24.10.2013 Die Zeit

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Die Reben des Herrn
In Höxter-Corvey in Nordrhein-Westfalen hat der erste »ökumenisch-biblische Weinpfad Norddeutschlands«
eröffnet. Er ist nur 2,3 Kilometer lang, reicht aber zurück bis zu Karl dem Großen VON BURKHARD STRASSMANN
I
m deutschen Nirgendwo, wo die Bimmelbahn von Paderborn nach Holzminden auf
die Weser trifft, liegt 37671 Höxter. »Rathaus
Höxter« heißt der Bahnhof, als gäbe es noch
weitere im Städtchen. Geputzte bunte Fachwerkhäuschen, Weserrenaissance. Früher, zu Zeiten
Karls des Großen, war hier so etwas wie Zonengrenzgebiet. Jenseits der Weser begann heidnisches
Sachsenland. Nach der Reformation war es hüben
katholisch, drüben protestantisch. Heute ist Höxter
die östlichste Kommune Nordrhein-Westfalens.
Aus Höxter vernahm ich die frohe Kunde vom
ersten »ökumenisch-biblischen Weinpfad Norddeutschlands«. Gerade wurde er in Anwesenheit von
zwei grünen Landwirtschaftsministern eingeweiht.
Was hat die Aussöhnung der Christenheit mit Wein
zu tun? Seit wann gibt es in Norddeutschland Weinberge, anders gefragt: Gibt es neuerdings Weserwein?
Nur ein paar Schritte vom Bahnhof flussabwärts
stoße ich auf den Weserradweg und nach zwei Kilometern Spazieren erstreckt sich vor mir Schloss Corvey, ehemals eine mächtige Benediktinerabtei, heute
in Privatbesitz und von Touristen gern besucht. Weht
die Fahne auf dem Dach, sind seine Durchlaucht
Viktor V., Herzog von Ratibor und Fürst von Corvey,
daheim. Im fürstlichen Kuhstall treffe ich Michael
Rindermann. Wo früher gemuht und gemolken
wurde, hat er eine fein sortierte Weinhandlung eingerichtet. Rindermann ist Weinexperte, ja Weinverrückter. Er hat sich den neuen Pfad mit ausgedacht.
Der Händler lädt mich in sein Auto ein: »Wir könnten auch zu Fuß gehen, doch dann müssten wir
mitten durchs Höxteraner Gewerbegebiet.«
An der B 64 halten wir an einem Hügel mit dem
Namen Räuschenberg. Hinweisschilder auf dem Parkplatz zeigen, dass die hiesigen Touristiker vom Erfolg
des Jakobswegs gelernt haben. Es gibt einen »Renaissance Weg«. Zugleich führt hier auf 40 Kilometern
der »ökumenische Weg der Stille« entlang. Und eben
der »Biblische Weinpfad«. Ich erfahre, dass er nur 2,3
Kilometer misst – dafür habe ich mir Wanderschuhe
angezogen! Der Weg ist dem Heimat- und Verkehrsverein Höxter sowie Aktivisten wie Rindermann zu
verdanken. An sieben Stationen ist auf einer Stehle
We
ser
Höxter-Corvey
Anreise
Mit der Bahn ab Paderborn oder Holzminden.
Mit dem Pkw über A 2, A 7, A 33 oder A 44.
Ausgangspunkt des Pfads: Parkplatz an der B 64
Unterkunft
Fotos: Stefan Thomas Kröger für DIE ZEIT/www.nophoto.de
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ein aufgeschlagenes Buch aus Holz montiert. Zu lesen
ist darin jeweils etwas über die Geschichte des Ortes
und die Verbundenheit der Bibel mit dem Wein. An
220 Stellen wird der Wein in der Bibel erwähnt! So
wird Gott als Winzer vorgestellt, sein Sohn als Weinstock. Dessen Jünger sind die Rebzweige. Und dann
die Hochzeit zu Kana, bei der Jesus Wasser in Wein
verwandelte – die Bibel ist keine Abstinenzlerlektüre.
