5. Sinfoniekonzert - Staatskapelle Dresden
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5. Sinfoniekonzert - Staatskapelle Dresden
5. Sinfoniekonzert W W W . G L A E S E R N E M A N U FA K T U R . D E 5. Sinfoniekonzert KulturE R L E B N I S Mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden, der Sächsischen Staatsoper und der Gläsernen Manufaktur von Volkswagen treffen in Dresden drei herausragende Institutionen auf höchstem Niveau zusammen. Aus gegenseitiger Wertschätzung ist enge Freundschaft und eine zukunftsweisende Kooperation geworden. Freuen Sie sich mit uns auf ein breit gefächertes Angebot in der Spielzeit 2009 | 2010. Für das heutige Sinfoniekonzert wünschen wir Ihnen viel Freude und angenehme Unterhaltung. Generalmusikdirektor Fabio Luisi Ehrendirigent Sir Colin Davis 1 5. Sinfoniekonzert S o n n tag D i en s tag 29.11.09 1 1 U h r · M o n tag 30.11.09 1.12.09 2 0 U h r · S e m p ero p er Programm 20 Uhr D i r i g e n t u n d K l av i e r Christoph Eschenbach Viola (29. und 30. November) David Aaron Carpenter 29. und 30. November 1. Dezember Alfred Schnittke Wolfgang Amadeus Mozart (1934-1998) Konzert für Viola und Orchester 1. Largo Konzert für Klavier und Orchester 3. Largo 1. Allegro 2. Allegro molto Zum 75. Geburtstag des Komponisten Expressives Meisterwerk Als Musik «an der Todesschwelle» hat Alfred Schnittke sein Bratschenkonzert bezeichnet, das er 1985 wenige Tage vor einem schweren Schlaganfall komponierte. Mittlerweile hat sich das Konzert in seiner unmittelbar ansprechenden Expressivität einen festen Platz im Bratschenrepertoire erobert. Christoph Eschenbach, der eng mit Schnittke zusammenarbeitete, kombiniert das Werk mit Anton Bruckners «romantischer» Vierter und ist in einem zweiten Pro- gramm mit Mozarts lichtem A-Dur-Konzert KV 414 auch als inzwischen selte- (1756-1791) A-Dur KV 414 2. Andante 3. Rondeau: Allegretto pause pause Anton Bruckner Anton Bruckner (1824-1896) (1824-1896) Sinfonie Nr. 4 Es-Dur «Romantische» Sinfonie Nr. 4 Es-Dur «Romantische» 1. Bewegt, nicht zu schnell 1. Bewegt, nicht zu schnell Originalfassung, Edition: Robert Haas 2. Andante quasi Allegretto 3. Scherzo: Bewegt – Trio: Nicht zu schnell. Keinesfalls schleppend 4. Finale: Bewegt, doch nicht zu schnell Originalfassung, Edition: Robert Haas 2. Andante quasi Allegretto 3. Scherzo: Bewegt – Trio: Nicht zu schnell. Keinesfalls schleppend 4. Finale: Bewegt, doch nicht zu schnell ner Klaviersolist mit der Staatskapelle zu erleben. Kostenlose Einführungen jeweils 45 Minuten vor Beginn im Kellerrestaurant Das Konzert wird von MDR Figaro aufgezeichnet. Sendetermin: 21. Dezember 2009, 20.05 Uhr 2 3 Christoph Eschenbach D i r i g e n t u n d K l av i e r Christoph Eschenbach ist eine der großen Musikerpersönlichkeiten unserer Zeit und leitet derzeit in seiner zehnten und letzten Spielzeit als Directeur musical das Orchestre de Paris. Im Herbst 2010 übernimmt er in Washington D.C. die Leitung des National Symphony Orchestra sowie die neu geschaffene Stelle des Musikdirektors des John F. Kennedy Center for the Performing Arts. Von 1999 bis 2001 war er Intendant und Künstlerischer Leiter des Schleswig-Holstein Musik Festivals, deren Orchesterakademie er noch immer als Principal Conduc- tor verbunden ist. In der Saison 2009/10 dirigiert Christoph Eschenbach u.a. die Wiener Philharmoniker im Rahmen der Salzburger Mozartwoche, das London Philharmonic Orchestra auf einer China-Tournee und das Philadelphia Orches tra, dem er von 2003 bis 2008 als Music Director vorstand. Außerdem gastiert er bei New York Philharmonic, San Francisco Symphony, den Münchner Philhar- monikern und dem NDR Sinfonieorchester, das er von 1998 bis 2004 als Chefdirigent leitete. Mit dem Schleswig-Holstein Festival Orchester konzertiert er in Ungarn, Tschechien und den USA. Außerdem leitet er seine ersten Konzerte am Pult des National Symphony Orchestra seit seiner Ernennung zum zukünftigen Music Director. Als ein international führender Pianist setzt er seine Zusammenarbeit mit dem Bariton Matthias Goerne fort, mit dem er die Schubert- Liederzyklen für Harmonia Mundi einspielt. Mit dem Orchestre de Paris und dem Philadelphia Orchestra entstanden in den vergangenen Jahren zahlreiche Aufnahmen für das finnische Label Ondine. Eschenbach wurde früh von George Szell und Herbert von Karajan gefördert und hatte Chefpositionen u.a. beim Tonhalle-Orchester Zürich (1982-1986) und beim Houston Symphony Orchestra (1988-1999) inne. Zu seinen jüngsten Auszeichnungen gehören das Große Verdienstkreuz mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland und die Aufnahme in die französische Ehrenlegion. 