Situationsgerechtes Wissensmanagement für Banken

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Situationsgerechtes Wissensmanagement für Banken
ExperTeam AG
Knowledge-Management
Diefenbruch, M.; Hoffmann, M. (2001), Situationsgerechtes Wissensmanagement
für Banken, In: Birkelbach, J.: Cyber Finance - The Next Generation,S. 247-270
Geschäftsprozessorientierung und Personalisierung verbinden:
Situationsgerechtes
Wissensmanagement für Banken
Dr. Marc Diefenbruch
ExperTeam AG
Dortmund
[email protected]
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Marcel Hoffmann
Informatik und Gesellschaft
Universität Dortmund
[email protected]
Einleitung
Wissensmanagement in europäischen Unternehmen und Organisationen ist immer auch
eine Kulturfrage. Die Mentalität der Menschen und die Kultur der Gesellschaft spielen eine
dominante Rolle für die Form und Ausprägung von Wissensmanagementanwendungen. Im
Finanzbereich erlangt dies eine besondere Bedeutung; die europäische – insbesondere die
deutsche – Kultur der Diskretion und Verschwiegenheit, der Besonnenheit und Vorsicht im
Bankgewerbe stellen für das Wissensmanagement eine besondere Herausforderung dar.
Diese besondere Kultur wird durch gesetzliche Auflagen untermauert – der Gedanke der
Wissensverteilung und -verbreitung wird im Bankgewerbe grundlegend reglementiert.
Der notwendige Freiraum, den eine Wissensmanagementanwendung für die Wissensarbeit
schafft, ist im Bankgewerbe häufig stärker eingeschränkt als in anderen Branchen. Dem gegenüber steht die typische “Unordentlichkeit“ und Individualität der Wissensarbeit, welche es
verhindert, dass Wissensprozesse sich so präzise wie Geschäftsprozesse planen, organisieren und durchführen lassen. Wissensmanagement darf daher weder in die reine Steuerung
und Überwachung der Mitarbeiter noch ins „Informations-Chaos“ ausarten. Der Freiraum für
die Mitarbeiter muss selbständiges und spontanes Handeln ermöglichen, ohne die Zuverlässigkeit und Qualität der Wissensprozesse zu beeinträchtigen, die für eine Unterstützung der
wertschöpfenden Geschäftsprozesse im Bankbetrieb notwendig sind.
Im Mittelpunkt aller Aktivitäten des Wissensmanagements steht der Mitarbeiter, der in einem
konkreten Handlungskontext Informationen benötigt um effektiv handeln und entscheiden zu
können. Der Handlungskontext ergibt sich i.d.R. durch den zu Grunde liegenden Geschäftsprozess sowie den Fähigkeiten, Erwartungen und Erfahrungen des handelnden Mitarbeiters.
Ein “situationsgerechtes Wissensmanagement” muss daher Personalisierung und Geschäftsprozessorientierung verbinden, um die richtigen Informationen zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Form dem handelnden Mitarbeiter bereitzustellen. Denn nur Wissen,
das konkrete Aufgaben eines Geschäftsprozesses unterstützt, erzeugt Nutzen für eine Organisation.
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Aspekte des Wissensmanagements
Im Gegensatz zu Informationen ist Wissen immer von einer Person abhängig und wird meist
nur im Kontext ihrer Handlungen und Entscheidungen sichtbar. Die individuellen Informationsbedürfnisse sind dabei hochgradig von den Erfahrungen und Fähigkeiten der handelnden
Person als auch von der konkret zu erledigenden Aufgabe, z.B. als Teil eines Geschäftsfal-
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les, abhängig. Folglich besteht das eigentliche Ziel von Wissensmanagement darin, die richtige Information zur richtigen Zeit an den richtigen Ort zu liefern, damit Mitarbeiter schnell
und effektiv handeln und entscheiden können. Wissensmanagement beschäftigt sich sowohl
mit der Entwicklung von technischen Systemen als auch mit organisatorischen Strategien
und Prozessen. Eine Wissensmanagementanwendung ist daher als ein sozio-technisches
System anzusehen, das sowohl technische als auch organisatorische und soziale Komponenten enthält (z.B. Rollen, Regeln, Prozesse, Konventionen). Die dauerhafte Verankerung
von Wissensmanagement in einer Organisation bedarf eines ganzheitlichen Ansatzes, der
die Aspekte Organisation, Prozesse, Mitarbeiter und Technologien gleichberechtigt berücksichtigt (siehe Abbildung 1).
•
•
•
•
Erfahrungen / Erwartungen
Fähigkeiten / Kenntnisse
Anreize
Hemmnisse
•
•
•
•
Visionen, Ziele
Strategien
Kultur / Leitbild
Aufbau / Struktur
Wissensprozesse
Wissensbasis
Mitarbeiter
Mitarbeiter
•
•
Prozesse
Prozesse •
•
OrganiOrganisation
sation
TechnoTechnologien
logien
•
•
•
•
Geschäftsprozesse
Handlungen
Entscheidungen
Wissensbedarfe
Intranet, Portale
Groupware, Workflow
Dokumentenmanagement
Suche und Navigation
Abbildung 1: Ganzheitliches Wissensmanagement
• Mitarbeiter
Der Erfolg von Wissensmanagement ist nicht zuletzt abhängig von Kommunikationsbereitschaft, der spontanen Initiative und der intrinsischen Motivation der Mitarbeiter. Ein
ganzheitliches Wissensmanagement sollte die Erfahrungen und Erwartungen sowie die
Fähigkeiten und Kenntnisse der Mitarbeiter berücksichtigen, um eine personalisierte Informationsbereitstellung zu ermöglichen. Der heutige "Banker" ist i.d.R. weit mehr als ein
Allwissender in allen Finanzangelegenheiten. Aufgrund der ständig wachsenden Zahl
neuer Geschäftsfelder im Finanzbereich ist jeder Bankmitarbeiter ein absoluter Spezialist
in seinem persönlichen Zuständigkeitsbereich – mit besonderen Interessen und Wissensbedarfen auf der einen Seite, und evtl. auch mit spezifischen Barrieren und Hemmnisse
bei der Beteiligung am Wissensmanagement auf der anderen Seite.
