Hello Goodbye ein Abgesang
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Hello Goodbye ein Abgesang
Luise Hensel Bob Dylan Müde bin ich, geh zur Ruh Blowin’ in the Wind Taxi campari soda Vladimir Muljavin / Pesnjary Otschen ranimye naschi lübimye Züri West Es hätt es eerlechs Lied gä Sophie Hunger Walzer für Niemand Trueb Buebe Abschiedspolka Nick Cave Into my Arms Sophie Hämmerli-Marti und Werner Wehrli Arcade Fire Peter Alexander Serge Gainsbourg Mattechilbi Black Mirror Die kleine Kneipe Le Poinçonneur des Lilas Stephan Eicher Herbert Grönemeyer AZB 5001 AARAU Mensch Ein Jäger aus Kurpfalz Postcode 1 | Adressberichtigungen melden an: Hans Bischofberger, Dufourstrasse 6, 5000 Aarau Taxi Europa Nummer 12, dezember 2009 die letzte Harry Belafonte matilda Des Knaben Wunderhorn George Michael Nina Hagen Das bucklicht Männlein I want your sex Ich hab den Farbfilm vergessen Johnny Cash Hurt Georg Kreisler Gehn wir Tauben vergiften im Park Patent Ochsner Fischer Hello Goodbye ein Abgesang Lou Reed Kate Nash Walk on the Wild Side love baby love The Scorpions S’isch mer alles äis Ding Wind of Change John Frusciante The Real Der Mond ist aufgegangen 1 Lou Reed Walk on the Wild Side Sadhyo Niederberger It’s all over now, baby blue! Tränenüberströmte Lieder voller bodenloser Akkorde, alle diese guitars gently weeping: this is the end, my only friend, the end – Abschiedslieder sind traurige Lieder. Aber these boots are made for walking und darum let’s take a walk on the wild side, denn here comes the sun mit dem final countdown. Good bye love, singt die Jukebox und dazu flimmern glitzernde Sterne am Nacht himmel. Und solange man genug Kleingeld besitzt, könnte das ewig so weiter gehen. Eine Melodie knüpft sich an die nächste, eine Geschichte reiht sich an die andere und mit jedem Song steigen neue Bilder auf. Der Soundtrack für die letzten Q-Seiten, ein würdiger Abgesang. Seit 1991 ist es love baby love, aber jetzt weht ein lauer wind of change. Ein vielstimmiger Chor* weint dem alten Jahr eine Träne nach und freut sich auf das neue: let’s rock it! * Wir danken allen Q-Redaktorinnen und Q-Redaktoren, Illustratoren und Autorinnen, Meteorologen und 109 qcm-Künstlerinnen, die ein letztes Mal für’s Q die Feder gespitzt, Farben angerührt und die Tastatur gespielt haben, indem sie sich von einem Lied inspirieren liessen und Geschichte schrieben. Die Orchesterleitung: Angela Thut, Sandra Walti 2 Harry Belafonte Matilda Simon Chen 3 Johnny Cash Hurt Laura Jurt So ein schöner Name Verlässt mich einfach. So ein reizendes Geschöpf. Mit so einem schö nen Namen. Haut einfach ab ohne etwas zu sagen und nimmt mein Geld mit. Rennt weg und lässt meine ganzen Ersparnisse mitlaufen, ich fass es nicht. Ich wollte mir ein Haus kaufen. Für uns. Ein Häuschen mit etwas Grün drumherum. Nichts grosses, aber gespart habe ich trotzdem jahrelang dafür. Ein kleines Eigenheim mit einem Vorgarten. Du hast dir grüne Fensterläden gewünscht. Und einen Apfelbaum. Jahrelang habe ich das Geld auf die Seite gelegt. Für uns beide. Davon habe ich Tag und Nacht geträumt. Tagsüber bei der Arbeit. Und abends im Bett. Während du neben mir geschlafen hast. Warum habe ich das Geld nicht zur Bank gebracht, ich Trottel? Aber klar, ich wollte nicht, dass mir die Bank konkurs geht, mitsamt mei nen