1993 wurde er mit dem Leonard Bernstein Award des Pacific Music Festival ausgezeichnet, das er von 1992 bis 1998 künstlerisch leitete. Bei der Sächsischen Staatskapelle ist Chris- toph Eschenbach seit 1992 ein regelmäßiger und überaus gern gesehener Gast. 4 5 Alfred Schnittke * 24. November 1934 in Engels (Wolgadeutsche Autonome Sowjetrepublik, heute Russland) Musik an der Todesschwelle Zu Alfred Schnittkes Bratschenkonzert † 3. August 1998 in Hamburg Das Alte neu erscheinen zu lassen ist ein Grundkonzept in der Musik von Alfred Schnittke. Fast seine ganze Musik scheint so geschrieben zu sein, als ob sich dahinter andere Musikstile verbergen. Hört man seine Musik, weiß man nie, an was sie uns als nächstes erinnert: orthodoxe Kirchenmusik, Kabarettlieder, oder die realistischen Märsche des Sozialismus, die Musik von Bach, Glinka oder Schönberg. Das Bratschenkonzert ist ein wundervolles Beispiel für Schnittkes polystilis tische Kompositionsweise und seine starke Suggestionskraft. Die Eröffnungs- takte scheinen sich über große Entfernungen von Raum und Zeit zu bewegen. Wenn die Solobratsche zum ersten Mal über den tief klingenden Streichern einsetzt (die Partitur enthält keine Geigen), umschreiben die Noten den Na- Konzert für Viola und Orchester men von Baschmet: B-A-(E)s-C-H-[M]-E-[T]. Die Streicher treten dann zurück und lassen den Solisten in einer Leere allein, in der er ängstlich danach sucht, sich an etwas festzuhalten. 1. Largo 2. Allegro molto 3. Largo Etwas von diesem Halt findet er in 4. Juni 1987 die DDR-Erstaufführung lichen Charakters. Es ist eine Idee, die Dresdner Kulturpalast. Solist war der einer neuen Idee ganz unterschied- an die späten Werke von Mahler oder e n t s ta n d e n Besetzung zwischen 1977 und 1985 Viola solo; 3 Flöten (2. auch Piccolo, ur aufgeführt Englischhorn), 3 Klarinetten (2. auch am 9. Januar 1986 im Amsterdamer Concertgebouw (Yuri Baschmet, Viola; Concertgebouw-Orchester, Dirigent: Lukas Vis) gewidmet dem Bratscher Yuri Baschmet 3. auch Altflöte), 3 Oboen (3. auch Bassklarinette, 3. auch Es-Klarinette), 3 Fagotte (3. auch Kontrafagott), 4 Hörner, 4 Trompeten, 4 Posaunen, Tuba, Pauken, Schlagzeug (6 Spieler), Harfe, Celesta, Cembalo, Klavier, Streicher (ohne Violinen) Dauer Verl ag Musikverlage Hans Sikorski, Hamburg 6 ca. 35 Minuten Die Staatskapelle Dresden spielte am sogar Schostakowitsch erinnert. von Schnittkes Bratschenkonzert im Widmungsträger Yuri Baschmet, es Diese Idee löst sich wiederum in eine dirigierte Gennadi Roschdestwenski. dem Altertum auf. An dieser Stelle der meistgespielten Bratschenkonzerte Anspielung auf religiöse Gesänge aus steigt das Orchester plötzlich in einem furchterregenden Akkord an (dessen Noten wiederum von Basch- Inzwischen hat sich das Werk als eines bzw. zeitgenössischen Werke überhaupt im Konzertrepertoire etabliert. mets Namen abgeleitet sind). Dieser Akkord beschwört intensiv den grauenerregenden Expressionismus von Schönbergs «Erwartung» und Bergs «Lulu» herauf. Am Ende stellt sich eine einfache klassische Kadenz ein, eine süße Erinnerung an eine Welt der verlorenen Unschuld. Es ist eine Anerkennung für die starke Technik sowie die fast mysteriöse Einbildungskraft Schnittkes, dass er imstande war, uns entgegen gesetzt aller Regeln und Logik zu überzeugen, dass musikalische Ideen und Bilder solch 7 unterschiedlicher Art sinnvoll in einem Werk zusammengefügt werden kön- nen. Man empfindet nicht (wie T. S. Eliot sagt), dass diese Fragmente nur dazu dienen «um mich gegen meinen Untergang abzustützen», sondern wir sehen ein, dass sie alle eine Rolle in einer tieferen Bedeutung spielen. Dieser Komponist hat sich zum Ziel gesetzt, uns mit der Bedeutung musikalischer Ideen zu beeindrucken, die wir sonst als «unbeachtete Kleinigkeiten» verkannt hatten, wie Krümel von des Herren Tisch. Als Ganzes gesehen, hat das Werk die Form eines Bogens. Das Eröffnungs- Largo skizziert das Material, aus dem der Rest des Stückes besteht und führt zu einer Art von Toccata oder «moto perpetuo», in dem ein Puls ein wildes Gefühl von unbestimmter Richtung heraufbeschwört, das so ganz anders ist als das vorangehende scheinbare Ödland. Das Werk endet wieder mit einem Largo, das aber diesmal ausgedehnt und so stark weiter entwickelt ist, dass es alle gegensätzlichen Erfahrungen der beiden vorangehenden Sätze in sich vereint. G e r a r d M c B u r n e y ( Übersetzung : Gigi St ybr) Im Jahre 1977 lernte ich bei der Schallplattenaufnahme meines Klavierquintetts mit Gidon Kremer auch den genialen Yuri Baschmet kennen. Er bat mich um ein Bratschenkonzert, womit ich auch sofort einverstanden war, ohne zu ahnen, dass ich es erst 1985 beenden würde. In gewisser Hinsicht hat es einen – vorläufig – abschließenden Charakter, denn zehn Tage nach Beendigung der Arbeit brachte mich ein Schlaganfall in eine fast ausweglose Situation, und ich konnte erst langsam in einen zweiten Lebenskreis eintreten, den ich jetzt durchschreite. Wie in einer Vorahnung des Kommenden entstand eine Musik mit has tigem Durchs-Leben-Jagen (im 2. Satz) und langsamer und trauriger Lebensüberschau an der Todesschwelle (im 3. Satz). Abgesehen vom Tonumfang hatte ich an keinerlei technische Begrenzungen des Soloparts zu denken, denn Yuri Baschmet spielte alles. Alles schien möglich zu sein. Ich widmete ihm das Stück, über dessen Weiter leben ich mich freue, auch in Händen anderer. A l f r e d S c h n i t t k e Alfred Schnittke (1988) 8 9 Begegnungen mit Alfred Schnittke Eine Würdigung zum 75. Geburtstag des Komponisten Ein russischer Komponist mit deutschem Namen – ich war gespannt, wer mir da gegenübertreten würde. Er empfängt mich als Deutsche wie einen alten Freund im engen Arbeitszimmer seines Moskauer Beton-Domizils. Sein Erscheinen ist