Die Begründung des Denkmals
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Die Begründung des Denkmals
Universität Zürich | Historisches Seminar | Prof. Dr. Béatrice Ziegler, Dr. Konrad Kuhn | BA Seminar Neuzeit: Denkmalstreit – Geschichtspolitik um Denkmäler (19./20. Jahrhundert) | FS 2012 Die Begründung des Denkmals für die Juristin Dr. Emilie Kempin-Spyri (1853-1901). Erste Dozentin und Privatdozentin an der Universität Zürich und Kämpferin für die Gleichberechtigung der Frau. Susanne Böni | [email protected] 5. Semester Bachelor of Arts | 1. NF Geschichte der Neuzeit | HF Populäre Kulturen Abgabedatum: 22.1.2013 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 2 2 Was ist ein Denkmal? 4 2.1 Funktion 4 2.2 Merkmale 5 2.3 Entstehung 6 3 Der rastlose Kampf einer Pionierin 6 3.1 Leben und Wirken von Emilie KempinSpyri 6 3.2 Spätes Gedenken 8 4 Geschichtswissenschaftliche Betrachtung der Chaiselongue 4.1 Standort und Beschreibung des Denkmals 4.2 Entstehungsgeschichte 9 9 11 4.2.1 Anstoss/Initiantinnen 11 4.2.2 Künstlerischer Auftrag 12 4.2.3 Finanzierung 12 4.3 Einweihung 13 4.3.1 Die Einladung 13 4.3.2 Die geladenen Gäste 14 4.3.3 Die Reden 14 4.4 Die Enthüllung des Denkmals 18 5 Denkmäler für Frauen in Zürich 18 6 Schlussfolgerungen 20 7 Quellen 23 8 Darstellungen 23 9 Anhang 26 I Lebenslauf II Einladungskarte III Reden IV Würdigung der Mitarbeitenden 1 1 Einleitung Am 22. Januar 2008 wurde im Lichthof der Universität Zürich das Denkmal für Emilie Kempin-Spyri, der ersten Privatdozentin an der Universität Zürich enthüllt. Es ist eines der wenigen Denkmäler in Zürich, das einer historischen, weiblichen Person gewidmet ist.1 In dieser Arbeit soll die Begründung dieses Denkmals für Emilie Kempin-Spyri dargelegt und untersucht werden. Ein Schwerpunkt soll dabei die Betrachtung sein, wer an dieser Denkmalsbegründung beteiligt war und wie sich die Beteiligten zum Denkmal stellen. Im Weiteren soll aufgezeigt werden welchen Stellenwert das Denkmal als solches für Zürich und für die Frauen hat. Da eine allgemeinverbindliche Systematik zur Analyse von Denkmälern fehlt, werde ich für die Untersuchung des Denkmals verschiedene Kriterienraster kombinieren. Einerseits die im Seminar „Denkmalstreit: Geschichtspolitik um Denkmäler (19./20. Jh.)“ erarbeiteten geschichtswissenschaftlichen Untersuchungsschritte: Entstehungsgeschichte (Bau, Finanzierung, Wettbewerb) Debatte über das Denkmal Einweihung rituelle Sinngebung, „Nutzungsgeschichte“ (was passiert am Denkmal? Wiederholung der Weihung, wer pflegt?) Umwidmungen, Änderungen, Revisionen Bedeutung für verschiedene ZeitgenossInnen Verschiebung (Debatte?), Abbruch (Debatte?) und andererseits die von Urs Hobi, im Kapitel Denkmäler, aus: „Das Kunstschaffen in der Schweiz 1848-2006“2 beschriebenen Kriterien: Botschaft/Appell künstlerisches Programm Finanzierung, Wettbewerb Standort Einweihung Vertiefte Einsichten in das Thema der Denkmäler erhielt ich aus: ‚Zeitzeichen für eine Ewigkeit’ von Georg Kreis, der die 300 Jahre alte Denkmalsgeschichte der Schweiz 1 2 Vgl. Hebeisen, Namenlose Nacktheiten, S. 70-72. Hobi, Denkmal, S. 125-137. 2 aufzeigt und ordnet.3 Ebenfalls sehr hilfreich war das bereits erwähnte Kapitel ‚Denkmäler’ von Urs Hobi aus dem Werk ‚Das Kunstschaffen in der Schweiz’.4 Die Entstehungsgeschichte des Denkmals, die Biographie für Emilie KempinSpyri und viele weitere Informationen rund um die Begründung des Denkmals sind von der Abteilung Gleichstellung der Universität Zürich aufgearbeitet und im Internet veröffentlicht worden.5 Diese ausgezeichnete Internetdokumentation war eine sehr grosse Unterstützung für die Recherchen. Grundlage zu dieser Untersuchung waren die Akten zum Denkmal aus dem Archiv der Universität Zürich. Diese bestehen zum grössten Teil aus: E-Mail- und Brief-Korrespondenzen, Protokollauszügen und Veranstaltungshinweisen. Seltener sind sie in Form von handschriftlichen Notizen/Briefen vorhanden. Leider sind noch nicht alle Unterlagen zum Denkmal von Emilie Kempin-Spyri archiviert. Da alle diese Akten der 10-jährigen noch nicht abgelaufenen Sperrfrist unterliegen, mussten die Personendaten für diese Arbeit anonymisiert werden. Für ihre Unterstützung und ihre wertvollen Hinweise danke ich Frau lic. phil. Silvia Bolliger Leiterin vom Universitätsarchiv der Universität Zürich (UZH) und Frau Dr. Elisabeth Maurer Abteilungsleiterin der Abteilung Gleichstellung UZH ganz herzlich. 3 Kreis, Zeitzeichen für die Ewigkeit. 300 Jahre Denkmaltopografie, Zürich 2008. Hobi, Denkmal, S. 125-137. 5 Www.kempin-spyri.uzh.ch/index.html [Stand: 10.10.2012]. 4 3 2 Was ist ein Denkmal? 2.1 Funktion Ein Denkmal – eine Figur, Plastik oder Architektur – hat primär die Aufgabe an ein bestimmtes Ereignis oder an eine bestimmte Person zu erinnern.6 Erinnert wird jedoch nicht nur der geehrten Persönlichkeit oder an das Ereignis, auch an die InitiatorInnen des Denkmals selber mit ihrer Weltanschauung soll erinnert werden.7 Erinnern ist ein Prozess der in Gang kommt, wenn Vergangenes aktualisiert wird und ist ein kontextabhängiger kommunikativer Vorgang: Bilder der Vergangenheit werden vergegenwärtigt und die Menschen vergewissern sich somit sich und ihrer Zukunft.8 Ein Denkmal stellt somit einen konkreten Bezug aus der Gegenwart in die Vergangenheit her und macht zudem eine Aussage in die Zukunft. Um diese Aufgabe zu erfüllen, muss es „von seiner Entstehung her und auch nach seiner Errichtung in einen Kommunikationsprozess eingebettet“ sein.9 Die eigentliche „Sinnstiftung“, welche mit dem Denkmal verbunden ist, wird ihm zumeist bei der Einweihung zugesprochen und diese Sinngebung wird wiederum durch den rituellen Nachvollzug, (auch Nutzungsgeschichte genannt) regelmässig erneuert.10 Die Debatten um Denkmäler und Gedenkstätten sind ein wichtiger Teil der Erinnerungskultur und „die Aktualität und die Daseinsberechtigung eines Denkmals beruht letztlich auf der öffentlichen, kollektiven und privaten Auseinandersetzung mit seiner Botschaft.“11 Mittigs Definition des Denkmals besitzt hohe Gültigkeit: „[E]in in der Öffentlichkeit errichtetes und für die Dauer bestimmtes selbständiges Kunstwerk, das an Personen oder Ereignisse erinnern und aus dieser Erinnerung einen Anspruch seiner Urheber, eine Lehre oder einen Appell an die Gesellschaft ableiten und historisch begründen soll.“12 Denkmäler sind, so Weigand, auch im 21. Jahrhundert noch populär, vor allem als Träger von politischen Botschaften, als Vermittler politisierter Deutungen der Ver- 6 Im 18. Jh. sind es in der Schweiz Schrifttafeln, Portrait-Medaillons an Hausfassaden, Bildnisbüsten und architektonische Zeichen wie zum Beispiel Obelisken. Im 19. Jh. sind es Standbilder oder Szenen mit mehreren Figuren. Vgl. Hobi, Denkmal, S. 127. 7 Vgl. Weigand, Denkmäler, S. 456. 8 Vgl. Tanner, Erinnern/Vergessen, S. 77. 9 Vgl. Spillmann zitiert nach: Reusse, Grenze der Sprachfähigkeit, S. 16. 10 Vgl. Schmid, Zeugnisse, S. 59. 11 Vgl. Hobi, Denkmal, S. 136. 12 Mittig zitiert nach: Kreis, Zeitzeichen, S. 131. 4 gangenheit oder als Medium der öffentlichen staatlichen Selbstdarstellung.13 2.2 Merkmale Ein Denkmal ist ein Zeichen auf Dauer, das heisst es reicht über die eigene Lebenszeit hinaus, seine Botschaft soll auch noch die nächste Generation erreichen. Es ist, so Reusse, ein „Zeichen auf lange Frist“ und verfügt deshalb über eine besondere „Speicherungsqualität“: die dauerhafte Präsenz bedingt die beiden Faktoren Material und Aufstellungsort. Es muss zudem für die Allgemeinheit decodierbar sein.14 Denkmäler können gegenständlich wie Abbilder der Geehrten, Symbole, Allegorien oder auch ungegenständlich sein. Mittig unterscheidet zwei Typen von ungegenständlichen Denkmälern: 1. Abstrahierende Abwandlungen von Figurendenkmal, Denkmalzeichen und Denkmalarchitektur und 2. aus der ungegenständlichen Malerei und Plastik entwickelte neue Motive, welche zu Trägern mit entsprechender Bedeutungen gemacht werden müssen.15 Von den Denkmals-Gattungen Figur, Plastik und Architektur sind verschiedene Abstraktionsvorgänge zu beobachten und Reusse beschreibt das ungegenständliche Denkmal folgendermassen: „Weder spiegelt es die äussere Realität in mimetischen Sinne wider (wie das figürliche bzw. gegenständliche Denkmal), noch bringt es seine Aussage in konventionalisierter Zeichensprache sinnbildhaft zur Geltung (wie das emblematische Denkmalzeichen bzw. -symbol).“16 Ein wesentliches Element des Denkmals ist der Sockel. Dieser dient einerseits der Erhöhung des Dargestellten und entrückt ihn von der „Massstäblichkeit der Umgebung“17 und andererseits werden auf ihm komplexere Inhalte als die Eckdaten der oder des Geehrten vermittelt. „Bezeichnend ist, dass Denkmäler kaum ohne das Medium der Inschrift auskommen.“18 Als Standort eines Denkmals kommt der öffentliche nicht sakrale Raum in Frage. Kreis unterscheidet dazu den extrem öffentlichen Standort (Marktplatz) vom halböffentlichen Standort (botanische Gärten, Parks, Höfe, Innenräume von Ratshäusern, Bibliotheken, Schulen etc.).19 „Durch die Errichtung des Denkmals im öffentlichen Raum ‚gehört’ es der Allgemeinheit, es wird ihr ja auch im Rahmen der Einweihungs- 13 Vgl. Weigand, Denkmäler, S. 401. Reusse, Grenze der Sprachfähigkeit, S. 17 f. 15 Vgl. Mittig zitiert nach: Reusse, Grenze der Sprachfähigkeit, S. 23. 16 Reusse, Grenze der Sprachfähigkeit, S. 25 f. 17 Vgl. Hobi, Denkmal, S. 128. 18 Hobi, Denkmal, S. 127. 19 Vgl. Kreis, Zeitzeichen, S. 112. 14 5 feierlichkeiten geschenkt. Das heisst, die Allgemeinheit muss es annehmen, ob sie es will oder nicht.“20 2.3 Entstehung Die Urheberschaft entwickelt die Idee zur Denkmalsetzung. Sie verewigt und rechtfertigt sich durch die Denkmale mit ihren politischen Grundwerten.21 Hobi bemerkt, dass es vor allem Männer sind, welche geehrt werden und dass die Frauen in der Schweizer Geschichte als handelnde Persönlichkeiten kaum im kollektiven Bewusstsein Platz bekommen haben: „Die Präsenz von Frauen im vom Männer dominierten ‚Nationaltheater’ ist verschwindend klein.“22 Kreis präzisiert, dass der öffentliche Raum in der Regel herrschaftlich besetzt wird und dieser nur Geltendes beanspruchen darf.23 Laut Hans-Dieter Schmid, müssten in Demokratien „alle relevanten gesellschaftlichen und politischen Gruppierungen die gleichen Chancen haben, den öffentlichen Raum für ihre Anliegen in Anspruch zu nehmen“.24 Die glaubwürdige Kommunizierung der Denkmalwürdigkeit des Sujets gegenüber der Öffentlichkeit betont Hobi besonders und nennt die „keywords“ des Denkmalkommitees: „Publicity, Fundraising und Marketing.“25 Die Formulierung einer Botschaft und Entwerfen eines künstlerischen Programms, die Beschaffung der Finanzen, die Ausschreibung eines Wettbewerbs sowie die Wahl des Standorts und die Organisation der Einweihungsfeierlichkeiten. würden meistens von einem eigens gebildeten Denkmalkomitee übernommen.26 3 Der rastlose Kampf einer Pionierin 3.1 Leben und Wirken von Emilie Kempin-Spyri Emilie Kempin-Spyri war die erste Schweizerin, die sich für das Studium an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät an der Universität in Zürich immatri- 20 Kreis, Zeitzeichen, S. 114. Vgl. Hobi, Denkmal, S. 128 f. 22 Ebd., S. 130. 23 Vgl. Kreis, Zeitzeichen, S. 122. Er unterscheidet deshalb die inhaltlich definierten Formen der Institutsdenkmäler, Kriegsdenkmäler, Personendenkmäler von den ‚Randständigen Denkmälern’, in welchen er die gesellschaftlich und politisch wenig etablierten Denkmalformen aufzeigt, unter anderem die „Ehrungen der Frauen“. Vgl. Kreis, Zeitzeichen, S. 365. 24 Vgl. Schmid, Zeugnisse, S. 57. 25 Vgl. Hobi, Denkmal, S. 126. 26 Ebd., S. 126. 21 6 kulierte27. Nach der Matura 1885 begann sie mit dem Jura-Studium und promovierte 1887 mit magna cum laude als erste Schweizer Juristin.28 Ihr erstes Habilitationsgesuch, sie wurde ein Jahr nach ihrem Studienabschluss als Nachfolgerin eines Privatdozenten vorgeschlagen, wurde 1888 aufgrund ihres Geschlechts abgelehnt. Auch das Anwaltspatent wurde ihr verweigert. Somit durfte sie nicht vor Gericht auftreten, da sie eine Frau war und das erforderliche Stimm- und Wahlrecht, das Voraussetzung für diesen Beruf war, nicht besass.29 Ihre 1887, noch in ihrer Studienzeit, eingereichte staatsrechtliche Beschwerde gegen diese Diskriminierung als Frau und für ihre rechtliche Gleichstellung war die erste Gleichstellungsklage in der Schweiz überhaupt.30 Diese wurde vom Bundesgericht mit der Begründung abgelehnt: „[...] Wenn nun die Rekurrentin zunächst auf Art. 4 der Bundesverfassung abstellt und aus diesem Artikel scheint folgern zu wollen, die Bundesverfassung postulire die volle rechtliche Gleichstellung der Geschlechter auf dem Gebiete des gesammten öffentlichen und Privatrechts, so ist diese Auffassung ebenso neu als kühn; sie kann aber nicht gebilligt werden.[... ]“31 Erst 1891 erhielt sie im zweiten Versuch eine Zulassung als Privatdozentin. Obwohl der Senat der Universität Zürich dem Erziehungsrat empfahl, das Gesuch von Emilie Kempin-Spyri abzulehnen (u.a. wurde das Absinken des wissenschaftlichen Niveaus befürchtet32), erteilte ihr dieser am 15.12.1892‚ ausnahmsweise’ die venia legendi für römisches, englisches und amerikanisches Recht. Ihr zweites Gesuch um die Zulassung als Anwältin wurde jedoch vom Kantonsrat abgewiesen.33 Am 4. März 1892 hielt Emilie Kempin-Spyri, als erste Privatdozentin an der Universität Zürich und als erste habilitierte Juristin der Schweiz, ihre Antrittsvorlesung.34 Sie hatte sich ihr ganzes Leben für die Gleichstellung der Frauen eingesetzt. In den USA praktizierte sie als Rechtsanwältin und gründete und leitete unter anderem eine private Rechtsschule für Frauen.35 In der Schweiz gründete und leitete sie u.a. eine Rechtsschule für Laien, gab die Zeitschrift „Frauenrecht“ heraus,36 gründete 27 Als erste Studentin an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich immatrikulierte sich 1872 die Russin Elizaveta Bogulavska für zwei Semester. Vgl. Streiter, Rechtsund Staatswissenschaftliche Fakultät, S. 177. 28 Vgl. Biographie, <http://www.kempin-spyri.uzh.ch/index.html> [Stand: 16.11.2012]. 29 Vgl. Streiter, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, S. 178. 30 Vgl. Joris, Gleichstellung, <www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D16499.php> [Stand: 16.10.2012]. 31 BGE 13 I 1, E. 2. 32 Vgl. Streiter, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, S. 181. 33 Vgl. Chronologischer Lebenslauf, <http://www.kempin-spyri.uzh.ch/index.html> [Stand: 16.11.2012]. 34 Vgl. Streiter, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, S. 181. 35 Ebd., S. 178. Vgl. auch Chronologischer Lebenslauf, <http://www.kempin-spyri.uzh.ch/index.html> [Stand: 16.11.2012]. 36 Vgl. Chronologischer Lebenslauf, <http://www.kempin-spyri.uzh.ch/index.html> [Stand: 16.11.2012]. 7 in Zürich den „Frauenrechtsschutzverein,“37 , veröffentlichte eine Arbeit über die Rechtsstellung der Frau im künftigen Privatrecht der Schweiz’ und trat als erste Frau dem ‚Schweizerischen Juristenverein’ bei.38 Bis 1895 unterrichtete sie zudem an der Handelsklasse der Höheren Töchterschule.39 Sie publizierte „eine selbständige Schrift zur Rechtsstellung der Frau in den Entwürfen zum Bürgerlichen Gesetzbuch“.40 In Berlin pflegte sie Kontakte zur bürgerlichen Frauenbewegung Deutschlands und dozierte an der Humboldt-Akademie Privatrecht und Deutsches Familienrecht.41 1897 wurde Emilie Kempin-Spyri wegen ‚Geisteskrankheit’ in die Berliner Heil- und Pflegeanstalt ‚Berolinum’ eingewiesen und erst 1899 in die ‚Irrenanstalt Friedmatt’ in Basel verlegt, wo sie am 12. April 1901 starb, ohne dass sie die Anstalt noch einmal hätte verlassen dürfen.42 3.2 Spätes Gedenken Über hundert Jahre nach ihrem Tod werden ihr Einsatz und ihr Wirken geehrt. Eng verbunden mit der Idee der Denkmalerstellung ist die Frauenzunft Gesellschaft zu Fraumünster in Zürich. Sie ersuchte, anlässlich des Geburtstags von Emilie KempinSpyri, der sich im Januar 2004 zum 150. Mal jährte, um das Gastrecht für die Ehrung und die Anbringung einer Plakette am Wirkungsort von Emilie Kempin-Spyri.43 Anstoss zur Ehrung erhielt die Frauenzunft wiederum von Eveline Hasler, die das Leben von Emilie Kempin-Spyri in ihrer Roman-Biographie „Die Wachsflügelfrau“ aufgearbeitet und die auch schon 1992 an der Enthüllung einer Gedenktafel am Geburtshaus von Kempin-Spyri in Altstetten, aus ihrem Buch vorgetragen hatte.44 Die Abteilung Gleichstellung der Universität Zürich schlug daraufhin der Universitätsleitung vor, zusätzlich eine dauerhafte Erinnerung an Emilie Kempin-Spyri einzurichten. Das entstandene Denkmal im Lichthof ist somit die Manifestierung einer längeren Auseinandersetzung mit der adäquaten Ehrung des Schaffens von Emilie KempinSpyri in der UZH. 37 Vgl. Chronologischer Lebenslauf, <http://www.kempin-spyri.uzh.ch/index.html> [Stand: 16.11.2012]. Ebd. 39 Ebd. 40 Ebd. 41 Vgl. Streiter, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, S. 182. 42 Vgl. Chronologischer Lebenslauf, <http://www.kempin-spyri.uzh.ch/index.html> [Stand: 16.11.2012]. 43 Vgl. UAZ, E.6.1.059: 10 Varia/Vorgeschichte. 44 Vgl. UAZ, AB.1.0518: Einladung zur feierlichen Enthüllung einer Gedenktafel am Geburtshaus von Emilie Kempin-Spyri 18.3.1853-12.4.1901. 