Die Nachrichtenerzähler

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Die Nachrichtenerzähler
ANGEWANDTE MEDIENFORSCHUNG
Schriftenreihe für die Kommunikationswissenschaft
Band 45
Sebastian Köhler
Die Nachrichtenerzähler
Zu Theorie und Praxis nachhaltiger
Narrativität im TV-Journalismus
Redaktion der Reihe
ANGEWANDTE MEDIENFORSCHUNG
Prof. Dr. Hans-Bernd Brosius
Institut für Kommunikationswissenschaft
und Medienforschung
Universität München
Oettingenstr. 67
80538 München
[email protected]
ISBN 978-3-8329-4618-0
© Nomos Verlagsgesellschaft / Edition Reinhard Fischer
Baden-Baden, 2009
[email protected]
Ohne Genehmigung ist es nicht gestattet, Seiten auf irgendeine Weise
zu vervielfältigen. Genehmigungen erteilt der Verlag auf Anfrage.
Druck und Bindung: dokupoint, Magdeburg
Inhalt
1. Einleitende Problemstellung
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2. In Richtung gelingender gesellschaftlicher Kommunikation
2.1 Journalismus, Transparenz und Narrativität
2.2 Vielfalt als Kriterium journalistischer Qualität
2.3 Journalistische Qualität und Kommerzialisierung
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3. Zu einer Narrationstheorie von Fernsehnachrichten
3.1 Metastrukturen in menschlichen Kommunikationen
3.2 Strukturelle Möglichkeiten und Grenzen des Mediums Fernsehen
3.3 Narrativität in TV-Nachrichten
3.4 Narrationsforschung und Journalismus
3.5 Zur Verankerung von Geschichten durch Textpersonen
3.6 Bild-Text-Verhältnisse und Narrativität
3.7 Zu Problemen des Inszenierens
3.8 Narrationsfaktoren und Narrationswert
3.9 Geschichts-Schreibungen
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4. Entwicklungen in TV-Nachrichten – zu empirischen Ansätzen
4.1 Tendenzen in der deutschen Fernsehlandschaft
4.2 Information, Infotainment und Unterhaltung
4.3 Fragwürdig: TV-Nachrichten
4.3.1 Nachrichtensendungen, -qualität und -werte
4.3.2 Zur Boulevardisierung
4.3.3 Hybridisierung von Nachrichten?
4.3.4 Öffentlich-relevante und privat-relevante Information
4.3.5 Empirische Aufschlüsse zur narrativen Darstellungsart
4.3.6 Ausblicke auf weiterführende Untersuchungen
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5. Fallstudien von Phänomenen TV-nachrichtlicher Narrationen
5.1 Hermeneutische Aufschlüsse
5.2 Zur Problematik von Kriegsgeschichten
5.3 Zu Entwicklungen im Zusammenhang des Irak-Krieges ab 2003
5.3.1 Eine alte und zwei neue Geschichten
5.3.1.1 Revisited: „Rotkäppchen“ …
5.3.1.2 … und der „böse Wolf“ als Präsident zum Anfassen
5.3.2 Ein Footballstar im Kriege
5.3.3 Eingebettet in Falludscha
5.3.4 Hinter Gittern
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5.3.5 Ausweitung der Gefahrenzone: Deutsche im Irak-Konflikt
5.3.6 Chronik eines angekündigten Todesurteils
5.3.7 Zwei Chroniken eines kurzfristig angekündigten Todes
5.3.8 Sportifizierung
5.3.9 Live-Geschichten im Rahmen von Langzeiterzählungen
5.4 Eine deutsche Welle? Tsunami-Vermittlung mit Schlagseite
5.5 Zehn Uhr mittags: Der Visa-Untersuchungsausschuss im Live-TV
5.6 Story and Hystery: Jackson’s Thriller
5.7 Augenzeugen der nächsten Generation
5.8 Deutschland – ein Sommermärchen. Die WM-Story
5.9 Geschichte und Gesicht: Der Fall Natascha Kampusch
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6. In Richtung nachhaltiger Narrativität – Ausblicke
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7. Literatur
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1. Einleitende Problemstellung
In der deutschen Umgangssprache wird eine große Bandbreite an Wirkungen des Geschichtenerzählens deutlich: Wenn Menschen etwas Wichtiges
wissen wollen, können sie sagen: „Erzähl’ mir die ganze Geschichte!“.
