Das Märchen vom Baron von Hüpfenstich

Transcrição

Das Märchen vom Baron von Hüpfenstich
Katharina Gericke
DAS MÄRCHEN VOM BARON VON HÜPFENSTICH
(frei nach Basile und Brentano)
1
© henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 2002
Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Alle Rechte am Text, auch einzelner
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henschel SCHAUSPIEL
Marienburger Straße 28
10405 Berlin
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FIGUREN
Haltewort
– ein Seil-Artist vom Zirkus Sarasani, wird Fürst von Lichtenstein
Hüpfenstich
– ein Baron, ein androgyner Vampir
Sanctus
– der Staatsfrosch von Lichtenstein
Kuchenbruck – ein Keks, Faktotum von Lichtenstein
Watz im Wald – der Menschenfresser von Lichtenstein
Tomas
– ein Geheimnis: Er ist der Watz
Clarissa
– ein Geheimnis: Sie ist die Stundenfrau.
Stundenfrau
– die Zeit
Willwissen
– ein Mädchen vom Zirkus Sarasani
Keks-Kind
– eine Marionette, die von Grenoulle geführt wird
Grenoulle
– ein Teenager-Vampir
Vikar
– ein singender springender Schädel
Mocka-Bohne – Sanctus ohne Schminke
Zwei Prinzen, Vampire, Ritter vom Südwind, Dirk der Dumme
ORT UND ZEIT
Vaduz in Lichtenstein, Mittelalter vom 19. Jahrhundert aus gesehen
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Vorrede
DIE SCHAUSPIELER AN DIE AUTOREN
Eure Dummheit macht uns stumm.
Ihr müßt lügen und betrügen.
Ihr bleibt leer und ihr braucht mehr
zu fühlen und zu spüren.
Am Abgrund eurer Leben, am Ende eurer selbst,
seht ihr uns, schwach nach innen, gebrechlich nach außen, im Licht.
Was sollen wir noch Worte machen?
Ihr macht doch schon genug.
Euch halten eure Opfer am Leben:
2 Augen im Kopf und 2 Ohren – links und rechts.
Was wollt ihr noch sagen, wenn unser Schweigen eure Worte überschallt?
Von euch war es nur ein zittriger Tintenfaden, der uns das Blut vom
Fußboden trinken läßt.
Und was ist Wahrheit? Was ist Leben?
Aufzustehen aus dem Dreck? Mit blauen Händen, blauem Herz?
Verdammt – erwacht im Leben –
DIE AUTOREN AN DIE SCHAUSPIELER
Eure Welt liegt in der Sonne
Wir sind nur die Schattenwesen.
Müssen unter euch leiden
Unser Leben durchbohren
Unser Dasein zerbrechen.
Ihr kranken Geschöpfe des Lichts
In der Realität verloren
Und so klein.
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Prolog
Hüpfenstich fährt in seiner stoßenden, schwankenden, knarzenden Kalesche auf Chaussee-Straßen
durch Lichtenstein. Sein Hochmut ist schmalschultrig – die Knie weit von sich gestreckt, sitzt er in der
Ecke der Sitzbank, tief in der Kalesche, die Arme verschränkt, der Hut rutscht ihm tiefer zum Kinn,
wenn der gemietete Kutscher – ein kleiner Zwerg aus Menschenfett – die Siebenburger Waldmäuse,
welche die Kalesche ziehen, zu schnellerem und lauterem Galopp mit heiserem „Heda“ antreibt.
DREAMLAND
(nach E. A. Poe)
By a route obscure and lonely
Haunted by ill Angels only
Was an Eidalon
Named dei-da-dei –
Death has reared himself a throne
That city lying alone
Far down within the west
Where the good and the bad and the worst and the best
No swellings tell that winds maybe
Upon some far off happier sea
Up shadowy long forgotten bowers
Of sculptered ivy and stone-flowers.
Resignedly beneath the sky
The melancholy waters deidadei –
But light from out the lurid sea
Streams up the turrents silently
Whose wreathed friezes intertwine
The viol The violence The marvellous shrine
The waves have now a redder glow
The hours are breathing faint and low
While from a proud dome in that town
Death looks gigantically down.
Resignedly beneath the sky
The melancholy waters deidadei –
By a route obscure and lonely
Haunted by ill Angels only
Was an Eidalon named deidadei –
Sanctus
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(Beim Beten.)
Hör du – im Zack-Wald singen die Totenhaare
auf den Weißschädeln vom Knochenschloß
des Watz von Wellewutz.
Lord
of innumerable figures and forms
King of the tempest – king of the storm
Bless me with Thy – cold am I
Your diabolical beauty
enchants my bewildered mind.
Grauser Ort hier? Meine feuchte Kapelle,
wo ein brauner Frosch auf dem Fußboden sitzt.
Ein katholischer Frosch
aus der Zopf- und Puderzeit.
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Teil 1
1. Szene
Die Bühne von oben nach unten: Laternen, welche den sich darunter ausbreitenden Zackenwald im
wechselnden Licht scharf konturieren. Über den Zackenwald führt der Draht-Weg von Laterne zu
Laterne. Tief im Tal – die Remise. Grün-Kanapee – ein falsch geformtes Ding.
