Die schönsten Übungen der Sexualtherapie

Transcrição

Die schönsten Übungen der Sexualtherapie
Die schönsten
Übungen der
Sexualtherapie
Sicherlich zählt die Sexualtherapie, wie sie heute
von fortschrittlichen Psychologen und Psychotherapeuten gemacht wird, zur seltenen Sorte von Behandlungs- und Heilungsformen, die angenehm
sind und auch wirklich Spaß machen. Die meisten
Behandlungs- und Heilformen, die man nämlich in
unserem westlichen Gesundheitswesen antrifft,
basieren immer noch auf dem Grundprinzip: Wenn
Krankheit weh tut, dann muß auch die Behandlung
weh tun, dann ist die beste Medizin die bitterste,
und die beste Therapie diejenige, die am meisten
weh tut, und umgekehrt: Was gut schmeckt und
Spaß macht, das kann nichts taugen.
Oder auch so ausgedrückt: Um so mehr man der
Befriedigung der weltlichen Genüsse, wie Essen,
Trinken, Geselligkeit und Sex, asketisch entsagt,
um so gesünder bleibt man, und um so länger lebt
man. Und umgekehrt eben: Je mehr man in weltlichen, sinnlichen und leiblichen Genüssen schwelgt,
desto früher werden Krankheit und Tod den Menschen davonraffen. So denken leider viele Menschen, denen das Genießen und die Lust am Leben fremd sind.
Sexualtherapie macht Spaß
Deshalb mag es auch einigermaßen schwer sein, sich vorzustellen, daß Sexualtherapie gut, wichtig und nötig sein kann.
Denn Sexualtherapie macht Spaß! Bei einer Sexualtherapie erleben Sie vieles anders, als Sie es von der traditionellen
und konservativen Medizin gewöhnt sein mögen: hier soll man lernen, keine Angst mehr zu haben-, Lust und Spaß zu
erleben, sich nicht mehr zu langweilen, nicht mehr immer nur Schmerzen zu haben, sondern: Lust! In der Sexualtherapie
kann man nämlich lernen, daß auch Lust, Spaß und Freude gesellschaftsfähig sind.
»Ich mache eine Sexualtherapie!«
Wenn Sie es mir noch nicht ganz glauben wollen, daß die Sexualtherapie etwas besonderes ist, dann probieren Sie es
doch einmal damit aus. Erzählen Sie beispielsweise auf Gesellschaften, Partys und Empfängen, beim Barbecue und bei
der Demo, wo der liebste Gesprächsstoff immer noch die eigene Gesundheit, vielmehr die eigene Krankheit, ist und der
das meiste Aufsehen erregt, der zumindest einen chirurgischen Eingriff vorzuweisen hat, oder alternativ einen niederschmetternden ärztlichen Befund zu erzählen, daß Sie eine Sexualtherapie machen! Oder stellen Sie sich vor, eine Frau
wird auf einer Fete von einem Mann vom Bogart-Typ angemacht und sie sagt: »Hören Sie, das wollte ich Ihnen sagen:
Ich mache gerade eine Sexuattherapie!« Mehr braucht sie nicht zu sagen, der Effekt kommt von alleine. Fragt sich bloß,
ob der »Effekt« auch ein Erfolg ist. Aber ich bin ganz sicher, er ist es. Vergessen ist die Nachbarin mit der Eierstockentzündung und der Totaloperation. Vergessen ist auch der Jung-Manager mit dem ersten Herzinfarkt. Alle Ohren fliegen
Ihnen zu. Und alle werden fragen: »Ach! Entschuldigen Sie bitte: Was machen Sie denn da eigentlich in so einer SexTherapie?«
1
Da wird nicht nur geredet
Im Unterschied zur sonstigen Psychotherapie wird in der Sexualtherapie viel getan und viel geübt. Zwar wird zunächst
und zwischendurch immer wieder über Probleme gesprochen, die ein jeder mitbringt. Nur: man beläßt es dann nicht beim
Sprechen. Daß zuviel über Sex geredet und zu wenig getan wird, daß die meisten Menschen, wenn es um Sex geht, in
ihrem Kopf versteckt bleiben, und sich nicht trauen, sich auf ihre sexuellen Gefühle und Bedürfnisse einzulassen, daß die
meisten Menschen aufgrund zu vielen Denkens, meist.geht es um Ängste und Mißerfolgsbefürchtungen, nie zu ihren
Sinnen gelangen, diese schädliche Verkopftheit, an der die meisten Mitmenschen, wenn es um Sex geht, kranken, würde
man mit einer reinen Rede- und Sprechtherapie nur noch zusätzlich verstärken.
Hausaufgaben
Die Sexualtherapie gibt Übungen auf, die man zu Hause, als »Hausaufgabe« ausprobiert. Daß diese Übungen fast allesamt zu Hause stattfinden und einstudiert werden, liegt hauptsächlich daran, daß gerade die Sexualtherapeuten sich
fürchten, unangenehm ins Gerede zu kommen, Berufsverbot oder eine Strafanzeige zu bekommen. Und wenn unsere
Gesellschaft sich schon schwer tut, Menschen zu gestatten, sich sexuell auszuleben, dann ist es eben auch gefährlich,
Sexualtherapeut zu sein, einer der Gründe dafür, warum Übungen in der Sexualtherapie zu Hause gemacht
werden. So findet man leider oft auch in der Sexualtherapie einen Wiederaufguß eines alten Klischees, daß man nur
dann »in Ordnung« ist, wenn man verheiratet, monogam und kinderlieb, arbeitsam und fleißig ist, seine Eltern ehrt usw.
