1 Predigt am Sonntag Laetare, 14. März 2010: 2. Korinther 1, 3

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1 Predigt am Sonntag Laetare, 14. März 2010: 2. Korinther 1, 3
Predigt am Sonntag Laetare, 14. März 2010: 2. Korinther 1, 3-7
Wuppertal-Immanuelskirche, Oberkirchenrätin Barbara Rudolph
Liebe Gemeinde,
es ist einer der schönsten Briefanfänge des Paulus. Ein weiter Raum tut sich auf: Trost, trösten
und getröstet werden. Wie oft kommen diese Worte in den wenigen Sätzen vor. Wer es aus
der Distanz hört, möchte fast sagen: Paulus, das ist ein Wiederholungsfehler! Doch es nicht zu
viel für den, den es nach Trost verlangt, es ist nicht zu oft für die, die sich trösten lassen will.
Die können das gut hören: Der Gott allen Trostes. Aber auch die, die nicht unmittelbar
trostbedürftig sind, stellt es in einen weiten Raum. Es ist genug Trost für alle da. Der Gott
allen Trostes gibt großzügig, auch denen, die gar nicht so bedürftig sind. Dann kann auch ich
nehmen, soviel ich will. Paulus jedenfalls will es so, er schreibt über sich, aber er will, dass
alle, die seinen Brief lesen oder hören, mit hinein genommen sind.
Dieser Briefanfang bekommt erst seine besondere Bedeutung, wenn man sich den
schwierigen Rest des Briefes vor Augen hält. Vermutlich sind es sogar mehrere Briefstücke,
die ineinander verwoben sind. Schon der nächste Vers nach der Eröffnung spricht konkret von
der Bedrängnis, die Paulus in Asia widerfahren ist. Und in Korinth hat er Erfahrungen
gemacht, die bitter sind. Der ganze Brief berichtet von den Gefährdungen und Kränkungen,
Enttäuschungen und Kämpfen des Apostels.
Wie kann das kommen, Korinth ist die Gemeinde, die Paulus am vertrautesten und am
liebsten ist. Aber so ist das. Was einem am nächsten ist, kann einen am meisten kränken und
verletzen. Dort hat er erlebt, wie hinter seinem Rücken geredet und seine Integrität
angezweifelt wird. Wie er ein klärendes Gespräch gesucht, vielleicht sogar ein Machtwort
gesprochen hat – und das Gegenteil hat er bewirkt. Es hat alles nur noch schlimmer gemacht.
Er selbst schafft es gar nicht mehr, das Verhältnis irgendwie ins Lot zu bringen. Ein anderer,
Timotheus, muss versuchen, den Karren wieder aus dem Dreck zu ziehen. Paulus ist
unzufrieden, mit sich selbst, mit den anderen, er ist an seine Grenzen gestoßen. Im Laufe des
Briefes gibt er zu, wie schwer es ihn verletzt hat, dass er in seiner Berufung als Apostel
angezweifelt wird und sogar, dass er selbst mit der eigenen Schwäche nicht zurecht kommt,
ja, dass seine Gebete um Kraft und Stärke nicht erhört werden. „Meine Kraft ist in den
Schwachen mächtig“, antwortet ihm Gott stattdessen.
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Es gibt Situationen, da möchte man sich nur noch in ein Loch verkriechen und will nicht
mehr. Und jetzt beginnt das Spannende des Briefes. Paulus verkriecht sich nicht in ein Loch.
Er nimmt den Kontakt auf zu denen, die ihn gekränkt und verletzt haben. Das ist jetzt nicht
eine besondere Großzügigkeit von ihm. Es ist das Wissen, dass seine Macht und die Macht
der anderen ihre Grenze findet in Gott, dem Gott allen Trostes, dem Vater Jesu Christi. Es ist
derselbe Gott, der ihn und die anderen zusammen hält. Es ist darum Absicht, dass er nicht mit
sich, nicht mit der Gemeinde, nicht mit Anklage, nicht mit Verteidigung, nicht mit
Entschuldigung, nicht mit Erklärungen beginnt, sondern mit dem Lobpreis Gottes: Gelobt sei
Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen
Trostes. Gott ist für ihn da und für die anderen, gleichermaßen. Das ist das besondere an dem
Trost, über den Paulus spricht: er nimmt nicht Partei, er übt keine Macht aus. Alle sind auf
den Gott allen Trostes angewiesen. Er gilt dem einen, und darum auch dem anderen. Er ist
nicht übergriffig und vereinnahmend.
Vermutlich müssen Tröstende das erst lernen. Es liegt eine Verführung darin, Stärke daraus
zu ziehen, dass man andere tröstet.
