: DK - Ostsee linksherum, at www.SVB.de

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DELIUS KLASING VERLAG
I‘ve spent my life watching sky and sea change colour
Hypnotised by
The Beauty of it all
And you ask me why I’m singing …
(Hothouse Flowers)
Inhalt
6. Tag, Rügenwalde (Darlowo), Freitag, 21. Mai . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
9. Tag, Gdansk (Danzig), Pfingstmontag, 24. Mai . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
13. Tag, Klaipeda (Memel), Freitag, 28. Mai . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
16. Tag, Libau (Liepaja), Montag, 31. Mai . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
24. Tag, Kuressaare (Arensburg), Dienstag, 8. Juni . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
28. Tag, Kihnu (Kühnö), Sonnabend, 12. Juni . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
32. Tag, Haapsalu (Hapsal), Mittwoch, 16. Juni . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
34. Tag, Tallinn (Reval), Freitag, 18. Juni . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
Das Virus, Hamburg, 1. Mai 1970 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
41. Tag, Hanko, Freitag, 25. Juni . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
47. Tag, Mariehamn, Donnerstag, 1. Juli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
49. Tag, Reposaari, Sonnabend, 3. Juli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
57. Tag, Kemi, Sonntag, 11. Juli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
64. Tag, Kage, Sonntag, 18. Juli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
71. Tag, Härnösand, Sonntag, 25. Juli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
79. Tag, Öregrund, Montag, 2. August . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
89. Tag, Stockholm, Donnerstag, 12. August . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
95. Tag, Idö, Mittwoch, 18. August . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
98. Tag, Visby, Sonnabend, 21. August . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
107. Tag, Svaneke, Montag, 30. August . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
Der letzte Tag, Seedorf, Donnerstag, 1. September . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
Rügenwalde
Standort Rügenwalde (Darlowo),
Freitag, 21. Mai, der 6. Tag
Ahoi, Landratten!
E
in stiller, heller Morgen im Mai. Blassblauer Himmel über Rügen, Tagesanbruch. Auf dem Wasser liegt milchiger Dunst. Seedorf, der kleine Hafen
im Südwesten der Insel, schläft noch tief und fest. Ich drehe den Bug in die
Morgensonne. Lautlos gleitet mein Boot am Schilfgürtel entlang, die Halme rascheln leise im Wind. Aus dem Wäldchen gegenüber ruft ein Kuckuck. Der Beginn
meiner großen Reise, genauso habe ich ihn mir immer vorgestellt. Lange habe ich
auf diesen Moment gewartet, jetzt endlich ist es so weit! – und natürlich ist alles
vollkommen anders.
Und zwar so: Sonntagmorgen, 16. Mai 2010. Sprühregen aus dunkelgrauem
Himmel, Südwestwind Stärke fünf. So geht das schon seit Tagen. Was ist bloß mit
dem Wetter los in diesem Frühjahr? Unruhig laufe ich auf dem Steg hin und her.
Immer wieder suche ich am Horizont nach einem Hoffnungsschimmer, doch da ist
nichts in Sicht. Langsam muss ich mich aber mal entscheiden, und deswegen sage
ich laut zu mir selbst: Jetzt! Jetzt soll es sein! Damit diese Warterei ein Ende hat.
Wollsocken, Segelstiefel, Schal und Mütze, rotes Ölzeug überm Faserpelz, das
volle Programm. Schließlich noch die Schwimmweste mit dem Lifebelt. Zum ersten Mal schlage ich die Fallen an und ziehe die Segel hoch. Noch keine Spur von
Routine, jeder Handgriff will genau überlegt sein. Das Boot hängt jetzt nur noch an
der Vorleine, die Segel schlagen im Wind. Dann löse ich auch diese letzte Verbindung, klettere zurück ins Cockpit und hole die Schoten dicht. Die CILLY legt sich
auf die Seite und nimmt Fahrt auf. In meiner Blutbahn kreist ein Adrenalincocktail.
