Report Ihr Auftritt bitte, Super Nanny! Eltern tun sich mit der
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Report Ihr Auftritt bitte, Super Nanny! Eltern tun sich mit der
Report Ihr Auftritt bitte, Super Nanny! Eltern tun sich mit der Erziehung ihrer Kinder zunehmend schwerer. Stimmige alternative Pädagogik-Ansätze aber verlangen Engagement. Da kommen die Rezepte der FernsehSuper Nannys für die schnelle Erziehungsküche gerade recht. Oder? von Fredi Themel "Teilweise fühle ich mich von Lukas verarscht, ich hab keine Lust mehr, mich mit den Kindern zu beschäftigen." Was einer entmutigten Mutter vor den laufenden Kameras der ATV Plus-Show "Die Super Nannys" über die Lippen kam, können viele Eltern wohl nur allzu gut nachempfinden. Trotz eines gewaltigen Angebots an Ratgebern in Form von Büchern, Eltern-Kind-Zentren, Vorträgen etc. fühlen sich Eltern mit der Erziehung ihres Nachwuchses mehr und mehr überfordert. Eltern werden ist nicht schwer "Eltern wollen und brauchen Orientierung", sagt Martina Leibovici-Mühlberger, Gründerin der ARGE Erziehungsberatung in Wien und Expertin in Erziehungsfragen bei Help-TV im ORF. "Historisch gesehen war Elternschaft noch nie so schwierig wie heute." Das denkt auch Daniela Pichler-Bogner, die Obfrau der Pikler-HengstenbergGesellschaft Österreich. Sie arbeitet seit über einem Jahrzehnt intensiv mit dem alternativen pädagogischen Ansatz nach den Ideen von Emmi Pikler (siehe Interview). "Wir lehnen die Tradition ab, in der wir selber erzogen wurden, aber es hat nichts Neues, Verbindliches dieses Vakuum ausgefüllt. Deshalb probieren wir einfach aus - und weil es hunderte Möglichkeiten gibt, werden wir unsicher." Eltern sein dagegen sehr Dazu kommt, dass ein falsches Bild von Kindern, ihrer Entwicklung und ihrem Verhalten gern zu "Übersetzungsschwierigkeiten" in der Kommunikation zwischen Eltern und Kindern führt. "Man unterstellt Kindern, dass sie nicht kooperieren, dass sie oft aus ‚böser Absicht' handeln. Aber es ist vielmehr so, dass Kinder Signale aussenden. Es ist unsere Aufgabe zu verstehen, warum sie so handeln", erklärt die Pikler-Expertin. Das klingt alles leichter, als es in der Realität umzusetzen ist. Deshalb würden so manche Eltern viel dafür geben, wenn ihnen jemand ein schnelles Rezept zum Lösen ihrer nervenaufreibenden Erziehungsprobleme anbieten würde. Super, Nanny! Auftritt: Die Super Nannys. Die Expertinnen in den Erziehungs-Doku-Soaps im Fernsehen sind angetreten, bei real existierenden Familien medienwirksame Lösungen für deren Eltern-Kind-Probleme zu finden. Das Interesse an den Sendungen war gewaltig. Aber geht das denn zusammen: Erziehung und Fernsehunterhaltung? "Man kann nur Bewusstsein schaffen", sagt LeiboviciMühlberger, "und Medien sind der moderne Weg, um ein Thema in die öffentliche Diskussion zu bringen." Ähnlich sieht das auch Sabine Oberzaucher, die Sendungsverantwortliche bei "Die Super Nannys": "Wir haben das medial stiefmütterlich behandelte Thema so aufbereitet, dass auch Leute es sehen, die sich in der Theorie nicht mit Erziehung auseinandersetzen würden." Das stimmt, verweist aber gleichzeitig auf das ethische Dilemma solcher TV-Formate: Die Dramaturgie der Sendungen bringt es mit sich, dass einerseits Mütter häufig als unfähig dargestellt sind, andererseits die kinderrechtliche Seite nicht berücksichtigt wird. Der Nanny-Effekt Unbestritten ist, dass "Die Super Nannys" eine wichtige Funktion als Impulsgeber erfüllt haben. Auf breiter Ebene wird über Erziehung geredet. Sich mit der Individualität seines Kindes und auch mit sich selbst interessiert und ernsthaft auseinandersetzen - diese Art von Erziehungsarbeit muss man als Vater oder Mutter weiterhin selber leisten. Auch wenn das manche anders sehen: Eine dem Jugendamt bekannte, problematische Familie hat die angebotene außergerichtliche Familienhilfe mit der Begründung abgelehnt: "Das brauchen wir nicht mehr. Wir haben uns eh schon bei den Super Nannys angemeldet." Na dann: Ihr Auftritt bitte, Super Nanny! Pichler-Bogner "Das ist ein Drahtseilakt" Mag. Daniela Pichler-Bogner ist Obfrau der Pikler-Hengstenberg-Gesellschaft Österreich. Als Mutter eines 14-jährigen Sohnes und seit 17 Jahren verheiratet, ist sie immer wieder mit der Frage konfrontiert, was brauchen Kinder und was brauchen Erwachsene, um sich miteinander wohl zu fühlen. Durch ihre Beschäftigung mit der Arbeit der ungarischen Kinderärztin Emmi Pikler und den Erfahrungen des dänischen Familientherapeuten Jesper Juul erlebt sie, dass es Wege gibt, als Familie in Freude miteinander zu wachsen. wienweb.at: Warum ist die