in mir und machst mich ganz heil – spätestens in der Ewigkeit“ … Ein Kind ist Kind, weil der Vater es gezeugt und die Mutter es geboren hat – nicht, weil oder solange es sich anständig benimmt. 3. Die Zukunft. Christus in uns kann nicht sterben, er lässt uns auch nicht im Tod hängen. Christus, der Auferstandene, hat ewiges Leben. Er wird die Ewigkeit bestimmen – alles, was dort geschieht. Wenn er in uns ist, wird er es auch mit uns tun. Wir dürfen in der Ewigkeit mit Christus regieren, wie es die Bibel sagt. Er bringt jetzt schon Gottes Herrlichkeit anzahlungsweise in uns hinein und diese Anzahlung bedeutet: Das Vollständige kommt noch. Die Mitte des Christseins ist nicht unser Tun, sondern Gottes Tun. Es ist das, was wir sind – weil Christus in uns ist. Wir dürfen Menschen sein, die zu ihrer wahren Identität gefunden haben, die in ihre Bestimmung hineingekommen sind. Menschen, die ein festes Fundament, eine erfüllte Gegenwart und eine unumstößliche und wirkliche Zukunft, ja, die Ewigkeit haben. Das Geheimnis: Christus in euch, die Hoffnung der Herrlichkeit. Nicht mehr ich lebe – Christus lebt in mir! • Stephan Zeibig ist ev.-luth. Pfarrer in Lengefeld, Sachsen. Quelle: das-verkuendigte-wort.de Die Bibelzitate sind der Lutherbibel entnommen. 9 Der Prediger ohne Stimme Versöhnt leben mit den eigenen Grenzen Gottwirdpersönlich Im Portrait: Menschen aus Vergangenheit und Gegenwart, deren Leben und Persönlichkeit Gottes Wesen widerspiegeln er Text dieses Liedes stammt von Philipp Friedrich Hiller, einem Pfarrer aus Württemberg. Später las ich, dass er im Alter von 52 Jahren seine Stimme verloren hat. Ein Pfarrer ohne Stimme? Wie kann der seinen Dienst versehen? Wie das Wort Gottes weitergeben, predigen? Meine Neugier war geweckt. Ich versuchte, mehr über sein Leben herauszufinden. 10 Philipp Friedrich Hiller (1699-1769) von Beate Lehnert (Bautzen) Wenn mein Mann und ich unterwegs sind, legen wir gern einen Zwischenstopp bei alten Kirchen ein – je älter, desto interessanter sind sie meistens. Manchmal gibt es dabei nicht nur etwas zu sehen, sondern auch zu hören, z.B. wenn der Kantor gerade den Choral für den Sonntagsgottesdienst probt. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir solch eine Kirchenbesichtigung vor einiger Zeit an meinem Geburtstag. Als wir die Kirchentür öffneten, empfing uns Orgelklang. Es war die Melodie des bekannten Liedes: „Mir ist Erbarmung widerfahren“. Biographisches Philipp Friedrich Hiller wurde am 06. Januar 1699 im württembergischen Mühlhausen an der Enz geboren. Er war erst zwei Jahre alt, als sein Vater, der dort Pfarrer war, starb. Fünf Jahre später heiratete seine Mutter erneut. Der Stiefvater war Bürgermeister in Vaihingen und förderte die Schulbildung des Jungen. Philipp Friedrich wird als zartes und feinfühliges Kind beschrieben. Zeitig fiel seine musikalische und dichterische Begabung auf. In der Schulzeit erlebte er des öfteren kriegerische Auseinandersetzungen in seiner Heimat, die nahe an der Grenze zu Frankreich lag. Hillers Familie musste mehrmals vor einfallenden französischen Soldaten fliehen. Dabei wäre er einmal fast in der Enz ertrunken. Mit 14 Jahren wurde er Schüler des Theologen Johann Albrecht Bengel. Dieser gab ihm wichtige Anstöße zum Bibelstudium. Bengel war zwar nur zwölf Jahre älter als er, aber er wurde sein Leben lang Philipp Friedrichs Lehrer und Seelsorger. Als Hiller 17 Jahre alt war, studierte er zuerst in Maulbronn, dann in Tübingen Theologie. Nach dem Examen arbeitete er als Vikar und Hauslehrer an verschiedenen Orten, u.a. in Nürnberg. Dort entstand 1731 seine erste bedeutende Dichtung, das „Paradiesgärtlein geistreicher Gebete“ mit insgesamt mehr als 300 Liedern. Mit 33 Jahren erhielt er seine erste Pfarrstelle in Neckargröningen bei Ludwigsburg. Dort heiratete er Regina Schickard, eine Pfarrerstochter. Ihre Ehe war sehr glücklich; Hiller sagte über seine Frau: „Eine Gehilfin recht nach meinem Herzen!“ Ihr widmete er später seine bekannteste Sammlung, das „Geistliche Liederkästlein“. Sie waren 37 Jahre verheiratet und sollen stets von einem Teller gegessen haben. Vier Jahre waren die Eheleute in Neckargröningen. Dort erlebten sie viel Freude, aber auch Schweres. So musste die junge Familie wieder vor den Franzosen fliehen. Der gerade geborene erste Sohn erholte sich nie ganz von den Folgen dieser Flucht und starb mit 19 Jahren. 