- Max-Planck-Institut für ausländisches und

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- Max-Planck-Institut für ausländisches und
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BEKÄMPFUNG VON FREMDENFEINDLICHKEIT DURCH
STRAFRECHT IN DEUTSCHLAND UND EUROPA
Die Grenzen und Möglichkeiten des Strafrechts
bei der Bekämpfung fremdenfeindlicher Kriminalität
ÖYKÜ DIDEM AYDIN
Zwei Beispiele von konkreten Taten geben zu erkennen, worum es sich bei der
fremdenfeindlichen Kriminalität handelt.
Skin-Heads singen in einem Konzert das folgende Lied :
„Denke so wie ich, könnt ihr es verstehen, könnt ihr ertragen, tausend Türken hier zu sehn, dann macht doch endlich Schluss, ihr seid wohl genug
macht es wie damals und steckt sie in den Zug“ Dieser Text ist von der
Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert worden.
Farid Guendoul alias Omar Ben Noui wird am 13.2.1999 von rechtsradikalen
Jugendlichen in Guben (Brandenburg) gehetzt und bedroht. In panischer Angst
tritt er die Glastür eines Hauses ein, um sich zu retten. Dabei verletzt er sich an
einer Schlagader. Er verblutet im Hausflur. 21 Monate nach dieser tödlichen
Hetzjagd verurteilt das Cottbusser Landgericht acht Täter wegen fahrlässiger
Tötung. Drei der 11 Angeklagten erhalten Haftstrafen. Zwei kommen mit Verwarnungen und Auflagen, die übrigen mit Bewährungsstrafen davon. Die Strafen
lösen Bestürzung aus1.
EMPIRISCHE BEFUNDE:
• Der allgemein vorherrschende Eindruck, wonach rechtsextremistische, antisemitische und fremdenfeindliche Taten zunehmen, findet mittlerweile in den
Statistiken, etwa was die Summe der gemeldeten Taten betrifft, seine Bestäti1
Der Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Michel Friedman sagt „ es ist
nicht nachvollziehbar, dass Jugendliche, die den Tod eines Menschen verursacht haben, mit
Bewährungsstrafen davon kommen“.
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gung. Nach Angaben des Jahresberichts 1999 der Europäischen Stelle zur
Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gelten ähnliche Verhältnisse für ganz Europa.2 In Deutschland ist im Jahr 2000 die Zahl der gemeldeten rechtsextremistischen, fremdenfeindlichen und antisemitischen
Straftaten erheblich angestiegen. Insgesamt sind in diesem Bereich 15.951
Straftaten gemeldet worden. Dies entspricht einem Anstieg von 58,9 % im
Vergleich zum Vorjahr 1999. In NRW spricht man sogar von einem Anstieg
um 74,1 %. Besonders besorgniserregend ist die Zunahme von Gewaltdelikten, d.h. von Straftaten wie Tötungsdelikten, Körperverletzungen, Brandstiftungs- und Sprengstoffdelikten, Landfriedensbruch, Raub, etc. Insgesamt
wurden 998 Gewaltdelikte, die dem gesamten rechtsextrem orientierten
Spektrum (rechtsextremistische, fremdenfeindliche, antisemitische Delikte)
zuzurechnen sind, registriert. Dies entspricht einer Steigerungsrate von rund
34 % im Vergleich zum Vorjahr. Die Zahl der Gewaltdelikte im Bereich des
Rechtsextremismus nahm von 279 auf 328 und damit um 17,6 % zu. Besonders markant ist die Zahl der fremdenfeindlich motivierten Gewaltdelikte von
451 auf 641 (um 42,1 %) gestiegen. Die Zahl der antisemitisch motivierten
Gewaltdelikte stieg von 16 auf 29 an.