Einlagen. Zuhause wär es sicher, hab ich gedacht, zwar zinslos, aber da weiss man, was man hat. Handfest, unter dem Kopfkissen. Du hast nicht geschlafen. Du hast gelauert. Auf den richtigen Moment. Du Schlange. Und wohin rennt sie, die Untreue? Nicht in die Schweiz oder nach Liechtenstein, dazu ist sie zu schlau, das wäre heute zu riskant. Wenn schon Flucht dann richtig. Dort kann sie sich mit dem Geld gleich fünf Häuschen bauen. Für deine fünf Liebhaber, du Schlampe. Erwarte bloss nicht, dass ich dir hinterherrenne! Nach Venezuela, sicher nicht! Dann bleibe ich eben in meiner Zweizimmerwohnung. Blöde Kuh. So ein schöner Name. 4 John Frusciante The Real Angela Thut 5 Serge Gainsbourg Le Poinçonneur des Lilas Tina Schmid Plattentellerschwindel Und da spaziere ich nun und gehe meine Runden auf schwarzglän zendem Grund und es knirscht unter mir. Ja was knirscht denn da eigentlich, bin ich es die knirscht, zerknirscht. Im Hintergrund das Knirschen oder im Vordergrund, in rabenschwarzen Grund und Boden spaziere ich mich und drehe meine Runden. Meine Runden drehe ich knirschend und horche der Melodie. Eine schöne Musik, die sich über das Knirschen erhebt, erhebende Musik und das Knirschen, wenn es dann schon mal da ist, kann ich es auch lieben. Schön, wie das so knirscht und knackt. Wie ich dieses Knacken liebe. Und mit jeder Umdrehung mehr Musik, immer wieder Musik und ich spiele die Musik, wie ich so gehe, dahingehe auf festgefahrenen Spuren. Auf ausgetrampelten Pfaden drehe ich mich im Kreis und spiele die Musik oder sie spielt mich. So genau lässt sich das nicht bestimmen. Ich will mal glauben, dass ich sie spiele. So gehe ich also, laufe meine Route ab und spiele die schöne Musik. Nur dieses Kratzen, diese Kratzer, dieser Sprung in der Schüssel, den spiele ich doch nicht etwa. Nein, da wird mir übel mitgespielt und ich bin schon ganz aufgekratzt. Aber ich gehe weiter und drehe mich. Es ist der Lauf der Dinge. Ich laufe mein Ding. Laufend erhebt sich eine Melodie aus dem pechschwarzen Grund, unterlaufen vom Knirschen, das ich so liebe – wenn es denn schon mal da ist, kann ich es auch lieben. Es dreht sich mir alles. 6 Trueb Buebe Abschiedspolka Guy Krneta Abschidslied wen i Gaggi säge mein i nid Gaggi i cha o Gaggi säge ohni Gaggi z meine wüu Gaggi isch numen es Wort wo me cha säge wen i huere säge mein i emu ke Huere i cha o huere säge ohni e Huere z meine wüu hueren isch es Wort wo me huere guet cha säge wen i Q säge mein i nid Q i cha o Q säge ohni Q z meine wüu Q isch numen e Buechschtabe wo me cha säge 7 Peter Alexander Die kleine Kneipe Daniel Furter 8 Nick Cave Into my Arms Rafael Schmid 9 Arcade Fire Black Mirror Loredana Sperini Taumelige Tage Morgens um halb sieben, bei Eiseskälte und mit Kopfhörern als Ohr wärmer, liegt der Park noch im Dunkeln verborgen und gibt erst wenig von seiner Unheimlichkeit preis. Der Klang meiner Tritte im Schnee wird von diesem sogleich verschluckt und ist trotz sanftes ten Pianoakkorden nicht zu vernehmen. Seit der Wecker mich in ge wohnt charakterfester Art dem Schlaf entrissen hat, folge ich einsam den üblichen Abläufen. Beim Ausatmen entweichen meinem Mund trübe Wolken, vermischen sich mit der trübseligen Melodie und zie hen trügerisch davon. Wochenlang stecke ich fest. Der Park erweist sich als Taucherglocke, die