1736 ging die Familie wieder nach Mühlhausen/Enz. Hiller arbeitete dort als Pfarrer, unterrichtete seine Kinder und entfaltete eine rege schriftstellerische Tätigkeit. Mit 49 Jahren wechselte er noch einmal die Pfarrstelle. Die Familie zog nach Steinheim, wo sie bis zu seinem Tod lebte. Die insgesamt 20 Jahre dort waren von viel Arbeit in Familie, Haus und Pfarramt geprägt. Regina und Philipp hatten elf Kinder, fünf Söhne und sechs Töchter, von denen zwei kurz nach der Geburt starben. inen besonderen Eindruck als Prediger hat Hiller wohl nicht hinterlassen. Zumal er nach drei Jahren im Steinheimer Pfarramt seine Stimme verlor. Die Ärzte waren ratlos. Sie fanden keine Ursache und keine Medizin. Etwa ein halbes Jahr lang war er ständig heiser, dann konnte er nur noch leise reden. Im kleinen Kreis wurde er gut verstanden, aber öffentlich predigen konnte er nicht mehr. Zunächst fiel es ihm schwer, seine Stimmlosigkeit zu akzeptieren. Gerade in seinem Beruf als Pfarrer, wo man mit Worten und mit der Stimme arbeiten muss, erlebte er dieses Handicap besonders schmerzlich. Aus einem Brief an seinen Seelsorger lässt sich erahnen, welche Gedanken, Gefühle und auch inneren Kämpfe ihn umtrieben: „Ich bin eine Zeit her in so schweren Anfechtungen, dass sie mir bisweilen übermenschlich zu sein scheinen. Ich bete, ich weine, ich schütte mein Herz aus, flehe um Wiedererlangung meiner Stimme … Von den täglich sich wiederholenden Kämpfen will ich keine weiteren Worte machen. Aber das kann ich nicht unterlassen, Dich herzlich zu bitten, dass auch Du den Herrn angehst und bittest, dass er, der größer ist als mein Herz, mich seines Willens gewiss mache, sei es durch seine Hilfe, sei es, dass er mir aus seinem Worte Weisheit gebe zum Dulden (Jak.1,5), sei es durch Deinen Rat oder Deinen Trost oder Deine Belehrung.“ lle Gebete um Wiederherstellung seiner Stimme wurden nicht erhört. Aber Hiller wandte sich nicht von Gott ab, sondern in ihm wuchs die Überzeugung: Gott will es so. Bengel, sein Seelsorger, tröstete ihn. Er gab ihm den Rat, das Evangelium statt von der Kanzel herab durch Lieder zu verkündigen und seine seelsorgerliche Tätigkeit auszuweiten. Das tat der Prediger ohne Stimme 18 Jahre lang, z.B. in sonntäglichen Erbauungsstunden und mit der Herausgabe theologischer Schriften und Liedbände. Insgesamt schrieb er 1.073 Lieder, oft mit vielen Strophen. Er nutzte seine Zeit auch zu vertieftem Bibelstudium. Viele Gemeindeglieder schätzten ihren Pfarrer und unterstützten ihn. Für den Predigtdienst stellte er einen Vikar an, was damals nicht unüblich war, wenn der Pfarrer nicht mehr allen seinen Pflichten nachkommen konnte. Ab 1758 übernahmen nacheinander zwei seiner Söhne, die ebenfalls Theologie studiert hatten, diese Aufgabe. Freilich waren nicht alle Gemeindeglieder mit dieser Lösung einverstanden. Der Ruf nach einem neuen Pfarrer wurde lauter; eine Gemeindegruppe forderte sogar Hillers Absetzung beim zuständigen Dekan. Auf dem Weg zu ihm flatterte ihnen auf der Straße ein Liedblatt entgegen, dessen Text ihnen sehr gefiel. So lautete ihr Vorschlag an den Dekan: Einen Pfarrer wie den Dichter dieser Verse wollten sie haben! Überraschenderweise stellte sich heraus, dass dieses Lied von ihrem Pfarrer Hiller stammte. Wie kann ein Pfarrer ohne Stimme predigen Dichtertheologe und seinen Philipp Friedrich Hiller wird als der größte Kirchendichter des 18. Jahrhunderts bezeichnet. Es ist die Dienst verZeit der Aufklärung, der Forschung und großer Entdeckungen in den Naturwissenschaften. Die Kirche sehen? muss sich neu positionieren … Hiller bringt das Lehrgedicht wieder zu Ehren. Inhalt seiner Lieder sind die Glaubenswahrheiten, die er selbst im inneren Leben mit Christus erfahren und wohl auch durchlitten hat. Sein Anliegen ist es, die verinnerlichte Frömmigkeit im Leben der Einzelnen zu veranschaulichen, sie sozusagen in Alltagsmünze zu bringen. Großes Vorbild ist ihm darin der Pfarrer und Liederdichter Paul Gerhardt. Philipp Friedrich Hiller versteht seine Dichtung auch als seelsorgerlichen Dienst an seiner Gemeinde. Er will sie ins Lob Gottes führen und so mitgestalten. Der Stil seiner Lieder ist einfach, evangeliumsgemäß. Es geht ihm nicht um Gefühle und Idylle, sondern um die Praxis der Liebe als Ausdruck des Zusammenhangs von Frömmigkeit und Theologie. Ebenso wie Lehre, Ermahnung, Gebet und Trost gehörte für Hiller das Lob Gottes in den Gottesdienst. Nach seinen Worten ist es der Grund, „warum die Geschöpfe da sind. Es ist das selige Geschäft der Engel im Himmel und die angenehmste Pflicht der Menschen auf Erden.