Eine überraschend große Kapelle taucht aus dem
Grün auf, die vom Volksmund immer schon »Wein-
Schon im 17. Jahrhundert
bauten Mönche der Abtei
Corvey (kleines Foto
rechts) hier an der Weser
Wein an. Heute wächst
am Pfad der Rote Regent
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bergkapelle« genannt wurde. Hier finden Gottesdiens- den man achtlos hat fallen lassen« hinrissen. Rinderte mit Katholiken, Protestanten und Christen aus dem mann greift unter eine Sitzbank und zieht eine Weinnahen koptischen Kloster Brenkhausen statt – daher flasche und Gläser hervor. »Corveyer Hexenstieg von
der Name »ökumenischer Weinpfad«. Rindermann 2012« sagt er und schenkt ein. Eine hübsche Cuvée,
erzählt, dass die Kapelle sowie ein paar einschlägige ein zarter Rosé mit feiner Säure. Kein essigsaurer
Flurnamen ihn vor Jahren dazu bewogen, die Ge- Nordtropfen – ein prima Weserwein!
schichte des Räuschenbergs zu studieren. Er unterDie Logik ist bestechend: Wenn die Corveyer
nahm Streifzüge durchs Gebüsch, entdeckte zuge- Mönche wegen der Kaltzeit den Weinbau einstellen
wachsene Terrassen und Reste von Kellern. In den mussten und wir heute global warming erleben, waAnnalen von Kloster Corvey fanden sich weitere Hin- rum soll dann nicht auch an der Weser Wein gedeiweise. Tatsächlich: An dieser Stelle hatten Corveyer hen? Rindermann suchte gemeinsam mit WeinforMönche Ende des 17. Jahrhunderts Wein angebaut. schern die weiße Rebsorte Phönix, den roten Regent,
Klöster haben immer einen hohen Weinbedarf, und am Räuschenberg wählte er den besten Standort
schon wegen des Konsums von Messwein. Zudem, dafür aus. Der fand sich fast genau am Ort des hisso werde ich bei der Kapelle informiert, hatte der torischen Weingutes. 99 Rebstöcke wurden gepflanzt,
heilige Benedikt in die Ordensregeln den gewunde- das Maximum, das EU-rechtlich noch als Hobbynen Passus geschrieben: »Zwar lesen wir, Wein passe weingarten durchgeht. Diese liefern nun im dritten
überhaupt nicht für Mönche. Aber weil sich die Jahr Trauben für den Corveyer Hexenstieg. Der
Mönche heutzutage davon nicht überzeugen lassen, Name bezieht sich auf eine alte Flurbezeichnung in
sollten wir uns wenigstens darauf einigen, nicht bis der Nähe und diese wohl auf den »Hexentanzplatz«
zum Übermaß zu trinken, sondern weniger. Denn oben auf dem Räuschenberg.
Und dann deutet Michael Rindermann auf eine
der Wein bringt sogar die Weisen zu Fall.« Eine »Hemina« täglich, das ist gut ein Viertelliter Wein, ge- Handvoll kleiner, noch nicht tragender Rebstöcke.
stand der Ordensgründer seinen Brüdern zu.