Musik dringt von fern zu mir heran, sie durchquert ein Stück Ozean, in dem ausgebleichte Fische mich duse lig schwimmen. Diese sind nicht dafür gemacht, Befreiungsaktionen zu starten. Auch ich glaube nicht an einen interventionistischen Gott. Ich durchquere den Park. In meiner Erinnerung durchquere ich den ganzen Winter lang nur unablässig den Park. Dieser Ort, der sonst den Irren gehört, hält mich gefangen. Die Musik verharrt nahe an der Endlosschlaufe, doch die Stimme verfehlt mich ein ums andere Mal, um mit ungebremster Kraft in den Ohren irgendeiner Gelieb ten zu landen. Erst im Frühling gelingt es mir, mich loszureissen und nur gelegentlich kehre ich für 4 Minuten und 15 Sekunden wieder zurück. 10 Des Knaben Wunderhorn Das bucklicht Männlein Barbara Schwarz 11 Taxi Campari Soda Sandra Walti Komm mit Wart ich morgens auf den Bus noch keine zwei Minuten, fährt b. M. im Taxi vor, beginnt als laut zu Tuten. Baff setze ich mich in den Fond. Es ist das erste Mal, dass b. M. mir richtig gelegen kommt. Mir über die Schulter zugrinsend, drückt es aufs Gaspedal. Alle Breilein und Müslein lassen wir hinter uns, und wie das Zwiebelbeetchen im Rückspiegel verschwindet, stellt b. M. das Radio ein, wummernder Rock übertönt meine Zweifel, wir flie gen. Mir wird etwas schlecht, aber gegen Mittag halten wir an einem Tankstellenshop. B. M. stellt die Musik aus und sagt: Ich fülle den Tank und du holst drinnen dies und das fürs abendliche Juhu im Juhee. Und es öffnet mir die Tür und seine Äuglein funkeln. Ich also im Shop und will gerade bezahlen, da geht draussen ein hef tiges Bollern los. Ein partieller Hagel prasselt auf unser Taxi nieder, b. M. hat sich in die Karosse geflüchtet, ich aber realisiere, dass es sich um Zwiebeln handelt, die uns aus dem Beetchen nachgeflogen sind, ich lasse meinen Kram an der Kasse liegen und mach mich ans Einsammeln. B. M. assistiert mit einem Plastiksack und will die Sache im nächsten Abfalleimer entsorgen. Da sag ich STOP. Dann fahren wir weiter, b. M. am Steuer, ich mit den Bollen hinten drin, und ich wun dere mich noch lange. Am Abend essen wir Zwiebelkuchen und dann geht der Mond auf, zum Heulen schön, sag ich, und b. M. entlässt als einen pfeifenden Furz in den Grund. 12 Herbert Grönemeyer Mensch Isabelle Stamm 13 Patent Ochsner Fischer Lionel Keller Mensch Unsere nächsten Verwandten, die Schimpansen: da sitzen sie gemein sam auf einer Lichtung, kauen an ihren Bananen, fischen mit Zweigen nach Ameisen, mal steigt eine von einem Baum herunter, mal kommt einer von einer einsamen Wanderung zurück… und ich frage mich: haben sie denn nie Lust, mehr von sich mitzuteilen, mehr vonein ander zu erfahren? Einander zu erzählen, was sie von der Baumkro ne aus erblickt, was sie auf ihrer einsamen Wanderung erlebt haben, worüber sie gerade grübeln, was sie sich für die Zukunft ersehnen? Ich frage mich: was war zuerst da, die Sprache oder das Bedürfnis zu sprechen? Hat die Sprache das Denken differenziert, die Emotio nen vermehrt, die Intelligenz gesteigert, hat der Mensch erst durch sie manche Grenze gesprengt und ist zu dem geworden, der er ist? Denn nicht sosehr das «Ich» unterscheidet den Menschen vom Tier, sondern das Nachdenken und Reden über dieses «Ich». Zweifelsohne begreift sich ein Schimpanse als ein von anderen Schimpansen ge