“ 11 Hiller baute Das „Liederkästlein“ Hiller gab 1762 den ersten Teil seiner Sammlung „Geistliches Liederkästlein zum Lobe Gottes aus 366 kleinen Oden, über so viele Sprüche, Kindern Gottes zum Dienst aufgesetzt“ – so der vollständige Titel – heraus. Wie bei den Herrnhuter Losungen wählte er für jeden Tag einen Bibelspruch aus und gab dazu eine kurze Erklärung. Hinzu kamen seine Liedverse, die er aus den Bibelworten heraus entwickelte. An seiner Art des Andachtsbuches orientierten sich viele nachfolgende Autoren. Der größte Teil seiner Lieder entstand in der Zeit, in der der Pfarrer seine Stimme nicht mehr zum Predigen gebrauchen konnte. Im Vorwort zum „Liederkästlein“ schreibt er: „Mir ist es eine Freude, an dem Wort Gottes irgend besonders zu dienen, da ich es im Öffentlichen nun nicht mehr tun kann.“ Die darin enthaltenen Lieder sollten singbar sein. Deshalb sind sie in Strophen unterteilt und sind so, im Gegensatz zu früheren Dichtungen, übersichtlicher. Die Melodien zu seinen Texten übernahm er von früheren Kirchenliedern. Eigene Melodien hat Hiller, der selbst Harfe spielte, nicht geschrieben. Manchmal bauen im „Liederkästlein“ die täglichen Bibelverse aufeinander auf. Dabei entfaltet Hiller den Heilsplan Gottes in Christus. Das ist ihm ein wichtiges seelsorgerliches Anliegen: In seinen Liedern geht es immer wieder um Jesus, den Retter. Er ist ihm das Wichtigste: „Das Suchen (in der Schrift) ist gut, und das Finden ist gewiss. Man muss aber in diesem unvergleichlichen Buch das Zeugnis von Jesus suchen, und nicht Nebensachen. Wer Jesus nicht sucht, der bleibt in der Finsternis, und wer ihn anderwärts als da sucht, der findet ihn nirgends.“ ie Auslegung unterschiedlicher Bibeltexte inspirierte ihn immer wieder neu für seine Lieder. Sein in der Bibel verwurzelter Glaube war auch die Grundlage seiner Dichtung. Das „Liederkästlein“ baute er nach den Artikeln des Glaubensbekenntnisses auf. Er beschreibt darin Gott in seiner Allmacht und zugleich in seiner Verborgenheit und Majestät, Jesus als den Erlöser und den Heiligen Geist als Lehrer und Übermittler der Gnade. Viele seiner Lieder sind gesungene Gebete. Für Hiller waren Beten, Glauben und Lobpreis Gaben des Heiligen Geistes. Immer wieder forderte er dazu auf, Gott für alle Wohltaten zu danken. sein „Liederkästlein“ nach den Artikeln des Glaubensbekenntnisses auf. 12 Glauben und Singen Vorbild für Philipp Friedrich Hillers Lieder war die Singbewegung des Pietismus, besonders die Traditionen von Halle/S. und Herrnhut. August Hermann Francke hatte um 1700 in Halle das größte Schulund Sozialwerk des Pietismus gegründet: die Franckeschen Stiftungen. Das Leben in der Schule und im dazugehörigen Waisenhaus war von Andacht, Gebet und Gesang bestimmt. Die Praxis des Lebens sollte sich so mit der Praxis des Glaubens verbinden. In den Franckeschen Stiftungen lebte auch der Theologe Karl Heinrich von Bogatzky. Dieser gab 1718 die Liedsammlung „Das güldene Schatzkästlein der Kinder Gottes“ heraus, die gleichzeitig als Singund Andachtsbuch Verwendung fand. Sie wurde zum Vorbild für Hillers „Liederkästlein“. Gesang spielte im damaligen Gemeindeleben eine zentrale Rolle. In den in Halle/S. regelmäßig stattfindenden Singstunden – mit bis zu 2.000 Besuchern – wurden Bogatzkys Lieder eingeübt. Diese Tradition übernahm die Brüdergemeine in Herrnhut. Ihr Gründer, Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf, soll einmal gesagt haben, er versäume lieber eine Gemeinschaftsstunde als eine Singstunde! In den Singstunden reihte man Strophen aus verschiedenen Liedern unter einem Thema aneinander und die ganze Gemeinde sang sie in ihren jeweiligen Melodien auswendig (!). Zinzendorf sagte: „Das Gesangbuch ist eine Art Antwort auf die Bibel … Aus der Bibel sieht man, wie Gott mit den Menschen redet und aus dem Gesangbuch, wie die Menschen mit Gott reden.