SMS 2010: Gummistiefelpflicht und Schlammpiste

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SMS 2010: Gummistiefelpflicht und Schlammpiste
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SMS 2010: Gummistiefelpflicht und Schlammpiste
Saalfeld/Plauen – Was
haben Diane aus England, Marcia aus Spanien, Star-DJ David Guetta, Paul aus Bremen,
DJane Miss Kitten, Elisa aus Holland, Michél aus Plauen, Thomas D. von den Fantas
und Ellen Alien gemeinsam? Im ersten Augenblick sicherlich gar nichts. Aber weit
gefehlt – sie alle waren am vergangenen Wochenende zum 14.
SonneMondSterne-Festival (SMS) an der Saalburger Bleilochtalsperre.
Die einen als Artists, die anderen als Gäste. Alle hatten sie sie an, um über die musikalische
Schokoladensoße, wie der Schlamm liebevoll getauft wurde, zu schlittern: Gummistiefel. Das
wertvollste Equipment des gesamten Wochenendes, da das komplette Gelände wegen des
zweitägigen Dauerregens eine einzige Schlammpiste war.
Mit offiziell 38 000 Besuchern war das beliebteste, elektronische Festival schon im Vorfeld
wieder ausverkauft. Doch das ist noch lange kein Grund für die Veranstalter, sich weniger um
das Wohl ihrer elektronischen Pilger zu kümmern. Um die Auflagen bestmöglich zu erfüllen,
wurde zusätzliches Licht verbaut und die Zeltzugänge in Ein- und Auslass mit weiterem
Sicherheitspersonal aufgeteilt. Im Vorfeld wurden noch 600 Tonnen Rindenmulch angekarrt, die
Hauptwege verplattet und so versucht den Schlamm-Mssen Herr zu werden. Leider vergebens.
Innerhalb kürzester Zeit verschmolz alles mit dem Regen in eine einheitliche Masse. Doch das
konnte die Stimmung nicht trüben. Der einzige, der am gesamten Freitag bis in den
Samstagmorgen sein feuchtes Gesicht nicht verbergen wollte, war Petrus.
Nach Lexy & K-Pauls Liveset starteten Underworld als erster Festival-Headliner den Kampf
gegen den Regen. Etwas übersichtlicher gestaltete sich die Zahl der Fans vor der Main-Stage.
Lag es am Dauerregen oder daran, dass die breite Masse dann doch die glorreichen Rave-Zeiten
nur als Nachrichten neben der Sendung mit der Maus erlebten. Sei‘s drum – Karl Hyde gab am
Mikro „Everything, Everything“ und riss die Fans einfach vom Hocker, besser gesagt Schlamm.
Die Trainspotting-Kult-Gang um Mark Renton kam langsam aus der letzten Hirnhälfte hervor
und die alte Szenerie wurde zum Klassiker „Born Slippy“ so richtig lebendig. Ganz klar – Karl
war der Mann der Stunde. Alle Hände gen Himmel Gleich danach Bonbon Nummer Zwei –
Faithless. Bass, Gitarre, eine Handvoll Backroundsängerinnen und viel viel Percussion, waren
das Utensil von Sister Bliss, Maxi Jazz, und Rollo. Neben Hymnen wie „Insomnia“, wurden
zwischen Dub, Trip Hop und Trance-Rhythmen mit „All Races All Colours“ auch politische
Themen elektrisch debattiert. Als dann zu „God is a DJ“ der Regen stark nachließ und sich auch
die Sterne zeigten, waren die Hände nur noch gen Himmel gerichtet.
