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Prof. Dr. M. Willert-Porada
PRAKTIKUMSSKRIPT H4B (WS 2013/2014)
STOFFKLASSENÜBERGREIFENDE BAUTEILFERTIGUNG (WERKSTOFFVERARBEITUNG B)
HOCHTEMPERATURKORROSION
VON WERKSTOFFEN
LEHRSTUHL FÜR WERKSTOFFVERARBEITUNG
ANSPRECHPARTNER:
ANDREAS ROSIN (FAN, RAUM C.1.45)
PETER PONTILLER-SCHYMURA (FAN, RAUM C.1.46)
NUR ZUM PERSÖNLICHEN GEBRAUCH!
1
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Inhaltsverzeichnis
1
VORBEREITUNG AUF DEN VERSUCH ................................................................................................ 3
2
THEORETISCHE GRUNDLAGEN .......................................................................................................... 4
2.1
BEGRIFFE ............................................................................................................................................... 4
2.2
THERMODYNAMIK DER REAKTION METALL/GAS................................................................................... 4
2.3
OXIDATION VON METALLEN UND LEGIERUNGEN ................................................................................... 7
2.3.1
Kinetik der Oxiddeckschichtbildung ............................................................................................. 7
2.3.2
Mechanismen des Deckschichtwachstums .................................................................................. 10
2.3.3
Oxidation von Legierungen......................................................................................................... 12
2.3.4
Deckschichten auf Legierungen .................................................................................................. 14
2.4
EINFÜHRUNG IN DIE THERMOANALYSE ................................................................................................ 15
3
VERSUCHSDURCHFÜHRUNG ............................................................................................................. 16
3.1
HOCHTEMPERATURKORROSION VON METALLISCHEN LEGIERUNGEN ................................................... 16
3.1.1
Gravimetrische Bestimmung der Masseänderung ...................................................................... 17
3.1.2
Mikroskopische Untersuchungen der Oxidationsschichten ........................................................ 17
4
LITERATUR .............................................................................................................................................. 17
2
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1
Vorbereitung auf den Versuch
Das vorliegende Skript ist in Anlehnung an das Kapitel 5 "Hochtemperaturkorrosion" aus
dem "Handbuch Hochtemperatur-Werkstofftechnik" von Ralf Bürgel entstanden (s. Lit. [2]).
Natürlich kann das Thema Hochtemperaturkorrosion nicht umfassend in einem Praktikumskript behandelt werden, deshalb sollten Sie neben den im Skript vorgestellten Zusammenhängen sich für den Versuch auf folgende weitere Punkte vorbereiten:
Grundlagen der Metalle: Gitterstrukturen, Gefüge, Zusammensetzung und Eigenschaften der zu untersuchenden Werkstoffe.
Mechanismen der Hochtemperaturkorrosion bei den zu untersuchenden metallischen
und keramischen Werkstoffen.
Mögliche Korrosionsreaktionen und deren Reaktionsprodukte bei den zu untersuchenden
Werkstoffen.
Untersuchungen zur Bestimmung von Zunderkonstanten.
Maßnahmen des Korrosionsschutzes von metallischen Werkstoffen für Hochtemperaturanwendungen.
Um den Umgang mit den im Skript dargestellten Zusammenhängen und Gleichungen zu
üben, sollen Sie vor der Durchführung des Versuchs folgende Aufgaben und Fragen bearbeitet haben (Besprechung zu Beginn des Praktikumtags):
Stellen Sie für folgende Edukte in oxidierender Atmosphäre ausbilanzierte Reaktionsgleichungen auf: Fe (alle möglichen Oxide); Cr (alle möglichen Oxide); Ni (alle möglichen Oxide)
Wie entwickelt sich das Oxidwachstum in einer Fe-Legierung mit Ni 10%, Cr 2% und Al
1% ausgehend von der äußeren Grenzfläche?
Berechnen Sie mit Hilfe des Ellingham-Richardson-Diagramms die Mindest O₂Partialdrücke für die Oxidation von Chrom bei Temperaturen von 500 °C, 1000 °C und
1500 °C.
Wie groß ist die Dickenabnahme eines Kupfer-Blechs durch Oxidation nach einer Stunde, einem Tag, einem Monat und einem Jahr unter der Annahme eines gleichmäßigen
Flächenabtrags unter der Bildung von Cu₂O?