“ Zur pietistischen Frömmigkeit gehört das Streben nach persönlicher Heiligung des Einzelnen. Dazu erfolgt die tägliche Selbstprüfung vor Gott. Die Gestaltung der Erbauungs- und Andachtsbücher mit ihren Abschnitten für jeden Tag kam dem also sehr entgegen. So gab es ständig wachsenden Bedarf an solchen Büchern. Anfang des 18. Jh. erschienen mehrere Andachtsbücher: neben Bogatzkys „Schatzkästlein“ auch „Der Frommen Lotterie“ von Teerstegen und 1731 erstmals die bis heute weltweit verbreiteten „Losungen“ von Zinzendorf. In Württemberg entwickelte sich der Pietismus zu einer Erweckungsbewegung, aus der heraus – wie oft in der Kirchengeschichte – viele neue Lieder entstanden. 1732 versuchte man diese im „Tausendliederbuch“ zu bündeln. Für den praktischen Gebrauch war dieses aber zu groß und zu unübersichtlich. So wurde 1741 das erste württembergische Gesangbuch mit 393 Liedern herausgegeben. Seitdem erschien etwa alle 50 Jahre ein neues. Immer waren darin Lieder von Hiller enthalten. Heute finden wir im Evangelischen Gesangbuch leider nur noch vier von ihm: „Jesus Christus herrscht als König“ (123); „Wir warten dein, o Gottessohn“ (152); „Ich glaube, dass die Heiligen im Geist“ (253) und „Mir ist Erbarmung widerfahren“ (355). Dass das manchmal nicht leicht ist, wusste er aus eigener Erfahrung. Er selbst musste nicht nur den Verlust seiner Stimme und den damit zunächst eng begrenzten Radius seines Wirkens verarbeiten. Auch in der Familie gab es manche Nöte. Seine Frau war oft schwer krank und vier seiner Kinder starben zu seinen Lebzeiten. Trotzdem konnte er sagen: „Gottes Lob ist süß, auch unter Tränen.“ Hillers bekanntestes Lied ist wohl das Himmelfahrts- und Bekenntnislied „Jesus Christus herrscht als König“. Es hat 26 Strophen. Fünf Jahre nach dem ersten war der zweite Teil des „Liederkästleins“ fertig gestellt. Hier geht es um die Themen Tod und Ewigkeit. Der Dichter beschreibt u. a. das Wartenkönnen als Folge der wahren Bekehrung und als ein Kennzeichen derer, die Gott dienen. Auch hier ist die Sprache einfach und trostvoll. So sind viele seiner Lieder auch für uns heute verständlich. Schwaben im Kaukasus Das „Geistliche Liederkästlein“ kam in vielen Auflagen heraus – heute in der 16. – und findet als Trost-, Gebet- und Predigtbuch große Verbreitung weit über Hillers Wohnort und seine Zeit hinaus. Einige Beispiele: illers Lieder fanden in Württemberg großen Anklang. Besonders in den vielen Privatversammlungen sowie in Gemeinschaftskreisen sang man seine Lieder gern. Einige Mitglieder sollen sogar die gesamte Liedsammlung auswendig gekannt haben. In Haiterbach lehnte Pfarrer Pregizer das offizielle „Rationalistische Gesangbuch“ ab. Statt dessen benutzte er das „Liederkästlein“ und verkaufte es auch an die Besucher seiner Gesprächskreise. Man erzählte sich, wenn man einmal darin gelesen habe, könne man nicht mehr davon lassen. Anfang des 19. Jahrhunderts war das Leben in Württemberg durch schlechte Ernten und eine darauf folgende Hungersnot sowie durch hohe Steuern sehr schwer. Hinzu kam, dass viele Christen unzufrieden mit der zeitgenössischen „verkopften“ Theologie waren. Alexander Tomasow, der Gouverneur von Georgien, lockte damals Neueinwanderer in sein Land. Er versprach ihnen, dass sie zehn Jahre lang keine Abgaben zahlen müssten. Viele machten sich auf den Weg dorthin. Hillers „Liederkästlein“ war ihnen so wichtig geworden, dass es oft neben der Bibel und den nötigsten Alltagsdingen im Reisegepäck war. Es erwies sich als Tröster in ihrer neuen Heimat. Die in Georgien gegründeten deutschen Kolonien und Dörfer wurden wiederholt u.a. von Tataren überfallen und geplündert, die Bewohner gefangen genommen und weggeführt. Ein in der Gefangenschaft auftauchender „Hiller“ war ein kostbarer Schatz. Oft zerteilte man das Buch mehrmals, so dass dann Teile oder auch einzelne Blätter weitergegeben wurden. Manchmal schrieb man diese per Hand ab und gab sie wiederum weiter. Hillers Lieder wurden so zum Trost und zur Überlebenshilfe für die Gefangenen. Ähnliche Berichte gibt es auch von anderen schwäbischen Auswanderern, z. B. in Bessarabien oder Ungarn. Aber auch nach Südamerika, Australien und in andere Länder der Welt hatten Auswanderer HillerLieder im Gepäck. