Endo Anaconda: «Ich warte auf Bergkäse-Guerilla
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Endo Anaconda: «Ich warte auf Bergkäse-Guerilla
Uri Mittwoch, 14. August 2013 / Nr. 186 Zentralschweiz Neue LuzerNer zeituNg Neue urNer zeituNg Neue Schwyzer zeituNg Neue ObwaLdNer zeituNg Neue NidwaLdNer zeituNg 19 Neue zuger zeituNg Sasa S. erscheint nicht vor Obergericht Uri Im Prozess um den Mordversuch in Erstfeld zieht der kroate sasa s. seine Berufung zurück. Er glaubt nicht mehr an eine faire Beurteilung und befürchtet eine härtere strafe. tung. Das Landgericht sieht es als erwiesen, dass Sasa S. im November 2010 im Auftrag von Ignaz W. auf dessen Frau geschossen hat, um sie zu töten und mit dem «Lohn» seine Schulden tilgen zu können (siehe Box). S. legte Berufung gegen das Urteil ein. Ab 21. August sollte sein Fall vor dem Obergericht neu verhandelt werden. Doch mit der zurückgezogenen Berufung wird das Urteil des Landgerichts nun rechtskräftig. sVEn AREggER [email protected] Kein Schuldeingeständnis Der Prozess um den Mordversuch an der Noch-Ehefrau des Erstfelder Barbetreibers Ignaz W. nimmt eine überraschende Wende: Der Kroate Sasa S, der am 24. Oktober 2012 vom Landgericht Uri des versuchten Mordes in Mittäterschaft schuldig gesprochen und zu 8½ Jahren Gefängnis verurteilt wurde, zieht seine Berufung zurück. Das heisst: Er akzeptiert das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts. Verteidiger Hansjörg Felber bestätigte gestern entsprechende Recherchen unserer Zei- Der Rückzug von Sasa S. soll aber keineswegs ein Schuldeingeständnis sein. «Mein Mandant hält fest, dass er nicht auf die Frau geschossen hat und weder von Ignaz W. noch von einer anderen Person dazu beauftragt worden ist», sagt Verteidiger Felber. Er begründet den Entscheid von Sasa S. stattdessen wie folgt: Erstens habe S. nach dem erstinstanzlichen Urteil und der medialen Vorverurteilung das Vertrauen in die Urner Justiz verloren. «Er glaubt nicht mehr an eine faire Beurteilung», so Felber. Zweitens befürchte S. eine här- tere Strafe. «Mein Mandant will das Risiko einer Strafverschärfung nicht eingehen.» Hintergrund: Nachdem S. die Berufung eingereicht hatte, erhob die Staatsanwaltschaft eine Anschlussberufung. Darin kommt die Staatsanwaltschaft auf ihre ursprüngliche Forderung «Für uns ergibt sich eine neue ausgangslage.» BRuno ulMI, o B E R sTA AT s A n wA lT zurück, Sasa S. für 12½ Jahre hinter Gitter zu stecken – also vier Jahre länger, als das Landgericht beschlossen hat. Doch mit dem Berufungsrückzug wird nun auch die Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft gegenstandslos. Felber: «Der Fall Sasa S. ist jetzt erledigt.» Was heisst das nun für den Prozess vor dem Obergericht, der ab 21. August auch das Landgerichtsurteil gegen Ignaz W. neu aufrollt? «Für uns ergibt sich eine neue Ausgangslage», sagt der Urner Oberstaatsanwaltschaft Bruno Ulmi. «Ob Sasa S. seine Schuld eingesteht oder nicht: Er ist jetzt rechtskräftig verurteilt. Das belastet Ignaz W. noch stärker.» Ulmi rechnet sich denn auch «gute Chancen aus, dass das Gericht meinen Anträgen folgen wird». Er fordert für W. 15 Jahre Haft wegen versuchten Mordes in Mittäterschaft an seiner Noch-Ehefrau und wegen versuchter Tötung, weil W. im Januar 2010 auf einen Holländer geschossen haben soll. Das Landgericht hatte letzteren Fall als Gefährdung des Lebens bewertet und W. zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt. Zweifel