geprägt von der strengen Zurücknahme der eigenen Person. Seine geschliffene deutsche Hochsprache verweist sofort auf den geistigen Komfort, der ihm zu Gebote steht. Ich blicke in ein Angesicht wie von Chagall erfunden, Züge, auf denen der arbeitende Intellekt ein sublimes Mienenspiel durchlässt. Im Fixierbad intensiver Betrachtung gewinnt sein Persönlichkeitsbild sofort Kontur: ein kontemplativer Charakter, der nur zögerlich seine Bedeutung begreift – Alfred Schnittke. Aus der ethnischen Mitgift seiner Eltern – der Vater ein russisch-jüdischer Journalist und Übersetzer, die Mutter eine katholische deutsche Lehrerin und Zeitungsmitarbeiterin – entsteht für den 1934 in Engels, der Hauptstadt der Wolgadeutschen Autonomen Sowjetrepublik geborenen Sohn als Halbrusse, Halbjude, Halbdeutscher eine permanent fährnisreiche Lebenssituation. Unter den zeitgenössischen Komponisten einer der Großen und Meistaufgeführten, definiert er seine künstlerische Identität unmissverständlich: «Der Tradition nach gehöre ich zur russischen Kultur.» Hinter diesem simplen Satz steht die steinige Strecke einer Jahrzehnte lan- Schnittke um 1990 gen massiven menschlichen Kraftprobe. Inmitten des fährnisreichen Span- nungsfeldes seiner Herkunft standen die Ampeln auf Rot, wenn man sich, wie Schnittke, zu keiner Zeit den sinistren Prämissen der Parteigewaltigen unter- aus seinen Filmmusiken zu einem «Concerto grosso» verarbeitet, holt er sich uraufführen will, erhält der berühmte Geiger das Telegramm: «Schnittke brau- gehört sofort zu den Großen der Moderne. warf. Selbst später noch, als Gidon Kremer Schnittkes viertes Violinkonzert chen wir nicht. Spielen Sie Beethoven.» «Filmmusiken fürs tägliche Brot waren damals mein Rettungsring», bekennt Schnittke, «denn alles, was ich nicht für den Film schrieb, wurde abgelehnt.» Unter den mehr als sechzig Filmen, in denen er in fünfundzwanzig Jahren mitarbeitete, waren glücklicherweise zahlreiche, die Weltgeltung erlangten, wie etwa Elem Klimows «Agonie» oder Sergej Kolossows «Wir lenken das Feuer auf uns». «Das zwang mich zu strenger Arbeitsdisziplin, ließ mir aber auch den Spielraum zum Experimentieren. Ich konnte meine eigene Sprache finden, mich erproben und ‹Dampf ablassen› …» Als er nicht verwendete Fassungen 10 1977 mit dieser Partitur den Ritterschlag der internationalen Musikkritik und Das Tiefkühlklima jener frühen Schaffensjahre hinterließ tiefe menschliche Blessuren, die mit drei Herzinfarkten schon an die Schwelle des Todes führten. Mit ungeheurer Energie hat er dem Leben immer wieder schöpferische, zutiefst glückliche Jahre abgetrotzt. Sein Lebensgefühl kehrte sich seither ganz nach innen und nahm eine noch tiefere Gläubigkeit an. Seine Musik ist nicht ertüftelt. Sie ist erlitten. Die meisten seiner Partituren entstanden im Auftrag berühmter Orchester oder wurden für genau bestimmte Solisten geschrieben. «Das spielt in meinem Leben eine große Rolle», bekennt Schnittke. «Denn daraus erwuchs für die Anlage meiner Arbeiten von vornherein eine emotionale Grundsituation.» 11 Seine Lehrer Rischkin und Schaternikow, zu deren Klavierklasse er gehört, bringen ihn schließlich in der Komponistenklasse des Moskauer Konservatori- ums unter. Schnittke war aufs Gleis gesetzt. Doch die Weiterfahrt war mit seiner Herkunft hoffnungslos blockiert. In den Jahren der Zurücksetzung begibt er sich in die Welt der Musikge- schichte, um daraus mit beispielloser Freiheit durch Stiladaptionen, Stilkombinationen und Stilverarbeitungen als Meister der Polystilistik hervorzugehen und aus seinem Bildungskosmos eine autonome Tonsprache zu entwickeln. Er dreht und wendet klassische Zitate von Beethoven bis Tschaikowsky, Motive von Orlando di Lasso bis zu Tanz- und Jahrmarktsmusik. Und erreicht durch den Aufprall widersprüchlicher Zitate Passagen von schockierender Wirkung. «Vorgriff durch Rückgriff» definiert Schnittke seine Methode, «ein Prinzip, das schon Händel gern angewandt hat, in straffer Folgerichtigkeit ästhetischer Umfunktionierung von Tradition.» Seine Freude am Raffinement alter stilis tischer Formen ist für Schnittke ständige Inspiration. Und plötzlich war er, der sich nie Beifall heischend anbiederte, der Moderne. In seiner ersten Sinfonie aus dem Jahre 1972 fügt er heterogenes Material zusammen. Unter der Oberfläche, dem «Chaos» des prallen Werkes, entdeckt man bei genauem Hinhören die streng kalkulierte Tonsprache, die ständig in Aufruhr versetzt. «Heute staune ich über jene Verquickung von Leichtsinn und höchstem Ernst, Schnittke mit Yuri Baschmet (rechts) und Gennadi Roschdestwenski (Mitte) nach der Moskauer Erstaufführung des Bratschenkonzerts im Mai 1987 Und die erste Berührung mit der Musik? «Sie kam für mich als Zwölfjähriger über die Tasten einer alten Quetschkommode, die mein Vater im Nachkriegs- ‹Endstation Sehnsucht› choreographierte, I.K.]