38 8 4 Geschichtswissenschaftliche Betrachtung der Chaiselongue 4.1 Standort und Beschreibung des Denkmals Die Chaiselongue, das Denkmal für Emilie Kempin-Spyri, steht im Lichthof, dem Zenrum des Kollegiengebäudes I der Universität Zürich.45 Der Lichthof war bis 1972 mit dem sogenannten „Göttergarten“, den Gipskopien und anderen Objekten aus der archäologischen Sammlung, bestückt.46 Der Lichthof ist ein wichtiger Ort im universitären Leben, er ist Aufenthalts, Durchgangs- und Zugangsraum, es finden Ausstellungen, Informationsveranstaltungen, Apéros und viele andere Anlässe mehr statt. Im Lichthof steht das Denkmal im halböffentlichen Raum. Dieser wurde vom Rektor Hans Weder 2007 auch als „Symbol der Erleuchtung“47 bezeichnet. Das Denkmal soll dort für mindestens sechs Monate im Jahr plaziert sein.48 Es fügt sich in die alltägliche Nutzung des Lichthofes ein und ist somit ein prägender und gestaltender Teil des Raumes. Das Denkmal, eine riesige Chaiselongue mit Nackenrolle und einem Schemel, steht auf einem dazugehörenden grossen runden Teppich. Es misst ca. 4 auf 2 Meter und ist 100 cm hoch (Sitzhöhe). Die Bezüge der drei Elemente sind blau. Der Stoff der Chaiselongue wie des Schemels ist mit silbernem Faden bestickt. Auf ersterer steht als fortlaufendes Motiv: PD Prof. Dr. iur. Emilie Kempin-Spyri. Auf dem Schemel ist zu lesen: PD Prof. Dr. iur. Emilie Kempin-Spyri 1853-1901 Erste Schweizerin, die als Juristin promovierte, Erste Dozentin an der Universität Zürich, Sie kämpfte zeitlebens für ihre Zulassung als Anwältin. Bitte Schuhe ausziehen! Max. 10 Personen. Der Rahmen und die Füsse des Objekts sind aus Buchenholz und mit üppigen Schnitzereien versehen: Bienen, Blumen und Schmetterlinge. Die Füsse sind Adlerkrallen nachempfunden und umfassen an ihrem unteren Ende jeweils eine (Welt-) 45 Das Gebäude, von den Architekten Karl Moser und Robert Curjel entworfen und 1914 fertiggestellt, steht unter Denkmalschutz und wurde von 1991-2006 saniert. 46 Vgl. <http://www.mediadesk.uzh.ch/articles/2008/welche-schoenheit-erhabenheit-und-groesse-diearchaeologische-sammlung-im-zentrum-der-universitaet.html#> [Stand: 4.1.2013]. 47 Vgl. <http://www.hochbauamt.zh.ch/internet/baudirektion/hba/de/ueber_uns/veroeffentlichungen.html> [Stand: 5.1.2013]. 48 Vgl. UAZ, E.6.1.059: 2 Sitzungen/Aktennotizen, Adressliste Arbeitsgruppe Kempin-Spyri. 9 Kugel, auf der fein die Umrisse der fünf Kontinente eingeritzt sind. Auf dem Rahmen des Kopfteils ist von der Künstlerin in kleiner Handschrift mit goldenem Schriftzug vermerkt: 2008 P. Rist dankt www.kempin-spyri.uzh.ch Schule für Holzbildhauerei Brienz, Schreinerei Schönenberger, Rabazo Metallbau, Thaler Raumgestaltung, Schweizerische Textilfachschule, Stickerei Sonderegger, Markus Huber Recabarren, Thomas Rhyner, Rachele Giudici, enia carpet Schweiz Bei der Produktion des Objekts kam fast ausschliesslich ostschweizerisches Handwerk zum Zug. Die Stickerei auf den Bezügen des Denkmals vermittelt die Informationen, die sonst üblicherweise als Inschrift auf einem Sockel zu lesen sind. Die Entrückung von der „Massstäblichkeit der Umgebung“49 wird einerseits durch den runden, ebenfalls blauen Teppich und andererseits durch die doppelte Grösse einer herkömmlichen Chaiselongue gebildet: ein bekannter Alltagsgegenstand wird überhöht in der Bedeutung. Es ist weder ein abstraktes noch ein figürliches Denkmal, die Chaiselongue ist nicht als Gegenstand abstrakt, die Wahrnehmung löst die Abstraktion aus. Das Denkmal steht für mehr, als es darstellt. Um es zu verstehen, braucht es Informationen. Die geschnitzten Ornamente im Holzrahmen geben einige Hinweise: die Bienen, ein Symbol für unermüdlichen Fleiss, der Schmetterling als Symbol für Verwandlung, die Weltkugeln als Zeichen der universellen Dimension des Gegenstandes der Erinnerung geben die Richtung an. Die Künstlerin selber brachte zur Sprache, wie das Denkmal zu verstehen ist: Der Massstab 2:1 lässt die Menschen, die es erklimmen wollen klein und wie Kinder erscheinen, so müsse sich Emilie Kempin-Spyri wegen der diversen Ablehnungen gefühlt haben. Die Übergrösse soll zudem die historisch monumentale Bedeutung der Geehrten spiegeln. Die Vorreiterarbeit von Emilie Kempin-Spyri, wird durch das „Bestiegen werden dürfen“ der Chaiselongue symbolisiert – die Generationen nach ihr sollen sich auf ihrer Arbeit ausruhen und darauf aufbauen können.50 Dieses Denkmal ist ausdrücklich zum Gebrauch bestimmt. Die ästhetische Gestaltung des Denkmals ist an die Zeit angelehnt, in welcher Emilie Kempin-Spyri gelebt hat. „Die Formensprache des Möbels ist ganz 19. Jahrhundert. Die ornamentale Buchenschnitzerei, durchsetzt mit Paragraphen und Bienen, erinnert noch an die Zeit, die der Moderne noch nicht direkt in die Augen sehen wollte.“51 49 Vgl. Hobi, Denkmal, S. 128. Vgl. <http://www.gleichstellung.uzh.ch/politik/kempin-spyri/denkmal.html> [Stand: 5.1.2013]. 51 Vgl. Philip Ursprung Professor für Moderne und zeitgenössische Kunst an der Universität Zürich zum Denkmal in: <http://www.sciencealumni.uzh.ch/Fakultaetstag/Vortrag3/unimagazin-2008-1.pdf> [Stand: 5.1.2013]. 50 10 4.2 Entstehungsgeschichte 4.2.1 Anstoss/Initiantinnen Die Idee zur dauerhaften Erinnerung kam von, im weiteren Sinne „Betroffenen“, d.h. von engagierten Frauen, welche gegenwärtig die Ungleichbehandlung der Geschlechter thematisieren und den entsprechenden Raum in Beruf und Gesellschaft für sich einfordern. Die Frauenzunft Gesellschaft zu Fraumünster in Zürich, setzt sich seit 1989 unter anderem dafür ein, dass bedeutende Frauen für Zürich nicht vergessen werden.52 Die Abteilung Gleichstellung der UZH, ist bestrebt, die tatsächliche Gleichstellung von Frau und Mann an der UZH zu erreichen. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt in der „ausgewogenen Vertretung beider Geschlechter in allen Gremien der UZH.53 Es gelang ihnen, die Institution, welche vor über hundert Jahren Frauen und darunter Emilie Kempin-Spyri diskriminierte, als tragende Partnerin für die Idee zu gewinnen. Im April 2004 wurde von der Universitätsleitung eine Arbeitsgruppe54 beauftragt, zusammen mit zusätzlichen Fachleuten55 die „Art des Denkmals zu finden“.56 Bereits an ihrer ersten Sitzung im Juni 2004 wurde eine zeitgemässe Ehrung für Emilie Kempin-Spyri sowie die Anfrage für einen Projekt-Vorschlag an die Künstlerin Pipilotti Rist beschlossen.57 Die beigezogenen Fachleute verfassten ausserdem im Juli 2004 ein Gutachten, in welchem sie die favorisierte Portraitbüste als erste Idee „als eine unserer Zeit nicht mehr adäquaten Form der Ehrung“58 erachteten und vorschlugen: „Die wissenschaftliche Leistung von EKS soll mit einer Ehrung nachhaltig im Bewusstsein der Studierenden, Besucherinnen und Besucher sowie in der Öffentlichkeit verankert werden mit einem Kunstwerk, das durch seine künstlerische Qualität überzeugt. Es wird als wünschenswert erachtet, eine Künstlerin zu beauftragen, die sich mit ihrem Schaffen für diese Aufgabe qualifiziert, durch ihre unverwechselbare Sprache und durch die Auseinandersetzung mit aktuellen, gesellschaftlich relevanten Themen. Die Form des Kunstwerks (Medium, Ausdrucksmittel) soll in der Entscheidungskompetenz der Künstlerin liegen. Auch auf der inhaltlichen Ebene sollen keine Vorgaben gesetzt werden. Der Standort (Aula, Calatrava Bibliothek des RWI, etc) soll 52 Die Gesellschaft zu Fraumünster setzt sich auch für die Integration der Frauenzunft am traditionell immer noch von Männern geprägten Sechseläuten ein. Vgl. <http://www.fraumuenstergesellschaft.ch/> [Stand: 12.1.2013]. 53 Vgl. <http://www.gleichstellung.uzh.ch/politik.html> [Stand: 12.1.2013 ]. 54 Heinzpeter Stucki, Adjunkt des Generalsekretärs, Maximilian Jäger, Leiter Rektoratsdienste und Elisabeth Maurer, Leiterin Uni Frauenstelle. 55 Bice Curiger, Kunstwissenschaftlerin und Kuratorin, 1999-2000 Mitglied des Universitätsrates UZH, Urs Hobi, Kunsthistoriker und Gabriela Lutz Kunsthistorikerin. 56 Vgl. UAZ, E.6.1.059: 10 Varia/Vorgeschichte. 57 Vgl. UAZ, E.6.1.059: 2 Sitzungen/Aktennotitzen, Adressliste Arbeitsgruppe Kempin-Spyri. 58 Ebd. 11 nicht vorgängig festegelegt werden, sondern im Zusammenarbeit mit der Künstlerin evaluiert werden. Es ist das Ziel, Dr. Emilie Kempin-Spyri mit einem Kunstwerk zu ehren, das prominent im Universitäts-Alltag in Erscheinung tritt.“59 4.2.2 Künstlerischer Auftrag Für das geplante Denkmal wurde kein Wettbewerb ausgeschrieben, die Künstlerin Pipilotti Rist wurde direkt angefragt und war von der Aufgabe begeistert und sagte zu.60 Die einzige Einschränkung aufseiten der Universitätsleitung war, keine Videoinstallation in der Aula einzurichten.61 Die Künstlerin machte Ende 2005 zwei Konzept-Vorschläge: eine Chaiselongue sowie einen überdimensionalen Namensschriftzug im Lichthof. Im Frühjahr 2006 entschied sich die Universitätsleitung für das Projekt „Chaiselongue“.62 In poetischer Freiheit gab die Künstlerin Pipilotti Rist Emilie Kempin-Spyri den Titel Professorin und berührte damit einen wunden Punkt. Emilie Kempin-Spyri wurde zwar in den USA zur Professorinnen berufen, in der Schweiz war sie hingegen Privatdozentin und nie Professorin.63 In der Folge wurde eine posthume Verleihung des Professorinnen-Titels an Emilie Kempin-Spyri von der Universitätsleitung zusammen mit einer Expertin und einem Experten diskutiert, von der Universitätsleitung jedoch mit der Begründung abgelehnt, dass man zur Vergangenheit stehen und die Geschichte nicht nachträglich verändern wolle.64 Die Künstlerin löste das Problem kreativ, indem sie die Bezeichnung PD Prof. vor den Namen der Geehrten als Motiv auf den Bezug sticken liess. In der Folge übernahm die Universitätsleitung zusammen mit einer externen Fachfrau die Projektleitung. Die Debatte um das Denkmal, die Diskussionen um Standort und Form, fand weitgehend universitätsintern statt und wurden innerhalb der Arbeits- respektive Projektleitungsgruppen geführt. Eine breitere öffentliche Debatte zur Denkmalsbegründung gab es nicht. 4.2.3 Finanzierung Die Kosten für das Denkmal können anhand der vorliegenden Akten nicht eruiert werden. Sicher ist, dass die Kosten über das Hochbaudepartement des Kantons Zü- 59 UAZ, elektronische Ablage, noch keine Signatur, aus dem Gutachten von Bice Curiger, Urs Hobi, Gabriele Lutz vom 8.7.2004. 60 UAZ, E.6.1.059: 1 Korrespondenz. 61 Vgl. UAZ, E.6.1.059: 2 Sitzungen/Aktennotitzen, Adressliste Arbeitsgruppe Kempin-Spyri. 62 Ebd. 63 Vgl. UAZ, E.6.1.059: 10 Varia/Vorgeschichte. 64 Ebd. 12 rich verrechnet wurden.65 Anfangs 2006 entstand ein Konflikt zwischen Universitätsleitung und Baudirektion. Die anfänglich wohlwollende finanzielle und fachliche Unterstützung der Baudirektion wendete sich in eine ablehnende Haltung und es wurde befürchtet, dass das Projekt nicht realisiert werden könnte. Die Diskussionen um die Kostenübernahme erreichte die Öffentlichkeit jedoch nicht, sie fand zwischen den kantonalen Institutionen statt. Mit Unterstützung der Kantonsregierung gelang es schliesslich, das Projekt finanziell abzusichern und zu realisieren.66 Eine öffentliche Debatte zur Finanzierung der Denkmalsbegründung fand nicht statt. 4.3 Einweihung Die Einweihungsfeier wurde von einem Komitee organisiert in welchem die Rechtswissenschaftliche Fakultät sowie die Abteilung Gleichstellung vertreten waren.67 Mittels Postern, Flyer, Einladungskarten68, Medienmitteilungen und Hinweisen auf den elektronischen Plattformen der Universität Zürich Zentrum wurde zum Symposium und zur Denkmalenthüllung eingeladen. Ausgewählte Journalistinnen und Journalisten wurden persönlich kontaktiert. Veranstaltungshinweise wurden im Züritipp, in der Neuen Zürcher Zeitung, im Kunstbulletin, im unijournal, unipublic, unimagazin und ROSA69 geplant.70 4.3.1 Die Einladung Das Programm zur Feier stellt neben dem Ablauf eine Kurzfassung der vier Reden, eine Kurzbiographie zu Emilie Kempin-Spyri und der Entstehungsgeschichte des Denkmals vor und leitet ein: „Mit einem Denkmal von Pipilotti Rist ehrt die Universität Zürich Emilie Kempin-Spyri als erste Schweizerin, die als Juristin promovierte und habilitierte, als erste Privatdozentin der Universität Zürich und als Pionierin für die Gleichstellung der Frau.“71 65 Vgl. UAZ, elektronische Ablage, noch keine Signatur, Ausgaben für die Einweihung des Denkmals von Frau PD iur. Kempin-Spyri Stand 1.7.2008: Kunstwerk Chaiselongue mit Schemel und Honorar der Künstlerin – Hochbauamt. 66 Vgl. UAZ, elektronische Ablage, noch keine Signatur, Korrespondenz zwischen Hochbaudepartement und Unileitung. 67 Es waren von der Abt. Gleichstellung der UZH Elisabeth Maurer und Angela Zimmermann, vom Stab Prorektorat Stefanie Keiser und Marcel Senn Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät. Vgl. UAZ, E.6.1.059, Planung/Kommunikationskonzept/Medienarbeit im Vorfeld. 68 Siehe dazu die Karte im Anhang. 69 Zeitschrift für Geschlechterforschung an der UZH. 70 Vgl. UAZ, elektronische Ablage, noch keine Signatur, Kommunikationskonzept Emilie Kempin-SpyriFeier vom 22.1.2008. 71 <http://www.gleichstellung.uzh.ch/politik/kempin-spyri/denkmal/Einladung_Kempin-Spyri.pdf> [Stand: 29.12.2012]. 13 Die Künstlerin Pipilotti Rist legte ihre Gedanken und Gebrauchs-Aufforderungen zum Denkmal dar und wird selber kurz mit ihrer Biographie und ihrer Sicht der Aufgabe als Künstlerin vorgestellt. Die Feierlichkeit fand in zwei Teilen statt: der erste Teil in der Aula im Universitätszentrum an der Rämistrasse 71 mit der Begrüssung des Rektors und den Reden. Der zweite Teil fand im Lichthof der Universität beim Denkmalstandort statt. Die Künstlerin hielt eine kurze Ansprache und das Denkmal wurde enthüllt. 4.3.2 Die geladenen Gäste Es wurden vor allem Personen aus dem näheren Umfeld der UZH, der Stadt und des Kantons Zürich sowie Vertreterinnen von Organisationen, die sich für die Anliegen der Frauen einsetzen, eingeladen. Durch Vertreterinnen und Vertreter aus den politischen Gremien wird Emilie Kempin-Spyri auch von der Seite gewürdigt, die ihr lange Zeit verwehrt hatten, als Anwältin zu arbeiten. Für die Publicity in den Medien wurde, ausser dem Kunstbulletin und der NZZ, an die lokalen Medien der UZH und von Stadt und Kanton Zürich berücksichtigt.72 Gesamtschweizerisch wurden Frauenorganisationen, Frauenverbände, Gleichstellungsbüros, Parteisekretariate, Fachhochschulen, ausgewählte Nationalrätinnen etc. eingeladen. Und in Zürich wurden die Einladungen an alle Mitglieder der Universität (UZH) sowie die Ehemaligen der UZH, die Gesellschaft zu Fraumünster, die Autorinnen, welche zu Emilie Kempin-Spyri publiziert hatten, das Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft Zürich, diverse Archive und Bibliotheken, Frauenorganisationen, Gemeinderäte und Kantonsräte geschickt.73 4.3.3 Die Reden Die Reden an der Einweihungsfeier werden hier kurz nach ihren thematischen Schwerpunkten sowie mit ihrem Bezug zur Vergangenheit, dem Bezug zur heutigen Situation und dem Blick in die Zukunft, der somit als Appell verstanden wird, vorgestellt. Die Vorreiterrolle von Emilie Kempin-Spyri als Vorkämpferin für die Gleichberechtigung der Frauen und ihre fachlichen Leistungen wurden von allen Rednerinnen und Rednern hervorgehoben und gewürdigt. Jede Rednerin und jeder Redner nahm aus ihrem /seinem Tätigkeitsgebiet Bezug zum Leben und Wirken von Emilie Kempin-Spyri. 72 Vgl. UAZ, elektronische Ablage, noch keine Signatur, Kommunikationskonzept Emilie Kempin-SpyriFeier vom 22.1.2008. 73 Vgl. UAZ, E.6.1.059: 6 Einladungen/Flyer/Plakate/Inserate. 14 4.3.3.1 Prof. Dr. Hans Weder, Rektor der Universität Zürich Hans Weder wies auf das 175-jährige Bestehen der Universität Zürich und ihrer Erfolgsgeschichte hin, unter anderem auf die seit den 1860er Jahren als fortschrittlich bekannte Universität, weil sie ausländischen Frauen für ein Studium offen war. Die Geschichte stimme aber auch nachdenklich. Er äusserte Befremdung über frühere gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die eingeschränkte individuelle Entfaltung sowie die gängigen Verhaltensweisen, die heute nicht mehr akzeptiert würden. Er würdigte die Geschichte von Emilie Kempin-Spyri als die einer talentierten Frau, die wiederholt zurückgewiesen und an ihrer unkonventionellen Laufbahn zerbrach und die Geschichte des sozialen Wandels, der von ihr massgeblich vorangetrieben wurde. An beiden Geschichten habe die Universität Zürich ihren Anteil. Es koste wenig die Fehler anderer zu kritisieren und es koste viel mehr, „eigene Fehler einzugestehen und damit leben zu müssen, dass nicht alle vermieden werden können.“ Den Festakt zur Einweihung des Denkmals sieht er als Bekennung zu dieser ambivalenten Erinnerung von Stolz und Betroffenheit. Es sei ein Erinnerungssort entstanden, der den Geist der Geehrten vergegenwärtigt und die Lebendigkeit des Hauses bereichert. Er mahnte zur Bescheidenheit, da jede Generation damit rechnen muss, blinde Flecken zu haben und betont, er gäbe viel „darum heute zu wissen, welche Fehler uns unsere Nachfahren morgen vorwerfen werden“.74 Hans Weder äusserte sich nicht konkret zur heutigen Situation der Gleichstellung. Es könnte angenommen werden, dass er mit dem Geist der Geehrten, der das Haus bereichern soll, den Einsatz für die Gleichstellung der Frauen meint. 