• Organisation
Die Organisation als Ganzes bestimmt mit ihren Visionen, Zielen und Strategien die Leitlinien und Wissensziele für das Wissensmanagement. Die Struktur der Aufbauorganisation
(Hierarchie, Teams, Projektgruppen, etc.) sowie rechtliche Rahmenbedingungen setzen
zudem wichtige Eckpfeiler, welche den Wissenstransfer innerhalb der Organisation fördern aber auch behindern können. Die Kultur und das Leitbild eines Unternehmens setzen ebenfalls Normen, die das Zusammenarbeiten von Mitarbeitern unmittelbar beeinflussen und über den Erfolg des betrieblichen Wissensmanagements mit entscheiden.
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• Prozesse
Die Wissensmanagementanwendungen müssen letztendlich an ihrer Unterstützung und
Optimierung der wertschöpfenden Geschäftsprozesse gemessen werden. Durch die Analyse der Geschäftsprozesse auf Wissensbedarfe und Wissensgenerierung, lassen sich die
Stellen identifizieren, an denen die Geschäftsprozesse mit den unterstützenden Wissensprozessen verknüpft werden müssen. Diese Verknüpfungsstellen eröffnen die Möglichkeit
im Geschäftsprozess gewonnene Informationen oder Einsichten in der Wissensbasis zu
speichern und das zuvor gesammelte Wissen aus der Wissensbasis gezielt zum effektiven Handeln und Entscheiden im Geschäftsprozess einzusetzen. Applehans et al. (1999)
nennt diese Aktivitäten die „Information Leverage Points“ der Geschäftsprozesse.
• Technologien
Wissensmanagementanwendungen stützen sich in der Regel auf Technologien ab, die
nicht spezifisch für das Wissensmanagement sind, sondern auch für andere Anwendungen zum Einsatz kommen. Der Einsatz elektronischer Datenverarbeitung ist nahezu in
keiner Branche so verbreitet wie im Bankgewerbe. Dennoch sind die System historisch
bedingt sehr autark konzipiert und besonders geschützt. Typische technologische Bausteine des Wissensmanagements sind das Intranet mit integrierten Informationsportalen,
Groupware- und Workflow-Mechanismen sowie ein leistungsfähiges Dokumentenmanagement. Hinzu kommen i.d.R. Such- und Navigationsfunktionen, die das effiziente Auffinden von Informationen in der Wissensbasis ermöglichen.
• Wissensbasis
Die Wissensbasis ist der zentrale Informationsspeicher einer Organisation. In der Wissensbasis sind idealerweise alle verfügbaren Dokumente und Informationen einer Organisation enthalten oder zumindest verzeichnet. Wissen, dass nicht expliziert werden kann,
wird dann mit der Angabe der Wissensquelle in der Wissensbasis verzeichnet. Dazu gehört beispielsweise ein Expertenverzeichnis („Yellow Pages“) und eine KontakteDatenbank. Die Wissensbasis wird über die Wissensprozesse mit den Geschäftsprozessen und Mitarbeiter verbunden.
• Wissensprozesse
Bei der Beschreibung der Ziele von Wissensmanagement, verweisen viele Autoren auf
Wissensprozesse, wie zum Beispiel das bekannte Muster der Externalisierung, Kombination, Internalisierung und Sozialisierung nach Nonaka und Takeuchi (1995) oder die Bestandteile von Wissensmanagement nach Probst et al. (1999). Davenport et al. (1996)
beschreibt Wissensprozesse als Gesamtheit der Wissensaktivitäten. Dazu gehören das
Generieren, Verteilen und Nutzen von Wissen. Wissensprozesse können z.B. Erfahrungen von einem Geschäftsfall zu einem späteren Geschäftsfall transferieren oder Informationen innerhalb eines Geschäftsfalles zwischen verschiedenen Mitarbeitern weiterleiten.
In den meisten Organisationen unterscheidet sich die Ausführung der Wissensprozesse
grundlegend von der Ausführung der Geschäftsprozesse. Während in Geschäftsprozessen die Arbeitsteilung zwischen den Mitarbeitern sowie die Reihenfolge, Ergebnisse und
Deadlines der Aktivitäten genau festgelegt sind, bleiben Wissensprozesse häufig undefiniert und sind damit nicht exakt planbar.
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Technologien zur Unterstützung von
Wissensmanagement
Betrachtet man die Funktionalitäten der Produkte, die von ihren Herstellern mit dem Schlagwort „Wissensmanagement“ beworben werden, stellt man fest, das diese i.d.R. nicht spezifisch für Wissensmanagement sondern originär auch in anderen Anwendungsfeldern zum
Einsatz kommen. Erst die Kombination und Anwendung dieser Technologien zur Unterstützung der Wissensprozesse in einer Organisation lässt sie zu Instrumenten des Wissensmanagements werden. Jeder der Anbieter von Wissensmanagementprodukten hat einen speziellen Schwerpunkt, der häufig in der Entwicklungshistorie des Produktes begründet ist. Die
meisten der angebotenen Produkte setzen sich dabei aus folgenden funktionalen Bestandteilen zusammen:
• Dokumenten-Management-Systeme (DMS) unterstützen die zentrale Speicherung und
koordinieren den Zugriff auf schwach strukturierte elektronische Dokumente. Zusätzlich
speichern DMS Metainformationen zu den Dokumenten, um eine Klassifizierung, Ordnung
und Sortierung der Dokumente zu ermöglichen. Typisch ist das aus Dateisystemen bekannte Ordner-Paradigma, um mehrere Dokumente zu logischen Einheiten zusammenzufassen. Moderne DMS bieten einen Zugriff über den Web-Browser.
