Hello Goodbye ein Abgesang

Transcrição

Hello Goodbye ein Abgesang
Luise Hensel
Bob Dylan
Müde bin ich, geh zur Ruh
Blowin’ in the Wind
Taxi
campari soda
Vladimir Muljavin / Pesnjary
Otschen ranimye naschi lübimye
Züri West
Es hätt es eerlechs Lied gä
Sophie Hunger
Walzer für Niemand
Trueb Buebe
Abschiedspolka
Nick Cave
Into my Arms
Sophie Hämmerli-Marti
und Werner Wehrli
Arcade Fire
Peter Alexander
Serge Gainsbourg
Mattechilbi
Black Mirror
Die kleine Kneipe
Le Poinçonneur des Lilas
Stephan Eicher
Herbert Grönemeyer
AZB
5001 AARAU
Mensch
Ein Jäger aus Kurpfalz
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Hans Bischofberger, Dufourstrasse 6, 5000 Aarau
Taxi Europa
Nummer 12, dezember 2009
die letzte
Harry Belafonte
matilda
Des Knaben Wunderhorn
George Michael
Nina Hagen
Das bucklicht Männlein
I want your sex
Ich hab den Farbfilm vergessen
Johnny Cash
Hurt
Georg Kreisler
Gehn wir Tauben vergiften
im Park
Patent Ochsner
Fischer
Hello
Goodbye
ein Abgesang
Lou Reed
Kate Nash
Walk on the Wild Side
love baby love
The Scorpions
S’isch mer alles äis Ding
Wind of Change
John Frusciante
The Real
Der Mond ist aufgegangen
1 Lou Reed
Walk on the Wild Side
Sadhyo Niederberger
It’s all over now, baby blue! Tränenüberströmte Lieder
voller bodenloser Akkorde, alle diese guitars gently
weeping: this is the end, my only friend, the end –
Abschiedslieder sind traurige Lieder.
Aber these boots are made for walking und darum let’s
take a walk on the wild side, denn here comes the sun
mit dem final countdown. Good bye love, singt die
Jukebox und dazu flimmern glitzernde Sterne am Nacht­
himmel. Und solange man genug Kleingeld besitzt,
könnte das ewig so weiter gehen. Eine Melodie knüpft
sich an die nächste, eine Geschichte reiht sich an
die andere und mit jedem Song steigen neue Bilder auf.
Der Soundtrack für die letzten Q-Seiten, ein würdiger
Abgesang. Seit 1991 ist es love baby love, aber
jetzt weht ein lauer wind of change. Ein vielstimmiger
Chor* weint dem alten Jahr eine Träne nach und
freut sich auf das neue: let’s rock it!
* Wir danken allen Q-Redaktorinnen und Q-Redaktoren, Illustratoren und
Autorinnen, Meteorologen und 109 qcm-Künstlerinnen, die ein letztes Mal für’s
Q die Feder gespitzt, Farben angerührt und die Tastatur gespielt haben,
indem sie sich von einem Lied inspirieren liessen und Geschichte schrieben.
Die Orchesterleitung: Angela Thut, Sandra Walti
2 Harry Belafonte
Matilda
Simon Chen
3 Johnny Cash
Hurt
Laura Jurt
So ein schöner Name
Verlässt mich einfach. So ein reizendes Geschöpf. Mit so einem schö­
nen Namen. Haut einfach ab ohne etwas zu sagen und nimmt mein
Geld mit. Rennt weg und lässt meine ganzen Ersparnisse mitlaufen,
ich fass es nicht.
Ich wollte mir ein Haus kaufen. Für uns. Ein Häuschen mit etwas
Grün drumherum. Nichts grosses, aber gespart habe ich trotzdem
jahrelang dafür. Ein kleines Eigenheim mit einem Vorgarten. Du hast
dir grüne Fensterläden gewünscht. Und einen Apfelbaum. Jahrelang
habe ich das Geld auf die Seite gelegt. Für uns beide. Davon habe ich
Tag und Nacht geträumt. Tagsüber bei der Arbeit. Und abends im Bett.
Während du neben mir geschlafen hast.