4.3.3.2 Prof. Dr. Jakob Tanner Professor für Geschichte der Neuzeit der Universität Zürich Jakob Tanner sprach von der Chaiselongue als „Objekt der Ehrung“ und deutete das Kunstwerk als Requisit der Psychoanalyse und brachte es mit der „Wiederkehr des Verdrängten“ der Schweizer Geschichte in Verbindung. Er würdigte speziell die fachlichen und gesellschaftspolitischen Leistungen von Emilie Kempin-Spyri, [...] „die das aufklärerische Versprechen der bürgerlichen Gesellschaft nach Gleichheit und Anerkennung einforderte und dabei aktiv an der Gestaltung der sozialen Verhältnisse mitwirkte. Sie war eine Aktivbürgerin, die den Tatbestand, dass man ihr 74 <http://www.gleichstellung.uzh.ch/politik/kempin-spyri/denkmal/120725_Begruessung_Rektor.pdf> [Stand: 29.12. 2012]. 15 die Rechte einer solchen nicht zugestehen wollte, skandalisierte.“75 Er zitierte u.a. die Leitung der Universität, welche damals argumentierte, dass Dozentinnen eine „Demütigung“ seien für die Studentenschaft [...]“.76 Emilie KempinSpyri habe in die Gewalt gesellschaftlicher Verhältnisse hineingesehen, die ihr Leben insgesamt prägten und die von merkwürdiger Aktualität waren. Die von Emilie Kempin-Spyri geforderte Gleichberechtigung sei zwar ca. hundert Jahre später (1981) mit dem Gleichstellungsartikel in die Bundesverfassung aufgenommen worden, ist aber noch immer nicht in allen Bereichen der Gesellschaft verwirklicht.77 4.3.3.3 Prof. Dr. Beatrice Weber-Dürler, Professorin für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Zürich Beatrice Weber-Dürler78 erklärte, dass den Studierenden der Rechtswissenschaft bereits im ersten Semester der Bundesgerichtsentscheid aus dem Jahr 1887, welcher auf die Klage von Emilie Kempin-Spyri zurückgeht, erläutert werde. Sie würdigte besonders ihre bis heute relevanten wissenschaftlichen Leistungen. Sie zeigte den Wandel der Rechtsanschauung im Hinblick auf die Gleichstellungsfragen auf und welche neuen Probleme die in der Verfassung formulierte „absolute rechtliche Gleichbehandlung von Mann und Frau – also genau das, was Emilie Kempin-Spyri vor fast hundert Jahren vergeblich gefordert hatte“, sich für die Frauen ergeben. Die heutige Forderung nach der tatsächlichen Gleichstellung, also die Quotenbestimmung steht im Widerspruch mit dem Gleichstellungsartikel. Sie bezeichnet dies als einen schweren Rückschlag für die Frauenförderungspolitik.79 4.3.3.4 Dr. Barbara Haering, Universitätsrätin und Nationalrätin Barbara Haering betonte, dass Emilie Kempin-Spyri erst 107 Jahre nach ihrem Tod ein Denkmal in unserer Universität bekam. Sie bot auch unseren Grossmüttern und Müttern, für ihre Kämpfe für die Gleichstellung, einen Platz auf der grossen Liege im Lichthof an. Besonders erwähnte sie, dass die Studienwahl noch immer die traditionellen Geschlechterrollen widerspiegelt und dass je höher die akademische Funktion, desto geringer der Frauenanteil sei. Sie kritisierte, dass die Frauenbeauftragten und/oder die Gleichstellungskommissionen, welche an den meisten Schweizer 75 Vgl. <http://www.kempin-spyri.uzh.ch/index.html> [Stand: 22.8.2012]. Ebd. 77 Ebd. 78 92 Jahre nach Emilie Kempin-Spyri ist sie die zweite Privatdozentin an die Universität Zürich. 79 Vgl. <http://www.kempin-spyri.uzh.ch/index.html> [Stand: 22.8.2012]. 76 16 Hochschulen den Auftrag haben, Frauen- und Geschlechterforschung zu fördern, oft personell und finanziell unterdotiert wären. Es ginge darum, dem 1998 im Universitätsgesetz Zürich formulierten Kodex: „[...] durch geeignete Massnahmen die tatsächliche Gleichstellung von Mann und Frau (zu fördern)“, nun auch real nachzuleben.80 Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei zentral für die Gleichstellung Frauen und sie rief die Väter dazu auf, dass auch sie dies zu ihrem Thema machen sollen. Die jungen Frauen forderte Frau Haering auf: „Meine jungen Damen: Fordern sie ruhig von ihren Partnern das, was sie selber zu geben bereit sind – nämlich die Hälfte des Himmels!“81 4.3.3.5 Prof. Dr. Brigitte Woggon, Präsidentin der Gleichstellungskommission der Universität Zürich Brigitte Woggon, die Präsidentin der Gleichstellungskommission der Universität Zürich, betonte in ihrem Grusswort, dass im Gegensatz zur Universität Zürich, Eveline Hasler den 150. Geburtstag von Emilie Kempin-Spyri nicht vergessen hatte. Brigitte Woggon zeigte kurz die Entstehungsgeschichte des Denkmals auf und würdigte die Arbeit der Arbeitsgruppe und der externen Berater und Beraterinnen. „In einer Geschichte mit immer neuen Höhepunkten“ sei das Gedenken an die Pioniertätigkeit von Emilie Kempin-Spyri verlaufen: die Internetseite www.kempin-spyri.uzh.ch, die geplante Platzierung der Gedenktafel in der Juristischen Fakultät, die Emilie KempinSpyri Lectures und die Wachsflügelfrau-Vorlesungen. Das Denkmal eigne sich dazu, innezuhalten und Entschlusskraft zu fassen, um die Gleichstellung von Männern und Frauen an der Universität Zürich umzusetzen. Es soll die Universitätsangehörigen anregen Ideen zu entwickeln, die Gleichstellung von Mann und Frau umzusetzen.82 4.3.3.6 Pipilotti Rist, Künstlerin und Honorarprofessorin der Universität der Künste Berlin „Ruhen Sie sich darauf aus, denken Sie nach – aber schlafen Sie nicht ein dabei!“83 80 Vgl. <http://www.kempin-spyri.uzh.ch/index.html> [Stand: 22.8.2012]. Ebd. 82 Ebd. 83 <http://www.uzh.ch/news/articles/2008/2452.html> [Stand: 24.7.2012]. 81 17 4.4 Die Enthüllung des Denkmals „Dann rannten beide los“, der Rektor Hans Weder und Pipilotti Rist, die je eine Ecke des Überwurfs in der Hand hielten, der das Denkmal abgedeckt hatte, enthüllten in dynamischer Weise das Denkmal.84 5 Denkmäler für Frauen in Zürich Es ist unübersehbar, Denkmäler für Frauen sind sehr selten. Die weibliche Vergangenheit wird kaum und wenn doch, oft mit nackten Frauen, Allegorien oder Figuren aus der Mythologie gezeigt. Diese führen uns Frauen meistens anonymisiert vor.85 „Sie sind damit nicht Abbilder historischer Frauenfiguren, sondern in unerreichbare Höhen gerückte, abstrakte Ideale. Was wir sehen, sind von Männern entworfene Frauenbilder. Sie erzählen uns die Geschichte des männlichen Blicks auf Frauen.“86 Hebeisen zeigt mit ihrer Untersuchung ‚zur Topographie der Geschlechter von Skulpturen in der Stadt Zürich, 1880-1940’ auf, dass von 54 untersuchten Skulpturen 32 weiblich dargestellt sind und diese, bis auf eine,87 keine historische Figuren darstellen. Weiter zeigt Hebeisen auf, dass historische Figuren ausschliesslich im Stadtzentrum stehen, dem Ort der gesellschaftlichen Macht. Als denkmalwürdig betrachtet wurden bis zum Zweiten Weltkrieg fast ausschliesslich Männer.88„Die namenlosen Nacktheiten stehen vor allem in den Parkanlagen entlang dem See, aber auch auf kleineren Grünflächen im Stadtzentrum.“89 Hier nennt sie als Standort vor allem das Hochschulquartier. Bei Georg Kreis werden die wenigen Frauendenkmäler in der Schweiz im Kapitel ‚Randständige Denkmäler’ aufgeführt, da diese nicht zu den Hauptthemen und Hauptplätzen gehören und zum Teil sogar als alternative oder oppositionelle Denk- 84 Begleitet wurde die Feier mit einem Musikstück, „Sechs Metamorphosen nach Ovid“ von Benjamin Britten, das von Rico Gubler auf dem Saxophon vorgetragen wurde. Vgl. <http://www.uzh.ch/news/articles/2008/2452.html > [Stand: 24.7.2012]. 85 Vgl. Chratz & Quer, S. 9 f. 86 Ebd., S. 9. 87 Die Äbtissin Hildegard, erste Äbtissin des Fraumünsterklosters und Stadtherrin von Zürich. Vgl. Hebeisen, Namenlose Nacktheiten, S. 72. 88 Ebd., S. 71f. 89 Ebd., S. 78. 18 mäler errichtet worden sind.90 Ein erstes und eigenes Denkmal für eine Frau in Zürich, erhielt die Äbtissin Katharina von Zimmern (1478-1547) im Jahr 2004 im Kreuzgang des Fraumünsters.91 Der "Verein Katharina von Zimmern", ein von Frauen getragener und von einer Frau präsidierter Verein, war treibende Kraft, sicherte die Finanzierung der 350'000 Franken für das Denkmal und schenkte es dann der Stadt Zürich.92 90 Vgl. Kreis, Zeitzeichen, S. 333-390. So nennt er dazu unter anderem das Postulat von Doris Schneider, welche 1986 im Berner Stadtrat anregte, analog zum ‚Unbekannten Soldaten’, ein Monument für ‚Die unbekannte Hausfrau’ zu errichten. Vgl. Kreis, Zeitzeichen, S. 376. 91 Im Jahr 2000 erhielt sie von der Gesellschaft zu Fraumünster eine Ehrentafel am Neumarkt 13 in Zürich. 92 Kreis, Zeitzeichen, S. 377. 19 6 Schlussfolgerungen Emilie Kempin-Spyri wird vor allem für ihre politische Vorreiterrolle im Kampf für die Gleichberechtigung und ihre wissenschaftlichen Leistungen gewürdigt. Die heutigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ermöglichen 126 Jahre nach der abgewiesenen Gleichstellungsklage von Emilie Kempin-Spyri, 42 Jahre nach der Annahme des Frauenstimmrechts durch die Männer in der Schweiz und 32 Jahre nach der Verankerung des Gleichstellungsartikels in der Schweizerischen Bundesverfassung auch eine Denkmalssetzung für eine Frau. Der Platz, den das Denkmal im wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Zentrum von Zürich bekam, ist ebenso bemerkenswert, wie die Würdigung von Seiten der UZH und das Eingeständnis von gemachten Fehlern gegenüber Emilie Kempin-Spyri, welche auch stellvertretend für die Diskriminierung der Frauen gesehen werden kann. Dieser öffentliche Raum, den die Frauen mit der Initiierung des Denkmals für Emilie Kempin-Spyri und für sich geschaffen haben, ist bedeutend. Ist es doch erst das zweite (!) Denkmal für eine historische weibliche Person in Zürich. Die Universität vermittelt heute mit dieser Denkmalssetzung Fortschrittlichkeit. Die damalige Zulassung der Frauen zum Studium an der UZH wurde ebenfalls als fortschrittlich hervorgehoben. Der Grund für die Zulassung war jedoch nicht die sogenannte Liberalität, sondern es waren die willkommenen zusätzlichen Studiengebühren.93 Ausschlaggebend waren also finanzielle Gründe. Trotzdem sind die Frauen in den höheren Gremien der UZH noch immer deutlich untervertreten.94 Die Gleichstellung ist noch nicht vollständig erreicht und deshalb appellierten die Redner und Rednerinnen an der Denkmalseinweihung für die tatsächliche Gleichstellung von Frau und Mann. Die ambivalente Erinnerung der Institution UZH widerspiegelt sich auch am Denkmal, mit dem sich nun diejenige Institution ehrt und schmückt, welche eine entscheidende Rolle in der verwehrten akademischen Laufbahn der Geehrten spielte. Die etablierten und engagierten Frauenvertreterinnen, die sich für die Gleichstellung als politischen Grundwert einsetzen, waren massgeblich an der Entstehung des Denkmals beteiligt. Sie nutzten 2004 die Ehrung der Frauenzunft zur Lancierung 93 94 Vgl. Bolliger, Liberalität als Grund, S. 85. Ende 2011 lag der Frauenanteil der Professuren (inkl. Assistenzprofessuren) bei 18 Prozent. Vgl. <http://www.gleichstellung.uzh.ch/angebote/fraueninleitungsgremien.html>[Stand:14.1.2013]. 20 der Idee zum Denkmal innerhalb der UZH und sie finden nun im Appell und der Denkmalsbegründung eine Bestätigung ihrer Überzeugung. Die Akten widerspiegeln den überraschend reibungslosen Ablauf der Entstehung des Denkmals, was vermuten lässt, dass die Frauen den Prozess geschickt begleitet und unterstützt haben. An der Einweihungsfeier stellten sie diejenigen Beteiligten mit grosser Macht und mit der grössten Publicity ins Rampenlicht und unterstrichen damit wirkungsvoll die Botschaft des Denkmals. Enthüllt wurde das Denkmal vom Rektor und der weltweit bekannten Künstlerin. Die Diskussionen zur Idee und zur Denkmalsbegründung fanden vorwiegend institutionsintern oder zwischen kantonalen Organisationen statt. Es fehlte somit die breitere öffentliche Debatte in der Auseinandersetzung um das Denkmal. Angesichts der ambivalenten Erinnerung der UZH in Bezug auf die Gleichstellung der Frauen, ist es jedoch als besonderes Ereignis zu sehen, dass sich ein Denkmal für eine Frau in diesem akademischen Kontext verwirklichen liess. Bis heute wird aber das Potential des Kunstwerks als Träger seiner Botschaft nicht ausgeschöpft. Die alleinige sprachliche Vermittlung über die Webseite der Abteilung Gleichstellung reicht meines Erachtens nicht aus, um die Botschaft des Denkmals im Bewusstsein der Gesellschaft zu verankern. Die Informationen am Denkmal selber können die Bedeutung dieses Gedenkens nur ansatzweise vermitteln. Zu wünschen ist, dass das Denkmal nicht nur als Kunstwerk und Gebrauchsgegenstand in den universitären Alltag einbezogen wird, sondern dass es auch zum aktiven Träger des formulierten Appells wird.95 Eine regelmässige, ritualisierte Bestätigung und Erneuerung seiner Bedeutung und somit die Manifestierung dieser Botschaft am Denkmal selber wäre die Basis dafür, dass das konkrete Gedenken und Erinnern an die Geschichte von Emilie Kempin-Spyri und der Frauen in dieser Zeit erneuert wird und dass die formulierte Botschaft für die Zukunft bestätigt und weitergegeben wird. So würde eine Instrumentalisierung der Geehrten zum Selbstzweck verhindert und das schöne Objekt nicht nur als Kunstwerk wahrgenommen. Veranstaltungen beim Denkmal oder die vorgesehene temporäre Inszenierung des Denk95 So wie es der Schweizerische Verband der Akademikerinnen der Sektion Zürich der sich mit dem Denkmal auf seiner Webseite darstellt. Vgl. <http://www.akademikerinnen-zh.ch/> [Stand: 19.1.2013]. Oder Akademikerinnen der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, welche Buchvernissagen am Denkmal veranstalten. Vgl. <http://www.gleichstellung.uzh.ch/newsredirect/news/buchvernissagelegalgenderstudies.html/> [Stand: 19.1.2013]. 21 mals an einem anderen Ort entsprächen der Aufforderung von Pipilotti Rist, sich auf dem erreichten auszuruhen, ohne dabei einzuschlafen. 22 7 Quellen Edierte Quellen Entscheid des Bundesgerichts, Urteil vom 29. Januar 1887 in Sachen Emilie Kempin-Spyri, (zitiert als BGE 13 I 1). Neujahrsblatt der Gesellschaft zu Fraumünster auf das Jahr 2010. Viertes Stück, Emilie Kempin Spyri Elisabeth von Wetzikon. Herausgegeben von der Gesellschaft zu Fraumünster in der Edition Gilde Gutenberg, Zürich 2009. Unedierte Quellen UAZ, Archiv der Universität Zürich: Akte AB.1.0518 Kempin (geb. Spyri ) Emilie (1853-1901) RSW / Nr.88 Akte E. 6.1.060 Gedenktafel für Emilie Kempin-Spyri 2009 Akte E. 6.1. 059 Denkmal v. Pipilotti Rist f. Emilie Kempin-Spyri / Enthüllung am 22. Januar 2008 Akte E. 6.1. 058 Ehrung Emilie Kempin-Spyri / Sechseläuten 19.4.2004 / Lectures 20./21.5.2005 Akte AB.1.0518 Kempin (geb.Spyri), Emilie (1853-1901) RSW/Nr. 88 Akte DUG Emilie Kempin 8 Darstellungen Bolliger, Silvia: Liberalität als Grund für die Zulassung von Frauen an die Universität Zürich?, in: Zeitschrift für pädagogische Historiographie 2, 2005, S. 81-87. Chratz & Quer. Sieben Frauenstadtrundgänge in Zürich, Zürich 1995. Delfosse, Marianne: Emilie Kempin-Spyri (1853-1901). Das Wirken der ersten Schweizer Juristin unter besonderer Berücksichtigung ihres Einsatzes für die Rechte der Frau im schweizerischen und deutschen Privatrecht, Diss. Zürich 1994. Einsele, Gabi/ Gratzfeld Rachel: Einleitung, in: Verein Feministische Wissenschaft Schweiz (Hg.): Ebenso neu als kühn. 120 Jahre Frauenstudium an der Universität Zürich, Zürich 1988, S. 9-11. Hasler, Eveline: Die Wachsflügelfrau, Zürich 1991. 23 Hebeisen, Erika: Namenlose Nacktheiten und Heldendenkmäler. Zur Topografie der Geschlechter von Skulpturen in der Stadt Zürich, 1880-1940, in: Monika Imboden/Franziska Meister/Daniel Kurz (Hg.): Stadt-Geschlecht-Raum. Beiträge zur Erforschung urbaner Lebensräume im 19. Und 20. Jahrhundert, Zürich, 2000, S. 67-83. Hobi, Urs: Vom Denkmal zum Mahnmal, in: Das Kunstschaffen in der Schweiz 1848-2006, Bern, Zürich 2006, S. 125-137. Koch, Ursula: Vorwort, in: Chratz & Quer. Sieben Frauenstadtrundgänge in Zürich, Zürich 1995, S. 8. Kreis, Georg: Zeitzeichen für die Ewigkeit. 300 Jahre Schweizerische Denkmaltopographie, Zürich 2008. Reusse, Felix: Das Denkmal an der Grenze seiner Sprachfähigkeit, Stuttgart 1995. Schmid, Hans-Dieter: Denkmäler als Zeugnisse der Geschichtskultur, in: Horn, Sabine/Sauer, Michael (Hg.): Geschichte und Öffentlichkeit: Orte – Medien – Institutionen, Göttingen 2009, S. 51-60. Streiter, Sabina: Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, in: Verein Feministische Wissenschaft Schweiz (Hg.): Ebenso neu als kühn. 120 Jahre Frauenstudium an der Universität Zürich, Zürich 1988, S. 177- 184. Tanner, Jakob: Erinnern/Vergessen, in: Lexikon Geschichtswissenschaft, 2002, S. 77-81. Weigand, Katharina: Denkmäler I - Grundlagen, in: Schreiber, Waltraud (Hg.): Erste Begegnungen mit Geschichte: Grundlagen historischen Lernens. Neuried 2004. S. 455-462. 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Joris, Elisabeth: Gleichstellung, 7.5.2010, in: Historisches Lexikon der Schweiz. <www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D16499.php> [Stand: 16.10.2012]. <http://www.kempin-spyri.uzh.ch/index.html> [Stand: 22.8.2012]. <http://www.kempin-spyri.uzh.ch/index.html> [Stand: 10.10.2012]. <http://www.kempin-spyri.uzh.ch/index.html> [Stand: 16.11.2012]. <http://www.mediadesk.uzh.ch/articles/2008/welche-schoenheit-erhabenheit-und-groesse-diearchaeologische-sammlung-im-zentrum-der-universitaet.html#> [Stand: 4.1.2013]. <http://www.sciencealumni.uzh.ch/Fakultaetstag/Vortrag3/unimagazin-2008-1.pdf> [Stand: 5.1.2013]. <http://www.uzh.ch/news/articles/2008/2452.html > [Stand: 24.7.2012]. <http://www.uzh.ch/news/articles/2008/2452.html > [Stand: 5.1.2013]. 