Andererseits mögen sie, wenn sie etwas nicht glauben können oder wollen,
auch ausrufen: „Erzähl’ mir bloß keine Geschichten!“. Geschichten scheinen also – je nach lebenspraktischen Kontexten und Anschlussmöglichkeiten – durchaus Verschiedenes, ja Gegensätzliches zu vermitteln.
Grundlegend unterscheidet Menschen von anderen Tieren, dass sie auf
relativ verschiedene, kaum festgelegte Arten miteinander verkehren und
damit ihre Lebenspraxis bzw. ihre sozialen Praktiken1 auf gesellschaftlichen, gemeinschaftlichen und individuellen Ebenen auch selbst gestalten
können. Menschen können praktisch immer auch anders – müssen in gewisser Weise sogar „anders können“ und sind damit von vornherein vielseitiger, weniger determiniert als andere Lebewesen.
Menschliche Kommunikation2 als zeichenvermittelte Art und Weise des
Koordinierens, des Abstimmens menschlichen Verkehrens und insbesondere der Kooperation spielt dabei wichtige Rollen3. Medien als Mittler menschlicher Kommunikation wirken hierbei in ihrem dispositiven Charakter4
sowie ihrer begrifflich prinzipiellen Unabgeschlossenheit und Vielfalt mit
ihrer „verwickelten Geschichte“ (s.u.) schon lange als „Sozialisatoren5.
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„Verkehr“ bezieht sich als Konzept insbesondere auf den kulturhistorischen Ansatz im
sozialphilosophischen und -psychologischen Sinne von Lew Wygotski bis hin zu HansPeter Krüger (vgl. KRÜGER 1990-121ff., KÖHLER 2001-42ff., WULFF 2006-264). Auch
im Organon-Modell Karl Bühlers finden sich Anknüpfungspunkte für „Verkehrszeichen“
(vgl. RENNER 2007-106). „Lebenspraxis“ ist ein entsprechender Grundbegriff in der soziologischen Theorie beispielsweise Ulrich Oevermanns (OEVERMANN 1986-19ff.) und
wird auf den Niveaus von Subjekten, Gruppen und Nationen differenziert. In Anthony Giddens’ Strukturationstheorie (s.u.) heißt ein diesbezüglicher Begriff „soziale Praktiken“ (vgl.
WYSS 2004-309).
„Kommunikation“ kann als „zwischen (wenigstens“) zwei Akteuren“ stattfindend bestimmt
werden, so dass (neue) Zu-Ordnung entsteht, vgl. FASSLER 1997-14f.
RENNER 2007-97ff., -118, -215; vgl. KÖHLER 2001-42ff.
Den Begriff des „Dispositiv“ haben Medienwissenschaftler entwickelt, um zu beschreiben,
wie „Medien in einer grundsätzlichen Weise Wahrnehmung strukturieren“, vgl. HICKETHIER 1996-18f. Dispositive entstehen durch Zusammenwirken von technischen Bedingungen, gesellschaftlichen Strukturen und habitualisierten Rezeptionsweisen, vgl. RENNER 2007-302. Im Unterschied zu normativen Ansätzen z.B. von Medienpädagogen wird
in solchen Perspektiven davon ausgegangen, dass Dispositive Menschen in gewisser Weise
beherrschen (müssen), vgl. MERSCH 2006-56, -227. Dabei gelten Narrativität und Sichtbarmachung wegen ihrer Strukturen als „die medialen Dispositive“.
MERSCH 2006-9ff., SCHORB 2002-493ff.,
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Historisch frühe mediale Kommunikate als Botschaften vermittelten oft
Lehrstoffe pragmatischer (Jagdszenen) oder auch ideologischer Art (Kulte).
Als menschheitsgeschichtlich vergleichsweise tradierte Form des Kommunizierens (zurückgehend auch bis zu Höhlenmalereien, Mythen, Gesängen,
Balladen, Märchen;6 kann das Erzählen von Geschichten, das „Storytelling“
angesehen werden. Es lässt sich unterscheiden von anderen Arten der Darstellung wie beispielsweise im Journalismus dem Melden von Nachrichten,
dem Kundtun und Begründen von Meinungen, dem nutzwertorientierten
Ratgeben oder dem Darstellen von Gesprächssituationen7.