Dann, mit einem Schlag, löst sich die Anspannung der letzten Tage und Wochen.
Ich kann nicht anders und brülle, so laut ich kann, über den ganzen Hafen: »Ich
bin unterwegs!« Angst und Aufregung, Nervosität und Freude, der Wunsch, lieber
noch zu bleiben, und die beinahe unerträgliche Ungeduld, endlich loszukommen,
all meine Gefühle geraten in diesem Augenblick vollkommen durcheinander; ich
kann es kaum beschreiben. Das Wasser in meinen Augen kommt jedenfalls nicht
allein vom Regen.
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Konni und Brigga, seine Frau, haben ihren Drachen klargemacht und begleiten
mich noch eine Weile. Nebeneinander kreuzen wir raus auf den Rügischen Bodden. Draußen steht eine kurze, unangenehme Welle. Immer wieder Schauerböen.
Bald sind die beiden nass und durchgefroren. Ein letztes Winken, dann drehen sie
ab. Von nun an bin ich allein.
Querab des Seebades Bansin kommt ein großes Schlauchboot längsseits, fünf
Mann in schwarzen Uniformen und alles andere als freundlich: Bundespolizei.
Woher, wohin, wer ist an Bord, sie wollen meinen Ausweis sehen. Ich muss ihn in
einen Kescher werfen und rüberreichen. Schließlich, nach genauer Überprüfung
meiner Identität über Funk, haben sie noch eine letzte Frage, anscheinend ganz
ernst gemeint: »Führen Sie mehr als 10 000 Euro in bar mit sich?«
O Mann, seh ich vielleicht so aus, allein auf meinem kleinen Holzboot? Was für
ein merkwürdiger Abschied von Deutschland.
Ein paar Meilen weiter, kurz hinter der berühmten Seebrücke von Ahlbeck, geht
meine erste Gastlandflagge hoch. Polen. Die erste von acht, die eine nach der anderen da oben flattern werden.
So befremdlich die letzte Begegnung im eigenen Land, so freundlich der Empfang in Swinemünde. Bevor ich überhaupt einen Fuß an Land setzen kann, reichen
mir ein paar polnische Motorbootfahrer ein Glas Wein aufs Vorschiff.
Und im roten Wein funkelt jetzt, am Ende dieses ersten Tages, sogar die Abendsonne.
Swinemünde, auf Polnisch Swinoujscie, ist der südlichste Hafen der gesamten
Ostsee und damit auch der südlichste Punkt meiner Reise. Ab jetzt geht’s nur noch
nordwärts. Tolles Gefühl!
So also beginnt die Reise, von der ich geträumt habe, seit ich mit Sanne und unseren beiden Töchtern vor 15 Jahren zum ersten Mal Segelurlaub in Griechenland
machte. Ich dachte, wie schön es doch wäre, könnte ich mich einmal einen ganzen
Sommer lang ohne jeden Zeitdruck zwischen den Inseln treiben lassen, ohne immer schon nach zwei oder drei Wochen wieder an Land gehen zu müssen.
Dieser Gedanke ließ mich nicht mehr los, aber, auch das war mir klar, so einen
Traum träumen ja viele. Bücher, die davon handeln, einfach mal weg zu sein, zu
Lande oder zu Wasser, füllen die Regale meterweise. Doch für die meisten Träumer bleibt es beim Lesen und für die meisten Leser beim Träumen. Was, wenn ich
es tatsächlich schaffen würde, loszufahren? Einen ganzen Sommer lang, drei oder
vier Monate am Stück, warum eigentlich nicht?