an DNa-Spuren Es ist davon auszugehen, dass der Prozess nun etwas kürzer wird. Genaue zeitliche Prognosen sind allerdings schwierig, weil neue Beweisergänzungen hinzugezogen werden könnten. So etwa zweifelt der Verteidiger von W. daran, dass an einer aus der Tatwaffe stam- menden und verfeuerten Patronenhülse tatsächlich DNA-Spuren seines Mandanten sichergestellt worden sind (siehe Ausgabe vom 31. Juli). der Fall MorDverSUcH red. Am 12. November 2010 wird Nathaliya K., die Noch-Ehefrau des Barbetreibers Ignaz W., in Erstfeld angeschossen und schwer verletzt. Am 24. Oktober 2012 spricht das Landgericht Uri Ignaz W. und Sasa S. des versuchten Mordes in Mittäterschaft schuldig. W. wird zudem wegen Gefährdung des Lebens verurteilt, weil er im Januar 2010 auf einen Holländer geschossen haben soll. Gegen die Urteile legen W. und S. sowie der Urner Oberstaatsanwalt und die Rechtsvertreterin des Opfers Berufung ein. Der Fall wird ans Obergericht weitergezogen. «Ich warte auf Bergkäse-Guerilla» Stiller HaS Von einem Mix aus Rap und Jodel hält Endo Anaconda nichts. Trotzdem möchte er einmal mit einem Jodlerklub zusammenarbeiten. Endo Anaconda, womit überraschen Sie die Urner am Musikfestival Alpentöne? Endo Anaconda: Wir überraschen immer. Schliesslich spielen wir unsere Musik noch selber. Bei uns gibt es weder Loops noch synthetische Instrumente. Wir haben unsere Stücke noch nicht zu Tode geübt. Wenn wir auf die Bühne gehen, wissen wir selber nicht genau, was passiert. «Alpentöne» steht für Innovation. Was haben Sie Neues auf Lager? Anaconda: Wir machen für das Festival nicht extra etwas auf Alpen. Wir berufen uns nicht auf Jodel oder «Hudigäggeler». Nichtsdestotrotz kommen wir gerne nach Altdorf, um am Festival zu spielen. Mein Bezug zu den Alpen hat einen grösseren Zusammenhang. Wie meinen Sie das? Anaconda: Ich sehe das vor allem politisch. Die Alpenregion wird immer mehr abgehängt. Postautoverbindungen und Bahnlinien werden gestrichen. Das erlebe ich bei mir im Emmental hautnah. Dabei zeigen uns die Alpen und das Berggebiet auf, dass man der heutigen hektischen Zeit etwas entgegensetzen kann. Ich bin kein Freund der heutigen Zeit. Auch wir wehren uns gegen den Mainstream, gegen die Tendenz, dass man gar nicht mehr selber Musik macht. Meine Bodenhaftung ist eher in der Art und Weise zu sehen, wie wir Musik machen und durch meine Texte. Welche Art von Volksmusik macht Stiller Has? Anaconda: Ich sehe mich in der Tradition AnZEIgE <wm>10CAsNsjY0MDAy1TUzMjUztgQAYykypQ8AAAA=</wm> <wm>10CFWKMQ4CMQwEX-Ro17l1Ylyi604UiD4Noub_FXAdxUwxmuMoNZxc99tjvxcBl4Urehallojixja6FybCwX7hV5wa_PvNBWzA-j2GYR6LYZjGXFIudoyzIYH2fr4-vZFTwIAAAAA=</wm> der aufmüpfigen Volksmusik. Wenn ich an der Aare am Bräteln bin, spazieren Sechsjährige vorbei und singen unseren Song «Dr Aare naa». Das ist doch der 16. BIS 18. AUGUST 2013 beste Beweis dafür, dass wir Volksmusik machen. Wir machen nicht Musik für eine Altersklasse. Wir machen Musik für die Menschen. Es ist wunderbar, wenn Jung und Alt unsere Songs wie «Znüni näh» oder «Moudi» singen. Ich bin aber kein Freund von Fusionen. Ich halte nichts davon, wenn man Techno und Jodel oder Hackbrett und Rap miteinander mischt. Das kann ich nicht ernst nehmen. Das interessiert mich nicht. Da habe ich lieber Appenzeller Musik pur, aber nicht mit «Biobrot und Kunsthamburger aus Stammzellen passen ja auch nicht zusammen.» E n d o A n Aco n dA Techno