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Internationales und
und Europa
Europa
Argiro Baduva:
»Hadere nicht, sondern kämpfe!«
Eigentlich bin ich Optimistin, die
unerschütterlich davon träumt,
dass diese Welt verändert werden
kann und die Menschen eines Tages eine gemeinsame Sprache haben werden. Doch in diesem Sommer spürte ich nun schon zum
fünften Mal einen harten Faustschlag in der Magengegend. Jedes Jahr werden in Griechenland
zu Beginn der Sommerferien Tausende Lehrkräfte entlassen. Und
weil seit Beginn der Krise mehr als
2.500 Schulen geschlossen wurden, bleibt die Wiederbeschäftigung nach Ferienende von Jahr zu
Jahr ungewiss.
Agiro Baduva
Bild: Ulrike Eifler
In diesem Sommer traf mich die
Faust so schwer, dass es mir egal
war, als ich von Claire Kapsachati hörte. Sie war Lehrerin und erlitt einen Herzschlag, nachdem sie
von ihrer Entlassung erfahren hatte. Einen Tag nach ihrem Tod kam
der Brief vom Ministerium: Die
Entlassung war ein Irrtum. Es war
mir egal, dass der Gesundheitsminister mit Pharmaunternehmen illegale Geschäfte machte, während
Krebskranke starben, weil ihnen
das Geld für die Behandlung fehlte. Und es war mir auch egal, dass
unter den Augen der Küstenwache
afrikanische Flüchtlinge bei dem
Versuch, die griechische Küste zu
erreichen, jämmerlich ertranken.
Stattdessen schaute ich immer
wieder verstohlen auf die Homepage des Bildungsministeriums,
in der stillen Hoffnung zum Schuljahresbeginn wieder eingestellt zu
sein. Irgendwann fielen mir die
Worte eines Schriftstellers aus
Kreta ein: »Hadere nicht mit der
Frage, ob wir gewinnen oder verlieren werden. Sondern kämpfe!
Nur wer kämpft, wächst über die
eigene Ohnmacht hinaus«. Und so
wie Yannis Ritsos und Mikis Theodorakis einst unsere Eltern und
Großeltern mit ihren Liedern inspirierten und ermutigten, machte
auch dieser Autor mir Mut. Heute weiß ich: Sie werden mir meine Würde nicht nehmen. Denn ich
halte nicht still in einem Land, in
dem Lehrer, Kinder und chronisch
Kranke dem Kürzungsdiktat der
Troika geopfert werden.
Überall entstehen solidarische
Strukturen von unten – Nachbarschaftskomitees, Solidaritätskliniken und Sozialmärkte. Sie entstehen, weil wir kämpfen – ums
Überleben und gegen die Kürzungen. Und auf den antifaschistischen Demonstrationen ballen
wir unsere Fäuste und rufen laut,
dass wir diese Welt verändern
werden. Nur dort spüren wir, dass
wir nicht allein sind. Der Kampf
muss weitergehen.
Interview mit Muriel Duenas
Muriel, du bist Gewerkschaftssekretärin der CGT für die südfranzösischen Städte Sorgue und Le
Pontet. Wie feiert ihr den 1. Mai in
Frankreich?
von Brücken, die über stark befahrene Straßen führen. Wir versuchen
mit den Menschen ins Gespräch zu
kommen.
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Was sind eure Erfahrungen mit
der faschistischen Front NatioAuch in Frankreich ist das der Tag
der Arbeit. Wir beteiligen uns an nal (FN)?
der großen Demonstration in Avignon. Unsere Themen sind Arbeit, Wir sind sehr besorgt. Die FN ist
eine undemokratische und antisoLöhne und Renten.
ziale Partei, die leider in vielen RePräsident Hollande hat Re- gionen des Landes Zuspruch erhält.
formen angekündigt, die an die Die Erfolge der FN und der Abbau
Agenda 2010 erinnern. Was sind des Sozialstaates hängen eng zueure Befürchtungen?
