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FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Inhaltsverzeichnis INHALTSVERZEICHNIS Dank und Widmung Seite 3 Vorwort Seite 4 Kapitel I.: Was ist Chaos? – Eine Einführung Seite 5 Vorwort Seite 5 Definition „Chaos“ Seite 6 Grundlagen Seite 7 Philosophische Kurzbetrachtung Seite 10 Die Mystik um das Chaos Seite 11 Die Entdeckung des Chaos Seite 11 Hypothese des Grauens Seite 13 Kapitel II.: Chaostheorie – Ein geschichtlicher Überblick Seite 14 Die geschichtliche Entwicklung der Chaostheorie Seite 14 Die zwei Giganten Seite 17 Der Reduktionismus Seite 20 Der Fall des Reduktionismus Seite 21 Résumé Seite 23 Kapitel III.: Chaostheoretische Forschung: Astrophysik – Die KAM-Theorie Seite 24 Was ist die KAM-Theorie? Seite 24 Unser Sonnensystem und dessen Tücken Seite 24 Jupiter und Saturn – Die Grenzen der Stabilität Seite 25 Der quasiperiodische Bewegungsablauf Seite 27 Das Dreikörpermodell von Poincaré Seite 28 Die homokline Verflechtung Seite 30 Poincarés Berechnungen Seite 31 Das KAM-Theorem Seite 32 Kapitel IV.: Chaostheoretische Forschung: Biophysik / Medizin – Das Herzkammerflimmern Chaos in der Medizin Seite 1 Seite 35 Seite 35 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Inhaltsverzeichnis Der physikalische und medizinische Chaosbegriff – Ein Vergleich Seite 35 Das Kammerflimmern – Eine Einführung Seite 36 Ein möglicher Auslöser Seite 37 Kleine Herzkunde Seite 38 Das Kammerflimmern – Ursachenforschung Seite 39 Die Auswirkung der Singularität Seite 44 Kapitel V.: Versuche zur Chaostheorie – Videofeedback Eine Einführung Seite 46 Das Videofeedback – Eine Kurzbeschreibung Seite 47 Die Tücken des Experiments Seite 47 Das Experiment – Aufbau Seite 49 Verwendete Materialien bzw. Geräte Seite 50 Vorbereitung Seite 50 Erste Erscheinungen Seite 50 Zoom und Neigung der Kamera Seite 51 Rotierende Spirale Seite 52 Ruhendes Spiralenfraktal Seite 53 Wirbel-, Schnecken- oder Sternfraktal Seite 53 Der Einfluss einer zusätzlichen Lichtquelle Seite 54 Kapitel VI.: Versuche zur Chaostheorie – Chaotische Wassertropfen Seite 55 Eine Einführung Seite 55 Eine Kurzbeschreibung Seite 56 Aufbau Seite 56 Verwendete Materialien Seite 57 Positionierung der verwendeten Materialien Seite 59 Die einzelnen Versuchsdurchgänge und Ergebnisse Seite 59 1. Versuchsreihe: Regelmäßiges Tropfen Seite 60 2. Versuchsreihe: Leicht fließendes Wasser Seite 62 3. Versuchsreihe: Chaotisches Tropfen Seite 63 4. Hypothesen Seite 65 Bibliographie Seite 2 Seite 46 Seite 67 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Dank und Widmung Widmung: Meinen Eltern, die mich während meiner gesamten Schullaufbahn immer unterstützen und mir halfen mein persönliches Chaos in Grenzen zu halten. Meinen Geschwistern, weil auch sie für die Ordnung in meinem Leben verantwortlich sind. Besonderer Dank ergeht an: Mag. Georg Lindner, Betreuungsprofessor Karin Rieder-Schrattenecker, meine Mutter, ohne deren Hilfe mir viele Ergebnisse meiner Experimente verborgen geblieben wären Dipl.-Ing. Mag. arch. Maximilian Rieder, mein Vater, der mir half Klarheit über das Thema meiner Arbeit zu finden Frieda und Willhelm Rieder, meine Großeltern, die mir großzügig Raum für meine Experimente zu Verfügung stellten und mich auch tatkräftig unterstützten Prim. Univ. Doz. Dr. Christian Datz, der mir den medizinischen Aspekt der Chaostheorie erklärte Ao.Univ.-Prof. Dr. Gernot Pottlacher, Institut für Experimentalphysik an der TU Graz UA Dr. Ronald Meisels, Institut für Physik an der Montanuniversität Leoben Prof. Mag. Dr. Karl Lahmer, der mich bei der Erklärung und Herleitung von Fremdwörtern aus dem Altgriechischen und Lateinischen unterstützte Seite 3 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Vorwort Grödig, am 19. Februar 2005 Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser! Ich freue mich, dass Sie Interesse an meiner Fachbereichsarbeit mit dem Titel „Die Chaostheorie – Chaos in unserer Alltagswelt“ gefunden haben. Ich hoffe die im Inhalt dieser Arbeit formulierten Informationen und Erkenntnisse, die ich mir durch intensive Beschäftigung mit diesem Thema aneignen konnte, entsprechen ihren Erwartungen und unterstützen Sie bei weiteren, zukünftigen Nachforschungen oder Lektüren zur Chaostheorie. Ich habe mich einerseits bemüht einen ansprechenden Ausdruck zu verwenden, der zum allgemeinen Verständnis sowie zum schlichten Spaß am Studieren dieser Fachbereichsarbeit beitragen soll. Andererseits ist es natürlich in meinem Interesse und auch im Interesse der Wissenschaft eine sachliche und neutrale Form der Formulierung zu erreichen, wie sie auch als Kriterium für eine Fachbereichsarbeit gilt. Zum eigentlichen Thema „Chaostheorie“ kam ich paradoxerweise über die zu dieser physikalischen Sicht der Welt gegensätzlichste Wissenschaftsrichtung, die man sich vorstellen kann. Kurze gelesene Abschnitte des Werkes „Die Kunst vernetzt zu denken – Ideen und Werkzeuge für einen neuen Umgang mit Komplexität“1 von Frederic Vester, einem bemerkenswerten Wissenschaftler, Philosophen und Systemtheoretiker, führten mich von der Seite der Vernetzung und des Rationalismus auf den dazu oppositionellen Weg der Wissenschaftsmethodik, zur Chaostheorie. Diese Arbeit soll einen Überblick zu dieser Theorie geben und durch die ausgewählten, behandelten Bereiche auf die Präsenz und Brisanz des Chaos in unserem Alltag aufmerksam machen. Hiermit erkläre ich, dass die Fachbereichsarbeit „Die Chaostheorie – Chaos in unserer Alltagswelt“ von mir, Kilian Rieder, eigenständig und nur unter Zuhilfenahme erlaubter Quellen und Materialien erarbeitet und ausformuliert wurde. 1 erschienen im DTV-Verlag, München 2002 Seite 4 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel I.: Was ist Chaos? – Eine Einführung „Diese Dinge sind so bizarr, dass ich es nicht länger ertrage länger über sie nachzudenken.“ - Jules Henri Poincaré (1854 – 1912), Mathematiker und Vorreiter der Chaosphysik Vorwort Wir leben in einer Zeit in der wir auf die sich immer weiter entwickelnde Forschung in Geistes- und Naturwissenschaft angewiesen sind. Die Menschheit in ihren grundlegendsten Bausteinen beruht daher heutzutage auf dem wissenschaftlichen Fortschritt. Dies äußert sich zum Beispiel an einer sich ständig drehenden Wirtschaftsspirale, die immer steiler nach oben geht. Ein Negativwachstum ist für ein Land und seine Bewohner nicht mehr ausgleichbar. Andere Bereiche der Wissenschaft wie die Medizin setzen ihre Hoffnung auf die immer besser ausgefeilten, technischen Geräte. Um das Ausmaß dieser umgreifenden Denkweise einzuschätzen, müssen wir uns vor Augen führen, dass diese zwei erwähnten Beispiele nur ein winziger Teil unserer Umwelt sind. Gedanklich fortgesetzt führt dies zu folgendem Resumé: Wir fordern unentwegt neue Erfindungen und Entdeckungen um unser Leben noch risikoloser (unter anderem sei dies bezogen auf unerforschte Krankheiten, Börsencrashs oder Flugzeugabstürze) verbringen zu können. Doch nicht nur aus rein philosophisch-logischen Gründen müssen wir akzeptieren, dass unendlicher Fortschritt unmöglich ist. Unser Heimatplanet verfügt auch nicht über unendliche Ressourcen. Wissenschaftliche Limeserscheinungen1 sind nur Wenigen bekannt, zumal die Welt, wie sie von der Menschheit gesehen wird, unter Berücksichtigung der üblichen Naturgesetze auch funktioniert. Daher hält sich das Interesse an diesen Phänomenen in Grenzen, obwohl die Chaostheorie in den verschiedensten wissenschaftlichen Bereichen2 immer mehr an Bedeutung gewinnt. Im Alltagsleben haben so beschaffene Erscheinungen oft keinen Stellenwert, teils weil sie für den Menschen, der von Natur aus als „Neugierwesen“3 gilt, schwer zu begreifen aber unüberwindbar sind, teils weil sie einfach nicht oft genug in Erscheinung treten. Diese Fachbereichsarbeit beschäftigt sich mit einer jener wissenschaftlichen Erkenntnisgrenzen, die speziell in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung und Akzeptanz sehr gewonnen hat, sie wird als Chaostheorie bezeichnet. 1 eig.: mathematische Grenzwerte; hier für: Erkenntnisgrenze z.B.: Astronomie, Medizin; siehe Kapitel III. und IV. 3 vgl.: Konrad LORENZ, Die Rückseite des Spiegels, München: Piper 1975; ARISTOTELES, Metaphysik 2 Seite 5 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel I.: Was ist Chaos? – Eine Einführung Definition „Chaos“ Im Laufe dieser Arbeit wird das „Chaos“ der bedeutendste Begriff sein, daher muss abgeklärt werden welche semantische Signifikanz das Wort an sich besitzt, weiters muss klar zwischen wissenschaftlicher und alltäglicher Verwendung des „Chaosbegriffes“ differenziert werden. Die griechisch-lateinischen Wurzeln des Nomen „Chaos“ ermöglichen eine kurze und prägnante Übersetzung (τό χάος und chaos = weiter, leerer, unermesslicher Raum; gestaltlose Urmasse), die aber für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung weitaus nicht umfassend genug ist. Auch Definitionen wie sie im Fremdwörterbuch zu finden sind, stellen sich als ungenügend heraus, wenn darin „Chaos“ als „totale Verwirrung, völliges Durcheinander4 sowie die Auflösung aller Ordnungen5“ erklärt wird. Es liegt nunmehr in unseren Händen „Chaos“ zu definieren, denn wie so mancher nicht weiß ist Chaos nicht gleich Chaos. Eine kurze Aussage, die die Schwierigkeit der Erklärung und Definition auf einen Punkt bringt. Wenn wir unser Alltagsleben als Bezugsystem für diese komplexe Darstellung des Wortes annehmen, so stoßen wir ohne Zweifel auf die Bedeutungen Durcheinander, Verwirrung und Zufall. Wir verwenden den Begriff Chaos um etwas in unsere Alltagssprache zu beschreiben, das die Wissenschaft als „stochastisches Chaos“ kennt. Stochastik6 ist der Ausdruck für den reinen Zufall wie wir ihn, wenn wir etwas als chaotisch beschreiben, meinen. Das Wort drückt völlig Überraschendes, Unerwartetes und Unberechenbares aus. Das zufällige Aufeinandertreffen zweier Freunde in einer Großstadt fernab von der Heimat wäre ein klassisches Beispiel für stochastisches Chaos. In der Wissenschaft, vor allem im Bereich der Physik ist der Begriff Chaos auf andere Weise definiert. Sobald Chaosforschung und Chaostheorie im Mittelpunkt der Konfrontation stehen, spricht man von „deterministischem Chaos“7. Ein Begriff, der aufgrund seiner scheinbar paradoxen Bedeutung, als nicht logisch erscheint. Das „deterministische Chaos“ soll auf die wissenschaftliche Tatsache des bestimmten Weges ins Chaos, aber auch auf die völlige Unberechenbarkeit des einmal entstandenen Chaos hinweisen. Konkret kann man also bestimmen wann ein System den unvorhersagbaren Zustand eintaucht, auf welchen Gesetzen dieses Chaos jedoch basiert ist nicht zu erklären. 4 vgl.: DUDEN, Das Fremdwörterbuch, Zürich: Dudenverlag 1990, Band 5, Seite 138 dtv-Lexikon, München: DTV-Verlag 1980, Band 3 (Buci-Deus), Seite 101 6 vgl.: DUDEN, Das Fremdwörterbuch, Zürich: Dudenverlag 1990, Band 5, Seite 744 7 Christian NÜRNBERGER, Faszination Chaos, Stuttgart: Georg Thieme Verlag 1993, Seite 72 5 Seite 6 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel I.: Was ist Chaos? – Eine Einführung Zur Veranschaulichung kann als Beispiel ein tropfender Wasserhahn8 herangezogen werden. Bei richtiger Einstellung des Ventils tropft das Wasser chaotisch herab, die Bedingungen für eine zeitliche Bestimmung des Eintritts der Unvorhersagbarkeit sind also bekannt. Andererseits gibt es keine befriedigende Erklärung warum genau die gewählte Ventilöffnung zum Chaos führt. Grundlagen Wer den Beginn der physikalischen Wissenschaft sucht, müsste sich, je nach subjektiver Definition, mehr oder weniger weit zurück in die Vergangenheit begeben. Um den Begriff jedoch einzugrenzen wird sich dieser Text, sofern ein Anfangspunkt der klassischen Physik erwähnt wird, auf das Leben und Wirken des Leonardo da Vinci beziehen, für den als Einzelnen zum ersten Mal die Bezeichnung Physiker zutrifft. Die Wissenschaft der Physik gipfelt in ihrer immer abstrakter und unvorstellbar werdenden Methodik in den, bis zum heutigen Tag drei großen physikalischen Revolutionen unserer Zeit, drei Theorien, die das Gerüst der klassischen Physik ins Wanken brachten: Albert Einstein’s Relativitätstheorie, die unser Verständnis von Raum und Zeit auf den Kopf stellt, die Heisenberg’sche Unschärferelation, die die Unmöglichkeit einer exakten Bestimmung beziehungsweise Datenerfassung von Vorgängen im Mikrokosmos beschreibt, und schließlich die unglaublichste von allen, die Chaostheorie, die die dritte und bisher letzte „Kränkung der klassischen Physik“9 darstellt. Während alle übrigen physikalischen Theorien auf Verifikation ihrer Hypothesen beruhen, tritt die Chaosforschung diesen entgegen, indem sie versuchte die eigenen Grundsätze durch Widerlegung, also durch Falsifikation, der Gesamtheit der anderen Vermutungen zu beweisen. Was als verachtetes Hirngespinst begann führte zu einer Wende im wissenschaftlich-theoretischen Sinne und besitzt durchaus die Macht unser momentanes, immer noch klassisches Weltbild zu sprengen. Seit jeher dient die Physik als Wissenschaft der Vorhersage10, als Mittel zur Prognose, das der Menschheit hilft neue technische Fortschritte zu wagen und natürliche Zukunftsangst bewältigen zu können. Im Gegensatz zu den vorhergehenden Theorien in der Physik ist die wesentlichste aller Erkenntnisse die Annahme der prinzipiellen Unvorhersagbarkeit der Welt. 8 vgl.: Kapitel VI.: Versuche zur Chaostheorie – Chaotische Wassertropfen vgl.: Christian NÜRNBERGER, Faszination Chaos, Stuttgart: Georg Thieme Verlag 1993, Seite 8 ff. 10 vgl.: Joachim BUBLATH, Das neue Bild der Welt, Wien : Ueberreuter Verlag 1992, Seite 23 9 Seite 7 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel I.: Was ist Chaos? – Eine Einführung Zunächst nur im Mikrokosmos von Bedeutung, lässt sich die Chaostheorie auf die elementarsten Bestandteile unserer Existenz anwenden. Die Frage der Zukunftsprognose wird somit bereits als erste, bahnbrechende Hypothese ausgeschlossen. Die Ziele der Chaosforscher fokusieren sich vielmehr auf das Phänomen Chaos selbst, als dass bereits von Beginn an die gewonnenen Erkenntnisse auf die existierenden Grundgrößen der Physik angewendet werden. Diese moderne Physik beschäftigt sich daher primär mit den ausschlaggebenden Bedingungen für ein Ausbrechen des Chaos11 und forscht gleichzeitig um einen Weg aus dem Chaos zurück zur Ordnung zu finden beziehungsweise auch die Ordnung zu stabilisieren12. Diesen Grundproblemen dient allgemein die Annahme von drei Grundzuständen13 eines jeden Systems: 1. Zustand der Stabilität, auch „Normalzustand“: Wenn sich ein System in diesem Zustand befindet kann es nach den Gesetzen der klassischen Physik komplikationslos auf Einflüsse anderer Systeme reagieren und ist berechenbar. 2. Zustand der Unsicherheit: Das Übergangsstadium eines Systems von Stabilität ins Chaos wird als vulnerable Phase, die nur eine sehr kurze Zeitspanne in Relation zu den beiden anderen Systemzuständen (siehe 1. und 3.) umfasst, bezeichnet. Eine Reaktion eines so beschaffenen Systems löst eine oszillierende Rhythmik aus, die sich durch die Eigenschaft der Quasiperiodik charakterisieren lässt. Die innere Uhr auf dem Weg zum Chaos tickt bereits. 3. Zustand der Unberechenbarkeit: Diese Systemmetamorphose ist extrem empfindlich gegenüber Einflüssen von Außen, seine Reaktionen sind nicht abschätzbar. Das Chaos hat sich des Systems bemächtigt. Chaos ergibt sich prinzipiell aus zwei sehr eng miteinander verbundenen Vorgängen. Der Prozess der Iteration sowie das Prinzip der Rückkopplung beruhen beide auf dem System einer unendlichen Reihe von Wiederholungen ein und desselben Schrittes, bei der die „Sensitivität der Anfangsbedingung“ eine tragende Rolle spielt. Gemeint ist, dass winzig kleine Unterschiede der Anfangsbedingung (Werte, die für Variablen eingesetzt werden) in 11 vgl.: Joachim BUBLATH, Das neue Bild der Welt, Wien : Ueberreuter Verlag 1992, Seite 65 vgl.: Joachim BUBLATH, Das neue Bild der Welt, Wien : Ueberreuter Verlag 1992, Seite 72 13 vgl.: Christian NÜRNBERGER, Faszination Chaos, Stuttgart: Georg Thieme Verlag 1993, Seite 10 ff. 12 Seite 8 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel I.: Was ist Chaos? – Eine Einführung nichtlinearen Gleichungen in der Folge zu extremen Differenzen die Ergebnisse betreffend führen können. Bei der Iteration (iterare lat. = wiederholen) wird ein Verfahren unendlich oft auf sich selbst angewendet, praktisch ein Einsetzen eines Ergebnisses eines Terms in den Term selbst. Dadurch entsteht gewissermaßen als Konsequenz Chaos. Während sich der iterative Rechenvorgang auf ein System selbst bezieht, schaukeln sich bei einem Rückkoppelungsprozess zwei verbundene Systeme ins Chaos. Die negative Rückkopplung basiert auf der hemmenden Reaktion, die zwei Systeme gegenseitig auf sich ausüben können. Exemplarisch hierfür dient eine Klimaanlage, die nach Erreichen einer gewissen Temperatur entweder mit Kühlung oder Erwärmung reagiert. Positive Rückkoppelung beruht auf dem Prinzip der Verstärkung. Man spricht in der Musik von positiver Rückkoppelung, sobald ein Mikrofon und eine Lautsprecheranlage in diese, meist unerwünschte, Wechselwirkung treten. Um einen chaotischen Wert studieren oder mit ihm forschen zu können muss sein relatives Ausmaß zu einer komparativen Anwendung bekannt sein, ein Faktum, wie es für sämtliche Gößen der klassischen Physik auch gilt. Eine Systemcharakterisierung kann in diesem Fall durch das Maß für die Differenz der Zukunftswerte zweier Teilchen mit nahezu gleicher Anfangsbedingung (ε = ein Maß für die Intensität des Chaos)14 durchgeführt werden. Die auf der folgenden Seite abgebildete Grafik zeigt eine Darstellung zweier solcher divergierenden Werte. Vorgänge oder Phänomene, die sich auf diese Weise beschreiben lassen, sind unter anderem: die Wettervorhersage15, jeder in unserem Gehirn ablaufende Kreativ-Prozess und Gedankengang, Wachstumsformen von Pflanzen, das Eintreten bzw. das Nichteintreten von Herzkammerflimmern16 und sämtliche Vorgänge, die durch die KAMTheorie17 beschrieben werden. 