Verunsicherung der Eltern heutzutage so groß, wenn es um Kindererziehung geht? Pichler-Bogner: Ich denke, wir lehnen die Tradition ab, in der wir selber erzogen wurden, aber es hat nichts Neues, Verbindliches dieses Vakuum ausgefüllt. Deshalb probieren wir einfach aus - und weil es hunderte Möglichkeiten gibt, werden wir unsicher. Wir wollen unseren Kindern etwas Anderes ermöglichen als wir selber in der Erziehung erlebt haben, aber unbewusst versuchen wir eigentlich, die eigene Geschichte aufzuarbeiten. Das ist ein Drahtseilakt, der - wenn man keine Unterstützung hat - fast scheitern muss. wienweb.at: Eine Serie wie "Die Super Nannys" versucht, im Rahmen eines TVFormats Hilfestellungen zu geben. Was halten Sie davon? Pichler-Bogner: Einerseits ist die Intention schon in Ordnung, dass die Super Nanny die Mutter darauf aufmerksam machen will, wo die Probleme liegen. Aber die Unsicherheiten, die die Mutter betreffen, werden zu wenig einbezogen. Man muss auch die Frage stellen: Was braucht die Mutter, um mit ihrer Unsicherheit und der emotionalen Betroffenheit, die ausgelöst wird, umzugehen? Es wird zu wenig mit den Eltern gemeinsam nach stimmigen Lösungen gesucht. Die Super Nannys präsentieren die Lösung. wienweb.at: Woran krankt denn die Kindererziehung heutzutage? Pichler-Bogner: Prinzipiell geht es ja darum, erfahren und ernst nehmen zu wollen, was Kinder wirklich brauchen. Es geht um ein Interesse am Kind und um das Ernstnehmen des Kindes als Person. Ein Kind wird im ersten Jahr oft nicht als Person gesehen sondern eher als Objekt behandelt und "versorgt". Später unterstellt man Kindern, dass sie nicht kooperieren, dass sie aus "böser Absicht" handeln, wenn sie beispielsweise "aggressives Verhalten" zeigen, um irgendjemanden zu ärgern oder zu provozieren etc. Aber es ist vielmehr so, dass Kinder Signale aussenden. Es ist unsere Aufgabe zu verstehen, warum sie so handeln. Man muss sie in ihrer Not, die hinter ihrem Verhalten steckt, ernstnehmen. wienweb.at: Ihre Arbeit als Kleinkindpädagogin und in der Begleitung von Familien ist stark von den Ideen der ungarischen Kinderärztin Emmi Pikler geprägt. Was steckt hinter diesem Ansatz? Pichler-Bogner: Unser Konzept ist ein pädagogisches. Wir wollen Eltern in der Erziehungs-Beziehung begleiten. Die Eltern sollen eine Möglichkeit bekommen, ihr Kind neu sehen zu lernen. In den sogenannten "Pikler-SpielRaum"-Gruppen können sich die Kinder in einer für ihre Entwicklungsbedürfnisse vorbereiteten Umgebung mit geeigneten Materialien beschäftigen, während die Eltern ihr Tun mit Interesse und Anteilnahme beobachten, sie nicht drängen und nicht ständig ins Spiel eingreifen. Ziel ist, ein anderes Gespür für die Signale der Kinder und gleichzeitig ein Gespür für die eigenen Signale zu entwickeln. Es geht ja um die Eltern-KindBeziehung genauso wie um die Beziehung jedes einzelnen zu sich selbst. wienweb.at: Wobei kann der Pikler-Ansatz den Eltern helfen? Pichler-Bogner: Dabei, die Entwicklung der Kinder zu verstehen und die "Übersetzungsarbeit" zu leisten. Unsere Sicht der Entwicklung baut auf der Kompetenz eines Kindes auf. Kompetenz heißt: Kinder sind selbständig aktiv - in der Bewegung, im Spiel, sie sind neugierig und interessiert, sie wollen die Welt und sich selbst kennenlernen. Sie sind kompetent, was ihre eigenen Gefühle betrifft, und sie tragen eine große Bereitschaft zur Kooperation in sich. wienweb.at: Gibt es so etwas wie einen Kernsatz Ihrer Einstellung zu Erziehung? Pichler-Bogner: Jedes Kind sollte vom ersten Lebenstag an genauso mit Würde und Respekt behandelt werden wie es sich jeder Erwachsene von seinem Gegenüber erwarten darf. Links Wenn Eltern nicht mehr weiter wissen... ...sollten sie sich auf keinen Fall scheuen, das existierende große Beratungsangebot in Anspruch und sich die wertvollen alternativen Ansätze zu Herzen zu nehmen. Eine kleine Auswahl an weiterführenden Links und weiterführender Literatur. Links: www.pikler-hengstenberg.at www.fitforkids.at (ARGE Erziehungsberatung) www.oebeb.at (österr. Bundesverband für Erziehungsberatung) www.bmsg.gv.at (home> Fachbereiche > Familie > Familienberatung) (Übersicht über Familienberatungsstellen auf der Homepage des Sozialministeriums) www.bel-montessori.at www.erziehungshilfe.org www.wien.gv.at/magelf/ www.eltern-bildung.at www.elternwerkstatt.at Literatur: Dr. Martina Leibovici-Mühlberger: Voll fit für die Zukunft. Emmi Pikler: Lasst mir Zeit. Jesper Juul: Das kompetente Kind. Jesper Juul: Grenzen, Nähe, Respekt - Wie Eltern und Kinder sich finden. Chantal de Truchis: Zufriedene Kinder - gelassene Eltern.