So kann es Ihnen selbst verständlich auch passieren, daß Ihnen ein gar zu ordentlicher und sauberer Psychotherapeut
(wahrscheinlich ein Sexualberater in einer katholischen Ehe- und Lebensberatungsstelle) nur solche Übungen als Hausaufgaben gibt, die »ordentliches« und »sauberes« Sexualverhalten beinhaltet. Nach volkstümlicher und juristischer Moral
gelten alle diejenigen sexuellen Verhaltensweisen als »sauber« und »ordentlich«, die mehr oder weniger direkt der Fortpflanzung, dem Kinderkriegen und der Familienbildung dienen, wohingegen alle diejenigen sexuellen Verhaltens- und
Erlebnis weisen als unsauber, unmoralisch, obszön und pornographisch, pervers gelten, die nicht zum Fortpflanzen,
Kinderkriegen und Familienleben dienen. So zum Beispiel Onanieren, »Stellung 69« (beide Partner in entgegengesetzter
Richtung aufeinander und untereinander liegend, Kopf und Mund jeweils an den Geschlechtsteilen des anderen) und alle
anderen oral-genitalen Mach- und Erlebnisarten, Sex mit einem anderen als dem »festen« Partner. Schaulust und Zeigelust (in klassischen psychiatrischen Lehrbüchern als »Voyeurismus« und »Exhibitionismus« verteufelt) und die Lust an
besonderer und exquisiter Zusatz-Reizung (»Fetischismus« u. a.), wobei man schon dann angeblich ein Fetischist ist,
wenn man Unterwäsche und hochhackige Schuhe an Frauen erotisch findet, ganz zu schweigen von der Fetischistin, die
eigentlich ganz unschuldig findet, daß nichts anderes so stimulierend sein kann wie ein Vibrator.
Kann denn »Liebe« Sünde sein?
Wenn ich hier über die schönsten Übungen aus der Sexualtherapie schreibe, dann bedeutet das nicht zwangsläufig, daß
Sie diese Übungen bei dem Sexualtherapeuten Ihrer Wahl wiedertreffen. Wie ich schon ein paar Zeilen höher anzudeuten versuchte: Wie ängstlich, bourgeois, verklemmt und angepaßt Ihr Sexualtherapeut ist oder die Behörde, für die er
arbeitet, so »sauber« und »ordentlich« sind auch seine Übungen.
Es gibt zwar schon gewisse Übungen, die so gut wie zum Standard-Repertoire der modernen Sexualtherapie gehören,
wie zum Beispiel das Erlernen von lustvoller Selbstbefriedigung und von lustvollen sexuellen Phantasien, aber selbst
diese Standardübungen sind nicht in jeder Sexualtherapie eine Selbstverständlichkeit. Denn je nach weltanschaulicher,
moralischer und religiöser Ausrichtung, gehören Masturbation und Sex-Phantasien noch immer zu den Todsünden. Sind
Verheiratung und eheliche Treue moralische Grundwerte, dann ist eine Surrogatpartner-Therapie, die sexualtherapeutische Arbeit mit einem Übungs- und Ersatzpartner, einem Fremden also, absolut undenkbar. Die hier von mir aufgezählten »schönsten Übungen aus der Sexualtherapie« liegen oft im Grenzbereich zu den bei uns vorherrschenden moralischen Tabus, und so muß es meines Erachtens auch sein: Die inneren und äußeren Gebote und Verbote darüber, was
ich alles tun muß und was ich alles nicht darf, sind es, die die Sinnlichkeit und Sexualität zerstören. Übungen in der Sexualtherapie müssen deshalb hauptsächlich den beiden Zwecken dienen, Ängste und Peinlichkeiten zu vergessen und
sexuellen Genuß zu entdecken. Deshalb geht der sexualtherapeutische Weg eben dann auch dort entlang, wo die bekannten Tabus und Verbote bestehen. Kaum deutlicher kann dieses Prinzip ausgedrückt werden als mit dem Thema
Onanie, Masturbation und Selbstbefriedigung. Welcher verheiratete Mann würde es schon.wagen, überhaupt oder gar
auch noch mit der Kenntnis seiner Frau zu onanieren, weicher Mann würde sich trauen, Sex-Hefte zu kaufen und sie zu
Hause offen liegen zu lassen? Welche Frau würde sich schon trauen, sich selber beim Koitus mit dem Partner zusätzlich
2
mit der Hand an der Klitoris zu stimulieren? In der Sexualtherapie nun wird Menschen, und zwar nicht nur Männern,
sondern auch Frauen, beigebracht, sich dergleichen zu trauen. Moderne Sexuattherapeuten meinen, daß ein »fester«
Partner oder eine Ehe noch lange keine Gründe sind, warum man sich nicht auch andere nackte Männer und Frauen im
Heft anschauen und dazu sich selbst befriedigen dürfte.
Sollte jede gute Sexualtherapie damit anfangen, daß man in Ruhe, mit Genuß und gutem Gewissen zu onanieren lernt,
so beinhaltet sie sicherlich auch, daß man lernt, sich sexuellen Phantasien hinzugeben. Dies ist natürlich auch wieder ein
nicht unerheblicher Verstoß gegen »Moral« und »gute Sitten«, der übliche Vorwurf dazu lautet: »Schatz, du hast doch
mich! Wozu brauchst du denn dann auch noch deine Phantasie?« Außerdem haben viele Menschen, meistens Frauen,
dergleichen noch nie gemacht und können es deshalb noch nicht, oder sie stecken zwar voller sexueller Phantasien,
empfinden sie aber allesamt als Verbrechen und können sie deshalb nicht äußern.
Onanie und Phantasie nicht nur für Übriggebliebene und »einsame Herzen«.
Die einfachste sexuelle Phantasie besteht darin, sich eine tolle Frau nackt, angezogen oder halbnackt in einem Heft
anzuschauen und sich vorzustellen, daß man mit ihr zusammen ist, daß sie sich einem genauso sexuell anbietet, wie das
auf dem Bild dargestellt wird, und daß man mit ihr schläft, bis man zum Orgasmus kommt. Und viele Männer tun das
auch so (nur so kann man sich nämlich die Existenz so vieler Sexhefte für Männer erklären, die offensichtlich auch ein
gutes Geschäft sind). Das wäre gar nicht schlecht und eigentlich überhaupt sehr gut, wenn die meisten Männer dabei
nicht unter einem chronisch schlechtem Gewissen leiden würden, daß sie sich fremde Frauen dafür nehmen und, wie das
beim Onanieren eben so ist, nur an ihre eigene Lust denken.