trenntes Wesen, allerdings hat er dafür in seiner Sprache kein Wort. So kann er durchaus denken, hoffen, träumen und staunen. Doch er kann (oder will?!) über dieses Hoffen und Träumen weder denken noch jemandem davon erzählen. Der Mensch aber wärmt, wenn er erzählt. Erzählen erfüllt ihn und sein Gegenüber mit Neugierde, mit Teilnahme, mit Leben. Es gibt kaum Schöneres als erzählen. Und nichts, das menschlicher wäre. 14 Züri West Es hätt es eerlechs Lied gä Ursula Frauchiger mir isch es glas vou wii vou i d’schribmaschine gheit schribschtou. panik. jedes mau vor redaktionsschluss. vorhär ar redaktionssitzig: mou, i nime das thema, gfaut mer, da mach i öppis drus, u zwar angers aus aui angere, da recherchieren i, dass es tätscht, da wärde de es paar no schtuune. mir isch es glas vou wii vou i d’schribmaschine gheit es hätt es eerlechs lied gä eis won i ändlech hätt gseit was mr passt u was mr egau isch u was mr uf e wecker geit i hätt e rundumschlag gmacht i hätt uf niemer rücksicht gno u o dr hingerletscht schiiser hätt e schtrofe übercho i hätt hingergründ ufdeckt, me hätt über mi teggscht gredt, hesch scho gläse ds nöie q, d ursle, scho fräch gäu, aber rächt het si. i hätt besunge was aui dänke aber nid chöi erkläre i hätt ds unrächt bim name gnennt u die wahre heude prise i hätt nech aune zeigt wo’s düre geit churz vor redaktionsschluss ds iiknicke. z viu informatione, z weni fleisch am chnoche, z bravi frage gschteut im interview. wie ordne, wie schribe, wär chunnt da no nache bi däm gliir? für d insider isch’s chaute ggaffee, u die nid iigweihte vrstöh bahnhof. für wän schriben i eigentlech? mir isch es glas vou wii vou i d’schribmaschine gheit es hätt es liebeslied gä i hätt nid gschpart mit mine gfüeu i ha für d gschpänli vom q gschribe, für d tuechloube u d marie, für die lüt, won i u wo mi kenne z aarou. am liebschte si mr d dezämber- 15 Luise Hensel Müde bin ich, geh zur Ruh Andrea Trueb Adieu liebes gutes altes q du machst deine seiten zu trittst ein letztes mal noch auf und tust dann den letzten schnauf adieu müde bin ich geh zur ruh schliesse meine augen zu vater lass die augen dein über meinem bette sein amen nummere gsi, gschichten erfingen u büechli baschtle, 15 x d wieh nachtsgschicht i eigete wort, so züüg. ds meteo het gfägt. no lang hei mi lüt aghoue, si heige mini kolumne gläse, das fingi si o, was i dert gseit heig. u luschtig heig i gschribe. das fröit mi bis hüt. itz holen i mir non es glas wii. uf ds q und uf e juli! 16 Der Mond ist aufgegangen Fabian Häusermann 17 Ein Jäger aus Kurpfalz Madeleine Rey Tief im Unterholz Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? Es ist der Jäger aus Kurpfalz, der wild durch die Gegend reitet. Er weiss nicht, wo noch was läuft, wohin so geschwind, in dürren Blättern säuselt der Wind. Er hat kei nen Bock mehr auf Jagen. Seit er mit dem Geweih abgeblitzt ist. Ach, dieses Traraaa und dieses Jujaaa. Und in Kurpfalz ist nie was los. Kürz lich war er an einem Schubertworkshop in Heidelberg. Ja, ja, da ist er so richtig auf den Geschmack gekommen. Obwohl, nicht ganz so ein fach wie sein Lied. Ein Bär hat ihm früher mal mit der Tatze aufs Ohr gepatscht, voll aufs musikalische Gehör. Deshalb bringt er die Töne nicht auf die Reihe. Immer leicht daneben. Immer zu spät mit dem Einsatz. Aber zu seinem