Die Dichte des Kupfers beträgt ρ = 8,96 g/cm³, seine Atommasse 63,55 g/mol,
ρ (Cu2O) = 6,14 g/cm³.
Folgende Annahmen sind zu berücksichtigen:
für das Deckschichtwachstum gilt das parabolische Zundergesetz mit der Zunderkonstante kp= 1×10⁻¹⁰ [g²cm⁻⁴s⁻¹]
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bei der Bestimmung der Massenzunahme wurde die aufgenommene Sauerstoffmenge
gemessen, aber nicht das Gewicht des Kupferoxids.
2
Theoretische Grundlagen
2.1
Begriffe
Unter Hochtemperaturkorrosion versteht man die Schädigung von Werkstoffen, insbesondere von Metallen und Legierungen, mit Gasen wie Luft, Sauerstoff, Wasserdampf, Schwefeldampf, Verbrennungsgasen oder mit Schmelzen bei hohen Temperaturen unter Oxidation,
Sulfidierung, Karbidbildung etc. [1]. Die Hochtemperaturkorrosion steht damit in Abgrenzung
zur Nasskorrosion oder wässriger Korrosion. Tabelle 1 gibt eine Übersicht über die Grundarten der Hochtemperaturkorrosion und deren Erscheinungsformen.
Tabelle 1
Grundarten der Hochtemperaturkorrosion [2].
Oxidation
Aufkohlung
Aufstickung
(Nitrierung)
Aufschwefelung
(Sulfidierung)
• äußere Oxidation;
Oxiddeckschichtbildung
• innere Karbidbildung
• innere Nitridbildung
• äußere Sulfidierung; Sulfiddeckschichtbildung
• innere Oxidation
2.2
• seltener Nitriddeckschichtbildung
• innere Sulfidbildung (unter rein
sulfidierenden
Bedingungen selten)
Thermodynamik der Reaktion Metall/Gas
Die Thermodynamik kann Aussagen darüber machen, welche Reaktionsprodukte bei hohen
Temperaturen im Gleichgewicht mit der Umgebung stabil sind. Sie liefert jedoch keine Aussage, mit welcher Geschwindigkeit diese Reaktionsprodukte gebildet werden.
In der Anwendung sind oxidierende Bedingungen am häufigsten, z. B. in Verbrennungsgasen
(Rauchgasen), deren Wärme in Wärmetauschern oder Gasturbinen zur Energieerzeugung
genutzt werden soll. Mit Ausnahme der Edelmetalle wie Gold, Silber und Platin usw. sind fast
alle Metalle bei erhöhter Temperatur instabil, und es sollte Oxidation erfolgen unter Umwandlung der metallischen Phase in Oxide. Diese Oxidation erfolgt bei Sauerstoffdrücken
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oberhalb des Bildungsdrucks des betreffenden Oxids. Die Bildungsdrücke der Oxide können
aus der Thermodynamik berechnet werden.
Für eine allgemein formulierte Oxidationsreaktion
2x
2
Me + O2 → Me x OY
y
y
(1)
 ∆G 0 
[bar ]
pO2 = exp
 RT 
(2)
gilt
Hierin ist ∆G⁰ der Standardwert der freien Gibbs-Enthalpie, die auch über
∆G 0 = ∆H 0 − T∆S 0
(3)
ausgedrückt werden kann, worin ∆H⁰ die Standardreaktionsenthalpie und ∆S⁰ die Standardentropie der Oxidationsreaktion ist. Durch Einsetzen der Gleichung 3 in die Gleichung 2 und
Logarithmieren der neuen Gleichung folgt:
ln pO2 =
∆G 0 ∆H 0 T∆S 0
=
−
RT
RT
RT
(4)
Die Auftragung von lnpo2 gegen 1/T ergibt eine Gerade, die das Gleichgewicht der Oxidationsreaktion beschreibt. Oberhalb dieser Geraden ist nur das Oxid stabil und unterhalb der
Geraden das betreffende Metall (vgl. Abbildung 1). Die Steigung der Geraden entspricht der
exothermen Reaktionsenthalpie der Oxidationsreaktion. Je tiefer die Geraden für die Bildungsdrücke in Abbildung 1 liegen, desto thermodynamisch stabiler sind die betreffenden
Oxide. Die stabilsten wie Al₂O₃, SiO₂ u. a. werden schon bei äußerst niedrigem
Sauerstoffdruck gebildet.
Abbildung 1
Bildungsdrücke einiger Oxide logarithmisch aufgetragen gegen 1/T [1].