Ich habe noch genau vor Augen, wie ich los zog, das Trösten zu erlernen, in einem
Krankenhaus während der Seelsorgeausbildung. Ich war jung und unerfahren, sicher auch
unbeholfen. Aber ich war zum Trost spenden bereit. Ich war in einer Orthopädie-Station
eingesetzt. Zwei alte Frauen hatte ich besucht, die ein neues Hüftgelenk bekommen hatten und bei einigen anderen. Bis ich dann an eine Tür klopfte und auf ein fröhliches „Herein“ in
einen Bettensaal von 10 bis 12 jungen Männern kam, die Cola trinkend und Chips essend mit
Beinen und Armen in Gips, aber ansonsten ganz fit, in ihren Betten lagen und johlend auf
meinen Besuch reagierten. Nach einigen kurzen Gesprächen an dem einen oder anderen Bett
habe ich mich ziemlich schnell wieder zurückgezogen. „Komm’se bald wieder“ riefen sie mir
noch nach. Das habe ich nicht getan.
Aber es ist der Krankenhausbesuch in meiner Ausbildung, über den ich am meisten
nachgedacht habe. Es war nämlich die einzige Situation, in der ich mich nicht stark fühlte.
Natürlich habe mich auch nicht stark gefühlt, als ich Krankheit und Leiden begegnet bin.
Aber da wurde ich gebraucht. Da hatte ich etwas zu geben, eben Trost zu spenden. Mit den
jungen gut gelaunten Männern war es anders, das hätten meine Kollegen, meine Freunde sein
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können. Die begegneten mir auf gleicher Augenhöhe, auch wenn sie im Bett lagen. Darauf
war ich nicht vorbereitet. Und darum war ich irritiert.
Damals habe ich die Entdeckung gemacht, dass es einem Macht geben kann zu trösten, eine
eigenartige Form der Überlegenheit. Aber dann auch, dass es eine Macht auf Seiten des
Getrösteten gibt. Niemand kann so schnell und so gut erkennen, wie der Trost verankert ist,
wie jemand, der auf Trost angewiesen ist. Trost ist wenn man sich auf einer Augenhöhe
begegnet.
Das ist das Besondere an dem Trostanfang des Paulusbriefes an die Korinther: Er begegnet
ihnen auf Augenhöhe. Er spendet ihnen nicht Trost, er verwendet den Trost nicht gegen sie
oder für sich, er erinnert sich und sie gemeinsam an Gott, den Gott allen Trostes. Trost auf
Augenhöhe, das ist die Geschichte Jesu Christi, Gott begibt sich auf unsere Augenhöhe. Wie
es im Philipperbrief, einem anderen Brief des Apostels Paulus heißt: Christus hielt es nicht für
einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtgestalt an,
ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.
Paulus ist davon gepackt, dass er Gott an der Seite weiß, der das genauso erlebt hat wie er, der
die Erfolglosigkeit und Enttäuschung, die Irritation und den Zweifel kennt. Das ist der Raum,
die Weite, die wir spüren.
In der Ökumene reden viele nicht mehr davon, dass wir gemeinsam auf einem Weg sind. Das
hat nämlich dazu verführt, eine Rangfolge aufzustellen. Denn da gibt es Menschen, die voraus
sind und andere, die weiter hinter sind oder zurück bleiben. Das neue Bild, die neue Metapher
in der ökumenischen Diskussion ist der Raum. In der Weite des Raums eröffnet sich die
Möglichkeit, sich auf sich selbst, auf andere und auf Gott einzulassen - auf Augenhöhe. Es
stellt bei aller belastenden Vergangenheit, die durch Mission und Kolonialismus entstanden
ist, alle in dieselbe Situation: verwiesen auf den Gott allen Trostes, verwiesen auf den einen,
der den Trost nicht gegen andere zur Festigung seiner Macht nutzt, sondern sich auf dieselbe
Augenhöhe begibt, sich selbst als trostbedürftig zeigt.
Wer Gott so kennt, an seiner Seite und zugleich an der Seite aller; wer das weiß, hält viel aus,
kann streiten, wütend sein, gekränkt werden und auch versagen - und bleibt trotzdem dran.
Das besondere an diesem Briefanfang ist, dass Paulus die abgründigen Erfahrungen, die er in
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den folgenden Kapiteln beschreibt, nicht als Widerspruch zum Evangelium sondern als Teil
des Evangeliums sieht, als ein Mitgehen in Christus. Er folgt Christus und Christus begleitet
ihn. Das ist das Besondere, das Tröstliche, dass er seine Erfahrungen nicht gegen Christus
deutet, sondern durch ihn. Und dass er darum auch die Gegner nicht gegen sich deutet,
sondern als Menschen, die auf denselben Trost angewiesen sind wie er.