25 9 Anhang I Lebenslauf II Einladungskarte III Reden IV Würdigung der Mitarbeitenden 26 Gleichstellung Chronologischer Lebenslauf PD Dr. Emilie Kempin-Spyri (1853-1901) 1853 Emilie Kempin-Spyri wird am 18. März 1853 in Altstetten geboren, als drittes von acht Kindern von Maria Elise Spyri-Wild und Johann Ludwig Spyri, Pfarrer der reformierten Kirchgemeinde Altstetten. 1875 Am 22. Juni heiratet Emilie Spyri den Theologen Walter Kempin 1876- Emilie Kempin-Spyri bringt drei Kinder zur Welt: Anna Gertrud Elisabetha (31. 1879 Oktober 1876), Robert Walter Ludwig (12. Mai 1878) und Emilie Agnes Elisabetha am 5. Juni 1879. 1885 Emilie Kempin-Spyri besteht die Maturaprüfungen. 1887 Abschluss des Jura-Studiums an der Universität Zürich, am 16. Juli mit der Dissertation «Die Haftung des Verkäufers einer Fremden Sache». 1888 Am 1. Mai bewirbt sich Emilie Kempin-Spyri um eine Stelle als Privatdozentin für römisches Recht an der Universität Zürich. Das Gesuch wird abgelehnt. Emilie Kempin-Spyri wandert im August mit Mann und Kindern nach New York aus. 1889 Emilie Kempin-Spyri gründet in New York die Emily Kempin Law School, eine private Rechtsschule für Frauen, die sie auch selber leitet. Zudem wirkt sie als Dozentin für Gerichtsmedizin am «New York Medical College & Hospital for Women» und amtet als Sekretärin der «New York Medico-Legal Society». 1890 Anstellung an der juristischen Fakultät der Universität der Stadt New York. Daneben unterrichtet Emilie Kempin-Spyri an der «Women's Law Class», einer der Universität räumlich angegliederten Privatschule. 1891 Im Frühjahr Rückkehr nach Zürich, wo Kempin-Spyri ihre Habilitationsschrift fertig stellt und Ende Juni an der Universität Bern einreicht. Im Oktober bewirbt sie sich auch in Zürich ein zweites Mal um die Zulassung als Privatdozentin. An der Universität wird die grundsätzliche Frage der Frauenzulassung wieder diskutiert und beim Erziehungsrat schliesslich die Ablehnung des Gesuches beantragt. Dieser jedoch erteilt Kempin-Spyri am 15. Dezember die venia legendi für römisches, englisches und amerikanisches Recht. Ihr gleichzeitig erfolgtes Gesuch um die Zulassung als Anwältin wird vom Zürcher Kantonsrat abgewiesen. 1891/92 Im Winter erteilt Emilie Kempin-Spyri in Dresden Rechtsunterricht für Laien. 1892 Am 4. März hält Emilie Kempin-Spyri ihre Antrittsvorlesung als Privatdozentin an der Universität Zürich. Künftig hält sie bis zum Sommersemester 1895 wöchentlich zwei bis vier Stunden Vorlesungen. Daneben führt sie ein schweizerisch-amerikanisches Rechtsbüro, in dem auch ihr Mann arbeitet. Im September eröffnet sie in ihrer Wohnung und Praxis eine «Rechtsschule für Laien» und erteilt Nichtjuristen zweimal wöchentlich Rechtsunterricht. Fünf Monate später muss sie den Unterricht wegen Raummangels einstellen. An Weihnachten 1892 erscheint die erste Nummer der von Emilie Kempin-Spyri herausgegebenen Zeitschrift «Frauenrecht». 1893 Emilie Kempin-Spyri gründet am 12. November in Zürich den «Frauenrechtsschutzverein». 1894 Veröffentlichung einer Schrift über die Rechtsstellung der Frau im künftigen Privatrecht der Schweiz. Kempin-Spyri tritt als erste Frau dem «Schweizerischen Juristenverein» bei. 1895 Emilie Kempin-Spyri unterrichtet Handels- und Wechselrecht an der Handelsklasse der Höheren Töchterschule. Sie lässt sich für ein Jahr beurlauben und geht nach Berlin, wo sie sich als Hörerin für Vorlesungen im Familienrecht an der FriedrichWillhelm-Universität einschreibt. Daneben arbeitet sie als Übersetzerin am Amtsgericht und publiziert zahlreiche Artikel und eine selbständige Schrift zur Rechtsstellung der Frau in den Entwürfen zum Bürgerlichen Gesetzbuch. 1896 Kempin-Spyri doziert an der Humboldt-Akademie Privatrecht und Deutsches Seite 1/2 Chronologischer Lebenslauf PD Dr. Emilie Kempin-Spyri 1897 1899 1901 Universität Zürich, Gleichstellung Familienrecht. Sie lässt sich definitiv in Berlin nieder. Bis März setzt Kempin-Spyri ihre Vorlesungen über Deutsches Familienrecht fort. Mitte September wird sie in die Berliner Heil- und Pflegeanstalt «Berolinum» wegen Geisteskrankheit eingewiesen. Am 12. März Verlegung in die «Irrenanstalt Friedmatt» nach Basel Emilie Kempin-Spyri stirbt am 12. April 1901 in Basel. Sie hatte die Anstalt seit ihrer Einlieferung nie mehr verlassen. Quelle: Delfosse, Marianne: Emilie Kempin-Spyri (1853-1901). Das Wirken der ersten Schweizer Juristin. Jur. Diss. Zürich 1994. Seite 2/2 Kontakt Veranstalter: UniFrauenstelle – Gleichstellung von Frau und Mann, Voltastrasse 59, 8044 Zürich, weitere Informationen: www.kempin-spyri.uzh.ch Gestaltung: Frank Brüderli, www.bruederli-fotograf.ch Illustration: Atelier Rist Sisters Dienstag, 22. Januar 2008, 17.15 Uhr Universität Zürich Zentrum Emilie Kempin-Spyri (1853-1901) Späte Ehrung – heutiges Gedenken Die Nichte von «Heidi»-Johanna Spyri begann mit 32 Jahren als Mutter dreier Kinder an der Universität Zürich als erste Schweizerin ein Jura-Studium und promovierte 1887 als erste Schweizer Juristin. Die Verweigerung des Anwaltspatents als auch einer Anstellung als Privatdozentin aufgrund ihres Geschlechts zwang sie, mit ihrer Familie nach New York auszuwandern, wo sie eine Rechtsschule für Frauen gründete und die Zulassung von Frauen zum Rechtsstudium und zur Advokatur bewirkte. 1891 aus familiären Gründen zurück in der Schweiz, wurde sie als erste Privatdozentin an der Universität Zürich zugelassen. Daneben war sie als selbstständige Rechtsberaterin tätig, erteilte Rechtsunterricht für Laien Emilie KempinSpyri, 1885 (1853-1901) und verfasste zahlreiche Aufsätze und Schriften. Zudem gründete sie die Zeitschrift «Frauenrecht» und den «Frauenrechtsschutzverein». In ihrer zehnjährigen Schaffenszeit setzte sie sich wissenschaftlich und rechtspolitisch kritisch mit der Emanzipationsfrage auseinander und betrachtete die Stellung der Frau als gesellschaftlichen Notstand. 1898 erfolgte die massgeblich von Kempin-Spyri erkämpfte Öffnung der Advokatur für Zürcher Frauen, von der sie selber – zeitlebens finanziell arg bedrängt – nicht mehr profitieren konnte. Sie starb einsam und verarmt in der damaligen Basler Irrenanstalt Friedmatt. Mit der Veröffentlichung des Romans «Die Wachsflügelfrau» von Eveline Hasler 1991 fand die Geschichte Emilie Kempin-Spyris zu neuer Aktualität. 1994 erschien die erste wissenschaftliche Untersuchung von Marianne Delfosse als juristische Dissertation. Ihre Leistungen im Kampf für die Rechte der Frau wurden 2004 von der Gesellschaft zu Fraumünster an der Universität Zürich geehrt. PD Dr. Emilie Kempin-Spyri Das Denkmal besteht aus einer überdimensionierten Chaiselongue und einem überdimensionierten Schemel mit einem voll Symbolen geschnitzten Fussteil und einem mit Emilie KempinSpyris Titel, Namen und Lebenslauf silbrig bestickten edelblauen Polsterbezug. Die Chaiselongue dient allen Nutzerinnen und Nutzern der Universität zum Ausruhen, Reflektieren und Träumen. Die Skulptur nimmt auf verschiedenen Ebenen Bezug zu Leben und Wirken der zu Ehrenden. Das Bestiegen-werden-dürfen symbolisiert die Vorreiterarbeit von Kempin-Spyri, auf welcher die nächsten Generationen aufbauen und ausruhen konnten und können. Die Benutzerinnen und Benutzer wirken klein und empfinden sich selbst als Kinder – so muss sich Kempin-Spyri durch die verschiedenen Ablehnungen behandelt gefühlt haben. Die passiven Komponenten des Objektes werden durch die übertriebene Grösse aufgehoben. Der Chaiselongue im Massstab 2:1 Pipilotti Rist wurde 1962 in Grabs SG geboren. Ihr umfangreiches Werk aus Video, Fotografie oder audiovisuellen Rauminstallationen ist in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen weltweit zu sehen. 2002/2003 wurde Rist als Gastprofessorin an die University of California nach Los Angeles berufen; die Universität der Künste Berlin ehrte sie mit einer Honorarprofessur. Sie lebt in Zürich und sieht die Aufgabe der Kunst darin, «zur Evolution beizutragen, den Geist zu ermutigen, einen distanzierten Blick auf soziale Veränderungen zu garantieren, positive Energien zu beschwören, die Sinne und die Sinnlichkeit zu fördern, den Verstand und den Instinkt zu versöhnen, Möglichkeiten auszuloten und Klischees und Vorurteile zu zerstören.» Pipilotti Rist Massstab 2:1 bedeutet doppelte Länge-Breite-Höhe, vierfache Fläche, achtfaches Volumen und spiegelt Kempin-Spyris historische monumentale Bedeutung. Rists Gedanken zum Denkmal Prof. Dr. Beatrice Weber-Dürler Professorin für Staats- und Verwaltungsrecht Auf dem Rechtsweg zur Gleichberechtigung – vom Fall Kempin bis heute Dr. Barbara Haering Universitätsrätin Emilie Kempin-Spyri besucht Zürich im Januar 2008 Prof. Dr. Brigitte Woggon Präsidentin der Gleichstellungskommission der Universität Zürich Grusswort 18.00 Uhr 18.30 Uhr 18.45 Uhr 19.00 Uhr Prof. Dr. Jakob Tanner Professor für Geschichte der Neuzeit Frauen unter Diskriminierungsdruck: Karrierebrüche im Leben von Emilie Kempin-Spyri 17.30 Uhr Anschliessend Apéro Lichthof Prof. Dr. Hans Weder und Pipilotti Rist Enthüllung des Denkmals Pipilotti Rist Künstlerin Gedanken zum Denkmal Prof. Dr. Hans Weder Rektor der Universität Zürich Begrüssung und Einführung 17.15 Uhr Aula, Universität Zürich Zentrum, Rämistr. 71 Dienstag, 22. Januar 2008 Mit einem Denkmal von Pipilotti Rist ehrt die Universität Zürich Emilie Kempin-Spyri als erste Schweizerin, die als Juristin promovierte und habilitierte, als erste Privatdozentin der Universität Zürich und als Pionierin für die Gleichberechtigung der Frau. bürgerlichen Gesellschaft, wie sie sich im 19. Jahrhundert verfestigte, zu tun. Emilie Kempin-Spyris Leben lässt sich als eine Geschichte institutioneller Diskriminierung und daraus resultierender Karrierebrüche erzählen. Es ist auch ein historisches Lehrstück, das die Funktionsweise einer patriarchalischen Gesellschaft aufzeigt. und Frau seit dem Ende des 19. Jahrhunderts anhand von ausgewählten Bundesgerichtsentscheiden. Besondere Aufmerksamkeit gilt der Frage, weshalb der Rechtsweg zur Gleichberechtigung so langwierig und zermürbend war. Emilie Kempin-Spyri besucht die Stadt Zürich und ihre Universität im Januar 2008. Sie freut sich über die vielen Jusstudentinnen und wundert sich über den immer noch kleinen Anteil Professorinnen. Mit Befriedigung stellt sie fest, dass die Frauen in der Politik annähernd gleiche Chancen haben wie die Männer; zumindest wenn sie in den Parteien der Mitte Referat von Dr. Barbara Haering und der Linken politisieren. Auch die Fähigkeit, moralisch-ethische Entscheide eigenverantwortlich zu fällen, wird ihnen heute zugestanden. Dies hat insbesondere das klare Ja der Stimmbevölkerung zur Fristenregelung gezeigt. Nur: An den Schalthebeln der Wirtschaft sitzen noch immer überwiegend Männer. Emilie Kempin-Spyri besucht Zürich im Januar 2008 Der Kampf um die Gleichberechtigung der Frau spielte sich nicht nur auf der politischen Ebene ab, sondern wurde auch vor den Gerichten geführt. Dabei übernahm Emilie Kempin-Spyri die Rolle einer Pionierin. Beatrice WeberDürler schildert die Entwicklung der Gleichberechtigung von Mann Auf dem Rechtsweg zur Gleichberechtigung – vom Fall Kempin bis heute Referat von Prof. Dr. Beatrice Weber-Dürler Als 1848 der moderne Bundesstaat gegründet wurde, zählte die Schweiz zur Avantgarde des Liberalismus und der demokratischen Partizipation in Europa. Der demokratische Frühstarter sank bei der Einführung des Frauenstimmrechts jedoch zur tristen Arrièregarde ab. Diese Blockierung hat mit der Geschlechterordnung der Frauen unter Diskriminierungsdruck: Karrierebrüche im Leben von Emilie Kempin-Spyri Referat von Prof. Dr. Jakob Tanner Gleichstellung Begrüssung durch Prof. Dr. Hans Weder, Rektor Feier zur Ehrung von Emilie Kempin-Spyri, 22. Januar 2008 Sehr geehrte Frau Regierungsrätin Sehr geehrte Frau Rist Liebe Kolleginnen und Kollegen Sehr geehrte Damen und Herren Die Universität Zürich feiert in diesem Jahr ihr 175-jähriges Bestehen. Sie blickt auf eine Vergangenheit zurück, die zu einem guten Teil den Stoff für eine Erfolgsgeschichte liefert. Es ist aber auch eine Geschichte, die uns Heutige bisweilen nachdenklich stimmen kann. Wenn wir uns in die Biografien von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vertiefen, so wird uns die Ambivalenz bewusst, welche sich einstellt, wenn wir uns an Vergangenes erinnern. Mit dem Staunen über die Leistungen der Vorfahren verbindet sich manchmal ein Befremden über frühere gesellschaftliche Rahmenbedingungen der Wissenschaft. Wir sind befremdet, wie beschränkt bisweilen die individuelle Entfaltung war und wie gängig manche Verhaltensweisen waren, die heute nicht mehr akzeptiert würden. Wir sind heute hier, um Emilie Kempin-Spyri zu ehren, die erste Privatdozentin der Universität Zürich, eine profilierte Vorkämpferin für die Gleichberechtigung der Frauen und gleichzeitig eine an den sozialen Konventionen ihrer Zeit Zerbrochene. Im Namen der Universitätsleitung möchte ich Sie alle ganz herzlich zu dieser Feier begrüssen. Den Höhepunkt der Veranstaltung wird um 19 Uhr die Enthüllung des Kempin-Spyri-Denkmals von Frau Pipilotti Rist unten im Lichthof darstellen. Wir sind stolz darauf, dass diese bedeutende Künstlerin der Gegenwart bereit war, ihr Können unserer Universität zur Verfügung zu stellen. Apropos Ambivalenz der historischen Erinnerung: Das Leben von Emilie Kempin- Spyri ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, kann es doch in zwei ganz unterschiedlichen Geschichten erzählt werden. Die erste Geschichte handelt von der individuellen Lebenswelt. Es ist die Geschichte einer talentierten jungen Frau, die es trotz den merkwürdig gegenteiligen Ermahnungen ihres Vaters wagt, ihren Verstand zu gebrauchen und ihren wissenschaftlichen Neigungen nachzugehen. Wir begegnen einer jungen Frau, die sich 1885 voller Elan an der staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich immatrikuliert und hier bereits 1887 als erste Schweizerin überhaupt promoviert wird. Es ist sodann die Geschichte einer Frau, deren Elan in der männlich dominierten Wissenschaft langsam aufgerieben wird, die vom Senat der Universität Zürich als Dozentin wiederholt zurückgewiesen wird, weil sie eine Frau ist. Zwar wird ihr auf Befehl der politischen Behörde später die venia legendi erteilt, doch gelingt es ihr nicht, eine erfolgreiche akademische Karriere zu starten. Zu gross sind die Widerstände gegen eine weibliche Lehrperson an der Universität. Vollends tragische Züge erhält diese erste Geschichte, als die Ehe von Emilie Kempin-Spyri an den Folgen ihrer unkonventionellen Laufbahn zerbricht, als sie wegen eines kranken Sohnes ihre Hoffnungen auf eine Karriere in Amerika begräbt und überdies feststellen muss, dass auch die nachfolgende Generation der Frauenbewegung ihre Denkweise kaum mehr versteht. Diese Geschichte endet mit der Erschöpfung der Emilie Kempin-Spyri, die 1901, mit erst 48 Jahren, in einer Klinik in Basel stirbt. Seite 1/2 Begrüssung durch Prof. Dr. Hans Weder, Rektor/SK 22.01.2008 Begrüssung durch Prof. Dr. Hans Weder, Rektor Feier zur Ehrung von Emilie Kempin-Spyri, 22. Januar 2008 Universität Zürich, Gleichstellung Es gibt aber auch eine andere, zweite Geschichte. Sie thematisiert eher den Kontext von Emilie Kempin-Spyris Leben, den gesellschaftlichen Wandel jener Jahre, die Anzeichen einer besseren Zeit. Diese Geschichte handelt etwa von den jungen Russinnen, denen in ihrer Heimat der Zugang zur universitären Bildung bis ins 20. Jahrhundert hinein verwehrt blieb. Seit den 1860er Jahren kamen sie an die als fortschrittlich bekannte Universität Zürich und absolvierten hier meist ein medizinisches Studium. Eine frühe Protagonistin dieser Geschichte ist die Russin Nadjeshda Suslova, die 1867 an der medizinischen Fakultät der Universität Zürich immatrikuliert und noch im gleichen Jahr promoviert wurde; es war nota bene der erste Doktortitel, den eine Frau im deutschsprachigen Raum erhielt. Im Juni 1873 verbot Zar Alexander II. faktisch seinen weiblichen Untertanen das Studium in Zürich, weil er ihre Kontakte mit den hiesigen revolutionären Emigranten fürchtete. Da setzten sich sowohl die Zürcher Kantons- wie auch die Bundesbehörden gegen diese empörende neue Regelung des Zarenregimes ein – freilich erfolglos. Eine nächste markante Protagonistin unserer zweiten Geschichte ist eben Emilie Kempin- Spyri. Zwar begegnete sie mit ihrem Wunsch, Dozentin zu werden, erheblichen Widerständen im Senat. Die politische Behörde aber entschied zu ihren Gunsten, so dass sie 1891 die erste Privatdozentin der Universität Zürich und überhaupt die erste Privatdozentin im deutschsprachigen Raum wurde. Diese Aufbruchs- und Pioniergeschichte hat eigentlich kein Ende; sie schreitet kontinuierlich den Meilensteinen des bildungspolitischen Fortschritts entlang, wobei dieser zweite Blick auf Leben und Wirken von Emilie Kempin-Spyri zu den ermutigenden Wegmarken dieser Entwicklung gehört. Mit ihrer Entschlossenheit, ihrem inneren Feuer für die Sache der Wissenschaft und ihrem Gerechtigkeitssinn war Emilie Kempin-Spyri eine Wegbereiterin unseres modernen, liberalen Universitätsbetriebs. Beide Geschichten – das traurige persönliche Schicksal und der hoffnungsvolle soziale Wandel – gehören als Elemente einer ambivalenten Erinnerung zusammen, beide haben ihre Berechtigung, und an beiden Geschichten hat die Universität