14 Joachim BUBLATH, Das neue Bild der Welt, Wien : Ueberreuter Verlag 1992, Seite 71 siehe Kapitel I.: Was ist Chaos – Eine Einführung, Seite 11 ff. 16 siehe Kapitel IV.: Chaostheoretische Forschung: Biophysik / Medizin – Das Herzkammerflimmern 17 siehe Kapitel III.: Chaostheoretische Forschung: Astrophysik – Die KAM-Theorie 15 Seite 9 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel I.: Was ist Chaos? – Eine Einführung aus: Joachim BUBLATH, Das neue Bild der Welt, Wien : Ueberreuter Verlag 1992, Seite 71 Philosophische Kurzbetrachtung Die Chaosforschung an sich lässt sich nicht nach einer quantitativen, sondern einer qualitativen Wissenschaftsmethodik18 definieren, eine Konzentration auf bestimmte Teilbereiche ist praktisch nicht vorhanden und trotzdem wird durch die Beobachtung des gesamten Kosmos eine, in ihren Ergebnissen unendlich varitantenreiche, beziehungsweise in ihren Anwendungsbereichen sehr vielfältige, neue wissenschaftliche Sicht der Welt eröffnet. Von diesem Standpunkt aus kann Chaos auch als „maskierte Ordnung“19 der Natur bezeichnet werden, eine Art natürlicher Selbstschutz, der uns hindert unsere Umwelt in ihrer Gesamtheit zu verstehen. Kreativität und genetische Vielfalt20 werden durch Chaos ermöglicht, die Natur kombiniert chaotisch. Eine Tatsache, die beweist, dass Chaos nicht nur von Außen auf ein System injiziert, sondern von einem System auch mitunter selbst erzeugt werden kann.21 Der philosophisch-orientierte Gedanke, dass Chaos nur der Weg zu einer neuen Ordnung ist, gibt Grund zur Annahme, dass wir in einem ständigen Wechsel von Unberechenbarkeit und Systematik leben. Dieser Prozess gleicht dem der ständigen Anpassung an neue Gegebenheiten der Natur, woraus sich auf die Notwendigkeit des Ausgleichenden, Abwechslungsreichen schließen lässt. 18 vgl.: John BRIGGS und F. David PEAT, Die Entdeckung des Chaos – Eine Reise durch die Chaos-Theorie, Wien: Carl Hanser Verlag 1990, Seite 118 19 Christian NÜRNBERGER, Faszination Chaos, Stuttgart: Georg Thieme Verlag 1993, Seite 12 20 vgl.: Christian NÜRNBERGER, Faszination Chaos, Stuttgart: Georg Thieme Verlag 1993, Seite 74 21 vgl.: John BRIGGS und F. David PEAT, Die Entdeckung des Chaos – Eine Reise durch die Chaos-Theorie, Wien: Carl Hanser Verlag 1990, Seite 37 Seite 10 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel I.: Was ist Chaos? – Eine Einführung Der Eingriff des Menschen in die Natur führt zu einer Auflösung des natürlichen Chaos und somit zu einem künstlich hervorgerufenen Chaos. Dieses ist jedoch im Gegensatz zu seinem Vorgänger ohne die maskierte Ordnung und hat einen Zusammenbruch des Lebens in einem Ökosystem, das beispielsweise nach einem einfachen Raubtier-Beute-Schema funktioniert. Die Mystik um das Chaos Wie jede, dem menschlichen Wesen (zumindest anfangs) völlig unerklärliche Erkenntnis wird auch die „Chaostheorie“ in ihren Anfängen in eine Ecke der Verdrängung, der gefürchteten Probleme verbannt. Aufgrund der daraus in ihm entstandenen Konflikte, erklärt sich der Mensch seit jeher Unbegreifliches mit der Annahme und Anwendung von höheren mystischen Kräften. Diese Interpretationen sind allgegenwärtig ob man sie nun auf Gott oder, wie in unserem Fall, auf den unvorhersagbaren Zufall projiziert. Die Entdeckung des Chaos Als der Meteorologe Edward Lorenz am „Institute of Technology“ in Massachusetts eines Tages im Jahre 1956 seine tägliche Wetterprognose durchführt, entdeckt er eine bis dahin unbekannte Anomalie in seinen Ergebnissen. Routinemäßig führt er eine zweimalige Berechnung des zukünftigen Wetters des folgenden Tages durch. Dabei stößt Lorenz auf zwei voneinander völlig unterschiedliche Werte trotz minimaler Rundung einer Anfangsbedingung (Naturgesetze für das Wetter). Er veränderte den Ausgangswert durch Rundung. Um eine Vorstellung über das winzige Detail, das die besagte beachtliche Differenz auslöst, zu haben, werden hier die genauen verwendeten Daten und mathematischen Formeln kurz zusammengefasst. 22 Lorenz verwendet drei mathematische Gleichungen23, die für Strömungs- und Wärmeleitungsprozesse gelten: • dx • dy • dz /dt = 10 y – 10 x /dt = 28 x – y – x z /dt = 8/3 z + xy Er setzt dabei unter anderem die Temperatur und die Strömungsgeschwindigkeit ein, die für die jeweilige Wettersituation verantwortlich sein sollten. Diese drei Gleichungen sind deterministisch, das heißt sie sollten die Möglichkeit bieten exakt voraussagen zu können wie 22 23 vgl.: Christian NÜRNBERGER, Faszination Chaos, Stuttgart: Georg Thieme Verlag 1993, Seite 17 Film: Naturwissenschaftliche Weltbilder, Chaostheorie, Arge PPP / Akad.Gym., Kassette 21 Seite 11 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel I.: Was ist Chaos? – Eine Einführung die zukünftige Entwicklung des Wetters sein wird. Der Meteorologe Edward Lorenz schafft mit diesen drei Termen ein einfaches, mit dem PC berechenbares System der Erdatmosphäre. Während der Wissenschaftler zur Berechnung der ersten Prognose den Zahlwert 0,506127 verwendet, rundet er bei einem zweiten Durchlauf diese Anfangsbedingung auf Tausendstel genau. Es entsteht die neue, gerundete Zahl 0,506. Es ergeben sich durch die minimale Differenz von einander sehr deutlich zu unterscheidende Graphen. Die Auswirkung dieser kleinen Rundung ist sogar so groß, dass zum selben Zeitpunkt auf der einen Kurve Regen, auf der anderen Sonnenschein prognostiziert wird. Mit diesem für die klassische Physik nicht zu erwartenden Vorfall, der im Prinzip die Schlussfolgerung, einer ähnlichen Ursache folge eine ähnliche Wirkung, beschreibt, wird der klassische Kausalitätsgrundsatz in Frage gestellt. Das bereits erwähnte Phänomen24 der „Sensitivität der Anfangsbedingung“ tritt ein. Zur genauen Berechnung des Verhaltens eines Systems in der Zukunft wäre demnach eine unendliche Genauigkeit der Kenntnis der Anfangsbedingung notwendig, eine Bedingung, die aufgrund der von Heisenberg begründeten „Unschärferelation“25, wonach Ort und Geschwindigkeit der kleinsten Teilchen nie gleichzeitig bestimmbar sind, unmöglich zu erreichen ist. Diese Erkenntnis hat als Beispiel die moderne Wettervorhersage in ihrer Vorgehensweise stark beeinflusst und zu klaren Eingeständnissen der Unvorhersagbarkeit gezwungen. Der Prozess der Bestimmung zukünftiger Wetterdaten wird nunmehr nach folgendem Schema26 durchgeführt: 1. Bestimmen der zukünftigen Daten mit gemessenen aktuellen Werten 2. Bestimmen der zukünftigen Daten mit leicht abgeänderten aktuellen Werten 3. Vergleich der beiden Resultate 4. Bei einem großen Unterschied der zwei Ergebnisse ist die Schlussfolgerung der Unmöglichkeit einer längerfristigen Vorhersage zu ziehen 24 siehe dieses Kapitel, Seite 8 vgl.: Christian NÜRNBERGER, Faszination Chaos, Stuttgart: Georg Thieme Verlag 1993, Seite 26 26 vgl.: Joachim BUBLATH, Das neue Bild der Welt, Wien : Ueberreuter Verlag 1992, Seite 44 ff. 25 Seite 12 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel I.: Was ist Chaos? – Eine Einführung Hypothese des Grauens Wenn wir davon ausgehen, dass die „Sensitivität der Anfangsbedingung“ wirklich derart großen Einfluss auf unsere Existenz besitzt, und diesen hat sie zweifelsohne wie die Vielfalt der Natur also die Varietät der Arten beweist, ist es leicht möglich, wenn die Situation der Unvorhersagbarkeit der Zukunft völlig akzeptiert und verstanden wird, dass einem der Schauer über den Rücken läuft. Wieso? Wenn die bedeutendsten Wissenschaftler der „Chaostheorie“ uns mit Aussagen wie folgender konfrontieren, ist eine Erklärung für die Frage nach dem Grund überflüssig. „Chaos im Sonnensystem beziehungsweise die Apokalypse tritt nicht auf wenn keine Störung, die in ihrer Auswirkung größer ist als der Flügelschlag eines Schmetterlings in Australien, auftritt.“27 Diese Aussage wurde in der Wissenschaft als „Schmetterlingseffekt“ bekannt. Mittels der hier abgebildeten Grafik soll nochmals verdeutlicht werden, wie enorm die Auswirkungen für eine Änderung der Ausgangsbedingung zu einem System sein können. Die Grafik zeigt die hypothetische Umlaufbahn unserer Erde, wenn sich in unserem Sonnensystem eine zweite Sonne befinden würde oder ein beliebiger Komet von einer bestimmten Mindestgröße in unser bestehendes Sonnensystem eindringt. aus: Joachim BUBLATH, Das neue Bild der Welt, Wien : Ueberreuter Verlag 1992, Seite 54 27 nach Aussagen der Entdecker des KAM-Theorems (A. Kolmogorow, W. Arnold, J. Moser) zusammengefasst und zur Veranschaulichung verdeutlicht siehe auch: HUBBARD Burke Barbara und HUBBARD John, Gesetz und Ordnung im Universum: Die KAMTheorie (Artikel, erschienen 1994 im Spektrum der Wissenschaft) Seite 13 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel II.: Chaostheorie – Ein geschichtlicher Überblick Die geschichtliche Entwicklung der Chaostheorie: Als die Römer, insbesondere Ovid, von einem goldenen, silbernen, bronzenen und ehernen Zeitalter sprachen, so meinten sie damit vier verschiedene Abschnitte seit Bestehen des Reiches. Am Anfang stand das goldene Zeitalter: Charakterisiert durch Reichtum, Höhepunkt der Staatsform und Blüte der Wirtschaft stellt es die glorreichste aller Zeiten dar, die durch die nach folgenden Perioden nie mehr erreicht werden kann. Es ist also ein stetiger Verfall der Sitten, Kenntnisse und Erfolge in der Zukunft zu erwarten. Im Vergleich zur Geschichte der „Chaostheorie“ stößt man auf eine ähnlich zum Negativum tendierende Entwicklung, die jedoch nach Erreichen ihres Tiefpunktes, in der Zeit der Entdeckungen der klassischen Physik, wieder schlagartig nach oben zieht. Zur Verdeutlichung kann man diese graphisch durch eine ansteigende Kurve darstellen. Der Begriff Chaos geht zurück auf die Darstellung verschiedener Anfangszustände in der Zeit der alten Hochkulturen. Der Anfangszustand selbst steht für Vorherrschen von Chaos und Nichts aus dem der gesamte Kosmos entsteht. Die altägyptische Kultur beschreibt die Entstehung der Welt aus einem bodenlosen und leeren Abgrund, der mit Namen „Nut“ bezeichnet wurde1. Aus ihm entsteht nach damaligem Glauben der Sonnengott Ra, der schließlich Ordnung und hierarchische Struktur in das Chaos implantiert. Im Bereich der babylonischen Kultur wird das Anfangschaos durch die Urmutter des Alls „Tiamat“2 dargestellt. Sie und eine Vielzahl anderer Götter beschreiben bestimmte Eigenschaften des Chaos, wie die Unvorhersagbarkeit, die Verborgenheit und daraus resultierende Unberührbarkeit. Diese Auseinandersetzung und genau eingeteilte Personifizierung verschiedener Unterbegriffe des Chaos stellt zum ersten Mal eine Strukturierung des Chaos her. Es wird damit der Gedanke einer implizierten Ordnung im Durcheinander des Kosmos geprägt, der zur Annahme einer Wechselwirkung von Struktur und Unstruktur, sprich Ordnung und Chaos, führt. Die chinesische Schöpfungsgeschichte beruht auf der Spaltung des chaotischen Urzustands in das Licht, Yin, und das Trübe und Schwere aus dem sich unsere Welt bildet, Yang3. Das 1 vgl.: John BRIGGS und F. David PEAT, Die Entdeckung des Chaos – Eine Reise durch die Chaos-Theorie, Wien: Carl Hanser Verlag 1990, Seite 21 2 vgl.: John BRIGGS und F. David PEAT, Die Entdeckung des Chaos – Eine Reise durch die Chaos-Theorie, Wien: Carl Hanser Verlag 1990, Seite 22 3 Vgl.: John BRIGGS und F. David PEAT, Die Entdeckung des Chaos – Eine Reise durch die Chaos-Theorie, Wien: Carl Hanser Verlag 1990, Seite 22 Seite 14 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel II.: Chaostheorie – Ein geschichtlicher Überblick weibliche Wesen des Yin steht konträr zum maskulinen Yang, beide ergänzen sich und können durch Ungleichgewicht, beziehungsweise durch eine Störung der Wechselwirkung (siehe babylonische Kultur), wieder zurück ins Chaos führen. Monotheistische Kosmologien, wie auch das Christentum, übernahmen dieses Gedankengut um schließlich ihre Schöpfungsdefinition auch darauf zu begründen. Auch in weiterer Folge scheint das Chaosmotiv in der christlichen Religion in der Form der Sintflut und später durch ein gewaltiges Erdbeben, das sich unmittelbar nach dem Tode Jesu am Kreuz ereignet haben soll, auf. Die milesischen Naturphilosophen (benannt nach dem Zentrum der damaligen Philosophie, der Stadt Milet) Thales und Anaximander unterwerfen das Chaos einer wissenschaftlichen Sichtweise, die praktisch nichts anderes bedeutet als eine Einimpfung der Ordnung. Angenommen wird ein Urstoff (η αρχη) wie zum Beispiel das Wasser, der durch chaotischen Einfluss von Außen die unendliche Vielfalt unserer Natur zum Ergebnis hat. Das entstandene Leben, das die Ordnung darstellt, kann aufgelöst werden und schließlich wieder im Urstoff münden um ein neues Universum entstehen zu lassen. Mit Aristoteles, der den Menschen als ein Wesen das von sich aus nach Wissen strebt beschreibt, distanzierte sich die Wissenschaft aufgrund dieser Ansicht vom Chaos als schöpferische Materie. Er vertritt eine rationale Erklärung der Entstehung der Welt, für ihn steht eine komplexe aber nicht undurchschaubare, sondern hierarchische Ordnung hinter den „τα οντα“, allen seienden Dingen. Aus diesem Konzept entwickelte sich während des Mittelalters und der Zeit der Renaissance die Idee der „Großen Kette des Seins“, eine aufsteigende Skala auf der alle Lebensformen angeordnet werden. Das Mittelalter gilt geschichtlich als eine Zeit des Verfalls der kulturellen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Werte der Menschheit. Das Mystische, das Dunkle und das Unerklärbare werden als der Ursprung alles Lebens angesehen. Dennoch fällt das Auftreten der Alchimisten und Hermetiker, die mit wissenschaftlichen Methoden erfolgreich auf dem Gebiet der Chemie arbeiteten, in diesen Abschnitt der Weltgeschichte. Das Mittelalter ist auf diese Weise betrachtet stark von einem Dualismus geprägt, der Ordnung (=Wissenschaft) und Seite 15 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel II.: Chaostheorie – Ein geschichtlicher Überblick Chaos (=Dunkelheit) zum Inhalt hat und schließlich auch die letzte Koexistenz von Chaos und Ordnung ermöglichte.4 Mit seinem Werk „De revolutionibus orbium coelestium“ versetzt Nikolaus Kopernikus (1473-1543) dem damals als korrekt angenommenen geozentrischen Weltbild einen gewaltigen Schlag. Das Mittelalter, das durch den Papst, die Inquisition und die Kirche im Allgemeinen entscheidend beeinflusst wird, übersteht jene wissenschaftlich Revolution der Renaissance, die im Grunde auf der Wiederentdeckung antiker Philosophie und deren Erkenntnisse beruht, nicht.5 Seit dem Auftreten von dem aus Italien stammenden Galileo Galilei (1564-1642) kann man von klassischer Physik sprechen, da erstmals die Ideologie der errechenbaren Ordnung das Gedankenschema des Chaos besiegt.6 Daraus resultiert auch der Haupt- und Nebenirrtum der klassischen Physik: 1. Hauptirrtum: Die Kenntnis der Ausgangsbedingung und der Gesetze für ein System ergeben dessen zukünftiges Verhalten. Die Begründung für die Adaption in die Gesetze der Physik dieser, aus der Sicht der Chaostheorie falschen Annahme, liegt im leicht verständlichen Grundgedanken und den experimentellen Erfolgen jener 2. Nebenirrtum: Von Natur aus führen ähnliche Ursachen immer zu ähnlichen Wirkungen.7 Galileis Schaffen, das einerseits als Symbol der rationalistischen Revolution gegen Unwissenheit und unerklärbarer Mystik bekannt ist, andererseits ihn als Erfinder und Wissenschaftler preisgibt, überschneidet sich mit dem Wirken des deutschen Astronomen Johannes Kepler (1571-1630), der durch die Entdeckung dreier nach ihm benannter Gesetze der Astronomie einen unverzichtbaren Beitrag zum Verständnis unserer Welt lieferte. Die Beschreibung der Planetenbahnen als Ellipsen und die Erkenntnis, dass ein bestimmtes Zeitintervall ausgehend vom Mittelpunkt auf die zugehörigen momentanen Aufenthaltsorte eines Planeten gemessen, immer ein flächengleiches Dreieck entstehen lässt, gleichgültig welcher Punkt der Ellipsenbahn als Anfangspunkt dient, bilden die Basis für das dritte Axiom 4 Absatz vgl.: John BRIGGS und F. David PEAT, Die Entdeckung des Chaos – Eine Reise durch die ChaosTheorie, Wien: Carl Hanser Verlag 1990, Seiten 23 – 25 5 vgl.: COLLIER`S ENCYCLOPEDIA, Band 7, New York: Macmillan Educational Company 1992, Seite 303 ff. 6 vgl.: COLLIER`S ENCYCLOPEDIA, Band 10, New York: Macmillan Educational Company 1992, Seiten 542 – 546 7 Christian NÜRNBERGER, Faszination Chaos, Stuttgart: Georg Thieme Verlag 1993, Seite 9 Seite 16 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel II.: Chaostheorie – Ein geschichtlicher Überblick Keplers, wonach die Quadrate der Umlaufzeiten zweier beliebiger Planeten im selben Verhältnis zueinander stehen wie die Kuben ihrer großen Halbachsen.8 René Descartes (1596-1650), Mathematiker, erklärt durch seine philosophischen Betrachtungen auch das metaphysische Chaos für irrelevant. Wie Galilei gilt er als Wegbereiter der modernen Wissenschaft. Gleich seinem Zeitgenossen begründet er die Abwendung und Differenzierung von mittelalterlichen Forschungsmethoden. 