Auch für Frauen könnte die einfachste sexuelle Phantasie darin bestehen, sich ein Bild mit einem tollen Mann vorzunehmen, sich vorzustellen, daß man mit ihm zusammen ist, und dabei zu onanieren. Frauen tun das viel seltener als Männer.
Das liegt vielleicht nicht nur daran, daß es keine Sex-Hefte für Frauen gibt oder daß es keine Männer gibt, die so reizvoll
wären, daß man sie nackt und in sexueller Pose sehen möchte, sondern natürlich daran, daß Frauen überhaupt bezüglich Sex viel unfreier und tabuisierter aufwachsen mußten. Frauen tun sich deshalb überhaupt mit Selbstbefriedigung,
Sex-Heften und mit sexuellen Phantasien meist sehr viel schwerer als Männer. Ich jedenfalls hoffe, als problembewußter
Sexualtherapeut und Wissenschaftler genauso wie als Privatmann, daß es eines Tages auch viele Sex-Hefte mit tollen
nackten und bekleideten Männern gibt, die extra für Frauen produziert werden.
Darüber hinaus will ich hier aber nicht mehr zum Thema sexueIle Phantasien sagen, weil die Phantasien so unterschiedlich und individuell sind, wie eben Menschen insgesamt unterschiedlich, individuell und originell sind. Das Onanieren zu
nackten Frauen und nackten Männern, natürlich in entsprechenden Sex-Heften, sich dabei vorzustellen, man habe
tatsächlich mit dieser (Papier-)Person sexuellen Kontakt, gehört zur Grundausstattung bei sexuellen Phantasien. Wenn
man sich konkret sexuelle Reize vor Augen führt, dann gehört nicht mehr viel dazu, ins Phantasieren zu kommen. Die
Krönung der sexuellen Phantasie ist diejenige, die man sich nur in seinem eigenen Kopf zusammendenkt, möglicherweise auch noch in einer extrem tristen und lustfeindlichen Situation: zum Beispiel in der morgendlichen Dienstbesprechung,
bei der Fahrt nach Hause in der überfüllten U-Bahn oder abends vor dem Fernsehapparat, während die Tagesschau läuft
oder während Robert Lembkes Sendung »Was bin ich?«
Der »Ehebruch« als Übung
In diesem Zusammenhang findet man hin und wieder bei Partnern, die sich beid- oder einseitig nicht mehr so sexuell
anziehend finden, daß der eine oder die andere sich beim Geschlechtsverkehr vorstellt, mit einer anderen Frau bzw. mit
einem anderen Mann zu schlafen. Von der tatsächlichen Situation her bleibt alles beim alten, und trotzdem wird mit dieser
Phantasie alles ganz neu und aufregend. Tatsächlich profitiert auch der Partner vom »Ersatz-Ehebruch«.
Manche Sexualtherapeuten geben ihren Patienten die Hausaufgabe, sich zu Hause vorzustellen, sie würden mit einer
anderen Person schlafen, wenn sie in Wirklichkeit mit dem eigenen Partner schlafen. Moderne Sexualtherapeuten haben
im Verbund mit den Erfahrungen und Erkenntnissen der Sexualwissenschaftler begriffen, daß, wie auch sonst bei allen
Reizen dieses Lebens, die ständige Einseitigkeit, verbunden mit der ständigen Wiederholung, wie sie in monogamen
Ehen üblich sind, zu erheblichen Verschleiß- und Ermüdungserscheinungen im Sexualleben der Betroffenen führen. Und
daß, umgekehrt, ein Hauch von Polygamie, das muß keineswegs gleich Gruppensex sein, sehr wohl auch das Interesse
3
am eigenen lang-vertrauten Partner wiederbeleben kann. Sexualtherapeuten setzen damit nämlich die Erkenntnis um,
daß man sexuellen Antrieb und sexuelles Interesse allmählich verliert, wenn man leben muß wie ein Mönch bzw. wie eine
Nonne. Eingeweihte Fachleute sprechen dabei spöttisch vom »Coolidge Effekt«, nach dem amerikanischen Tierarzt Dr.
Coolidge, der herausfand, daß Bullen sexuell wesentlich aktiver waren, wenn sie mehrere Kühe besteigen durften. Wer
sich dennoch schwertut, überhaupt auf sexuelle Phantasien zu kommen, oder sie nur mit schweren Schuldgefühlen
erleben kann, der sollte vielleicht doch ein paar Stunden extra mit seinem Sexualtherapeuten sprechen.
Sensate Focus: gegenseitiges Massieren und Streicheln
Der Anfang einer Sexualtherapie zeigt sich meist ganz harmlos und »gutbürgerlich«: Oft sieht sich ein Psychotherapeut,
und ein Sexualtherapeut erst recht, genötigt, seinen Patienten auch noch die einfachsten und eigentlich selbstverständlichsten Dinge sagen zu müssen. So klingen manche Übungen aus der Sexualtherapie manchmal so banal und einfach,
daß man sich fragen könnte, warum man dafür erst in Therapie gehen muß. So zum Beispiel der Klassiker unter den
Übungen der Sexualtherapie: das sogenannte Sensate Focus, dem Volk nahegebracht von den beiden Klassikern der
modernen Sexualtherapie Masters & Johnson. Sensate Focus ist Englisch und heißt so was wie »sinnliches Fokussieren«, was heißt, daß man es sich mit viel Zeit gemütlich macht und sich gegenseitig massiert und streichelt, nackt natürlich, auf einer bequemen Unterlage, es muß nicht immer das Bett sein, bei einer angenehmen warmen Raumtemperatur,
guter Musik und Kerzenschein, mit Parfüm und Massageöl, Räucherstäbchen, was zu Trinken und zu Knabbern und
überhaupt mit allem, was entspannt, gemütlich ist und eine sexuell angenehme Situation schafft.