• Content-Management-Systeme (CMS) unterstützen und kontrollieren die qualitätsgesicherte Erstellung und Publikation von Dokumenten. Inhalt und Layout der Dokumente
werden getrennt verwaltet. Publikationen werden erst bei der Veröffentlichung aus den
einzelnen Teilen dynamisch zusammengesetzt. CMS realisieren eine strikte Rollenteilung
zwischen den Produzenten (Autoren) und den Konsumenten (Nutzern) von Inhalten.
• Workflow-Management-Systeme (WfMS) unterstützen den Entwurf, die Ausführung und
die Kontrolle von Prozessen und Abläufen. Sie verwenden eine formale Prozessbeschreibung um Informationen, Dokumente, und Ergebnisse von einer Aktivität zur nächsten Aktivität und von einem Mitarbeiter zum nächsten zu leiten. WfM-Systeme werden für häufig
oder regelmäßig ausgeführte standardisierte Prozesse eingesetzt.
• Groupware (GW) stellt Mechanismen für die Kommunikation, Koordination, und Kooperation von Mitarbeitern in Arbeitsgruppen bereit. Dies reicht von so generell anwendbaren
Werkzeugen wie E-Mail oder elektronischen Kontakteverwaltungen bis hin zu mehr spezifischen Anwendungen wie Gruppenkalender, gemeinsamen Bookmarks und Diskussionsforen.
• Suchmaschinen (SE) bieten intelligente Algorithmen oder linguistische Konzepte, um die
vom Benutzer gewünschten Informationen aus Dokumentenspeichern oder Archiven zu
suchen, zu organisieren, zu filtern, zu verdichten und zu visualisieren. Werden diese
Technologien auf stark strukturierte Inhalte (Daten) angewendet, spricht man auch von
Data-Mining. Zielt die Suche mehr auf unstrukturierte Inhalte (Dokumente, Texte) ab,
spricht man von Text-Mining. Im Kontext von Wissensmanagementanwendungen wird
häufig auch von Skill-Mining gesprochen. Damit ist die Suche nach Mitarbeitern mit bestimmten Eigenschaften oder Fähigkeiten gemeint.
• Enterprise Resource Planning (ERP) wird von Organisationen für weitgehend standardisierbare Geschäftsaktivitäten wie Einkauf, Lagerhaltung, Vertrieb, Kundenservice und
Auftragsverfolgung verwendet. Die Arbeitsabläufe sind innerhalb des Systems in Form
von Transaktionen oder vordefinierten Workflows kodiert. Die Inhalte solcher Systeme
sind stark strukturiert.
• Artificial Intelligence (AI) basierte Produkte versuchen die Bedeutung der Inhalte oder die
Bedeutung der Benutzeraktionen zu erkennen und daraus automatisch entsprechende
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Aktivitäten abzuleiten. Der Aufbau von semantischen Netzwerke zur Repräsentation von
Wissen und semantische oder linguistische Suchstrategien sind Beispiele für solche Produkte.
Die Hersteller der am Markt verfügbaren Wissensmanagementprodukte setzen ganz unterschiedliche Schwerpunkte in Art und Umfang der Unterstützung dieser funktionalen Bestandteile. Die Herkunft der entsprechenden Produkte lässt sich fast immer eindeutig an dem gesetzten Schwerpunkt ablesen. Ein Teil der Produkte legt den Schwerpunkt auf die Unterstützung spontaner (ad-hoc geplanter) Prozesse und autonomer Benutzer. Ein anderer Teil der
Produkten fokussiert auf die Ausführung von Routinen nach festgelegten Regeln und bietet
eine weitgehende Automatisierung von vorhersehbaren Benutzungssituationen. Es ist zu
erwarten, dass zukünftige Produkte die genannten funktionalen Bestandteile eines Wissensmanagements enger integrieren und die Grenzen zwischen den einzelnen Systemtypen
damit zunehmend verwischen. Auf absehbare Zeit werden die Produkte jedoch ihre Schwerpunkte behalten.
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Wissensmanagement zwischen „Informationschaos“
und „Fremdbestimmung der Mitarbeiter“
“Selbstregulierende” Wissensmanagementanwendungen
Selbstregulierende Wissensmanagementanwendungen sind charakterisiert durch gleichberechtigte und autonome Handlungsträger und durch flexible Zugriffsrechte auf Inhalte und
Funktionalität. Auf eine klare Festlegung der Rechte und Pflichten der einzelnen Benutzer
wird bewusst verzichtet. Mitarbeiter sind primär über ihre eigenen Interessen und Bedarfe
motiviert mit dem System zu arbeiten. Kommunikation, Kooperation und Koordination werden durch die Benutzer initiiert und die Ergebnisse dieser Aktivitäten sind häufig unvorhersehbar. Das Zusammenspiel und die Reihenfolge der Aktivitäten in kooperativen Arbeitsprozessen werden meist spontan konfiguriert. Die Benutzer können die konkrete Nutzung des
Systems selbst bestimmen und regulieren. Sie entscheiden, für welche Aufgaben sie das
System verwenden, welche Ergebnisse sie für allgemeinen Zugriff bereitstellen, mit wem sie
kooperieren, und welche Informationen sie lesen. Unterstützt wird insbesondere die freiwillige Wissensarbeit.
Selbstregulierende Wissensmanagementanwendungen tendieren dazu, schwach strukturierte und nicht-klassifizierte Inhalte zu verwalten, die ein einzelner Benutzer manchmal nur mit
erheblichem Aufwand für seine Informationsbedürfnisse filtern kann. Eine Qualitätssicherung
oder Verdichtung der werthaltigen Informationen findet häufig nicht statt. Dies kann zur Folge
haben, dass wertvolle Informationen nicht wiederverwendet werden. Selbstregulierendes
Wissensmanagement erfordert kontinuierliche soziale Aushandlung von Konventionen und
Regeln als organisatorische Anleitung für die Benutzung der Anwendung, um nicht das Abgleiten des Wissensmanagements ins „Informationschaos“ zu riskieren. Reduziert man Wissensmanagement allein auf das Prinzip der freiwilligen und selbstbestimmten Teilnahme,
können zwar unvorhersehbare Erfolge erzielt werden, aber es kann ebenso eine Störung der
Prozesse zur Entwicklung, Verteilung, Wiederverwendung und Qualitätssicherung von Wissen hervorgerufen werden, die wiederum Enttäuschungen und eine sinkende Akzeptanz und
Beteiligung zur Folge haben.