Sohn würde er besser schauen. Also ganz bestimmt! Sie will nicht! Ist irgendwo noch was offen? Um den Jäger ist’s geschehen. Vielleicht auf ein Bier? Er bestellt schon Schnaps, den wievielten. Bis dass der Kuckuck kuckuck schreit, warum zum Kuckuck will sie nicht! Sie hat ihm die kalte Schulter gezeigt. Sorry, hat sie gesagt, Erlkönig ist ne bessre Partie. Ich stehe auf Lyrik. Hab eben eine Bärentatze auf dem Ohr. Er wüsste schon mit wem. An ihm liegt’s nicht. Nur von der Jagd allein gibt’s kein Kind. Er schreit die ganze Nacht. Ein Töffli wär auch nicht schlecht. 18 Kate Nash Love Baby Love Beni Weber 19 George Michael I want your Sex Tobias Pingler Bella estate, 1987 Bella estate, 1987. Mit meinem Vater auf Sardinien. Im Radio sagen sie: Wasserknappheit. Grund für die meisten, ihrem Auto einen Voll waschgang zu verpassen, bevor nichts mehr fliesst. Alles fährt und steht in einer langen Schlange zum Meer, dazwischen wir als mäan dernde Spaziergänger, ungläubig beäugt wie selten gewordene Tiere. Ich, mit blondierter Tolle, Freundschaftsbändchen und Ohrring, bin dreizehn, mein Vater, sein Afrika-Käppi auf dem haarlosen Kopf, ist älter und hat Stress mit dem Leben. Ich habe meine erste Freundin (Isabelle, viermal geküsst), bin ganz verliebt in das Gefühl, verliebt zu sein, und träume BRAVO- und POP CORN-Träume. Hier, zwischen Sandra, Sabrina, Samantha Fox, Hit parade, Liebe, Sex und Zärtlichkeit, bin ich zu Hause. In einer bunten Welt voll (noch) unaussprechlicher, aber mir (lechz) bevorstehender Versprechungen. Und darum stehe ich auch, wenn wir nicht gerade am Strand liegen, ich in einen Seeigel getreten bin, oder wir Tintenfischringe oder Pizza essen, Kirschcola trinkend an der Jukebox, werfe ein 200-Lire-Stück nach dem nächsten ein, um immer und immer wieder dieses defini tiv unzweideutig gemeinte, geil pluckernde und wabernde, förmlich Petting gewordene Liedgut eines, wie ich später erfahre, schwulen Griechen aus England zu hören, dessen programmatischer Titel voll und ganz hält, was er verspricht, und mich ein ums andere mal (und auch Jahre danach) noch rumkriegt, spitz macht und flachlegt: I want your sex von George «Wham» Michael. 20 S’isch mer alles äis Ding Martina Senn 21 Georg Kreisler Gehn wir Tauben vergiften im Park Walter Zuberbühler Personalprobleme? Oder: Im Himmel geht was In einem Aussenbezirk der Stadt steht die Kirche Altlerchenfeld. Im Innern, vorne auf der Wand des Chorraums hat ein Künstler auf riesiger Fläche den Himmel gemalt. Zuunterst beim Felsenquell stehen und knien Kirchenväter und Ordensgründer. Obendran auf Wolkenbänken Kaiser, Papst und Heilige, versammelt um den Engel, der nach oben weiter weist, zu Maria mit links und rechts Josef und Johannes d.T., gesäumt von zwölf Aposteln, und dann, gewölbewärts auf höchster Wolke thronend, Gottvater und Jesus, und zwischen oben im lichten Kranz die Taube, strahlend den göttlichen Geist. Die Chöre der Engel jubeln. – Nun aber ist die nischenreiche reichgefüg te Backsteinkirche in die Jahre gekommen, muss geputzt und gefes tigt werden. Der eine Turm ist eingerüstet. Auf einer grossen Tafel sind jene aufgeführt, die sich um den Bau bemühen. Der Bauherr ist die Pfarre, vertreten durch die Erzdiözese, dann der Architekt, der Statiker, Bundesdenkmalamt, Altstadterhaltungsfonds, Abteilung