9 Die Lehre des Rationalismus bezieht sich auf die drei Descartes’schen Erkenntnisstufen10: 1. Zweifel: Um korrekte wissenschaftliche Erkenntnis zu gewährleisten und sie von falschen Hypothesen zu differenzieren, muss zuerst die gesamte Welt bezweifelt werden. 2. Erkenntnis: Der Mensch, der zweifelt, kann die Materie mit der er zweifelt als Einzige nicht bezweifeln. 3. Schluss: „Cogito ergo sum“ (=Ich denke also bin ich); Das Denken ist der alleinige Weg zur Verständnis der Welt. 4. Anwendung: a) Der Mensch muss folglich sich selbst (res cogitans) von der res extensa (zu beobachtende Umwelt) unterscheiden. b) Falls Vollkommenheit, also Gott, angenommen wird, so muss er auch tatsächlich existieren, da die Eigenschaft der Existenz eine Bedingung für jene der Vollkommenheit ist. Die zwei Giganten Der Physiker, Mathematiker und Naturphilosoph Sir Isaac Newton (1642-1727) wird in Woolsthorpe, Lincolnshire, England geboren. Er entwickelt sehr früh großes Interesse für wissenschaftliche Arbeit, da er während seiner Schulzeit behelfsmäßig als Apothekergehilfe eingestellt mit chemischen Prozessen 8 vgl.: COLLIER`S ENCYCLOPEDIA, Band 14, New York: Macmillan Educational Company 1992, Seiten 50 – 51 9 vgl.: COLLIER`S ENCYCLOPEDIA, Band 8, New York: Macmillan Educational Company 1992, Seiten 50 – 51 10 vgl.: René DESCARTES, Meditationes de Prima Philosophia, übersetzt von Gerhart Schmidt, Stuttgart: Reclam 1986, Seite 79 Seite 17 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel II.: Chaostheorie – Ein geschichtlicher Überblick konfrontiert ist. Sein Bildungsweg beginnt in der „Grantham School of Grammar“ und setzt sich schließlich bis zu seiner Arbeit am „Trinity College“ beziehungsweise seiner Zeit auf der „University of Cambridge“ fort. Seine ersten ernsthaften wissenschaftlichen Forschungen beziehen sich auf den Bereich der Optik. Durch die Verwendung eines Prismas konnte Newton eine Aufspaltung dieses Lichts in seine einzelnen Bestandteile erreichen und somit zeigen, dass gewöhnliches, weißes Licht aus einer Vielzahl verschiedener Farben besteht. Diese Farbenskala, die Newton korrekt als Resultat der jeweiligen Brechbarkeit eines Lichtstrahls abhängig von dessen Farbe begründet, nennt man Lichtsprektum. Der Physiker wird eine Reflektion der damals aktuellen Form eines Teleskops als einzige Anwendung seiner Erkenntnisse im Bereich der Optik belassen. Seine Experimente mit weißem Licht (Sonnenlicht) führen zu Ehrungen und Newton wird zu schließlich zu einem „Master of Arts“ ernannt. Die darauf folgende Zeit ist primär mathematischen Arbeiten gewidmet. Nicht umsonst wird der Physiker als ein Schöpfer der „Differentialrechnung“ bezeichnet. In seinem Werk „De Analysis“ beschreibt Newton seine sämtlichen Aufzeichnungen zum Bereich dieser neuartigen Rechenmethodik, die es erlaubt Bewegungen und Verlauf eines Systems in mit unwahrscheinlicher Genauigkeit im Voraus zu bestimmen. Das Hauptaugenmerk von Newtons wissenschaftlichem Nachlass liegt in seinen Entdeckungen bezüglich der Gravitation. Er führt erstmals eine Lösung für das Problem der Planetenlaufbahnen (eig.: deren genauer Berechnungen) ein, das er unter Mithilfe der Zentripedalkraft, die die Eigenschaft einer Fernwirkung ohne Trägermedium besitzt und der großen unfassenden Idee der Gravitation löst. Aufgrund seiner Entdeckungen werden auch Erklärungen für weitere Phänomena, wie den Gezeiten und der Irregularität der Mondbewegung, erzielt. Zusammengefasst werden diese Beobachtungen in dem Œuvre „Philosophiae naturalis principia mathematica“ (=mathematische Grundsätze der Naturphilosophie), wobei Philosophie damals die Bedeutung des heutigen Wortes Physik einnimmt. Newton erklärt allgemein das Verhalten eines großen Teils der unbelebten Materie und vertritt die Meinung, dass sämtliche übrigen Vorgänge (jene, die man sich zu dieser Zeit noch nicht erklären konnte, darunter fällt auch das Phänomen „Chaos“) nach ähnlichen Prinzipien geschehen. Seite 18 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel II.: Chaostheorie – Ein geschichtlicher Überblick Ab seiner Vorgehensweise der methodischen Schlussfolgerung, die er aus bereits bekannten, in mathematische Terme miteinbezogenen Fakten zieht, wird die Physik erstmals zu einer Wissenschaft der Vorhersage.11 Pierre Simon Marquis de Laplace (1749-1827) ist jener Wissenschaftler, der mit seiner Hypothese der Planbarkeit der Zukunft dem Reduktionismus (eig.: der klassischen Physik) jenen Nachdruck verliehen hat um dieser Weltanschauung ein Fortbestehen bis in unsere Zeit zu ermöglichen. Laplace wird in Beaumont-en-Auge geboren durchschreitet eine Ämterlaufbahn im damaligen Frankreich. Vorerst Minister des Inneren, wird er Senator und schließlich vorsitzender Kanzler des Senats. In seinem ersten Werk „Exposition du système du monde“ beschäftigt er sich hauptsächlich mit der Entstehung unseres Sonnensystems. Seine Hypothese orientiert sich hierbei an der des Philosophen Immanuel Kant, der damit dem religiösen Dogma seiner Zeit, wonach der Zustand des Universums seit seiner göttlichen Erschaffung unverändert und unveränderlich sei, widersprach. Die Natur bedarf also für ihre Entwicklung keines göttlichen Anstoßes von außen. Laplace nahm für sein gleichermaßen auch auf den Newtonschen Gesetzen fußendes Weltmodell eine anfängliche Ursonne an, die aufgrund ihrer schnellen Umdrehung Materie herausschleuderte, die sich in ihrer Äquatorebene zu den Planeten herausbildete. Das Hauptwerk des französischen Physikers, Mathematikers und Astronoms trägt den Titel „Traité de la mécanique céleste“. Es ist eine wissenschaftliche Abhandlung, die das Problem der Planeten- und Sternbewegung von neuem aufgreift. Laplace bringt darin einen mathematischen Beweis für die Unveränderlichkeit der mittleren Entfernung von Planeten zur Sonne ein. Pierre Simon de Laplace gilt heute als der Gründer der Wahrscheinlichkeitsrechnung („Théorie analytique des probabilités“), jene mathematische Neuentdeckung aus der Charles Darwins Evolutionstheorie ihre Basis bezieht, nachdem sie von Ludwig Boltzmann auch in die Physik eingeführt wurde. Darwin gründet sein Werk nämlich auf Laplaces Annahme das Leben entstehe aus einer Wahrscheinlichkeit. Durch die Einführung der Wahrscheinlichkeit in die Wissenschaft ist es wiederum möglich das Chaos als Grundprinzip abzuwenden, der „chaotische“ Anfangszustand wurde im Prinzip 11 zu Newton vgl.: COLLIER`S ENCYCLOPEDIA, Band 17, New York: Macmillan Educational Company 1992, Seiten 467 – 470 Seite 19 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel II.: Chaostheorie – Ein geschichtlicher Überblick durch den „wahrscheinlichen“ Ursprung ersetzt. Der Zufall bringt Komplexität, aber nicht das Chaos.12 Der Reduktionismus Der Reduktionismus wird allgemein-wissenschaftlich als eine „isolierte Betrachtung von Einzelelementen ohne ihre Verflechtung in einem Ganzen oder von einem Ganzen als einfacher Summe aus Einzelteilen unter einer Überbetonung der Einzelteile, von denen aus man induktiv vorgeht“13 beschrieben. Der Reduktionismus vertritt eine klare Gliederung von Veränderung in die zwei Unterteilungen von einerseits Ursache und andererseits Wirkung. Populärwissenschaftlich kann man diese Theorie mit der „Naturanschauung eines Uhrmachers“ vergleichen, der seine „Welt“ (also die Uhr) auseinander nimmt um sie schließlich wieder, nachdem sie gründlich auf ihre Grundlagen (in Beziehung auf den Uhrmacher z.B.: ein Fehler im Uhrwerk) zusammenzusetzen. auseinander nehmen und wieder zusammensetzen. Eine Vorgehensweise, die nach der Lehre des Reduktionismus genau so für die komplexe Natur, wie für die dagegen einfache Technik der Uhr gilt. Da die Welt als riesiges Uhrwerk dargestellt wird, ist ein Momentanzustand eines Systems die Folge eines vorherigen Zustandes. Für die Wissenschaftler dieser Zeit - vor allem für Pierre Simon Marquis de Laplace - ist somit eines klar: Die Verschmelzung aller (Natur-)Gesetze eines Systems führt zu einer absolut korrekten Vorhersage der Zukunft. Die Zukunft der Welt liegt also theoretisch in folgenden Hypothesen Laplaces verborgen: 1. Anfang und Ende der Welt sind kausal verbunden 2. Bei Kenntnis aller Naturgesetze und Bestimmungsgrößen läge der Wissenschaft sowohl die Zukunft als auch die Vergangenheit offen. Dass jedoch berechenbare Vorgänge in der Natur, also die Voraussetzung für die Erforschung der Naturgesetze, die Ausnahme sind, und das Chaos die Regel, ist unvorstellbar. Chaos war der damaligen Ansicht nach nur Komplexität, die irgendwann lösbar werden würde. zu Laplace vgl.: COLLIER`S ENCYCLOPEDIA, Band 14, New York: Macmillan Educational Company 1992, Seite 323; John BRIGGS und F. David PEAT, Die Entdeckung des Chaos – Eine Reise durch die ChaosTheorie, Wien: Carl Hanser Verlag 1990, Seite 25 ff. 13 DUDEN, Das Fremdwörterbuch, Zürich: Dudenverlag 1990, Band 5, Seite 666 Seite 20 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel II.: Chaostheorie – Ein geschichtlicher Überblick Allgemein kann man also eine Gegenüberstellung des alten, mythischen Chaos und dem reduktionistischen Chaos so beschreiben: Ersteres ist ein aktives Chaos, das durch die Idee der Schöpfung von den Naturvölkern über die alten Hochkulturen bis hin zu Antike besteht. Das Chaos das im Reduktionismus akzeptiert wird ist einerseits nach der Ansicht der Wissenschaft dieser Zeit nur extreme Komplexität, die sich in naher Zukunft lösen lassen wird. Andererseits, und dies ist ein neuer, noch nicht angeführter Aspekt, besteht Chaos im Reduktionismus nur in Form von Entropie. Entropie ist jenes Chaos, das in der Thermodynamik dafür sorgt, dass Energie bei mechanischen Prozessen in Form von Wärme verloren geht. Dieses wird auch im Unterschied zum vorher Erwähnten als passives Chaos bezeichnet, da es nicht schaffend sondern vernichtend auf Systeme einwirkt. Die Energie wird also von unbekannten (sprich chaotischen) Einflüssen geprägt. Der auf dieser Erkenntnis beruhende dritte Hauptsatz der Thermodynamik besagt deshalb, dass Unordnung nie zu Ordnung führt, nur Ordnung zu Unordnung, sowie geordnete Energie in Form von potentieller Energie erst chaotisch werden kann, sofern sie in kinetische Energie übergeht. Dies gilt für isolierte, beinahe stabile Systeme. Anders ist dies für „offene Systeme“ (zum Beispiel der Prozess des Wasserkochens). Der Grund dafür ist, dass Hitze als ein chaoserzeugender Faktor von außen kommt, das heißt kein ursprünglicher Bestandteil des Systems „Wasser und Topf“ ist. Darauf folgt daher zusammengefasst, dass man bezogen auf den Reduktionismus von einer, nur auf bestimmte Bereiche anwendbare Wissenschaft sprechen kann, die fälschlicherweise zu Erklärung aller Systeme herangezogen wird. Für die Chaostheorie und ihre Verfechter gilt die reduktionistische Wissenschaft als ein Synonym für die Unterdrückung des Chaos. Der Fall des Reduktionismus Im einleitenden Teil dieser Arbeit „Was ist Chaos – Eine Einführung“ werden bereits Edward Lorenz Beobachtungen zu einem chaotischen Einfluss beschrieben14, der scheinbar die Wettervorhersage völlig beherrscht. Diese Entdeckung, die schließlich zu einer weltweiten Akzeptanz der Chaostheorie führt, ist ausschlaggebend für die, im 20. Jahrhundert stark 14 Kapitel I.: Was ist Chaos? – Eine Einführung, Seite 11 ff. Seite 21 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel II.: Chaostheorie – Ein geschichtlicher Überblick einsetzende, Bewegung zu einer alternativen Physik, die sich klar von der Weltanschauung des Reduktionismus distanziert. Es gibt allerdings während den letzten 200 Jahren noch weitere Kritikpunkte an der klassischen, reduktionistischen Physik, die wir hier noch kurz zusammenfassen wollen.15 1.) Das Perpetuum mobile: Wie in der Thermodynamik geht während diesem Prozess Energie im Chaos verloren. 2.) Formveränderung von Körpern: Ein alltäglicher Prozess der z.B.: bei einer Wallung von Bauplatten zu beobachten ist. Die Reaktion der klassischen Physik auf schwer zu bestimmenden Bewegungen (=Veränderungen) ist seinerzeit die Erfindung der Differentialgleichung von Newton. Durch diese neue mathematische werden Veränderungen, die durch die Eigenschaft „Kleine Ursache → Kleine Wirkung“ charakterisiert sind. Jene Gleichungen werden als linear bezeichnet. Ein mathematisches Problem ergibt sich insofern, als nichtlineare Differentialgleichungen16 auftreten, die etwa zur Beschreibung von Explosionen, Materialbruch und Erdbeben herangezogen werden. Die Eigenschaft aller nichtlinearen Funktionen ist ähnlich: zuerst unterscheidet sie ihr normaler (scheinbar linearer) Verlauf nicht von anderen Gleichungen, plötzlich jedoch findet durch das Erreichen eines kritischen Punktes ein Übergang ins Chaos statt. Diese Art der Differentialgleichung ist zu dieser Zeit rechnerisch unlösbar, aber durch Näherungsverfahren ist es möglich sämtliche solche Terme ausreichend zu bestimmen. Dieses Procedere wird verwendet bis der Computer erfunden wird, der den Menschen erstmals in die Lage versetzt nichtlineare Gleichungen (ergo: winzige Änderung → unerwartet großes Ausmaß) zu lösen. 15 vgl.: John BRIGGS und F. David PEAT, Die Entdeckung des Chaos – Eine Reise durch die Chaos-Theorie, Wien: Carl Hanser Verlag 1990, Seite 26 ff. 16 vgl.: John BRIGGS und F. David PEAT, Die Entdeckung des Chaos – Eine Reise durch die Chaos-Theorie, Wien: Carl Hanser Verlag 1990, Seite 29 Seite 22 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel II.: Chaostheorie – Ein geschichtlicher Überblick Résumé Letztendlich ist neben der Chaostheorie sowohl die Quantentheorie als auch Einsteins Relativitätstheorie ausschlaggebend dafür, dass wir viele Grundsätze der klassischen Physik durch die neue, moderne Physik heutzutage aus einer anderen Sicht betrachten müssen. Ich möchte mich hier jedoch nicht zu sehr in Details bezüglich der zwei weiteren großen Theorien vertiefen. Denn der Gegenstand der Arbeit, der klar auf den Bereich der Chaostheorie eingeschränkt ist, soll im weiteren Verlauf auch weiterhin im Fokus stehen. Seite 23 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel III.: Chaostheoretische Forschung: Astrophysik – Die KAM-Theorie Was ist die KAM-Theorie? Als Autofahrer ist man ständig dazu aufgerufen auch bei Nichtanwesenheit von jeglichen Kontrolleinrichtungen und Organen, wie Polizisten oder einer Ampel sich gemäß der Straßenverkehrsordnung zu verhalten. Wenn wir dieses Paradigma auf das Universum beziehen so kann man feststellen, dass auch hier gewisse Gesetze herrschen, ohne dass ihre Einhaltung erkennbar erzwungen wäre. Planeten bleiben unter bestimmten Bedingungen auf stabilen Bahnen, deren Einhaltung nicht durch einen physikalischen Zwang, sprich also in diesem Fall durch das Energie- oder Impulserhaltungsgesetz prädestiniert ist. Andere Bedingungen könnten wiederum zur völligen Ausschöpfung der Bewegungsmöglichkeiten, zu einem chaotischen Herumirren im Weltraum führen. Die KAM-Theorie, benannt nach ihren Schöpfern, den Physikern Andrej Kolmogorow, Wladimir Arnold und Jürgen Moser, beschäftigt sich eben mit diesen erwähnten Bedingungen, die ausschlaggebend für die Planetenbewegungen sind, und ihrer weiteren Erforschung. Die KAM-Theorie stellt prinzipiell die Stabilität unseres Sonnensystems in Frage. Unser Sonnensystem und dessen Tücken Sir Isaac Newton (1642-1727)1 stand am Anfang einer langen Reihe von berühmten Physikern, die sich mit der Stabilität unserer Existenz, unseres Planetensystems beschäftigten. Newton diente seine Erfindung der Differentialgleichung zur Beschreibung aller einflussreichen Kräfte in unserem Universum, allen voran die Gravitation. Der Wissenschaftler beschränkte sich bewusst auf die Erforschung der Kräfte im Weltraum, anstatt von Vorne herein die Bewegungen der Planeten zu studieren. Er zerlegte also die Bewegung (=das Ergebnis) in seine einzelnen Faktoren, er umging somit eine unvergleichbare Komplexität. Diese Vorgehensweise in der Wissenschaft nennt man Reduktion, ihre Blütezeit den Reduktionismus2. In weiterer Folge ermöglichte diese Methode Newtons ein theoretisches Vorraussagen aller Bewegungen aller Körper mittels Differentialgleichungen. 