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Eine weitere Darstellung, das sog. Ellingham-Richardson-Diagramm, zeigt die freie GibbsEnthalpie als Funktion der Temperatur (s. Abbildung 2). Gemäß (3) ist hier ∆G⁰ gegen T aufgetragen. Diese Diagramme gibt es neben der in Abbildung 2 gezeigten Oxidationsreaktion
auch für Karbid-, Nitrid- und Sulfidreaktionen.
Abbildung 2
Ellingham-Richardson-Diagramm einiger Oxidreaktionen [2]
Die Umrandungsachse gibt die O₂-Partialdrücke an, wobei die Werte mit dem absoluten
Nullpunkt zu verbinden sind. Als Beispiel ist die gestrichelte Linie für pO₂= 10⁻¹⁵ Pa (= 10⁻²⁰
bar) eingetragen. Nur Oxide, deren ∆G⁰ -Werte unterhalb dieser Linie liegen, sind bei diesem
pO₂-Wert noch thermodynamisch stabil.
Der Schnittpunkt der Ordinate bei T = 0 entspricht der Enthalpie, die Steigung der Geraden in
diesem Diagramm entspricht der Reaktionsentropie. Die Enthalpien der Oxidationsreaktionen können sehr verschieden sein, die Entropiewerte sind durchweg sehr ähnlich, denn die
Reaktionsentropie ist im Wesentlichen gegeben durch das Abreagieren eines Mols O₂ bei
der Oxidation. Werden Geraden in diesem Diagramm durch den absoluten Nullpunkt gelegt
unter Einsetzen verschiedener Werte für pO₂, so ergibt sich eine Geradenschar. Die Schnittpunkte dieser Geraden mit den Auftragungen von ∆G⁰ ~ T geben die Temperaturen an, bei
denen der Bildungsdruck der Oxide dem vorgegebenen Sauerstoffdruck entspricht.
Gleichung (2) gilt in dieser Form nur für die Oxidation reiner Metalle zu reinen Oxiden. Bei
der Oxidation von Legierungen ist die Aktivität der beteiligten Metalle aMe < 1 und bei der
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Bildung von Mischoxiden ist auch deren Aktivität kleiner 1. Für eine Oxidation muss in einem
solchen Fall das vollständige Massenwirkungsgesetz mit der Gleichgewichtskonstante Kp
geschrieben werden,
2
y
a Me
xOy
a
2x
y
Me
pO2
 ∆G 0
= K P = exp −
 RT



(5)



(6)
das sich mit
pO2 = a
2x
y
Me
−
a
2
y
Me x O y
 ∆G 0
exp
 RT
umschreiben lässt. Hieraus erkennt man, dass bei aMe < 1 ein erhöhter Bildungsdruck erforderlich für die Bildung des Oxides im Vergleich zu der Oxidation des reinen Metalls ist. Die
Aktivitäten von Legierungen und intermetallischen Phasen sind häufig bestimmt worden, z.B.
durch Messung der Dampfdrücke bei erhöhter Temperatur Werte für die wichtigsten Legierungen sind in der Literatur zu finden.
2.3
Oxidation von Metallen und Legierungen
Die Reaktion eines metallischen Werkstoffes mit dem Sauerstoff der Luft bezeichnet man als
Zunderung, wenn sich dabei dickere, äußerlich gut erkennbare Deckschichten (Zunderschichten) bilden. Der Begriff „Anlaufschichten“ wird für dünnere Oxidfilme benutzt, wie sie bei
niedrigeren Temperaturen oder kurzen Oxidationszeiten entstehen.
2.3.1
Kinetik der Oxiddeckschichtbildung
Experimentell erfasst man die Kinetik des Oxiddeckschichtwachstums in der Regel gravimetrisch. Dabei wird die Massenänderung der Probe aufgrund der Reaktion des Werkstoffs mit
Sauerstoff verfolgt. Bei isothermer Versuchsführung kann die Messung in-situ mit Hilfe einer
Thermowaage erfolgen (thermogravimetrisch). Vereinfachend kann auch eine diskontinuierliche Wägung nach bestimmten Zeitintervallen vorgenommen werden. Hierbei ist allerdings
der thermozyklische Effekt zu bedenken, der zu Abplatzungen der Zunderschicht führen
kann, die isotherm nicht oder in anderem Maße auftreten würden. Die Massenänderungen
werden auf die Ausgangsflächen der verwendeten Probe bezogen, für die es keine allgemein
gültige Normabmessung gibt.