“Steuernde” Wissensmanagementanwendungen
Steuernde Wissensmanagementanwendungen sind charakterisiert durch die detaillierte
Spezifikationen der Rechte und Pflichten der Benutzer und durch die Vorgabe einer weitge-
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hend festen Ausführungsreihenfolge von vordefinierten Aktivitäten. Die Verteilung von Arbeit
wird durch die Vergabe von Zugriffsrechten auf Inhalte und die aufgabengerechte Beschränkung der Funktionalität erzwungen. Die Anwendung beobachtet die Ausführung der Wissensprozesse. Sie ist typischerweise in der Lage, Aufgaben zu verteilen, notwendige Aktivitäten anzustoßen und Deadlines zu überwachen. Darüber hinaus erlaubt die Planung von
bestimmten Benutzungssituationen die erweiterte Unterstützung von Arbeitsaktivitäten, die
automatische Auswahl von relevanten Informationsressourcen oder die Empfehlung von angemessenen Aktivitäten. Steuerndes Wissensmanagement unterliegt meist einer eher zentralen Planung und erhöht die Zuverlässigkeit der Wissensprozesse und liefert (in gewissen
Grenzen) voraussagbare Ergebnisse.
Andererseits verlieren zu unflexible und fremdbestimmende Wissensmanagementanwendungen die Akzeptanz der Benutzer. Sie erzeugen starre Informationsstrukturen und Informationsverteilungsprozesse. Kreativität und Spontanität als Motoren der Innovationen werden stark eingeschränkt. Steuernde Wissensmanagementanwendungen lassen sich zudem
häufig nicht schnell genug an wechselnde Informationsbedürfnisse anpassen.
Ob eine Wissensmanagementanwendung eher das erste oder zweite Extrem in diesem Kontinuum unterstützt, lässt sich über eine Reihe von Kriterien feststellen:
• Flexibilität der Wissensprozesse
Ermöglicht die Anwendung spontane Abläufe und neue Interaktionsmuster zwischen den
Benutzern oder unterstützt es primär die geordnete Ausführung von vordefinierten Prozessen?
• Flexibilität der Inhalte
Wird die Anwendung verwendet, um unvorhersehbare individuelle Inhalte der Benutzer zu
verwalten, oder werden die Inhalte zentral gesteuert ausgewählt und freigegeben?
• Arbeitsteilung, Rollen und Rechte
Kann die Anwendung von allen Benutzern gleichberechtigt verwendet werden, oder werden die Benutzer prinzipiell nach Rechten oder Rollen differenziert?
• Verbindlichkeit und Kontrolle der Aufgaben
Verwendet der Benutzer die Anwendung für freiwillige Arbeiten oder gibt die Anwendung
Nutzungsweisen vor und erzwingt obligatorische Aufgaben?
Tabelle 1 stellt einen groben Vergleich der verschiedenen Produktklassen gemäß dieser InSelbstregulierende Systeme
Flexibilität der
Wissensprozesse
Spontane
Prozesse
Flexibilität der
Inhalte
Unstrukturierte
oder individuell
strukturierte
Inhalte
Symmetrisch –
Keine speziellen Rollen
erforderlich
Freiwillige
Aufgaben
Arbeitsteilung,
Rollen und
Rechte
Verbindlichkeit
und Kontrolle
der Aufgaben
Steuernde Systeme
GW
DMS
GW
DMS
GW
DMS
GW
CMS
ERP
Ausführung von
vordefinierten
Prozessen
WfMS
ERP
Vordefinierte
Strukturen der
Inhalte
CMS
WfMS
ERP
Asymmetrisch –
Spezielle Rollen
erforderlich
CMS
WfMS
ERP
WfMS
DMS
CMS
Obligatorische
Aufgaben
Tabelle 1: Unterschiedliche Zielsetzung der Wissensmanagementprodukte
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dikatoren dar. Selbstverständlich wird die Einordnung nicht allen Produkten auf dem Markt
gerecht. Zum Beispiel variiert der Grad an Flexibilität in WfMS erheblich und einige Produkte
können sowohl für vordefinierte, gut spezifizierte Prozesse als auch für spontane Prozesse
verwendet werden. Die Tabelle drückt daher lediglich die Tendenz dieser Produktklassen
aus, bestimmte Anwendungsbereiche besser zu unterstützen als andere.
Eine weitere Differenzierung der Wissensmanagementanwendungen lässt sich durch die
Gegenüberstellung zweier komplementären Ansätze erreichen (siehe Abbildung 2):
Publishing-Ansatz
A
A
Collaboration-Ansatz
L
L
R
Wissensbasis
A
R
Wissensbasis
z.B. Intranet
z.B. Intranet
L
L
A
A
Autor / Ersteller
R
Redakteur (Content-Manager)
L
Leser / Nutzer
Knowledge-Worker
Abbildung 2: Zwei komplementäre Ansätze zum Wissensmanagement
• Publishing-Ansatz
Dieser Ansatz wird speziell von Content-Management-Systemen (CMS) verfolgt. Es existiert eine klare Rollenteilung der Benutzer in Autoren, Redakteure (Content-Manager) und
Leser (Nutzer). Es handelt sich um eine „Präsentationsplattform“ in der die Inhalte von
den Autoren erstellt, von den Content-Managern redaktionell bearbeitet, strukturiert, qualitätsgesichert und schließlich für die Leser freigegeben (publiziert) werden. Die Informationsverteilung ist damit primär unidirektional. Im Publishing-Ansatz ist die Anzahl der Autoren und Redakteure im Vergleich zur Anzahl von Lesern meist sehr gering. Die Ansprüche
an eine einheitliche Struktur, an die Qualität und das Layout der Publikationen ist i.d.R.
sehr hoch. Im Mittelpunkt dieses Ansatzes stehen die Inhalte und ihr Erstellungs- und Verteilungsprozess.