Warum habe ich das Geld nicht zur Bank gebracht, ich Trottel? Aber
klar, ich wollte nicht, dass mir die Bank konkurs geht, mitsamt mei­
nen Einlagen. Zuhause wär es sicher, hab ich gedacht, zwar zinslos,
aber da weiss man, was man hat. Handfest, unter dem Kopfkissen.
Du hast nicht geschlafen. Du hast gelauert. Auf den richtigen ­Moment.
Du Schlange.
Und wohin rennt sie, die Untreue? Nicht in die Schweiz oder nach
Liechtenstein, dazu ist sie zu schlau, das wäre heute zu riskant. Wenn
schon Flucht dann richtig. Dort kann sie sich mit dem Geld gleich fünf
Häuschen bauen. Für deine fünf Liebhaber, du Schlampe. ­Erwarte
bloss nicht, dass ich dir hinterherrenne! Nach Venezuela, sicher nicht!
Dann bleibe ich eben in meiner Zweizimmerwohnung. Blöde Kuh.
So ein schöner Name.
4 John Frusciante
The Real
Angela Thut
5 Serge Gainsbourg
Le Poinçonneur des Lilas
Tina Schmid
Plattentellerschwindel
Und da spaziere ich nun und gehe meine Runden auf schwarzglän­
zendem Grund und es knirscht unter mir. Ja was knirscht denn da
eigentlich, bin ich es die knirscht, zerknirscht. Im Hintergrund das
Knirschen oder im Vordergrund, in rabenschwarzen Grund und
­Boden spaziere ich mich und drehe meine Runden. Meine Runden
drehe ich knirschend und horche der Melodie. Eine schöne Musik, die
sich über das Knirschen erhebt, erhebende Musik und das Knirschen,
wenn es dann schon mal da ist, kann ich es auch lieben. Schön, wie
das so knirscht und knackt. Wie ich dieses Knacken liebe. Und mit
jeder Umdrehung mehr Musik, immer wieder Musik und ich spiele
die Musik, wie ich so gehe, dahingehe auf festgefahrenen Spuren. Auf
ausgetrampelten Pfaden drehe ich mich im Kreis und spiele die Musik
oder sie spielt mich. So genau lässt sich das nicht bestimmen. Ich will
mal glauben, dass ich sie spiele. So gehe ich also, laufe meine Route
ab und spiele die schöne Musik. Nur dieses Kratzen, diese Kratzer,
dieser Sprung in der Schüssel, den spiele ich doch nicht etwa. Nein,
da wird mir übel mitgespielt und ich bin schon ganz aufgekratzt. Aber
ich gehe weiter und drehe mich. Es ist der Lauf der Dinge. Ich laufe
mein Ding. Laufend erhebt sich eine Melodie aus dem pechschwarzen
Grund, unterlaufen vom Knirschen, das ich so liebe – wenn es denn
schon mal da ist, kann ich es auch lieben. Es dreht sich mir alles.
6 Trueb Buebe
Abschiedspolka
Guy Krneta
Abschidslied
wen i Gaggi säge
mein i nid Gaggi
i cha o Gaggi säge
ohni Gaggi z meine
wüu Gaggi isch numen es Wort
wo me cha säge
wen i huere säge
mein i emu ke Huere
i cha o huere säge
ohni e Huere z meine
wüu hueren isch es Wort
wo me huere guet cha säge
wen i Q säge
mein i nid Q
i cha o Q säge
ohni Q z meine
wüu Q isch numen e Buechschtabe
wo me cha säge
7 Peter Alexander
Die kleine Kneipe
Daniel Furter
8 Nick Cave
Into my Arms
Rafael Schmid
9 Arcade Fire
Black Mirror
Loredana Sperini
Taumelige Tage
Morgens um halb sieben, bei Eiseskälte und mit Kopfhörern als Ohr­
wärmer, liegt der Park noch im Dunkeln verborgen und gibt erst
wenig von seiner Unheimlichkeit preis. Der Klang meiner Tritte im
Schnee wird von diesem sogleich verschluckt und ist trotz sanftes­
ten Piano­akkorden nicht zu vernehmen. Seit der Wecker mich in ge­
wohnt charakterfester Art dem Schlaf entrissen hat, folge ich einsam
den üblichen Abläufen. Beim Ausatmen entweichen meinem Mund
trübe Wolken, vermischen sich mit der trübseligen Melodie und zie­
hen trügerisch davon. Wochenlang stecke ich fest. Der Park erweist
sich als Taucherglocke, die Musik dringt von fern zu mir heran, sie
durchquert ein Stück Ozean, in dem ausgebleichte Fische mich duse­
lig schwimmen. Diese sind nicht dafür gemacht, Befreiungsaktionen
zu starten. Auch ich glaube nicht an einen interventionistischen Gott.