Alle guten Dinge sind drei, auch zum Freitag. So umstritten er in der „guten alten“ Szene auch
sein mag – kurz vor zwei war der berühmte Franzose am Start. David Guetta kurbelte kräftig an
der Hitmaschine. Neben „It‘s getting late but I don‘t mind“ entern grüne Stelzenmänner
zwischen Lasern die Bühne und treiben die Menge auf Puls 200. Zwischen „Sexy Bitch“ und
„Club Can‘t Handle Me“ rattert er die Charts rauf und runter und beweist, wo das
Allroundtalent Guetta überall seine Händchen mit im Spiel hat. Elektro-Clash Diva Peaches
Nach gefühlten 100 Sets waren dann auch schon wieder die Samstags-Headliner auf dem Plan.
Pünktlich um viertel zehn betrat ein wandelnder Wischmob die Bühne. Die kanadische
Elektro-Clash Diva „Peaches“ wurde darunter vermutet – klar, das Ding hat ja auch ein Mikro in
der Hand. Ätsch, Wahlberlinerin und Rampensau Merrill Beth Nisker, so ihr bürgerlicher Name,
wurde von einer heißen Krankenschwester im Rollstuhl vorgefahren. Andere hätten mit einem
Gipsbein ihren Gig abgesagt, aber doch nicht Peaches. „Talk to me“ forderte sie mit
scherbelnden Bässen und krachenden Gitarrenriffs das Publikum auf mitzumachen in ihrer
„Rock Show“.
Eine musikalische Schublade gibt es nicht so richtig für sie. Klare, derbe Ansagen dominieren
und führen unter anderem mit „Shake Your Dix“ und „Billionaire“ quer durch ihre zehjährige
Albumlandschaft. Ja, „Boys Wanna Be Her“ könnte bei dem Kaliber Frau echt hinhauen. Hinter
der Show aus lasziven Beats, prügelnden Bates, Punk- und Rockakkorden, steckte eine
wahnsinnig gut strukturierte Band, was spätestens beim Laser-Harfenspiel deutlich wurde.
Jeder Handgriff führte zu einem perfekten Feuerwerk für Augen und Ohren. Respekt Frau
Nisker – Berlin tut dir gut und das war einfach nur ganz großes Kino! Berühmtester
Hutträger Danach begrüßte der wohl berühmteste deutsche Hutträger Jan Dalay zusammen
mit der Disko Nr. 1 die Gemeinde des „Rave-Kurortes“. Mit Glamourfunk vom Feinsten und
gekonnten kleinen ironischen Reimeinlagen lieferte er ein schickes, deutsch-musikalisches
Entertainment-Programm. Das wurde dann mit Headliner Nummer fünf komplettiert. Smudo
und Co. wurden von einer riesigen Fangemeinde begrüßt. Die Fantastischen Vier forderten
„Gebt uns ruhig die Schuld“, zum Beispiel am Wetter und legten fest „Für dich immer noch
Fanta Sie“. „Es könnte so einfach sein“ ohne Schlamm zum „Tag am (Thüringen)Meer“. Iss es
aber nicht gewesen und deswegen erklärte Thomas D. alle zum „Krieger“. Nach gigantischen 90
Minuten Fanta Vier in tollster Form, bedankten sich die Schwaben für die „Troy‘e leitete die
Meute zum traumhaften Höhenfeuerwerk über.
Das wurde im Nachgang abgerundet von einer überdimensionalen Lounge, die einen in die
Fantasiewelt der Klänge und Farben entführte. Kruder & Dorfmeister fummelten in feinem
Zwirn und Schlips die tollsten Sounds zusammen, untermalt mit den Stimmen zweier MCs und
den wahnsinnig schönen Visualsierungen. Das traurige dabei – das SMS 14 nähert sich zu dem
Zeitpunkt dem Endspurt. Unter den Klängen etlicher DJs wurden am Sonntagnachmittag die
Tore wieder für ein Jahr geschlossen. Laut Veranstalter gab es trotz Wetterchaos bis
Sonntagfrüh keine größeren Komplikationen. Wie auch – ein derart abgerundetes Konzept in
Sachen Aufbau, Ablauf und Sicherheit kann auch eine 20-Zentimeter-Schlammschicht nicht
erschüttern.
Von Tanja Poland
2010-08-09