Leuchttuerme
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Leuchttuerme
Leuchtende Gastgeber Leuchttürme sind heute meistens automatisiert oder werden aus dem Verkehr gezogen und dem Verfall überlassen. Doch einige erhalten ein neues Dasein als Hotels und Pensionen – zum Beispiel in Kanada. 86 Text und Fotos: Daniel B. Peterlunger Weit draussen zieht ein weisses Segel zum Horizont. Starker Wind trägt riesige Möwen in die Höhe und lässt am Ufer die rot-weisse Fahne mit dem Ahornblatt vor einem kobaltblauen Himmel knattern: Kanada, Atlantikküste. Auf Grund liegen mindestens 5000 Schiffswracks. Dafür gibts Gründe: Starke Strömungen und Stürme, zerklüftete Küsten und Klippen prägen das maritime Kanada. Hier brandet der Atlantik gegen die Provinz Nova Scotia an, die wie ein Amboss geformt ins Meer ragt. Weiter westlich liegt die Region New Brunswick. Die beiden Provinzen trennt ein Meeresarm: die Bay of Fundy. Sie hat die stärksten Gezeiten der Welt. 16,5 Meter Unterschied zwischen Ebbe und Flut wurden schon gemessen. Im Norden liegt die Insel Prince Edward. Deren Küsten sind stellenweise ebenso zerklüftet wie jene der beiden Nachbarprovinzen. Wohin man auch blickt: Gefahren für die Schifffahrt. Deshalb stehen auf den Kaps und Inseln der gesamten Region mehr als hundert Leuchtfeuer: Die höchste Leuchtturmdichte der Welt! Am Goldenen Kap Swallowtail Lighthouse, Insel Grand Manan (rechts): Hier gibts Bed & Breakfast. Andere Leuchttürme - wie etwa Fort Point (unten) - locken mit liebevoll gepflegten Museen. 88 Die Zeit der Leuchtturm-Wärter ist vorbei. Heute funktionieren Kanadas Leuchttürme bis auf einen einzigen automatisch und werden deshalb teilweise anders – touristisch – genutzt. Denn sie stehen immer an Stellen mit bester Aussicht. Beispiel Advocate, in der Provinz Nova Scotia: 60 Meter hohe, steile, bröckelnde Klippen und harte Flanken aus Basalt begrenzen hier die Bay of Fundy. Das Goldene Kap ist eine steinerne Zunge, die sich frech in das von Gezeitenströmen aufgewühlte Meer ausstreckt. Am Kap leuchtet saftig-grün Rasen auf schwarzen Felsen. Hier steht der Leuchtturm von Cape d’Or. Vor fünfzehn Jahren wurde er automatisiert. Die zwei Wärterhäuser wurden in ein Restaurant mit Gästehaus verwandelt. Darcy, der Pächter, erklärt stolz: «Hier gibts Bed and Breakfast, Meerblick und Möwen, reine Natur.» Das stimmt. Man schläft gut hier. Und in einigen Zimmern wird der Leuchtturm, der direkt neben dem Gästehaus steht, zur Nachttischlampe. Ausschalten geht nicht. Den Finger am Drücker hat hier die kanadische Küstenwache – wie bei allen Leuchttürmen, die sie betreibt. Wer durch das in regelmässigen Abständen ins Zimmer fallende Licht irritiert ist, muss die Vorhänge schliessen. Bei schlechter Sicht schaltet sich auch noch automatisch das Nebelhorn ein, mit sonorem, kaum störendem Klang. Ähnlich schön gelegen ist das Swallowtail Lighthouse, auch mit Bed & Breakfast, auf der kleinen Insel Grand Manan, New Brunswick. Übers Meer wären es vom Cape d’Or nur 160 Kilometer zur Insel am Eingang der Bay of Fundy. Mit dem Auto dauert die Reise jedoch mindestens sechs Stunden, wobei man der Küste entlang zahlreiche Leuchttürme zu Gesicht bekommt, bevor man mit einer Fähre zur Insel übersetzt. Seemann Greg transportiert seit dreissig Jahren Fische von der Insel zum Festland. Er besucht die Leuchttürme seiner marina.ch november/dezember 07 Insel nie. «Wenn ich auf dem Wasser bin, schaue ich aber immer zum Licht. Das tun alle, obschon wir dank GPS und Radar genau wissen, wo wir uns befinden.» Dann fügt er hinzu: «Falls die Bordelektronik ausfällt, sind wir auf diese Lichter angewiesen.» Voller Zuneigung schaut Greg zum Swallowtail