für öffentliche Beleuchtung und Uhren, der Baumeister, Steinmetz, Freskomaler und Vergolder, Dacharbeiten, Turmhelme, Restauration Terracotta, Glas, Türen, Mechanische Reinigung, Blitzschutz – und am Schluss, ganz unten rechts: Taubenschutz (Simacek Facility Manage ment Group). Ausgerechnet Taubenschutz. Siehe oben. – Für uns gilt: Die Taube, die Taube, die bringt dem Q die Haube, denn alle Vögel wol len Hochzeit machen und nie und nimmer gehn wir Tauben vergiften im Park. 22 Vladimir Muljavin / Pesnjary Otschen ranimye naschi lübimye (Unsere Lieben sind sehr verwundbar) Andrey Fedorchenko 23 Eigenkomposition Jeannine Hangartner Quodlibet Oder Q wie es gefällt Quintessenz Quecksilbrig, es gab Raum für Hochs und Tiefs Quirlig, wenn sich Ideen überstürzten Quell der Inspiration, immer wieder Qualvoll lang, die Sitzungen Quantensprung, wenn alle alles gaben Quadratcentimeter, 109, letzte Seite Quo vadis? Quarzklar, dass es ein Juli braucht Quasi ein Must Quadratur des Kreises, das Unmögliche möglich gemacht Quartiergespräch und darüber hinaus: Qantonsgespräch Qualität und Quantität, dem Juli sei beides gewünscht Querdenker, mehr davon! Querulant. Vielleicht auch mehr davon Quasar, der; -s, -e (lat.) (sternenähnliches Objekt im Kosmos mit extrem starker Radiofrequenzstrahlung) 24 Sophie Hunger Walzer für Niemand Anna Deer 25 Stephan Eicher (with Gazze & Grönemeyer) Taxi Europa Tina B. Zimmermann zeitreise, musikalisch vers quelle vérité courir? vers quel but se diriger? jahresende. und ich brüte ueber meinem neuen mixtape. ein rück blick. die agenda hervornehmend, am ersten januar beginnend, mich durchackernd durch das ganze jahr höre ich musik. soundtrack mei nes lebens. was war und was bestehen wird. was wiederkommt, und was nie wieder. was schon so lange her ist, und so nah scheint. oder genau andersrum. zum schreibenden zeitpunkt sind in meinem itunes 13 tage und 11 stunden und 19 minuten und 38 sekunden musik. nicht eingerechnet alles auf cd oder lp oder mc. wie viele tage könnte ich theoretisch in meiner wohnung sitzend ununterbrochen musik hören? sto capendo, com’è facile, succhiare il dolce della vita. ich steige ein. steige nochmals gedanklich ein in dieses jahr. in das mixtape. kopfhörer auf, und lautstärke auf. die kopfhörer sind älter als ich, die lautstärke ist neu. ich reise mit scheuklappen. nur noch dieses jahr, dieses tape. fate largo non ho freni. ein rausch aus noten und notizen. lasse textzeilen schwirren. filme ablaufen. bin im juli. le hasard éclaire la route, comme le sang éclaire nos vies. bin so lange unterwegs. wie brennt man ein jahr in 80 minuten. es seufzt und singt und lacht und weint in meinem kopf. fino all’ultima goccia. gemäss einer studie soll ein drittel aller songs von drogen han deln. der rest dann wohl von liebe. jour après jour, nuit après nuit. für meine beste freundin. 