Bei der Analyse dieser Tendenzen sollte die Tatsache berücksichtigt werden,
dass der Anstieg der Fallzahlen in der Kriminalstatistik zum Teil auch auf ein
verändertes Anzeigeverhalten, auf eine erhöhte Wachsamkeit von Polizei und
auf verstärkte Einsätze zurückgeführt werden kann.
Ferner ist zu betonen, dass insbesondere nach Anschlägen, über die von den
Medien intensiv berichtet wird, die Deliktszahlen explosionsartig ansteigen,
dass sie aber parallel zu der geringeren Präsenz des Themas in den öffentlichen Debatten wieder absinken.
Freilich ist es offensichtlich, dass diese Art von Kriminalität in der Gesellschaft stets besonders präsent ist und bedrohlich wirkt.
Rechtsextremistische oder fremdenfeindliche Gewalt ist keine Spezialität der
fünf neuen Bundesländer, sondern ein Problem der ganzen Republik, sogar
von ganz Europa.
Während in Westdeutschland viele Anschläge anonym und von Einzelpersonen ausgeführt werden, kommt es in Ostdeutschland dagegen seit zehn Jahren
immer wieder zu Fällen von Menschenjagd durch Gruppen junger Männer.
Fremdenfeindliche Täter handeln nicht unbedingt im Namen der nationalsozialistischen Ideologie. Weder verbale noch gewalttätige aktuelle Fremdenfeindlichkeit könnte als eine Vorbereitung auf die Rassenvernichtung ange-
Siehe den Jahresbericht 1999 der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit.
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nommen werden. Insofern fragt sich in diesem Zusammenhang, ob geltende
Instrumentarien der wehrhaften Demokratie altmodisch sind.
• Obwohl fremdenfeindliche Straftaten oft von Jugendlichen begangen werden,
gilt dies nicht ausschließlich.
UNTERSCHIEDLICHE PERSPEKTIVEN DER BEKÄMPFUNG:
Die eingangs gegebenen beiden Tatbeispiele weisen auf zwei Arten von Fremdenfeindlichkeit hin: Einerseits verbale, andererseits gewalttätige, die unterschiedliche strafrechtliche Reaktionen hervorrufen. Der Begriff Fremdenfeindlichkeit beinhaltet eine Vielfalt von Handlungen, die einen differenzierten Umgang des Strafrechts benötigen, der den zweckmäßigen Perspektiven über die
Natur und Erscheinungsformen der Fremdenfeindlichkeit Rechnung trägt. Diese
Perspektiven bestimmen auch die Beantwortung der Frage danach, woran man
strafbare Fremdenfeindlichkeit erkennt und wie man sie angemessen bekämpft.
• Perspektive der Vorurteilsbekämpfung
Von Bedeutung ist für diese Perspektive die gesellschaftliche Erziehung oder Umerziehung; Strafrecht wird
dabei keine besondere Rolle zugeschrieben, gesellschaftliche Anti-Rassismus
Programme werden bevorzugt.
• Perspektive der Bekämpfung der nationalsozialistischen Ideologie und der
wehrhaften Demokratie
versucht mit Mitteln der Überwachung, insbesondere verbale Fremdenfeindlichkeit und ideologisch geprägte gewalttätige
Fremdenfeindlichkeit zu bekämpfen: Stichwort: Verfassungsschutzbehörden,
Verein und Parteiverbote.
• Die Perspektive der Hass-Bekämpfung
fordert ein Modell „hate crimes“
und prinzipiell verschärfte Sanktionierung der fremdenfeindlich motivierten
Straftaten
• Die Perspektive der Anti-Diskriminierung
bevorzugt den zivil- und strafrechtlichen Schutz von benachteiligten Gruppen vor Diskriminierung. AntiDiskriminierungskommissionen, Klagen gegen Diskriminierung werden eingeführt. So wird versucht, das Strafrecht dadurch zu entlasten, dass man außerhalb des Strafrechtssystems dafür sorgt, dass die potentiellen Opfer in der
Gesellschaft stärker auftreten, was ihre Viktimisierung aufgrund der Schwäche schwieriger macht.