Ich durchquere den Park. In meiner Erinnerung durchquere ich den
ganzen Winter lang nur unablässig den Park. Dieser Ort, der sonst
den Irren gehört, hält mich gefangen. Die Musik verharrt nahe an
der Endlosschlaufe, doch die Stimme verfehlt mich ein ums andere
Mal, um mit ungebremster Kraft in den Ohren irgendeiner Gelieb­
ten zu landen. Erst im Frühling gelingt es mir, mich loszureissen und
nur gelegentlich kehre ich für 4 Minuten und 15 Sekunden wieder
zurück.
10 Des Knaben Wunderhorn
Das bucklicht Männlein
Barbara Schwarz
11 Taxi
Campari Soda
Sandra Walti
Komm mit
Wart ich morgens auf den Bus noch keine zwei Minuten, fährt b. M.
im Taxi vor, beginnt als laut zu Tuten.
Baff setze ich mich in den Fond. Es ist das erste Mal, dass b. M. mir
richtig gelegen kommt. Mir über die Schulter zugrinsend, drückt es
aufs Gaspedal. Alle Breilein und Müslein lassen wir hinter uns, und
wie das Zwiebelbeetchen im Rückspiegel verschwindet, stellt b. M.
das Radio ein, wummernder Rock übertönt meine Zweifel, wir flie­
gen. Mir wird etwas schlecht, aber gegen Mittag halten wir an einem
Tankstellenshop. B. M. stellt die Musik aus und sagt: Ich fülle den
Tank und du holst drinnen dies und das fürs abendliche Juhu im Juhee.
Und es öffnet mir die Tür und seine Äuglein funkeln.
Ich also im Shop und will gerade bezahlen, da geht draussen ein hef­
tiges Bollern los. Ein partieller Hagel prasselt auf unser Taxi nieder,
b. M. hat sich in die Karosse geflüchtet, ich aber realisiere, dass es
sich um Zwiebeln handelt, die uns aus dem Beetchen nachgeflogen
sind, ich lasse meinen Kram an der Kasse liegen und mach mich ans
Einsammeln. B. M. assistiert mit einem Plastiksack und will die Sache
im nächsten Abfalleimer entsorgen. Da sag ich STOP. Dann fahren wir
weiter, b. M. am Steuer, ich mit den Bollen hinten drin, und ich wun­
dere mich noch lange. Am Abend essen wir Zwiebelkuchen und dann
geht der Mond auf, zum Heulen schön, sag ich, und b. M. entlässt als
einen pfeifenden Furz in den Grund.
12 Herbert Grönemeyer
Mensch
Isabelle Stamm
13 Patent Ochsner
Fischer
Lionel Keller
Mensch
Unsere nächsten Verwandten, die Schimpansen: da sitzen sie gemein­
sam auf einer Lichtung, kauen an ihren Bananen, fischen mit Zweigen
nach Ameisen, mal steigt eine von einem Baum herunter, mal kommt
einer von einer einsamen Wanderung zurück… und ich frage mich:
haben sie denn nie Lust, mehr von sich mitzuteilen, mehr vonein­
ander zu erfahren? Einander zu erzählen, was sie von der Baumkro­
ne aus erblickt, was sie auf ihrer einsamen Wanderung erlebt haben,
worüber sie gerade grübeln, was sie sich für die Zukunft ersehnen?
Ich frage mich: was war zuerst da, die Sprache oder das Bedürfnis
zu sprechen? Hat die Sprache das Denken differenziert, die Emotio­
nen vermehrt, die Intelligenz gesteigert, hat der Mensch erst durch
sie manche Grenze gesprengt und ist zu dem geworden, der er ist?
Denn nicht sosehr das «Ich» unterscheidet den Menschen vom Tier,
sondern das Nachdenken und Reden über dieses «Ich». Zweifelsohne
begreift sich ein Schimpanse als ein von anderen Schimpansen ge­
trenntes Wesen, allerdings hat er dafür in seiner Sprache kein Wort.