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrten viele Nachkommen der schwäbischen Auswanderer aus Osteuropa nach Deutschland zurück. Nicht wenige von ihnen brachten auch ihren „Hiller“ wieder mit. Der Prediger ohne Stimme predigt bis heute – mit unseren Stimmen. Predigt in Versen Das überraschende Geburtstagsständchen auf der Orgel in der alten Kirche hat mich auf eine interessante Spur gebracht. Im Leben Philipp Friedrich Hillers wird für mich einmal mehr deutlich, dass Gott jedes seiner Kinder auf ganz spezielle Art führt und begleitet, auch durch Zumutungen hindurch. Und dass manchmal gerade da, wo wir mit unseren Möglichkeiten am Ende sind, Gott einen Weg für uns öffnen kann. Hiller, der Prediger ohne Stimme, predigt bis heute – vielleicht sogar lauter, auf jeden Fall aber länger, als er es mit intakter Stimme gekonnt hätte – durch seine Lieder und mit unseren Stimmen. • Beate Lehnert ist Mitarbeiterin der Kirchenwochenarbeit. Sie ist verheiratet mit Stefan und lebt in Bautzen. Quellen: • Martin Brecht (Hrsg.) „Gott ist mein Lobgesang“, (E. Franz Ver. 1999) • Beate und Winrich Scheffbuch „Den Kummer sich vom Herzen singen“, Hänssler-Verlag 1999 • www. muehlhausen-enz.de-philipp-friedrich-hiller • www.pfarrerverband.de Zeichnung S. 10: Stefan Lehnert (nach einem alten Gemälde) 13 Leuchten im Gesicht VERSÖHnUnG In BILDERn Als Jakob sich mit Esau versöhnte, sah er dessen Gesicht, als wäre es Gottes Angesicht (1.Mo.33,10). Wenn wir Versöhnung leben, dann kommt ein Leuchten auf das Gesicht des Anderen. Und auf unseres. 14 Fotos (im Uhrzeigersinn von li. o. n. r. u.): Christian Haeringer | photocase.com markcarper | photocase.com John Dow | photocase.com pamone | photocase.com Sanjarok | photocase.com Bernd Drescher (dergestalter | photocase.com) real-enrico | photocase.com Robert Michalk (Robbiy | photocase.com) Großes Foto: riskiers | photocase.com BITTE EInSTEIGEn! … zu einer Rundreise durch unsere Rüstzeiten und die Heiß war er, der Sommer, 1. Station: HOHEnFICHTE „Ein Kind ist ein Buch, aus dem wir und sonnig. Und angefüllt lesen und in das wir schreiben sollmit vielen wunderbaren Erleb- ten“ (Peter Rosegger). Dieser Spruch, der mit einem nissen. Etwa, wenn die Kinder schönen Bild untermalt neben meiner Zimmertür hing, fiel mir bei ihrer Rüstzeit im erzgebir- sofort ins Auge, als ich zur Kinderrüstzeit in Hohenfichte gischen Hohenfichte die Ruankam. Ich war sehr gespannt derboote charterten und geauf die Woche. Aber es stellten sich mir auch einige Fragen, ruhsam über den kleinen etwa: „Bin ich nach acht Jahren Ausland noch fähig, bei einer Waldsee glitten. Wir nehmen Rüstzeit in meiner alten Heimat Sie mit auf eine kleine Reise quer durch die Stationen unseres Sommers. 16 mitzuarbeiten? Oder habe ich mich zu sehr verändert? Kann ich überhaupt noch entsprechend mit Kindern umgehen, ihnen etwas mitgeben?“ Diese und andere Befürchtungen waren bald wie weggewischt, als ich das Mitarbeiterteam kennenlernte und die ersten Kinder eintrafen. Ein ganzer Haufen von „Büchern“, durch die ich wieder ganz neu erfahren habe, was es bedeutet Kind zu sein, im Allgemeinen, aber auch zu Gott hin. Die Vertrautheit, die Begeisterung, die Ehrlichkeit, der Ideenreichtum, Sieben auf einem Bild – die anderen waren noch draußen am See Kirchenwoche die strahlenden Augen, der kindliche Glaube, der ohne „Wenn und Aber“ einfach vertraut, dass der Vater im Himmel alles tun kann und nur das Beste will. Ich konnte viel „lesen“ und lernen … Aber auch das „Schreiben“ ist sehr wichtig, da es doch ein Kind ein Stück weit für das weitere Leben prägt. Und wie wertvoll ist es, wenn ein Mensch bereits in jungen Jahren von Jesus Christus hört und ihn kennen lernen darf. Noch immer sehe ich eins der Mädchen vor mir, das sich kurz vor dem Schlafengehen seine Kinderbibel schnappte und mit strahlenden Augen verkündete: „Das ist mein Lieblingsbuch!