»Weißer Orleans«, sagt er, das sei eine uralte Rebsorte,
Der Weintransport aus dem Rheinland über den die angeblich von Karl dem Großen nach DeutschHellweg, der in Corvey endete, war teuer und unsi- land gebracht wurde und sich dann schnell verbreitecher. Da lag der Gedanke nah, eigenen Wein zu er- te. Eine die Wärme liebende Rebe, die im Laufe der
zeugen. 18 Morgen umfasste das Corveyer Weingut, Jahrhunderte immer schlechter mit dem Klima in
rund fünf Hektar. Im Wald zeigt mir Rindermann Europa zurechtkam und schließlich vom Riesling verüberwucherte alte Terrassen. Nur Rebstöcke hat er drängt wurde. Als sauren Schutz gegen Traubendiebe
nie gefunden. Niemand weiß, welche Trauben hier setzte man den Orleans noch bis ins 19. Jahrhundert
angebaut wurden. Sicher ist nur: Nach 20 Jahren war gelegentlich an Weinbergrändern ein. Im letzten Jahrder Spaß vorbei. Immer mehr Missernten, immer hundert galt er als ausgestorben. Erst vor wenigen
schlechterer Wein – Rindermann vermutet, dass es Jahren entdeckten Weinforscher einige Exemplare der
schlicht zu kalt war. Die damalige Klimaveränderung betagten Rebsorte. In Rüdesheim und in der Pfalz
hatte zu einer »kleinen Eiszeit« geführt. Der Corvey- existieren seitdem Versuchsanbauflächen. Und nun
er Weinbau wurde aufgegeben.
auch in Corvey. Michael Rindermann sagt dem WeiBergab gehen wir auf Forstwegen. Bis jetzt
ßen Orleans eine große Zukunft voraus. Dank
war es ein netter Waldspaziergang mit
der Klimaerwärmung könnte er seinerInfotexten und Bibelzitaten. Dann
seits den Riesling wieder ausbooten.
A 2 Hannover
treten wir aus dem Wald in die
Vielleicht hat ja Adalhard, Abt
Sonne, und ein stolzer Winzer
im
französischen Corbie, bei der
Bielefeld
HÖXTER-CORVEY
deutet auf seinen kleinen umCorvey-Gründung im Jahre 815
zäunten Rebgarten. Der Schlüsmit Weißem Orleanser angeA 33
Höxter
stoßen? Als Rindermann das
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No r d r h e i n erste Mal den Wein probierte,
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We s t f a l e n
war
er jedenfalls begeistert.
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Wein genießen, den Karl der
Kassel
Große getrunken hat! »Dieser
He s s e n
Wein hat mich stark berührt.«
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Auch seine Wirkung sei, ein bisschen
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Infos zum ökumenisch-biblischen
Mystik müsse erlaubt sein, recht speziell:
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»Der Weiße Orleans lähmt nicht – er befreit
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den Kopf!«
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stehen, Wein zu trinken, der von den Reben in Reichweite stammt, dabei aufs Land zu schauen und zu
Kulturkreis Höxter-Corvey, Tel. 05271/69 40 10,
philosophieren ist schön. Wer auf dem Corveyer
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Weinpfad keinen Rindermann dabei hat und nur in
Holzbüchern lesen und über den Weingartenzaun
gucken kann, der sollte auf jeden Fall einen Kopfsel zum Tor liegt in einem Versteck. Wir betreten die befreier und ein Glas im Rucksack haben. Eine HeAnpflanzung, rote und weiße Trauben hängen von mina oder zwei am Aussichtspunkt – schon sieht man
den Reben, Michael Rindermann breitet die Arme den Obi nicht mehr.
aus: »Ist das nicht wundervoll?«
Stattdessen liest man im siebten Buch, wie es HoffDer Blick schweift über ein ausgedehntes Gewer- mann von Fallersleben, der in Schloss Corvey bebegebiet mit Obi. Bleibt für einen Moment an der graben ist, beim Blick auf das Corveyer Land erging:
markanten dreitürmigen Kulisse des Schlosses Corvey
»Ich schau in dein freundliches Angesicht,
dein Auge so blau wie Vergissmeinnicht.
hängen. Und wandert dann über die wonnigen HüDie Freude, sie schlüpft in mein Herz hinein,
gel des Weserberglands, welche die Dichterin Else
als wollt es ewiger Frühling sein.«
Lasker-Schüler zum Vergleich mit einem »Mantel,
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