So kann er durchaus denken, hoffen, träumen und staunen. Doch er
kann (oder will?!) über dieses Hoffen und Träumen weder denken
noch jemandem davon erzählen. Der Mensch aber wärmt, wenn er
erzählt. Erzählen erfüllt ihn und sein Gegenüber mit Neugierde, mit
Teilnahme, mit Leben. Es gibt kaum Schöneres als erzählen. Und
nichts, das menschlicher wäre.
14 Züri West
Es hätt es eerlechs Lied gä
Ursula Frauchiger
mir isch es glas vou wii
vou i d’schribmaschine gheit
schribschtou. panik. jedes mau vor redaktionsschluss. vorhär ar
redak­tionssitzig: mou, i nime das thema, gfaut mer, da mach i öppis
drus, u zwar angers aus aui angere, da recherchieren i, dass es tätscht,
da wärde de es paar no schtuune.
mir isch es glas vou wii vou i d’schribmaschine gheit
es hätt es eerlechs lied gä eis won i ändlech hätt gseit was mr passt u was
mr egau isch u was mr uf e wecker geit
i hätt e rundumschlag gmacht i hätt uf niemer rücksicht gno u o dr hingerletscht schiiser hätt e schtrofe übercho
i hätt hingergründ ufdeckt, me hätt über mi teggscht gredt, hesch
scho gläse ds nöie q, d ursle, scho fräch gäu, aber rächt het si.
i hätt besunge was aui dänke aber nid chöi erkläre
i hätt ds unrächt bim name gnennt u die wahre heude prise
i hätt nech aune zeigt wo’s düre geit
churz vor redaktionsschluss ds iiknicke. z viu informatione, z weni
fleisch am chnoche, z bravi frage gschteut im interview. wie ordne,
wie schribe, wär chunnt da no nache bi däm gliir? für d insider isch’s
chaute ggaffee, u die nid iigweihte vrstöh bahnhof. für wän schriben
i eigentlech?
mir isch es glas vou wii vou i d’schribmaschine gheit
es hätt es liebeslied gä i hätt nid gschpart mit mine gfüeu
i ha für d gschpänli vom q gschribe, für d tuechloube u d marie, für
die lüt, won i u wo mi kenne z aarou. am liebschte si mr d dezämber-
15 Luise Hensel
Müde bin ich, geh zur Ruh
Andrea Trueb
Adieu
liebes gutes
altes q
du machst deine seiten zu
trittst ein letztes mal noch auf
und tust dann den letzten schnauf
adieu
müde bin ich
geh zur ruh
schliesse meine augen zu
vater lass die augen dein
über meinem bette sein
amen
nummere gsi, gschichten erfingen u büechli baschtle, 15 x d wieh­
nachtsgschicht i eigete wort, so züüg. ds meteo het gfägt. no lang hei
mi lüt aghoue, si heige mini kolumne gläse, das fingi si o, was i dert
gseit heig. u luschtig heig i gschribe. das fröit mi bis hüt.
itz holen i mir non es glas wii. uf ds q und uf e juli!
16 Der Mond ist aufgegangen
Fabian Häusermann
17
Ein Jäger aus Kurpfalz
Madeleine Rey
Tief im Unterholz
Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? Es ist der Jäger aus Kurpfalz,
der wild durch die Gegend reitet. Er weiss nicht, wo noch was läuft,
wohin so geschwind, in dürren Blättern säuselt der Wind. Er hat kei­
nen Bock mehr auf Jagen. Seit er mit dem Geweih abgeblitzt ist. Ach,
dieses Traraaa und dieses Jujaaa. Und in Kurpfalz ist nie was los. Kürz­
lich war er an einem Schubertworkshop in Heidelberg. Ja, ja, da ist er
so richtig auf den Geschmack gekommen. Obwohl, nicht ganz so ein­
fach wie sein Lied. Ein Bär hat ihm früher mal mit der Tatze aufs Ohr
gepatscht, voll aufs musikalische Gehör. Deshalb bringt er die Töne
nicht auf die Reihe. Immer leicht daneben. Immer zu spät mit dem
Einsatz. Aber zu seinem Sohn würde er besser schauen. Also ganz
bestimmt! Sie will nicht! Ist irgendwo noch was offen? Um den ­Jäger
ist’s geschehen. Vielleicht auf ein Bier? Er bestellt schon Schnaps,
den wievielten. Bis dass der Kuckuck kuckuck schreit, warum zum
­Kuckuck will sie nicht! Sie hat ihm die kalte Schulter gezeigt. Sorry,
hat sie gesagt, Erlkönig ist ne bessre Partie. Ich stehe auf Lyrik. Hab
eben eine Bärentatze auf dem Ohr. Er wüsste schon mit wem. An ihm
liegt’s nicht. Nur von der Jagd allein gibt’s kein Kind. Er schreit die
ganze Nacht. Ein Töffli wär auch nicht schlecht.
