Der Maoanzug

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Der Maoanzug
Der Maoanzug
In Fragen der Kleiderordnung entschied sich der erste Präsident der
Republik (1911), SUN Yatsen, für
eine Kombination unterschiedlicher
Vorbilder. Er beauftragte den
Schneider HUANG Longsheng mit
der Schaffung einer Synthese aus
japanischer Schuluniform, traditioneller bäuerlicher Kleidung und
deutscher Militäruniform. Das Ergebnis war der Zhongshan-Anzug
(genannt nach SUN Yatsen, der im
Chinesischen ausschließlich als SUN
Yixian oder SUN Zhongshan bekannt ist).
Vor allem die formalen Elemente
der Jacke blieben trotz aller Änderungen erhalten: Zwei symmetrisch
aufgenähte Brust- und Seitentaschen, die mit einer Klappe und
einem Knopf verschließbar sind.
Der Kragen, ein kurzer umgeklappter Falz, liegt eng am Hals an.
Die Jacke wird mit fünf Knöpfen
bis zum Kragen hoch geschlossen.
Balance und Symmetrie gelten als
adäquater nationaler Ausdruck.
Die Verschmelzung unterschiedlicher Einflüsse führte zu einer hybriden Form, die das Fremde benutzt –
aber nicht kopiert. Nachdem SUN
Yatsen diesen Anzug bei wichtigen
Anlässen in der Öffentlichkeit trug,
wurde er schnell zu einem Symbol
des neuen China. In den 1920er Jahren war der Zhongshan-Anzug die
Arbeitskleidung der Beamten. Bis
heute ist er unter diesem Namen in
China geläufig.
Mit (chinesischen) Kleidern ist es
dasselbe wie mit den Häusern: Es
gab keine Veränderung über Tau1
sende von Jahren.
A.F. Legendre, Paris 1926
Im ausgehenden 19. Jahrhundert
meinten westliche Gelehrte und
Forscher in der Entwicklung der chinesischen Kultur einen Stillstand zu
erkennen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wandelte sich die Wahrnehmung, die traditionelle Kultur
wurde jetzt unter dem Aspekt der
Kontinuität interpretiert. In den Publikationen jener Zeit leiden Mode
wie auch Architektur unter dieser
verkürzten Sichtweise. Die Reformen in den letzten Jahren des chinesischen Kaiserreichs fanden auch
in der Kleidung ihren Niederschlag.
Dazu gehörte eine neue Uniform des
Militärs, da die alten Gewänder für
die neuen Waffensysteme schlicht
unpraktisch geworden waren. Mit
Hilfe deutscher Militärberater wurde die sogenannte New Army nach
preußischem Vorbild ausgestattet.
Gleichzeitig wurde die klassische
Gelehrtenausbildung durch ein
westliches Bildungsmodell ersetzt –
die Gewänder der Gelehrten verschwanden, Schuluniformen und
militärischer Drill hielten Einzug in
die Ausbildungsstätten. Japan, das
sich seit dem 19. Jahrhundert durch
die westlichen Einflüsse stark verändert hatte, war das große Vorbild
dieser Reformen.
SUN Yatsen wurde im Westen ausgebildet und lebte vor 1911 lange
Zeit im Ausland. Seine Reformansätze lassen sich verkürzt mit den
drei Prinzipien ‘Nationale Eigenständigkeit’, ‘Republikanische Verfassung’ und ‘Soziale Gerechtigkeit’
benennen. In Abgrenzung zum Kaiserreich, aber ebenso in Abgrenzung
zu den kolonialen Mächten, suchte
er einen eigenen Weg.
Der Ablösungsprozeß von der heruntergewirtschafteten feudalen
Struktur hin zu einer neuen Definition der eigenen Kultur wurde in
den Kreisen der Führung intensiv
diskutiert. Die ‘neue Kulturbewegung’ von 1917 und die ‘4. Mai
2
Bewegung’ von 1919 kann als Ausgangspunkt der Modernisierung der
chinesischen Gesellschaft gelten.
MAO Zedong sah die Gründung der
kommunistischen Partei 1921 als
logische Folge dieser Entwicklungen.
In Intellektuellenkreisen war die
Frage der Essenz (ti) und der Form
(yong) die treibende Kraft dieser
Auseinandersetzungen. Dieser Diskurs über modernen Inhalt und chinesische Form ist bis heute nicht
abgeschlossen und flammt in regelmäßigen Intervallen neu auf.