1 2 vgl.: Kapitel II.: Chaostheorie – Ein geschichtlicher Überblick, Seite 17 ff. vgl.: Kapitel lI: Chaostheorie – Ein geschichtlicher Überblick, Seite 20 Seite 24 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel III.: Chaostheoretische Forschung: Astrophysik – Die KAM-Theorie Pierre Simon Marquis de Laplace (1749-1827)3 zog ein ähnliches Résumé. Die Wissenschaft könnte mithilfe der Kenntnis einer so genannten Weltformel sämtliche Zustände jedes Systems in der Vergangenheit und in der Zukunft bestimmen (vgl. Chaostheorie – Ein geschichtlicher Überblick). Dass Laplace ebenso wie Newton seine Differentialgleichungen mit Lösungen bestätigen konnten, begründet seine Annahme einer prinzipiellen Vorhersagbarkeit der Wissenschaft. Was in dieser reduktionistischen Weltanschauung verborgen bleibt ist, dass derartige, lösbare Differentialgleichungen nur die Ausnahme sind. Normalerweise wird zu vollständigen Beschreibung eines Systems ein komplexes Gleichungssystem benötigt. Joseph Louis Lagrange (1736-1813) und Siméon Denis Poisson (1781-1840) scheiterten ebenfalls bei ihrem Versuch die Stabilität des Sonnensystems zu beweisen. Die beiden Wissenschafter konnten zwar laut ihren Berechnungen von einer Regelmäßigkeit über nächsten 300000 Jahre hinweg sprechen, die der Zeit des Reduktionismus eine gewisse Beruhigung verschaffte und sie vor dem Einsturz bewahrte.4 Die Schwierigkeit in der Prognose von Planetenbewegungen liegt im Langzeitverhalten dieser, sobald man zur Berechnung die Einflüsse von mehr als zwei Planten zueinander mit einbezieht. Die Hypothese des Grauens5, die die Instabilität unseres Sonnensystems beschreibt, zeigt auch wie leicht ein Planet von seiner ursprünglichen Bahn entweder in Richtung Sonne oder aus unserem Sonnensystem hinaus abdriften könnte. Die KAM-Theorie beschäftigt sich nun speziell mit diesem „n-Körper-Problem“, das die Beziehung einer Anzahl von n Körpern (wobei n > 2 ist) zueinander beschreibt. Jupiter und Saturn – Die Grenzen der Stabilität Um das „n-Körper-Problem“6 nun etwas genauer zu beschreiben, werden wir es durch die Schilderung der Beziehung Jupiter und Saturn erklären, wobei die Sonne immer als dritter Körper angenommen wird. Das Verhältnis der Umlaufzeiten der Planeten Jupiter und Saturn um die Sonne beträgt 5:2. Dieses rationale Verhältnis ist der Grund für einen großen Unsicherheitsfaktor in der Stabilität der zwei Planetenbahnen. Die zwei Planeten nehmen aufgrund dieser Beziehung periodisch 3 vgl.: Kapitel II.: Chaostheorie – Ein geschichtlicher Überblick, Seite 19 vgl.: Kapitel II.: Chaostheorie – Ein geschichtlicher Überblick, Seite 21 ff. 5 vgl.: Kapitel I.: Was ist Chaos? – Eine Einführung, Seite 13 4 6 HUBBARD Burke Barbara und HUBBARD John, Gesetz und Ordnung im Universum: Die KAM-Theorie (Artikel, erschienen 1994 im Spektrum der Wissenschaft), Seite 13 Seite 25 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel III.: Chaostheoretische Forschung: Astrophysik – Die KAM-Theorie selbe Positionen zueinander ein. Man bezeichnet dieses Wandern von Positionen, die in ihren Distanzen zueinander gleich bleiben, als eine Schwingung, die aus unendlich vielen, kleinen Frequenzen besteht. aus: HUBBARD Burke Barbara und HUBBARD John, Gesetz und Ordnung im Universum: Die KAM-Theorie (Artikel, erschienen 1994 im Spektrum der Wissenschaft), Seite 11 Durch die Anziehung der Planeten entstehen kaum messbare Störungen in deren Laufbahnen, die diese Frequenzen minimal verändern. Bei einer Aufsummierung jedoch kann diese Entwicklung zu einer „Resonanzkatastrophe“ führen, also zu einer Aufschaukelung der Bewegungen zueinander. Man kann das Geschehen anhand eines einfachen Beispiels verdeutlichen. Eine Kinderschaukel zeigt im Prinzip die ständige Addition von Kräften sehr gut. Wenn die Summe dieser einen gewissen Punkt übersteigt, kann die Schaukel überschlagen. Übersetzt auf die Planetenbeziehung von Jupiter und Saturn würde dies bedeuten, dass einer der zwei Planeten, oder gar alle beide aus ihren Umlaufbahnen geschleudert werden. Noch fataler: es gibt im freien Weltraum für diese Störung keinen Ausgleich mehr, da keine Reibung besteht. In der Wissenschaft löst diese These große Konflikte aus. Jean-Baptiste Biot7 (1774-1862) sieht aufgrund des rationalen Verhältnis (5:2) auch in kleinsten Störungen große Probleme, während sein Opponent Karl Weierstraß8 (1815-1897) fälschlicherweise dementiert. Seiner Meinung nach ist das rationale Verhältnis bedeutungslos, da jeder rationalen Zahl eine irrationale beliebig nahe ist. 7 8 vgl.: dtv-Lexikon, München: DTV-Verlag 1980, Band 2 (Ban-Buch), Seite 158 vgl.: dtv-Lexikon, München: DTV-Verlag 1980, Band 20 (Walp-Zz), Seite 60 Seite 26 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel III.: Chaostheoretische Forschung: Astrophysik – Die KAM-Theorie Die Tatsache, dass die komplexen Gleichungen der Astrophysik einfach nicht mit den Bewegungsabläufen im Sonnensystem beziehungsweise im Universum in Einklang zu bringen sind, wird heute als „Problem der kleinen Nenner“9 bezeichnet. Sobald man Newtons Bewegungsgleichungen mit dem Faktor der Anziehungskraft (=Gravitationskraft) zweier Planeten erweitert, entsteht ein quasiperiodischer Bewegungsablauf. Der quasiperiodische Bewegungsablauf Grundsätzlich wird bei dem vorher erklärten Prozess die periodische durch eine quasiperiodische Bewegung ersetzt. Diese ist immer noch eine Überlagerung unendlich vieler Frequenzen, die auch dieselbe Stabilität als Konsequenz bewirken. Die Bewegung selbst bleibt immer in bestimmten Grenzen, sie wiederholt sie fast periodisch genau, man kann jedoch minimale Abweichungen zur periodischen Bewegung feststellen. Der Wissenschafter Jean-Baptiste Fourier (1768-1830) begründet, dass sich jede periodische Funktion durch eine Summe von unendlich vielen Sinus- und Cosinuskurven darstellen lässt. Jede einzelne Kurve wird hierzu auch mit einem Koeffizienten multipliziert. z.B.: f(x) = sin x + ⅓ sin 3x + ¼ sin 4x ………….¹⁄n sin nx Diese Summe dieser Kurven nennt man Fourier-Reihe.10 Mit Derive erstellte Grafik: Kilian Rieder, 14.1. 2005 9 vgl.: HUBBARD Burke Barbara und HUBBARD John, Gesetz und Ordnung im Universum: Die KAM-Theorie (Artikel, erschienen 1994 im Spektrum der Wissenschaft), Seite 12 10 zu Fourier: vgl.: HUBBARD Burke Barbara und HUBBARD John, Gesetz und Ordnung im Universum: Die KAMTheorie (Artikel, erschienen 1994 im Spektrum der Wissenschaft), Seite 24 Seite 27 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel III.: Chaostheoretische Forschung: Astrophysik – Die KAM-Theorie Die Existenz von stabilen und gleichzeitig aber quasiperiodischen Bahnen könnte man durch die Konvergenz der dazugehörigen Fourierreihe beweisen. Eine Konvergenz bedeutet in diesem Fall die Annäherung an einen Limeswert (=Grenzwert). Dieser Grenzwert ist in Fall dieses Beweisversuchs für uns die periodische Funktion, an die wir unsere quasiperiodische Funktion annähern. Es handelt sich in diesem Prozess um nichts anderes als eine Asyptotenbestimmung, da die Bedingung für das Erreichen des Limeswerts darin besteht, dass die Koeffizienten gegen Null streben. Zu diesem Zweck muss die Variable n11, also der Nenner, unendlich groß sein. Im speziellen Fall von Jupiter und Saturn enthält die passende Fourier-Reihe eine unendliche Anzahl sehr kleiner Nenner (daher auch der Name „Problem der kleinen Nenner“) und lässt dadurch sehr große Zahlen insgesamt entstehen. Es ergibt sich also ein Problem die Konvergenz zu beweisen, die die Annahme bestätigen würde, dass periodische und quasiperiodische Systeme praktisch dieselben Eigenschaften besitzen. Jules Henri Poincaré (1854-1912) und George Birkhoff (1884-1944) bestätigen diese Unmöglichkeit der Konvergenz auch mit ihren Untersuchungen. Carl Ludwig Siegel (18961981) konnte die Konvergenz der Quasiperiodik und der Periodik selbst im 20. Jahrhundert für bestimmte Fälle solcher Fourier-Reihen beweisen, die Beziehung von Jupiter und Saturn jedoch gilt bis heute als höchst konvergenz-unwahrscheinlich. Die These des „n-Körper-Problems“ beinhaltet außer den bereits bekannten physikalischen Gesetzen keine weiteren Richtlinien für die Bewegung der Planeten. Es gibt also in diesem Sinne nichts, das die trotz allem stabile Bahn der Planetenbewegungen erklären würde. Jules Henri Poincaré beschreibt dieses als ein Phänomen, das unendlich kompliziertere analytische Methoden erfordert als die bereits bis zu diesem Zeitpunkt bekannten. Laut dem Physiker stellt das Problem eine beispiellose Schwierigkeit dar.12 Das Dreikörpermodell von Poincaré Um die Nichtexistenz von weiteren Erhaltungsgrößen von Planetenbahnen zu beweisen führt Jules Henri Poincaré ein vereinfachtes Modell dieser Dreikörperproblems ein. Der Wissenschaftler nimmt hierzu zwei Körper mit gleicher Masse an, die sich auf Ellipsenbahnen 11 12 vgl.: mit dem in diesem Kapitel auf Seite 27 angeführten Beispiel für eine Fourier-Reihe vgl.: HUBBARD Burke Barbara und HUBBARD John, Gesetz und Ordnung im Universum: Die KAM-Theorie (Artikel, erschienen 1994 im Spektrum der Wissenschaft), Seite 15 ff. Seite 28 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel III.: Chaostheoretische Forschung: Astrophysik – Die KAM-Theorie um einen gemeinsamen Brennpunkt bewegen. Der gesamte Vorgang findet aufgrund der in der Folge wesentlich leichteren Berechnungen der Bahnen und ihrer Eigenschaften auf derselben Raumebene statt. Im Brennpunkt befindet sich eine zu dieser Ebene normal stehende Gerade, die die Bahn eines dritten Körpers (in Poincarés Beispiel ein Komet) symbolisiert, der in permanenter Auf- und Abbewegung diese Ellipsenebene durchstößt. Poincaré beschäftigte sich nun mit der Beschreibung des Gesamtzustandes des Systems zu gerade jenen Zeitpunkten an denen der dritte Körper die besagte Ebene schneidet beziehungsweise durchdringt, das heißt alle drei Körper befinden sich zu diesem Zeitpunkt auf einer Ebene.13 Die hier abgebildete Grafik soll das erklärte System nochmals veranschaulichen: aus: HUBBARD Burke Barbara und HUBBARD John, Gesetz und Ordnung im Universum: Die KAM-Theorie (Artikel, erschienen 1994 im Spektrum der Wissenschaft), Seite 14, 15 Um dieses Geschehen graphisch festzuhalten bietet sich eine Methode an die heute nach ihrem Entdecker der Poincaré-Schnitt genannt wird. Mittels dieser Darstellung kann die Anzahl der Dimensionen, die zur genauen Beschreibung dieses Systems notwendig sind auf nur zwei reduziert, eine Tatsache, die die Beobachtung eines dynamischen Systems wie diesem auch entscheidend vereinfacht. Die eine Koordinatenachse bezeichnet die Kometengeschwindigkeit (die Geschwindigkeit des dritten Körpers) zu exakt diesem Zeitpunktes des Durchstoßes, während die andere die Jahreszeit (eigentlich den Zeitpunkt des Durchstoßes in Bezug auf die Aufenthaltsorte der zwei anderen Körper auf ihren Ellipsenbahnen) im Moment des Durchbruchs. Man wählt einen Anfangspunkt, einen beliebigen Zustand des Systems, den man in das Koordinatensystem einträgt um schließlich von diesem aus alle zukünftigen Durchbrüche für einen gewissen, festgelegten Zeitraum einträgt. 13 zu „Das Dreikörpermodel von Poincaré“: vgl.: HUBBARD Burke Barbara und HUBBARD John, Gesetz und Ordnung im Universum: Die KAM-Theorie (Artikel, erschienen 1994 im Spektrum der Wissenschaft), Seite 16 Seite 29 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel III.: Chaostheoretische Forschung: Astrophysik – Die KAM-Theorie Die homokline Verflechtung Aus diesem Gedankenexperiment ergeben sich für uns zwei voneinander stark differenzierte Résumés. Zum einen kann man das System als ein streng deterministisches bezeichnen, da ja zukünftige Durchstoßungszeitpunkte vorhersagbar sind. Es besteht also diese eigentümliche Ordnung, dass ohne schwerwiegende Beweggründe eine gewisse Struktur herrscht, auch in diesem, in Bezug zur Realität gesehen, stark simplifiziertem Modell. Auf der anderen Seite stößt man sobald die Punkte in Graphen übertragen werden (es wird also nur die Darstellungsform geändert) auf eine erschreckende Komplexität, die Poincaré in weiterer Folge genauer betrachtet. In seinem Werk „Les méthodes nouvelles de la mécanique céleste“ bezeichnet Jules Henri Poincaré14 dieses undurchdringliche Gewirr von Graphen, das bei genügender Vergrößerung noch deutlicher zu sehen ist, als homokline Verflechtung (griech. οµός = ähnlich, gleich; κλίνω = beugen, biegen;). Nichts sei seiner Meinung nach besser geeignet der Allgemeinheit eine Vorstellung von Schwierigkeit des Dreikörperproblems zu geben. Die homokline Verflechtung besteht in ihren Hauptkomponenten aus zwei Kurven, die sich aus der vorhin genannten Änderung der Darstellungsform ergeben, wobei jeder Punkt dieser Graphen eine Bewegung des Kometen (= der dritte Körper) repräsentiert. Eine der Kurven hat stabile Eigenschaften, während die andere sich durch ihre Instabilität auszeichnet. aus: HUBBARD Burke Barbara und HUBBARD John, Gesetz und Ordnung im Universum: Die KAM-Theorie (Artikel, erschienen 1994 im Spektrum der Wissenschaft), Seite 14, 15 14 vgl.: COLLIER`S ENCYCLOPEDIA, Band 19, New York: Macmillan Educational Company 1992, Seiten 169 Seite 30 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel III.: Chaostheoretische Forschung: Astrophysik – Die KAM-Theorie Homokline Verflechtung Seite 7: als zusammenhängende Kurven Seite 8: Vergrößerung des Verflechtungsmittelpunktes aus: HUBBARD Burke Barbara und HUBBARD John, Gesetz und Ordnung im Universum: Die KAM-Theorie (Artikel, erschienen 1994 im Spektrum der Wissenschaft), Seite 14, 15 Poincarés Berechnungen Poincaré wendet nun, um seiner eigenen Intention, dem Beweis einer Nichtexistenz weiterer Richtlinien für das stabile Verhalten der Planetenbahnen weiter nachzugehen, eine bekannte Methode der Chaosforschung an um zukünftige Eigenentwicklungen eines Systems zu beschreiben, die Iteration15. Man wählt einen Punkt der stabilen Kurve und iteriert diesen, das heißt man wartet eine volle Periode des dritten Körpers ab und beobachtet schließlich wieder das Verhalten zu diesem Anfangszeitpunkt. Als Ergebnis zeigt sich, dass alle erhaltenen neuen Werte (sprich Punkte) konstant auch auf der stabilen Kurve liegen und ein asymptotisches Verhalten in Richtung eines bestimmten periodischen Punktes; der dritte Körper nimmt also ein periodisches Verhalten an. Bei der Anwendung des selben Prozesses auf einen Punkt des instabilen Graphen, auch wenn dieser von seinen Werten her betrachtet beliebig nahe an dem vorhin gewählten Punkt der stabilen Kurve liegt, führt dies trotzdem zu einem sehr gegensätzlichen Verhalten, es ist also nicht periodisch. Kehrt man jedoch die Iteration um und wendet auf den instabilen Anfangspunkt den umgekehrten Prozess an, führt dies gleich dem iterierten stabilen Punkt überraschender Weise zu einem periodischen und asymptotischen Verhalten. Poincarés Schlussfolgerung ist konsequent logisch. Beide Kurven schneiden sich gegenseitig in einer homoklinen Verflechtung unendlich oft, die Schnittpunkte sind die in den Iterationsprozessen errechneten Punkte, die angenähert werden. Die Kurven in sich schneiden sich selbst nie, sie sind jedoch extrem feinfasrig strukturiert, da sie ja jeden beliebigen Punkt im Bewegungsfeld des dritten Körpers annehmen können müssen. Daraus resultiert auch die homokline Verflechtung. 