Christus ist in derselben Verlassenheit, er begegnet auf Augenhöhe, - aber er sieht weiter, er
sieht durch den Tod das Leben, die Auferstehung. Und so kann Paulus sich und die Gemeinde
auch sehen. Diese Hoffnung steht fest, schreibt er. Das erinnert mich an das Plakat des
2. Ökumenischen Kirchentages, auf dem zwei Kinder über den Chiemsee laufen, in einer
krisenhaften Zeit, die Berge der Sorgen im Hintergrund, laufen sie in einer Leichtigkeit und
Fröhlichkeit und erinnern daran, dass jemand über das, was er gegangen ist, und mit ihnen
mitgeht. Trost ist, dass jemand auf Augenhöhe ist und trotzdem weiter sieht.
Darum ist Trost das Osterfest der Angefochtenen, Laetare wird der heutige Sonntag auch
genannt. Nach dem Jesajavers aus dem 66. Kapitel: Freuet euch mit Jerusalem. Es ist in der
Mitte der Passionszeit, schon ein kleines Ostern, ein liturgischer Frühlingshauch, Fest der
Freude. Das Osterfest der Angefochtenen in der Passion: Trost als das Ostergeheimnis in der
Anfechtung: das Fest der Freude.
In diesen Tagen hat die Aufforderung: Freuet euch mit Jerusalem! eine besondere Bedeutung.
In Ostjerusalem werden neue jüdische Häuser gebaut, arabische Häuser müssen weichen. Der
Friede ist noch weiter in die Ferne gerückt. Die Freude mit Jerusalem ist keine ungebrochene,
sondern eine angefochtene, für uns Deutsche allemal. Wir wenden uns an den Gott allen
Trostes, der in seinem Sohn Jesus Christus so sehr gelitten hat in dieser Stadt. Mit ihm
schauen wir nicht weg, treten wir in die Ausweglosigkeit hinein, streiten, verlieren, büßen
unsere Glaubwürdigkeit ein und bleiben an der Seite Jesu, mit den Angefochtenen.
Später, gegen Ende seines Briefes, bittet Paulus die Korinther um eine Kollekte für Jerusalem,
für die Solidarität der europäischen Christen aus der Ferne. Es geht ihm, auch in der Situation
der Anfechtung und Trostbedürftigkeit darum, sich nicht um sich selber zu drehen. Er macht
nicht mehr sich selbst zum Thema, nicht mehr sein Gegenüber, sondern wie zu Beginn des
Briefes stellt er Gott in das Zentrum, den Gott allen Trostes, ein Trost, der zuerst und vor
allem Jerusalem gilt. Wie uns heute das gelingen kann, Gottes Treue zu Israel und die
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Solidarität zum palästinensischen Volk zu bezeugen, das ist eine Frage, der wir uns in der
rheinischen Kirche nicht entziehen können. Ende des letzten Jahres haben palästinensische
Kirchenführer in einem aufrüttelnden Hilferuf auf ihre Situation aufmerksam gemacht und
bitten um Hilfe. Nicht alles, was sie schreiben, kann ich teilen, aber überhören kann ich die
Bitte um Unterstützung auch nicht. Der Gott allen Trostes ist Trost für alle. Das ist eine große
Herausforderung!
Locus iste, werden wir gleich hören, diese Stätte ist von Gott gemacht, kein Makel ist an ihr.
Ein wunderschöner Text. Ein wunderschönes Musikstück. Locus iste, das gilt auch für
Jerusalem. Das ist der Ort, an dem Gott sich erweisen wird. Da stehen wir an dem Berg, auf
dem das Kreuz Christi errichtet wurde, im heutigen arabischen Viertel und sehen genauso
wenig wie damals die Jünger, wo Gottes Macht sich erweist. Wir fragen: Wo bleibst du Trost
der ganzen Welt? Aber wir bleiben, wir sehen nicht weg, wir halten aus. Wir bringen ins
Gebet, was uns bewegt. Gegen alle Hoffnung hoffen wir, dass das Kreuz das Zeichen der
Auferstehung wird, der Tod vom Leben überwunden wird.
Locus iste, Gottes Gegenwart nimmt die Gestalt des Trostes an und ist in dieser Welt
gegenwärtig, ist hier gegenwärtig.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und
Sinne in Jesus Christus.
Amen.
Barbara Rudolph
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