• Collaboration-Ansatz
Dieser Ansatz wird besonders von Dokumentenmanagement- und Groupware-Systemen
realisiert. Das Ziel ist hier eine gemeinsame Arbeitsplattform für die Mitarbeiter einer Organisation oder einer Organisationseinheit zu schaffen. Die Informationsverteilung ist hier
frei und individuell und wird nicht zentral vorgegeben oder gesteuert. Eine klare Rollenteilung, die mit definierten Rechten und Pflichten verbunden ist, existiert nicht. Dieser Ansatz
zielt auf die schnelle und zielgenaue Informationsverteilung und die Aktualität der Informationen ab. Das Layout und die Präsentation der Inhalte spielt eine untergeordnete Rolle.
Unterstützt werden soll die direkte Kommunikation zwischen den Mitarbeitern. Im Mittelpunkt dieses Ansatzes stehen die Mitarbeiter und die Geschäftsprozesse, an denen die
Mitarbeiter arbeiten.
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Der Vergleich von Publishing- und Collaboration-Ansatz macht deutlich, dass die Aspekte,
die hier „Selbstregulierung“ und „Steuerung“ genannt wurden, beide besondere Stärken
beinhalten. Allerdings lassen sich viele Schwachstellen bestehender Wissensmanagementanwendungen nur dann überwinden wenn beide Aspekte gleichermaßen berücksichtig werden.
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Schwachstellen bestehender
Wissensmanagementanwendungen
Ohne die dezentrale Selbstregulation durch die Mitarbeiter drohen Wissensmanagementanwendungen zu erstarren. Ganz ohne zentrale Steuerung, Kontrolle und vorgegebene Strukturierung der Inhalte droht das Chaos. Erst wenn es gelingt, die beiden Aspekte in Einklang
zu bringen, können typische Schwachstellen bestehender Wissensmanagementanwendungen überwunden werden.
5.1
Informationsflut
Symptome:
Suchmaschinen zur Volltextsuche liefern häufig zu viele Informationen, die für die aktuelle
Handlungssituation des Benutzers nicht passend sind oder nicht seinem Erfahrungshintergrund entsprechen. Informations- und Benachrichtigungsdienste wie Push-Channels oder
Change-Agents liefern dagegen wesentlich kompaktere und spezifischere Informationen
gemäß den Bedürfnissen der Nutzer. Sie haben aber das Problem, dass sie Informationen
häufig zur falschen Zeit liefern und damit den Benutzer häufig sogar stören können.
Ursachen:
Die Informationsbedürfnisse variieren abhängig von den Aufgaben, an denen ein Benutzer
gerade arbeitet. Konventionelle Wissensmanagementanwendungen kennen weder die Eigenschaften noch die konkrete Handlungssituation eines Benutzers. Zudem existieren meist
Mängel in der Klassifizierung der Informationen und Dokumente, was eine intelligente Auswahl der relevanten Informationen erschwert.
In den Benachrichtigungsdiensten der Wissensmanagementprodukte lassen sich meist nur
grob Zeitpunkte definieren, zu denen Berichte generiert und zugestellt werden, oder der Benutzer wird bei jeder Neuigkeit oder Änderung sofort informiert, was häufig störend wirkt.
Maßnahmen:
Erforderlich ist eine Beschreibung der Informationsbedürfnisse der verschiedenen Benutzer
und ihrer aktuellen Handlungssituationen, um so die zielgerichtete Verteilung und die Filterung von Informationen zu verbessern. Daneben sind auch die Interessen und Fähigkeiten
der Benutzer in einem Benutzerprofil zu erfassen. Das Profil enthält speziell auch Informationen über die Fähigkeiten, Interessen und Erfahrungen des Benutzers. Die Beschreibung der
Interessen sollte auf Basis eines kontrollierten (vordefinierten) Vokabulars erfolgen. Die in
Benutzerprofilen abgelegten Interessen können auch die Grundlage für zielgerichtete Informations- und Benachrichtigungsdienste bilden. Die Fähigkeiten und Erfahrungen der Benutzer können innerhalb der Benutzerprofile z.B. in einer Skill-Datenbank gespeichert werden.
Eine solche Skill-Datenbank bildet nicht nur die Grundlage für eine an Fähigkeiten und Erfahrungen der Benutzer orientierte Informationsauswahl, sondern kann natürlich auch zum gezielten Suchen nach Mitarbeitern mit bestimmten Eigenschaften verwendet werden.
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Neben der Speicherung der Änderungshistorie eines Dokumentes (Wer hat wann welche
Änderung/Aktion auf dem Dokument durchgeführt?) sollte auch die Verwendungshistorie
eines Dokuments erfasst werden. Sie gibt Aufschluss über die Anwendbarkeit oder den Nutzen des Dokumentes in einem konkreten Kontext. Dies erfordert die Explizierung von Benutzungssituationen (In welchem Handlungskontext bzw. Geschäftsfall wurde das Dokument
genutzt?) und Bewertungsmöglichkeiten von Dokumenten durch die Nutzer (Wie hilfreich war
es in dieser Situation?).
5.2
Mangel an Zuverlässigkeit, Verbindlichkeit und
Nutzentransparenz in Wissensprozessen
Symptome:
Rund um ein neues und interessantes Thema werden schnell viele Informationen ausgetauscht und gesammelt. Später ebbt das Interesse meist schnell wieder ab, die Informationen werden nicht mehr gepflegt und es kommen keine neuen Informationen hinzu. Sprechen
Mitarbeiter Kollegen auf Themen an, die für diese gerade nicht aktuell sind, dauert es länger
bis eine Antwort eingeht. Viele Anregungen und Empfehlungen, Angebote zur Zusammenarbeit oder Denkanstöße verlaufen im Sande.
Ursachen:
Die Wissensarbeit erzeugt bei den Mitarbeitern Erwartungen an die Konsequenzen ihrer Aktivität. Treten diese Erwartungen nicht ein, kann dies stark demotivierend für die weitere Beteiligung wirken oder auch das Vertrauen in den Kooperationsansatz insgesamt erschüttern.