16 15 16 vgl.: Kapitel I: Was ist Chaos? – Eine Einführung, Seite 8 ff. vgl.: HUBBARD Burke Barbara und HUBBARD John, Gesetz und Ordnung im Universum: Die KAM-Theorie (Artikel, erschienen 1994 im Spektrum der Wissenschaft), Seite 17 Seite 31 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel III.: Chaostheoretische Forschung: Astrophysik – Die KAM-Theorie Dass Poincaré auf seiner Suche nach weiteren Erhaltungsgrößen für das Dreikörpersystem beziehungsweise das „n-Körper-Problem“ nicht erfolgreich war, begründet sich in seiner folgenden Erklärung. Eine Erhaltungsgröße ist nichts anderes als eine trotz der vergangenen Zeit konstante Kurve des Systems, wobei sich die Entwicklung des gesamten Systemkurve an den Punkten dieser Erhaltungsgröße (konstante Kurve) orientiert beziehungsweise diese Punkte der graphisch dargestellten Gesetzmäßigkeit durchläuft, mit denen sie den gleichen Funktionswert teilt. Graphisch zeichnet sich die Kurve einer Erhaltungsgröße durch besonders glatte Verläufe aus, das bedeutet es gibt keine Unregelmäßigkeiten. Poincaré, der folglich in seinem Konzept nach solchen glatten Kurvenverläufen sucht, ist nicht erfolgreich. Er schließt daraus, dass die Existenz eines weiteren Erhaltungsgesetzes aufgrund des Gewirrs der homklinen Verflechtung unmöglich ist. Poincaré beendet seine Arbeit in der Meinung eine Lösung für das Dreikörperproblem gäbe es nicht. Das KAM-Theorem Der russische Mathematiker Andrej Kolmogorow (1903-1987) widerlegt 1954 in Amsterdam auf einem internationalen Kongress Poincarés Behauptung. Er beweist graphisch, dass stabile Bahnen (z.B.: Planetenbahnen) auch ohne bestimmte Erhaltungsgrößen ihre Eigenschaft beibehalten. Seiner These nach ist dieses Verhalten sogar der Regelfall. Das KAM-Theorem an sich wird schließlich 1962 von Jürgen Moser und Wladimir Arnold mathematisch bewiesen. Dieser KAM-Satz gilt für jedes reibungsfreie Problem der klassischen Mechanik in der Physik.17 Die Wissenschaftler erzeugen wie Poincaré seinerzeit ein modellhaftes dynamisches System anhand einer gestörten Version eines Behelfssystems. In der Natur ist dieses dynamische System von Grund auf gegeben und übersetzt bedeutet die Gravitation (also die Anziehungskraft zweier Planeten zueinander) die permanent auftretende Störung. Die Beobachtung ihres Modells zeigt, dass alle Bahnen stabil bleiben sofern sie einer hinreichend kleinen Störung ausgesetzt sind. Das System funktioniert also nach einer einfachen Regel, nach der das Maß der resultierenden Instabilität von der Stärke eine Störung abhängt. Allerdings sind die Bewegungen ab der eintretenden Störung (im Fall der Planeten seit ihrem Entstehen) nicht mehr in periodischer Form sondern in quasiperiodischer Form 17 vgl.: HUBBARD Burke Barbara und HUBBARD John, Gesetz und Ordnung im Universum: Die KAM-Theorie (Artikel, erschienen 1994 im Spektrum der Wissenschaft), Seite 17 ff. Seite 32 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel III.: Chaostheoretische Forschung: Astrophysik – Die KAM-Theorie anzufinden (vgl. Chaostheoretische Anwendungen - Der quasiperiodische Bewegungsablauf). Es kristallisieren sich in der Folge drei wesentliche, mögliche Zustände für das „n-KörperProblem“ beziehungsweise für die Bewegungsabläufe dieser Körper heraus. 1.) Es gibt Körper, die sich in ihrem Verhalten offensichtlich an Gesetze halten, die für uns nicht beweisbar sind. 2.) Es gibt Varianten dieses „n-Körper-Problems“, die völlig chaotische Bewegungen auslösen und unberechenbar sind. 3.) Es entstehen in diesem Meer von Chaos und Unvorhersagbarkeit so genannte Inseln der Ordnung, auf denen die in Punkt 1.) beschriebenen Gesetze gelten. Die Planeten Jupiter und Saturn liegen rein zufällig auf einer solchen, die die Stabilität ihrer Bahnen trotz ihres gefährlichen rationalen Verhältnisses gewährleistet.18 Die abgebildete Grafik zeigt diese „Inseln der Ordnung“ als weiß umrahmte Flächen. aus: HUBBARD Burke Barbara und HUBBARD John, Gesetz und Ordnung im Universum: Die KAMTheorie (Artikel, erschienen 1994 im Spektrum der Wissenschaft), Seite 38 Die KAM-Theorie besagt nun, wann sich ein Gesamtsystem, das von einem „n-KörperProblem“ betroffen ist, entweder in einem chaotischen oder einem geordneten Zustand befindet. Zur Berechnung dieser Zustände (es handelt sich natürlich wieder ein deterministisches = wissenschaftliches Chaos) wird ein sehr schnelles Eintreten der Konvergenz19 vorausgesetzt, da nur so das „Problem des kleinen Nenners“ umgangen werden kann. Um dies zu erreichen wendet man die Methode der rationalen Approximation an. Das ist eine Vorgehensweise, bei der der Schwerpunkt auf der Frage liegt ob ein System durch eine irrationale Rotationszahl (das Verhältnis der Umlaufzeiten von n-Körpern) gekennzeichnet ist. Ist dieser Fall gegeben wird die diophantische Eigenschaft der irrationalen 18 vgl.: mit dem in diesem Kapitel auf Seite 25 beginnenden Artikel „Jupiter und Saturn – Die Grenzen der Stabilität“ 19 vgl.: mit dem in diesem Kapitel auf Seite 27 beginnenden Artikel „Der quasiperiodische Bewegungsablauf“ Seite 33 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel III.: Chaostheoretische Forschung: Astrophysik – Die KAM-Theorie Zahl untersucht. Eine diophantische, rationale Zahl zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich schlecht durch rationale Zahlen annähern lässt. Das KAM-Theorem besagt hierzu, je diophantischer, sprich komplexer eine irrationale Zahl ist, desto leichter überstehe sie paradoxerweise eine Störung. Das Hauptproblem bei dieser Berechnung ist der Prozess der rationalen Approximation, da sie mithilfe eines Computers nicht errechenbar ist. Alle auf dem PC dargestellten irrationalen Zahlen sind in Wirklichkeit rational, dies ist eine Konsequenz der automatischen Rundung, die ein Computer durchführt. Zusätzlich zu dem Verhalten einer irrationalen Rotationszahl, existiert das Phänomen des rationalen Verhältnisses, wie wir es bei Jupiter und Saturn bereits angetroffen haben. Das KAM-Theorem beschreibt diese Konstellation als ein System, das über einen selbst korrigierenden Effekt20 verfügt. Durch die quasiperiodische Bewegung werden kleine Störungen, die durch die Gravitation der beiden Planeten entstehen, ausgeglichen. Denn klar definierte Punkte innerhalb der periodischen Bahnen verschwimmen durch die Quasiperiodik zu den bereits erwähnten Inseln der Ordnung, die eine gewisse Toleranzgrenze für unregelmäßige Bewegungen als Eigenschaft mit sich führen. Diese besondere Situation der Planetenbahnen von Jupiter und Saturn schließt jedoch nicht aus, dass bei einer zu großen Störung doch eine chaotische Bahn entsteht und einer der Planeten in das Weltall abdriftet. Das bedeutet wissenschaftlich gesehen, dass diese Inseln der Ordnung direkt neben chaotischen Feldern liegen können. Ordnung und Chaos trennt in diesem speziellen Fall, wie im Allgemeinen, nur eine hauchdünne Grenze. Zusammenfassend ist zu sagen, dass die KAM-Theorie auf viele Rätsel des „n-KörperProblems“ eine Antwort gefunden hat, größtenteils aufgrund von Abschätzungen und Approximation irrationaler und rationaler Zahlen und deren Auswirkungen. Es bleiben jedoch stets Bewegungen (z.B.: bestimmte Planetenbahnen), die aufgrund ihrer Komplexität nicht erklärbar sind. Anwendungen in der modernen Physik sind dennoch zahlreich gegeben. Bei dem Prozess einer Teilchenbeschleunigung verhilft die KAM-Theorie zu einer exakten Konstruktion der Speicherringe, auf denen Protonen mit riesiger Geschwindigkeit bis zu 1011 Umläufe vollbringen. Die KAM-Theorie beweist, dass Ordnung nicht immer Gesetzen zu Grunde liegt, sondern auch eine intrinsische Eigenschaft eines Systems sein kann. 21 20 HUBBARD Burke Barbara und HUBBARD John, Gesetz und Ordnung im Universum: Die KAM-Theorie (Artikel, erschienen 1994 im Spektrum der Wissenschaft), Seite 21 21 vgl.: HUBBARD Burke Barbara und HUBBARD John, Gesetz und Ordnung im Universum: Die KAM-Theorie (Artikel erschienen 1994 im Spektrum der Wissenschaft), Seite 23 Seite 34 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel IV.: Chaostheoretische Forschung: Biophysik / Medizin – Das Herzkammerflimmern Chaos in der Medizin Wenn wir uns vorstellen von einem Arzt behandelt zu werden der die neuesten Forschung der Chaostheorie verwendet um einen Patienten zu heilen, so klingt dies für uns wenig vertrauen erweckend. Wir wundern uns innerlich wie es möglich ist Organe mittels chaostheoretischen Entdeckungen zu heilen beziehungsweise ihre Eigenschaften zu erforschen. Weil an dem Begriff Chaos heute immer noch eine negative Bedeutung haftet, die dieses Wort als unbezwingbares Durcheinander erscheinen lässt, ist es für uns unvorstellbar ihn als ein in der Medizin zielführendes Mittel zu akzeptieren. In diesem Kapitel wird ein bestimmter Anwendungsbereich der chaostheoretischen Kenntnisse in der Medizin genauer erläutert, der einerseits den größten allgemeinen Bekanntheitsgrad besitzt und andererseits die bedeutendsten Erkenntnisfortschritte auf medizinischer Ebene erzielen konnte. Vorweg will ich zum besseren Verständnis kurz eine Einführung in die medizinische Definition von Chaos anführen. Der physikalische und medizinische Chaosbegriff – Ein Vergleich Durch ein Gespräch mit Prim. Univ. Doz. Dr. Christian Datz, dem Vorstand der internen Abteilung des allgemein öffentlichen Krankenhauses in Oberndorf, konnte ich mich über die Richtigkeit meiner Notizen zu dem Thema „Kammerflimmern“, das ich Laufe dieses Kapitel genauer erläutern werde, erkundigen. Die Diskussion ermöglichte es mir zwischen verschiedenen Herzkrankheiten differenzieren zu können und somit Missverständnisse zu vermeiden beziehungsweise eine Konzentration auf ein zentrales Thema zu erzielen. Es wurde mir auch erstmals wirklich klar, dass es einen sehr deutlichen Unterschied zwischen Medizin und Physik auf der einen Seite und Philosophie auf der anderen Seite bezüglich der Sichtweise beziehungsweise der Definition von Chaos gibt. Die Frage, welchen Zustand eines Systems wir als Chaos bezeichnen muss meiner Meinung nach neu überdacht werden. Das philosophische Chaos ist jenes wie es in einem vorhergehenden Kapitel1 beschrieben wird. Danach ist unser Leben vom Chaos bestimmt, jene Dinge, die wir als geordnet kennen sind nur kleine Inseln der Ordnung in einem Meer von Chaos. Wir leben also so gesehen in einer chaotischen Welt, die manchmal durch Ordnung unterbrochen wird. Die Medizin schildert den Einfluss von Chaos in unserer Welt als völlig unterschiedlich. So wird besagt, dass unser Dasein bis ins kleinste Detail geordnet ist. Bedenkt man dabei zum 1 vgl.: Kapitel I: Was ist Chaos? – Eine Einführung Seite 35 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel IV.: Chaostheoretische Forschung: Biophysik / Medizin – Das Herzkammerflimmern Beispiel die miteinander harmonierenden einzelnen Organe des Körpers, so ist es verständlich war um ein Arzt das Leben nicht dem Zufall überlassen kann. Diese Sichtweise der Welt schließt jedoch das Chaos nicht aus, denn medizinisch gesehen gibt es sehr wohl chaotische Einbrüche in unser Leben. Krankheiten, als Zusammenbrüche und Anfälle werden als solche Einbrüche als interpretiert, die den Normalzustand des menschlichen Körpers ablösen. Die Medizin, sieht also um es als Veranschaulichung vorweg zu nehmen das Kammerflimmern als einen chaotischen Zustand des Systems „Körper“ an, der als eine Übergangsphase in einen neuen Zustand dient. Das Chaos ist also lediglich eine verbindende Überbrückung eines Normalzustandes zum nächsten. Im Fall eines Herzinfarkts kann die darauf folgende Phase auch der eintretende Tod sein. Selbst aber in diesem Fall ist das Chaos kein anhaltender Zustand, denn der Tod wird als eigenständiger, aber ewiger Normalzustand angesehen, da in dem Prozess der Entwicklung des menschlichen Körpers auch eine fixe Größe darstellt. Das Kammerflimmern – Eine Einführung Mithilfe der Topologie, einer mathematischen Lehre über Lage und Ordnung geometrischer Gebilde im Raum, war es der Wissenschaft erstmals möglich, sich einen Einblick in das Verhalten des bisher unerklärbaren, chaotischen Kammerflimmern des Herzens verschaffen. Das Kammerflimmern ist ein plötzliches, ungeordnetes (= chaotisches) Zusammenziehen von Herzmuskelfasern. Der Herzschlag, der im Regelfall das Herz als Ganzes kontrahieren lässt, unterteilt sich hierbei in ein Zucken aus unzähligen unkoordinierten Fasern. Jede Faser kontrahiert dabei in raschem Aufeinanderfolgen mit dem Nachbargewebe. Das Kammerflimmern löst eine derartig schnell Einzelkontraktion von Fasern aus, dass die Oberfläche des Herzmuskels durch die sich rasend schnell verändernde Reflexionsoberfläche für Licht ein Schimmern bei einer Freilegung des Herzens hervorrufen würde. Sobald das Flimmern länger als einen Zeitraum von fünf Minuten andauert kann es für den Betroffenen tödliche Folgen haben. 1887 von John A. McWilliam, einem Professor der „University of Aberdeen“, als Ursache für den Sekundenherztod bezeichnet2, führt dieses „delirium cordis“ (lat.: Verrücktheit des Herzens) zu einem qualvollen Erstickungstod. Jährlich fordert das Kammerflimmern so eine erschreckende Anzahl von Opfern weltweit, da es medizinisch praktisch unvorhersagbar ist. Es tritt ohne jegliche Vorwarnung sowohl bei gesunden wie bereits vorbelasteten Menschen 2 vgl.: Spektrum der Wissenschaft: Verständliche Forschung, WINFREE T. Arthur, Sekundenherztod: Hilfe von der Topologie, Heidelberg: Spektrum-der-Wissenschaft-Verlagsgesellschaft 1989, Seite 94 Seite 36 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel IV.: Chaostheoretische Forschung: Biophysik / Medizin – Das Herzkammerflimmern ein. Autopsien lösen das Rätsel des Kammerflimmerns auch nicht, die Suche nach einem Auslöser für diese Katastrophe verläuft bis jetzt erfolglos. Ein möglicher Auslöser 1914 konnte der Physiologe George Ralph Mines3 beweisen, dass ein relativ kleiner elektrischer Reiz ein möglicher Auslöser für Kammerflimmern ist, jedoch wird er Opfer jenes Experiment, welches diese Gewissheit bringen soll – Er trat er selbst als Versuchsperson ein. Aus seinen Aufzeichnungen geht eindeutig hervor, dass ein Störimpuls, sofern dessen Stärke und Zeitfolge exakt einen bestimmten Wert einnehmen, für den chaotischen Sekundenherztod verantwortlich sein kann. Sobald jedoch der Impuls diese Eigenschaften nicht besitzt, löst er nur eine Verschiebung des Herzrhythmus aus, da das Herz ein zur rhythmischen, elektrischen Entladung fähiges System ist. Ein topologisches Gesetz, das die Existenz von eben jenen gewissen Impulsstärken feststellt, erklärt, dass keine Verschiebung des Herzschlages stattfindet, wenn dieser Reiz mit katastrophaler Auswirkung eingesetzt wird. Stattdessen kommt es zu einem Aussetzen des Herzrhythmus, das aber noch auf einen sehr kleinen Raum, sprich wenige Herzfasern, beschränkt ist und daher noch nicht als Herzflimmern bezeichnet wird. Es entsteht lediglich ein so genannter toter Fleck auf der Herzoberfläche, der nicht mehr kontraktionsfähig ist. Um diesen Punkt beginnt sich eine eigene Welle von elektrischen Impulsen auszubreiten, die sich schließlich über alle Fasern ausbreitet und stetig zirkuliert. Die hemmende Wirkung, die dabei für den eigentlichen Herzrhythmus entsteht, ist noch unbedeutend gering. Beim Kammerflimmern bilden sich weiters eine große Anzahl dieser toten Gewebefasern, die allesamt mehrere kleine Wellen auslösen, die sich bei einem Aufeinandertreffen gegenseitig zu einer immer größer werdenden Welle induzieren. Das Chaos beginnt. Nach diesem in der Medizin wohl gängigsten Erklärungsmodell für einen Ausbruch des Kammerflimmerns, eskaliert die Situation des Systems schließlich, sobald die Welle der vielen kleinen elektrischen Impulse das Herzgewebe zu einem chaotischen Zucken angeregt hat. 3 vgl.: Spektrum der Wissenschaft: Verständliche Forschung, WINFREE T. Arthur, Sekundenherztod: Hilfe von der Topologie, Heidelberg: Spektrum-der-Wissenschaft-Verlagsgesellschaft 1989, Seite 92 Seite 37 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel IV.: Chaostheoretische Forschung: Biophysik / Medizin – Das Herzkammerflimmern Kleine Herzkunde Bevor die Frage behandelt wird, wie ein solcher Reiz, der schließlich zu Kammerflimmern führen kann, entsteht, soll der Leser noch kurz über die wesentlichsten Bestandteile des menschlichen Herzens informiert werden. Unser Herz besteht aus vier Kammern, die sich in zwei Ventrikel und zwei Vorhöfen aufteilen lassen. Während die Ventrikel als Hauptpumpen für das Blut benötigt werden, sind die Vorhöfe für den regelmäßigen Transport des Blutes in diese organischen Pumpen verantwortlich. Ein Herzschlag, auch bezeichnet als Kontraktion des Herzens, beginnt in den Vorhöfen und setzt sich weiter bis in die Ventrikel fort. Der Sinusknoten, ein so genannter Schrittmacher im Herzen, ist hierbei der ausschlaggebende Impulssetzer, der durch einen weiteren Knoten, der sich zwischen den Vorhöfen befindet, unterstützt wird. Die Purkinje-Fasern, ein komplexes Netz von Nerven die die Kontraktion schließlich über den gesamten Muskel verteilen, schließen direkt an. Dieser natürliche Herzimpuls durchläuft jede einzelne Herzzelle (= Faser).Während die Faser, sobald sie in Ruhe ist, negativ gegenüber dem Nachbargewebe geladen ist, wird sie kurzzeitig durch den Reiz positiv und kontrahiert, bevor sie wieder in den Ruhezustand fällt. Dass der elektrische Reiz die Möglichkeit hat, sich durch alle Herzfasern durch zu bewegen, ist in den geringen elektrischen Widerständen der Zellmembranen zu begründen. Aufgrund der Ladungswechsel wird dieser Vorgang des Impulsdurchlaufes durch eine Herzzelle als Depolarisation4 bezeichnet. Die Erholungsphase, die wenige Zehntelsekunden andauert, ist die refraktäre Phase5 des Herzens. Während dieser sehr kurzen Zeit reagiert die Faser auf keinen Reiz, kann also nicht kontrahieren. In eine Ruhesituation schlägt unser Herz ungefähr einmal pro Sekunde. In Zeiten des Stresses und in Angstsituationen kann der Sinusknoten von unserem Gehirn, anderen Organen und Nervenzentren aus beschleunigt werden. Die perfekte Abstimmung von Beschleunigung und Verlangsamung des Herzschlages wird als Synchronisation bezeichnet und dient als Merkmal für einen gesunden Menschen. Bei einem Ausfall dieser Synchronisation, der durch einen Infarkt, eine zu große Hormonkonzentration im Herz oder eben durch einen, wie bereits erwähnten, elektrischen Impuls von Außen ausgelöst werden kann, besteht die Möglichkeit von tödlichen Folgen für den Betroffenen. 