In den folgenden Jahren fuhren wir wieder nach Griechenland, segelten im
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blauen Ionischen Meer, und ich ertappte mich dabei, dass ich immer konkreter
über mein Vorhaben nachdachte. Ich begann allerdings auch, das Revier kritisch
zu betrachten. Die griechischen Häfen sind immer voll. Da ist es heiß, manchmal
sogar sehr heiß; selbst im Hochsommer wird es abends schon früh dunkel. Alles
nicht wirklich ideal. Gab es denn vielleicht eine Alternative? Allerdings, die gab es,
und zwar direkt vor der Haustür. Die Ostsee, eins der schönsten Segelreviere überhaupt! Dort könnte ich einfach immer weiter nach Norden segeln, bis es irgendwann überhaupt nicht mehr dunkel wird. Dort sind die Häfen auch im Sommer nie
voll. Ich müsste mir nicht ernsthaft Gedanken über zu viel Hitze machen – und mit
den Mücken würde ich auch noch fertig werden. Einmal ganz außen rum, ohne
ein einziges Mal meinen Kurs zu kreuzen. Immer vorwärts, statt nur hin und her.
Die nächste Frage war, wann der richtige Zeitpunkt für solch eine Reise sein
könnte. Unsere beiden Töchter müssten mit der Schule fertig sein, so viel stand
fest. Im Abi-Stress wollte ich sie nicht allein lassen – und beim Feiern hinterher
natürlich auch nicht. Der Sommer 2009 wäre demnach die erste Möglichkeit für
meinen großen Törn. Bis dahin waren es damals noch genau sechs Jahre. Zeit
genug, um aus dem vagen Traum einen ernsthaften Plan zu machen.
Morgens gleich weiter nach Kolberg (polnisch: Kolobrzeg). Herrliche Nordwestbrise, halber Wind, die Schoten geschrickt, da rutscht mein kleines Boot in
Böen mit neun Knoten die Wellen runter. Und im Logbuch steht es schwarz auf
weiß: 11 Uhr Sonne! 12.30 Uhr Sonne!! 14.30 Uhr Sonne!!! Und schließlich: 16 Uhr
Sonne, vier Ausrufezeichen.
Die Einfahrt nach Kolberg ist schmal, davor stehen bei diesem Wind kräftige
Wellen. Trotzdem muss ich da jetzt rein, nützt ja nichts. Unter vollen Segeln rausche ich auf den Hafen zu, und zwischen den langen Molen wird das Wasser bald
ruhiger. Weiter drinnen, in der Abdeckung der hohen Lagerhäuser, ist fast Flaute.
Am nächsten Morgen weht der Nordwest mit fünf plus. Keine Chance für mich,
hier rauszukommen. Das bedeutet: mein erster Hafentag. Da kann ich mal in Ruhe
basteln.
Ich bin mit einem Folkeboot unterwegs, einem dieser wunderhübschen Holzboote mit bernsteinfarbenem Rumpf. Gebaut hat es vor 30 Jahren eine kleine Werft
in Svendborg. Die Baunummer 793 mit dem D für Dänemark steht bis heute im
Großsegel. Das Boot ist topfit, aber, jeder Holzbootsegler weiß das, ab und zu
ist immer mal was. Wenn’s bei Kleinigkeiten bleibt, bin ich froh. Gestern hatte
ich zum Beispiel ein Problem mit meiner Cockpitsitzbank. Da fielen auf einmal
die Schrauben einfach eine nach der anderen raus, und jetzt versuche ich, das mit
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Bordmitteln wieder hinzubekommen. Da steht plötzlich jemand auf der Pier, begrüßt mich auf Deutsch, sagt: »Hallo, ich bin Jörn Heinrich«, sieht sofort, dass ich
zwei linke Hände habe, und bietet mir spontan an, mich und das Brett mit in seine
Werkstatt zu nehmen. Es dauert eine Weile, bis bei mir der Groschen fällt und ich
mitbekomme, dass es der Jörn Heinrich ist, dessen Handbücher für die polnische
und baltische Küste auch in meinem Bücherschapp stehen. Seit einigen Jahren lebt
er hier und baut in seiner Kellerwerkstatt ausgeklügelte Windfahnen-Selbststeueranlagen. Er ist ganz erstaunt, dass ich völlig ohne Autopilot unterwegs bin, und
kann gar nicht glauben, dass ich so etwas auch überhaupt nicht haben will.