Den Möglichkeiten und Grenzen des Erzählens von Geschichten, des
„Storytelling“ insbesondere als TV-journalistischem Haupttyp im aktuellen
„Leitmedium Fernsehen“8 spürt diese Arbeit mit einem vor allem phänomenologisch-aufschließenden Ansatz nach. Vor welchen strukturellen Problemen stehen Journalisten, insofern sie audiovisuelle Geschichten produzieren? Wie können sie diese Aufgaben möglichst nachhaltig lösen9? Normativer Rahmen dafür ist gelingende gesellschaftliche Kommunikation als eine
wichtige Bedingung globaler und intergenerationeller Entwicklungen der
Menschen und ihrer Mitwelten10. Gesellschaftliche Kommunikation gelingt
dann und insofern nicht, wenn ein Großteil der Kommunikationsprozesse
von herrschendem oder irrelevantem Wissen (mit einem geringen informationellen Gebrauchswert) besetzt ist bzw. nicht rational (nicht explizit, nicht
kritisierbar) abläuft11. Das sozial sowie ökologisch nachhaltige Infragestellen, Informieren, Meinungsbilden, Entscheiden und Handeln möglichst
vieler Menschen in ihren Gesellschaften und Gemeinschaften bedarf gelingender Kommunikation. In hochgradig arbeitsteiligen Gesellschaften scheinen dafür entsprechende Öffentlichkeiten, Medien und nicht zuletzt Journalisten kaum verzichtbar. Denn Journalismus kann als ein sozialer Bereich
zur Konstruktion von gesellschaftlichem Wissen über Themen mithilfe von
Texten begriffen werden. So lassen sich journalistische Beiträge mit ihren
Oberflächen- und Tiefenstrukturen als Vermittlungen zwischen Produzenten
und Publika bestimmen12. Wichtige Aspekte journalistischer Qualität ergeben sich daher nicht allein aus vorfindbaren subjektiven Interessen der Individuen als privater Konsumenten, sondern aus der Verfassung ihres politischen Zusammenhanges z.B. als Bürger einer demokratischen und sozialen
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Vgl. RENNER 2007-331: „Der Ursprung des Erzählens liegt (…) im Dunkeln. Menschen
haben sich wohl immer schon Geschichten erzählt.“ Vgl. BROOKS 1992-3, DREXLER
1999-107ff.
Vgl. HALLER 2004-88f.
Siehe zum Überblick ADELMANN 2001-7ff.
Vvgl. REICHERTZ 1992-333
KRÜGER 2004-2, vgl. MACHILL 2006a-479ff., WIEDEMANN 2006-294
Vgl. SCHUSTER 2004-198, SCHLEGEL 2007.
RENNER 2007-34ff.
Gesellschaft, wie es beispielsweise Artikel 20, Absatz 1 des bundesdeutschen Grundgesetzes bestimmt. Mit Blick auf den Journalismus fordern Bill
Kovach und Tom Rosenstiel, „its first loyalty is to citizens“13, also die Verpflichtung gegenüber den zivilgesellschaftlichen Staatsbürgern. Auch Jürgen Habermas bestimmt Medienpublika „nicht nur (als) Konsumenten, also
Marktteilnehmer, sondern zugleich (als) Bürger mit einem Recht auf kulturelle Teilhabe, Beobachtung des politischen Geschehens und Beteiligung an
der Meinungsbildung“14. Dem entsprechenden Ansätzen der Sozialverantwortlichkeit der Medien und insbesondere ihrer journalistischen Bereiche
zufolge15 entwickeln Kommunikationsforscher wie Denis McQuail Kriterien, die aus allgemeinen Normen und Werten in gesellschaftlicher Perspektive abgeleitet sind16. McQuail schlägt in Tradition der die Moderne einleitenden französischen bürgerlichen Revolution ausgangs des 18. Jahrhunderts drei demokratisch-moderne Schlüsselwerte vor: Freiheit, Gleichheit
(Gerechtigkeit) und Solidarität (Ordnung)17. Auch Maßstäbe für journalistische Qualität lassen sich daher in offenen gesellschaftlichen Kommunikationen, in vieldimensionalen Betrachtungsweisen18 vorschlagen und etablieren, in Frage stellen und verwerfen. Einer integrativen, normativpragmatischen Journalismustheorie entsprechend hat somit journalistisches
Vermitteln insbesondere das Ziel gelingender gesellschaftlicher Kommunikation19.