Lighthouse hoch, wo gleichzeitig dünne Nebelfetzen und Sonnenstrahlen den achteckigen, sich nach oben verjüngenden Turm am äussersten Zipfel der Insel umspielen. Einheimische und Touristen beobachten von hier aus stundenlang Wale, die immer im Juli pünktlich zur Ferienzeit eintreffen. Whale Watching ist ein touristischer Renner. Die Magie des Lichts Es ist ein Vergnügen, durch die grandiosen Landschaften dieser Region, durch ihre Weiten und Wälder zu fahren. Kommt man mit Einheimischen ins Gespräch und wird das Thema Leuchttürme berührt, passiert immer das Gleiche: Der Gesprächspartner beginnt zu lächeln, als streiche der Lichtstrahl, der nachts übers Meer huscht, auch in diesem Moment vorüber und erhelle Gesicht und Gemüt. Sind Leuchtfeuer vielleicht mehr als nur Funzeln in der Nacht? november/dezember 07 marina.ch Gefährlicher Nebel vor Kanadas Atlantikküste – wie seit Jahrhunderten. seaside 89 Leuchtende Museen Die meisten Leuchttürme Kanadas sind aus Holz gebaut, vier- oder achteckig. Viele enthalten kleine Museen, die auf originelle Weise vom Leben im Turm erzählen, von der Schifffahrt und der Küstenfischerei. Denn Lachs, Hummer und Muscheln sind für die Region von existenzieller Bedeutung. Im idyllischen Weltkulturerbe-Städtchen Lunenburg, Nova Scotia, zeigt das «Fisheries Museum of The Atlantic» zum Beispiel anschaulich, weshalb hier Fische immer frisch sind. Und dass die Tiere nicht nur Lebensmittel oder Gartendünger (Fischmehl) sind, sondern wichtige Bewohner unseres Planeten. Mit einer anderen Spezialität wartet der schmucke Leuchtturm von Cape Bears auf: Er wurde 1905 mit einer MarconiStation ausgerüstet, einem Funkgerät der allerersten Generation, zu einer Zeit, als es noch kein Radio gab. Damit hörte ein gewisser Thomas Barlett 1912 als Erster das SOS-Signal eines sinkenden Schiffs vor Neufundland: Es war die Titanic. Keiner zu klein Werden sie durch die Erhebung von Licht in die Höhe zu wundersamen Wesen? Leuchttürme sind Wegweiser, Haltepunkte am Rand einer gewellten Unendlichkeit. Sie stehen am Übergang zwischen der bewohnten und der menschenleeren, der festen und der flüssigen Welt, in einem Grenzbereich, einer Gefahrenzone. Salzige Gischt ätzt die Türme, Sturmwind rüttelt sie. Gewaltige Wellen zerschlagen sie manchmal und reissen Leuchtturmwärter ins nasse Grab. So wars jedenfalls früher. Heute stehen die Türme sicher, die meisten sind automatisiert, die Wärter sind in Pension gegangen. Leuchttürme als Retter Als die Wikinger ums Jahr 1000 in Kanada eintrafen, gabs noch keine Leuchtfeuer. Wie viele Schiffe der Nordmänner deswegen an den Küsten scheiterten, ist unbekannt. Aber dass die Wikinger ein halbes Jahrtausend vor Kolumbus den Weg über den Atlantik fanden und hier ankamen, ist sicher, denn sie hinterliessen Spuren. Dass sie in Neufundland, heute ein Teil Kanadas, angelegt haben, ist kein Zufall: Es ist die erste Landmasse, auf die man nach einer Überquerung des Nordatlantiks trifft. Später tobten in Kanada vor allem englische und französische Kräfte wie Wellen im Kampf um Macht und Märkte durch die Jahrhunderte. Frankreich hatte lange Zeit die Oberhand. Port-Royal, das erste europäische Städtchen in Nordamerika überhaupt, entstand zu Beginn des 17. Jahrhunderts an der Bay of Fundy. Kurz danach bauten die Franzosen bei 90 seaside marina.ch november/dezember 07 Louisbourg, Nova Scotia, den ersten Leuchtturm. In den nächsten 250 Jahren kamen viele weitere Leuchtfeuer dazu. Dank ihnen kehrte an Bord jene navi gatorische Gewissheit ein, die jeder Seemann bei der Annäherung ans Ufer schätzt, damit der Landfall, der Küstenkuss, nicht zur Katastrophe wird. Im Lauf der Geschichte waren zu viele