Zürich ihren Anteil. Mit dem heutigen Festakt bekennen wir uns dazu. Wir sind einerseits stolz darauf, dass unser Haus zu jenen Bildungsstätten gehört, die ihre Tore für die Frauen relativ früh öffnete. Gleichzeitig sind wir betroffen von der Tatsache, dass es Persönlichkeiten wie Emilie Kempin-Spyri nicht möglich war, ihr Talent ungehindert zu entfalten. Die heutige Ehrung ist für mich ein Anlass zur Nachdenklichkeit: Es kostet wenig, die Fehler der Väter zu kritisieren. Es kostet sehr viel mehr, eigene Fehler einzugestehen und damit leben zu müssen, dass nicht alle vermieden werden können. Am meisten gäbe ich darum, heute zu wissen, welche Fehler uns unsere Nachfahren morgen vorwerfen werden. Jede Generation muss damit rechnen, blinde Flecke zu haben. Das stimmt nachdenklich – und mahnt zu Bescheidenheit. Bevor ich das Wort weitergebe – unter anderem an Frau Professorin Weber-Dürler, die nach Emilie Kempin-Spyri die zweite Privatdozentin an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich war, möchte ich danken. Ich danke all jenen, die dazu beigetragen haben, diese späte Ehrung von Emilie Kempin-Spyri zu realisieren, Hans Caspar von der Crone, der das Projekt führte, und ganz besonders dem Organisationskomitee, bestehend aus Professor Marcel Senn (RWF), Stefanie Kaiser (Prorektorat RWW) sowie Elisabeth Maurer und Angela Zimmermann (UniFrauenstelle). Ein besonderer Dank geht an Frau Pipilotti Rist, die sich vom Leben der Emilie Kempin-Spyri künstlerisch inspirieren liess. Entstanden ist dabei ein Erinnerungsort – Sie werden das gleich sehen –, dessen Botschaft ganz bestimmt kein toter Buchstabe bleiben wird, sondern den Geist der Geehrten vergegenwärtigt und die Lebendigkeit unseres Hauses bereichert. Seite 2/2 Begrüssung durch Prof. Dr. Hans Weder, Rektor/SK 22.01.2008 Gleichstellung Frauen unter Diskriminierungsdruck Karrierebrüche im Leben von Emilie KempinSpyri Veranstaltung von Dienstag, 22. Januar 2008 «Späte Ehrung – heutiges Gedenken. Emilie Kempin-Spyri (1853 – 1901)» Erste Privatdozentin der Universität Zürich und Pionierin für die Gleichberechtigung der Frau Vortrag von Jakob Tanner, Universität Zürich Meine Damen und Herren Ich begrüsse Sie ebenfalls zu dieser Veranstaltung, die sich jetzt gewissermassen noch an einem anderen Ort befindet, weil das camouflierte Objekt der Ehrung, das heute enthüllt werden wird, zwei Stockwerke unter uns im Lichthof steht, vorerst einsam auf unser Erscheinen wartend. Der Prospekt der Einladung gab allerdings bereits einen Blick frei auf das, was wir zu erwarten haben. Kunstwerke sind polysemische und multifunktionale Manifestationen; Pipilotti Rist, wird ihre künstlerische Materialisierung heute aus ihrer persönlichen Sicht kommentieren. Aus dem Blick des Historikers drängt es sich allerdings auf, die überdimensionierte Chaiselonge als Requisit der Psychoanalyse zu deuten und sie mit einer „Wiederkehr des Verdrängten“ in Verbindung zu bringen. Die kleine Schweiz ist ja ein grosser Meister der kollektiven Amnesie. Was ihre eigene Geschichte betrifft, so vergisst sie sehr gern und verdrängt noch lieber. So konnte sie denn lange Zeit auf eine wunderbar begradigte Entwicklung zurückblicken. Diese Vergangenheitsverdrängung fördert eine Feel-Good- Schweiz, der das Sensorium für die Problemseiten der eigenen Vergangenheit, für die Verwerfungen, Verdrängungen und Fälschungen der Nationalgeschichte abhanden kam. Der kritische Impetus neuer Forschungsansätze – der Sozial-, der Kultur- und nicht zuletzt der Geschlechtergeschichte – hat in den vergangenen Jahrzehnten ein anderes, ein widersprüchlicheres Geschichtsbild nahe gelegt. Die Schweiz wird nicht mehr als eine Antwort auf alle möglichen Problemlagen der modernen Lebens und der internationalen Politik, sondern eher als eine Frage betrachtet. Anstatt eine Tradition der nationalen Identität im Zeichen eines „Sonderfalls“ zu verteidigen, die es schon früher nie gegeben hat, wird versucht, die Erfindung schweizerischer Identitätskonzepte und die damit einhergehende Konstruktion von nationalen Souveränitätsvorstellungen zu untersuchen. Aus der Sicht des Historikers drängt es sich also auf, in der blau-silbernen Couch ein Symbol für die Notwendigkeit einer nationalen Anamnese zu sehen. Das heisst: virtuelles Liegen auf dieser Chaiselonge könnte uns in die Lage versetzen, eine vielfach gebrochene und konfliktdurchwirkte Geschichte der Confoederatio Helvetica aufscheinen zu lassen, in deren Katarakten nicht wenige Menschen, unter ihnen auch Emilie Kempin-Spyri verschwunden sind. Sie lebte von 1853 bis 1901 und hatte in den 1880er Jahren ungefähr das efordert, was erst hundert Jahre später, 1981, mit dem „Gleichstellungsartikel“, (Absatz 2 von Artikel 4 der bis 1999 gültigen Bundesverfassung von 1874) beschlossen wurde, der mit dem denkwürdigen Satz beginnt: "Mann und Frau sind gleichberechtigt.“ Auch wenn die aus dieser Gleichberechtigung abgeleitete Seite 1/7 Frauen unter Diskriminierungsdruck/SK 22..01.2008 Frauen unter Diskriminierungsdruck Karrierebrüche im Leben von Emilie Kempin-Spyri Vortrag von Jakob Tanner, Universität Zürich Universität Zürich, Gleichstellung Gleichstellung der Geschlechter heute keineswegs in allen Bereichen der Gesellschaft verwirklicht ist, gilt es doch zu sehen, dass dies ein wichtiger Durchbruch war. Denn der bürgerlichen Gesellschaft, wie sie sich im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert formierte, galt Gleichstellung nämlich nicht einmal als Grundsatz. Punkto Frauendiskriminierung war die Confoederatio Helvetica ein ganz durchschnittlicher Fall; und noch bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein hat sich die Männerdemokratie dann als besonders resistent gegen elementare politische Frauenrechte erwiesen. Zu Zeiten Emilie Kempin-Spyris waren Frauen qua „weiblicher Sonderanthropologie“ aus der Politik und den meisten „höheren“ Berufsfeldern ausgeschlossen und auch sonst wurde ein ganzes Dispositiv von Diskriminierungen gegen sie errichtet. Dies äusserte sich in einem substanziellen Lohngefälle – Frauen verdienten so wenig, dass Männer grosse Konkurrenzängste vor ihnen haben mussten. Dies zeigte sich aber auch in gut gemeinten Sonderbestimmungen, z.B. im Eidgenössischen Fabrikgesetz, die Frauen die Nacht- und Sonntagsarbeit verboten. Mit der „Ausklammerung“ aus der Politik, aus vielen Institutionen und Berufsfeldern korrespondierte – wie die Historikern Beatrix Mesmer formuliert – eine „Einklammerung“ der Frauen in eine paternalistische Familienkonzeption. Erst 1881 war auf Bundesebene die obligatorische Geschlechtervormundschaft, also die männliche „Bevogtung“ für alle ledigen, verwitweten oder geschiedenen Frauen aufgehoben worden; in der Ehe blieb aber der Mann nach wie vor der Vormund und Professor Eugen Huber, der „Vater“ des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, das international grosse Beachtung fand, erklärte 1893, in der Entwurfsphase dieser grossen Rechtsvereinheitlichung, dies sei auch richtig so. Denn erstens seien Frauen ganz allgemein „gesch.ftsuntüchtig“ zweitens könnten sie „Recht nicht unterscheiden von Unrecht“ (Wecker 1995:87). Da bedurfte es dann eines starken männlichen Oberhauptes, das nicht nur für Recht & Ordnung sorgte, sondern auch die familiären Ressourcen, insbesondere die Vermögensverhältnisse dominierte. Derselben Grundhaltung waren alle wichtigen Institutionen verpflichtet. Auch die Alma mater. Die Leitung der Universität Zürich argumentierte damals, Dozentinnen seien eine „Demütigung“ für die Studentenschaft und überhaupt könnten Frauen eine universitäre Lehrtätigkeit deswegen nicht wahrnehmen, weil sie dann ja solch heiklen Gebiete wie z.B. bei den Juristen das Sexualstrafrecht oder bei den Medizinern die Anatomie unterrichten müssten, was wohl doch als flagranter Verstoss gegen die „weibliche Würde“ gewertet werden müsste. Einen Rückblick auf diese schwierige Geschichte des Kampfs der Frauen um Gleichberechtigung, um Emanzipation, wird gleich nach meinem Vortrag Frau Prof. Dr. Beatrice Weber-Dürler werfen – ich möchte im Folgenden auf die Protagonistin der heutigen Veranstaltung, auf Emilie Kempin-Spyri, eingehen. Legen wir uns also virtuell auf die Chaiselonge der Geschichte, lassen wir uns in den „fremden Kontinent der Vergangenheit“ befördern - - - - - so können wir uns, im Jahre 1880, eine junge, attraktive 27-jährige Frau vorstellen. Sie ist verheiratet, hat drei Kinder, ein Mädchen, eine Bub, dann nochmals ein Mädchen. Ihr Mann, der Theologe Walter Kempin, steuert allerdings gerade auf eine berufliche Krise zu, die rasch akut werden und die er zeit seines Lebens nicht mehr überwinden wird. Er verliert seine Pfarrerstelle in der Enge bei Zürich, wohl auch deswegen, weil er die tonangebenden Zürcher Freisinnigen mit seinen radialen sozialpolitischen Ideen verschreckt und weil er nicht zum strammen Mainstream-Typus von Mann gehört, sondern die emanzipatorischen Ideen seiner Frau unterstützt, was im sozialmoralischen Milieu der Limmatstadt durchaus rufschädigend ist. Deshalb wird er, als die beiden 1875 heiraten, von Emilies Vater, dem Manchester-Liberalen Johann-Ludwig Spyri als „schlechte Partie“ für seine Lieblingstochter schroff abgelehnt. Patriarch Spyri hält vom künftigen Schwiegersohn so wenig, dass Seite 2/7 Frauen unter Diskriminierungsdruck/SK 22..01.2008 Frauen unter Diskriminierungsdruck Karrierebrüche im Leben von Emilie Kempin-Spyri Vortrag von Jakob Tanner, Universität Zürich Universität Zürich, Gleichstellung er seiner Tochter, die ihren eigenen Weg geht, die Mitgift verweigert. Das aufwärtsorientierte Selbstbewusstsein des Vater hängt wohl auch damit zusammen, dass er im selben Jahr, in dem Emilie heiratet, gerade nochmals einen beachtlichen beruflichen Karrieresprung macht; er wechselt nämlich vom Pfarramt auf den Posten eines Chefstatistikers der Nordostbahn und kann dort seine in langer gemeinnütziger Arbeit erworbenen statistischen Kenntnisse umsetzen. 1880, als es in der Familie Kempin-Spyri zu kriseln beginnt, prosperiert das verwandtschaftliche Umfeld insgesamt. Johanna Spyri, die berühmte Tante von Emilie Kempin-Spyri, veröffentlicht gerade die legendären Heidi-Geschichten, ab 1881 unter ihrem eigenen Namen, und steigt zu einer literarischbildungsbürgerlichen Instanz nicht nur Zürichs, sondern der ganzen Schweiz auf. Dieser Erfolg rundherum erhöht den Druck auf die Kempin-Spyri-Familie, die sich im ökonomischen Sinkflug befindet. Emilie Kempin-Spyri realisiert in dieser Situation, dass für eine Frau wenige Optionen offen sind, wenn das traditionelle Modell einer gutbürgerlichen Familie mit einer tüchtig-treuen Ehefrau und einem beruflich etablierten Pater familias nicht mehr funktioniert. Die junge Mutter muss nun einsehen, dass sie von ihrem Bildungshintergrund her massiv handicapiert ist. Sie sucht angesichts dieser Unbill nach Mitteln und Wegen, die sich abzeichnende soziale Misere abzuwenden. Der familiäre Hintergrund und ihre intellektuellen Ambitionen verbieten es ihr, sich irgendeiner dienenden Betätigung zuzuwenden. Sie will lernen, sich ausbilden, sie beginnt sich, tatkräftig unterstützt von ihrem Mann, auf die Matura vorzubereiten und besucht an der Universität, wo Frauen damals noch als Raritäten gelten, probehalber Vorlesungen. Sie entscheidet sich für Jurisprudenz und beginnt an der rechtswissenschaftlichen Fakultät zu studieren. Das Studium verläuft problemlos. Doch das, was sie mit dieser ganzen persönlichen Bildungsanstrengung anstrebt, nämlich der Einstieg in das Berufsleben, mit dem Ziel, die Familie zu ernähren, erweist sich als schwierig, als demoralisierend, als ein Parcours von Schikanen. Der anstrebte Zugang zum Anwaltsberuf bleibt Emilie Kempin-Spyri – höchstrichterlich sanktioniert – verwehrt. Das von ihr umgehend angerufene Bundesgericht weist die These, der Gleichheitsartikel 4 der schweizerischen Bundesverfassung beziehe sich nicht nur auf Männer, sondern auf Menschen, also auch auf Frauen zurück. Eine solche Vorstellung sei, so das Schweizerische Bundesgericht wörtlich, „ebenso neu wie kühn“ und könne nicht akzeptiert werden. Für Emilie Kempin-Spyri kommt das nicht nur eine brutale Zerstörung beruflicher Träume gleich; nun droht ihr und der Familie materielles Prekariat. So arbeitet sie umso entschlossener auf den Abschluss des Studiums hin, mit der Hoffnung, es würde ihr gelingen, sich eine Position an der Universität aufzubauen. 1887 reicht sie die Dissertation zum Thema „Die Haftung des Verkäufers einer fremden Sache“ ein, die sie ihren beiden Lehrern und Förderern, den Professoren Albert Schneider und Aloyis von Orelli widmet. Dass sie sich dieses, wie sie selber empfindet, weniger anspruchsvolle Thema ausgesucht hat, hängt mit dem notorischen Zwang zur Ökonomisierung, dem sie und ihre Familie ausgesetzt ist, zusammen. Die Arbeit ist indessen durchaus bemerkenswert, zitiert die Autorin doch etwa das Bulletin der „Geographical American Society“, um auf einige Züge der Rechtskultur daghestanischer Bergbauern hinzuweisen, dies in der Absicht, die Universalität von Rechtsnormen herauszuarbeiten und die Jurisprudenz auf „kosmopolitischen Begriffen“ aufzubauen. Diese egalitäre Konzeption verband Emilie Kempin-Spyri mit interessanten Überlegungen zur Geschlechterdifferenz und zur Familienökonomie. Später, 1894, wird sie in einer Schrift zur Stellung der „Ehefrau im künftigen Privatrecht der Schweiz“ – ihre eigene Erfahrung reflektierend – schreiben: Seite 3/7 Frauen unter Diskriminierungsdruck/SK 22..01.2008 Frauen unter Diskriminierungsdruck Karrierebrüche im Leben von Emilie Kempin-Spyri Vortrag von Jakob Tanner, Universität Zürich Universität Zürich, Gleichstellung „Ich halte das Princip, die Ehefrau in ihrer Handlungsfähigkeit zu beschränken, für das allerverkehrteste, das es geben kann. Es erhält die Frau in einer für ihre ganze Entwicklung schädlichen Unselbständigkeit“. (4) Mit Blick auf den Fall, dass aufgrund von Tod oder Versagen der „Familienernährer“ ausfällt, fügt sie bei: „Da redet man über die Schwachheit der Frau, die, ihr Leben lang vom Willen ihres Mannes abhängig (ist) (…) und da wundert man sich, dass solche Frauen oft ganz unfähig sind, die Sorge für die Weiterexistenz der Familie auf ihre Schultern zu nehmen.“ (5) So wichtig Kempin-Spyri das Anliegen für die Aufwertung der Frau in der ehelichen Gemeinschaft erachtete, so sehr war ihr aber auch daran gelegen, die Haus- und Familienarbeit angemessen zu bewerten. So schreibt sie: „Es ist ein grossser Irrtum, wenn man die haushälterische Tätigkeit der Frau nichts wertet. Sie ist unter Umständen gewinnbringender, als wenn die Frau ausser dem Hause arbeitet, jedenfalls ist sie der produktiven Arbeit der Berufs- und Handelsfrau äquivalent.“ (18) Aus ihrer Sicht geht es darum, dass die Frau selber entscheiden kann, was sie vorzieht, was ihren „Anlagen und Neigungen (…) besser entspricht“. (19) Indem sie forderte, es sei auch ein „ökonomischer Wertmesser“ an die „Arbeit der Hausfrau“ zu legen, vertritt sie im ausgehenden 19. Jahrhundert eine Position, die heute wiederum politisch kontrovers behandelt wird. Sie wäre – so liesse sich mit Bezug auf eine aktuelle Diskussion feststellen – durchaus erfreut gewesen, dass die Frankfurter Sprachexperten das despektierliche Schlagwort „Herdprämie“ zum „Unwort des Jahres 2007“ erklärt und damit klar gemacht haben, dass die Diskussion um eine angemessene finanzielle Remuneration von Haushaltsarbeit und Kindererziehung noch längst nicht vom Tisch ist. Doch zurück an die Universität und ins Jahr 1887. Die wenigen Frauen, die sich den Zugang zum Studium erkämpft hatten, mussten sich dafür zu rechtfertigen. Und es galt, wie gesagt, als Selbstverständlichkeit, dass nur Männer unterrichten konnten. Als Emilie Kempin-Spyri den Antrag auf Erteilung einer Privatdozentur für römisches Recht stellte – bei dessen Annahme sie die erste Privatdozentin an der Universität geworden wäre – sagten zwar einige für damalige Verhältnisse fortschrittlich eingestellte Rechtsprofessoren, dass „dem kein gesetzliches Hindernis entgegensteht“ (SVA1928:311). Man hatte ja bei der Formulierung eines entsprechenden Gesetzesparagraphen in keiner Weise an Frauen gedacht, so dass man nun auch argumentieren konnte, diese seien nicht vorsätzlich oder prinzipiell ausgeschlossen. Die Mehrheit vermochte sich aber mit einer solchen flexiblen Interpretation nicht anzufreunden. In der juristischen Fakultät hielt es ein Professor „nicht für wünschenswert, dass eine Frau Privatdocent werde“. (SVA1928:311). Die Frage wurde ins Grundsätzliche gewendet und an den Senat der Universität weitergereicht. Der zuständige Senatsausschuss gelangte umstandslos zum doppelten Schluss – ich zitiere aus dem Protokoll vom 29. Mai 1888: „1. lasse das Unterrichtsgesetz weibliche Privatdozenten nicht zu und dieselbe sei 2. nicht opportun.