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• Die Perspektive des Schutzes der verletzlichen Opfer
plädiert für eine
verschärfte Bestrafung der Begehung einer Straftat gegen tatsächlich verletzliche Personen, Obdachlosen, Schwule, Ausländer.
• Perspektive des konflikttheoretischen Ansatzes
denunziert die gesellschaftsstrukturelle Befürwortung der Fremdenfeindlichkeit, stellt den geltenden gesellschaftlichen Diskurs in der Mitte der Gesellschaft über vorwiegend
ausserstrafrechtliche Themen wie Zuwanderung, Asyl, Ausländerkriminalität,
Diskriminierung, doppelte Staatsangehörigkeit in Frage, betrachtet die Zunahme der fremdenfeindlich motivierten Straftaten und die Frage nach der
Rolle des Strafrechts in der Bekämpfung dieser Taten aus diesem breiteren
Horizont und fordert eine gesellschaftspolitische Gesamtpaketlösung.
DER DERZEITIGE UMGANG DES DEUTSCHEN STRAFRECHTS MIT
DER FREMDENFEINDLICHKEIT:
• Das deutsche und zum großen Teil auch das europäische Strafrecht wird im
Bereich der verbalen Fremdenfeindlichkeit durch die Perspektive der Ideologienbekämpfung mit Instrumentarien einer wehrhaften Demokratie charakterisiert, im Bereich der gewalttätigen Fremdenfeindlichkeit werden keine besonderen Maßnahmen befürwortet.
• Deutschland und viele andere europäische Staaten verfolgen verbale Fremdenfeindlichkeit mit einer Reihe von Vorschriften (Stichwort § 130 StGB)
besonders hart. Verbale Fremdenfeindlichkeit wird als eine Vorstufe der Rassenvernichtung betrachtet und mit Mitteln der Überwachung (Stichwort Verfassungsschutzbehörde, Verein und Parteiverboten) bekämpft. Es bestehen
zwischen den Strafgesetzen verschiedener europäischer Staaten zwar unterschiedliche Formulierungen, das Grundkonzept ist aber die Bestrafung vom
Aufstacheln zum Rassenhass und des Leugnens des Holocaust3.
• Andererseits bestehen insbesondere in Deutschland keine besonderen strafgesetzlichen Maßnahmen gegen gewalttätige Fremdenfeindlichkeit. Als eines
der seltenen Beispiele in Europa sieht seit 1998 das Vereinigte Königreich
verschärfte Strafen für rassistisch motivierte Straftaten vor4. Die einzigen
Möglichkeiten in Deutschland sind folgende: Die Klausel der niedrigen Beweggründe des Tatbestands des Mordes, wenn es sich um ein rassistisches oder fremdenfeindliches Tötungsdelikt handelt, da Tötung aus rassistischem
Hass von der Rechtsprechung als eine Tötung aus niedrigen Gründen betrachtet wird. Ferner ist der Richter gemäß § 46 Abs. 2 des StGB verpflichtet,
die aus der Tat sprechende Gesinnung des Täters bei der Strafzumessung zu
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In allen Staaten der Europäischen Union bestehen Gesetze, die rassistische Propaganda unter
Strafe stellen.
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Das Crime and Disorder Act vom 1998.
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berücksichtigen. Dies bedeutet aber keine automatisch verschärfte Bestrafung, denn die anderen Umstände, die für den Täter sprechen, müssen gegen
die fremdenfeindliche Gesinnung abgewogen werden.
FRAGEN:
• Angesichts der besorgniserregenden Dimensionen der strafbaren Fremdenfeindlichkeit und der Zunahme von rechtsextremistisch, fremdenfeindlich und
antisemitisch motivierten Straftaten fragt sich, ob besondere strafrechtliche
Maßnahmen nötig sind, um gewalttätige Fremdenfeindlichkeit besser ahnden
zu können.