Den Wissensprozessen in einer Organisation mangelt es an Verbindlichkeit, Zuverlässigkeit
und Kontrolle. Häufig wird der zusätzliche Aufwand für die Wissensarbeit in der Praxis von
den Mitarbeitern nicht geleistet, da sich die Mitarbeiter mehr ihrer Arbeit in Geschäftsprozessen als der Beteilung an Wissensprozessen verpflichtet fühlen. Hinzu kommt, dass die Mitarbeiter häufig nicht einschätzen können, ob ihre Erfahrungen und Informationen für andere
Mitarbeiter interessant sind und so wiederverwendet werden.
Maßnahmen:
Der persönliche Nutzen der Teilnahme an Wissensprozessen muss für die Mitarbeiter transparent gemacht werden. Nutzentransparenz (engl. Prospect Awareness) ist definiert als die
Erwartungen an zukünftige Entwicklungen, die Anreize für die Teilnahme in kooperativen
Prozessen liefern. Prospect Awareness macht die Resultate der Alternativen von Aktivitäten
sichtbar und zeigt so den Nutzen von kooperativem Verhalten auf. Darüber hinaus zeigt es
auch die negativen Konsequenzen einer ausbleibenden Teilnahme.
Wissensmanagementanwendungen benötigen motivierende Feedback-Mechanismen, welche die Wiederverwendung des bereitgestellten „Wissens“ durch andere Mitarbeiter an den
„geistigen Urheber“ zurückmelden. Auch Bewertungsfunktionen können Wissensprozesse
zuverlässiger machen. So können in einem Diskussionsforum Antworten auf gestellte Fragen
bewertet werden. In einem Dokumenten-Management-System (DMS) kann die Qualität und
Aktualität der Dokumente durch die Nutzer bewertet werden; in einer Publikationsumgebung
(Intranet, Internet) können die Leser die präsentierten Dokumente bzw. Web-Seiten bewerten.
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5.3
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Bruchstellen zwischen persönlichen und gemeinschaftlichen
Wissensmanagement
Symptome:
Wie oft wurde schon beklagt, dass Wissensschätze in den Köpfen von Mitarbeitern verborgen liegen und dass die Mitarbeiter diese verschlüsseln und verstecken, anstatt sie mit ihren
Kollegen zu teilen? Wir groß die Ängste vor Wissensenteignung wirklich sind und welche
Rolle sie als Barriere spielen ist häufig schwer zu ermitteln. Fest steht aber, dass in vielen
Organisationen wertvolle Dokumente, Notizen, selbstentworfene Arbeitshilfen und individuelle Archive existieren, die nicht gemeinschaftlich genutzt werden.
Ursachen:
In vielen Organisationen findet ein großer Teil der Wissensarbeit in Teams statt und tatsächlich funktioniert der Transfer von Wissen aber auch das Lernen und Bewerten von Wissen
bei der direkten Zusammenarbeit besonders gut. Allerdings können niemals alle Mitarbeiter
gleichzeitig zusammenarbeiten und in vielen Situationen gibt es zur Verteilung von Aufgaben
auf Einzelne keine Alternative. Dabei bleibt ein großer Teil des wertvollen Wissens im individuellen Bereich oder einzelnen Teams stecken. Selbst wenn Arbeitsergebnisse im Prinzip
zugänglich sind, ohne zusätzliche Verschlagwortung und Annotationen sind persönliche Notizen und Ergebnisse für andere nicht brauchbar.
Maßnahmen:
Im ersten Schritt sind die Grenzen zwischen persönlichen und gemeinsamen Archiven und
Ablagen aufzuweichen. Dabei ist es wichtig, dass die Freiheit der Mitarbeiter ihren Arbeitsbereich nach ihren Bedürfnissen zu strukturieren und zu verwalten, nicht zu sehr eingeschränkt
wird. Persönliche Portale oder Arbeitsbereiche im Intranet können hier der richtige Weg sein.
Im zweiten Schritt ist dann der Zugriff auf die persönlichen elektronischen Arbeitsbereiche
von Kollegen zu unterstützen und zu regeln. Wie können Mitarbeiter sich in den Bereichen
Anderer zurechtfinden? Wie werden Inhalte für diese Besucher oder Gäste aufbereitet und
ausgezeichnet und wie können Benutzer besonders sensible Informationen für sich behalten? Parallel kann in Abstimmung mit den Benutzern die Struktur einer gemeinsamen Perspektive entwickelt werden, die Informationen aus verschiedenen Quellen verschränkt und
allen die gleiche Sicht auf das Wissen gewährt.
6
Situationsgerechtes Wissensmanagement –
der integrierte Ansatz
Ein effektives Wissensmanagement vereinigt die Kräfte von dezentraler Selbstregulation der
Mitarbeiter und zentraler Steuerung. Zur Verringerung der Informationsflut werden Informationsbedürfnisse in häufig wiederkehrenden Situationen beschreiben und unterstützt. Für
wichtige Wissensprozesse werden Workflows definiert, welche die Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit bei der Zusammenarbeit erhöhen. Diese Mechanismen müssen jedoch so flexible
sein, dass die Mitarbeiter sie selbständig ihren Bedürfnissen anpassen können. Wissensmanagementanwendungen müssen dazu spontane Aktivitäten mit der Ausführung von festgelegten Wissensprozessen in Einklang bringen, frei interagierende Benutzer mit koordinierenden und qualitätssicherenden Rollen verbinden und obligatorische Aufgaben in Geschäftsprozessen mit freiwilliger Teilnahme an organisationalem Lernen koppeln.
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Um „selbstregulierendes“ und „steuerndes“ Wissensmanagement sinnvoll zu verbinden ist
die Kombination von Personalisierung mit einer an den Geschäftsprozessen orientierten Organisation der Wissensbasis in einem situationsgerechten Wissensmanagement erforderlich.