Erst einmal fahren wir also zu einem Baumarkt und kaufen die nötigen Schrauben. Dann folgt eine kleine Geschichtsstunde. In Jörns altem Golf kurven wir ein
paar Runden über den alten Flugplatz von Kolberg. Überwucherte Bunkeranlagen,
schlaglöcherige Rollbahnen, mehr ist hier nicht übrig geblieben. Aber 1939 starteten von hier aus Hitlers Bomber, um Warschau in Trümmer zu legen. In den ehemaligen Kasernen, in einem Kiefernwäldchen gelegen, sind heute Wohnungen. Im
Offizierstrakt unterm Dach wohnt Jörn mit seiner Familie. Wir gehen in den Keller,
Wonnemonat Mai: Mütze, Handschuhe, Heißgetränk.
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und hier, mit dem richtigen Werkzeug, geht alles ruck, zuck. Neue Löcher gebohrt,
neue Schrauben rein und fertig.
Später laufe ich alleine durch die Stadt. Hoch oben thront der Mariendom, eine
mächtige Backsteinbasilika. Bei Kriegsende war davon kaum noch etwas übrig. Die
Rote Armee hatte die ehrwürdige Kirche bei der Einnahme der Stadt fast vollständig zerschossen. Später wollten die Sowjets auch noch die Reste sprengen, aber da
hatten sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Die Kolberger wollten ihr Wahrzeichen nämlich gern behalten, und so fuhren polnische Soldaten kurzerhand ihre
Panzer in die Kirche, stellten sie dort ab und nahmen die Schlüssel mit. Da bliesen
die Russen die Sprengung lieber ab, denn die Panzer wurden ja noch gebraucht. So
jedenfalls hat mir Jörn die Geschichte erzählt.
Mit voller Blase durch dichten Nebel.
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Vorn an der Strandpromenade gibt es Fish & Chips, dann fängt es leider an zu
regnen. Ich sitze gemütlich in meiner Kajüte, in warme Decken eingewickelt, höre
den Regentropfen zu, die auf meine Cockpitpersenning prasseln, und lese beim
Schein der Gaslampe ein schönes Buch mit dem sehr passenden Titel Auf Reisen. Die
Lampe ist nicht nur recht hell, sondern auch schön warm, sodass die kleine Kajüte
komplett beheizt wird – auf mollige 15 °C ...
Sechs Uhr am nächsten Morgen. Ich schaue aus dem Fenster und lege mich
gleich wieder hin. Pottendichter Nebel. Also: der zweite Hafentag. Als es gegen elf
Uhr aufklart, ist es zum Auslaufen schon zu spät. Denn es brist aus Nordost, nicht
gerade ideal für meinen Kurs Richtung Rügenwalde (Darlowo). Wie sagte Käpt’n
Wolter, mein alter Segellehrer, immer so schön, damals in Travemünde? »Fahrtensegler kreuzen nicht!« Na bitte.
Viele Touristen spazieren durch den Hafen, immer wieder sprechen mich Deutsche an. Meistens ältere Herrschaften, die hierher zur Kur gekommen sind, aber
auch ein junges Pärchen aus Lübeck, auf Radtour durch Polen. Sie wollen alles wissen über mein Boot und meine Pläne, denn sie haben auch ein Folke, das liegt in
Neustadt. Als sie weiterradeln, sind sie, glaube ich, ein bisschen neidisch.
Sonne und Nebel wechseln sich jetzt halbstündlich ab. Um 17 Uhr gibt der
Klempner, der seit gestern in den Sanitärcontainern gewerkelt hat, das ersehnte
Zeichen. Das Wasser läuft wieder, wenn auch nur in einer Dusche. Die anderen Duschen, ebenso wie die Toiletten, sind leider in einem ziemlich desolaten Zustand.