Weder die (mehr inhaltlichen) Konvergenz- noch die (eher auf die Darstellungsformen bezogenen) Infotainmentdebatten in den Kommunikationsund Medienwissenschaften20 widmen sich bisher ausführlicher den Fragen,
inwiefern und mit welchen Auswirkungen Fernsehnachrichten zunehmend
in narrativer Darstellungsart vermitteln21. Im Unterschied zur nachrichtlichen Darstellungsart sei die narrative Darstellungsart für den Fernsehjournalismus wie folgt bestimmt22: TV-journalistische Angebote in narrativer
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KOVACH 2001-12f., vgl. auch RENNER 2007-47
HABERMAS 2007-2.
Zum Überblick siehe FABRIS 2004-399
McQUAIL 1992-10ff.
McQUAIL 1992-67
FABRIS 2004-403
Vgl. MACHILL 2006a-479ff., HALLER 2003a-181
Vgl. GOERTZ 1998-111ff.
Vgl. MACHILL 2006a-479ff., YTREBERG 2001-369: „ … (narrative) deals with the
‘hows’ and ‘whys’ of news”. Narrationstheoretische Aspekte spielen (bislang) in der
Kommunikations- und Medienwissenschaft – im Unterschied beispielsweise zur Sprachund Literaturwissenschaft – kaum eine Rolle, vgl. LÜNENBORG 2006-198.
Als „Narration“ begreifen kulturwissenschaftlich aufgeschlossene Journalistikforscher
Erzählungen, die von Medientexten bereitgestellt und von Rezipienten mit Bedeutungen
versehen werden. Damit verbunden ist also, im Sinne u.a. der „cultural studies“, ein Begriff
von „Publika“, die den medialen Angeboten aktiv Bedeutungen zuschreiben (LÜNEN-
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Darstellungsart sind audiovisuelle, nicht-fiktionale Beiträge, die nicht das
Wichtigste (des Ereignisses) als Ergebnis am Anfang vermitteln und deswegen auch nicht (ohne Weiteres) von hinten kürzbar sind. Das als Referenz dienende Mitwelt-Geschehen wird nicht nur als nachrichtliches Ereignis (re-)konstruiert, sondern als Geschichte (Story) aus der Sicht einer (nicht
immer expliziten, aber durch Perspektivierung und Positionierung charakterisierbaren) Textperson als Erzähler so präsentiert, dass eine kausalchronologische Dramaturgie entfaltet werden kann 23. Wichtige dramaturgische Aspekte sind Personalisierung (Hauptfigur, Nebenfiguren, so dass
diese Personen nicht wie in der nachrichtlichen Darstellungsart als Informationsquellen in Bild und Ton auftauchen sollen, sondern als Charaktere) und
Konfliktorientierung (die Hauptfigur steht vor einem Problem, was emotionalisierend und visualisierend vermittelt wird;24. Solche Geschichten verlaufen oft in Phasen von Entwicklung (Zuspitzung), Auflösung (Höhepunkt)
sowie Ausblick (Abklingen)25.
Als empirische Forschungsfrage bleibt ausblickend folgendes Problem
aufzuschließen: Verändern sich in TV-Nachrichtensendungen – womöglich
im Zusammenhang mit veränderten Relationen zwischen „Hard news“ und
„Soft News“26 – Verhältnisse von nachrichtlicher und narrativer Darstellungsart? Die hier entwickelte Perspektive soll – auch um Schritte in Richtung nachhaltiger Narrativität im Rahmen kommunikativer Kompetenz
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BORG 2006-197f.). Schon Aristoteles hatte mimetische von diegetischen Narrationen unterschieden: Mimetische Narrationen basieren demzufolge auf eher oral-auditiven Traditionen z.B. von Minnesängern („telling“) mit einer oft expliziten Erzählperspektive, diegetische Narrationen mehr auf dem Zeigen und Sehen z.B. im Theater („showing“, vgl. FLUDERNIK 2006-179, SCHICHA 2007-11ff.). TV-Narrationen entstehen oft aus Verbindungen von Erzählen und Zeigen, von „spoken and enacted narrative“, vgl. LÜNENBORG
2006-198.