26 Sophie Hämmerli-Marti und Werner Wehrli Mattechilbi Julia Imhoof 27 Nina Hagen Ich hab den Farbfilm vergessen Franziska Hämmerli Und alles tut so weh Mein Leid tönt ins Himmelblau, mein nackter Fuss stampft gelben Sand und hinten dröhnt die Autobahn. Banken ohne Schranken schaffen riesen Sinnkrisen in winzigen Fischkiemen. Greenwashing als nachhaltiges Weihnachtsmärchen. Menschenaug liest immer wieder wie viel Arten aussterben, Hirn denkt: «Schon noch schade, aber ist ja eigentlich auch ein natürlicher Prozess, wie bei den Dino sauriern. Das Meer ist leer, aber Biber gibt’s wieder.» Fakt ist, dass es in der Erdgeschichte niemals ein Wesen wie Homo Sapiens gab, das pro Jahr etwa 12’000 Arten ausrottet. Massenvernichtung. Magen findet’s zum kotzen und verdaut später locker das Billigschnitzel aus Übersee. Ich mach hier nicht auf schwarzweiss, aber scheissrosa kann ich auch nicht mehr sehen. Die Made in China robbt übers Schild chen am Kleidchen, Augen feste zudrücken, Hände kaufen. Schwei zer verkaufen Menschentötungstechnik. Gewinnmaximierung als Dämon über Industrieschloten und Krawattenknoten. Meine Bitte, liebes Christkind: Das Unternehmensziel «Gewinnmaximierung» sei nur erlaubt, wenn die Firma und ihr Gewinn auch einem Maximum an Menschen und Umwelt zugute kommen. Alles Andere sei nicht vertretbar, da kurzsichtig, ungerecht und einfach total bescheuert, und solle mit Frondienst der gesamten Belegschaft zugunsten von Biobauern abgeglichen werden. Auch Kinderhüten mit Flötenüben bei Singlemüttern wär was. Ehrlich jetzt, Christkind! Und bitte Linsen statt Zinsen. SCHWEIZER JAHRESHITPARADE 1991 Q x 1. Scorpions 2. Roxette 3. Bryan Adams 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 28 The Scorpions Wind of Change Ursula Baumann 29 Bob Dylan Blowin’ in the Wind Martin Lüchinger 1 x Wind Of Change Joyride (Everything I Do) I Do It For You Zucchero feat. Paul Young Senza una donna Seal Crazy Enigma Sadness Part I Cher The Shoop Shoop Song (It's In His Kiss) Guns N'Roses You Could Be Mine Vanilla Ice Ice Ice Baby De La Soul Ring Ring Ring (HA Ha Hey) Crystal Waters Gypsy Woman (La Da Dee La Da Da) Extreme More Than Words C & C Music Factory feat. Gonna Make You Sweat Freedom Williams (Everybody Dance Now) Robert Palmer and UB40 I'll Be Your Baby Tonight M.C. Eugster Zillertaler Hochzeitsmarsch Vondelpark An einem Autobahnkreuz in Holland stieg ich aus, nachdem der Mann im Anzug seine Hand auf mein Knie gelegt hatte. Geduldig hob ich den Daumen während die Autos hupend an mir vorbei rasten. Dank meinem orangen Tramperrucksack aus der EPA war ich nicht zu übersehen.Der erste Wagen der dann endlich hielt, war von der Autobahnpolizei. Ich hatte die Wahl zwischen einer Busse von fünf Gulden oder einer Nacht auf dem Polizeiposten. Immerhin nahmen sie mich bis Nijmegen mit. Ursprünglich hatten wir geplant, zusammen nach Amsterdam zu trampen. Kurz vor der Abreise kam etwas dazwischen und so verab redeten wir uns eine Woche später am Perron 1. Einzig meine jünge re Schwester war zuhause als ich den Zug bis nach Basel nahm. Mit einem Pappschild stellte ich mich am Badischen Bahnhof zu hinterst in die Reihe. Der zweite Wagen der hielt, ein Citroen Pallas CX, brachte mich bis Heidelberg. Im Sleep in an der Prinsengracht weckte mich mitten in der Nacht rhythmisches Quietschen eiserner Bettgestelle. Am Perron 1 fuhren schon längst keine Züge mehr ein und aus. Thomy spendierte Milk shakes und Appelpie im Mc Donald. Später im Vondelpark spielten wir Frisbee bis wir nichts mehr sahen. Ein Mann mit Gitarre sang «Blowin’ in the Wind». Mitrauchen wollten wir nicht. Als das Feuer niedergebrannt war, rollten wir unsere Schlafsäcke aus. Wieder zu hause habe ich mir meine erste LP von Bob Dylan gekauft.