Dort sitzt Clarissa – wenn Kuchenbruck mit dem Keks-Kind, Sanctus und Tomas mit Papp-Bechern
und Rotweinflasche kommen.
Clarissa
Ich irrte mich im Datum auf der
Eintrittskarte und sitze schon seit gestern
im Theater.
Sanctus
Gemüt! Noch weißt nicht?
Tomas
Vaduz’ kindgreiser Fürst ist tot. Dirk der Dumme
starb gestern an den Pocken, starb am Wind.
Sein Bauch sah marsrot aus – im Riß der Bluse.
Sanctus
(Zu Clarissa.)
Tomas
Schaut hoch! Seht unser Drahtseil an!
Sanctus
Im schwingenden Ton-Hall des Pfeifens von oben –
Clarissa
Die Stimme tieft sich, wenn das Auge sieht –
im Blaumantel des Todes und der Sucht.
Tomas
Des Fürsten Amt, uns Reisende aufs Seil
zu locken, daß sie dem Watz ins Maul fallen.
Sanctus
Der Fürst muß auf den Gut-Ruf Lichtensteins achten,
sonst kommt kein Transitler nach Rom mehr.
Tomas
Wir brauchen dringend einen neuen Fürsten.
Clarissa
Wirst es uns, Staatsfrosch?
Sanctus
Das geht nicht – ich sitze doch!
Ich sitze im Gefängnis meiner Haut.
Clarissa
In Lichtenstein, wo die Freiheit
einen karierten Himmel hat.
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Da fällt deine Träne aufs Knie,
und du schlägst immer mit der Hand drauf?
Watz aus dem Wald Dirk liegt jetzt still im Reich der Abgeschiedenen.
Gönnt ihm kein Grab im Tiefen meiner Lenden,
daß ihr uns keinen neuen Fürsten schafft?!
Hier spricht der Watz, hier spricht eure Natur.
Von Beruf Mörder, von Beruf Menschenfresser.
Als kalk-weißer Rauch steige ich aus dem Wald,
und mein Porträt scheint im Gebüsch zu hängen,
wo die glühende Stute des Süd schon wartet –
Seht übers Kirchfeld, das Weißschädel schlingt
nach dem Uhrfleck am unförmigen Dom.
Kuchenbruck
(Zu Clarissa.)
So bringst den Kork nie aus dem Wein.
(Läßt ihn herausploppen.)
Clarissa
Hört ihr nahen – den Zirkus Sarasani?
Kuchenbruck
Da – s Sausen – alle Wagen auf den Draht!
Clarissa
Kopfunter fahren alle in den Zack-Wald.
Kuchenbruck
Wir ziehen unsere Weiß-Kreuz-Fahn auf Halbmast.
Sanctus
Der Kerl ist ein Keks –
Kuchenbruck
Mehl – mein Verräter –
Frosch, woher stammst du?
Sanctus
Was fragst? – Aus Sankt Gallen.
Kuchenbruck
Ich komm aus dem Ruhr-Pott.
Watz aus dem Wald Wirds einmal etwas mit dem neuen Fürsten?!
(Der Zirkus Sarasani fährt über den Draht-Weg, und alles stürzt herunter.)
Stundenfrau
Stürzender Zirkus. Ei, ei – ist das schön,
wenn weiße Pferde in Blut baden gehn.
Wenn Elefanten grün werden vor Angst,
tanzt die Esmeralda den letzten Tanz.
Stürzender Zirkus. Ei, ei – ist das schön,
wenn dem August die Faxen vergehn.
Kratzt aus dem Stimm-Band agonisches Wimmer,
lacht seine Maske noch einmal, noch immer.
Sind denn nun alle Artisten hinüber?
Da kommt noch einer – ein Langer, ein Müder.
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Er führt ein klein-süßes Ding am Genick.
Jungfer, nicht weiter! Der Weg schlägt zurück!
Sahst, wie dein Zirkus gestürzt ist, Grün-Fratz.
Und deine Mama – die frißt jetzt der Watz.
Sanctus
Das war ein schönes Ableben – ich will
eine Kritik aus Zeitungen schneiden.
(Haltewort und Willwissen stehen auf dem Seil.)
Haltewort
Weil du vom Weg wissen wolltest, wie breit er ist,
sind unsere Wagen ohne uns hinüber.
Wollen wir nach?
Willwissen
Deine Hand – mir aus dem Genick!
Haltewort
Esmeralda!
Willwissen
Mutter! – Was geschah?
Unsere Wagen sind ohne uns hinüber.
Wollen wir nach?
Haltewort
Deine Hand – mir von der Hüfte!
Willwissen
Du warst ihr Freund – bist noch mein Vater?
Haltewort
Dein richtiger Vater Giovanni – lang tot –
Willwissen
Du erzähltest
mir von Giovanni – der starb, und du versprachst,
nie zu sterben. Du wolltest Vampir werden.
Haltewort
War ich betrunken, als ich das versprach?
Willwissen
Und du heißt Haltewort.
(Sie klettern vom Seil.)
Da unten sind Kinder. Zu denen will ich.
Haltewort
Die wirken bloß klein. Weil – noch sind wir oben.
Sanctus
Komm her, Artist – nur näher. Wirst neuer Fürst –
Tomas
Der Bäckchen-Tölpel wirkt recht undämonisch.
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