18 Kate Nash
Love Baby Love
Beni Weber
19 George Michael
I want your Sex
Tobias Pingler
Bella estate, 1987
Bella estate, 1987. Mit meinem Vater auf Sardinien. Im Radio sagen
sie: Wasserknappheit. Grund für die meisten, ihrem Auto einen Voll­
waschgang zu verpassen, bevor nichts mehr fliesst. Alles fährt und
steht in einer langen Schlange zum Meer, dazwischen wir als mäan­
dernde Spaziergänger, ungläubig beäugt wie selten gewordene Tiere.
Ich, mit blondierter Tolle, Freundschaftsbändchen und Ohrring, bin
dreizehn, mein Vater, sein Afrika-Käppi auf dem haarlosen Kopf, ist
älter und hat Stress mit dem Leben.
Ich habe meine erste Freundin (Isabelle, viermal geküsst), bin ganz
verliebt in das Gefühl, verliebt zu sein, und träume BRAVO- und POP­
CORN-Träume. Hier, zwischen Sandra, Sabrina, Samantha Fox, Hit­
parade, Liebe, Sex und Zärtlichkeit, bin ich zu Hause. In einer bunten
Welt voll (noch) unaussprechlicher, aber mir (lechz) bevorstehender
Versprechungen.
Und darum stehe ich auch, wenn wir nicht gerade am Strand liegen,
ich in einen Seeigel getreten bin, oder wir Tintenfischringe oder Pizza
essen, Kirschcola trinkend an der Jukebox, werfe ein 200-Lire-Stück
nach dem nächsten ein, um immer und immer wieder dieses defini­
tiv unzweideutig gemeinte, geil pluckernde und wabernde, förmlich
Petting gewordene Liedgut eines, wie ich später erfahre, schwulen
Griechen aus England zu hören, dessen programmatischer Titel voll
und ganz hält, was er verspricht, und mich ein ums andere mal (und
auch Jahre danach) noch rumkriegt, spitz macht und flachlegt: I want
your sex von George «Wham» Michael.
20 S’isch mer alles äis Ding
Martina Senn
21 Georg Kreisler
Gehn wir Tauben vergiften
im Park
Walter Zuberbühler
Personalprobleme?
Oder: Im Himmel geht was
In einem Aussenbezirk der Stadt steht die Kirche Altlerchenfeld.
Im Innern, vorne auf der Wand des Chorraums hat ein Künstler auf
riesiger Fläche den Himmel gemalt. Zuunterst beim Felsenquell
stehen und knien Kirchenväter und Ordensgründer. Obendran auf
Wolkenbänken Kaiser, Papst und Heilige, versammelt um den Engel,
der nach oben weiter weist, zu Maria mit links und rechts Josef und
­Johannes d.T., gesäumt von zwölf Aposteln, und dann, gewölbewärts
auf höchster Wolke thronend, Gottvater und Jesus, und zwischen­
oben im lichten Kranz die Taube, strahlend den göttlichen Geist. Die
Chöre der Engel jubeln. – Nun aber ist die nischenreiche reichgefüg­
te Backsteinkirche in die Jahre gekommen, muss geputzt und gefes­
tigt werden. Der eine Turm ist eingerüstet. Auf einer grossen Tafel
sind jene aufgeführt, die sich um den Bau bemühen. Der Bauherr ist
die Pfarre, vertreten durch die Erz­diözese, dann der Architekt, der
Statiker, Bundesdenkmalamt, Altstadterhaltungsfonds, Abteilung
für öffentliche Beleuchtung und Uhren, der Baumeister, Steinmetz,
Freskomaler und Vergolder, Dach­arbeiten, Turmhelme, Restauration
Terracotta, Glas, Türen, Mechanische Reinigung, Blitzschutz – und am
Schluss, ganz unten rechts: Taubenschutz (Simacek Facility Manage­
ment Group). Ausgerechnet Taubenschutz. Siehe oben. – Für uns gilt:
Die ­Taube, die Taube, die bringt dem Q die Haube, denn alle Vögel wol­
len Hochzeit machen und nie und nimmer gehn wir Tauben vergiften
im Park.