4 Spektrum der Wissenschaft: Verständliche Forschung, WINFREE T. Arthur, Sekundenherztod: Hilfe von der Topologie, Heidelberg: Spektrum-der-Wissenschaft-Verlagsgesellschaft 1989, Seite 93 5 John BRIGGS und F. David PEAT, Die Entdeckung des Chaos – Eine Reise durch die Chaos-Theorie, Wien: Carl Hanser Verlag 1990, Seite 89 Seite 38 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel IV.: Chaostheoretische Forschung: Biophysik / Medizin – Das Herzkammerflimmern aus: Spektrum der Wissenschaft: Verständliche Forschung, WINFREE T. Arthur, Sekundenherztod: Hilfe von der Topologie, Heidelberg: Spektrum-der-WissenschaftVerlagsgesellschaft 1989, Seite 94 Das Kammerflimmern – Ursachenforschung Die Erkenntnis der Physiologie, dass Impulse von einzelnen Zellen weitergeleitet werden, ist zur weiteren Erforschung des Entstehens von chaotischem Kammerflimmern nicht unbedingt hilfreich. Das Kammerflimmern ist vielmehr eine Störung, die sich auf die gesamte Koordination des Herzrhythmus bezieht. Es ist dabei sogar anzunehmen, dass jede der einzelnen Herzfasern für sich sogar in korrekter Weise arbeitet, lediglich aber die Synchronisation der Kontraktion völlig unterschiedlich ist. Wieder wirft sich die Frage nach der Ursache für die Störung der natürlichen Synchronisation auf. Wie bereits beschrieben, führt eine elektrische Wellenbildung, die durch einen Reiz zwischen zwei Kontraktionen ausgelöst wird, zum Kammerflimmern. Durch Experimente wird genau ein Punkt zwischen diesen Kontraktionen gefunden, der schließlich zur Seite 39 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel IV.: Chaostheoretische Forschung: Biophysik / Medizin – Das Herzkammerflimmern Katastrophe führt. Diesen Punkt nennt man die vulnerable Phase des Herzens6. In dieser Phase ist es möglich, dass Chaos in der Herzkontraktion entsteht. Der menschliche Körper besitzt neben dem Herz noch eine Vielzahl weiterer circadianen Rhythmen, das heißt es gibt mehrere Abläufe im Körper die von einer so genannten inneren Uhr gesteuert werden. Alle diese Mechanismen (z.B.: Nervus vagus) sind zur elektrischen Entladung fähig. Die folgenden Überlegungen sind deshalb nicht ausschließlich für den Herzrhythmus gültig, sie zeigen generell wie ein sich rhythmisch bewegendes, bioelektrisches System auf bestimmte elektrische Reize reagiert, ob nun mittels einer kurzen Störung oder mittels einer einfachen Verschiebung des Rhythmus. Für eine intensivere Beschäftigung mit dem Herzrhythmus ist es notwendig zwei Begriffe näher kennen zu lernen, die zur exakteren Beschreibung behilflich sind. Die Bezeichnung Kopplungsintervall7 beschreibt das Intervall zwischen einem Herzschlag und dem darauf einsetzenden Reiz. Die Länge dieses Zeitabschnittes spielt eine wichtige Rolle wenn es um die Verarbeitungsweise einer Störung geht, die sich nach diesem Zeitraum richtet. Der zweite Parameter wird als Latenzzeit8 bezeichnet. Die Latenzzeit ist jenes Intervall zwischen dem Reiz und dem ersten darauf folgenden Herzschlag, sie drückt also indirekt durch ihre Länge die Art der Störung aus. Nun kann man aufgrund von Beobachtungen einige Folgerungen schließen. Abhängig vom Kopplungsintervall und der Stärke des elektronischen Reizes kann die Latenzzeit in ihrer Dauer entweder beschleunigt oder verzögert werden. Man spricht daher von zwei wesentlichen Beziehungen zwischen Latenzzeit und Kopplungsintervall, sie werden als weiche und harte Wiederanpassung9 bezeichnet (weak and strong rescheduling). Die weiche Wiederanpassung geht davon aus, dass der zugeführte Reiz zu gering ist um den nächsten Herzschlag in irgendeiner Form zu beeinflussen während die harte Wiederanpassung durch eine Nettozu- oder Abnahme der Latenzzeit charakterisiert wird. Dennoch kehrt der Herzschlag wieder zum Ausgangswert zurück, sobald eine volle Schlagperiode verstrichen ist. es handelt sich also auch dabei nur um eine zeitlich beschränkte Störung des Rhythmus. 6 Spektrum der Wissenschaft: Verständliche Forschung, WINFREE T. Arthur, Sekundenherztod: Hilfe von der Topologie, Heidelberg: Spektrum-der-Wissenschaft-Verlagsgesellschaft 1989, Seite 95 7 vgl.: Spektrum der Wissenschaft: Verständliche Forschung, WINFREE T. Arthur, Sekundenherztod: Hilfe von der Topologie, Heidelberg: Spektrum-der-Wissenschaft-Verlagsgesellschaft 1989, Seite 96 8 vgl.: Spektrum der Wissenschaft: Verständliche Forschung, WINFREE T. Arthur, Sekundenherztod: Hilfe von der Topologie, Heidelberg: Spektrum-der-Wissenschaft-Verlagsgesellschaft 1989, Seite 96 9 Spektrum der Wissenschaft: Verständliche Forschung, WINFREE T. Arthur, Sekundenherztod: Hilfe von der Topologie, Heidelberg: Spektrum-der-Wissenschaft-Verlagsgesellschaft 1989, Seite 96 Seite 40 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel IV.: Chaostheoretische Forschung: Biophysik / Medizin – Das Herzkammerflimmern Es handelt sich bei der Beziehung zwischen Kopplungsintervall und Latenzzeit um ein instabiles aber dennoch proportionales Verhältnis. Dies bedeutet, dass das Prinzip „je größer das Kopplungsintervall, desto kleiner die Latenzzeit“, für sehr wenige, bestimmte Punkte nicht korrekt ist. Da es zu jedem Reiz unendlich viele Latenzzeiten gibt, die jeweils vom Reizzeitpunkt bis zu einem beliebigen, nachfolgenden Schlag andauern, bezeichnet man jene als die Basislatenz, die aus der Differenz einer beliebigen Latenzzeit und den dazugehörigen verstrichenen Schlagperioden resultiert. Der dritte Graph von oben zeigt die Entwicklung eines Herzschlages bei dem genauen Treffen eines singulären Reizes. Die Bewegung wird chaotisch. aus: Spektrum der Wissenschaft: Verständliche Forschung, WINFREE T. Arthur, Sekundenherztod: Hilfe von der Topologie, Heidelberg: Spektrum-derWissenschaftVerlagsgesellschaft 1989, Seite 41 aus: Spektrum der Wissenschaft: Verständliche Forschung, WINFREE T. Arthur, Sekundenherztod: Hilfe von der Topologie, Heidelberg: Spektrum-der-WissenschaftVerlagsgesellschaft 1989, Seite 102 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel IV.: Chaostheoretische Forschung: Biophysik / Medizin – Das Herzkammerflimmern Gemäß diesem Wechselwirkungsprinzip erwartet man sich als Konsequenz, dass jede erdenkliche Kombination von Reizstärke und Kopplungsintervall eine eigene Basislatenz ergibt und damit einen individuellen Wert einnimmt. Weiters würde es als logisch erscheinen, wenn die Latenzzeit sich stetig ändert, sobald ein auch nur eine minimale Veränderung der Anfangsbedingung eintritt. Es tritt jedoch ein überraschendes Phänomen ein. Nicht jeder Punkt, der beim Auftragen von Reizstärke zu Kopplungsintervall in einem 2DKoordinatensystem entsteht, trägt diese Eigenschaft eines fließenden Übergangs zu seinem Nachfolgewert mit sich. Das heißt, es gibt für bestimmte solche Punkte keine Basislatenz. Diese Spezialfälle werden aufgrund des sie auslösenden singulären Reizes als singuläre Punkte von rhythmischen Systemen bezeichnet. Es gibt also eine so genannte mathematische Singularität, ein Loch im Muster der zeitlichen Abfolge, das zum Chaos führt. Die Topologie dieser Bewegung zeigt, dass ein solcher singulärer Reiz nicht sehr stark sein kann, vielmehr befindet er sich im Bereich der Durchschnittsstärke für einen solchen Experiment-Reiz. Er wäre auf einer Tabelle so zwischen den Werten für eine harte Wiederanpassung als obere Grenze und einer weichen Wiederanpassung als unteres Limit zu lokalisieren. Während alle anderen Reize entweder ohne Folgen (weiche Wiederanpassung) oder nur zeitlich begrenzte Folgen (harte Wiederanpassung) mit sich bringen, fordert dieser speziell Impuls eine permanente Störung des Schrittmachers eines Systems (im Falle unseres Herzens wäre dies der bereits erwähnte Sinusknoten). Dieser topologische Lehrsatz, der die Existenz eines singulären Punktes in einem rhythmischen System vorhersagt, lässt allerdings die möglichen Folgen einer auf diese Weise entstandenen Störung ungeklärt. Im Prinzip aber sind zwei Möglichkeiten gegeben. Zum einen kann eine chaotische Abfolge von Schlägen entstehen zum anderen kann auch ein völliger Stillstand des Systems ausgelöst werden. Seite 42 aus: Spektrum der Wissenschaft: Verständliche Forschung, WINFREE T. Arthur, Sekundenherztod: Hilfe von der Topologie, Heidelberg: Spektrum-der-Wissenschaft-Verlagsgesellschaft 1989, Seite 105 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel IV.: Chaostheoretische Forschung: Biophysik / Medizin – Das Herzkammerflimmern Der experimentelle Beweis für diese Erscheinung in der Wissenschaft wird mittels einer auf dem Computer nachkonstruierten Simulation der Tätigkeit einer Nervenzelle eines Tintenfisches aufgezeigt (die Wahl einer Tintenfischzelle ist lediglich ein Mittel zum Zweck, sie ist besonders groß und ermöglicht ein leichteres Experimentieren). Diese Nervenzelle schlägt gleich dem Herzen in periodischer Abfolge. Diagramme, die aus diesem Versuch hervorgehen, zeigen so genannte Isochrone (griech.: Gleichzeitigkeiten), die durch die Verbindung der einzelnen Latenzzeiten zu bestimmten Reizen erstellt werden. Diese Isochrone lassen ein „schwarzes Loch“10 in ihrem Verlauf erkennen, das einen verhältnismäßig großen Bereich einnimmt. Die unerwartete Größe dieses Lochs bestätigt, dass die Möglichkeit einen singulären Reiz auszulösen doch erschreckend groß ist. aus: Spektrum der Wissenschaft: Verständliche Forschung, WINFREE T. Arthur, Sekundenherztod: Hilfe von der Topologie, Heidelberg: Spektrum-derWissenschaftVerlagsgesellschaft 1989, Seite 99 Grafik: Der weiße, ovale Bereich symbolisiert das erwähnte schwarze Loch. Mittlerweile ist diese Hypothese auch für biologische Systeme wie unser Herz bewiesen. Zusammenfassend bedeutet dies, dass die rhythmische Aktivität eines jeden Herzschrittmachers prinzipiell ausschaltbar, sprich ins Chaos überführbar, ist, sobald er zur weichen und harten Wiederanpassung fähig ist. Denn dies ist die Voraussetzung für das Erreichen eines solchen singulären Reizes, da eine obere und untere Grenze (siehe oben) für diesen existieren muss. 10 vgl.: Spektrum der Wissenschaft: Verständliche Forschung, WINFREE T. Arthur, Sekundenherztod: Hilfe von der Topologie, Heidelberg: Spektrum-der-Wissenschaft-Verlagsgesellschaft 1989, Seite 102 Seite 43 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel IV.: Chaostheoretische Forschung: Biophysik / Medizin – Das Herzkammerflimmern Die Auswirkung der Singularität Singularitäten lösen wie im vorhergehenden Punkt erklärt Arrhythmie aus. Im Falle des menschlichen Herzens äußert sich diese arrhythmische, chaotische Bewegung nicht durch eine gestörte Kontraktion selbst, sondern durch die räumliche Desorganisation einer bestimmten vorherrschenden, natürlichen Welle, die schließlich die Kontraktion auslöst. Im Normalzustand zirkuliert die Welle so, dass sie immer auf erholte Zellen trifft und sich faktisch unendlich oft über den Muskel fortpflanzt. Wenn bei einer Tintenfischzelle die Singularität möglich ist, dann könnte auch das Kammerflimmern des menschlichen Herzen so entstehen. Die Eigenwelle trifft demnach auf einen singulären Punkt, dieser jedoch kann von sich aus diese Welle nicht fortsetzen. Er beginnt eigene elektrische Impulse auszusenden und es entsteht somit eine von diesem schwarzen Punkt ausgehende, individuelle Kreiswelle. Sobald sie sich von ihrem Ursprung wegbewegt gibt es die Möglichkeit, dass sie sich durch Unregelmäßigkeiten auf der Herzoberfläche zerteilt. Somit tritt eine hemmende Störung für die Eigenwelle des Herzens ein, die die Arrhythmie auslöst. Diese Unebenheiten auf dem Muskelgewebe des Herzens erhöhen zusammen mit einem dadurch entstandenen, minimalen Fehler bei der Kontraktion maßgeblich das Risiko für ein Eintreten des Kammerflimmerns. Die Medizin kennt aufgrund dieser erläuterten Forschungen heute drei wichtige Eigenschaften des Kammerflimmerns:11 1.) Das Kammerflimmern wird durch einen elektrischen Impuls, der während der vulnerablen Phase des Herzens einsetzen muss, ausgelöst. 2.) Das Kammerflimmern tritt aufgrund der erwähnten Wellenbildung immer sofort nach einer Kontraktion ein. 3.) Das Kammerflimmern wird stark durch Unebenheiten auf dem Herzgewebe begünstigt. Jedes menschliche Herz kann kein ideales Gewebe sein, da es aus einer biologischen Entwicklung heraus entstanden ist. Unter einem idealen Gewebe versteht man ein von jeglicher Unregelmäßigkeit freies Gebilde. 11 Spektrum der Wissenschaft: Verständliche Forschung, WINFREE T. Arthur, Sekundenherztod: Hilfe von der Topologie, Heidelberg: Spektrum-der-Wissenschaft-Verlagsgesellschaft 1989, Seite 105 Seite 44 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel IV.: Chaostheoretische Forschung: Biophysik / Medizin – Das Herzkammerflimmern Aktuell sind keine weiteren Fortschritte in der Erforschung von Kammerflimmern zu verzeichnen. Das Kammerflimmern hat sich aber durch die beschriebenen Erkenntnisse immer mehr zu einem Aufgabenbereich der Präventivmedizin entwickelt. Es gilt demnach die schwarzen Löcher auf dem Herzgewebe möglichst gering zu halten um ein Erkrankungsrisiko zu minimieren und chaotische Kontraktionen zu verhindern. Dieses Kapitel (Kapitel 4: Chaostheoretische Forschung: Biophysik / Medizin – Das Herzkammerflimmern) wurde durch Informationen aus auf folgenden Quellen verfasst: • Spektrum der Wissenschaft: Verständliche Forschung, WINFREE T. Arthur, Sekundenherztod: Hilfe von der Topologie, Heidelberg: Spektrum-der-Wissenschaft-Verlagsgesellschaft 1989, Seite 105 • Gespräch und Interview mit Prim. Univ. Doz. Dr. Christian Datz Ausdrücke mit besonderer Bedeutung wurden bereits im Text herausgehoben und mittels Fußnote erklärt. Seite 45 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel V.: Versuche zur Chaostheorie - Videofeedback Eine Einführung Wie bereits in Kapitel I.: Was ist Chaos? – Eine Einführung1 erwähnt, gilt der Prozess der Rückkopplung als ein wesentlicher Auslöser für das Eintreten von chaotischem Verhalten von Systemen. Während die Iteration rein mathematisch passiert, sprich die Folgen mathematisch berechnet und folglich durch die Fraktalgeometrie dargestellt werden können, entsteht der Rückkopplungsprozess nicht auf dem Papier, sondern durch objektbezogene, mechanische Anwendung. Man kann also die Rückkopplung als eine Übersetzung der Iteration in unsere Alltagswelt bezeichnen. Es ist an sich sehr leicht eine Rückkopplung zwischen zwei Systemen (die Grundbedingung für Rückkopplung ist das Vorhandensein von mindestens zwei Systemen) zu erreichen. Um dieses Phänomen auszulösen, gibt es zahlreiche, aus der Sicht der Wissenschaft erfolgbringende Methoden, prinzipiell unterscheidet man aber zwischen analoger und digitaler Rückkopplung. Ersteres benötigt keine elektronischen Medien um erzeugt zu werden, die Übertragung und schließlich auch die Überlagerung der Information, die schließlich durch die Rückkopplung ausgelöst wird, basiert auf Wellenphänomenen wie zum Beispiel Schall. Jeder kennt den Prozess der Rückkopplung und deren Auswirkung, die bei Konzerten häufig auftritt. Das Mikrofon und eine Lautsprecherbox schaukeln sich durch sich unendlich wiederholte Aufnahme und Wiedergabe von akustischen Reizen gegenseitig ins Chaos auf, das auftretende schrille Pfeifen ist uns allen ein Begriff. Digitale Rückkoppelung ist ein Prozess bei dem die Übergabe der Information mit elektronischen Medien (diverse Verbindungskabel) erfolgt. Das anschließend erläuterte und durchgeführte Experiment wird als „Videofeedback“ bezeichnet und zeigt auf eindrucksvolle Weise wie digitale Rückkopplung funktioniert und welche erstaunlichen Ergebnisse bei einem solchen Prozess entstehen können. aus: John BRIGGS und F. David PEAT, Die Entdeckung des Chaos – Eine Reise durch die Chaos-Theorie, Wien: Carl Hanser Verlag 1990, Seite 33 1 vgl.: Kapitel I.: Was ist Chaos? – Eine Einführung; Seite 8 Seite 46 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel V.: Versuche zur Chaostheorie - Videofeedback Das Videofeedback – Eine Kurzbeschreibung Das Experiment „Videofeedback“ funktioniert eigentlich nach einem simplen Rückkopplungsschema. Man positioniert eine Videokamera zu einem Monitor so, dass dessen Bildfläche gefilmt wird und verbindet schließlich diese zwei Systeme (Videokamera und Monitor) mit einem gewöhnlichen A/V-Kabel. Somit zeigt der Monitor ab dem Zeitpunkt der Verbindung das Bild, das das Videogerät aufnimmt. Es entsteht eine Rückkopplung, da das angezeigte Bild am Monitor wiederum gefilmt wird. In unvorstellbar kurzer Zeit durchlaufen beide Systeme eine unendliche Schleife an Anzeigen (am Monitor) und Aufnahmen (Videokamera). Dabei entstehen, wenn man das Aufnahmegerät in bestimmten Winkeln zum Monitor neigt, so genannte Fraktalbilder, wie sie in der Fraktalgeometrie der Chaostheorie sonst nur rechnerisch erzeugt und mit Hilfe von Computern gezeichnet werden können. Die Tücken des Experiments Die formulierte Kurzbeschreibung des Experiments ist eine Zusammenfassung dessen, was ich persönlich aus zahlreichen Erklärungen in Fachbüchern zu diesem Thema finden konnte. Es