. Sie beginnt damit, dass die Musiker einer nach dem anderen aus den Kulissen treten und – im Gehen spielend – auf die Bühne eilen. Die Musik gipfelt in ein unbeschreibliches Chaos …» Schnittkes fünfte Sinfonie, ein Auftragswerk des Concertgebouw-Orche- Wien geschenkt bekam, wo er damals als Journalist und Dolmetscher an der sters Amsterdam, ist beispielsweise der Versuch einer Umsetzung von Lessings Zeitung› arbeitete.» Er stammte aus Frankfurt am Main und hatte die katho- sangsintonationen, gregorianischer und lutherischer Choräle aufgreift. Oder von der sowjetischen Militärverwaltung herausgegebenen ‹Österreichischen lische Lehrerin Maria Vogler geheiratet. Der Filius erhält Klavierunterricht, lernt das große Wiener Musikleben kennen und macht sich draufgängerisch ans Verfertigen eines «Konzertes für Akkordeon und Orchester» nebst einigen Klavierstückchen; wovon er heute mit Schmunzeln spricht. Wer mochte ahnen, dass dies das Präludium war für ein exemplarisches Komponistenleben … Später, in Moskau, stellt er sich in der Musikschule «Oktoberrevolution» vor. «Ich stoppelte der Aufnahmekommission etwas vor, mehr schlecht als recht, «Ringparabel», worin Schnittke Elemente synagogaler und altrussischer Ge- das 1975 entstandene «Requiem», das dem Andenken seiner Mutter gewidmet und als Bühnenmusik zu Schillers «Don Carlos» geschrieben ist. Dabei fällt auf, dass es in Schnittkes Schaffen kaum je Finalsätze gibt, die in apotheotischem Fortissimo-Schwung enden. Die Schlusssätze verhauchen meist lento pianissimo oder münden in gänzliche Lautlosigkeit. «Die Zeit der Pracht liebenden Schlusstakte», so Schnittke, «die Ausdruck einer sicheren, wenn auch nicht real bekannten Zukunft waren, ist vorbei. In unserer Welt der beschädigten Bezie- bemerkte meine völlige Unkenntnis der Musiktheorie, besaß nicht einmal ein hungen gibt es keine festen Formeln mehr, keine einheitlichen Antworten auf Dirigenten- und Chorgruppe, wo meine Mängel am wenigsten auffielen.» Einfluss zu nehmen. Da wären auftrumpfende Finalklänge eine Lüge.» absolutes Gehör, nur ein sehr gutes relatives – und so steckte man mich in die 12 wozu ich in dieser Sinfonie noch fähig war [und die John Neumeier im Ballett alles. Heute wird von jedem von uns erwartet, auf den Ausgang der Ereignisse 13 In Schnittkes Gesamtwerk kann man ablesen, wie Moden und wohlfeilem Markt zu widerstehen ist. Man hört auch seine Vorliebe für Streichinstrumente heraus, «obwohl ich selbst nie ein Streichinstrument auch nur in Händen gehalten habe», gesteht er fast entschuldigend. «Das eigene Spielen hilft nicht unbedingt.» Sein Werkkatalog – nicht mitgerechnet die frühen Arbeiten und Filmmu- siken – umfasst weit über hundert Titel aller Genres, meist aber die der großen Form, Violinkonzerte, Concerti grossi, Sinfonien, Klaviersonaten und Cellokon- zerte. Für die Opernbühne schrieb er drei Opern, darunter die «Historia von Dr. Johann Fausten» (für die er, basierend auf dem «Urfaust», auch das Libretto verfasste). Das Werk wurde 1995 in Hamburg uraufgeführt. Seine Oper «Das Leben mit einem Idioten», nach einer Novelle von Viktor Jerofejew, kam bereits 1992 unter Mstislaw Rostropowitsch in Amsterdam heraus und wurde auch zu den Dresdner Musikfestspielen vorgestellt. Als ich Jahre später Schnittke in Westberlin wieder finde, empfängt er mich in einer großzügigen Wohnung des weiträumigen Künstlerhauses. Gezeichnet von mehreren Herzinfarkten und körperlichen Lähmungen, ist er für ein um- sorgtes Arbeitsjahr Gast der Kulturverwaltung des Berliner Senats. Seine physische Behinderung überspielt er mit geistigem Temperament und heiteren Pointen. Beim Mittagsmahl in lockerer Stimmung erzählt er von den kleinen Spitzbübereien seiner Kinderjahre. Immer an seiner Seite seine Frau Irina, die Pianistin und Gefährtin von Jugend an. Ihr widmete er bedeutende Partituren, die von ihr uraufgeführt wurden. Sie war einst seine Schülerin in Musiktheorie und wurde zu einer modernen Clara Schumann. Der Beginn des Bratschenkonzertes in Schnittkes Handschrift Das Berliner Jahr führt zu einem neuen Schaffensschub. Im überfüllten Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie stellt er sich dem Publikum. Ein- sam auf dem Podium sitzend, ohne Moderator, ohne Musik, entfacht der heiter aufgelegte Schnittke mit seinem unabgenutzten, präzisen Deutsch eine geist- reiche Gesprächsrunde über musikalische (und biografische) Schaffensprozesse Ingeburg Kretzschmar vor dem Hintergrund des durchlebten Zeitgeschehens. Geboren in Leipzig. Ausbildung als Pianistin am damaligen Konserva- Hamburg beheimatet. Leipzig, München, Wien. Danach Volkswirtschaftsstudium an der TU In seinem letzten Lebensabschnitt hatte sich der schwerkranke Mann in Bei unserer letzten Begegnung verabschiedet er mich mit den tröstenden Worten: «Gewagtes hat in der Kunst Gelingens-Chancen. Das Sichere ist immer trügerisch und aussichtslos …» Er wäre am 24. November 2009 fünfundsiebzig geworden. torium Dresden. Studium der Musik-, Literatur- und Kunstgeschichte in Dresden. Langjährige Arbeitsbeziehungen zu Dmitri Schostakowitsch, Aram Chatschaturjan und Alfred Schnittke. Verleger, Editor. Musikkritikerin der Berliner Zeitung. I n g e bu r g K r e t z s c h m a r 14 15 David Aaron Carpenter Viola David Aaron Carpenter zählt zu den weltweit viel versprechendsten Bratschisten und wurde 1986 in New York geboren. Mit sechs Jahren begann seine Aus- bildung auf der Geige, mit elf auf der Bratsche. Beide Instrumente praktizierte er als Jungstudent an der Juilliard School und an der Manhattan School of Music. Darüber hinaus studierte er bei Yuri Baschmet, Roberto Díaz, Nobuko Imai, Robert Mann und Pinchas Zukerman. 