22 Vladimir Muljavin / Pesnjary
Otschen ranimye naschi lübimye
(Unsere Lieben sind sehr verwundbar)
Andrey Fedorchenko
23
Eigenkomposition
Jeannine Hangartner
Quodlibet
Oder Q wie es gefällt
Quintessenz
Quecksilbrig, es gab Raum für Hochs und Tiefs
Quirlig, wenn sich Ideen überstürzten
Quell der Inspiration, immer wieder
Qualvoll lang, die Sitzungen
Quantensprung, wenn alle alles gaben
Quadratcentimeter, 109, letzte Seite
Quo vadis?
Quarzklar, dass es ein Juli braucht
Quasi ein Must
Quadratur des Kreises, das Unmögliche möglich gemacht
Quartiergespräch und darüber hinaus: Qantonsgespräch
Qualität und
Quantität, dem Juli sei beides gewünscht
Querdenker, mehr davon!
Querulant. Vielleicht auch mehr davon
Quasar, der; -s, -e (lat.) (sternenähnliches Objekt im Kosmos mit
extrem starker Radiofrequenzstrahlung)
24 Sophie Hunger
Walzer für Niemand
Anna Deer
25 Stephan Eicher
(with Gazze & Grönemeyer)
Taxi Europa
Tina B. Zimmermann
zeitreise, musikalisch
vers quelle vérité courir? vers quel but se diriger?
jahresende. und ich brüte ueber meinem neuen mixtape. ein rück­
blick. die agenda hervornehmend, am ersten januar beginnend, mich
durchackernd durch das ganze jahr höre ich musik. soundtrack mei­
nes lebens. was war und was bestehen wird. was wiederkommt, und
was nie wieder. was schon so lange her ist, und so nah scheint. oder
genau andersrum.
zum schreibenden zeitpunkt sind in meinem itunes 13 tage und 11
stunden und 19 minuten und 38 sekunden musik. nicht eingerechnet
alles auf cd oder lp oder mc. wie viele tage könnte ich theoretisch in
meiner wohnung sitzend ununterbrochen musik hören? sto capendo,
com’è facile, succhiare il dolce della vita.
ich steige ein. steige nochmals gedanklich ein in dieses jahr. in das
mixtape. kopfhörer auf, und lautstärke auf. die kopfhörer sind älter
als ich, die lautstärke ist neu. ich reise mit scheuklappen. nur noch
dieses jahr, dieses tape. fate largo non ho freni. ein rausch aus noten
und notizen. lasse textzeilen schwirren. filme ablaufen. bin im juli. le
hasard éclaire la route, comme le sang éclaire nos vies.
bin so lange unterwegs. wie brennt man ein jahr in 80 minuten. es
seufzt und singt und lacht und weint in meinem kopf. fino all’ultima
goccia. gemäss einer studie soll ein drittel aller songs von drogen han­
deln. der rest dann wohl von liebe. jour après jour, nuit après nuit.
für meine beste freundin.