Seit 1927 trug MAO Zedong den
Zhongshan-Anzug, der im Westen
später als Mao-Anzug bekannt wurde. Mit ihm konnte er zweierlei verknüpfen: zum einen die Abgrenzung
gegen die überkommene Kleiderordnung, zum anderen die Vernebelung des Übergangs zwischen
Reform und Revolution. In diesem
Anzug verkündete er 1949 auf dem
Platz des Himmlischen Friedens in
Peking den Sieg der Kommunisten
und wurde damit Vorbild für die
gesamte Nation. Als nationales und
revolutionäres Symbol transportierte der Anzug die politische Gesinnung der Partei, die ihn nun für sich
vereinnahmte.
Der sowjetische Einfluß zu Anfang
der 1950er Jahre brachte ein kurzes
Intermezzo des sogenannten LeninAnzugs, der schnell wieder verschwand. Mao selbst hat sich nie
zu einer offiziellen Kleiderordnung
geäußert. Die Neuordnung der Gesellschaft in Arbeitseinheiten, die
Auflösung der Individualität im Kollektiv wurde jedoch durch den MaoAnzug formal unterstützt. Er ist das
Symbol für die Gleichschaltung der
Bevölkerung und die Aufhebung der
Geschlechtsunterschiede.
Das Material des Mao-Anzugs war
Baumwolle oder ein Mix aus Baumwolle und Synthetik, die Farbe meist
blau, seltener grau oder braun. Die
kollektive Identität der ‘blauen Massen’ stärkte nach 1949 ein neues
Nationalgefühl und den Aufbruch
nach dem Niedergang des Kaiserreiches und den Wirren von Krieg und
Bürgerkrieg. In den 1950er Jahren
entstand eine kurze Diskussion über
Mode im Sozialismus; vor allem
Frauen versuchten durch kleine
Änderungen am Kragen oder am
Schnitt der Uniformität zu entkommen. In einem Akt der Solidarität
unterstützten Schneider aus der
DDR die chinesischen Kollegen 1956
bei der Anpassung an die Modetrends der Zeit.
Die Kulturrevolution, in der Mao die
Jugend gegen seine innerparteilichen Kritiker zur permanenten Revolution aufrief, richtete sich offiziell gegen die vier alten Werte (alte
Kultur, alte Gewohnheiten, alte Sitten und das alte Denken). Bei der ersten großen Demonstration 1966 in
Peking trug Mao eine grüne Militäruniform. Die Roten Garden kopierten in Eigenregie die grüne Uniform
und entwickelten daraus ihr Bekleidungsideal für die nächsten Jahre.
Kleidung wurde in dieser Zeit ideologisch überhöht: Westliche Anzüge,
Krawatten und modische Frauenkleider wurden konfisziert, die Besitzer für ihre “bürgerliche” Ausdrucksform bestraft. Die Roten Garden trugen stets ein rotes Armband
sowie die Mao-Bibel in der Brusttasche mit sich.
In den 1970er Jahren setzte sich der
Mao-Anzug bei den Intellektuellen
durch. Offiziell endete die Kulturrevolution 1976. Fünf Jahre später
bezeichnet die Kommunistische
Partei diese Periode als großen
Fehler. Seitdem verschwindet der
Mao-Anzug langsam aus dem
öffentlichen Leben in den großen
Städten, ersetzt durch schlecht sitzende westliche Anzüge. Auf dem
Lande ist er weiterhin populär und
wird von den Bauern als alltägliches
Kleidungsstück getragen.
Eduard Kögel
Postscriptum: Zur Militärparade
beim 50. Jahrestag der Revolution
(1999) trug der damalige Präsident
JIANG Zemin als einziges Mitglied
des Politbüros den Mao-Anzug.
Anmerkungen
1 Zitiert nach: Steele, Valerie; John S.
Mayor: Introduction and Acknowledgement, S.1 in: Steele, Valerie; John S.
Major (ed): China Chic. East Meets
West; Yale University Press,
New Haven and London 1999
2 Die ‘4. Mai Bewegung’ begann
mit Studentenunruhen in Peking.
Inhaltlich richteten sich die Proteste
gegen die Verträge von Versailles
nach dem ersten Weltkrieg. In ihnen
wurde Japan die ehemals deutsche
Kolonie Tsingtao und Teile der Provinz
Shantung zugesprochen.