• Die kriminalpolitischen Standpunkte dazu sind unterschiedlich. So weist etwa Frau Justizministerin Däubler-Gmelin Forderungen nach Gesetzesverschärfungen zurück und geht davon aus, dass die Justiz das Strafmaß bei Delikten wie Körperverletzung aus rechtsextremen Motiven bereits heute voll
ausschöpfen könne, und spricht sich statt dessen für schnellere Prozesse mit
eindeutiger begründeten Urteilen aus. Dagegen fordert z.B. der Postdamer
Justizminister Kurt Schelter ein schärferes Strafrecht. Künftig solle juristisch
zwischen dem Tatbestand der Körperverletzung und der Körperverletzung aus
niedrigen Beweggründen wie etwa Hass unterschieden werden.
• Obwohl die letztere Meinung zunehmend vertreten wird, ist bislang ungeklärt, ob die Justiz fremdenfeindliche Delikte tatsächlich zu milde oder angemessen ahndet. Dafür bedarf es wissenschaftlicher Auseinandersetzungen mit
der Strafzumessungspraxis der deutschen Rechtsprechung und der Beantwortung der ganz konkreten Frage, ob und in welchem Ausmaß fremdenfeindlich motivierte Straftaten einerseits und andere parallele Straftaten, die
nicht fremdenfeindlich motiviert sind, andererseits unterschiedlich behandelt
werden. Zwei neue fraktionsübergreifende Anträge im Bundestag gegen
Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt5 fordern einen Beschluss des Bundestages, der die Bundesregierung zu der Unterstützung wissenschaftlicher Forschungsvorhaben in dem genannten Bereich verpflichtet.
Hiervon könnte auch das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht profitieren, das demnächst ein empirisches Projekt beginnen
wird, das die Strafzumessungspraxis in dieser Hinsicht empirisch und in vergleichender Perspektive mit den Vereinigten Staaten von Amerika analysiert.
• Ferner ist eine Straftheorie angesagt, die nachweisen kann, dass fremdenfeindliche Straftaten entweder im Hinblick auf das herbeigeführte Unrecht oder auf die Schuld der Täter besonders verletzend oder gefährlich sind. Dieser
Nachweis ist freilich schwierig, denn man müsste dabei z.B. eine klare Ant5
BTDrucksachen 14/3516; 14/5456.
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wort auf die Frage geben können, ob und inwiefern sich die Tötung eines
ausländischen Mitbürgers aufgrund von Rassenhass und die Tötung eines
Obdachlosen aufgrund der besonderen Verletzlichkeit des Opfers oder die
Tötung eines Fußballfans durch Hooligans unterscheiden. Man kann die Beispiele vermehren und fragen, was den Unterschied zwischen einem rassistischen Tötungsdelikt und einem Tötungsdelikt aus Habgier ausmacht.
• Abgesehen von der Frage, ob die Justiz Fremdenfeindlichkeit tatsächlich angemessen ahndet, ist die offizielle statistische Erfassung der fremdenfeindlichen Delikten lückenhaft. Auch nach Meinung des Präsidenten des BKA6 ist
einzuräumen, dass die Verlässlichkeit und Eindeutigkeit der im Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Staatsschutzsachen und der polizeilichen Kriminalstatistik-Staatsschutz enthaltenen Fallinformationen zu wünschen übrig lassen. „Die Bewertung, ob eine Straftat rechtsextremistisch, fremdenfeindlich
oder antisemitisch motiviert und dementsprechend zu erfassen war, obliegt
den sachbearbeitenden Polizeidienststellen. Problematische Erfassungskriterien und große Bewertungsspielräume führen aber nicht selten zu einer fragmentarischen, fragwürdigen oder uneinheitlichen phänomenologischen Zuordnung ähnlich gelagerter Fälle; auch Opportunitätserwägungen sind nicht
mehr auszuschließen. Zudem werden die Daten in unterschiedlichen Meldesystemen mit nicht korrespondierenden Erfassungsmodalitäten abgebildet
(KPMD-S, PKS-S). Generell lässt die praktizierte Erfassung- und Zahlmethodik verlässliche Aussagen zu einzelnen Tat- und Tätermerkmalen nur mit
großen Einschränkungen zu. Das Fehlen der Opferstatistik sowie die bekannte Hell-/Dunkelfeld-Problematik sind weitere Gründe dafür, dass an das
zur Zeit vorlegbare polizeiliche Datenmaterial keine zu hohen Validitätserwartungen geknüpft werden dürfen“.
