Mit Herzblut und Teamarbeit

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Mit Herzblut und Teamarbeit
SCHULE NRW | 01 / 2016 | BLICKPUNKT
MIT HERZBLUT UND TEAMARBEIT
Lernen in der Internationalen Förderklasse am Berufskolleg Bergisch Land
»I
ch liebe Kochen!«, sagt
Mitgebrachte Schulbildung
divers
die 19-jährige Kenanna
Auch für die in der IFK eingesichtlich bewegt und angelt
setzten Lehrerinnen und Lehrer
mit einem Löffel eine kleine
Geschmacks­probe aus dem groist das Miteinander wichtig: Alle
ßen Topf. Man merkt, wie sicher
fünf unterrichtenden Kolleginsich die Schülerin jetzt fühlt. Im
nen und Kollegen haben sich
Sylvia Wimmershoff, Berufskolleg Bergisch Land;
Klassenraum war sie noch recht
freiwillig für den Einsatz in der
Carolin Thielking, MSW
still und zurückhaltend. Die
Klasse gemeldet und dafür zum
junge Frau aus Syrien ist erst seit
Teil sogar ihre Stundenzahl
dem Sommer in Deutschland. Jetzt, in der Schulküche,
aufgestockt. So ist es möglich, dass teilweise in Doppelwird sie lebendiger und verteilt Schürzen an ihre Mitbesetzung unterrichtet wird. Das ist auch notwendig,
schülerinnen und Mitschüler. Auch Monzer und Maan,
sind doch ihre Grundlagen so divers wie ihre Heimatzwei Brüder aus Aleppo, kennen sich bestens aus und
länder: Sieben der 23 Schülerinnen und Schüler kannten
sind in ihrem Element. Neben der Schule absolvieren sie
die lateinische Schrift nicht, als sie nach Deutschland
ein Praktikum in einer Bäckerei.
kamen. Während einige nur insgesamt zwei Jahre lang
zur Schule gegangen sind, haben andere in ihrem HeiKenanna, Monzer und Maan sind Schüler in der Intermatland sogar schon eine Universität besucht.
nationalen Förderklasse (IFK) am Berufskolleg Bergisch
Land in Wermelskirchen. Im letzten Schuljahr wurden
Dies zu erkennen ist Aufgabe des KI. Es erstellt für jede
sie zusammen mit anderen neu nach Deutschland gezoSchülerin und jeden Schüler eine Anamnese über die
genen Jugendlichen der Region in Kooperation zwischen
individuelle Schulbildung und stellt diese Erhebung den
dem Gymnasium, der Hauptschule und dem BerufskolSchulen zur Verfügung. Die Einrichtung einer Internaleg zusammen in einer Internationalen Förderklasse
tionalen Förderklasse an einem Berufskolleg vollzog
beschult. Aufgrund des Anstiegs der Flüchtlingszahlen
sich ebenfalls in enger Absprache mit dem KI. So soll
hat sich das Berufskolleg Bergisch Land in Wermelskirgewährleistet werden, dass volljährige Jugendliche nicht
chen auf Bitten des Kommunalen Integrationszentrums
aus dem System fallen, sondern so schnell wie möglich
(KI) des Rheinisch-Bergischen Kreises rund drei Wochen
Deutsch lernen können.
nach Schuljahresbeginn kurzfristig bereit erklärt, eine
internationale Förderklasse zu eröffnen. Die Klasse wird
Dass das gut funktioniert, sieht man an Alaa, der mit
seitdem von einem fünfköpfigen Lehrerteam unterrich22 Jahren der älteste Schüler der Klasse ist. Er begrüßt
tet, das von einer Referendarin und einer Praktikantin
alle fröhlich und spricht nach nur sechs Monaten in
unterstützt wird.