Man wundert sich als eingeweihter Fachmann, wie wenig Leute dergleichen miteinander machen, und wie einfallslos und
lieblos die meisten Paare miteinander umgehen, wenn es um Sex geht. Vor allem mangelt es offensichtlich immer wieder
in drastischer Weise an dem, was man gemeinhin als Vorspiel bezeichnet. Das Sensate Focus dient als sexualtherapeutische Übung vor allem dem Zweck, den betroffenen Menschen wieder Lust und Liebe zum Vorspiel beizubringen, damit
sie sich nicht gleich direkt und ausschließlich zur Penetration und zum Koitus aufeinanderstürzen, was sehr häufig besonders Frauen ihren Männern zum Vorwurf machen. Erst muß man lernen, sich geistig und körperlich aufeinander einzustimmen. Beim Massieren, Berühren und Streicheln ist es wichtig zu lernen, was genau dem anderen guttut bzw. nicht so
guttut. Das wissen nämlich die meisten Leute überraschenderweise gar nicht so genau. Da man sich nicht traut, sich
beim Sex zu unterhalten, sich Dinge zu fragen und sich Dinge zu sagen, weiß man meistens auch über die ganz persönlichen und individuellen Wünsche und Bedürfnisse des Partners kaum etwas. Man geht dann in der unausgesprochenen
Unsicherheit von dem aus, was man meint durch Mundpropaganda oder Sexualkundeunterricht in der Schule über Sex
gelernt zu haben und was richtig sein soll, tappt aber meist ziemlich im Dunkeln. Zum Sensate Focus gehört deshalb
nicht nur, daß einer den anderen streichelt, massiert und mit gezielten Berührungen erregt, sondern daß der andere dem
einen auch genau zu verstehen gibt, was er will und was ihm guttut.
Für die meisten Menschen ist es nämlich immer noch mit besonderer Peinlichkeit behaftet, zum Ausdruck zu bringen,
was man will und was einen erregt. Dazu eignen sich Lustäußerungen wie Stöhnen, Summen, Gurren und entsprechende Körperbewegungen weit besser als etwa nur trockene Kommentare wie: »Das war jetzt gerade nicht schlecht, KarlOtto, könntest du das bitte noch mal machen, wenn es dir nichts ausmacht!«
Masturbation auf Gegenseitigkeit
Eigentlich ziemlich selbstverständlich hört sich auch die Übung an, die von amerikanischen Sexualtherapeuten als »genital caressing« bezeichnet wird, was etwa genitales Streicheln heißen soll. Bei dieser Übung geht es hauptsächlich darum,
daß einer dem anderen zeigt, wie er sich selbst sexuell an den Geschlechtsorganen stimuliert und selbst-befriedigt, um
dann dem anderen ganz genau alle Kniffe beizubringen, wie man das als Partner am besten tut. Dabei macht man nämlich die Erfahrung, daß offensichtlich nur die wenigsten Männer die große Kunst beherrschen, eine Frau wirkungsvoll an
der Klitoris zu stimulieren, und offensichtlich noch viel weniger Frauen die große Kunst beherrschen, einen Mann am
Penis anzufassen und zu stimulieren. Und nicht nur dies: Die meisten Menschen trauen sich schon ganz und gar nicht, in
Gegenwart und vor den Augen des Partners zu onanieren, und sei es auch nur, sich beim Sex mit dem Partner zusammen auch selbst mit der eigenen Hand ein wenig »nachzuhelfen«. Bei dieser Übung werden also nicht nur notwendige
solide Kenntnisse, darüber vermittelt, wie man als Mann die Frau an der Klitoris reizt und als Frau den Mann an Penis
und Eichel, hierbei geht es auch an einige verbreitete und schädliche sexuelle Tabus.
4
Einstimmung und Feinabstimmung sorgen für Stimmung
Übrigens befreit man mit Hilfe einer solchen Übung wie dem Genital Caressing auch ganz unauffällig und elegant die
armen Männer, die noch nichts über die Existenz und Bedeutung der Klitoris für die Frau wußten, oder auch die Frauen,
die dachten, das würde dem Mann weh tun, wenn man ihn mal ein wenig fester am Penis drückt, aus dem Kerker der
Unwissenheit und Naivität. Die meisten Männer klagen darüber, daß, wenn überhaupt, Frauen den Penis viel zu sanft
anpacken. Während das Sensate Focus zur Einstimmung auf den Partner und auf die sexuelle Situation überhaupt wichtig und gut ist, so diente die Übung des Genital Caressing, bei der man sich gegenseitig die Genitalien stimuliert, nunmehr der Fein-Abstimmung auf den Sexualpartner, sie hat einen wichtigen und guten Platz im fortgeschrittenen Vorspiel.
Wer jetzt nicht erregt wird und wer jetzt nicht mit dem anderen kann, der sollte lieber gar nicht erst weitermachen. Wer
jetzt nicht den Kitzel spürt, dem ist auch mit Penetration und Koitus nicht mehr zu helfen, der sollte auch mit den weiteren
Übungen nicht einfach fortfahren.
Zu viele Leute übersehen, daß nicht immer die richtige Situation für Sex ist und es sich nicht immer um den richtigen
Partner dazu handeln mag. Sie machen weiter, weil sie einfach glauben, es sei ihre Pflicht und Schuldigkeit, mit dem
anderen zu schlafen, weil es der angetraute Ehemann ist, weil sie das eben immer samstags nach der Ziehung der Lottozahlen machen, weil man dergleichen, wenn man verheiratet oder fest zusammen ist, eben hin und wieder zu machen
hat. Ganz erstaunlich ist in diesem Zusammenhang die Erfahrung, daß Männer, wenn Frauen direkt von ihnen etwas
wollen, was zugegebenermaßen selten passieren mag, dann immer auch meinen, sie müßten. Sie fragen in einer solchen Situation kaum nach ihrer eigenen Lust, sondern meinen, sie müßten allzeit bereit sein.