gemischt. Biobrot und Kunsthamburger aus Stammzellen passen ja auch nicht zusammen. Sehen Sie sich demnach als Bewahrer der echten Volksmusik? Anaconda: Ich bin sehr gerührt, wenn ich einen Emmentaler Jodlerchor höre. Da bin ich den Tränen nahe. Das ist mir Mutternahrung. Ich kann mir durchaus vorstellen, einmal einen Song mit einem Jodlerklub zu machen, solange es nach echtem Jodel tönt. Wir sind wie Minnesänger, wir sind immer unterwegs. Und da brauche ich meine Stöckliwohnung im Emmental, um mich zwischendurch wieder zu entspannen und neue Energie zu tanken. «Gäge d Bärgä singeni aa», hiess es in einem Ihrer Lieder. Haben Sie keine Freude an den Bergen? Anaconda: Ich liebe die Berge. Ich wohne im Emmental auf 1000 Meter. Für uns sind sie ein grosser Trumpf, den wir mehr ausspielen müssten. Mit ihren leeren Camions und mit ihren Südfrüchten, die sie Tausende von Kilometern transportieren, müssen sie durch die Alpenkette fahren. Da könnten wir mehr Druck aufsetzen. Schliesslich sind es unsere Berge. Das ist eine spezielle Situation. Ich bin dafür, dass man den Alpenschutz konsequent durchsetzt. Endo Anaconda heisst mit bürgerlichem Namen Andreas Flückiger. Den Fantasienamen Endo wählte der 57-Jährige, weil Ändu, die berndeutsche Abkürzung für Andreas, ausserhalb des Sprachgebiets nicht verstanden wurde. Der Kolumnenschreiber und Buchautor ist Sänger der Berner MundartBand Stiller Has. Am Sonntagabend ist die Formation im Rahmen des Musikfestivals Alpentöne um 21.45 Uhr auf dem Lehnplatz zu hören. Was müssen die Bauern tun, um überleben zu können? Anaconda: Man kann viel steuern über naturnahe Landwirtschaft. Alpenmilch – oder Bergmilch – hat eine andere Qualität als Milch aus Massenproduktion. Die Alpbewirtschaftung kommt immer mehr unter Druck. Dabei ist es eine der letzten Freiheiten, weil es die letzte Wildnis ist und auch eine Kulturlandschaft. Damit geht auch ein Stück Kultur und Lebensqualität verloren. Je mehr die Randgebiete abgehängt werden, desto mehr werden Rebellen und Desperados hier Platz finden. Vielleicht sind die Menschen irgendwann noch froh um unseren Alpkäse. Ich warte auf die Bergkäse-Guerilla. Sie haben schon mehrere Konzerte in Uri gegeben. Wie haben Sie dabei das Publikum erlebt? Anaconda: Ich spiele gerne an kleineren Orten. Städter sind sehr überheblich gegenüber Aargauern und Innerschweizern. Dabei gibt es keine schlimmere Provinz als Zürich. Die müssen nicht so tun, als wären sie etwas. Trotzdem: Auch vom Kantönligeist halte ich nicht viel. Weshalb? Anaconda: Die Alpen sind ein zusammenhängender Kulturraum. Man muss das Denken in Regionen fördern und nicht in Kantonen. Rein geografisch sind die Alpen so gross wie der Raum Los Angeles. Und wir haben das Gefühl, jedes Tal müsse etwas Spezielles sein. Ganz schlimm sind die Bündner. Sie sind am Aussterben, wollen aber in jedem Tal ihre Eigenheiten bewahren. Das läuft für mich unter WWF. Wäre es aber nicht ein grosser Verlust, wenn es keine Bauern und Älpler mehr geben würde? Anaconda: Das Wissen der Bergler darf nicht verloren gehen. Sie wissen, wo man bauen kann und wo nicht. Mit den Gefahren der Natur sind sie vertraut. Ziel der Landwirtschaft ist, dass sie Nahrungsmittel produzieren können. Alpkäse ist etwas anderes als Scheibletten. InTERVIEw MARkus ZwyssIg [email protected] Endo Anaconda bei einem Auftritt am Gurten-Festival Bern. Am Sonntag ist er in Altdorf zu Gast. Keystone / Peter Klaunzer