2005 gewann David Aaron Carpenter den Ersten Preis der Greenfield Young Artists Competition, 2006 den Ersten Preis der Walter E. Naumburg Viola Competition. Sein Auftritt im Kennedy Center von Washington brachte ihm die Presidential Gold Medal ein, kurz nachdem ihm die National Foundation for the Advancement of the Arts (NFAA) ihren ersten Gold Award verliehen hatte. Im Juni 2007 wurde er der erste amerikanische und zudem jüngste Protégé der Rolex Mentor and Protégé Arts Initiative. Carpenter ist darüber hinaus Bachelor der Princeton University im Fach Politi- sche Wissenschaft. Seit seinem Konzertdebüt mit dem Philadelphia Orchestra unter Christoph Eschenbach im Jahr 2005 tritt David Aaron Carpenter mit führenden Orchestern und Musikern in den USA und in Europa auf. 2008 sprang er in letzter Minute für Maxim Vengerov in Benjamin Yusupovs Viola-Tango- Rock-Konzert mit dem Sinfonieorchester Luzern ein. In den USA ist Carpenter in vielen großen Sälen aufgetreten, darunter die New Yorker Carnegie Hall. Als Kammermusiker spielte er mit Künstlern wie Emanuel Ax, Sarah Chang und Leonidas Kavakos. Hinzu kommen regelmäßige Auftritte beim Verbier Festival in der Schweiz. 2009 erschien seine Debüt-CD mit dem Violakonzert von Alfred Schnittke und einer Bearbeitung des Cellokonzertes von Edward Elgar für Bratsche bei Ondine. David Aaron Carpenter spielt eine Camillo Camilli 1739 als Leihgabe von Roberto Díaz. 16 17 Wolfgang Amadeus Mozart * 27. Januar 1756 in Salzburg † 5. Dezember 1791 in Wien Ein Mittelding zwischen zu schwer, und zu leicht Zu Mozarts Klavierkonzert KV 414 Mit Mozarts lang ersehntem Umzug nach Wien im Jahr 1781 tauschte er auch die feste Anstellung am Salzburger Hof gegen ein Leben als freischaffender Künstler. Für seine Einnahmen war er nun selbst verantwortlich – kein Wunder also, dass er nach Möglichkeiten suchte, das Wiener Publikum schnellstmöglich für sich zu gewinnen. Damit rückte eine Gattung ins Zentrum seines Schaffens, mit der er sich als Komponist und virtuoser Interpret glanzvoll präsentieren konnte: das Klavierkonzert. Zwischen 1782 und 1786 komponierte er nicht weniger als 15 Klavierkonzerte, mit denen er die Wiener in sogenannten «Academien» vom Klavier aus begeisterte. Diese Veranstaltungen, die in der Regel im Wiener Augarten oder im Hoftheater stattfanden, wurden in Mozarts ersten Wiener Jahren zu seiner wichtigsten finanziellen Einnahmequelle. Anders als in anderen Gattungen konnte sich Mozart bei der Komposition der Konzerte nur an wenige Vorbilder anlehnen: Das «Clavier-Concert» war damals noch relativ jung, die Zahl der Vorgängerwerke (darunter die Cembalokonzerte Bachs, Werke der Bach-Söhne und von Georg Christoph Wagenseil) Klavierkonzert A-Dur KV 414 überschaubar. Mozart entwickelte nach und nach seine ganz eigene Konzert- form, erweiterte etwa im fantasievollen Experimentieren die spieltechnischen Möglichkeiten, hob das Verhältnis zwischen Soloinstrument und Orchester auf eine neue Stufe und erreichte letztlich eine, auch emotionale, Vielfalt, die bis 1. Allegro 2. Andante 3. Rondeau: Allegretto dahin nicht denkbar gewesen war. Wenn er also auch nicht als «Erfinder» der Gattung gelten kann, so ist er doch – wie Joseph Haydn im Bereich des Streich- quartetts – ihr eigentlicher «Vater» und Urheber. Mit seinen 23 eigenständigen Klavierkonzerten (einige frühe Bearbeitungen nicht mitgerechnet) legte er den e n t s ta n d e n Besetzung im Herbst 1782 in Wien Klavier solo; 2 Oboen, Fagott, Werke der dreisätzigen Konzertform, sie verbinden solistisches Spiel mit sinfo- Verl ag zwischen Solist und Orchester, die Mozart als gleichberechtigte «Individuen» in einer Akademie der Mozart-Schüle- Bärenreiter-Verlag, Kassel (Solist und Leitung: Wolfgang Ama- Dauer rin Josepha Auernhammer in Wien deus Mozart) 18 Was genau zeichnet Mozarts Klavierkonzerte aus? Äußerlich folgen alle 2 Hörner, Streicher ur aufgeführt möglicherweise am 3. November 1782 Grundstein für die spätere Bedeutung der Gattung im 19. Jahrhundert. ca. 25 Minuten nischen Strukturen. Besonders und außergewöhnlich aber ist die Beziehung behandelt, deren Verhältnis er im spielerischen Miteinander vielfältig auslotet. Häufig erinnert die Konstellation an eine Opernszene: Die «Gefühlsregungen» des Solisten werden vom Orchester beantwortet, kommentiert, ergänzt. Wichtiger Dialogpartner sind dabei immer wieder die selbständig agierenden Holzbläser. Vermutlich war es dieser «dramatische» Aspekt der Konzerte, der den 19 Mozart-Biografen Alfred Einstein veranlasste, in den Werken Mozarts künstle- risches «Ideal» am deutlichsten verwirklicht zu sehen; er pries Mozarts Klavier- konzerte als «Krönung und Gipfel seines instrumentalen Schaffens überhaupt». In seinen frühen Wiener Konzerten kam Mozart aus den genannten Grün- den dem Wiener «Gusto» besonders entgegen. Die Kompositionen sind in der Art galanter Unterhaltungsmusik gehalten, Mozart beschrieb sie seinem Vater Leopold in einem Brief vom 28. Dezember 1782: «… die Concerten sind eben das Mittelding zwischen zu schwer, und zu leicht – sind sehr Brillant – angenehm in die