sammen, denn die FN gedeiht auf
Schon 2013 hatte das Parlament ge- dem Boden von Armut und sozialer
gen den Widerstand der Gewerk- Angst. Mieten, Strom und Lebensschaften den Kündigungsschutz ge- mittel werden teurer. Viele Menlockert. Begründet wurde das mit schen sind verunsichert. Das macht
der Steigerung der Wettbewerbs- es der FN leicht, unzufriedene Wähfähigkeit. Jetzt setzt Hollande auf ler an sich zu binden.
milliardenschwere Entlastungen für
Der Kampf gegen Rechts ist
Unternehmen. Sie sollen sich im Gealso auch ein Kampf für den
genzug zur Schaffung von Arbeits- Erhalt von sozialen Errungenplätzen verpflichten. Wir befürchten schaften?
ein Anwachsen des Niedriglohnsektors und eine Zunahme von Befri- Unbedingt. Wer verhindern will,
stungen. Diese Arbeitsmarktreform dass die FN stärker awird, muss
wäre eine Aufkündigung des Sozial- echte soziale Perspektiven schafstaates.
fen. Ganz gleich ob Gewerkschafter,
Arbeiter, Eltern oder Bürger – wir
Was tut ihr gegen des Sozialmüssen uns einmischen. Die sozistaates?
alen Errungenschaften, die unsere
Wir diskutieren mit den Kolleg-/in- Eltern und Großeltern erkämpft hanen in den Betrieben, verteilen Flug- ben, müssen wir heute entschlossen
blätter und hängen Transparente verteidigen.
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Muriel Duenas
Die Sparpolitik entzieht den
Menschen in Südeuropa jede
materielle Grundlage. Der Verlust von sozialen und gewerkschaftlichen Rechten schwächt
zudem ihre Möglichkeiten, sich
dagegen zur Wehr zu setzen. In
Griechenland wurde auf Druck
der Troika der nationale Mindestlohn um 22 Prozent gekürzt
und das Arbeitslosengeld auf
12 Monate beschränkt. Gleichzeitig ist die Nachwirkung von
Branchentarifverträgen aufgehoben worden, was Lohnsenkungen von 40 Prozent zur Folge hatte, weil Arbeitgeber die
Gehälter nach dem Auslaufen der Tarifverträge an dem
untersten Lohnniveau orientierten. Gewerkschaften dürfen
erst dann wieder Tarifverhandlungen führen, wenn die Arbeitslosigkeit unter 10 Prozent
gesunken ist.
Zugleich wurden Zulagen im
Zusammenhang mit Arbeitsbedingungen, Qualifikationen
und Dienstjahren sowie alle automatischen Lohnerhöhungen
ausgesetzt. Seit 2010 wurden
mehrere Gesetze erlassen, die
Tarifverträge
einschränkten
oder abschafften. Entlassungen
wurden vereinfacht, indem die
Schwelle für Massenentlassungen aufgehoben und Kündigungsschutzfristen gekürzt
wurden. Den Acht-StundenTag gibt es nicht mehr. Arbeitgeber dürfen vereinbarte Branchenmindestlöhne ignorieren.
Die von Arbeitgebern einseitig
eingeführten Stundenverträge
stiegen allein im Zeitraum von
2010 bis 2011 um 4.000 Prozent und führten zu einem Absinken der Löhne um 38 Prozent.
Faschisten nutzen die Krise
?
Arbeitnehmerrechte
abgeschafft
Bild: Ulrike Eifler
Unter dem Kürzungsdiktat der
Troika findet ein Umbau der
griechischen Wirtschaft nach
neoliberaler Lesart statt. Dazu
gehören Sozialkürzungen und
Privatisierungen ebenso wie
ein noch nie da gewesener Abbau von Arbeitnehmerrechten.
Dieser geht einher mit einer
Verschiebung des Gleichgewichtes zwischen Kapital und
Arbeit zuungunsten der Arbeitnehmer und mit der Zerstörung
gewerkschaftlicher Handlungsmacht.