Personalisierung reduziert das Informationsvolumen auf eine Teilmenge, die relevant für
den Benutzer ist. Die grundlegende Idee ist die Speicherung von Informationen über die Eigenschaften und Vorlieben eines Benutzers, um individuell angepasste Inhalte, Dienste oder
Funktionalität anbieten zu können. Diese Informationen können explizit durch Befragung des
Benutzers oder implizit durch das Beobachten und Auswerten der Aktivitäten des Benutzers
erhoben werden (z.B. Speicherung der Suchanfragen eines Benutzers, Ableitung der Interessen von des Benutzers auf Basis der Auswahl oder Bewertung von Dokumenten oder
Web-Seiten).
Geschäftsprozessorientiertes Wissensmanagement erfasst, speichert und präsentiert
Inhalte gemäß ihrer Beziehung zu Geschäftsobjekten (z.B. Kunden, Produkten, Dienstleistungen) und Geschäftsprozessen. Geschäftsspezifische Aspekte der Inhalte können über
Metainformationen beschrieben werden. Geschäftsprozessorientiertes Wissensmanagement
reduziert die angebotenen Informationen auf die Teilmenge, die für einen Benutzer, der an
einer bestimmten Aufgabe arbeitet, relevant ist.
Wissensbasis
Personalisiertes
Wissensmanagement
Situationsgerechtes Wissensmanagement
Geschäftsprozessorientiertes
Wissensmanagement
Abbildung 3: Informationsauswahl durch situationsgerechtes Wissensmanagement
Situationsgerechtes Wissensmanagement ist die Kontextualisierung von Wissensprozessen. Eine Situation ist der Handlungskontext eines Benutzers zu einer bestimmten Zeit. In
Geschäftssituationen besteht eine Situation aus dem Benutzer, den aktuellen Aufgaben des
Benutzers und den Informationen, die aktuell in Dokumenten und Systemen verfügbar sind,
und der Umgebung, in der die Person arbeitet. Durch die Kombination von Personalisierung
mit Geschäftsprozessorientierung liefert situationsgerechtes Wissensmanagement Informationen, die passend für den Benutzer (blaue Informationsobjekte in Abbildung 3) und gleichzeitig relevant für den durch den Geschäftsprozess gegebenen Kontext (rechteckige Informationsobjekte in Abbildung 3) sind. So ermöglicht situationsgerechtes Wissensmanagement dem Benutzer in einem Geschäftsfall schnell und effektiv zu handeln.
Um situationsgerechtes Wissensmanagement zu realisieren, müssen die Inhalte (Dokumente, Informationen, etc.) mit den Geschäftsobjekten, Workflows, Rollen, Personen oder Aufgaben in Relation gesetzt werden. Dies kann durch eine auf Metainformationen basierende
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Kategorisierung der Inhalte gemäß eines geschäftsprozessbezogenen Bezugsrahmens erfolgen. So lassen sich Inhalte zu geschäftsprozessorientierten Informationsportalen zusammenfassen.
Hinzu kommen Benutzerprofile, welche die Grundlage für eine Personalisierung des Informationsangebots darstellen. Ein Profil enthält Informationen über einen Benutzer, die zum Filtern von Inhalten in Informationsportalen oder zur zielgerichteten Informationsverteilung und
Benachrichtigung verwendet werden (siehe Abschnitt 5.1).
Werden Benutzerprofile als zusätzlicher Filter auf geschäftsprozessorientierte Informationsportale angewendet, entstehen situationsgerechte Informationsportale (Schnittmenge in
Abbildung 3). Die konkrete Aufgabe, an der ein bestimmter Mitarbeiter arbeitet, erzeugt dann
eine Auswahl von Informationen aus der organisationalen Wissensbasis mit Bezug zu der
entsprechenden Geschäftssituation und den Fähigkeiten, Interessen und Erfahrungen der
Benutzer.
Situationsgerechte Informationsportale müssen generell dynamisch aus dem Geschäftsprozess und dem Benutzerprofil generiert werden. Sie stellen benutzerspezifische Sichten auf
den Teil der Wissensbasis dar, der relevant für einen Geschäftsprozess ist.
7
Anwendungen und Nutzungsszenarien
Situationsgerechtes Wissensmanagement ermöglicht vielfältige Anwendungen und Nutzungsszenarien:
• Transparenz der Informationsbedarfe und Reduktion der Informationsflut
Besucht ein Benutzer ein Informationsportal zu einem Geschäftsprozess offenbart er dem
System damit seine Informationsbedarfe. Diese Auswahl eines Geschäftsprozessportals –
in Kombination mit dem gespeicherten Profil des Benutzers – erzeugt ein situationsabhängiges Portal. Die angebotenen Informationen hängen ab von dem Profil des Benutzers, den Inhalten der Wissensbasis und den Bedarfen des aktuellen Handlungs- oder
Entscheidungspunkt im Geschäftsprozess oder der aktuellen Aufgabe des Benutzers.
• Effektivere Wissensprozesse
Sind die Informationsportale einer Organisation primär an den Geschäftsprozessen ausgerichtet, können aus dem Besuch eines Portals Rückschlüsse auf die aktuelle Handlungssituation des Benutzer gezogen werden. Das Erkennen der Handlungssituation eines Benutzer kann ein großer Vorteil sein, um die Kontrolle, die Verbindlichkeit und die
Zuverlässigkeit in Wissensprozessen zu verbessern. Informations- und Benachrichtigungsdienste können z.B. Informationen zu dem Zeitpunkt zustellen, an dem ein Benutzer
das entsprechende Informationsportal „betritt“. Durch die Verbindung von Wissenstransferprozessen mit dem Besuch von situationsgerechten Informationsportalen ist zu erwarten, dass Fragen oder Informationen den Benutzer im richtigen Moment erreichen.
• Wiederverwendung und Kategorisierung von Wissen
Beim jedem Speichern von Inhalten in einer situationsgerechten Wissensmanagementanwendung gibt der Benutzer an, ob das Dokument (auch) für ein geschäftsprozessorientiertes Informationsportal relevant ist. Wenn der Benutzer das Dokument als relevant identifiziert, wird das Dokument in dem entsprechenden Portal gespeichert oder verzeichnet.