Das direkte Messen der Oxidschichtdicke stößt besonders bei dünnen Deckschichten auf
präparative und messtechnische Schwierigkeiten. Spielt allerdings innerer Korrosionsangriff
eine (zusätzliche) Rolle, so wird die Kinetik in der Regel durch metallographische Schliffauswertung verfolgt. Die zeitliche Massenänderung bei der Oxidation kann nach unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten stattfinden (vgl. Abbildung 3):
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Abbildung 3
Idealisierte kinetische Gesetzmäßigkeiten der Hochtemperaturoxidation [2]
Zusätzlich ist die Durchbruchoxidation (breakaway-Oxidation) schematisch eingezeichnet,
die unter bestimmten Bedingungen nach dem Übergang von schützendem zu nicht schützendem Deckschichtverhalten auftreten kann. Hierfür ist die Brutto-Massezunahme, d. h.
einschließlich eventuell abgeplatzter Oxide angegeben. Effektiv stellt sich Materialabtrag ein.
logarithmische Massenzunahme
parabolische Massenzunahme
lineare Massenzunahme
Masseabnahme
Durchbruchoxidation
a)
Logarithmisches Oxidationsgesetz
Das Oxiddeckschichtwachstum lässt sich für die meisten Metalle und Legierungen bei dünnen Schichten und tiefen Temperaturen, die unter 500°C liegen, am besten mit einem logarithmischen Gesetz beschreiben.
x(t ) = k ln0 ln (t )
(7)
x(t): Schichtdicke
kln0: schichtdickenbezogene logarithmische Zunderkonstante
t : Oxidationszeit
Bezieht man die Oxidation auf die Massenänderung, so nimmt Gleichung (7) folgende Gestalt an.
∆m
= k ln ln (t )
A
(8)
∆m: Massenänderung durch Oxidation
A : Probenoberfläche
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kln : massenspezifische logarithmische Zunderkonstante
b)
Parabolisches Oxidationsgesetz
Mit dem parabolischen Oxidationsgesetz (Tammansches Zundergesetz) lässt sich bei Hochtemperaturanwendungen das Deckschichtwachstum der meisten Metalle und Legierungen
beschreiben.
x 2 (t ) = k p0 t
(9)
kp0: deckschichtbezogene parabolische Zunderkonstante
Daraus lässt sich die massenbezogene Abnahme wie folgt ableiten:
 ∆m 

 = k pt
 A 
2
(10)
kp : massenspezifische parabolische Zunderkonstante
Wie in Abbildung 3 zu erkennen ist, verlangsamt sich hierbei der Korrosionsvorgang mit der
Zeit, kommt allerdings nicht zum Stillstand. Um festzustellen, ob die parabolische Beschreibung zutrifft, werden die Messwerte quadratisch gegen die Zeit aufgetragen. Im Idealfall
liegen sie auf einer Geraden für T = const.
c)
Lineares Oxidationsgesetz
Die beiden hochschmelzenden Metalle Ta und Nb zählen zu denen, die bei hohen Temperaturen sehr raschen und zeitlich linear zunehmenden Oxidationsangriff aufweisen. Das Oxidationsgesetz hat in diesem Fall folgende Form:
x(t ) = k l0
(11)
kl0: deckschichtbezogene lineare Zunderkonstante
Im Anfangsstadium kann ein zunächst schützender und parabolisch wachsender Oxidfilm
gebildet werden, welcher jedoch meist nach relativ kurzen Zeiten aufbricht und der
Sauerstoff dadurch ständigen direkten Kontakt zu frischem Metall erhält. Dieser Vorgang
wird auch als Durchbruchoxidation bezeichnet. Oft kommt es bei diesem Mechanismus zu
Abplatzungen der Oxidschicht und zu Massenverlusten der Probenkörper.
d)
Massenabnahme durch Oxidation
Abgesehen von Deckschichtabplatzungen führt Oxidation dann zu Masseverlust, wenn sich
flüssige oder flüchtige Oxide bilden. Die Massenabnahme folgt in diesen Fällen meist einem
linearen Gesetz. Man bezeichnet dies auch als katastrophale Oxidation.