“ (313) Emilie Kempin-Spyri hatte also keine Chance. Was konnte sie tun, unter diesen Umständen? Der amerikanische Ökonom Albert O. Hirschman hat vorgeschlagen, das Verhalten von Akteuren in schwierigen Situationen oder gegenüber Einrichtungen, mit denen sie nicht zufrieden sind, mittels der drei Kategorien Exit, Voice und Loyality zu analysieren. Hirschman bezog diese begriffliche Trias vor allem auf Organisationen, die sich – bezogen auf die Bedürfnisse ihrer Mitglieder – im Niedergang befinden. Sie lässt sich aber auch auf Konstellationen beziehen, in denen neue Akteursgruppen mit neuen Ansprüchen und Forderungen auftauchen, wie dies mit der Frauenbewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts der Fall war. Exit bedeutet den Austritt aus einer Organisation oder das Sich-Abwenden von einer Gruppe, was in vielen Fällen gleichbedeutend mit Emigration ist. Oft erwies sich das als die einfachste Option. Die Schweiz war während Jahrhunderten und noch bis kurz Seite 4/7 Frauen unter Diskriminierungsdruck/SK 22..01.2008 Frauen unter Diskriminierungsdruck Karrierebrüche im Leben von Emilie Kempin-Spyri Vortrag von Jakob Tanner, Universität Zürich Universität Zürich, Gleichstellung vor 1900 ein Auswanderungsland. Viele, die hierzulande keine Zukunft mehr für sich sahen, beschlossen, wegzugehen. Loyalit.tsgefühle können allerdings ein stummes „Türmen“ schwierig machen. In diesen Fällen ist dann Voice, d.h. explizite Kritik, verbaler oder praktischer Protest, angesagt. Im Falle von Emilie Kempin-Spyri lässt sich – unter Verwendung dieser Kategorien – sagen, dass sie eine starke Loyalität gegenüber ihrer Familie empfand und dass sie auch dem Staatswesen, in dem sie lebte, verpflichtet war. Sie erkannte, dass es im schweizerischen Bundesstaat institutionelle Kanäle und Ausdrucksmöglichkeiten für Änderungsbegehren, für Voice gibt. Die staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht, mit der Kempin-Spyri auf die Weigerung, sie als Anwältin zu akzeptieren, regierte, zeugt durchaus von einer Identifikation mit einer Verfassung, welche die grundsätzliche Gleichheit der Bürger stipuliert. Wenn man mit grosser Selbstverständlichkeit Geschäfts- und Handelsfrauen besteuerte, wieso sollte man dann Frauen in bestimmten andern Bereichen willkürlich diskriminieren können? Emilie Kempin-Spyri war der logisch leicht nachvollziehbaren Meinung, dass „Bürger“ nach dem Inklusionsprinzip auch die Frauen meinen müsste. Die Behörden legten sich allerdings auf eine malevolente, nämlich den Ausschluss der Frauen und damit deren Diskriminierung verstetigende Interpretation fest. Als sich dieses Spiel dann 1888 an der Universität beim Versuch, einen Privatdozentenstatus zu erhalten, wiederholte, schwenkte Emilie Kempin-Spyri auf eine Exit-Strategie ein. Noch im selben Jahr wanderte die ganze Familie nach New York aus; in den USA schien am besten Gewähr geboten, dass die Kempins intellektuell und finanziell auf einen „grünen Zweig“ kommen könnten. Nun war Amerika zu dieser Zeit alles andere als ein Dorado für Frauenrechte, das Land der „ungeahnten Möglichkeiten“ bot allerdings initiativen und innovativen Persönlichkeiten, als die man Emily Kempin-Spyri charakterisieren kann, erhebliche Spielräume. Es ist erstaunlich, wie erfolgreich unsere Protagonistin, die ihren Vornamen nun mit Ygrec schrieb, diese zu nutzen verstand, wie sie binnen kurzem Hürden, die einer professionellen Karriere als Juristin, entgegenstanden, überwand und sich in einem institutionellen Setting etablierte, das ihr glänzende Perspektiven öffnete. Nach kurzer Zeit hatte sie eine Anstellung an der juristischen Fakultät der Universität der Stadt New York, sie unterrichtete als Dozentin für gerichtliche Medizin am "New York Medical College & Hospital for Women" und war "Secretary of the New York Medico-Legal Society" und gründete eine eigene „Law School“. Die Tatsache, dass es der Rest der Familie, vor allem ihr des Englischen weniger mächtige Mann, in der „Neuen Welt“ nicht aushielt und gleichsam geschlagen nach Zürich zurückkehrte, stürzte Emilie Kempin-Spyri in einen schweren Loyalitätskonflikt –sie beschloss, ebenfalls zurückzukehren und, wieder in Zürich angekommen, erneut auf Voice zu setzen. Das war nicht unrealistisch. Denn dass sie mit ihren „neuen und kühnen“ Ideen ein sehr realistisches juristisches Trendsetting betrieb, zeigte sich etwa daran, dass ihr zweiter Anlauf für eine Privatdozentur im Jahre 1891 Erfolg hatte. Die Universität wollte sie zwar auch bei diesem zweiten Anlauf zu Fall bringen, aber der für die Entscheidung zuständige Zürcher Erziehungsrat fand nun, dass das Gesetz Frauen nicht zwingend ausschliesse und entschied gegen die ablehnende Universitätsbegründung und für die Antragstellerin. Und wäre Emily Kempin-Spyri auf ihrer Karrierebahn geblieben, so hätte sie 1898, im Alter von 45 Jahren, auch eine Anwaltspraxis eröffnen können. Denn in diesem Jahr stimmte das Zürcher Stimmvolk einer entsprechenden Gesetzesänderung zu; 1923 wurde die Diskriminierung von Frauen im Anwaltsberuf dann auch auf eidgenössischer Ebene aufgehoben. Seite 5/7 Frauen unter Diskriminierungsdruck/SK 22..01.2008 Frauen unter Diskriminierungsdruck Karrierebrüche im Leben von Emilie Kempin-Spyri Vortrag von Jakob Tanner, Universität Zürich Universität Zürich, Gleichstellung Für Emily Kempin-Spyri blieb es vorerst beim Durchbruch an der Universität. Die Stellung einer Privatdozentin war allerdings mit Problemen behaftet. Die Studenten hatten massive psychologische Probleme; der Unterricht einer Frau überforderte sie. Das paternalistische Geschlechtermodell, auf das sie kulturell konditioniert wurden, machte eine weibliche Dozentin zur Anomalie, wenn nicht zu etwas Bedrohlichem. Darauf reagierte man mit pöbelhaftem oder zumindest „ungalantem Verhalten“ (wie es in den Quellen heisst). Emily Kempin-Spyri kompensierte diese Schwierigkeiten durch andere, prospektive Aktivitäten: sie trat als erste Frau dem „Schweizerischen Juristenverein“ bei, sie gründete eine „Rechtsschule für Laien“, trat in den Vorstand des „Frauenrechtsschutzvereins“ ein, sie war an einer Zeitschrift für „Frauenrecht“ beteiligt, sie dozierte an der höheren Töchterschule. Und sie kämpfte 1891 weiter für ihre Zulassung als Anwältin. Auf diesem Terrain unterlag sie auch dieses Mal. So besann sie sich wieder auf Exit. Sie wanderte ein zweites Mal aus, diesmal nach Berlin. Damit verbunden war auch die Trennung von ihrem Mann. Sie publizierte erfolgreich juristische Fachliteratur und wurde zur offiziellen Deutsch-Englisch-Übersetzerin für sämtliche Gerichte der Mark Brandenburg ernannt. Sie partizipierte im September 1896 am Internationalen Frauenkongress in Berlin und im Juni 1897 am „Evangelisch-socialen Kongress“ in Leipzig. Kurz: Sie baute sich auch hier mit Umsicht und Energie eine Berufskarriere auf. Doch es zeigten sich neue, unerwartete Schwierigkeiten. Emily Kempin-Spyri vertrat sie eine frauenrechtliche Position, die sie – gerade weil es ihr nicht nur um Politik, sondern um Frauenarbeit, um die Berufswelt und den Arbeitsmarkt, ging – in Widerspruch zu führenden Vertreterinnen der deutschen bürgerlichen Frauenbewegung brachte. Es mochte damals scheinen, Emily Kempin-Spyri hätte wichtige Forderungen der Frauenemanzipation aufgegeben; heute erkennen wir besser, dass sie sich – wenn auch mit andern Akzenten – doch mit Fragen befasste, die erst viel später, nämlich von der neuen Frauenbewegung der 1970er Jahre, wieder in die politische Arena eingebracht worden sind. Dass sie im Herbst 1897, 44-jährig, psychisch zusammenbrach und nach zwei Jahren Aufenthalt in einem Berliner Sanatorium 1899 nach Basel in die „Friedmatt“ überführt wurde, wo sie nochmals zwei Jahre lebte, hat aber wohl mehr mit ihrem eigenen, persönlichen Leben als mit der schieren Wucht der „gesellschaftlichen Verhältnissen“ zu tun. Diese Verhältnisse waren allerdings so angelegt, dass es für Frauen, die einmal in ihrer Situation waren, kaum ein Entrinnen mehr gab. Emily Kempin-Spyri will aus der Anstalt, in die sie sich nun eingesperrt sieht, wieder heraus. 1899 bewirbt sie sich mit einem Brief bei einem Basler Pfarrer als Dienstmagd. Ihre Lagebeurteilung ist bemerkenswert klar. Ihr Name sei nun, so schreibt sie, „mit dem Odium der Geisteskrankheit behaftet“, was ihr die Rückkehr in das juristische Berufsfeld verunmögliche. So wolle sie sich nun wieder auf „die Künste & Fertigkeiten einer Hausfrau“ verlegen. „Meine Ansprüche sind von Hause & Natur aus sehr bescheiden, ausserdem aber sehe ich meine mittel- & existenzlose Lage zu klar ein, als dass ich mich nicht Allem willig & fröhlichen Herzens unterziehen würde“, schreibt sie ans Pfarrhaus. Hier zeigt sich nochmals eine individuell-unternehmerische Haltung, eine schonungslose Einsicht in die eigene Lage und die Gewalt gesellschaftlicher Verhältnisse, die Emilie Kempin-Spyris Leben insgesamt prägten und die von merkwürdiger Aktualität sind. Heute spricht man von „neoliberaler Subjektivität“. Nicht wenige glauben, in diesem unverwüstlichen Willen zur Selbstbehauptung ein Gegenprinzip zur egalitären Forderungslogik linker Sozialreformer zu sehen. Das wäre jedoch eine kurzsichtige Deutung. Emilie Kempin Spyri war vielmehr eine Frau, die das aufklärerische Versprechen der bürgerlichen Gesellschaft nach Gleichheit und Anerkennung einforderte und dabei aktiv an der Gestaltung der sozialen Verhältnisse mitwirkte. Sie war eine Aktivbürgerin, die den Seite 6/7 Frauen unter Diskriminierungsdruck/SK 22..01.2008 Frauen unter Diskriminierungsdruck Karrierebrüche im Leben von Emilie Kempin-Spyri Vortrag von Jakob Tanner, Universität Zürich Universität Zürich, Gleichstellung Tatbestand, dass man ihr die Rechte einer solchen nicht zugestehen wollte, skandalisierte. Sie hat juristisches Geschütz gegen Männerbastionen aufgefahren, sie wollte das Ancien Regime des Patriarchats zu Fall bringen. Sie hat sich mit Autoritäten ihrer Zeit angelegt, sie hat gegen Diskriminierung gekämpft, sie wollte andere Zustände. Das hat ihr ein Profil gegeben. Im Spannungsfeld zwischen ihren Aspirationen und dem Wenigen, was man ihr als Frau effektiv zugestand, hat sie sich zu einer ausserordentlichen Persönlichkeit entwickelt. Sie entspricht aber nicht dem Typus einer Ich-AG, die sich permanent fit hält für alle möglichen Investments und Options. Sie war durchaus pragmatisch, flexibel, erfinderisch, innovativ. Sie verfügte gleichzeitig über starke Normen, sie war eine innengeleitete Persönlichkeit, eine geradezu idealtypische Bürgerin aus der Welt des 19. Jahrhunderts. Das soll uns nicht daran hindern, in ihr eine Vorkämpferin für Frauenrecht zu sehen, denn solche Zusammenhänge erschliessen sich immer erst post festum. So kommen leider auch solche Ehrungen immer zu spät. Das ChaiselongeDenkmal, das wir heute noch sehen werden, könnte allerdings, über die angesprochene Funktion als Vehikel für die Arbeit am gesellschaftlich Unbewussten hinaus, auch eine Zwischenplattform darstellen für den Weg von Emilie Kempin-Sypri zu einer posthum verliehen Professur, die sie, hätte man ihr den Eintritt in die akademische Berufslaufbahn nicht vorsätzlich verwehrt, doch mit grosser Wahrscheinlichkeit zu Lebzeiten bekommen hätte. Seite 7/7 Frauen unter Diskriminierungsdruck/SK 22..01.2008 Gleichstellung Auf dem Rechtsweg zur Gleichberechtigung – vom Fall Kempin bis heute Beatrice Weber-Dürler 1 Magere Bilanz des juristischen Kampfes um die Rechte der Frauen bis 1981 Der Fall Kempin begegnet den Studierenden der Rechtswissenschaft bereits im ersten Semester. Der 1 Bundesgerichtsentscheid aus dem Jahr 1887, der auf Emilie Kempin zurückgeht , findet sich heute noch in allen Lehrbüchern zum Staatsrecht und bildet nach wie vor einen Leitentscheid zur Rechtsgleichheit. Worum ging es genau? Am 24. November 1886 erschien in einer Verhandlung vor dem Bezirksgericht Zürich über eine Forderungsstreitsache nicht wie erwartet der Kläger und Widerbeklagte Walther Kempin, sondern seine Ehefrau Emilie Kempin geb. Spyri. Die angehende Juristin stellte den Antrag, als Vertreterin ihres Ehemannes zum Vortrage zugelassen zu werden. Das Bezirksgericht lehnte dies ab, weil das Gesetz für die Vertretung Dritter in Zivilsachen das 2 Aktivbürgerrecht verlangte, und zwar als einzige Voraussetzung. Ein stimmberechtigter Mann konnte ohne Weiteres vor Gericht auftreten und sich sogar ohne entsprechende Ausbildung als Anwalt betätigen. Mit Recht war Emilie Kempin der Meinung, sie werde eigentlich wegen ihres weiblichen Geschlechts nicht zugelassen. Mit staatsrechtlicher Beschwerde ans Bundesgericht machte sie geltend, Art. 4 der Bundesverfassung (der Satz „Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich“) dulde keinen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Staatsbürgern. Um diese These zu untermauern, wagte sie sogar die Behauptung, auch Frauen dürften nach der Verfassung der Militärpflicht unterworfen werden, zumindest einem Sanitätsdienst oder der Militärpflichtersatzsteuer. Ihre Argumentation erscheint auch heute reichlich keck für eine Jus-Studentin im 4. Semester… Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab. Die Auffassung, die Verfassung fordere volle rechtliche Gleichstellung der Geschlechter, sei – so eine oft zitierte Sentenz – „eben so neu als kühn“, könne aber nicht gebilligt werden. Eine verschiedene rechtliche Behandlung der Geschlechter, speziell in Bezug auf das Recht zur Betätigung im öffentlichen Leben, entbehre jedenfalls nach der zurzeit noch zweifellos herrschenden Rechtsanschauung keineswegs der inneren Begründung. 1923, also 36 Jahre später, ging Fräulein Dr. Dora Roeder (die übrigens ebenfalls an der Universität Zürich Jus studiert hatte) ihrerseits vor Bundesgericht, als ihr wegen des fehlenden Aktivbürgerrechts 3 nicht gestattet wurde, vor den Gerichten des Kantons Freiburg aufzutreten . Und sie bekam recht. Das Bundesgericht distanzierte sich ausdrücklich vom Entscheid Kempin und betonte, dessen Grundgedanke stehe nicht mehr im Einklang mit den aktuellen Gegebenheiten. Es gehe nicht mehr an, Frauen mit dem Erfordernis des Aktivbürgerrechts von der Vertretung vor Gericht und damit auch vom Beruf des Rechtsanwalts auszuschliessen, der seit der Jahrhundertwende in zahlreichen Kantonen für Frauen geöffnet worden sei. Tatsächlich hatte der Kanton Zürich sein Gesetz bereits 1898 in diesem Sinn geändert, und seinem Vorbild waren seither weitere Kantone gefolgt. Emilie Kempin erfuhr (nebenbei bemerkt) im Sommer 1897 in Berlin, dass in Zürich eine Änderung im Gange sei. Das neue Gesetz, das vor allem auf ihre Initiative zurückging, kam aber für sie selbst zu spät. Zermürbt durch die erfolglosen Kämpfe, konnte sie eine Rückkehr und einen Neubeginn offenbar nicht mehr in Betracht ziehen. Nach dem Bericht ihrer Tochter hat die an sich erfreuliche 4 Nachricht aus Zürich sogar ihren völligen Zusammenbruch ausgelöst . Die Schilderung des Falls Kempin lässt die Studierenden nicht unberührt, selbst wenn die wenigsten das tragische Schicksal von Emilie Kempin kennen. Während der Vorlesung reagieren sie mit nachdenklicher Miene, überlegenem Lächeln oder unwilligem Kopfschütteln. Hätte sich das Bundesgericht nicht bereits 1887 aufgeschlossener gegenüber der Frauenfrage zeigen können? Hat das Gericht als reines Männergremium seine Machtstellung benützt, um sich erfolgreich gegen den Vormarsch der Frauen zu stemmen? Wenn man die Rechtsprechung überblickt, ist diese nahe liegende Sicht aber zu einfach: Seite 1/6 120725_Vortrag_Beatrice_Weber-Dürler .docx – Vom Fall Kempin bis heute/SK 22..01.2008 Auf dem Rechtsweg zur Gleichberechtigung – vom Fall Kempin bis heute Beatrice Weber-Dürler Universität Zürich, Gleichstellung Als das Bundesgericht im Jahr 1874 seine Tätigkeit aufnahm, gab es der Rechtsgleichheit ohne zu zaudern einen umfassenden Anwendungsbereich. Das Grundrecht galt für alle und in allen Belangen, wurde aber von Anfang an inhaltlich relativiert. Eine ungleiche Behandlung durch das Gesetz stand im Einklang mit der Rechtsgleichheit, wenn sie sich durch sachliche Gründe rechfertigen liess. Diese Lösung gilt noch heute. Die entscheidende Frage, ob sachliche Gründe eine Unleichbehandlung rechtfertigen, kann allerdings nicht ohne eine Wertung beantwortet werden. Um einer rein subjektiven Wertung vorzubeugen, stellt das Bundesgericht auf die herrschende Rechts- und Wertanschauung ab. Nur wenn die Ungleichbehandlung einem im Urteilszeitpunkt bestehenden gesellschaftlichen Konsens widerspricht, verletzt sie die Rechtsgleichheit. Da dieser gesellschaftliche Konsens nicht einfach zu ermitteln ist, pflegt sich das Gericht an den in der Schweiz bestehenden Gesetzgebungstrends zu orientieren. Der Gang ans Bundesgericht ist letztlich nur aussichtsreich gegen einen rückständigen Kanton, der hinter den gesamtschweizerischen Gesetzgebungstendenzen zurückgeblieben ist. So passt es voll ins Konzept, dass die Beschwerde im Jahr 1923 Erfolg hatte, als bereits eine Reihe von Kantonen Anwältinnen zuliessen, nicht aber die Beschwerde im Jahr 1887, als noch kein einziger Schweizer Kanton so weit war. 1957 erging ein weiterer wichtiger Entscheid, der nun direkt das Frauenstimmrecht betraf. Eine Gruppe von Frauen aus dem Waadtland machte vor Bundesgericht geltend, sie seien eigentlich bereits im Besitz des kantonalen Stimmrechts: Man müsse nur das Wort „Suisse“ in der kantonalen Verfassungsbestimmung über das Aktivbürgerrecht zeitgemäss und der Rechtsgleichheit 5 entsprechend auslegen . Nach dem Gesagten war dieser Prozess schon deshalb praktisch chancenlos, weil das Frauenstimmrecht damals in der Schweiz noch nirgends verwirklicht war. Der Kanton Waadt sollte es erst zwei Jahre später – im Jahr 1959 – als erster Kanton einführen. Die Einführung des Frauenstimmrechts im Bund wurde am gleichen Abstimmungssonntag des Jahres 1959 wuchtig verworfen und glückte erst 1971. Das Bundesgericht machte im Übrigen deutlich, dass die Einführung des Frauenstimmrechts Sache des Gesetzgebers und nicht der Gerichte sei. Es sollten noch gut 30 Jahre vergehen, bis das Bundesgericht dem Kanton Appenzell Innerrhoden das 6 Frauenstimmrecht in einem analogen Verfahren dennoch aufoktroyierte . Im Jahr 1990 war das Frauenstimmrecht indessen in der ganzen Schweiz ausser in Appenzell Innerrhoden verwirklicht. Abgesehen davon galt auch bereits seit 1981 die neue, für Frauenrechte günstigere Sondernorm über die Geschlechtergleichheit, auf die wir sogleich zu sprechen kommen. Kurz vor dem Inkrafttreten dieser Sondernorm kam es noch zu einem kleinen Lichtblick: Im Jahr 1977 verhalf das Bundesgericht den Neuenburger Lehrerinnen zur gleichen Besoldung, wie sie auch ihren männlichen Kollegen zustand. Bezeichnenderweise warf das Gericht vorgängig einen Blick auf die Gesetze der anderen Kantone, welche sozusagen ausnahmslos zur Lohngleichheit übergegangen 7 waren . Für die erste, gut hundert Jahre dauernde Phase ergibt sich damit eine magere Bilanz: Die Chance, über ein Gerichtsurteil vorwärts zu kommen, war äusserst gering, weil sich die Rechtsprechung zur Rechtsgleichheit an der jeweils herrschenden Rechtsanschauung orientierte und deshalb stets der gesamtschweizerischen Gesetzgebung hinten nachhinkte. Beschwerdeführerinnen, die auf kühne Pionierentscheide hofften und für innovative Lösungen kämpften, die in der Schweiz noch nirgends verwirklicht waren, scheiterten zwangsläufig. 