Hokus Pokus: Sex mal andersrum
Die nächste Übung habe ich mir selbst ausgedacht und sie als nett gemeinte Parodie auf das Sensate Focus von Masters & Johnson das »Hokus Pokus« von Wendt genannt. Die Spielregel dazu ist eigentlich ganz einfach und läuft auf
etwas hinaus, was in psychotherapeutischen Methoden durchaus gang und gäbe ist: der Rollentausch, der dazu dient,
den eigenen Erlebnis- und Erfahrungshorizont auszuweiten und zu bereichern und sich in die Haut des anderen hineinzufühlen. Angesichts fortschreitender und nicht mehr aufzuhaltender Entwicklungen von Emanzipation und Gleichberechtigung unter den beiden Geschlechtern kann es nicht falsch sein, sich auch mit der Lage des anderen zu beschäftigen.
Das meine ich durchaus konkret und wörtlich. Stellen Sie sich vor, daß Sie, wenn Sie ein Mann sind, nun eine Frau sind.
Daß Sie sich beim Sexualverkehr genauso hinlegen und sich so bewegen und verhalten, als wären Sie eine Frau. Legen
Sie sich dazu ruhig auf den Rücken, spreizen Sie Ihre Beine und ziehen Sie sie so an, wie Sie das von Frauen gewöhnt
sind und wie Sie es von Frauen mögen. Und dann stellen Sie sich vor, Sie wären jetzt diejenige, die unter den Stößen
des Mannes allmählich in immer größere Erregung und Ekstase gerät. Wenn Sie eine Frau sind, stellen Sie sich doch mal
vor, Sie wären jetzt der Aktive und der Bestimmende, Sie würden die unter Ihnen liegende Frau mit heftigen Stößen Ihres
Beckens zur Raserei bringen.
Zu hoffen bleibt bei dieser Übung natürlich, daß sie als Rollentausch zwischen Mann und Frau nicht zur traurigen Kopie
der bekannten Alltagsrealität mißlingt, der Mann nicht schicksalshaft ergeben und steif wie ein Brett unter der Partnerin
liegt und am Ende leer ausgeht und daß die Frau nicht gequält in der Missionarsstellung über dem Mann sich abmüht, als
gelte es, einen Feind zu bekämpfen, um ebenfalls am Ende zwar nicht ganz leer auszugehen, aber doch geschunden
und frustriert.
Die »Löffelchen-Meditation«
Eine andere sexualtherapeutische Übung nennt sich »die ruhige Vagina«. Sie könnte aber ebenso »der ruhige Penis«
genannt werden. Sie ist heilsam und gut vor allem für Frauen mit Orgasmusschwierigkeiten und Männer, die unter vorzeitigem Samenerguß leiden. Guttun wird diese Übung aber vor allem auch all den Menschen, die lernen müssen, unter
sexuellem Genuß hauptsächlich Ruhe und viel Zeit zu verstehen. Sexualität hat ihre wilden und ekstatischen, sicher aber
auch ruhige und besinnliche Seiten. Sie lernen dabei Sex als Meditation, daher der obige Name.
Bei der »Löffelchen-Meditation« liegen Mann und Frau zusammen am besten in der sogenannten »Löffelchen-Stellung«,
hintereinander und nebeneinander wie zwei Löffel im Besteckkasten. Der Mann hinter der Frau, die Frau vor dem Mann.
In dieser Stellung kann der Mann, am besten noch mit etwas Nachhilfe seitens der Frau, in Ruhe und Vorsicht von hinten
5
in die Scheide der Frau eindringen. Und wenn er ganz in ihr ist, dann sollen beide etwa eine halbe Stunde so liegenbleiben, ohne daß sie sich bewegen. Nur ein Zukneifen mit dem Beckenbodenmuskel (in. pubococcygeus) hin und wieder
unterbricht die gespannte Ruhe zwischen Mann und Frau. Wenn die Frau mit ihrem Beckenbodenmuskel zukneift, dann
kann sie, eine normale, entwickelte Muskulatur vorausgesetzt, den Penis des Mannes damit umgreifen, fast wie mit der
Hand, und der Mann kann darauf antworten mit einem Zukneifen seines Beckenbodenmuskels. Dabei spannt und hebt
sich der Penis normalerweise und schwillt dabei noch um einiges an, was dann der Frau in der Scheide deutlich und
angenehm fühlbar ist. So kann man einige Zeit miteinander verbringen. Innerlich führt diese Übung zu einer intensiven
Konzentration auf die eigenen Gefühle und auf die Berührung mit dem Partner. Hierbei entsteht dann das, was man
gemeinhin als »auf einer Wellenlänge sein« bezeichnet. Spätestens nach 30 Minuten merkt man, daß man im gleichen
Takt atmet und daß man sich im gleichen Takt im Becken hin- und herbewegt. Diese Übung vermittelt vor allem Zeit und
Ruhe als Mittel zur Steigerung des sexuellen Genusses, die Steigerung des sexuellen Genusses als Vorfreude auf den
abschließenden'Orgasmus. Nach der Devise: Dehnen Sie Ihre Vorfreude so lange wie möglich aus, dann wird die Freude
um so größer sein! Zwar kann man auch damit übertreiben, aber grundsätzlich stimmt diese Devise.
Vor allem Männer werden wahrscheinlich fragen, ob man während der 30 Minuten nicht seine Erektion verliert. Aber dazu
kann ich nur sagen: »Na, und wenn schon! Dann wird Ihre Erektion sicher auch mal wiederkommen!« Wenn Sie allerdings deshalb nach einer Weile mit Ihrer Erektion nachlassen, weil Sie Ihre Partnerin zu langweilig finden, dann ist das
eben ein ganz anderes Problem. Da hilft auch die beste Technik auf Dauer nichts. Ansonsten aber vermittelt gerade diese
Übung ganz hervorragend, wie, ohne große Anstrengungen und allein durch das wiederholte Anspannen und Loslassen
des Beckenbodenmuskels, ein gesteigertes sexuelles Lustempfinden erreicht werden kann. Sex ohne Leistung, Sex als
Meditation.