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2.3.2
Mechanismen des Deckschichtwachstums
Die Theorie des parabolischen Deckschichtwachstums geht auf C. Wagner (1933) zurück. Es
wird angenommen, dass sich im Anfangsstadium der Oxidation ein rissfreier und perfekt
haftender Oxidfilm bildet. Die treibende Kraft für das Schichtwachstum resultiert aus der
freien Bildungsenthalpie des Oxids. Dazu muss Diffusionstransport durch die geschlossene
Schicht stattfinden (s. Abbildung 4). Dieser Vorgang ist geschwindigkeitsbestimmend für die
Oxidation im Falle schützender Deckschichten. Da es sich bei den hier vorwiegend interessierenden Oxiden um ionengebundene Kristallgitter handelt, ist der Ionen- und Elektronentransport zu betrachten. Prinzipiell werden drei Fälle des parabolischen Schichtwachstums
unterschieden:
a) Die Sauerstoffanionen wandern schneller durch die Oxidschicht als die Metallkationen.
Die Schicht wächst vorwiegend von innen an der Grenzfläche zum Metall (z. B. Fe₂O₃,
SiO₂, TiO₂, ZrO₂, UO₂, überwiegend auch Al₂O₃).
b) Die Metallkationen wandern schneller durch die Oxidschicht als die Sauerstoffanionen.
Die Schicht wächst dann vorwiegend von außen an der Oxid/Gas-Grenzfäche (CoO,
Cr₂O₃, Cu₂O, FeO, NiO).
c) Die Beweglichkeit der Elektronen ist geringer als die beider Ionen. Die Schicht wächst
entweder von innen oder von außen, abhängig davon, welche Ionenart schneller
diffundiert (z. B. Al₂O₃).
Abbildung 4
Wagnersches Modell des parabolischen Deckschichtwachstums am Beispiel von Metalloxiden [2].
Folgende Diffusionsrichtungen können auftreten:
Sauerstoffanionen wandern schneller durch die Schicht als Metallkationen; die Schicht
wächst an der Metall/Oxid-Grenzfläche.
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Metallkationen wandern schneller durch die Schicht als Sauerstoffanionen; die Schicht
wächst an der Oxid/Gas-Grenzfläche (Oberfläche).
Die zurückbleibenden Leerstellen im Metall können bei Überschreiten einer kritischen Konzentration zu Poren kondensieren (in der Zeichnung unberücksichtigt).
Abhängig von der Temperatur, dem O₂-Partialdruck und anderen Parametern können sich
die Beiträge der einzelnen Transportarten verschieben. An der Metall/Oxid-Phasengrenze
herrscht der O₂-Dissoziationsdruck, wie er z. B. aus dem Ellingham-Richardson-Diagramm für
die entsprechende Temperatur abgelesen werden kann. Zwischen diesem Grenzwert und
dem O₂-Partialdruck im Gas baut sich über der Oxidschicht ein Gefälle auf. Die treibende
Kraft für den gerichteten Diffusionstransport durch die Schicht stellt der Konzentrationsunterschied zwischen der Metall/Oxid-Grenze und der Oxid/Gas-Oberfläche dar.
Für eine genauere Betrachtung der Diffusionsvorgänge in Oxidgittern müssen die Defektstrukturen in den Gittern bekannt sein. Unter Defektstrukturen versteht man bei Ionenkristallen alle punktförmigen Gitterfehler sowie elektronische Defekte in Form zusätzlicher
Elektronen oder Elektronenlöcher. Die meisten ionischen Oxide bestehen aus einer hexagonal dichtesten Packung (hcp) oder kubisch flächen-zentrierten (fcc)-Anordnung der relativ
großen Sauerstoffionen, in der kleine Metallionen interstitielle Plätze einnehmen. Folgende
Punktdefektarten sind in diesem Gitter zu unterscheiden:
Metallionen (=Kationen)-Leerstellen: nicht besetzte interstitielle Plätze, die regulär
Metallionen zugeordnet sind
Sauerstoffionen (=Anionen)-Leerstellen
Metall-Zwischengitterionen: zusätzlich durch Kationen besetzte interstitielle Plätze
Sauerstoff-Zwischengitterionen: zusätzlich durch Anionen besetzte interstitielle Plätze
Defekte bedeuten zwangsläufig eine Abweichung von der idealen Stöchiometrie des Oxids.
Tabelle 2 gibt eine Übersicht über die möglichen Arten der Nichtstöchiometrie.