zeigte sich sehr schnell, dass eine Information dieser Art nicht ausreichend ist um ein befriedigendes Ergebnis erreichen zu können. Man muss akzeptieren, dass zum Zwecke dieses Experimentes keine in ihrer Beschreibungsmethode ausreichende Fachliteratur zur Verfügung steht. Es scheint als wäre das Videofeedback an sich eine sehr beliebte Methode chaotische Vorgänge anschaulich darzustellen, die jedoch aufgrund ihrer scheinbar leichten Durchführung kein allzu großes wissenschaftliches Interesse auf sich zieht. Aus meinen persönlichen Erfahrungen kann ich diese nun Hypothese klar widerlegen. Ich befinde es vielmehr als ein Experiment, das einen unendlichen Variantenreichtum hervorbringt und auf Veränderungen an der Konstellation der Geräte (auch zueinander) sehr empfindlich reagiert. Eine genaue Beschäftigung mit diesem Thema ist also, so glaube ich nach einer erfolgreichen Durchführung des Videofeedbacks urteilen zu können, sehr spannend. Um also trotz der geringen Information diesen Multimedia-Versuch erarbeiten zu können, wand ich mich mit folgendem Schreiben2 an mehrere Universitäten Österreichs beziehungsweise an deren Physik-Institute: 2 das Schreiben wurde am 1.12.2004 an folgende Adressen per Email verschickt: [email protected], [email protected], [email protected] Seite 47 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel V.: Versuche zur Chaostheorie - Videofeedback Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin ein Schüler des diesjährigen Maturajahrgangs des Akademischen Gymnasiums Salzburg und beschäftige mich im Moment intensiv mit meiner Fachbereichsarbeit über das Thema "Chaostheorie" im Lehrgegenstand Physik. Zur Vervollständigung und praktischen Anwendung meiner Arbeit ist es mir ein Anliegen mehrere Experimente zu diesem Thema durchzuführen. Besonderes Interesse habe ich an einem Versuch, der unter Verwendung zweier technischer Geräte Chaos durch das Prinzip der Rückkopplung erzeugt. Dabei wird eine Videokamera an einen Fernsehbildschirm angeschlossen und so aufgestellt, dass sie genau die Bildfläche des TV-Gerätes aufnimmt. Als logische Konsequenz zeigt der Fernseher dieses Bild, das wiederum vom Videogerät gefilmt wird - eine Abfolge die also bis ins Unendliche weitergeht. Wenn man nun das Objektiv der Kamera so einstellt, dass nur mehr ein kleiner Teil der Bildfläche des TV-Gerätes aufgenommen wird, entsteht laut einer Versuchsbeschreibung ein Chaos aus Farben und Strukturen auf dem Bildschirm. Nach mehreren Versuchen ist mir bis jetzt noch nicht gelungen dieses Experiment nachzustellen. Ich wollte, da im Arbeitsbereich ihres Institutes auch die Unterteilung "Chaos und Systemforschung" angeführt wird anfragen, ob sie mit derartigen Erscheinungen schon Erfahrung gemacht haben beziehungsweise ob sie mir vielleicht mit Tipps weiterhelfen können. Speziell interessiert mich wie ich die Einstellung der Kamera (Objektiv) wählen muss, damit der gewünschte Effekt eintritt. Diesbezüglich konnte ich bis jetzt keine ausreichende Auskunft finden. Ich würde mich sehr über eine Antwort freuen, und danke ihnen im Voraus für ihre Mühen. Hochachtungsvoll, Kilian Rieder Schüler der 12. Schulstufe im Europazweig des Akademischen Gymnasiums Salzburg Durch die beiden Antwortschreiben3 der Universität Graz und Leoben konnte ich meine Arbeit fortsetzen und mittels gezielter Internetrecherche4 erfolgreich beenden. Ich möchte mich hiermit daher noch einmal herzlich für die Hilfe bei Ao.Univ.-Prof. Dr. Gernot Pottlacher (Institut für Experimentalphysik an der TU Graz) und UA Dr. Ronald Meisels (Institut für Physik an der Montanuniversität Leoben) bedanken. 3 4 Die beiden Schreiben sind auf der beiliegenden Multimedia-CD nachzulesen. vgl.: www.videofeedback.dk Seite 48 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel V.: Versuche zur Chaostheorie - Videofeedback Das Experiment – Aufbau Skizze: Kilian RIEDER, 10.1.2005 Foto: Kilian RIEDER, 27.1.2005 Aus den diversen Beschreibungen des Experiments wurde die oben eingefügte Skizze erstellt, aus der sich schließlich das Modell für die Umsetzung in die Realität (unteres Bild) ergibt. Seite 49 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel V.: Versuche zur Chaostheorie - Videofeedback Der im Foto noch zusätzlich aufscheinende Laptop diente lediglich um den Monitor während der einzelnen Versuchsreihen gemäß den optimalen Betriebsbedingungen zu verwenden. Verwendete Materialien bzw. Geräte: • Monitor: Hyundai, ImageQuest L19T • Videokamera: Canon Digital Video Camera und passendes Stativ • A/V-Verbindungskabel • gewöhnliche Taschenlampe Vorbereitung: Die Videokamera wird mittel Stativ gegenüber dem Monitor in einem Abstand (d) von cirka einem Meter aufgestellt. Dabei ist zu beachten, dass die Kamera ungefähr mit der Mitte des Bildschirms in einer Höhenlinie steht (es reicht eine annähernd genaue Position). Die Linse der Kamera ist zunächst genau auf den Monitor gerichtet. Um ein Gelingen des Experiments zu gewährleisten muss zuerst der Öffnungswinkel der Videokamera (=der Bereich der aufgenommen wird) so eingestellt werden, dass der Monitor genau in seiner gesamten Größe in das Bild der Videokamera passt. Es ist daher sehr hilfreich eine Videokamera zu verwenden, die über ein zusätzliches Display verfügt, da so die genaue Einstellung wesentlich leichter fällt. Weiters muss die Kamera über Zoom-Funktionen verfügen (zoom in und zoom out). Ich habe diese Einstellung während meiner gesamten Arbeit als so genannte „1 : 1 – Einstellung“ bezeichnet, da der Monitor mit seinem gesamten Umfang auf dem Display erscheinen muss. Sobald diese Vorbereitungen getroffen wurden, kann mit der Experimentarbeit begonnen werden. Es stellte sich während meiner Versuchsreihen heraus, dass es nicht von Belangen ist welches der beiden Geräte als erstes in Betrieb genommen wird. Erste Erscheinungen: Sofort nach der Inbetriebnahme der beiden Geräte beginnt sich ein Prozess am Monitor zu entwickeln, der aus einer Reihe von Bildern und Bewegungen zusammengesetzt wird. Dieser Prozess, der sich ab dem ersten Durchlauf scheinbar unendlich oft wiederholt, setzt sich wie folgt zusammen: Der Monitor zeigt zu Beginn ein tiefschwarzes Bild, das sich schnell zu einem dunkelblauen Wolkenfleck am rechten unteren Rand zusammenzieht (der Rest des Bildschirms wird weiß). Der Wolkenfleck wird immer kleiner und schließlich resultiert die Entwicklung in einen rein Seite 50 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel V.: Versuche zur Chaostheorie - Videofeedback weißen Bildschirm, der sich darauf türkis, hellblau und dunkelblau verfärbt, bevor er wieder in das schwarze Anfangsbild zeigt.5 Es zeigte sich, dass kleine Unterschiede auftreten, wenn der Versuch in einem dunklen Raum beziehungsweise in einem beleuchteten Raum gestartet wird. Für die helle Ausgangsposition trifft die Beschreibung auf Seite 5 zu. Wenn man den Versuch in einem von Anfang an dunklen Zimmer durchführt, entsteht die blaue Wolke nicht am rechten, unteren Bildschirmrand sondern in der Mitte des unteren Randes, wandert aber schließlich interessanterweise immer mehr nach rechts. Der genaue Grund dafür ist mir persönlich nicht einsichtig. Möglicherweise spielen die Kontrolllampen der Videokamera im Dunklen eine wichtigere Rolle, so dass diese über die Videokamera selbst aufgenommen werden und die Abweichung vom Normalzustand6 auslösen. Bei einem Ausschalten des Lichts (Ausgangsbedingung: helles Zimmer) sowie bei einem Einschalten der Lichtquelle (Ausgangsbedingung: dunkler Raum) während des Versuchs treten keine sichtbaren Veränderungen auf. Dass dieses Rückkoppelungssystem sehr empfindlich ist beweisen gewisse Unterbrechungen, die immer wieder während der Versuche auftreten, jedoch nach ihrem Erscheinen sofort wieder in den Regelfall übergehen. Am häufigsten tritt ein Bild auf, das eine große schwarze Fläche zeigt, die, begrenzt durch eine dünne giftgrüne Linie, in eine weiße, kleinere Fläche überläuft. Die Fachliteratur erklärt diese Erscheinungen als Ungenauigkeiten in der Elektronik7 der Videokamera, die sich durch die unendliche Rückkoppelung auswirken. Zoom und Neigung der Videokamera Die bis jetzt in dieser Arbeit beschriebenen Bilder und Prozesse dieses Rückkoppelungsversuchs sind zwar in ihrer Art auch schon außergewöhnlich, doch stellen sie nicht das eigentlich Ziel des Experiments dar. Dieses ist als das Erzeugen von chaotischen, geometrischen Strukturen, so genannten Fraktalen definiert. Um diese entstehen lassen zu können, muss die Zoom-Funktion der Kamera betätigt werden. In der Folge ist es auch notwendig die Kamera in alle möglichen Richtungen neigen zu 5 Der beschriebene Prozess ist in einem kurzen Videodokument (blauer Wolkenfleck) auf der beiliegenden Multimedia-CD zu sehen. 6 Normalzustand = Ausgangsbedingung heller Raum; Definition erfolgte aufgrund der Notwendigkeit eines Bezugsystems 7 vgl.: Joachim BUBLATH, Das neue Bild der Welt, Wien : Ueberreuter Verlag 1992, Seite 78 Seite 51 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel V.: Versuche zur Chaostheorie - Videofeedback können. Man benötigt also im Idealfall ein Stativ mit einem fixierbaren Drehkopf, der einen die Kamera in alle möglichen Richtungen verdrehen lässt. Die folgenden Figuren sind während meinen Versuchen entstanden und zeigen genau jene gewünschten Fraktalgebilde. Sie sind nur ein kleiner Ausschnitt des riesigen Variantenreichtums, das Videofeedback erzeugen kann. Praktisch wirkt sich jede minimale Veränderung im Bild aus. Anmerkung des Autors: Auf der beigelegten Multmedia-CD befinden sich noch mehr als die hier genauer erläuterten Beispiele. Rotierende Spirale Um eine rotierende Spirale zu erreichen, die immer wieder zu einen annähernd runden Fläche konvergiert, sind folgende Einstellungen nötig: Man vergrößert zuerst den auf dem Display anzeigten Bildausschnitt der Videokamera, so dass eine unendlich lange Reihe von Monitoren hintereinander sichtbar wird. Darauf neigt man die Videokamera 15 – 20° nach rechts (das Objektiv ist immer noch gerade auf den Monitor gerichtet). In einem dunklen Raum wird das Weiß der Spirale lediglich weniger intensiv wirken. Überraschend bei diesem Prozess ist, dass obwohl sowohl Kamera und Monitor völlig bewegungslos sind, die Spirale rotiert.8 Durch gleichmäßige Handbewegungen vor der Kameralinse ist es möglich diese Spirale zu beruhigen. Erstaunlicherweise schlägt sich diese stabilisierende Wirkung auf die Rotation der Spirale so nieder, dass sie sich zu einem runden, leicht pulsierenden Flächenstück verändert.9 Foto: Kilian RIEDER, 27.1.2005 8 Der beschriebene Prozess ist in einem kurzen Videodokument (rotierende Spirale) auf der beiliegenden Multimedia-CD zu sehen. 9 Der beschriebene Prozess ist in einem kurzen Videodokument (blaue, pulsierende Fläche) auf der beiliegenden Multimedia-CD zu sehen. Seite 52 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel V.: Versuche zur Chaostheorie - Videofeedback Wenn eine Hand schalenförmig vor die Videokamera gehalten wird, wird die warme, rötliche Farbe der Handfläche in den Rückkopplungsprozess eingebunden. Es entstehen Fraktale mit Rot-Tönen. Foto: Kilian RIEDER, 27.1.2005 Ruhendes Spiralenfraktal Wenn die Zoomeinstellung des vorherigen Versuchs beibehalten wird, jedoch man die Kamera um weitere 50° nach rechts neigt, entsteht eine ruhende Spirale. Foto: Kilian RIEDER, 27.1.2005 Interessant bei diesem Bild ist, dass erstmals die von der Videokamera im Pausenzustand (also wenn keine Aufnahmeaktiviät vorherrscht) angezeigte Schrift im rechten oberen Eck des Bildschirms in den Rückkopplungsprozess eingebunden wird. Wirbel-, Schnecken- oder Sternfraktal Fotos: Kilian RIEDER, 27.1.2005 Seite 53 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel V.: Versuche zur Chaostheorie - Videofeedback Fotos: Kilian RIEDER, 27.1.2005 Um diese spezielle Gruppe von Formen am Bildschirm entstehen zu lassen, muss der aufgenommene Bildausschnitt der Videokamera im Gegensatz zu den vorhergehenden Versuchsreihen verkleinert werden. Je nach Neigung entstehen schließlich Stern-, Wirbeloder Schneckenfraktale.10 Genaue Angaben sind hier nicht mehr von Belangen, da die Unterschiede zwischen verschiedenen Videogeräten zu groß sind um eine allgemeine Aussage zu Neigungswinkel und Bildausschnitt zu machen. Doch an diesem Punkt angelangt ist es aus persönlicher Erfahrung ohnehin schon interessanter selbst experimentieren zu können und atemberaubende Formen am Monitor zu erzeugen, als gewissen Vorgaben zu folgen. Der Einfluss einer zusätzlichen Lichtquelle Durch den Einsatz einer zusätzlichen Lichtquelle (diese kann auch buntes Licht ausstrahlen) wie zum Beispiel einer Taschenlampe, ist es möglich gezielt dem Fraktal andere Farben zu geben. Es reicht allerdings nicht aus eine allgemeine Lichtquelle in einem Raum hierzu einzuschalten. Man kann nur durch gezieltes Einsetzen von Lichteinstrahlung direkt auf den Monitor oder die Kameralinse Farbveränderungen bewirken. Die Ergebnisse sind bewundernswert. Fotos: Kilian RIEDER, 27.1.2005 10 Der beschriebene Prozess ist in einem kurzen Videodokument (Entstehung eines Wirbelfraktals) auf der beiliegenden Multimedia-CD zu sehen. Seite 54 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel VI.: Versuche zur Chaostheorie – Chaotische Wassertropfen Eine Einführung Dass Chaos nicht nur durch vernichtende und zerstörerische Fähigkeiten auf Systeme einwirkt, sondern auch schöpferische Prozesse und Verwandlungen auslösen kann, wird in dieser Arbeit bereits in Kapitel I.: Was ist Chaos? – Eine Einführung1 erwähnt. Unsere Umwelt, ja die gesamte Natur beruht größtenteils auf chaotischen Vorgängen, die paradoxerweise unser ökonomisches Gleichgewicht auf der Erde sichern. Kleine Pflanzen sind ebenso fraktal2 organisiert wie ganze Küstenlandschaften, deren Länge in der klassischen Physik klar definiert, aber chaostheoretisch gesehen, wie es die Fraktalgeometrie beweist, nicht messbar beziehungsweise eine unendlich große Zahl ist. Einfach zu begründen ist dies folgendermaßen: Eine Küstenlinie (z.B.: die gesamte Küste Großbritanniens) setzt sich aus einer unendlich großen Anzahl von winzigen Ecken, Kanten und Verformungen zusammen. Um nun die Länge dieser bestimmen zu können, müsste man jede dieser mikroskopischen Formen abmessen und addieren. Doch selbst wenn die scheinbar kleinste Unregelmäßigkeit bestimmt wird, gibt es immer noch kleinere Strukturen, die jedoch für uns, auch wissenschaftlich, nicht mehr erfassbar sind. Eine Addition aller dieser Zahlen, und wären sie auch noch so klein, führt schlussendlich zur absurden Erkenntnis, jede beliebige Küste sei unendlich lang. Dieser kleine Exkurs in die chaostheoretische Sichtweise unseres Kosmos zeigt wie allgegenwärtig eigentlich Chaos ist und wie alltäglich uns es eigentlich erscheinen müsste. Dennoch setzen sich Gedankenexperimente wie diese nicht in unserem Leben durch, sie erscheinen uns nicht realistisch genug3. Das in diesem Abschnitt beschriebene Experiment „Chaotische Wassertropfen“ soll die Präsenz des Chaos hervorheben, auf deren Wichtigkeit aufmerksam machen und vielleicht den einen oder anderen dazu anregen unsere Natur einmal mit anderen Augen zu erforschen. 1 vgl.: Kapitel I: Was ist Chaos? – Eine Einführung; Seite 10 fraktal, Fraktale, Fraktalgeometrie: mathematisch-geometrische Methode zur Darstellung der Verhaltensweisen eines chaotischen Systems 3 vgl.: Kapitel II.: Chaostheorie – Ein geschichtlicher Überblick; Seite 14 ff. 2 Seite 55 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel VI.: Versuche zur Chaostheorie – Chaotische Wassertropfen Eine Kurzbeschreibung Das Experiment „Chaotische Wassertropfen“ beschäftigt sich prinzipiell mit einem der zahlreichen chaotischen Phänomene in unserer Natur. Es zeigt wie einfach es sein kann im alltäglichen Leben auf Chaos zu stoßen. Wie sich zeigt, ist nicht einmal das essentiellste aller auf unsere Erde existierenden Elemente frei von chaotischen Unregelmäßigkeiten. Dem Wasser, der Basis zur Entstehung des Lebens, können neben der Eigenschaft Wirbel und Sogströmungen bilden zu können, denen ebenfalls chaotische Verhaltensweisen zu Grunde liegen, auch, wie in diesem Experiment behandelt, mit Hilfe eines gut regulierbaren Wasserhahns chaotische Bewegungen nachgewiesen werden. Mit einem richtig eingestellten Wasserhahn lassen sich nämlich neben der normalen linearen auch chaotische Tropffolgen beobachten. Ich habe das Experiment dahingehend erweitert, als dass ich mich damit beschäftigt habe, mittels Trichterformen, durch die die jeweiligen Tropffolgen hindurch geleitet werden, aus der gegebenen Ordnung Chaos beziehungsweise aus dem gegebenen Chaos wieder Ordnung zu schaffen. Die Trichter werden dabei als Regulatoren eingesetzt und sind die entscheidenden Faktoren für dieses Experiment. Aufbau Computerskizze, Adobe Photoshop: Kilian Rieder, 25.1. 