2 Was brachte der neue Gleichberechtigungsartikel? Die bitteren Erfahrungen mit der allgemeinen Rechtsgleichheit bildeten denn auch den Grund dafür, dass Frauenkreise 1975 eine Initiative für eine griffigere Sondervorschrift über die Geschlechtergleichheit lancierten. Mit Erfolg – „Mann und Frau sind gleichberechtigt“ hiess es nun klipp und klar im ersten Satz der neuen Verfassungsbestimmung, die (als Resultat eines Gegenvorschlags) am 14. Juni 1981 in Kraft trat. 2.1 Effektive Durchsetzung gleicher Rechte und Pflichten Von Anfang an stand jedoch fest, dass die Gesetze auch unter der neuen Sonderbestimmung nicht Seite 2/6 120725_Vortrag_Beatrice_Weber-Dürler .docx – Vom Fall Kempin bis heute/SK 22..01.2008 Auf dem Rechtsweg zur Gleichberechtigung – vom Fall Kempin bis heute Beatrice Weber-Dürler Universität Zürich, Gleichstellung völlig geschlechtsneutral sein konnten. Es oblag dem Bundesgericht, den Satz „Mann und Frau sind gleichberechtigt“ auszulegen. Mit Spannung erwartete man die ersten Entscheide, denn es bestand durchaus die Gefahr, dass die neue Bestimmung durch die Gerichtspraxis verwässert würde. Erfreulicherweise realisierten sich diese Befürchtungen nicht, das Bundesgericht verlieh dem neuen besonderen Gleichheitssatz vielmehr die nötige Durchschlagskraft. Im Unterschied zur allgemeinen Rechtsgleichheit verlangte die neue Sondervorschrift grundsätzlich absolute rechtliche Gleichbehandlung von Mann und Frau – also genau das, was Emilie Kempin vor fast hundert Jahren vergeblich gefordert hatte. Ausnahmen liess das Bundesgericht nur bei zwingenden biologischen oder funktionalen Unterschieden zwischen den Geschlechtern zu. Unsicherheit bestand vor allem in der Frage, was mit den funktionalen Unterschieden zwischen Mann und Frau gemeint war. Diese hätten leicht auf die überkommene soziale Rollenverteilung bezogen werden können, um etwa Hausarbeitsunterricht für Mädchen zu rechtfertigen. Zum Glück entwickelten sich die funktionalen Unterschiede jedoch nicht zum trojanischen Pferd und führten in der Folge ein blosses Schattendasein. Damit verblieb lediglich ein kleiner Raum für rechtliche Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern; sie mussten im Wesentlichen mit der Mutterschaft zusammenhängen. Die Wirkung der neuen Sondernorm zeigte sich bereits im ersten grundlegenden Entscheid: Als 1981 mehr Mädchen als Knaben den Übertritt ins Collège schafften, wollten die Waadtländer Schulbehörden strengere Zulassungskriterien für Mädchen als für Knaben einführen. Auf Beschwerde der Mädchen bzw. ihrer Eltern hin wurden sie vom Bundesgericht zur absoluten Gleichbehandlung der Schüler und 8 Schülerinnen verpflichtet . Verfolgt man die Gerichtsurteile zum neuen Gleichberechtigungsartikel, fällt allerdings auf, dass es (anders als erwartet) häufig Männer und nicht Frauen waren, die den Prozessweg erfolgreich 9 beschritten . So erstritt der Witwer einer Lehrerin 1990 vor Gericht, dass ihm eine Witwerrente unter 10 den gleichen Voraussetzungen gewährt wurde wie einer Witwe . Männer wehrten sich ferner mit Erfolg gegen die einseitige Belastung des männlichen Geschlechts mit dem Feuerwehrdienst und mit 11 der Feuerwehrersatzabgabe ; diese Pflichten wurden in der Folge durch die Kantone und Gemeinden auf Frauen ausgedehnt. Mit Ernüchterung musste man registrieren, dass der neue Gleichberechtigungsartikel auch zu zusätzlichen Belastungen der Frauen führte. 2.2 Die Entscheide über Frauenquoten als Stein des Anstosses Ein grösseres Malaise ergab sich aber aus einer weiteren Entwicklung, der wir uns zum Schluss zuwenden. Als die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter weitgehend verwirklicht war, verlagerte sich der Schwerpunkt der Diskussion auf die Frage nach der tatsächlichen Gleichstellung von Mann und Frau. Offensichtlich vermochte nämlich auch eine konsequente rechtliche Gleichbehandlung die gesellschaftliche Schlechterstellung der Frauen nicht zu beseitigen – zu beharrlich hielten und halten sich die überlieferten Vorurteile. Die Auffassung, der Staat habe nicht nur die rechtliche, sondern auch die soziale Gleichstellung der Frauen anzustreben, setzte sich durch und wurde in der totalrevidierten Bundesverfassung von 1999 ausdrücklich bestätigt. Der Gleichberechtigungsartikel enthält seither im zweiten Satz den klaren Auftrag an den Gesetzgeber, auch für die tatsächliche Gleichstellung von Mann und Frau zu sorgen. 2.3 Quoten in politischen Behörden Als besonders wirksames Mittel zur Erhöhung des Frauenanteils im Parlament und in anderen staatlichen Behörden haben sich im Ausland Quotenbestimmungen erwiesen, welche einen bestimmten Prozentsatz der zu vergebenden Sitze von vornherein Frauen vorbehalten. Die ersten kantonalen Initiativen, die auf die Einführung von Quoten abzielten, stiessen jedoch nicht nur auf politischen Widerstand, sondern auch auf juristische Hindernisse. Im Jahr 1995 wurde im Kanton Solothurn eine Volksinitiative eingereicht, welche verlangte, dass Frauen und Männer im Kantonsrat, im Regierungsrat und in den Gerichten entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil vertreten sein sollten. Der Kantonsrat erklärte die Initiative für ungültig, unter anderem mit Rücksicht auf die Gleichberechtigung. Das Bundesgericht war ebenfalls der Ansicht, die Initiative verletze die Sondervorschrift über Geschlechtergleichheit. Quotenregelungen sind zwar ein Mittel zur Herbeiführung der tatsächlichen Gleichstellung von Frau und Mann. Gleichzeitig erheben sie jedoch das Geschlecht zum entscheidenden Kriterium und widersprechen damit dem Gebot der absoluten Seite 3/6 120725_Vortrag_Beatrice_Weber-Dürler .docx – Vom Fall Kempin bis heute/SK 22..01.2008 Auf dem Rechtsweg zur Gleichberechtigung – vom Fall Kempin bis heute Beatrice Weber-Dürler Universität Zürich, Gleichstellung rechtlichen Gleichbehandlung. Es zeigt sich ein Spannungsverhältnis zwischen den beiden Verfassungsgeboten, das durch Abwägung zu entscheiden ist. Im ersten Urteil über die Solothurner Initiative erteilte das Bundesgericht den Quoten eine Abfuhr, weil sie für die Männer unzumutbare 12 Nachteile bewirkten . Im nächsten Entscheid über eine Urner Initiative hat es die Abwägung weniger einseitig vorgenommen und den Quoten (unter dem Druck der Kritik) mehr Spielraum zugestanden. Die Bestimmung, jedes Geschlecht müsse zumindest zu einem Drittel vertreten sein, wurde für nicht 13 vom Volk gewählte Behörden als zulässig befunden . In der nachfolgenden Volksabstimmung aber wurde die Urner Initiative, wie übrigens später auch eine eidg. Quoteninitiative, deutlich abgelehnt. Ohne auf weitere Einzelheiten einzugehen, ist der Befund klar: Das Konzept der absoluten rechtlichen Gleichbehandlung der Geschlechter verträgt sich schlecht mit einseitigen Massnahmen zur Frauenförderung. Es bildet ein Hindernis, das je nach Ausgestaltung der Quote nicht überbrückt werden kann. Dass just die von Frauen erkämpfte Sondernorm staatlichen Massnahmen entgegenstehen soll, welche den Prozess der faktischen Gleichstellung befördern, hat heftige Kritik 14 provoziert. Nicht nur die Meinungsführerinnen unter den Juristinnen , sondern auch vereinzelte 15 progressive männliche Kollegen haben das geltende Verständnis der Sondernorm in Frage gestellt. Das Gebot der absoluten Gleichbehandlung sei zu formal und solle über Bord geworfen werden, weil es den Zielen der ursprünglichen Initiantinnen im Grund widerspreche. Die Initiantinnen seien von einem heute überholten Ansatz ausgegangen, ja der Verfassungsgeber – so liest man sogar – habe 16 sich getäuscht . Gefordert wird eine flexiblere Lösung, die eine unterschiedliche rechtliche Behandlung von Mann und Frau wieder vermehrt zulässt, zum Beispiel bei sozialen oder 17 psychologischen Unterschieden . Das Bundesgericht hat es bis anhin strikt abgelehnt, seine Rechtsprechung in diesem Sinn zu 18 ändern, weil dafür keine genügenden Gründe sprächen . Würde man den Grundsatz der absoluten Gleichbehandlung wieder aufgeben oder zusätzliche Durchbrechungen zulassen, bestünde zudem erneut die Gefahr, dass rechtliche Ungleichheiten mit zweifelhaften Argumenten begründet werden. Bei Margrith Bigler-Eggenberger, welche ihrerseits für eine flexiblere Lösung eintritt, stossen etwa die Waadtländer Schulbehörden, welche an die Schülerinnen höhere Anforderungen als an die Schüler 19 stellen wollten, auf ein gewisses Verständnis . In dieser und in anderen Fragen würden die Meinungen unweigerlich weit auseinandergehen, schon hier im Saal. Unter diesen Umständen wäre es völlig offen, welchen Gebrauch die Gerichte von dem neuen Freiraum machen würden. Andere Autorinnen möchten die absolute Gleichbehandlung letztlich nur dann preisgeben, wenn es sich zu Gunsten der Frauen auswirkt. Einfach und klar ist die Position von Jörg Paul Müller: Nur Frauen, nicht 20 aber Männer sollen sich auf die Geschlechtergleichheit berufen können . Eine solche asymmetrische Bestimmung hätte die Zustimmung des Souveräns aber nicht gefunden und würde sie wohl auch heute nicht finden. 2.4 Quoten an der Universität Der jüngste Leitentscheid des Bundesgerichts, der Fall Balmelli, betrifft Frauenquoten an der 21 Universität . Im Rahmen des vom Bund finanzierten Nachwuchsförderungsprogramms schrieb die Universität Freiburg im Jahr 2001 eine Nachwuchsstelle nur für Frauen aus. Um den zahlenmässig schwachen weiblichen Nachwuchs in der Professorenschaft besonders zu fördern, hatte der Bund vorgeschrieben, 40% der mit Bundesmitteln zusätzlich geschaffenen Nachwuchsstellen müssten Frauen zukommen. Da sie das zulässige Männerkontingent von 60% schon voll ausgeschöpft hatte, konnte die Universität Freiburg die Bundesmittel nur beanspruchen, wenn sie die fragliche Stelle mit einer Frau besetzte. Herr Balmelli liess sich durch die Ausschreibung nicht abschrecken und bewarb sich trotzdem. Als seine Bewerbung wegen seines Geschlechts überhaupt nicht in Betracht gezogen wurde, beschritt er den Rechtsweg. Mit Erfolg. Die fragliche Assistenzprofessur war zwar inzwischen bereits an eine Frau vergeben worden, doch sprach das Bundesgericht dem Beschwerdeführer eine symbolische Entschädigung von einem Franken zu und entsprach damit voll seinem Antrag. Es beurteilte die praktizierte Frauenförderung als schweren Eingriff, der den Männern kaum zumutbar sei. Jedenfalls müssten derart eingreifende Quoten in einem Gesetz vorgesehen sein (und daran mangelte es). Der Fall Balmelli bedeutet einen schweren Rückschlag für die Frauenförderungspolitik. Unter den Seite 4/6 120725_Vortrag_Beatrice_Weber-Dürler .docx – Vom Fall Kempin bis heute/SK 22..01.2008 Auf dem Rechtsweg zur Gleichberechtigung – vom Fall Kempin bis heute Beatrice Weber-Dürler Universität Zürich, Gleichstellung männlichen Kollegen äusserten sich nur wenige zum Urteil, und zwar zustimmend oder in neutralem 22 Sinne ; auf Frauenseite löste es harsche Kritik aus. Erneut forderten zwei Kolleginnen, das Bundesgericht solle vom Konzept der absoluten rechtlichen Gleichbehandlung abrücken, also jene 23 grundsätzliche Praxisänderung vornehmen, die es bereits wiederholt abgelehnt hatte . Der Entscheid ruft aber selbst dann nach Kritik, wenn man auf dem Boden der bisherigen Rechtsprechung bleibt. Gewiss wäre es unhaltbar, wenn eine Universität ordentliche Stellen für Dozierende nur nach dem Geschlecht und ohne Rücksicht auf die fachliche Qualität der Person vergeben würde. Damit ist die vorliegende Quotenregelung aber nicht zu vergleichen. Hier ging es ja nur um eine zusätzliche, ausserplanmässige Stelle, die extra zwecks Frauenförderung geschaffen wurde. Die Chancen der Männer, eine ordentliche Stelle zu erlangen, blieben intakt. Wertet man die vorliegende Quotenbestimmung nicht als einen schweren Eingriff in das Grundrecht der Männer, wird der bundesgerichtlichen Argumentation die Basis entzogen. Auf solche oder ähnliche kritische Reaktionen auf den Entscheid hat man jedoch vergebens gewartet. Zwischen den Fundamentalkritikerinnen, die beharrlich einen radikalen Systemwechsel fordern, und dem Gegenlager, das hinter dem Bundesgericht steht, klafft eine grosse Lücke. Die Diskussion über die Gleichberechtigung der Geschlechter wird, leider, durch eine zunehmende Polarisierung geprägt. 3 Schlusswort Zurück zu Emilie Kempin und zu ihrer Position im damaligen juristischen und politischen Kampf. Als sie im Fall Kempin 1887 vor Bundesgericht die volle Gleichberechtigung der Frauen einforderte, agierte sie als radikale Kritikerin des herrschenden Systems und erlitt eine erste grosse Niederlage. Darnach steckte sie ihre politischen Ziele zurück. Ihre Postulate wurden zaghafter, ja entbehrten teilweise sogar der Konsequenz. Im Jahr 1891 trat sie beispielsweise dafür ein, eine Prüfung der fachlichen Qualitäten für den Beruf des Rechtsanwalts einzuführen – aber nur für Frauen: Männer hätten nach ihrem Vorschlag weiterhin ohne jedeQualifikationsprüfung als Rechtsanwälte auftreten 24 dürfen . Die verwunderliche Ungleichheitnnahm sie offenbar in Kauf, um den Durchbruch eher zu erreichen. Der Wandel der Person Emilie Kempin hat uns in diesem Referat nur beiläufig beschäftigen können, im Zentrum stand der Wandel der Rechtsprechung über die Gleichberechtigung der Frauen. Dieser Wandel steht – wie sich gezeigt hat – in einem Wechselspiel mit dem Wandel der herrschenden Rechtsanschauung und mit dem Wandel der Gesetzgebung. In dieser komplexen Entwicklung hat Emilie Kempin als Vorreiterin der Gleichberechtigung eine entscheidende Rolle gespielt. Sie und die ihr folgenden Frauen, welche zu ihrer Zeit aussichtslose Prozesse führten, haben entscheidende Anstösse zur gesellschaftlichen, politischen und rechtswissenschaftlichen Diskussion gegeben – ihnen ist das heute Erreichte wesentlich zu verdanken. ________________________________ 1 BGE 13, 1. 2 Damit war das Stimmrecht gemeint, vgl. Marianne Delfosse, Emilie Kempin-Spyri (1853-1901), Zürich 1994, S. 44 ff. 3 BGE 49 I 14. 4 Delfosse (FN 2), S. 24. 5 BGE 83 I 173. 6 BGE 116 Ia 359. 7 BGE 103 Ia 517. 8 BGE 108 Ia 22. 9 Zusammenstellung bei Jörg Paul Müller, Die Diskriminierungsverbote nach Art. 8 Abs. 2 der neuen Bundesverfassung, in: Die neue Bundesverfassung, Berner Tage für die Juristische Praxis, Bern 2000, S. 111 FN 25. 10 BGE 116 V 198. 11 ZBl 88 (1987), 310. 12 BGE 123 I 152. 13 BGE 125 I 21. 14 Christa Tobler, Margrit Bigler-Eggenberger und Regula Kägi-Diener. 15 Jörg Paul Müller Seite 5/6 120725_Vortrag_Beatrice_Weber-Dürler .docx – Vom Fall Kempin bis heute/SK 22..01.2008 Auf dem Rechtsweg zur Gleichberechtigung – vom Fall Kempin bis heute Beatrice Weber-Dürler Universität Zürich, Gleichstellung 16 Christa Tobler, Quoten und das Verständnis der Rechtsgleichheit der Geschlechter…, in: Kathrin Arioli (Hrsg.), Frauenförderung durch Quoten, Basel u. a. 1997, S. 118 ff. 17 Margrith Bigler-Eggenberger, Justitias Waage – wagemutige Justitia, Basel u.a. 2003, S. 354. 18 BGE 125 I 21 (30 f.) und 131 II 361 (383 f.). 19 Bigler-Eggenberger (FN 17), S. 92. 20 Jörg Paul Müller, Grundrechte in der Schweiz, 3. A. Bern 1999, S. 455 f. 21 BGE 131 II 361. 22 Walter Kälin in ZBJV 2005, 649, und Yvo Hangartner in AJP 2005, 1414, und in AJP 2006, 597. 23 Christa Tobler in recht 2005, 220, und Regula Kägi-Diener in AJP 2006, 107. 