Deutschland schon ein recht sicheres Deutsch, seit gut
vier Monaten lebt er in Wermelskirchen. In Syrien war
Zurzeit besuchen acht Schülerinnen und 15 Schüler
er an der Universität im IT-Bereich eingeschrieben, nun
mit einem Durchschnittsalter von rund 20 Jahren
hat er aber vor allem eines vor: »Ich möchte schnell und
die IFK. Sie stammen alle aus den Krisengebieten der
gut Deutsch lernen!« Neben der Schule arbeitet er einen
Welt: Der Großteil kommt aus Syrien, einige weiNachmittag in der Kirche.
tere aus dem Irak, aus Somalia und aus Eritrea. Alle
Klasse(n)Kochen
versuchen, hier ihre Chance zu nutzen, in der Schule
Von vier Schultagen verbringen die Schülerinnen und
Deutsch zu lernen und einen Einblick in die BerufsSchüler einen Tag in der Küche. In diesem fachpraktiwelt zu bekommen.
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Eine Schülerin der Patenklasse hilft beim Lernen.
Beim Kochen werden Speisen aus Herkunftsländern sowie heimische
Speisen angerichtet. Fotos: Christof Wolff
schen Unterricht stellen sie Speisen aus ihren Herkunftsländern her und stellen sie ihren Klassenkameraden vor.
Angeleitet werden sie von der Werkstattlehrerin und
gelernten Köchin Karin Peter. »Jeden Tag ist eine andere
Schülerin oder ein anderer Schüler Küchenchef und
entscheidet, welches Gericht aus der jeweiligen Heimat
gekocht wird«, erklärt sie das Unterrichtsprinzip. »Ich
nenne diese Stunden auch lebenspraktischen Unterricht.« Die gemeinsamen Mahlzeiten stärken das Miteinander in der Klasse und fördern die Verständigung.
Ganz nebenbei erfahren die Jugendlichen, wie man in
Deutschland preisgünstig einkaufen und kochen kann.
heit, Erziehung und Soziales der Fachoberschule haben
eine Patenschaft für die IFK übernommen. »Als die
Internationale Förderklasse eingerichtet wurde, haben
wir uns direkt gemeldet und wollten helfen«, berichten
die jungen Frauen. In einer Stunde pro Woche nehmen
sie während einer Freistunde am Unterricht der IFK teil
und unterstützen das Lehrerteam bei der individuellen
Förderung der Teilnehmer. Der Kontakt zwischen den
Jugendlichen der IFK und der Fachoberschulklasse setzt
sich auch auf dem Schulhof und sogar bei Treffen in der
Stadt fort. »Es tut gut, die Fortschritte mitzuerleben«,
erzählt Ruth.
Die drei Tage regulärer Unterricht finden im eigenen
Klassenraum statt. An diesen Tagen wird die Klasse
unter anderem in den Fächern Deutsch, Politik/Gesellschaftskunde und Mathematik unterrichtet, wobei das
Erlernen der deutschen Sprache und die Auseinandersetzung mit grundlegenden Aspekten der deutschen
Kultur in allen Fächern im Vordergrund stehen. Wenn
gewünscht, können sich die Jugendlichen am fünften
Tag freiwillig zum Unterricht in anderen Klassen anmelden, beispielsweise zum Sportunterricht.
Ähnliches berichtet die Lehrerin Ilona Hauser, die eine
Stunde wöchentlich mit dem Schwerpunkt Hörverstehen in der IFK vermittelt. Internet, Fernsehen, deutsche
Musik – alle Medienformate sind geeignet, um das
Hörverstehen der Schülerinnen und Schüler zu fördern.
Und die ersten Erfolge werden sichtbar: »Grundsätzlich
werden alle Sprachen, die zur Verfügung stehen, genutzt
– aber man merkt, dass Deutsch als Lingua franca immer
stärker wird«, fasst Hauser ihre Erfahrung zusammen.
Die Lehrerinnen und Lehrer nutzen viele Materialien der
Kommunalen Integrationszentren in der IFK, meistens
suchen sie sich aber ihr Material selbst. Dabei gehen sie
einerseits alltags- und interessengeleitet vor. So stellten
sie in der Adventszeit das Thema Feiertage und Weihnachten in den Vordergrund. Andererseits ist in dieser
Klasse die individuelle Förderung besonders wichtig.
In der Adventszeit beschäftigten sich die Schülerinnen
und Schüler mit dem Thema Weihnachten, bastelten
und lernten entsprechende Begriffe. Unterstützt wurden sie dabei von Ruth, Britta, Julia und Katharina. Die
Oberstufenschülerinnen aus dem Fachbereich Gesund-
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»Häufig erstelle ich zwei bis drei Arbeitsblätter auf unterschiedlichen Niveaus zu einem Thema, damit ich auf
alle Schülerinnen und Schüler angemessen reagieren
kann«, so Hauser.