“ Kann auch ich das von ganzem Herzen sagen? Die Woche stand unter dem Thema „Jo, wir schaffen das“. So ähnlich hatte Nehemia immer wieder seine Leute ermutigt, die Stadtmauer von Jerusalem aufzubauen – trotz aller Schwierigkeiten und nicht allein, sondern mit Gottes Hilfe. Dies zog sich wie ein roter Faden durch die Verkündigungen, die Stille Zeit, die herrlich kreativen Anspiele und Puppenspiele. Bei unterschiedlichen Workshops konnte jeder sich austoben, kreativ sein. Oder einfach das wunderschöne Gelände des Waldparks mit Boot- und Seilbahnfahren nutzen oder sich im Dammbauen üben. Durch die Geländespiele lernten die Kinder, als Team zusammenzuarbeiten, so ganz nach dem Motto Nehemias. Ich bin immer wieder begeistert, wie Gott Leute zusammenstellt, die sich nicht kennen, wo jeder seinen Platz findet, mit seinen Gaben und seiner Persönlichkeit dient. Fazit: Wer „Bücher“ liebt und etwas Spannendes „lesen“ möchte oder gern „schreibt“ – egal, ob eine Zeile, einen Abschnitt oder ein ganzes Kapitel – der melde sich zur nächsten Kinderrüstzeit an! Kristin Haney, Gentilly (F) 2. Station: HAnSTORF Wie letztes Jahr waren wir wieder im Hinterland der Ostseeküste in dem rustikalen Evangelischen Freizeitheim in Hanstorf. Für junge Erwachsene von 18 bis 35 Jahren gestalteten wir eine Mischung aus Freizeit, gemeinsamen Aktionen und geistlichen Impulsen. Bei den maritimen Themen ging es z. B. darum „Was bin ich?“ – Fühle ich mich wie ein Ruderboot, bei dem viel Krafteinsatz nötig ist? Wie ein Schlachtschiff, das in den Kampf fährt? Wie ein Segelboot, bei dem man mit vollem Körpereinsatz mal die Segel ausrichten muss und mal auf dem Sonnendeck faulenzen kann? – Auch „Ladung löschen“, „Im Dock“, „Neuer Kurs“, „Seeklar wieder auslaufen“ waren Themen, die von den Mitarbeitern sehr anschaulich auf unser Leben übertragen wurden. Bei überwiegend sonnigwarmem Wetter ging es natürlich so oft wie möglich an die Ostsee zum Baden, zu Strandspaziergängen und zum Entspannen. Auch Cafés und Stände mit Eis oder Fischbrötchen fanden bei Stadtbummeln großen Anklang. „Zu Hause“ spiel- Hanstorfer Wassermusik – für Stimmen, Gitarre und Kistentrommel 17 Eine Mischung aus und geistlichen dernd. Und fruchtbringend. Wenn es stimmt, dass eine Predigt nur etwas taugt, wenn sich jemand beschwert oder bekehrt hat (T. Lehmann), dann 3. Station: SOHLAnD, Spree waren die Predigten mehr als Keiner kann behaupten, dass es tauglich. Beschwert hat sich, oberflächlich zuging: Sieben Re- soweit wir wissen, keiner. Dafür ferenten durchpflügten an vierwurden die Seelsorge- und Segzehn Vor- und Nachmittagen nungsangebote während der den Hebräerbrief. Das alles in Woche überdurchschnittlich einer Kirche voll von ca. 300 fröh- stark in Anspruch genommen. ten wir viel zusammen, sangen, lichen Dauer- und Tagesgästen Was die Kirchenwoche Sohlasen, plauderten oder machten aller Altersgruppen. Dazu Musik land in diesem wie im letzten Spaziergänge. von den Herzen, Stimmen und Jahr besonders machte: Sie Ein Zeugnisabend entwickelte Instrumenten dreier Lobpreiswurde getragen von zwei Gesich überraschenderweise sehr bands – das in etwa ist die Mixmeinden – der ev.-luth. Kirchstark in Richtung Partnerschafts- tur, die eine Kirchenwoche ausgemeinde sowie der Jesus Gefragen. Die Gespräche nahmen macht. Meine Frau und ich meinde, einer ev. Freikirche. workshop-ähnlichen Charakter waren zwar nur an zwei VormitWer auf der Erde solche Versöhan. Immer noch ledig – also ab tagen in Sohland besuchsweise nung leben kann, der muss für ins Kloster? Oder kommt der/die dabei. Aber wir spürten es sofort, den Himmel nicht mehr üben. Richtige noch? Oder ist es auch dieses gewisse erwartungsfrohe Stefan Lehnert, okay, ledig zu sein? Knistern in der Luft. Bautzen Ernsthafte Themen wechselDie Liste der Referenten las ten mit Ferienfeeling. Bei den Es- sich wie das Gästeregister eines 4. Station: TAUSCHA sensvorbereitungen musste Ökumene-Treffens: u. a. waren „Es war zu kurz“ – so lautete die jeder mal mit anpacken, was ein evangelischer Mönch, ein sehr gut funktionierte. Herzlikatholischer Pater, ein freikirchli- einzige Kritik der Teilnehmer chen Dank an alle, die zum cher Pastor und zwei Pfarrer der unserer Sommerrüstzeit. Wir erguten Gelingen dieser Rüstzeit lutherischen Landeskirche dabei. lebten eine starke Zeit mit viel beigetragen haben! Ihre Bibelarbeiten waren persön- Gemeinschaft, Gottes Wort, verschiedenen Workshops und Karin Schwab, Bautzen lich, tiefschürfend, herausfor- 18 Kinderlieder, Kartentricks, Kaffeekochen – für alle Geschmäcker war etwas dabei. Für die praktisch Veranlagten sogar ein handfester Arbeitseinsatz, wie bei der Kirchenwoche Sohland Freizeit, gemeinsamen Aktionen Impulsen einem genialen Geländespiel. Besonders intensiv dachten wir über das Thema Vergebung nach. Wir freuen