Tabelle 2
Nichtstöchiometrische Oxidformen mit den zugehörigen Defektarten und dem vorwiegenden Mechanismus des Deckschichtwachstums (a und b sind die ganzzahligen Stöchiometriewerte, x und y die Dezimalzahlen der Abweichungen davon. Bei Oxiden gilt
meist: x << a und y << b. HL: Halbleiter). [2]
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Art der Nicht-
Formel-
stöchiometrie
schreibweise
O-Defizit
MaOb-y
M-Überschuss
Ma+xOb
Art der Punktde- HLfekte
Typ
Schichtwachstum
bestimmt durch…
Beispiele
Anionen-
Sauerstoffdiffusion
Fe₂O₃, Ta₂O₅,
TiO₂, ZrO₂
Metalldiffusion
ZnO
Leerstellen
n
Interstitielle Kation
nen
M-Defizit
Ma-xOb
Kationenleerstellen p
Metalldiffusion
CoO, Cr₂O₃,
Cu₂O,
FeO,
Fe₃O₄, NiO
O-Überschuss
MaOb+y
Interstitielle
Anionen
Sauerstoffdiffusion
unwahrscheinlich
p
Die vorherrschende Defektart bestimmt den geschwindigkeitsbestimmenden Diffusionsvorgang beim Deckschichtwachstum. Der kp-Wert verhält sich folglich proportional zur Konzentration der Defekte und zum Grad der Nichtstöchiometrie.
2.3.3
Oxidation von Legierungen
Neben den genannten Sachverhalten kommen bei der Oxidation von Legierungen noch weitere Effekte hinzu:
Die Legierungskomponenten weisen unterschiedliche Affinität zu Sauerstoff auf
Die Konzentrationen und Aktivitäten der Elemente weichen voneinander ab
Die Diffusionsgeschwindigkeiten der Elemente in der Legierung sind ungleich.
In die sich bildenden Deckschichten werden in der Regel andere metallische Elemente
mit eingebaut.
Abbildung 5 zeigt die Bildungsenthalpien verschiedener Legierungselemente in Abhängigkeit
von ihrer Legierungskonzentration. Für verdünnte FeAl- bzw. FeCr-Legierungen erfolgt daher
zunächst die Oxidation von Eisen, obwohl Eisen edler ist als Aluminium und Chrom. Erst
oberhalb einer Konzentration Al > 1% bzw. Cr > 10% wird auch die Oxidation der Legierungselemente unter Bildung von Al₂O₃ bzw. Cr₂O₃ möglich.
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Abbildung 5
Bildungsenthalpien verschiedener Legierungselemente in Abhängigkeit von ihrer Legierungskonzentration
Abbildung 6 zeigt schematisch die häufigsten Fälle der Legierungsoxidation einer Legierung
A-B (A: Hauptelement, B: Legierungselement), bei der davon ausgegangen wird, dass für alle
Komponenten die Oxidation unter Umgebungsbedingungen thermodynamisch möglich ist.
In Abbildung 6a) ist der ideale Zustand dargestellt mit selektiver Oxidation des Legierungselementes sowie einer geschlossenen Deckschicht dieses Oxids.
Für eine selektive Oxidation von B in einer geschlossenen Deckschicht müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
1. Das B-Oxid muss unter den gegebenen Umständen thermodynamisch stabiler sein als
das A-Oxid.
2. Die Konzentration von B reicht aus, um eine dichte B-Oxiddeckschicht zu bilden.
(Faustregel: mind. 10 at.% B sind erforderlich!)
3. Die Diffusionsgeschwindigkeit von B in der Legierung ist so hoch, dass an der
Oxid/Metall-Grenzfläche stets eine genügend hohe Konzentration von B vorliegt.
In Abbildung 6b) ist der Fall dargestellt, dass die Legierungselementkonzentration von B
nicht oder - nach entsprechender Verarmung - nicht mehr ausreicht, um eine geschlossene
B-Oxidschicht zu erzeugen. Den Vorgang, dass B-Oxide sowohl in die A-Oxidschicht eingebaut als auch unterhalb der Deckschicht als diskrete Teilchen gebildet werden, wird als innere Oxidation bezeichnet.
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Abbildung 6
Schematische Darstellung zweier vereinfachter Formen der Oxidation einer binären A-BLegierung; A ist jeweils das Hauptelement und edler (höherer O2-Dissoziationsdruck) als
Element B. [2]
B bildet eine geschlossene Oxiddeckschicht aus BₓOy (mit einer gewissen A-Dotierung).