MODELLE:
• Die Möglichkeiten des Strafrechts sind nicht darauf beschränkt, das U.S.amerikanische „hate crimes“-Modell zu übernehmen und fremdenfeindliche
Straftaten im Endeffekt automatisch schärfer zu bestrafen. Darüber hinaus
könnte man z.B. folgende Möglichkeiten in Betracht ziehen:
• Tatbestandliche Umgestaltung des Volksverhetzungsparagraphen oder Erweiterung der §§ 86 u. 86a StGB. Bzgl. der Volksverhetzung könnte man den
neueren Erkenntnissen über die Umstände der Volksverhetzungstaten Rechnung tragen und ein Einschüchterungs- oder Belästigungsmodell umsetzen:
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Herbsttagung des BKA: 21.-23. 11. 2000.
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1. Wer in einer Weise, die geeignet ist, Teile der Bevölkerung oder deren Angehörige in begründete Angst um ihren Leib, ihr Leben und ihre Freiheit zu versetzen, zu Gewalttätigkeiten gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder
2. in der Absicht, Teile der Bevölkerung oder deren Angehörige in Angst um ihren
Leib, ihr Leben und ihre Freiheit zu versetzen, und in einer diesen Erfolg herbeizuführen geeigneten Weise Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig
verächtlich macht oder verleumdet oder in der Absicht, bei den Betroffenen begründete Besorgnisse um ihre körperliche Unversehrtheit zu erregen, und in einer diesen Erfolg herbeizuführen geeigneten Weise Teile der Bevölkerung einschüchtert oder belästigt, wird... bestraft.7
Auf diese Weise könnte man die echten Gewalttätigkeiten im Vorfeld ahnden,
wobei die Bestrafung der politisch unkorrekten Äußerungen vermieden wird.
• Erweiterung des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr
• Erweiterung des Haftgrundes „Schwere der Tat“ (bei schwerer Körperverletzung u. bes. schwerer Brandstiftung)
• Erweiterung des Landfriedensbruchstatbestandes
• Strafrahmenverschärfung bei Körperverletzung
• Aufnahme von „Schutz der Allgemeinheit vor Gewalttätigkeiten“ als zusätzliches Präventionsziel ins JGG (§§ 17, 21, 72,91 JGG)
• Herausnahme der Heranwachsenden aus dem JGG
• Erweiterung des § 46 Abs. 2, so dass die tatsächliche Verletzlichkeit („vulnerability“) des konkreten Opfers vom Richter bei der Strafzumessung automatisch berücksichtigt wird.
• Strafverschärfung bei Begehung der Brandstiftung mit mehreren anderen zusammen
• Bessere statistische Erfassung der Fremdenfeindlichkeit: Einführung eines
Gesetzes, das dem U.S.-amerikanischen „Hate Crime Statistics Act“ ähnlich
ist. Durch das genannte amerikanische Gesetz wurde ein Datenerfasungsmechanismus eingeführt, der Tatumstände, Täter- und Opfermerkmale und insbesondere die Motivationen der „hate crimes“ detailliert erfaßt.
THESEN:
• Eine ernstere gesellschaftliche (Betroffene und potentielle Opfer kommen
selten zu Wort8) und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik
fehlt. Die kriminologischen Dimensionen des Phänomens müssen differen7
8
Dieser Vorschlag wurde von der Verfasserin in ihrer Dissertation formuliert.