ohren – Natürlich, ohne in das leere zu fallen – hie und da – können auch kenner allein satisfaction erhalten – doch so – daß die nicht kenner damit zufrieden seyn müssen, ohne zu wissen warum.» Ab 1785 aber, als seine Popularität allmählich nachzulassen begann, nahmen Mozarts Konzerte einen persönlicheren, kompromissloseren Tonfall an. Seine späten Einzelwerke der Gattung haben nur noch wenig mit der «Galanterie» der früheren Werke zu tun. Mozart eröffnete die Reihe seiner Wiener Klavierkonzerte mit einer Trias von drei Werken (KV 413-415), die schon bald auch – ein Zeichen für den großen Erfolg – im Druck erschienen. Das chronologisch erste dieser Konzerte ist das Konzert in A-Dur KV 414, entstanden im Herbst 1782 noch vor (!) dem Konzert in F-Dur KV 413. Alle drei weisen eine Besonderheit in der Instrumentation auf: Sie können sowohl «mit ganzem Orchester … wie auch à quatro produciret werden» – je nach Bedarf können also die Bläserstimmen weggelassen werden, die Werke auch in solistischer, quasi kammermusikalischer Besetzung als Klavierquintett aufgeführt werden. Das A-Dur-Konzert ist bis heute das populärste der drei Konzerte, was sicher auch an seiner heiter gelösten Grundstimmung liegt, die Mozarts Vorsatz, die Werke sollten – bei allem Anspruch – «angenehm in die ohren» klingen, vielleicht am konsequentesten umsetzt. Ungewöhnlich reich ist die Orchestereinleitung zum ersten Satz, die anstelle der üblichen zwei sogar drei verschiedene Themen vorstellt. Das kurze dritte Thema taucht allerdings erst in der Reprise wieder auf. Der zweite Satz zitiert nach Ansicht Alfred Einsteins die ersten vier Takte einer Ouvertüre («La calamità dei cuori») von Johann Christian Bach: Möglicherweise reagierte Mozart damit auf den Tod des älteren Freundes und Bach-Sohnes am 1. Januar 1782. Der Schlusssatz ist ein brillantes Rondeau, dessen Refrainthema sich rhythmisch auf den Beginn des Kopfsatzes bezieht. Dies ist nur eines der vielen subtilen Details dieses Werkes, das der Pianist Alfred Brendel als «das liebevollste aller Mozartschen Klavierkonzerte» bezeichnete. 20 To b i a s N i e d e r s c h l a g 21 Anton Bruckner * 4. September 1824 in Ansfelden (Oberösterreich) † 11. Oktober 1896 in Wien Mit Halali gegen die geistige Schwäche Zu Anton Bruckners «Romantischer» Ein unwirkliches Raunen der Streicher, darüber der zarte Einsatz eines Solo- horns, ein Quintsprung abwärts, dann wieder aufwärts … Zum Inbegriff der Romantik wurde dieser Beginn, die Anfangstakte aus Anton Bruckners Vierter, der er selber den Beinamen «Romantische» gab. Ein idyllischer Anfang – und doch ist das Werk zu einer Zeit entstanden, als Bruckner beruflich und finanziell mehrere Rückschläge hinnehmen musste: Die Urfassung der Sinfonie von 1874 fällt in eine Zeit, als er seine Klavierlehrerstelle an der Wiener Lehrerbildungs- Sinfonie Nr. 4 Es-Dur «Romantische» Originalfassung, Edition: Robert Haas anstalt verlor und als seine Bewerbung um eine Stelle an der Wiener Universität (nicht zuletzt durch die Intervention Eduard Hanslicks) abgelehnt wurde. Auch fand sich kein Orchester, das seine soeben abgeschlossene dritte Sinfonie aufführen wollte. Mit der Komposition der Vierten trat Bruckner die Flucht nach vorne an: «Weil die gegenwärtige Weltlage geistig gesehen Schwäche ist, 1. Bewegt, nicht zu schnell 2. Andante quasi Allegretto 3. Scherzo: Bewegt – Trio: Nicht zu schnell. Keinesfalls schleppend 4. Finale: Bewegt, doch nicht zu schnell flüchte ich zur Stärke und schreibe kraftvolle Musik.» So «kraftvoll» die Sinfonie auch klingen mag: Bruckner tat sich mit der Kom- position äußerst schwer. Die im November 1874 abgeschlossene Erstfassung nahm er vier Jahre später wieder vor und arbeitete sie noch einmal grundle- gend um. Die Ecksätze bekamen eine neue Gestalt, das Scherzo wurde eliminiert und durch ein völlig neues ersetzt. Auch nach der Uraufführung 1881 in e n t s ta n d e n gewidmet 1874; zwischen 1878 und 1880 überar- «Sr. Durchlaucht, dem Prinzen Cons- 1881 und 1889 lingsfürst in tiefster Ehrerbietung» beitet; weitere Änderungen zwischen Fas s u ng e n Besetzung 1874: Erste Fassung; 1878: Zweite 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, drittem Finale (Edition: Robert Haas) 3 Posaunen, Tuba, Pauken, Streicher Fassung; 1880: Zweite Fassung mit 2 Fagotte, 4 Hörner, 3 Trompeten, ur aufgeführt Verl ag am 20. Februar 1881 in Wien (Zweite Musikwissenschaftlicher Verlag, Wien Dirigent: Hans Richter) Dauer Fassung; Wiener Philharmoniker, 22 tantin Fürsten zu Hohenlohe-Schil- ca. 65 Minuten Wien arbeitete Bruckner noch einiges um. Dass dann 1889 eine Fassung in Druck ging, die neben «autorisierten» Retuschen seines Schülers Ferdinand Löwe auch Eingriffe von fremder Hand aufwies, hat die Situation nicht vereinfacht. Erst in den 1930er Jahren wurde Bruckners überarbeitete Fassung von 1880 im Rahmen der kritischen Gesamtausgabe seiner Werke durch Robert Haas von fremden Zusätzen weitgehend befreit. In dieser Version hat sich die «Romantische» im Konzertsaal etabliert. Erst seit einigen Jahren hört man gelegentlich auch die 1975 veröffentlichte Urfassung des Werkes. Der Beiname «Romantische» hat häufig zu Irritationen geführt. Man glaubte, Bruckner