Sexualtherapie für Lustlose
Ein ganz besonders schwieriges und auch leidiges Kapitel stellen in der Sexualtherapie diejenigen Problemfälle dar, wo
bei den betroffenen Personen über die Zeit allmählich die Lust aufeinander weggeblieben ist. Also kein genereller Verlust
der sexuellen Lust, sondern »nur« ein ganz spezieller, nämlich der Lust auf den eigenen Partner. Betroffen von dieser
Krankheit sind vor allem langjährig Verheiratete. Wenn zwei Menschen anfänglich wirklich einander begehrten, mag es,
glücklicherweise, lange dauern, bis ein Verschleiß- und Ermüdungseffekt eintritt, manchmal erlahmt die sexuelle Lust
aufeinander auch nie. Bei den meisten Menschen in sogenannten festen Beziehungen oder Ehen ist erfahrungsgemäß
aber schon nach kurzer Zeit kein Gefühl von Verliebtheit und Begierde mehr vorhanden. Verschlimmernde und verschärfende Umstände können noch dazukommen: daß der eine den anderen (oder beide sich gegenseitig) von Anfang an
schon nicht sexuell interessant und attraktiv fanden, es nie gesagt oder schon sich selbst nicht eingestanden haben. Es
ist ein häufiges Verhalten von Frauen Männern gegenüber, daß Monogamie und Treue absoluter und gegenseitig gut
überwachter Vertragsbestandteil der geschlossenen Beziehung ist, so daß Abwechslung als reizerneuerndes Mittel wegfällt. Erst recht wenn, was bei den meisten Verheirateten schon fast automatisch dazukommt, man Kinder kriegt und sich
deshalb schon auf kaum etwas anderes einlassen kann als Kinderhüten und Kinderversorgen. Im letzteren Fall kommt,
was Sexualtherapeuten gut wissen, als absoluter Sex-Killer oft noch hinzu, daß Frauen in der Zeit der Schwangerschaft
und eventuell auch noch erheblich darüber hinaus, keine Lust mehr auf Sex haben. Das mag biologisch gesehen, durchaus seine guten Gründe haben, führt aber in den meisten Fällen zu erheblichen Streitereien zwischen Eheleuten. Der
Mann ist frustriert und voller Vorwürfe, die Frau entnervt, sie fühlt sich als Versagerin, sie schlägt ihrerseits zurück, bis
beide so stinkig aufeinander sind, daß sie keine Lust mehr aufeinander haben.
Die Therapie solcher Probleme, bei denen der eine oder der andere oder eben beide keine sexuelle Lust mehr aufeinander haben, stellt ein reichlich schwieriges Problem dar, bei dem man sich als Sexualtherapeut schon etwas einfallen
lassen muß. Grundsätzlich läßt sich sagen,.daß es gilt, bei den betroffenen Partnern neue sexuelle Verhaltens- und Erlebnisbereiche zu entdecken, die vorher entweder aus Unkenntnis und Unerfahrenheit oder aus Verklemmtheit und Peinlichkeit noch nicht ausprobiert worden waren. Man gerät dabei oft mitten in erotische und sexuelle Tabus und Verbote, in
erotische und sexuelle Verhaltens- und Erlebnisbereiche, die im allgemeinen und »gesunden« Volksempfinden als unsittlich, unmoralisch, obszön, pornographisch und pervers bezeichnet werden. Um Sexualität zu verteufeln haben wir viele
Worte, um sie zu würdigen oder gar zu preisen keine.
6
Aufregend ist, was verboten ist
Stellen Sie sich doch mal vor, Sie und ihre Frau kennen sich noch nicht. Jeder von Ihnen beiden lebt schon seit vielen
Jahren in Ehe mit einern/einer anderen, eine Ehe, in der Sie seit vielen Jahren nur noch Krach, Ärger und sexuelle Frustration erlebt haben. Und stellen Sie sich weiterhin vor, Sie hätten nun endgültig die Nase so voll, daß Sie eisern entschlossen sind, einen Abend alleine auszugehen. Sie werfen einfach einmal alles über Bord, was Sie in dieser Beziehung
in den zurückliegenden Jahren für hoch und heilig gehalten haben. Ihr Mann bzw. Ihre Frau ist das Wochenende über mit
den Kindern zu den Schwiegereltern, so daß Sie völlig freie Hand haben. Und stellen Sie sich bitte vor: Sie fühlen sich so
frei wie damals mit 17, als Sie noch frei und ungebunden und neugierig waren auf alles, was die Welt und das Leben zu
bieten hatten, das gewisse Kribbeln in den Fingerspitzen, in der Herzgegend und unterhalb der Gürtellinie spürten, bevor
Sie auf eine Party gingen. Und stellen Sie sich vor, Sie beide treffen sich zufällig und unbekannterweise auf dieser Party
und alles fängt ganz neu von vorne an. Die erste Aufgabe ist, den anderen auf sich aufmerksam zu machen, ihn bzw. sie
anzusprechen und irgendwie für längere Zeit miteinander ins Gespräch zu kommen und während des Gesprächs alle
verfügbaren Register des Flirtens und »Anmachens« zu ziehen, bis der andere erotisch und sexuell in Ihren Bann geschlagen ist. Dabei können Sie phantasieren und erfinden, was immer Sie wollen. Wichtig ist, Sie verführen den anderen
dazu, den Abend auch weiterhin miteinander zu verbringen und mit nach Hause zu kommen, sowie die Nacht zusammen
zu verbringen. Wichtig bei dieser Übung ist, daß Sie sich in Ihrer beider Phantasiespiel auch wirklich nur für eine Nacht
begegnen, denn Sie beide wissen, daß Sie danach wieder in den alltäglichen Ehetrott zurück müssen, der Kinder wegen,
der Eltern zuliebe und weil man nur so den Kredit für das Eigenheim abbezahlen kann. Die Schwierigkeit dieser Übung
besteht also darin, daß Sie sich völlig geistig und gefühlsmäßig darauf einstellen müssen, wie es ist, wenn Sie sich noch
nie zuvor gesehen hätten, und wie es ist, wenn Sie sich nach dieser einen Nacht nie wiedersehen werden. Aber, so meine ich, wenn Sie das nicht mit Hilfe Ihres Therapeuten erreichen, dann können Sie eh vergessen, in dieser Ehe je wieder
glücklich und befriedigt zu werden. Bei dieser Übung können auch solche »Kleinigkeiten« eine große Rolle spielen, z. B.