Auf diesem Weg wird die Verbreitung und Wiederverwendung von Wissen unterstützt.
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Befindet sich ein Benutzer in einem situationsgerechten Portal können Dokumente, die in
der beschriebenen Situation entstehen, auf Basis der zugehörigen Geschäftsobjekte,
Workflows und Rollen klassifiziert werden. Die Explizierung und Kategorisierung von Wissen wird deutlich erleichtert.
• Aufbau von Interessens- und Wissensgemeinschaften
Die Besucher eines geschäftsprozessorientierten Informationsportals bilden eine Interessengemeinschaft. Das situationsgerechte Portal liefert die Informationen über andere Mitglieder der Gemeinschaft. So kann innerhalb einer Organisation sichtbar gemacht werden, wer generell (oder sogar zeitgleich) an der selben Aufgabe arbeitet. Auf diese Weise
wird der Austausch von Erfahrungen zwischen den Benutzern erleichtert.
Im folgenden sind exemplarisch zwei Nutzungsszenarien im Bankbetrieb dargestellt:
• Beispiel 1:
Jeder Bank-Mitarbeiter ist im Außenverhältnis (gegenüber Kunden) i.d.R. uneingeschränkt
handlungsbevollmächtigt (§ 54 HGB). Um Fehler und persönliche Haftungen zu vermeiden, muss er im Innenverhältnis grundsätzlich wissen, was er darf und vor allem, was er
nicht darf. Entsprechende Regelungen sind in einem Verfahrenshandbuch in einer idealerweise stets aktuellen Intranet-Anwendung zu veröffentlichen. In einer auf gleicher technischer Plattform basierenden "Skill-Management"-Datenbank werden die Fähigkeiten
und Erfahrungen der Mitarbeiter, aber auch die Kompetenzregelungen, transparent und
für alle Mitarbeiter frei ersichtlich ausgewiesen.
• Beispiel 2:
Die Zahl der gesetzliche Neuerungen im Finanzgewerbe, welche den Mitarbeitern bekannt sein müssen und zu beachten sind, hat in den letzten Jahren massiv zugenommen.
Eine Filterung der besonders relevanten Gesetzesänderungen auf die individuellen Erfordernisse des einzelnen Mitarbeiters kann durch eine personalisierte Vorauswahl systemgebunden erfolgen. Durch den Einsatz eines Intranets können dem Bankangestellten aktiv die bedeutsamen Neuerungen über einen "Benachrichtigungsdienst" (Change- bzw.
Notification-Agents) besonders zeitnah zugestellt werden. Das Intranet bietet dem Mitarbeiter – neben der zusätzlichen Verfügbarkeit aller anderen Gesetzesänderungen – auch
entsprechende weiterführende Informationen an. Die für die Vorauswahl der relevanten
Informationen notwendigen Daten erhält das System zum einen aus den gespeicherten
Profil des Mitarbeiters, parallel aber auch aus dem Verhalten und dem gezeigten Interessenschwerpunkten bei der Nutzung des Wissensmanagement-Systems.
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Zusammenfassung und Ausblick
Situationsgerechtes Wissensmanagement kombiniert Personalisierung und die an den Geschäftsprozessen orientierte Strukturierung von Wissensressourcen. Wissensprozesse lassen sich so effektiver zu zielgerichteter definieren. Die Informationsflut kann auf die Teilmenge reduziert werden, die ein konkreter Mitarbeiter in einer konkreten Situation zum schnellen
und effektiven Handeln benötigt.
Der hier beschriebene Ansatz wurde durch eine Kooperation zwischen der Universität von
Dortmund, Informatik und Gesellschaft und der ExperTeam AG, Dortmund innerhalb des
Datei: KM-Artikel MDB (ExperTeam).doc
Seite 13
Autor: Marcel
ExperTeam AG
Knowledge-Management
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Forschungsprojektes
erarbeitet. Das Projekt entwickelt Strategien, Verfahren
und Instrumente zur Einführung und kontinuierlichen Verbesserung von betrieblichen Wissensmanagement. Um situationsgerechtes Wissensmanagement zu evaluieren wird im
Rahmen des Expect-Projektes ein Prototyp für situationsgerechte Informationsportale auf
Basis des Wissensmanagement-Systems Livelink (Open Text) entwickelt.
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Literatur
[1] Applehans, W.; Globe, A.; Laugero, G. (1999): Managing Knowledge A Practical Web
based Approach. Addison Wesley Information Technology Studies 1999.
[2] Davenport, Thomas H.; Jarvenpaa, Sirkka, L.; Beers, Michael C. (1996): Improving
Knowledge Work Processes. In: Sloan Managament Review 34(4). Summer 1996. S.
53-65.
[3] Diefenbruch, Marc, Hoffmann, Marcel; Misch, Andrea; Schneider, Helge (2000): Situated
Knowledge Management - on the borderline between chaos and rigidity. Proceedings of
PAKM 2000 (October 2000, Basel CH). S. 8-1 – 8-7.
[4] Föcker, Egbert; Goesmann, Thomas; Striemer, Rüdiger (1999): Wissensmanagement
zur Unterstützung von Geschäftprozessen. In: Praxis der Wirtschaftsinformatik, Heft 208,
36. Jg., August 1999, S. 36-43.
[5] Göranzon, Bo; Josefson, Ingela (1988): Knowledge, Skill und Artificial Intelligence. London: Springer.
[6] Nonaka, Ikujiro; Takeuchi, Hirotaka (1995): The Knowledge Creating Company. New
York, Oxford: Oxford University Press.
[7] Probst, Gilbert; Raub, Stefan; Romhardt, Kai (1999): Wissen managen. 3. Auflage 1999.
Betriebswirtschaftlicher Verlag. Gabler.
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Das Expect-Projekt (www.expect-project.de) ist Teil der Initiative „Innovationscluster für Neue Medien” (www.media.nrw.de), gefördert durch die Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen und dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung von Nordrhein-Westfalen (MSWF) .
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Autor: Marcel