Körper-Kult und Kinkerlitzchen

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Körper-Kult und Kinkerlitzchen
Körper-Kult und Kinkerlitzchen
Illustration: © Aleksej Kostin - Fotolia.com
Wenn der Trend aus etwas Besonderem das Alltägliche macht
in Tattoo auf der Schulter, ein
Bauchnabelpiercing? Das ist
nichts Besonderes mehr. Sich
piercen oder tätowieren zu lassen,
ist unspektakulär geworden, der
Hype um die Kunst am Körper hat
uns mitgerissen. Woher kommt der
Wunsch im Menschen, sich selbst
zu gestalten? Geht es um eine individuelle Form der Selbstdarstellung
oder folgt die breite Masse nur noch
blind dem Trend?
E
Nervös sitzt Lena neben ihrer Freundin auf dem schwarzen Ledersofa im
Freiburger Piercingstudio „Visavajara“ in der Gartenstraße. Die Luft ist
kühl, während draußen die trockene
Augusthitze das Leben fast lahmlegt. Lena nimmt jedoch kaum wahr,
was um sie herum geschieht. Weder
die klimatisierte Luft noch die Musik, die die Atmosphäre im Studio
beruhigt, hindern Lena daran, auf ihrer Unterlippe zu kauen und ihre
schweißnassen Hände zu kneten.
6 | chilli | studis, azubis & co. | 10.2009
Noch während Lenas Augen nervös
über die Schaukästen mit ausgestelltem Piercingmaterial schweifen, erlöst Piercer Ralf Fees die junge
Frau vom nervenaufreibenden Warten und ruft sie in den Behandlungsraum.
Täglich piercen Fees und sein Kollege Roland Zwicknapp in ihrem Studio „Visavajara“ unzählige Lippen,
Augenbrauen, Brustwarzen und andere Körperteile.
Gerne hätte sich Lena ihr Brustwarzenpiercing von einer Frau stechen
lassen, ihre Bedenken räumt Ralf
Fees allerdings mit einem einzigen
Satz aus der Welt: „Lena, dein Busen
ist für mich reines Arbeitsmaterial.“
Die meisten Kunden geben sich mit
einem herkömmlichen Piercing zufrieden, aber auch ausgefallenen
Wünschen wird man im Visavajara
gerecht. „Body Modification“ nennt
man diese Art des Spiels mit dem
Körper: Im Visavajara kann man
sich die Stichkanäle sämtlicher Pier-
cings dehnen lassen, Knorpel werden herausgestanzt oder Implantate unter die Haut gesetzt.
Warm ist es im Tattoo-Studio „Silver
Skull“ in der Leo-Wohleb-Straße. In
dunklem Licht und dem süßlichen
Geruch von Räucherstäbchen streift
Gasttätowierer Adam Walker aus
Texas durchs Studio. „ Menschen tätowieren sich“, erklärt er, „um sich
von der Gesellschaft abzugrenzen.
Von einer Gruppe der Gesellschaft,
besser gesagt. Und ein Stück weit
auch, um in eine andere Gruppe
einzusteigen.“ Viele Motive haben
eine Bedeutung. Die meisten Tattoos sind mit Geschichten verbunden. Menschen lassen sich tätowieren als Erinnerung an ihre Mutter
oder ihren Hund, so Studiobesitzer
Thomas Deyhle.
Leider lässt sich im Tattoo- und Piercinggeschäft dennoch eine klare
Tendenz in Richtung Mainstream
beobachten. „Wir sehen die Entwicklung mit einem lachenden und
einem weinenden Auge“, sagt Ralf
Fees. „Schließlich ist es unser Job
und wir verdienen unser Geld damit. Auf der anderen Seite finden
wir es schade, wie der Trend aus etwas Besonderem das Alltägliche
macht.“
Stefanie Kazmaier
Fotos: © Stefanie Kazmaier
Wem Tattoos oder Piercings zu „normal“
sind, greift zu ausgefalleneren Formen der
Kunst am Körper, zum Beispiel Implantaten unter der Haut.