daß Sie versuchen, sich für diesen Abend wirklich in eine andere, fremde und neue Person zu verwandeln, daß Sie etwas
anderes anziehen, das Ihr Partner bislang noch nicht kennt, daß Sie eine andere Frisur ausprobieren, daß Sie sich ganz
anders geben, als Sie selbst und natürlich auch Ihr Partner es schon seit so langer Zeit gewohnt sind.
Eine nette Variante dieser Übung besteht darin, daß sich die beiden betroffenen Partner vorstellen, man träfe sich in einer
Bar oder einem Etablissement, in dem Liebe und Sexualität käuflich sind. Sie ist eine Prostituierte, und er zahlt für ihre
Liebesdienste. Nun ist, wie jeder wohl weiß, dieses Thema eines der ärgsten Tabuthemen in unserer Gesellschaft, und
der Vorschlag, daß ein alteingesessenes biederes Ehepaar sich in Freier und Nutte verwandeln sollen für eine Nacht,
mag von vielen, Laien und Patienten wie Fachleuten, für äußerst frivol oder gar unmoralisch gehalten werden. Damit wird
aber niemandem ein Schaden zugefügt. Wir alle wissen, wie befreiend es sein kann, hin und wieder die alten verstaubten
Rollen von Ehrbarkeit, Normalität und bürgerlicher Spießigkeit fallenlassen zu können.
Die Kamera-Übungen
Folgende Übung hat sich bei Paaren, die Alltagstrott mit Frustration und Langeweile in Bett und Schlafzimmer haben
einziehen lassen, unter Sexualtherapeuten bestens bewährt: Die beiden betroffenen Partner spielen abwechselnd Fotograf und Fotomodell. Natürlich geht es hier nicht um Aufnahmen für die neuesten Pelzmodelle und Wintermäntel, sondern
um Nacktaufnahmen wie für ein Sex-Heft. Immerhin kann man durchaus auch im Mantel anfangen und zwar Fotograf
genauso wie das Fotomodell. Dann entblättert man sich allmählich mit der Zeit. Hauptsache ist, die Fotos werden sexy,
wofür man nicht nackt zu sein braucht. Ein wenig Bekleidung ist oft reizvoller. Bei dieser Wenig-Bekleidung muß es sich
nicht unbedingt um sogenannte Reizwäsche aus dem Sex-Shop handeln, die meistens primitiv und oft in unerotischer
Weise klischeehaft und stereotyp ist. Man findet schon in ganz normalen Unterwäsche-Boutiquen oft Reizvolleres, als
Frau natürlich nur. Männer sind bezüglich Kleidung leider immer noch unterprivilegiert: An der noch allzu herben Note in
der männlichen Unterwäsche (»männlich & winterfest«) kommt man als Mann kaum vorbei.
Nach der Frage, was man über die nackte Haut hinaus zum Anziehen braucht bei dieser Übung, kommt die Frage, womit
man fotografiert. Für den Anfang braucht man nur eine gute Polaroid-Kamera. Bei dieser Übung sollten Sie sich nicht
umständlich und sparsam an das Fotografieren begeben, wie früher bei den üblichen Familienfotos, hier müssen es
Schnappschüsse sein, und es müssen viele sein, fast so, als ob ein Film abläuft. Der Vorteil bei der Polaroid ist, daß man
sein Bild beinahe sofort nach der Aufnahme sieht und daß man anhand dieser Bilder direkt die Chance erhält, schon
beim nächsten Bild etwas zu ändern. Ganz hervorragend eignen sich für diesen Zweck auch die neuen Digital-Fotoappa7
rate, wenn man sich die schönsten Bilder gleich zu Hause und ohne Laborentwicklung ausdrucken kann. Auf diese Weise
findet man bei dieser Übung auch in der Rolle des Fotomodells mehr Entspannung und ein besseres Körpergefühl. Wenn
hin und wieder ein Bild mißlingt, wenn man sich nicht so gut getroffen fühlt, dann wirft man es einfach weg und macht das
nächste dann um so leichter und besser. Am Ende der Übung legen Sie alle Ihre Polaroid-Fotos hintereinander in eine
Reihenfolge. So haben Sie fast einen Film von der letzten, gerade zurückliegenden Stunde, von dem, was Sie gemacht
und erlebt haben. Vor allem auf das letztere kommt es an: bewußter, tiefer und stärker zu erleben, so stark zu erleben,
daß man sich selbst vergißt. Denn die Stunden, in denen man sich selbst vergißt, so paradox sich das anhören mag, sind
die glücklichsten Stunden. Wenn Sie Phantasie haben, dann machen Sie sich aus dieser Übung ganz einfach ein Urlaubsvergnügen: Sie beide sind frisch verliebt und begehren einander. Sie verbringen 14 Tage auf einer Malediven-Insel.
Ihre Polaroids werden dann zu Ihren schönsten Urlaubs-InselFotos.Es sollten dabei ein oder zwei dieser Bilder so gut
ausfallen, daß der Partner sie als Reizvorlage beim Onanieren benutzen kann.
Zeitgemäß wäre es allerdings, die jetzt gerade beschriebene Fotograf-Fotomodell-Übung auch mit Video zu machen.