Selbst in der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit
arbeitet beispielsweise kein einziger Angehöriger der betroffenen Minderheiten als Experte.
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ziert erforscht werden. Wenn z.B. den Verfolgungsjagden Schlägereien zwischen Deutschen und Ausländern in den Diskotheken vorausgehen, wobei
„normale“ deutsche Jugendliche zusammen mit einigen Skin-Heads spontane
Verfolgungsgangs bilden, so fragt sich, ob Maßnahmen wie AussteigerProgramme9, die normalerweise gegen militante Überzeugungstäter benutzt
werden, von Nutzen sind.
Es kommt vor allem auf die Einführung europaweit geltender Rechtsvorschriften und Institutionen an. Die Harmonisierung der Strategien gegen
fremdenfeindliche Taten in Gesamteuropa ist angesagt (Stichwort Art. 13 des
EG-Vertrags10, Vertrag von Amsterdam)11.
Auf nationaler Ebene sollte ein transparenter institutioneller Rahmen verfügbar sein, um die Rassendiskriminierung und fremdenfeindliche Taten zu überwachen und deren Opfern Unterstützung zu gewähren.
Dass Prozesse schneller laufen, ist nicht nur in Bezug auf Fremdenfeindlichkeit, sondern auch allgemein wünschenswert. Es scheint aber bei den fremdenfeindlichen Angriffen besonders auffällig zu sein, dass die Hauptverhandlungen verhältnismäßig spät eröffnet werden. Maßnahmen müssen getroffen werden, um dies abzuändern. Bessere Begründungen der Urteile und
ernstere Auseinandersetzung der Urteile mit dem fremdenfeindlichen Charakter der Tat sind wegen ihrer großen Signalwirkung ebenfalls von Bedeutung12.
Engere Zusammenarbeit der Polizei mit Minderheitenorganisationen und
Gemeinden ist angesagt.
Eine Gesetzesänderung erscheint empfehlenswert, wonach die tatsächliche
Verletzlichkeit des Opfers vom Richter bei der Strafzumessung obligatorisch
zu berücksichtigen wäre. Ohnehin wird in Deutschland für ein differenziertes
Strafzumessungssystem plädiert.
Der polizeistatistische Datenerhebungsmechanismus im Bereich fremdenfeindlicher Straftaten bedarf einer gründlichen Umgestaltung und Erweite-
Das Bundesamt für Verfassungsschutz startet am 17. April 2001 ein Aussteigerprogramm für
Rechtsextremisten.
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Am 1. Mai 1999 in Kraft getreten.
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Hat keine unmittelbare Geltung, ein Bürger kann sich nicht auf die Gemeinschaftsvorschriften
berufen. Sein Anwendungsbereich ist auf die Gemeinschaftskompetenzen begrenzt, bietet jedoch eine Rechtsgrundlage zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit auf
europäischer Ebene.
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Im Dezember 1999 legte z.B. der schwedische Generalstaatsanwalt einen umfassenden Aktionsplan vor, der den Staatsanwälten des Landes allgemeine Leitlinien für ihr Bemühen, rassistische und fremdenfeindliche Straftaten zu bekämpfen, an die Hand gibt. Alle Delikte, bei
denen ein fremdenfeindliches Motiv vermutet wird, sind herauszustellen und vorrangig zu
behandeln.
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rung13. Offizielle Richtlinien sind notwendig, um den sachbearbeitenden
Dienststellen Kriterien zur Verfügung zu stellen, mit deren Hilfe die rechtsextremistische, fremdenfeindliche und antisemitische Motivation von Straftaten besser erkannt wird. Das BKA sollte verpflichtet werden, umfassendere
Informationen über Tatumstände, Täter- und Opfermerkmale bereitzustellen.