Der Legierungsbereich unterhalb der Deckschicht verarmt an B. Das untere Teilbild
zeigt die Konzentrationsverläufe von A und B (c: Konzentration)
Die Konzentration von B reicht nicht aus, um eine geschlossene Deckschicht zu bilden.
In die A-Oxidschicht werden B-Oxide eingebaut und B erfährt innere Oxidation. Das untere Teilbild zeigt die Konzentrationsverläufe von A und gelöstem B. Es ist angenommen, dass auch etwas B im Oxid AaOb gelöst wird.
2.3.4
Deckschichten auf Legierungen
Auf Legierungen bilden sich in den meisten Fällen Deckschichten, an denen mehrere oder
sogar alle metallischen Komponenten beteiligt sind. Grundsätzlich können drei verschiedene
Formen bei der Mischung von Oxiden angenommen werden:
(Nahezu) völlige Unlöslichkeit der Oxide ineinander - die Oxidarten treten als reine
Komponenten auf
Oxid-Mischkristallbildung - es entstehen Mischoxide, in binären Systemen als (A,B)aOb.
Ein Beispiel für lückenlose Mischkristallbildung ist das System NiO-CoO.
Bildung eines anderen Oxidtyps - analog zu den intermetallischen Phasen bei Metallen
bilden sich in binären Oxidsystemen so genannte Doppeloxide, vorwiegend in der Form
von Spinellen. Deren Summenformel beträgt AB₂O₄ mit einer Summe der Kationenwertigkeiten von 8, z. B. als Doppeloxid AO∙B₂O₃. Beispiele für Spinelle sind z.B.
Ni(Cr,Al)₂O₄.
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In Abbildung 7 ist der schematische Ablauf der anfänglichen Oxidation einer Ni-Cr-Al Legierung mit minimal etwa 10 wt% Cr und 5 wt% Al bei 1000 °C dargestellt. Wegen bevorzugter
Kinetik bildet sich an der Oberfläche zunächst NiO sowie der Spinell Ni(Cr, Al)₂O₄. Unterhalb
dieser Deckschicht, wo der O₂-Dissoziationsdruck für diese beiden Oxide herrscht (NiO bei
1000 °C ~10⁻¹⁰ bar), kommt es vorwiegend zur Bildung einer Cr₂O₃-Zwischenschicht, weil die
hierfür erforderliche O₂-Aktivität geringer ist. Der O₂-Partialdruck wird unterhalb des geschlossenen Cr₂O₃-Films auf etwa 10⁻²² bar reduziert. Dadurch wird die Eindiffusion des
Sauerstoffs stark vermindert und es kommt nur zu geringer innerer Oxidation von Aluminium.
Das Chrom fängt den Sauerstoff ab und verhindert so die Bildung von deckschichtunwirksamen inneren Oxiden. Unter diesen Bedingungen besteht die Möglichkeit, dass sich unter der
Cr₂O₃-Schicht eine stabile Lage aus Al₂O₃ bildet. Der Fortlauf der Oxidation wird durch das
Wachstum des Aluminiumoxid-Films bestimmt, welche den thermodynamisch stabilen Deckschichtzustand darstellt. Die Vorgänge beziehen sich bei Fe-Cr-Al-Legierungen in analoger
Weise.
Abbildung 7
2.4
Schematischer Ablauf der anfänglichen Oxidation von Ni-Cr-Al Legierungen mit etwa 10
Gew.% Cr und 5 Gew.% Al; t1 < t2 < t3 [2].
Einführung in die Thermoanalyse
Die Abkürzung TG steht für Thermogravimetrie [8]. Sie darauf beruht darauf, die Massenänderung einer Analysenprobe in Abhängigkeit von der Temperatur oder Zeit zu bestimmen.
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Die Massenänderung kann aufgrund physikalischer oder chemischer Vorgänge, d.h. Trocknung oder Dehydratation, Oberflächenreaktionen, Zersetzung oder Oxidation, stattfinden.
Die Abkürzung DSC steht für die englische Bezeichnung „Differential Scanning Calorimetry“.