uns über Gottes Vergebung unserer Schuld, aber wir wollen auch der Aufforderung nachkommen anderen zu vergeben – und das fordert uns ganz schön heraus. Sehr dankbar sind wir für unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter und ihren Einsatz – Gott vergelte euch alles! Matthias Mühlbauer, Tauscha 5. Station: MECKLEnBURGER SEEnPLATTE Sechzehn Wagemutige machten sich Mitte August zur ersten Kanu-Rüstzeit innerhalb der Kirchenwochenarbeit auf. Acht Tage lang durften wir uns als Zweierteams in den Kanus verausgaben und die Welt vom Wasser aus entdecken. Das gemeinsame Leben und Arbeiten auf ein Ziel hin – der nächste Zeltplatz – und die Erlebnisse schweißten uns zusammen. Jeder packte mit an und brachte sich ein. Gegenseitig unterstützten wir uns, wenn schwierige Situationen zu meistern waren. Während der Zeit wollten wir Jesus anhand seiner „Ich-bin“-Worte besser kennenlernen und die Beziehung zu ihm intensivieren. Gemeinsame Sitzende Tätigkeit – im Kanu quer durch die LandAndachten und Stille Zeischaft ziehen. Und morgen gibt’s Muskelkater ten luden ein, während der langen Touren darüber nachzudenken oder sich mit An einer ganz vielfältigen Natur seinem Kanu-Partner auszutaudurften wir teilhaben: von engen, schen. Die wunderschöne überwucherten Kanälen mit SeeSchöpfung, die wir entdecken und Teichrosen und jeder Menge und genießen konnten, ließ uns Wasservögeln und Fischen Gottes überfließenden Segen sowie leckeren Beeren. Bis hin zu spüren. Wir waren mit herrliweiten Seen mit den Wellen der chem Sommerwetter beschenkt. Motorboote, neben denen wir uns ziemlich klein fühlten. Wir hatten eine überreich gesegnete Zeit und konnten durch diese Erlebnisse und die starke Gemeinschaft auch für den Alltag auftanken. Marianne Kühnert, Regensburg Zielvorgabe – In Hohenfichte wurde scharf geschossen. Und getroffen Fotos S. 16 bis 19: Kristin Haney, Rebekka Reichenbach, Anja Tröger, Karin Schwab, Matthias Mühlbauer, Jürgen Werth 19 pinn I n F O R M A T I O n E n und Seelsorgegespräche an. Wer diese in Anspruch nehmen möchte, kann Doreen über 0 35 91-48 93 30 bzw. doreen@ kiwoarbeit.de kontaktieren. Wir wünschen Dir viel Freude und Gottes Segen für Deinen Neustart in Bautzen! Am 22. Juni 2013 war in unserem Stadtviertel ein Straßenfest angesagt. Einige Händler hatten sich zusammengeschlossen; auch wir beteiligten uns daran und hatten uns ein paar Überraschungen ausgedacht. Es war ein wunderbarer Tag. Bei strahlender Sonne verwandelte sich die Goschwitzstraße in eine mediterrane Flaniermeile. Viele Familien, die übers heiße Bautzener Pflaster bummelten, blieben auch bei uns hängen. Etwa bei der Kinder-Reitstation von Carolin & Claudia, die sich von einem Reiterhof zwei Ponys geborgt hatten. Oder bei Marcel und Pierre mit ihrer BonbonKnallmaschine und dem Tisch- neue Mitarbeiterin Seit 15. August 2013 gibt es in Tauscha eine neue Mitarbeiterin: Margit Rheingans. Sie stammt aus dem Hunsrück und ist gelernte Hauswirtschaftsmeisterin. Wir kennen sie viele Jahre als ehrenamtliche Mitarbeiterin der Kirchenwoche in See, später dann als Wirtschaftsleiterin beim Aufbau und Betrieb des LukasSpitals in Laslea/Siebenbürgen. In den letzten Jahren war sie in einem gemeinnützigen Verein im Osterzgebirge tätig. Mit ihrer Tochter Christiane ist Margit in die Nähe von Tauscha gezogen und wird in der Begegnungsstätte „Ruth“ sowie im Bereich Osthilfe tätig sein. Herzlich willkommen, wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit Dir! Doreen Mihan ist wieder Teil der Schmiede. Seit Ende August arbeitet sie nach ihrem Umzug in die Nähe von Bautzen wieder in unserer dortigen Begegnungsstätte mit. Darüber hinaus bietet sie innerhalb der Seelsorgegruppe in unserem Haus Beratungs- 20 S. Lehnert J. Mühlbauer Margit und Christiane Rheingans A U S tennisball-mittels-Wasserpistole-von-einer-Flasche-herunterschieß-Spiel. Oder beim Kindermusical „Die Ölprinzen“, das die freikirchliche Josua-Gemeinde vor der Schmiede aufführte. Oder bei Connys Basteltisch oder beim abendlichen Konzert der Schmiede-Jazzband „Slow Finger“ … Insgesamt war es ein rundum gelungener Tag und wir hoffen, dass er irgendwann wiederholt wird. SL Am ersten Juli-Wochenende stellten sich die Schüler der Tauschaer Jüngerschaftsschule (JÜS) der Abschlussprüfung. Quer