Man wird zur Vertrauensperson
Neben der individuellen Förderung und der Binnendifferenzierung ist es wichtig, auf die Biografien der
Schülerinnen und Schüler einzugehen und Erinnerungen
zuzulassen. »Häufig möchten sich die Jugendlichen über
ihre Herkunft unterhalten und sich über ihre Reisewege
nach Deutschland austauschen«, erzählt Filiz Özlem. Die
Referendarin, die eigentlich Englisch und Sport unterrichtet, arbeitet im Rahmen ihrer Hospitationsstunden in
der IFK. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass die Jugendlichen oft einen großen Redebedarf haben, was ihre Flucht
und ihren Weg nach Wermelskirchen angeht. »Man wird
Vertrauensperson für die Schülerinnen und Schüler«,
sagt sie – und dazu gehöre auch, den Erinnerungen und
Gedanken zu diesem Thema einen Raum zu geben.
Dieter Gartmann, der Schulpfarrer, ist als Klassenlehrer in der IFK tätig. Die Religion beziehungsweise sein
Wissen über andere Religionen als Hintergrund und
seine Seelsorgekenntnisse helfen ihm, auf die besonderen Bedürfnisse der neuzugewanderten Jugendlichen
einzugehen. »Wir besprechen im Unterricht immer auch
aktuelle Themen, da besteht meistens viel Bedarf – so
wie vor Kurzem über die Anschläge in Paris«, berichtet
er. Natürlich bleiben auch Konflikte in einer Klasse mit
so vielen unterschiedlichen jungen Menschen nicht
aus. »Wichtig ist es dann, daran zu erinnern, dass alle
Geflüchteten nach Deutschland gekommen sind, um
Schlimmes hinter sich zu lassen und gemeinsam etwas
Neues aufzubauen«, so Gartmann. Dies sei der Ausgangspunkt für ein friedvolles Miteinander, für entstehende Freundschaften – und für die Tatsache, dass sich
die Klasse immer wieder ganz entschieden gegen jede
Art von Extremismus stellt. »Auch als Lehrer nehme
ich viel aus dem Unterricht in der IFK mit: Ich lerne
verschiedene Sprachen kennen und bin immer wieder
vom Respekt und von der Akzeptanz in der Klasse überwältigt«, erzählt der Klassenlehrer. Die Offenheit der
Jugendlichen wird von der ganzen Schulgemeinde zurückgespiegelt. Es gab nie Vorbehalte gegen die Einrichtung der Internationalen Förderklassen und sie hat sich
ihrerseits schnell in die Gemeinschaft des Berufskollegs
eingefügt.
Und auch greifbare Erfolge sind nach ein paar Monaten
sichtbar: Ein erster Schüler mit genügend Deutschkenntnissen hat die Klasse mittlerweile verlassen und strebt
im Rahmen des Schulbesuchs einer Vollzeitklasse zur
Ausbildungsvorbereitung den Hauptschulabschluss an.
Das möchten Kenanna, Monzer und Maan mindestens
auch schaffen, sagen sie, während sie alle zusammen
sitzen und das Selbstgekochte zusammen mit ihrem
Klassenlehrer essen: »Ein gutes Essen ist wie Balsam für
die Seele«, findet Dieter Gartmann.
DAS BERUFSKOLLEG BERGISCH LAND
Das Berufskolleg Bergisch Land wird gemeinsam vom
Zweckverband der Städte Hückeswagen, Radevormwald
und Wermelskirchen getragen. Als Bündelschule bietet
das Berufskolleg eine Ausbildung in den Bereichen
Wirtschaft und Verwaltung, Technik und Hauswirtschaft für über 1.000 Schülerinnen und Schüler an.
In den vielfältigen Bildungsgängen der Berufsschule
wird im Dualen System in neun Ausbildungsberufen
unterrichtet. Der Unterricht wird erteilt von rund 65
Lehrerinnen und Lehrern, darunter auch Werkstattlehrerinnen und Werkstattlehrer für den fachpraktischen
Bereich.
Weitere Informationen unter:
www.bk-bergisch-land.de
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