Medienforscher beobachten Tendenzen zur Dramatisierung von TV-Nachrichten, zum
Überblick siehe HÖFNER 2003, -2003a. Zur Bestimmung „kausal-chronologisch“ vgl.
BIRD 1988-77, GEST 2005-61. Zu Unterscheidungen von komplexem Geschehen, isoliertem Ereignis, grundlegender Geschichte (story) und einzelner Erzählung (discourse, plot)
s.u. im Abschnitt, vgl. MARTINEZ 2003-22f., KOZLOFF 1992-69, GUREVITCH 199410f., MIKOS 2003-106, BUTH 2007-63.
Vgl. DREXLER 2004-124ff., SCHUSTER 2004-10 oder WULFF 2006-264, wo solche
Aspekte als fernsehtypische Formatierungen bestimmt werden, die einer weiteren Fokussierung der Medienproduktion auf markt- und machtgängige Formate entsprechen.
Video-Journalisten bei Schweizer Privatsendern scheinen im Bereich der Fernsehnachrichtenproduktion hinsichtlich der Darstellungsart beispielsweise zwischen nachrichtlichem
„Ereignis“ (Kurznews) und narrativer „Geschichte“ (als oft längerem Beitrag) zu unterscheiden: Eine Geschichte ist demzufolge die von Journalisten fabrizierte und inszenierte
Vermittlung eines Geschehens (WINTSCH 2006-249, s.u.).
„Soft News“ als privat-relevante Information gelten als jener Bereich, in dem traditionell
schon relativ ausgeprägt narrativ vermittelt wurde; vgl. HANSEN 2004-235, ausführlich
s.u.
skizzieren zu können – eine Kritik gegenüber einem bestimmten „Narrativismus“27 nicht zuletzt im krisen- und kriegsbezogenen TV-Journalismus
ermöglichen: Dass Fernsehen vor allem als Geschichten erzählendes Medium Massen erreicht, ist bekannt28. Für problematisch halte ich diese Tendenz in Bezug auf gelingende gesellschaftliche Kommunikation, sobald
solche Storys kaum im Kontext einordnender Meldungen und Berichte,
kaum im Zusammenhang mit Interviews, Kommentaren, Dokumentationen
etc. erscheinen. Wenn also gerade nicht vermittelt wird in größtmöglicher
„externer“ (was das sonstige Geschehen betrifft) und „interner“ (was das
geschichtsträchtige Geschehen selbst angeht) Vielfalt verschiedener Inhalte
und Formen. Sondern wenn statt dessen eine narrativistische, mithin verselbständigt-einseitige Darstellung viele andere Aspekte öffentlich-relevanten29 (Welt-)Geschehens zumindest an die Ränder drängt und damit in
der Tendenz ausschließend wirken kann, indem sie Anschlussmöglichkeiten
vorschnell und einseitig festlegt.
Gelingende gesellschaftliche Kommunikation lebt von irritierenden (in
Frage stellenden) und orientierenden (Antworten versuchenden) Perspektivenwechseln30. In dieser Studie soll das Problem erschlossen werden, wie
Journalisten, Experten und Laien als gesellschaftlich Verkehrende nachhaltiger mit Geschichten und dem „Storytelling“, mit jenen Potentialen und
Problemen umgehen können. Die Arbeit ist als metatheoretische Untersuchung angelegt und verfolgt das Ziel, Gewichtungen vorzunehmen und
Zusammenhänge herauszuarbeiten, um das Material für die beschriebenen
Zwecke kritisch und anschlussfähig aufzubereiten31.
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„Narrativismus“ gilt hier als induktiv gewonnener Arbeitsbegriff, der theoretische und auch
praktisch-normative Verallgemeinerungen zulassen soll, vgl. LOKATIS 2003-19.
RENNER 2007-482, demzufolge „alle fernsehjournalistischen Filmbeiträge einen Hang
zum Erzählen von Geschichten haben“. Siehe im deutschen Kontext auch Ansätze von Joan
Kristin Bleicher, Knut Hickethier und Dietrich Leder.
Zur Unterscheidung „öffentlich-relevant“ und „privat-relevant“ siehe ausführlich unten.
Vgl. KRÜGER 1993, 1999 und 2001.
Vgl. SCHUSTER 2004-36
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