Weil Sie bei Video, ähnlich wie bei der Polaroid, Ihre Aufnahmen sofort und frei Haus bekommen. Das heißt, daß Sie
nicht nur nicht erst lange warten müssen, sondern Sie brauchen auch Ihre Filme nicht mehr zum Entwickeln erst noch in
fremde Hände legen. So können Sie endlich ohne Hemmungen genau die Aufnahmen machen, die Sie immer schon
machen wollten und dann doch nicht machten, weil Sie sich vor den Fotolaboranten schämten oder weil Sie fürchteten,
damit erpreßt zu werden. Und auch als Fotomodell können Sie nun endlich alle Hemmungen fallen lassen. Der Videofilm
bleibt bei Ihnen, kann also nur von Ihnen und Ihrem Partner gesehen werden, außerdem können Sie ihn jederzeit wieder
löschen oder überspielen. Sie haben bei dieser Übung den eben schon genannten Effekt: Sie können sich so lange am
wirkungsvollsten verändern und korrigieren, bis Sie sich selbst gefallen, bis Sie sich wohl fühlen in Ihrer eigenen Haut.
Diese Übung ist natürlich die teuerste, weil sie die aufwendigste ist, sie macht aber auch am meisten Spaß. Die VideoTechnik hat sich inzwischen über die Jahre so brauchbar verändert, daß man auch als relativer Laie mit den dazu
benötigten Geräten zurechtkommen kann.
Der große und besondere Reiz dieser beiden letztgenannten Übungen liegt in der therapeutisch verordneten Anstiftung
zu sexuellen Praktiken, die in unserer Gesellschaft deutlich im Tabubereich anzusiedeln sind: die Lust, sich sexuell zur
Schau zu stellen und die Lust, sich Sexuelles anzuschauen. Im Sprachgebrauch der sexuellen Diskriminierung und Unterdrückung heißen diese beiden Sexformen »Exhibitionismus« und »Voyeurismus«. Und sie gelten als Perversion, zumindest aber als Pornographie. Und deshalb trauen sich die meisten nicht, diesen beiden Gelüsten nachzugehen. Obwohl, wie Sexualwissenschaftler meinen, diese beiden sexuellen Lüste zu unserer Natur gehören. Diese beiden
KameraÜbungen geben also mit therapeutischer Erlaubnis die Möglichkeit, sich sexuell zu zeigen und anzubieten und
einem anderen sexuell zuzuschauen. Dabei hilft nicht nur die Erlaubnis kraft der Autorität des Therapeuten, dazu hilft
auch die Kamera. Die Kamera, die ein wenig wie das verschämte Schlüsselloch wirkt. So hält die Kamera nicht nur den
reizvollen Augenblick im Bild fest, sie bietet auch dem Zuschauer ein recht willkommenes Versteck, hinter dem man ungeniert das Auge schweifen lassen kann.
Die bisher dargestellten Übungen sind nur eine erste Auswahl an sexualtherapeutischen Übungen, mit denen man seinen
sexuellen Erfahrungs- und Erlebnisspielraum erweitern, Hemmungen und Angste abbauen und neue Lustbereiche kennen lernen kann. Bekannt und beliebt sind bei erfahrenen Sexualtherapeuten darüber hinaus noch etliche andere Übungen, die hier nicht im einzelnen ausgeführt werden zu brauchen. Außerdem sind natürlich noch viele andere Übungen
denkbar, wenn man nur eben genug Phantasie hat. So hat ein guter Sexualtherapeut nicht nur ein guter Sexualkundiger
und ein guter Menschenkenner zu sein, sondern er sollte ein guter Phantast sein und sich trauen, mit einer homöopathischen Dosis Pornographie und »Perversion« frischen Wind in die Sexualität seiner Patienten zu bringen.
Die Phantasie ist in der Sexualität tatsächlich ziemlich wichtig. Wenn wir uns auch in unserer Realität sicher zu Recht
ständig Grenzen setzen müssen, die Phantasie zumindest sollte frei sein. Die Phantasie ist die Würze des Alltags, durch
sie erst wird der Alltag reich, durch sie wird auch der sexuelle Alltag reich.
Die Surrogat-Partner-Therapie
Ein Surrogat-Partner ist ein Ersatz-Partner. Die Surrogat-PartnerTherapie ist ein typischer Begriff aus der modernen
Sexualtherapie. Diese Therapieform ist aus der Not geboren. Der Not nämlich, wenn für die Durchführung der Sexualthe8
rapie kein Partner zur Verfügung steht. Und solange Sexualität mit Paarung und Partnerschaft zu tun hat, braucht man
meistens eben doch zur erfolgreichen Durchführung der Therapie einen Partner. Not besteht auch dort, wo man zwar
einen Partner hat, der aber nicht mitspielt.
Mit der Surrogat-Partner-Therapie kann man durchaus versuchen, auch aus der Not eine Tugend zu machen. In den
vielen Fällen »einsamer Herzen«, die noch nie mit einem anderen Menschen Sexualität erlebt haben, gibt es keine bessere Methode. Vor allem »männliche Jungfrauen« leiden unter ihrer Unerfahrenheit oft bis zum Selbstmordversuch. Sie
befinden sich in einem furchtbaren Teufelskreis: Ohne Erfahrung kein Mut, ohne Mut keine Erfahrung! Aber wie schafft
man den Einstieg? Mit dem eingeweihten und eingespielten Ersatz-Partner kann man die Sexualität in Ruhe angehen:
Man verliert seine Ängste, man erlernt auch das nötige »Handwerk«, man entwickelt Lust und Laune. Nur eines kann
man darin nicht: die Liebe finden. Den Traumpartner muß der Patient sich schon selber draußen suchen. Nur sind seine
Chancen nach einer guten Surrogat-Partner-Therapie eben sehr viel größer geworden. Die Surrogat-Partner-Therapie
gibt es offiziell in Deutschland nicht. Erst recht natürlich nicht auf Kosten der Krankenkasse. Zu sehr erinnert sie leider an
Prostitution. Für meinen von Geburt an behinderten und an den Rollstuhl gefesselten 18jährigen Patienten war die Surrogat-Partner-Therapie jedenfalls eine blendende Idee.
9

Documentos relacionados