Dabei könnte man von den U.S.-amerikanischen Erfahrungen mit den Hate
Crime Statistics großen Nutzen ziehen.
Die U.S.-amerikanischen „hate crimes“-Gesetze und ihre Praxis weisen nach
hier vertretener Ansicht enorme Schwierigkeiten auf. Eine Übernahme wird
daher nicht befürwortet.
Die Frage nach der Legitimation (Stichwort Meinungs- und Demonstrationsfreiheit) und Effizienz der Überwachungsinstrumentarien gegen „verbale
Fremdenfeindlichkeit“ muss ernst genommen und aufrichtig beantwortet
werden14.
Die Gründung eines Zentrums für Chancengleichheit und Rassismusbekämpfung (Belgisches Modell), das auch die Wirksamkeit von Gesetzen und den
Schutz von Opfern überwacht, würde institutionelle Hilfe für Opfer bieten.
Es muss berücksichtigt werden, dass sowohl der gesellschaftliche Diskurs
über Zuwanderung und damit verbundene Themenbereiche in der Mitte der
Gesellschaft als auch die Ausländerpolitik geeignet sind, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus ungewollt zu verstärken oder zielgerichtet zu
schwächen. Zu ausserstrafrechtlichen Massnahmen gegen fremdenfeindliche
Kriminalität gehören unter anderem: Förderung der Teilhabe von Migranten
an der politischen Willensbildung; Förderung der rechtlichen Gleichstellung;
Abbau struktureller Benachteiligung.15 Deutschland16 ist in dieser Hinsicht
Auch die EUMC, die Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit weist in ihrem Bericht für das Jahr 1999 auf die Bedeutung der Sammlung und Veröffentlichung präziser Daten über Art und Anzahl rassistischer und fremdenfeindlicher Vorfälle, die Anzahl der verfolgten Fälle bzw. die Gründe für eine unterbliebene Verfolgung und
die Ergebnisse der Verfahren hin. Eine gesamteuropäische Datensammlung und Analyse ist
von großer Bedeutung (Stichwort RAXEN: Europäisches Netz über Rassismus und Fremdenfeindlichkeit).
14
In Deutschland hat T-Online seinen deutschen Kunden den Zugang zur Webseite des deutschkanadischen Holocaust-Leugners Ernst Zündel gesperrt. Als jedoch die Webseite von Zündel
gesperrt war, gingen Studentenserver in Stanford, am MIT und anderen großen amerikanischen Universitäten so weit, „eine Internet-Site zu seinen Thesen“ anzubieten. Mit folgender
Warnung: „Dies ist eine kopierte Site der Webseite von Ernst Zündel, dem infamsten Revisionisten der Welt. Wir stimmen in keiner Weise mit seinen Thesen überein. Wir unterstützen
dennoch sein Recht, sie zu äußern.“
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Der 1999 veröffentlichte MacPherson Report (Stephen Lawrence Inquiry Report), das Ergebnis der Untersuchung des rassistisch motivierten Mordes an dem jungen Schwarzen Stephen
Lawrence, setzt neue Maßstäbe für Strategien zur Bekämpfung von Rassismus im Vereinigten Königreich. Das offizielle Eingeständnis der Existenz eines „institutionellen Rassismus“
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insbesondere im Vergleich zu Holland17, Belgien18, Dänemark19, Finnland20
Irland21, die Gleichstellungsbehörden auch als Beschwerdeinstanzen gegründet haben, rückständig. Luxemburg ist sogar so weit gegangen, die Diskriminierung am Arbeitsplatz oder bei der Bereitstellung von Waren und Dienstleistungen strafbar zu machen. Portugal hat im Jahre 1999 zwei Gesetze gegen Rassendiskriminierung erlassen.22 Das Vereinigte Königreich verfügt seit
1976 über einen umfassenden „Race Relations Act“23, der von der durch das
Gesetz selbst ins Leben gerufenen Kommission für Rassengleichheit überprüft wird.