2005 Seite 56 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel VI.: Versuche zur Chaostheorie – Chaotische Wassertropfen Fotos: Kilian Rieder, 12.1.2005 Verwendete Materialien 1 großer Wasserbehälter (Volumen 50 Liter), mit integriertem Zapfhahn (gut regulierbar) 1 Metallhalterung bestehend aus Stange und Sockel 4 Halterungsklötze 4 regulierbare Klemmen aus Metall (mit Filzaufsatz zur schonenden Verwendung der Glastrichter) 1 Auffangbehälter 7 von einander unterschiedliche Glasformen beziehungsweise Trichter: Skizze: Kilian Rieder, 27.1. 2005 1. Form: Sanduhr-Form mit starker Verengung zur Mitte 2. Form: Sanduhrform mit schwacher Verengung zu Mitte 3. Form: Doppelsanduhr 4. Form: eng zusammenlaufender, kurzer Trichter Seite 57 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel VI.: Versuche zur Chaostheorie – Chaotische Wassertropfen 5. Form: sehr eng zusammenlaufender, langer Trichter 6. Form: schwach zusammenlaufender Trichter mit regelmäßiger Öffnung unten 7. Form: schwach zusammenlaufender Trichter mit unregelmäßiger Öffnung unten Form 1 Form 2 Form 3 Form 4 Form 5 Form 6 Form 7 Fotos: Kilian Rieder, 12.1.2005 Zu diesen Formen ist grundsätzlich folgendes zu sagen: Die Trichter wurden ausschließlich aus zwei verschiedenen Typen von Glasröhren mit den Durchmessern 1,5 cm und 0,7 cm eigenhändig durch Erwärmung bei einer Hitze von cirka 1300° Celsius (Bunsenbrenner) geformt. Sie sind aufgrund von Vorexperimenten mit ähnlichen Formen ausgewählt worden, da sie empirisch gesehen die größten Effekte auf die Tropffolgen insgesamt haben. Die ursprünglichen Formen sind beliebig gewählt. Manche Formen mögen öfters auftreten beziehungsweise es gibt bestimmte Teile von diesen so genannten Trichtern, die häufiger verwendet werden. Dies ist dahingehend zu begründen, als dass während des Experiments eine Konzentration auf bestimmte Formen geschehen soll, um zumindest deren Charakter genauer zu bestimmen. Dennoch, um den Versuchsvorgang für den neutralen Leser besser zu veranschaulichen, sind hier die genauen Abmessungen dieser Regulatoren, angegeben. Form Durchmesser Ende 1 Durchmesser Ende 2 Durchmesser Mitte Länge insgesamt Form 1 1, 4 cm 1,4 cm 0,3 – 0,44 cm 11,5 cm Form 2 1,4 cm 1,4 cm 0,5 cm 11,7 cm Form 3 1,5 cm 0, 8 cm 0,5 cm 14,9 cm Form 4 1, 05 cm 0,2 cm 0,7 cm 9,5 cm 4 0,3 – 0,4 cm: Durchmesser ist deshalb in einem Intervall angeben, weil die Querschnitte nicht kreisrund sind Seite 58 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel VI.: Versuche zur Chaostheorie – Chaotische Wassertropfen Form 5 0,9 cm 0,1 cm 0,7 cm 14,6 cm Form 6 1,5 cm 0,2 – 0,3 cm 1,5 cm 8 cm Form 7 1,3 - 0,9 cm 0,5 cm 1,5 cm 4,9 cm Besonderer Dank ergeht an Univ.-Prof. Dr. Josef Thalhammer (Institut für Biochemie und Molekularbiologie an der Naturwissenschaftlichen Fakultät Salzburg) der meine Arbeit großzügig mit Laborbedarf unterstützt hat. Positionierung der verwendeten Materialien Die folgenden Daten sind nicht allgemein notwendig um diesen Versuch erfolgreich durchzuführen, sie sind lediglich angeführt um eine genaue Dokumentation meiner Versuchsreiher zu ermöglichen. Der große Wasserbehälter (konstanter Füllstand durch stetiges Auffüllen; 17 cm Wasserstand) befindet sich in der Höhe h = 76 cm über dem Boden. Der Abstand zwischen dem Ausflusspunktes des Wasserhahns und der ersten Klammer (beziehungsweise der eingeklemmten Form) beträgt 3,7 cm. Die einzelnen Klammern sind in einem regelmäßigen Abstand von 14,5 cm angeordnet. Die einzelnen Versuchsdurchgänge und Ergebnisse Das Experiment ist in vier Phasen (=Durchgänge) aufgeteilt: Die erste Phase untersucht das Tropfverhalten des Wassers bei einem linearen regelmäßigen Tropfen aus dem Hahn. Die Auswirkung der einzelnen Trichter auf jeder Stufe (=Klammer) auf das Tropfverhalten wird dokumentiert. Der zweite Durchgang wird in gleicher Vorgangsweise wie der erste durchgeführt, doch der Hahn wird nun so eingestellt, dass die Tropfen chaotisch fallen. Ebenfalls in gleicher Art wird die dritte Versuchsreihe durchgeführt. Ausgangspunkt ist jedoch kein Tropfen sondern ein dünner Strom aus dem Hahn. In der vierten Phase des Experiments werden einige aus den Ergebnissen der vorherigen Versuchsreihen abgeleitete Hypothesen aufgestellt. Durch weiteres Experimentieren soll ein Beweis für diese Hypothesen gefunden werden. Seite 59 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel VI.: Versuche zur Chaostheorie – Chaotische Wassertropfen 1.Versuchreihe: Regelmäßiges Tropfen Die erste Versuchsreihe testet die Auswirkung der jeweiligen Trichterformen (F1 – F7) auf eine geordnete Tropffolge. Die Formen werden dabei in vier verschiedenen Positionen (S1 – S4) angebracht, um auch etwaige Besonderheiten, die durch den Tropfweg (Weg vom Ausfluss bis zur Form) entstehen könnten, erkennen zu können. Anschließend sind nun die Versuchsergebnisse dokumentiert, beschrieben wird jeweils die Eigenschaft der Tropffolge nach dem Durchlauf der Form. 1. Form 1: • bei Position 1: unregelmäßiges Tropfen; Aufspaltung des einzelnen Tropfen beim Durchlauf der Verengung in mehrere Tropfen (2 – 4 Tropfstellen) • bei Position 2: zuerst regelmäßiges Tropfen (der einzelne Tropfen kommt mit großer Wucht in den Trichter – durchquert die Verengung ohne Verformung), das in unregelmäßiges übergeht; mehrere Tropfstellen bilden sich • bei Position 3: unregelmäßiges Tropfen; Aufspaltung des einzelnen Tropfen in mehrere Tropfstellen; es entstehen durch die hohe Geschwindigkeit mit der der Tropfen durch die Form dringt sogar „Plop“-Töne; • bei Position 4: regelmäßiges Tropfen; der einzelne Tropfen schießt durch die Form hindurch; Skizze: Kilian Rieder, 27.1. 2005 2. Form 2: • bei Position 1: regelmäßiges Tropfen; der einzelne Tropfen wird durch die Form praktisch nicht am freien Fall gehindert Seite 60 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel VI.: Versuche zur Chaostheorie – Chaotische Wassertropfen • bei Position 2: regelmäßiges Tropfen; es tritt durch die größere Distanz eine kurze Bremsphase der Flüssigkeit an den Außenwänden bei der Verengungsstelle der Sanduhr ein • bei Position 3: regelmäßiges Tropfen; die einzelnen Tropfen sammeln sich an der unteren Öffnung zu einer Aufstauung an • Position 4: regelmäßiges Tropfen von zwei Tropfstellen; die Verengung führt hier zu einer Aufspaltung des einzelnen Tropfen 3. Form 3: • bei Position 1: regelmäßig; Aufstauung an der unteren Öffnung; drei Tropfen die durch den Trichter fließen lösen jeweils einen aus der schließlich aus der Form austritt • bei Position 2: unregelmäßig; Aufstauung an der unteren Öffnung; kein regelmäßiges Auslösen eines Tropfen; • bei Position 3: regelmäßig; Aufspaltung des Tropfen durch Innenbauch dieser Form • bei Position 4: unregelmäßig, mit Unterbrechungen; manchmal lösen mehrere Tropfen hintereinander genau den Austritt eines Tropfen in gleichen Zeitabständen aus der Form aus 4. Form 4: • bei Position 1: regelmäßiges Tropfen, ein kommender Tropfen löst an der unteren Öffnung einen Tropfen; • bei Position 2: wie bei Position 1 • bei Position 3: regelmäßig mit Unterbrechung; es treten manchmal zwei Tropfen hintereinander in kürzerem Zeitabstand zu einander auf; • bei Position 4: wie bei Position 3; ein „Plop“-Ton tritt auf 5. Form 5: • bei Position 1: unregelmäßiges Tropfen; starker Rückstau • bei Position 2: nicht zu erkennen ob unregelmäßig oder regelmäßiges Tropfen, es fließt ein Strahl aus der unteren Öffnung; Seite 61 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel VI.: Versuche zur Chaostheorie – Chaotische Wassertropfen • bei Position 3: unregelmäßiges Tropfen; ein einfallender Tropfen löst aber mit Sicherheit einen Tropfenaustritt am unteren Ende aus, jedoch in keinem stabilen Zeitintervall • bei Position 4: wie bei Position 3 6. Form 6: • bei Position 1: unregelmäßiges Tropfen; Entstehung eines Rückstaus; ungefähr 4 Tropfen lösen einen Tropfen am unteren Ende aus; • bei Position 2: regelmäßiges Tropfen; ein einzelner Tropfen löst einen Tropfen am unteren Ende aus; • bei Position 3: wie bei Position 2; jedoch wuchtigerer Austritt des Tropfen • bei Position 4: regelmäßiges Tropfen; Spaltung des Tropfen beim Austritt 7. Form 7: • bei Position 1: Spaltung in zwei regelmäßige Tropffolgen • bei Position 2: die Tropffolge fließt praktisch ungestört durch; regelmäßiges Tropfen • bei Position 3: wie bei Position 2 • bei Position 4: wie bei Position 2 2. Versuchsreihe: Leicht fließendes Wasser Die erste Versuchsreihe testet die Auswirkung der jeweiligen Trichterformen (F1 – F7) auf einen leicht fließenden Wasserstrahl. Die Formen werden dabei in vier verschiedenen Positionen (S1 – S4) angebracht, um auch etwaige Besonderheiten, die durch den Tropfweg (Weg vom Ausfluss bis zur Form) entstehen könnten, erkennen zu können. Anschließend sind nun die Versuchsergebnisse dokumentiert, beschrieben wird jeweils die Eigenschaft des leicht fließenden Wasserstrahls nach dem Durchlauf der Form. 1. Formen 1 – 3: • Es ergibt sich keine chaotische Tropffolge. Diese drei Formen ergeben alle in etwa dasselbe Ausflussbild, es ist dabei auch nicht von Bedeutung auf welcher Position die Formen angebracht sind. Es ist ein leicht gestauter Ausfluss zu bemerken. Seite 62 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel VI.: Versuche zur Chaostheorie – Chaotische Wassertropfen 2. Formen 4 und 5: • Es ergibt sich dasselbe Ausflussschema nach der Form wie es bereits beim Ausfluss aus dem Hahn entstehen würde, wenn die Form nicht vorhanden wäre. 3. Form 6: • Es entsteht beim Ausfluss ein Wasserstrahl, der nach wenigen Zentimeter in eine Tropffolge übergeht. Diese ist aber nicht chaotisch. 4. Form 7: • Es erfolgt eine Zerlegung des Wasserstrahls in eine sehr schnelle Tropffolge. Dies resultiert aus der starken Verengung des Trichters. Es ist nicht anzunehmen, dass es sich dabei um eine chaotische Tropffolge handelt. 3. Versuchsreihe: Chaotisches Tropfen Die erste Versuchsreihe testet die Auswirkung der jeweiligen Trichterformen (F1 – F7) auf eine chaotische Tropffolge. Die Formen werden dabei in vier verschiedenen Positionen (S1 – S4) angebracht, um auch etwaige Besonderheiten, die durch den Tropfweg (Weg vom Ausfluss bis zur Form) entstehen könnten, erkennen zu können. Anschließend sind nun die Versuchsergebnisse dokumentiert, beschrieben wird jeweils die Eigenschaft der Tropffolge nach dem Durchlauf der Form. 1. Form 1: • Das chaotische Tropfen bleibt in seinem Schema, auch nach Durchlaufen der Form. Die Verengung in der Mitte der Form führt zu einer Aufspaltung der Tropfen, stört aber nicht die chaotische Bewegung. Prinzipiell ist die Verhaltensweise für alle vier Positionen (S1 – S4) gleich, teilweise treten aber für die Positionen S3 und S4 mehr Tropfstellen als für S1 und S2 auf. 2. Form 2: • Das chaotische Tropfen bleibt in seinem Schema, auch nach Durchlaufen der Form. Dies gilt für alle vier Positionen (S1 – S4). Es kommt allerdings nach einiger Zeit immer wieder zu einem zusätzlichen Tropfen, der gleichzeitig mit einem anderen aus der Form austritt. Bei Position S1 tritt dieser Fehler am Seite 63 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel VI.: Versuche zur Chaostheorie – Chaotische Wassertropfen wenigsten in Erscheinung, und steigt in seiner Häufigkeit mit den jeweiligen Positionen an. 3. Form 3: • Überraschenderweise tritt hier ein völlig regelmäßiges Tropfen auf. Die Positionen S1 bis S4 unterscheiden sich nur dahingehend, als dass mit steigender Positionsordnungszahl die Tropfen in größeren Abständen zueinander ausgelöst werden. 4. Form 4: • Es kommt zu einer starken Aufstauung, durch die eine regelmäßige Tropffolge ausgelöst wird. Ab der Position S3 scheint eine Veränderung der regelmäßigen Tropffolge in eine chaotische Tropffolge zu entstehen. Jedoch konnte leider trotz mehrerer Durchgänge nicht festgestellt werden, ob dies korrekt ist oder lediglich eine Erscheinung der steigenden Distanz zum Ausflusshahn. 5. Form 5: • Es gibt eine Aufstauung, die die Entstehung einer sehr schnellen, regelmäßigen Tropffolge bewirkt, die nach wenigen Zentimetern sich zu einem dünnen Rinnsal zusammenschließt. 6. Form 6: • Es entsteht eine Aufstauung, die eine regelmäßige Tropffolge auslöst. Diese wird in regelmäßigen Abständen durch sehr kurze Fließphasen unterbrochen. Ab der Position S2 spaltet sich der Tropfen durch die Öffnung hindurch. Es zeigt sich, dass je tiefer die Position gelegen ist, desto schwieriger wird es die Tropfen genau zu beobachten, da sie sich in einzelne Spritzer durch die Wucht des Einfallens in die Form zersplittern. 7. Form 7: • Durch diese Form entsteht bei ihrem Ausfluss eine unnachvollziehbare Bewegung. Der Trichterausgang, der unregelmäßig ist spaltet den einzelnen Tropfen ab der Position S2. Die Tropfen werden zu kurzen Strahlen. Seite 64 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel VI.: Versuche zur Chaostheorie – Chaotische Wassertropfen 4. Hypothesen Zur linearen Tropffolge: • Der „Anstoß-Mechanismus“: Bei mehreren Formen konnte ich beobachten wie Tropfen erst in der Form aufgestaut wurden und schließlich, nachdem dieses Reservoir von einem nachfolgenden Tropfen getroffen worden war, aus der Öffnung der Form traten.5 • Die Verengung: Mehrere Beobachtungen (speziell die Form 2 bei S4) lassen mich vermuten, dass Verengungen bei linearen Tropfbewegungen prinzipiell zu einer Aufspaltung des einzelnen Tropfen in zwei oder mehrere Tropfen auslösen. • Stehende Tropfen: Speziell bei Form 5 fiel eine Erscheinung auf, die zeigte wie mehrere Tropfen hintereinander immer dieselben Positionen im dünnen Hals des Trichters einnehmen. Sie lösen sich durch den „Anstoß-Mechanismus“ ab. Skizze: Kilian Rieder, 27.1. 2005 • Die Hypothese, dass unregelmäßige Formen prinzipiell regelmäßige Tropffolgen bei einer linearen Tropffolge als Ausgangssituation bewirken, konnte ich leider nicht genauer beweisen. Zum leicht fließenden Wasser: • Verzögerung/Aufstauung: Es zeigt sich, dass bei den Formen, die nach unten hin eng zusammenlaufen verzögert wird, dass der dünne Wasserstrahl aus dem Hahn in eine schnelle Tropffolge übergeht. 5 Der beschriebene Prozess ist in einem kurzen Videodokument (Anstoß-Mechanismus) auf der beiliegenden Multimedia-CD zu sehen. Seite 65 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Kapitel VI.: Versuche zur Chaostheorie – Chaotische Wassertropfen Skizze: Kilian Rieder, 27.1.2005 • Bei einem leicht fließenden Wasser spielt die Position der Formen keine Rolle. Das einzige Problem dabei könnte sein, dass der Strahl bevor er in eine Form trifft in eine Tropffolge zerfällt. Zur chaotischen Tropffolge: • Der „Ausfallstropfen“: Bei Form 2 treten bei chaotischen Tropffolgen immer kleine Fehler auf, so genannte „Ausfallstropfen“. Dieser löst sich in eine völlig andere Richtung wie die übrigen Tropfen. Er entsteht vermutlich durch ein Aufschaukeln der Kräfte im Trichter (mehrere Tropfenstöße fallen zusammen). • Bei Form 5 kann man in der Trichterform durch das Glas hindurch erkennen, dass die Aufstauung nie dieselbe Höhe hat. Ein möglicher Beweis dafür, dass die Tropffolge, die aus dem Hahn kommt tatsächlich chaotisch ist. • Aufstauung: Es kristallisiert sich heraus, dass eine Aufstauung prinzipiell eine chaotische Tropffolge in eine regelmäßige umwandelt. Im Fall der „Doppelsanduhr“ (Form 3) wird die Tropffolge in der Mitte also regelmäßig sein (nicht nachgewiesen), und schließlich wieder umgekehrt. • „Ausfluss-Katastrophe“: Speziell bei Form 4 lässt sich dieses Phänomen beobachten. Es gibt einen regelmäßig wiederkehrenden Zeitpunkt, an dem der gesamte Trichterfüllstand plötzlich abgelassen wird. Eine mögliche Ursache könnte ein plötzlicher Verlust der Oberflächenspannung an der Öffnung der Form sein. Seite 66 FBA Physik: Chaos – Chaostheoretische Anwendungen in Physik und Alltag Bibliographie Folgende Literatur wurde als Quelle für diese Fachbereichsarbeit genutzt: VESTER Frederic, Die Kunst vernetzt zu denken – Ideen und Werkzeuge für einen neuen Umgang mit Komplexität, München: DTV-Verlag 2002 NÜRNBERGER Christian, Faszination Chaos – Wie zufällig Chaos entsteht, Stuttgart: Georg Thieme Verlag 1993 BRIGGS John und PEAT F. David, Die Entdeckung des Chaos – Eine Reise durch die ChaosTheorie, München-Wien: Carl Hanser Verlag 1990 WINFREE T. Arthur, Spektrum der Wissenschaft: Verständliche Forschung – Sekundenherztod: Hilfe von der Topologie, Heidelberg: Spektrum-der-WissenschaftVerlagsgesellschaft 1989 HUBBARD Burke Barbara und HUBBARD John, Gesetz und Ordnung im Universum: Die KAM-Theorie (Artikel, erschienen 1994 im Spektrum der Wissenschaft) BUBLATH Joachim, Das neue Bild der Welt, Wien : Ueberreuter Verlag 1992 LAHMER Karl, Kernbereiche der Philosophie, Wien: E. Dorner Verlag 2002 DTV-LEXIKON – Ein Konversationslexikon in 20 Bänden, München: DTV-Verlag 1980 COLLIER’S ENCYCLOPEDIA, COLLIER`S ENCYCLOPEDIA, Band 1-24, New York: Macmillan Educational Company 1992 DUDEN, Das Fremdwörterbuch, Zürich: Dudenverlag 1990, Band 5 Sonstige Quellen: Film: Naturwissenschaftliche Weltbilder, Chaostheorie, Arge PPP / Akad.Gym., Kassette 21 Internet: www.videofeedback.dk Seite 67