Schiffe an Klippen zerschellt. Oder irrten, bis sie eine geschützte Bucht fanden, durch den berüchtigten Nebel über den schwierigen Gewässern. Schwierig ist das Meer hier trotz moderner Navigationshilfsmittel bis heute geblieben. Der 62-jährige Alan, ein ehemaliger Leuchtturm wärter, bringts wortkarg auf den Punkt: «Leuchttürme retten Menschenleben.» Die Confederation Bridge, die längste Brücke der Welt, verbindet das Festland mit Prince Edward Island. Nach einer Autofahrt von 13 Kilometern übers Meer gelangt man auf die schmale, sanft gewellte Insel. Hier stehen auf kleiner Fläche 50 Leuchttürme. Einige sind niedliche Türmchen, die kleinsten gerade vier Meter hoch. Putzige Küstenkobolde, die den Schiffen zuzwinkern: Ich bin zwar klein, aber nachts weise ich dir den Weg. Dass früher in armen Regionen Feuer absichtlich an falschen Stellen entfacht wurden, damit die fehlgeleiteten Schiffe auf Klippen liefen und sich die Küstenbewohner der Ladung bemächtig ten, dass die Schiffbrüchigen niedergeknüppelt wurden – dies ist das dunkle Kapitel in der strahlenden Geschichte der Leuchttürme. In einem der schönsten Leuchttürme der Insel, dem einzigen schwarz-weiss Cape Bear (ganz links): 1912 wurde hier zum ersten Mal das SOS-Signal eines Schiffes per Funk empfangen – es kam von der Titanic. seaside 91 gestreiften weit und breit, kann man übernachten: West Point Lighthouse wurde 1875 erbaut und 1963 automatisiert. Carol Livingstone, Urenkelin des ersten Wärters, ist Präsidentin des Leuchtturm-Schutz verbands der Insel. Sie setzt sich engagiert für die Erhaltung der Türme ein. «Sie sind nationales Kulturerbe», sagt sie. Der brennende Zweimaster Im West Point Lighthouse steht eine alte Hausorgel. Carol erinnert sich: «Abends haben wir dem Spiel meiner Urgrossmutter gelauscht. Oder wir hörten Grossvater zu, der Geschichten vom brennenden Geisterschiff erzählte, das manchmal vorbeizieht.» Dann wünscht sie mir eine gute Nacht im Turmzimmer. Es ist ein hoher Raum mit separatem Bad und viktorianisch-reichhaltig gemusterten Tapeten. Die Aussenwände laufen schräg zur Decke. Durch drei Fenster sieht man Dünen, knorrige Zedern und das Meer, die Northumberland Strait. Eine steile Treppe führt in die oberste Etage, wo das Leuchtfeuer strahlt. Da muss ich hin. Vielleicht segelt ja das Geisterschiff vorbei, das in den letzten hundert Jahren viele gesehen haben wollen. Etwa Kapitän Lester White, ein respektierter Seemann. 1948 lief er mitten in der Nacht mit seiner Autofähre aus, weil er die Menschen auf dem brennenden Zweimaster retten wollte. Das grosse Segelschiff, so viel sah er, strahlte ein eigenartiges orangefarbenes Licht aus. Als er sich näherte, löste es sich in Luft auf. Im West Point Leuchtturm ist an Schlaf nicht zu denken – ich starre in die schwarze Nacht hinaus. infobox Die Anzahl der Gästezimmer in den Leuchttürmen Kanadas mit Übernachtungsmög lichkeit ist begrenzt, eine frühzeitige Reservation zwingend.Die erwähnten Leuchttürme sind nicht ganzjährig betreut. Am besten bucht man beim Kanada-, USA- und Leuchtturm-Spezialisten Sky Tours, 8004 Zürich, marina.ch Tel. 044 295 58 85 www.skytours.ch. Ralligweg 10 Cape d’Or Lighthouse, Advocate (Nova 3012 Bern Scotia), Swallowtail Lighthouse, Grand Manam (New Brunswick), West Point Lighthouse, Prince Edward Island (gleichnamige Provinz) Weitere: Bras d’Or Lighthouse, Baddeck (Nova ScoWestpoint-Lighthouse: Hier gibts nicht nur schöne tia), Quirpon Lighthouse, Quirpon Island Schlafzimmer mit toller Aussicht, sondern auch (Neufundland). mysteriöse Geschichten. 92 seaside marina.ch november/dezember 07 Tel: 031 301 00 31 [email protected] www.marina-online.ch Tel Abodienst: 031 300 63 43