Wofür verwenden die hier wohl die Hafengebühren, die sie jeden Abend kassieren?
Ein neuer Morgen, und wieder ist alles dicht. Dazu nur schwacher Wind aus
Nord. Deutschlandfunk um 6.40 Uhr sagt: »Anfangs diesig.« Hoffnung keimt auf,
dass sich der Nebel, so wie gestern, später verzieht. Um halb acht lege ich ab, Ziel
ist heute Darlowo. Erst mal kreuze ich Schlag um Schlag aus der engen Einfahrt,
dann liege ich bis halb zehn wie festgewurzelt in einer Totenflaute, keine Meile vor
dem Hafen. Ich versuche es mit meinem Außenborder, doch das funktioniert überhaupt nicht. In der alten Dünung, die noch von gestern steht, taucht die Schraube
immer wieder aus dem Wasser. Noch mache ich mir darüber keine weiteren Gedanken, außerdem beginnt es gerade leise zu lüfteln. Zwei Windstärken, vielleicht
drei aus Nordwest. Das bedeutet bei meinem Kurs von 62°: Backstagsbrise. Und
jetzt kommt zum ersten Mal mein Turbo zum Einsatz: Ich setze die Blase, meinen blauweißen Gennaker. Das ist ja klasse! Feinstes Gennakersegeln mit halbem
Wind, vier bis fünf Knoten, aber das Ganze leider völlig blind. Die Hoffnung auf
klare Sicht habe ich inzwischen aufgegeben. Ich orientiere mich nur mithilfe des
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Kartenausschnitts auf meinem GPS, fahre dicht unter Land, so dicht, dass ich die
Stimmen der Spaziergänger am Strand hören kann, immer an der Fünfmeterlinie
entlang. Um sieben Uhr abends wird es eher noch schlimmer. Der Wind ist nun
wieder völlig weg, der Schwell aber auch. Ganz vorsichtig taste ich mich unter Motor an die Einfahrt von Darlowo heran und sehe die Molenköpfe erst, als ich schon
genau zwischen ihnen bin. Wie schön, dass es GPS gibt. Und was nützen eigentlich
die Feuer auf den Molen, wenn sie nicht angeschaltet sind?
Weil es schon so spät ist, hole ich meine Handfunke raus, die ich genau für solche Fälle mitgenommen habe (ohne mich um die vorgeschriebenen Funksprechzeugnisse, Anmeldungen etc. zu kümmern – wir sind hier ja schließlich in Polen),
und frage den Hafenmeister, ob die Brücke, die den hinteren Hafenteil versperrt,
heute noch mal aufmacht. Die Antwort kommt prompt, ich bekomme eine Privatdurchfahrt. Außerdem winkt der freundliche Mann mich noch zu sich heran und
wirft mir einen Schlüssel für den nagelneuen Sanitärcontainer zu, neben dem ich
später, als einziges Boot, festmache.
Heute Morgen keine Besserung: alles pottendicht und null Wind. Rund 50 Meilen sind es bis Leba, keine Chance für mich und die CILLY. Aber ich entdecke vorn
am Strand das Hotel Apollo, da gibt es leckeren Kaffee und Kuchen. So gestärkt,
ziehe ich mir die Laufschuhe an und jogge eine Stunde den lang gezogenen Strand
entlang. Eben war hier noch alles öd und leer, aber plötzlich ist der Himmel blau,
und auf einmal sind sie alle da. Buntes Treiben. Männer, Frauen, Kinder, alles wuselt durcheinander, ein Bild wie aus einem Prospekt für eine Sommerfrische an der
See. Ein paar ganz Mutige baden sogar schon!
Mast- und Schotbruch!, der Alleinsegler