• Erst ein Perspektivenwechsel in der Zuwanderungs- und Integrationspolitik
öffnet den Weg für den Abbau von Fremdenfeindlichkeit und rechtsradikaler
Gesinnung in der Mitte der Gesellschaft. Der unmittelbare Zusammenhang
zwischen einer ausgewogenen Ausländerpolitik sowie einem systematischen
Anti-Diskriminierungsrecht und einer erfolgreichen Bekämpfung fremdenfeindlicher Kriminalität ist evident.
ist eine offizielle Bestätigung dessen, was viele Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten seit langem vermutet haben.
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Es besteht kein systematisches Anti-Diskriminierungsgesetz, und es gibt keine Institutionen,
die Rassismus und Fremdenfeindlichkeit überwachen. Ausländerbeauftragte operieren nicht
als Rechtsinstanz gegen Benachteiligung. Abgesehen von dem Verbot des Art. 3 Abs. 1 und 3
des GG, bestehen für den privaten Sektor § 75 des Betriebsverfassungsgesetzes und relativ
begrenzte Möglichkeiten des Arbeitsrechts (auch unmittelbare Anwendung des GG auf Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehungen).
17
Gleichbehandlungsgesetz von 1994, Die Gleichbehandlungskommission kann auch Fälle an
die Staatsanwalt oder Zivilgerichte weiterleiten. Ein Nationales Fachzentrum für Diskriminierungsfragen (gegründet 1998) unterstützt die Staatsanwaltschaft im Kampf gegen die Diskriminierung.
18
Zentrum für Chancengleichheit und Rassismusbekämpfung überprüft die Effektivität der
Durchsetzung der derzeit geltenden Gesetze.
19
Das Gesetz zum Verbot der Ungleichbehandlung aus Gründen der Rasse und das Gesetz zum
Verbot der Ungleichbehandlung auf dem Arbeitsmarkt.
20
In der Verfassung werden nicht länger Ämter und Aufgaben aufgezählt, für die nur finnische
Bürger eingesetzt werden können. Eine Reihe von Gesetzen wurden im Jahr 1999 verabschiedet, die die Stellung der Minderheiten und Asylbewerber verbessern, u.a. ist die Umbenennung des „Ausländerbeauftragten“ in „Beauftragter gegen ethnische Diskriminierung“
von Bedeutung.
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Im Rahmen des Gesetzes zur Gleichstellung am Arbeitsplatz von 1998 wurden das Büro des
Direktors für die Untersuchung der Gleichstellung als oberste Rechtsmittelinstanz und eine
Gleichstellungbehörde geschaffen.
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Dadurch wurde ein Beratungs- und Überwachungsausschuss gegründet.
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Bezieht sich auf die Beschäftigung, das Schulwesen, die berufliche Bildung, die Bereitstellung von Waren, Einrichtungen, Dienstleistungen, Grundstücken. Dadurch wurde auch die
BEKÄMPFUNG VON FREMDENFEINDLICHKEIT DURCH STRAFRECHT
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Über die Autorin:
Mag. jur. Öykü Didem Aydin forscht seit 1998 im MPI für ausländisches und internationales Strafrecht über das Thema „Strafrechtliche Bekämpfung von fremdenfeindlicher
Kriminalität in Deutschland (unter besonderer Berücksichtigung der Vorschrift der
Volksverhetzung, § 130 StGB) und in den Vereinigten Staaten von Amerika (unter besonderer Berücksichtigung der Gesamtproblematik von “Hate Speech/Crimes”). Sie
schreibt eine Dissertation über den kriminologischen, strafrechtstheoretischen und verfassungsrechtlichen Umgang deutscher und U.S.-amerikanischer Systeme mit Fremdenfeindlichkeit.
© Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht
Kommission für Rassengleichheit ins Leben gerufen. Auch eine Gleichstellungskommission
nahm am 1. Oktober ihre Tätigkeit auf.

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