Hierbei sind Probe und Referenztiegel miteinander thermisch leitend verbunden und werden
im Ofen erwärmt. Aufgrund von Wärmekapazitäten, exo- bzw. endothermen Prozessen
kommt es zu einem Wärmefluss in, bzw. aus der Probe, was als Temperaturunterschied zwischen Probe und Referenz messbar ist. Der Temperaturunterschied ist dabei proportional
zum Wärmestrom. Diese Methode eignet sich besonders für quantitative Untersuchungen
über freigesetzte bzw. aufgenommene Enthalpien einer Reaktion, die der Signalhöhe direkt
proportional sind. Die Höhe des Signals ist außerdem direkt proportional der Reaktionsgeschwindigkeit. Aus DSC-Messungen können Parameter wie spezifische Wärme, Schmelztemperaturen, Übergangsenthalpien, Phasenumwandlungen, Phasendiagramme, Kristallisationstemperaturen, Kristallinitätsgehalt, Glasübergangstemperaturen, Zersetzungseffekte, Reaktionskinetik und Reinheit abgeleitet werden. In Abbildung 8 ist eine typische TG-DSCMessung einer anorganischen Substanz dargestellt.
Abbildung 8
Typische DSC-TG-Messkurven einer anorganischen Substanz, gemessen mit einem
®
Netzsch STA 449 Jupiter .
Zur Aufnahme von DSC-Daten wird bei der differenziellen Wärmestrom-Kalorimetrie die Differenz des Wärmestroms in der Probe und einer Bezugssubstanz gemessen [9]. Die Messanordnung und weitere Details werden am Versuchstag im Praktikum am Gerät diskutiert.
3
Versuchsdurchführung
3.1
Hochtemperaturkorrosion von metallischen Legierungen
In diesem Versuch werden eine Zink-Legierung, Stahl-Legierung, Messing, eine Molybdän
und ein Titan-Werkstoff hinsichtlich des Korrosionsverhaltens an Luft bei 850 °C und 1000 °C
untersucht. Der Versuch gliedert sich in zwei Teile:
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3.1.1
Gravimetrische Bestimmung der Masseänderung
Im ersten Teil wird die kontinuierliche Masseänderung der Zink-Legierung an Luft in Abhängigkeit der Zeit (24 h) für die jeweilige Temperatur bestimmt. Dies wird mit Hilfe der TG-DSC
Thermoanalyse durchgeführt.
In einem Muffelofen wird das Korrosionsverhalten von Messing und Stahl an Luft bei 850 °C
nach bestimmten Zeitschritten untersucht. Alle anderen Proben wurden bereits oxidiert und
müssen nur noch vermessen werden.
3.1.2
Mikroskopische Untersuchungen der Oxidationsschichten
Nach Abschluss der Analyse werden die Dicke und teilweise der Aufbau der entstandenen
Oxidationsschichten der Zinkpulver an einem metallographischen Schliff am Rasterelektronenmikroskop untersucht.
Aufgrund der durchzuführenden Langzeitversuche in diesem Praktikum sowie der notwendigen Probenpräparation erstreckt sich die Durchführung über mind. drei Termine innerhalb
von 2 Wochen. Die Versuchsdurchführung sowie der Inhalt des Praktikumsprotokolls werden
am Versuchstag mit dem betreuenden Assistenten besprochen.
Protokolle werden in einem Zeitrahmen von bis zu 4 Wochen nach der abgeschlossenen Versuchsdurchführung angenommen. Wird dieser Zeitraum selbst verschuldet überschritten, so
gilt der Versuch als „nicht bestanden“!
4
Literatur
[1]
H.J. Grabke: DGM-Fortbildungsseminar "Hochtemperaturkorrosion"
[2]
R. Bürgel: Handbuch Hochtemperatur-Werkstofftechnik; 2. Aufl.; 2001; S.259-306
[3]
E. Macherauch: Praktikum in Werkstoffkunde; 10. Aufl.; 1992; S.292-295
[4]
E. Heitz, R. Henkhaus, A. Rahmel: Korrosionskunde im Experiment; 2. Aufl.; 1990;
S.145-148
[5]
H. Kaesche: Die Korrosion der Metalle; 3. Auflage; 1990
[6]
E. Kunze (Hrsg.): Korrosion und Korrosionsschutz; Bd. 4; 2001
[7]
E. Kunze (Hrsg.): Korrosion und Korrosionsschutz; Bd. 6; 2001
[8]
G. Schwedt: Analytische Chemie; 2004
[9]
D. A. Skoog, J. J. Leary: Instrumentelle Analytik, Übersetzung von D. Brendel,
S. Hoffstetter-Kuhn; 1996
17

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