durch die Themen des Schulungsjahres mussten sie Fragen beantworten. Manche der Prüflinge entpuppten sich dabei als rhetorisch versierte Redner; andere brauchten etwas Unterstützung, um ihre Scheu zu verlieren. Doch alle bestanden die Theorieprüfung. Als praktische Prüfung gestalteten die Schüler einen unserer Lobpreisabende in der Begegnungsstätte „Ruth“ in Tauscha komplett selber aus. Als Thema hatten sie „Lobe den Herrn, meine Seele“ gewählt. Jeder brachte sich ein: mit einer WillkommensBastelei, einem kreativen Anspiel, einem biblischen Input, klassischer Musik für Flöten, in der Musikgruppe, den Segnungsteams sowie an der Technik. Wir hörten einen Reisebericht mit Fotos von einem Arbeitseinsatz in Vlăhiţa, „Jakkolo-Turnir“ beim Straßenfest vor der Schmiede in der Goschwitzstraße wand U n S E R E R A R B E I T Audio-Mitschnitte von der Kirchenwoche Sohland/Spree 2013 K. Schwab Thema: „Der Hebräerbrief“ Samuel Bittrich, Matthias Mühlbauer und Christina Lang – die gestrenge JÜS-Prüfungskommission Rumänien (siehe Aufwind 2/13) und von einem Schulprojekt in Kenia. Es war ein sehr vielfältiger und guter Abend. Wir sind dankbar für unsere JÜSAbsolventen und beten, dass sich ihre Beziehung zu Jesus vertieft hat. Und dass sie das Gehörte, Gelernte und Erlebte im Alltag gut anwenden können. KS • • • • • • • • • • • • Eröffnungsgottesdienst (Pfr. Johannes Friese, Sohland) Geistliches Wachstum (Jürgen Werth, Bautzen) Dienen, Teil 1 (Martin Franke, Frankfurt a. M.) Glauben (Martin Franke) Auf Gott hören, Teil 1 (Pater Lothar Herter, Vallendar) Auf Gott hören, Teil 2 (Pater Lothar Herter) Priesterschaft (Günther Rattey, Ottmaring) Es ist noch eine Ruhe vorhanden (Karsten Fischer, BZ) Dienen, Teil 2 (Martin Franke) Die Wolke der Zeugen (Günther Rattey, Ottmaring) Dienen, Teil 3 (Martin Franke) Draußen vor dem Tor der Stadt (Pastor Udo Knöfel, Neusalza-Spremberg) • Kindschaft (Jürgen Böhme, Sohland) • Fest zur Ehre Gottes – Persönliche Zeugnisse • Predigt beim Abschlußgottesdienst (Pfr. Toralf Walz, Wehrsdorf) Bestelladresse: Albert Leubner • KiWo-AV-Dienst OT Reichenhain • Dorfstr. 12 • 04932 Röderland Tel./Fax: 035341-12825 • Mail: [email protected] Anliegen zur Fürbitte • Im September startet in Tauscha eine neue Jüngerschaftsschule. Wir beten, dass auch dieser Kurs die Teilnehmer in ihrer Beziehung zu Jesus stärkt, dass sie ihre Gaben entdecken und ihren Charakter schulen sowie das Gehörte in ihren Gemeinden anwenden können. • Im Oktober und November fährt unser Mitarbeiter Matthias Mühlbauer wieder mit jungen • nach der Sommerpause hat unsere Begegnungsstätte „Schmiede“ in Bautzen wieder ihre Pforten geöffnet. Wir hoffen, dass viele Gäste kommen – sowohl im Tagesbetrieb als auch bei unseren „Tee & Thema“bzw. Lobpreisabenden. Wir • Aller Wahrscheinlichkeit nach wird es 2014 in Sohland hoffen, dass Jung und Alt sich keine Kirchenwoche geben. bei uns wohlfühlen und freuen Wir beten darum, dass die KiWo- uns auf ein gutes Miteinander Gäste, die nicht in See dabei sein und tiefe Gespräche. Bitte betet können (begrenzte Teilnehmer- mit uns dafür, dass die Schmiezahl bzw. Altersgrenze), anders- de ein Ort der Begegnung mit wo entsprechenden Ersatz findem lebendigen Gott ist. den. Leuten in die Gedenkstätte Auschwitz. Wir beten darum, dass Gott während der Besuchsfahrt zu den Herzen spricht und dass in jedem der Mitfahrer die Liebe zum Volk Israel wächst. • 21 IMPRESSUM Redaktion: Beate & Stefan Lehnert, Karin Schwab, Maria Hommel, Jürgen Werth Postvertriebsstück F 2777 Entgelt bezahlt / DP AG Druck: Gustav Winter GmbH, Herrnhut Offenes sozial-christliches Hilfswerk e.V. Ökumenische Kirchenwochenarbeit Goschwitzstraße 15 • 02625 Bautzen Tel. 03591 / 4893-0 • Fax / 4893-28 Mail: [email protected] www.kiwoarbeit.de Bankverbindung: KD-Bank BLZ: 350 601 90 • Konto-Nr. 16 12370 016 bzw. IBAN: DE31 3506 0190 1612 3700 16 BIC: GENO DE D1 DKD Bitte Verwendungszweck angeben! „Aufwind“ erscheint vierteljährlich und kann kostenlos bezogen werden (auch als PDF-Datei). Spendern und Freunden der Kirchenwochenarbeit wird er obligatorisch zugeschickt. Beigelegt ist ein Zahlschein für Spenden. Flügelfrei | photocase.com „Die Versöhnung macht etwas Geschehenes nicht ungeschehen, sondern sie befreit uns von dessen Auswirkungen.“ Hans-Joachim Heil