24 Delfosse (FN 2), S. 50 f., ferner S. 147 f. (Erwerbstätigkeit der Frau nur bei Notlage; Ausbildung der Mädchen für Mutterschaft und Haushalt), 149 ff. (Ablehnung des Stimm- und Wahlrechts für Frauen; Ausnahme nur fürGemeindeangelegenheiten). Seite 6/6 120725_Vortrag_Beatrice_Weber-Dürler .docx – Vom Fall Kempin bis heute/SK 22..01.2008 Gleichstellung Ansprache Dr. Barbara Haering Feier für Emilie Kempin-Spyri Universität Zürich 22. Januar 2008 Liebe Jus-Studentinnen Liebe Juristinnen Meine Damen Meine Herren Artikel 8 unserer neuen Bundesverfassung erklärt in Absatz 3: „Mann und Frau sind gleichberechtigt. Das Gesetz sorgt für ihre rechtliche und tatsächliche Gleichstellung, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit. Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit.“ Dieser Verfassungsartikel widerspiegelt ein umfassendes Verständnis der Gleichberechtigung von Frau und Mann. Eine menschenrechtliche Auffassung von Gleichstellung, der bereits Emilie KempinSpyri nachzuleben versuchte und an der sie letztlich zu Grunde ging. Ihr bot niemand einen Platz auf einer Chaiselongue an. Erst 107 Jahre nach ihrem Tod, erhält sie ihr Denkmal in unserer Universität. Wir blicken somit heute zurück auf ihr Leben – aber auch auf unsere Gegenwart und nach vorn in die Zukunft unserer jungen Frauen und Männer. 1 Politik Mitte der 80er Jahre des vorletzten Jahrhunderts setzten sich einzelne Staatsrechtler, Sozialreformer und Politiker für die politische Gleichstellung der Frau ein. Sie befürworteten ein schrittweises Vorgehen zur Erlangung gleicher Rechte von Mann und Frau – um auf diese Weise uns Frauen einen sorgfältigen Lernprozess in Demokratie zu ermöglichen. In den gleichen Jahren begannen unsere Urgrossmütter selber ihre Stimmen zu erheben. 1886 forderte eine Gruppe von Frauen im Kanton Zürich, in einer anonymen Bittschrift erstmals öffentlich die volle bürgerliche und politische Gleichstellung der Geschlechter. Zu den wenigen Frauen, die öffentlich und offen für das allgemeine Stimm- und Wahlrecht kämpften, gehörte die erste promovierte Historikerin der Schweiz und Studienkollegin Emilie Kempin-Spyris hier an der Universität Zürich, Meta von Salis. In ihrem Neujahrsartikel forderte sie zum Jahreswechsel 1886/87 in der «Züricher Post» die politische Gleichberechtigung der Frauen als bürgerliches Grundrecht. Doch einige Wochen später, am 29. Januar 1887 lehnte das Bundesgericht das Ansinnen Emilie Kempin-Spyris, ihren Mann vor Gericht verteidigen zu dürfen, ab und begründete: „Wenn nun die Rekurrentin (…) scheint folgern zu wollen, die Bundesverfassung postuliere die volle rechtliche Gleichstellung der Geschlechter auf dem Gebiete des gesammten öffentlichen und Privatrechts, so ist diese Auffassung ebenso neu als kühn; sie kann aber nicht gebilligt werden.“ MDMH: Auch wenn es ein langer und harziger Weg wurde, bis die Stimmbürger im Februar 1971 „den Frauen zu Liebe ein männliches Jahr“ – so der Abstimmungsslogan zur politischen Gleichstellung auf Bundesebene – einlegten, scheinen diese Zeiten doch einer fernen Vergangenheit Seite 1/4 Ansprache/SK 22..01.2008 Ansprache Dr. Barbara Haering Feier für Emilie Kempin-Spyri Universität Zürich, Gleichstellung anzugehören. Am 14. Juni 1981 wurde das Prinzip der gleichen Rechte von Mann und Frau in der Bundesverfassung verankert. Der Verfassungsartikel garantiert die formale Gleichbehandlung von Frauen und Männern und verpflichtet Behörden und Gesetzgeber, bestehende Diskriminierungen zu beseitigen. Er verlangt aber noch mehr, nämlich die Verwirklichung der tatsächlichen Gleichstellung zwischen Mann und Frau. Ausdrücklich wird dabei auf die Bereiche Arbeit, Familie und Bildung hingewiesen. Mit der Annahme der Fristenregelung in der Volksabstimmung im Juni 2002 billigte die Schweizer Stimmbevölkerung uns Frauen überdies das Recht und die Fähigkeit zu, Entscheide auch von grösster moralischer Tragweite selbstverantwortlich fällen zu können. Ein Paradigmenwechsel, der über die konkrete Fragestellung des Schwangerschaftsabbruchs hinauswies. Und: Zum ersten Mal sind dieses Jahr auf dem offiziellen Bundesratsfoto vier Frauen und vier Männer abgebildet. Weder die Wahl von Evelyn Widmer-Schlumpf zur Bundesrätin, noch jene von Corina Casanova zur Kanzlerin fanden unter dem Titel einer Frauenwahl statt. Das ist gut so. Dass Frauen in höchste politische Ämter gewählt werden, ist in den letzten Jahren zur Selbstverständlichkeit geworden. Mit anderen Worten: Uns geht es gut! Aber: Wir haben gekämpft dafür. Gerne biete ich deshalb unseren Grossmüttern und Müttern posthum einen Platz auf der grossen Liege im Lichthof unserer Universität an. 2 Wissenschaft Auch an unseren Universitäten hat sich das Bild grundlegend geändert. Unsere jungen Studentinnen müssen im Unterschied zu Emilie Kempin-Spyri nicht warten, bis sie mit 32 und bereits als Mutter dreier Kinder als erste Schweizerin ihr Jusstudium beginnen dürfen. Und es ist ihnen wohl kaum bewusst, dass sie an einer Universität studieren, die sich früh als europäische Pionierin in Sachen Frauenstudium profilierte. 1867 schloss hier erstmals eine Frau, die Russin Nadezda P. Suslova, das Medizinstudium mit dem Doktorat ab. Sie war damit die erste Frau, die im deutschsprachigen Raum an einer staatlich anerkannten Universität ein reguläres Studium abschloss. 1868 nahm Marie (Heim)Vögtlin als erste Schweizerin ein Studium an der Universität Zürich auf. 1872 bestand sie das Staatsexamen in Medizin. Ihre Assistenzzeit musste sie allerdings in Deutschland absolvieren, da kein Schweizer Spital Ärztinnen anstellte. Auftritte, wie sie die Studentin Franziska Tiburtius in der NZZ Mitte der 80er Jahre des vorletzten Jahrhunderts schilderte sind heute nicht mehr vorstellbar. Sie schrieb: „Es war unter den Studenten bekannt geworden, dass die Frauenzimmer zum ersten Mal kommen würden. Als wir eintraten, war der Saal dicht gefü̈llt, auch von den anderen Fakultäten erschienen zahlreiche Mitläufer, und es erhob sich ein wüster Lärm, Schreien, Johlen, Pfeifen. Da hiess es ruhig Blut bewahren.“ Wir Frauen haben ruhig Blut bewahrt! 1891 erhielt Dr. iur. Emilie Kempin-Spyri nach anfänglichem Widerstand seitens der Hochschulbehörden dievenia legendi und wurde erste Hochschuldozentin der Schweiz. Sie unterrichtete als Privatdozentin römisches, englisches und amerikanisches Recht an der staatswissenschaftlichen Fakultät unserer Universität. Ich bin stolz auf sie. Ebenso stolz bin ich darauf, dass wir Frauen heute gesamtschweizerisch die knappe Mehrheit der MaturandInnen und 50.8 % der Studierenden bilden – an der Universität Zürich stellen Frauen sogar 56% der Studierenden. Doch trotz der gleichen formalen Zugangsmöglichkeiten zeigen sich Seite 2/4 Ansprache/SK 22..01.2008 Ansprache Dr. Barbara Haering Feier für Emilie Kempin-Spyri Universität Zürich, Gleichstellung beträchtliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern bei der Fächerwahl, den akademischen Abschlüssen und der Vertretung auf den Hierarchiestufen der Hochschulen. Die Studienwahl widerspiegelt noch immer traditionelle Geschlechtsrollen. Wir Frauen sind in literatur- und sozialwissenschaftlichen Fächern übervertreten, in den Natur- und vor allem den Ingenieurwissenschaften teilweise stark untervertreten. In der Humanmedizin, der Rechtswissenschaft und der Geschichte entspricht der Frauenanteil etwa dem durchschnittlichen Studentinnenanteil. Doch je höher die akademische Hierarchie, desto geringer der Frauenanteil. Auch an der Universität Zürich: Bei den Studierenden beträgt er 56%, bei den Doktoraten 48%, bei den Professuren erst 15.6%. Damit sich dies ändere, setzen wir uns ein. An den meisten Hochschulen der Schweiz gibt es inzwischen Frauenbeauftragte und/oder Gleichstellungskommissionen mit dem Auftrag, Frauen zu fördern und Frauen- und Geschlechterforschungen auszubauen. Allerdings sind diese Stellen oft finanziell und personell unterdotiert. Das Universitätsgesetz Zürich aus dem Jahre 1998 beauftragt die Universität Zürich„….durch geeignete Massnahmen die tatsächliche Gleichstellung von Mann und Frau (zu fördern).“ Diesen Gesetzesauftrag hat die Universitätsleitung in einem Verhaltenskodex zur Gender Policy konkretisiert. Der Universitätsrat hat diese Leitlinien ausdrücklich zu Kenntnis genommen und unterstützt sie. Nun geht es darum, diesem Kodex real nachzuleben und seine Grundsätze in sämtlichen Führungsinstrumenten der Universität Nachachtung zu verschaffen. Die Förderung der Gleichstellung ist für mich ein Wert an sich – und wertvoll darüber hinaus, denn sie beinhaltet eine grosse Chance für mehr Diversität an unserer Universität. 3 Beruf und Familie Mir ging es gut: Alle Studienwege standen mir offen. Es lag und liegt in meiner eigenen Verantwortung, meine beruflichen und politischen Engagements kompetent auszufüllen. Und dennoch schliesse ich mich Emilie Kempin-Spyri an, wenn sie am Ende ihres Lebens zum Schluss kommt: „Je mehr wir anerkennen müssen, dass der Frau im Kampf ums Dasein alle Wege zu öffnen sind, dass es einfach ein Gebot der Menschlichkeit ist, ihr Können auf keinem Gebiet der Thätigkeit abzusperren, desto grösser die Notwendigkeit, dass wir uns gegenseitig keinen blauen Dunst vormachen….“ Emilie Kempin-Spyri litt unter den konkurrierenden Ansprüchen von Beruf und Familie. Und auch 130 Jahre später fällt es uns Frauen immer noch schwer, Familie und berufliche Karriere unter einen Hut zu bringen. Indessen ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zentral, wenn es darum geht, die Gleichstellung der Geschlechter im Alltag zu verwirklichen. Immer mehr Frauen nehmen diese Herausforderung an und bleiben auch während der Kinderphase erwerbstätig. Im Jahr 2000 waren Frauen, die mindestens ein Kind unter 7 Jahren hatten, fast zu zwei Dritteln erwerbstätig. Bei Frauen mit schulpflichtigen Kindern, waren es sogar drei Viertel. Zusätzlich zur Erwerbsarbeit leisten Frauen viel unbezahlte Haus- und Familienarbeit. Mit kleinen Kindern kommen sie im Durchschnitt auf fast 60 Stunden Arbeit pro Woche. Viele Mütter reduzieren deshalb den Umfang ihrer Erwerbsarbeit: Mütter mit kleinen Kindern kommen auf einen Beschäftigungsgrad von 30 Prozent. Damit lässt sich keine Berufskarriere aufbauen. Auf der anderen Seite liegt die Erwerbsquote der Männer bei fast 100 Prozent. Die höchsten Werte erreichen ausgerechnet Väter kleiner Kinder – mit einem durchschnittlichen Erwerbspensum von 43 Wochenstunden. Mit anderen Worten: Es ist in dieser Seite 3/4 Ansprache/SK 22..01.2008 Ansprache Dr. Barbara Haering Feier für Emilie Kempin-Spyri Universität Zürich, Gleichstellung Lebensphase, dass Frauen den beruflichen Wettkampf gegenüber ihren männlichen Konkurrenten verlieren. In seiner Bestandesaufnahme von 2007 unterstrich das statistische Amt des Kantons Zürich die Tatsache, dass in der Zürcher Privatwirtschaft Frauen durchschnittlich immer noch einen deutlich tieferen Lohn als Männer erhalten. Dies sei mehrheitlich darauf zurückzuführen, dass Männer im Schnitt besser ausgebildet seien, anforderungsreichere Stellen besetzten, mehr Leitungsfunktionen ausübten und in den Hochlohnbranchen stärker vertreten seien als Frauen. Die Familiengründung erweist sich somit für viele Frauen noch immer als karrierehemmend – auch an der Universität. Im Rahmen der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung müssen Frauen deshalb spezifische Unterstützung finden. Gerade in diesem Bereich gilt die Erfahrung: „gender neutral is gender blind.“ Soll im Berufsleben Chancengleichheit für Männer und Frauen realisiert werden, so ist es unumgänglich, dass Väter die Vereinbarkeit von Beruf und Familie auch zu ihrem Thema machen. Ich selber war privilegiert: Meine Tochter konnte auf die Betreuung durch Mama, Papa, Grossmama und Oma zählen. Doch sind es nur wenige Frauen, denen diese Möglichkeiten offen stehen. Die gerechtere Aufteilung zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit beginnt somit zu Hause mit fair ausgehandelten Abmachungen mit unseren Partnern. Meine Jungen Damen: Fordern Sie ruhig von Ihren Partnern das, was Sie selber zu geben bereit sind – nämlich die Hälfte des Himmels! Doch dies ist und bleibt die härteste Auseinandersetzung. Schön, dass wir uns ab und zu auf Pipilottis Liege ausruhen können! Emily Kempin-Spyri hätte dies auch verdient! Seite 4/4 Ansprache/SK 22..01.2008 Gleichstellung Grusswort von Frau Professorin Brigitte Woggon, Präsidentin der Gleichstellungskommission der Universität Zürich Emilie Kempin-Spyri wurde 1853 geboren. 2003 wäre sie 150 Jahre alt geworden. An diesem Tag fand keine Ehrung der ersten Privatdozentin unserer Universität statt. Im Gegensatz zu den Angehörigen unserer Universität hatte Eveline Hasler diesen Geburtstag nicht vergessen. Eveline Hasler hat durch ihren Roman „Die Wachsflügelfrau“ 1991 das Schicksal von Emilie Kempin-Spyri wieder bekannt gemacht. Mit dem Titel „Wachsflügelfrau“ hat sie in eleganter Weise eine Analogie zu Ikaros hergestellt, der beim zu wagemutigen Höhenflug zu nah an die Sonne geriet. Dadurch schmolzen seine Wachsflügel und er stürzte ins Meer. Am Sechseläutenvormittag ehrt die Gesellschaft zu Fraumünster jeweils eine Zürcherin, die trotz hervorragender Verdienste in Vergessenheit geraten ist. Angeregt durch Eveline Hasler, und tatkräftig umgesetzt durch Verena Doelker und Silvia Mathieu wurde dann der 151. Geburtstag von Emilie Kempin-Spyri 2004 unter dem Patronat der Universität Zürich festlich begangen. Der verstorbene Prorektor Herr Klöti gab damals bekannt, dass die Universität Zürich nach einer angemessenen Ehrung der ersten Privatdozentin Emilie Kempin-Spyri suchen werde. Ideen standen im Raum wie eine Büste in der Aula, oder die Benennung des neu eingeweihten Hörsaals nach Frau Kempin-Spyri. sowie auch die damals angekündigten Wachsflügelfrau-Vorlesungen, in denen erfolgreiche Frauen vorgestellt werden sollten, um dadurch unseren weiblichen akademischen Nachwuchs zu ermutigen, eine wissenschaftliche Karriere einzuschlagen. Die Universiätsleitung setzte in der Folge eine Arbeitsgruppe ein, mit dem Auftrag einen Vorschlag für eine moderne Ehrung von Emilie Kempin-Spyri zu erarbeiten. Dieser gehörten Bice Curiger, Gabriele Lutz und Urs Hobby als externe Berater und Elisabeth Maurer, Maximilian Jaeger und Heinz-Peter Stucki von der Universität Zürich an. Die Gleichstellungskommission freut sich darüber, dass die Universitätsleitung den Vorschlag der Arbeitsgruppe aufnahm und den Auftrag für ein Denkmal für Emilie Kempin-Spyri der international bekannten Künstlerin Pipilotti Rist erteilte. Das Gedenken an die Pioniertätigkeit von Emilie Kempin-Spyri und der Respekt vor ihrem tragischen Leben verläuft – wie es scheint – in einer Geschichte mit immer neuen Höhepunkten. So gibt es seit einem Monat eine fest eingerichtete Internetseite, die laufend aktualisiert wird, es ist geplant, die Gedenktafel von der Gesellschaft zu Fraumünster an einem geeigneten Ort in der Juristischen Fakultät zu platzieren, – wer weiss, vielleicht wird es die Emilie-Kempin-Spyri Lectures oder die Wachsflügelfrau-Vorlesungen in einigen Jahren doch noch geben, oder sogar einen Emilie KempinSpyri Lehrstuhl wie an der New York University, an der Emilie Kempin-Spyri unterrichtete. Das Denkmal von Pipilotti Rist ist dazu geeignet, auch nach dem heutigen Tag innezuhalten, nachzudenken und die Entschlusskraft zu fassen, weitere Schritte zu unternehmen, um die Gleichstellung von Frauen und Männern an der Universität Zürich umzusetzen. Es würde mich ich freuen, wenn das Denkmal zu Ehren von Emilie Kempin-Spyri verschiedenste Universitätsangehörige dazu anregt, weitere Ideen in diese Richtung zu entwickeln. Um das zu ermöglichen ist es wichtig, Seite 1/2 Grusswort/SK 22.01.2008 Universität Zürich, Gleichstellung Grusswort von Frau Professorin Brigitte Woggon dass dieses Denkmal kein „Wander-Pokal“ ist, sondern an einem zentralen Ort unserer Universität, im Lichthof, einen festen Platz gefunden hat, an dem es uns für immer an Emilie Kempin-Spyri und ihren Einsatz für die Gleichstellung beider Geschlechter erinnern kann. Seite 2/2 Grusswort/SK 22.01.2008 Gleichstellung Würdigung der Mitarbeitenden des Denkmals «Chaiselongue» Denkmal für PD Dr. iur. Emilie Kempin-Spyri, 2007 Konzept & Art Direktion: Pipilotti Rist Design & Produktionskoordination: Markus Huber Recabarren Grafik Design für Stickerei und Schnitzerei: Thomas Rhyner Produktionsleitung: Rachele Giudici Schnitzerarbeiten: Urban Hauser, Philipp Dräyer, Andreas Schaller, Xaver Pfyl, Pierina Imhof, Christian Widmer, Daniel Aufdereggen, Heidi Burch, Katrin Brechbühl, Andreas Kalbermatter, Gisela Koller, Christoph Steiger, Mario Tischhauser, Joshua Blaser, Raphael Juchli, Linda Lüthy, Michael Rudolph, Solange Sudan (Schule für Holzbildhauerei Brienz) Schreinerarbeiten: Marcel Morf, Matthias Margraf, Karl Dal Molin, Beat Blöchlinger, Giuseppe Di Maio, Marina Rauch (Schönenberger AG) Metallunterbau: Andreas Graf, Besnik Daku (Rabazo Metallbau) Polsterarbeiten: Kuno Thaler (Thaler Raumgestaltung) Stoffproduktion/Koordination Stickerei: Ralf Studer (Schweizerische Textilfachschule) Stickereiarbeiten: Walter Sonderegger (Walter Sonderegger AG) Produziert von Atelier Rist Sisters und Hauser & Wirth Zürich London. Dank auch an Cornelia Providoli, Karin Seinsoth, Marc Payot, Aline Maas, Prof. Hans Tanner, Claudio Galliard, Balz Roth; und Julian Abad Alvarez und Julian Abad Moreno, Urs und Barbara Hiestand, Stefanie Kaiser, Jürg Bachmann. Teppich mit grosszügiger Unterstützung von Enia Carpets Schweiz AG. Seite 1/1 Denkmal für PD Dr. iur. Emilie Kempin-Spyri, 2007 16..07.2012