26 Sophie Hämmerli-Marti
und Werner Wehrli
Mattechilbi
Julia Imhoof
27 Nina Hagen
Ich hab den Farbfilm vergessen
Franziska Hämmerli
Und alles tut so weh
Mein Leid tönt ins Himmelblau, mein nackter Fuss stampft gelben
Sand und hinten dröhnt die Autobahn. Banken ohne Schranken
schaffen riesen Sinnkrisen in winzigen Fischkiemen. Greenwashing
als nachhaltiges Weihnachtsmärchen. Menschenaug liest immer
wieder wie viel Arten aussterben, Hirn denkt: «Schon noch schade,
aber ist ja eigentlich auch ein natürlicher Prozess, wie bei den Dino­
sauriern. Das Meer ist leer, aber Biber gibt’s wieder.» Fakt ist, dass es
in der Erdgeschichte niemals ein Wesen wie Homo Sapiens gab, das
pro Jahr etwa 12’000 Arten ausrottet. Massenvernichtung. Magen
findet’s zum kotzen und verdaut später locker das Billigschnitzel aus
Übersee. Ich mach hier nicht auf schwarzweiss, aber scheissrosa kann
ich auch nicht mehr sehen. Die Made in China robbt übers Schild­
chen am Kleidchen, Augen feste zudrücken, Hände kaufen. Schwei­
zer verkaufen Menschentötungstechnik. Gewinnmaximierung als
Dämon über Industrieschloten und Krawattenknoten. Meine Bitte,
liebes Christkind: Das Unternehmensziel «Gewinnmaximierung» sei
nur erlaubt, wenn die Firma und ihr Gewinn auch einem Maximum
an Menschen und Umwelt zugute kommen. Alles Andere sei nicht
vertretbar, da kurzsichtig, ungerecht und einfach total bescheuert,
und solle mit Frondienst der gesamten Belegschaft zugunsten von
Biobauern abgeglichen werden. Auch Kinderhüten mit Flötenüben
bei Singlemüttern wär was. Ehrlich jetzt, Christkind! Und bitte Linsen
statt Zinsen.
SCHWEIZER JAHRESHITPARADE 1991
Q
x
1. Scorpions
2. Roxette
3. Bryan Adams
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
28 The Scorpions
Wind of Change
Ursula Baumann
29 Bob Dylan
Blowin’ in the Wind
Martin Lüchinger
1
x
Wind Of Change
Joyride
(Everything I Do) I Do It
For You
Zucchero feat. Paul Young Senza una donna
Seal
Crazy
Enigma
Sadness Part I
Cher
The Shoop Shoop Song (It's
In His Kiss)
Guns N'Roses
You Could Be Mine
Vanilla Ice
Ice Ice Baby
De La Soul
Ring Ring Ring (HA Ha Hey)
Crystal Waters
Gypsy Woman (La Da Dee La
Da Da)
Extreme
More Than Words
C & C Music Factory feat. Gonna Make You Sweat
Freedom Williams
(Everybody Dance Now)
Robert Palmer and UB40
I'll Be Your Baby Tonight
M.C. Eugster
Zillertaler
Hochzeitsmarsch
Vondelpark
An einem Autobahnkreuz in Holland stieg ich aus, nachdem der
Mann im Anzug seine Hand auf mein Knie gelegt hatte. Geduldig
hob ich den Daumen während die Autos hupend an mir vorbei rasten.
Dank meinem orangen Tramperrucksack aus der EPA war ich nicht
zu übersehen.Der erste Wagen der dann endlich hielt, war von der
Autobahnpolizei. Ich hatte die Wahl zwischen einer Busse von fünf
Gulden oder einer Nacht auf dem Polizeiposten. Immerhin nahmen
sie mich bis Nijmegen mit.
Ursprünglich hatten wir geplant, zusammen nach Amsterdam zu
trampen. Kurz vor der Abreise kam etwas dazwischen und so verab­
redeten wir uns eine Woche später am Perron 1. Einzig meine jünge­
re Schwester war zuhause als ich den Zug bis nach Basel nahm. Mit
­einem Pappschild stellte ich mich am Badischen Bahnhof zu hinterst
in die Reihe. Der zweite Wagen der hielt, ein Citroen Pallas CX, brachte
mich bis Heidelberg.
Im Sleep in an der Prinsengracht weckte mich mitten in der Nacht
rhythmisches Quietschen eiserner Bettgestelle. Am Perron 1 fuhren
schon längst keine Züge mehr ein und aus. Thomy spendierte Milk­
shakes und Appelpie im Mc Donald. Später im Vondelpark spielten
wir Frisbee bis wir nichts mehr sahen. Ein Mann mit Gitarre sang
«Blowin’ in the Wind». Mitrauchen wollten wir nicht. Als das Feuer
niedergebrannt war, rollten wir unsere Schlafsäcke aus. Wieder zu­
hause habe ich mir meine erste LP von Bob Dylan gekauft.

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