habe damit den programmmusikalischen Charakter des Werkes zum Ausdruck bringen wollen. Doch welches Programm liegt der Sinfo- nie zugrunde? «Mittelalterliche Stadt – Morgendämmerung – vor den Stadttür- men ertönen Weckrufe – die Tore öffnen sich – auf stolzen Rossen sprengen die Ritter hinaus ins Freie – Waldesrauschen»: So hat Bruckner selbst das Werk seinem ersten Biografen August Göllerich gegenüber erläutert. Allerdings: Allzu wörtlich sollte man diese Ausführungen nicht nehmen. Zu wenig findet 23 man sie in der Partitur verankert. Es scheint vielmehr, als ob Bruckner nach den Misserfolgen der früheren Sinfonien hiermit lediglich versuchte, einen leichteren Zugang zu seiner Musik zu ermöglichen. Als er einmal nach dem programmatischen Hintergrund des Finalsatzes gefragt wurde, antwortete er schlicht: «Ja, da woaß i selber nimmer, was i mir dabei denkt hab’.» Aber auch ohne Programm ist diese Musik ungeheuer faszinierend. Der Kopfsatz hebt mit dem beschriebenen Hornmotiv an, das der Sinfonie quasi als «Motto» vorangestellt ist. Aus dieser Keimzelle entwickelt sich schon bald ein weiteres Motiv, das im strahlenden Tutti auf- und absteigt. Auffallend ist hier der Rhythmus von zwei Vierteln und einer Vierteltriole, der sogenannte «Bruckner-Rhythmus». Als Gegenthema stimmen die Bratschen eine lyrische Melodie an, die von «hüpfenden» Vogelimitationen der Streicher begleitet wird. Eine kurze Fanfare der Blechbläser führt die Exposition auf einen letzten Höhepunkt, bevor sich in zarten Pianissimo-Passagen die Durchführung ankündigt. Hier stehen vor allem Hornruf und «Bruckner-Rhythmus» im Vorder- grund; auf dem Höhepunkt erstrahlt ein feierlicher Blechbläserchoral. In der Reprise wird das Hornmotiv von einer Flöte umrankt, die Coda schließlich steigert es ins Monumentale. An zweiter Stelle steht ein Trauermarsch, der möglicherweise Rückschlüsse auf die schwierigen Entstehungsumstände zulässt. Zwei verschiedene Themen liegen diesem «Andante quasi Allegretto» zugrunde: Zu Beginn stimmen die Celli über einer pulsierenden Begleitung das Trauermarschthema an, das mit seiner fallenden und wieder steigenden Quinte vom Hornmotiv des Kopfsatzes abgeleitet ist. Ein choralartiger Streichergesang leitet zum zweiten Gedanken über, einer – im Sinne Wagners – «unendlichen Melodie», die von Pizzicati der übrigen Streicher gestützt wird. Im weiteren Verlauf des Satzes sind die The- men einer ständigen «Metamorphose» unterworfen; das Trauermarschthema klingt gegen Ende, nach Dur gewandelt, im rauschhaften Orchestertutti auf. Die deutlichsten Assoziationen lässt das nachkomponierte «Jagdscherzo» zu: Wieder ein Tremolo der Streicher, darüber allmählich näher rückendes Hörnergeschmetter, ein dahinbrausendes «Halali», dem man sich nicht entziehen kann! Zwischen den energischen Hauptteilen bildet das folkloristische Trio, mit seinen Leierkasten-Anklängen, einen idyllischen Ruhepunkt. Bruckner selber sprach von einem Satz, der «die Jagd vorstellt, während das Trio eine Tanzweise bildet, welche den Jägern während der Mahlzeit aufgespielt wird» … Schwer tat sich Bruckner mit dem Finale, gleich zweimal hat er diesen Satz überarbeitet. Dabei verfolgte er die Absicht, dem ganzen Werk eine zyklische Abrundung zu geben: Der Satz beginnt mit einer geheimnisvollen Einleitung, die 24 Anton Bruckner Fotografie von Othmar von Türk, Wien um 1880 25 pochenden Bassrepetitionen verheißen nichts Gutes. In der permanenten Stei gerung blitzen noch einmal die Halali-Rufe aus dem Scherzo auf, bis auf dem Höhepunkt das neue Hauptthema einsetzt: ein mächtiger Oktavsprung abwärts, fortgeführt durch «brucknerartige» Zweier- und Dreierbildungen. Doch auch damit scheint das Ziel nicht erreicht: Erst in der triumphalen Wiederkehr des Hornmotivs aus dem ersten Satz kann sich die Spannung entladen. Das Seiten- thema in Streichern und Holzbläsern bringt die nötige Beruhigung, die Schluss- Gastkonzerte in Deutschland und Abu Dhabi 2. – 6. 12.09 gruppe fährt schließlich mit Bläserentladungen dazwischen. In der Durchführung erscheinen die Themen in ihrer Umkehrung, das Seitenmotiv steigert sich zwi- schen Blech und Streichern zum grandiosen Choral. Der dramatisch gesteigerte D i r i g e n t u n d K l av i e r 6 . D e z e mb er 2 0 0 9 Oktavsprung leitet in die Reprise über und prägt auch die spätere Coda, auf de- Christoph Eschenbach zitiert wird: zyklische Erfüllung und Schlussapotheose gehen hier Hand in Hand. 2 . D e ze mb er 2 0 0 9 Ansätzen in der Dritten) auch in seinen späteren Sinfonien wieder aufgreifen Konzerthaus Dirigent Vierten (in ihrer Zweiten Fassung) am 20. Februar 1881 mit den Wiener Philhar- 3. D e ze mb er 2 0 0 9 Sprecher en Erfolg als Sinfoniker. «Bruckner ist der Schubert unserer Zeit», hieß es da- Festspielhaus Emirates Palace ren Höhepunkt noch einmal das «romantische» Hauptthema des Kopfsatzes Ein «starkes», ein «kraftvolles» Ende, dessen formale Idee Bruckner (nach sollte. Schließlich hatte sich die Konzeption bewährt: Die Uraufführung der monikern unter Hans Richter bescherte dem Komponisten seinen ersten groß- nach in einer viel zitierten Kritik aus dem «Vaterland». «Es ist ein solcher Strom Dortmund Baden-Baden von Empfindungen in seinem Werke, und eine Idee drängt so die andere, daß 5 . D e ze mb er 2 0 0 9 blieb dem Werk treu: Bis heute ist die «Romantische» neben der Siebten Emirates Palace man den Reichtum seines Geistes wahrhaft bewundern muß …» Der Erfolg Bruckners populärste Sinfonie geblieben. To b i a s N i e d e r s c h l a g Am 15. November 1895 musizierte die damalige Hofkapelle unter Adolf Hagen in der Semperoper die Dresdner Erstaufführung von Bruckners «Romantischer» Sinfonie. Der Rezensent der Dresdner Neuesten Nachrichten reagierte mit Unverständnis: «… Dabei kann es der Komponist Abu Dhabi Abu Dhabi Programm: Wolfgang Amadeus Mozart Klavierkonzert A-Dur KV 414 Familien-Konzert Christoph Eschenbach Ben Kingsley Programm: Wolfgang Amadeus Mozart Ouvertüre zu «Le nozze di Figaro» Leopold Mozart «Kindersinfonie» Sergej Prokofjew «Peter und der Wolf» op. 67 Anton Bruckner Sinfonie Nr. 4 Es-Dur «Romantische» nicht unterlassen, jeden Augenblick zu den stärksten Orchestermitteln zu greifen. Kaum hat er uns in poetische Stimmung gesetzt, so packt er auch schon Hörner, Trompeten, Posaunen und Pauken zu förmlichen Accordbündeln zusammen, um damit ein Blitzfunkeln und Donnerkrachen herauszuschlagen, daß einem Hören und Sehen vergeht …» 26 27 5. Sinfoniekonzert Orchesterbesetzung 1. Violinen Roland Straumer Bratschen 1. Konzertmeister Michael Eckoldt Flöten Gerd Grötzschel* Andreas Schreiber Thomas Meining Stephan Pätzold Michael Frenzel Jürgen Knauer Volker Dietzsch Johanna Mittag Barbara Meining Birgit Jahn Henrik Woll Zsuzsanna Schmidt-Antal Andreas Lorenz Sebastian Bell*** Volker Hanemann Isang Enders Franz Schubert Frank van Nooy Claudia Briesenick Violoncelli Sae Shimabara Daniel Tomann* Céline Moinet Solo Matthias Neubert* Anselm Telle Jürgen Umbreit Ralf Dietze Eckbert Reuter* Roland Knauth Uwe Voigt Solo Bernhard Kury Oboen Juliane Böcking Annika Thiel Rozália Szabó Posaunen Solo Michael Schöne Susanne Neuhaus Anja Krauß Konzertmeister Klarinetten Wolfram Große Jan Seifert Jürgen May Daniel Raabe* Andreas Börtitz Annette Thiem Stephan Drechsel Jens Metzner Ulrike Scobel Olaf-Torsten Spies Beate Prasse Elisabeta Florea Uwe Kroggel Bernward Gruner Anke Heyn Manfred Riedl Andreas Wylezol Solo Martin Knauer Kay Mitzscherling Christoph Bechstein Martin Fraustadt Johanna Fuchs Harald Heim David Harloff* Kontrabässe Trompeten Tobias Willner Solo Bernd Haubold* Peter Lohse Fred Weiche Gerd Graner Johannes Nalepa Konrad Fichtner Annett Will** Dirk Reinhold Stefan Seidl Harfe Solo Klaus Gayer David Hausdorf* Frank Behsing Alexey Brösel* Hörner Robert Langbein Emanuel Held Holger Grohs Hannes Schirlitz Johann-Christoph Schulze Jakob Andert Schlagzeug Fagotte 2. Violinen Heinz-Dieter Richter Pauken Christian Langer Thomas Eberhardt Solo Konzertmeister Jens-Peter Erbe Solo Christian Dollfuß Simon Kalbhenn Tom Höhnerbach Tuba Thomas Käppler Solo Solo Renate Hecker Frank Other 28 Solo Siegfried Schneider Astrid von Brück Solo Celesta Clemens Posselt Cembalo Michael Lüdicke Klavier Johannes Wulff-Woesten * als Gast ** als Akademist *** als Praktikant 29 Vorschau 6. Sinfoniekonzert 20.12.09 1 1 U h r 21.12.09 2 0 U h r D i en s tag 22.12.09 2 0 U h r S o n n tag M o n tag S e m p er o p er David Aaron Carpenter Johannes Brahms Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur op. 83 Peter Tschaikowsky Sinfonie Nr. 1 g-Moll op. 13 «Winterträume» “Ein neuer Stern am Bratschen-Himmel” Dirigent Die Welt Vladimir Jurowski K l av i e r Arcadi Volodos Debütalbum Kostenlose Einführungen jeweils 45 Minuten vor Beginn im Kellerrestaurant der Semperoper Elgar & Schnittke Impressum Viola Concertos Bilder Sächsische Staatsoper Dresden Intendant Prof. Gerd Uecker Generalmusikdirektor Fabio Luisi Spielzeit 2009|2010 Herausgegeben von der Intendanz © November 2009 Redak tion Tobias Niederschlag Christoph Eschenbach: Eric Brissaud; Alfred Schnittke (S. 9): Mara Eggert; Schnittke (S. 11): co broerse / f. concréte; übrige Abbildungen zu Schnittke: Musikverlage Hans Sikorski, Hamburg; David Aaron Carpenter: Akos Simon; Anton Bruckner: Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung, Bayreuth Philharmonia Orchestra Christoph Eschenbach Texte Gerard McBurney schrieb seinen Text über Schnittkes Bratschenkonzert für das Beiheft der CD-Aufnahme des Werkes mit Yuri Baschmet aus dem Jahr 1990 (BMG Music). Die übrigen Texte sind Originalbeiträge für die Programmhefte der Sächsischen Staats kapelle Dresden. G e s ta lt u n g u n d L ay o u t Scans Janine Schütz Druck Union Druckerei Dresden GmbH Urheber, die nicht ermittelt oder erreicht werden konnten, werden wegen nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten. ODE 1153-2 schech.net | www.schech.net Private Bild- und Tonaufnahmen sind aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet. “Es ist viele Jahre her, dass ich ein solch phänomenales Talent gehört habe.” Anzeigenvertrieb Keck & Krellmann Werbeagentur GmbH i.A. der Moderne Zeiten Medien GmbH Telefon: 0351/25 00 670 e-Mail: [email protected] www.kulturwerbung-dresden.de Christoph Eschenbach w w w . s ta at s k a p e l l e - d r e s d e n . d e www.ondine.net 30 David Aaron Carpenter signiert in der Pause im Unteren Rundfoyer