Jugendjahre - VHS Velbert/Heiligenhaus

Transcrição

Jugendjahre - VHS Velbert/Heiligenhaus
Dezember 2012
Nr 87
Heiligenhauser Seniorenzeitung
Herausgeber:
Volkshochschule Velbert/Heiligenhaus
Jugendjahre
Aus dem Inhalt:
Ein Kind seiner Zeit
Ein Jahr in einer
Jugendgruppe
auf dem Lande in den
1960-er Jahren
Meine Jugendjahre in
den 60igern
Jugend in Kriegszeiten
Mein Büdchen,
eine liebevolle
Erinnerung
Meine Jugendjahre
1942-1951
Kaleidoskop einer
Jugend
Jugendjahre
1963—1972
Jugendjahre
1945 – 1948
Befriedigung, die ich nach außen träumte,
Kam nun von innen selber in mein Dach.
Das Leben rächt ja stets, was es versäumte:
Ich hole meine Jugendjahre nach.
Franz Grillparzer, (1791 - 1872)
Bitte mitnehmen
Inhalt/Vorwort
Inhalt
Vorwort
Ursula Schwarze
2
Ein Kind seiner Zeit
Dagmar Haarhaus
3
Ein Jahr in einer Jugendgruppe
auf dem Lande in den 1960-er Jahren
Armin Merta
4
Meine Jugendjahre in den 60igern
Dagmar Haarhaus
7
Jugend in Kriegszeiten
Marianne Fleischer
9
Mein Büdchen
– eine liebevolle Erinnerung
Dagmar Haarhaus
10
Meine Jugendjahre 1942-1951
Annemarie Vinck
11
Kaleidoskop einer Jugend
Norbert Sindermann
13
Jugendjahre 1963—1972
Rosemarie Koch
15
Jugendjahre 1945 – 1948
Marianne Fleischer
16
Buchbesprechung
19
Treffpunkte/Termine
20
Redaktion
21
Liebe Leserin und lieber Leser,
der Blick auf die Jugendjahre ist
mitunter im Rückblick auch ein
Blick auf Wegkreuzungen: was wäre gewesen wenn..? Und wenn wir
anders abgebogen wären? Wäre
es wirklich ein so „anderes Leben“ geworden,
wie hätte es aussehen können? Fragen die
man sich manchmal erst im Alter auf das Leben
zuvor stellt. Im besten Fall kann man sich sagen hören: „Und es war gut so, wie es war.“
Vielleicht geht es Ihnen auch so bei den Jugenderinnerungen. Jede Episode läßt in der Erinnerung eine neue aus und immer mehr Menschen lösen sich aus der Vergangenheit.
Unsere Redakteur/Innen lenken den Blick auf
ihre Jugend zwischen dem 14 und 21 Lebensjahr.
Zeitzeugnisse, die schon die nächste Generation nur bestaunen kann. Aber auch die moralisch, soziale und gesetzliche Atmosphäre oder soll ich sagen, „Dunstglocke“ – erklärt, wie
wir aufwuchsen. Diese Dunstglocke ist mir - in
den 50ziger und 60zigern aufgewachsen - sehr
gut in Erinnerung! Meine Generation lebte die
politischen Erneuerung der 70ziger Jahre und
ich kann mich gut erinnern, mit wieviel Unsicherheit und auch Trotz wir diese neuen Wege
gingen.
Wir wollten Freiheit von Zwängen und begreifen
vielleicht erst heute im Alter wie unfrei wir auch
mitunter dadurch waren. Ich persönlich finde
mich erst im Alter mit weißen Haaren „fast frei“.
Ich bin gespannt, zu welchen Entdeckungen
Sie ihre eigene Reise anregt.
Mit 30 Jahren hat unsere Zeitschrift das frühe
Erwachsenenalter erreicht und muß nun dafür
kämpfen, dass dieser Weg weitergeht.
2013 zwingen uns finanzielle Einsparungen zu
neuen Wegen, wenn es diese Zeitung weiter
geben soll. Noch ist nicht klar, in welche Richtung der Weg führen wird.
Für das künftige Bestehen dieser Zeitung
hoffen wir auf Ihr weiteres Wohlwollen und
benötigen weitere Sponsoren, die uns durch
Spenden und Werbung unterstützen.
Wir hoffen, das dieses Heft nicht das letzte Heft
von „Wir Älteren“ in Heiligenhaus sein wird.
Ihnen eine gute Advents- und Weihnachtszeit
und auf ein hoffentliches „Wiederlesen“ im neuen Jahr.
Ihre
Ursula Schwarze
2
Ein Kind seiner Zeit
Ein Kind seiner Zeit
Ute Moll
Wir alle sind geprägt durch die jeweils gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen der
Zeit in der wir leben und nicht nur durch unsere
charakterlichen Anlagen. Die sozialen Verhältnisse werden wiederum geprägt durch unsere
Geschichte und durch die aktuelle Gestaltung
unseres politischen Systems. So ist auch das
„Private das Politische“ und umgekehrt.
Auch ich bin das Kind meiner Zeit. Meine persönliche Lebensgeschichte ist beeinflusst durch
die 50iger Jahre. Meine Erinnerung geht zurück
in das Jahr 1954, als ich 10 Jahre alt war.
Meine Eltern und ich wohnten in der großen
Wohnung zusammen mit den Großeltern in der
Stadt Mülheim a.d.Ruhr. Die Großeltern nahmen uns nach dem Kriege
auf, weil die elterliche Wohnung zerbombt war. Wir zogen dann in den
„Ruhrpott“ nach Oberhausen, damals
Oberhausen/Rhl. Mutter und Vater
freuten sich, endlich in eine eigene
Wohnung zu ziehen. Für mich war es
ein großer Abschied, da ich meine geliebten Großeltern, meine Freundin
und meine Schulkameradinnen verlassen musste. Aber die Zukunft lockte,
Vater konnte eine neue Stelle über Tage im Büro antreten, wir bekamen die
nagelneue Wohnung mit einem Bad
und einem eigenen Zimmer für mich.
Es war ein Gefühl von Luxus, mussten
wir doch vorher nacheinander in einer
Zinkwanne in der Küche baden und
die Toilette auf halber Treppe benutzen. Ins neue Bad kam eine elektrische Waschmaschine namens Constructa.
So war das Wirtschaftswunder auch bei uns angekommen. Mutter versorgte den Haushalt, sie
hatte keine Ambitionen wieder berufstätig zu
werden. Vater, so sagte sie, wolle seine Familie
alleine ernähren. Wir waren die typische Kleinfamilie, in die der Mann stolz darauf war, der
Alleinernährer seiner Familie zu sein. Endlich
eine gute Selbstbestätigung, nach dem der
sinnlose Krieg viele Männer in eine Sinnkrise
gestürzt hatte. Im Deutschen Recht durfte bis
1977 eine Ehefrau nur mit Erlaubnis des Ehemannes eine Arbeitsstelle annehmen. Diese
konnte auch vom Ehemann gekündigt werden.
Das Vermögen blieb ebenfalls in der Hand des
Mannes.
In Oberhausen gab es eine nette Nachbarsfamilie, die von meiner Mutter aber auf Abstand
gehalten wurde, weil sie nicht katholischen
Glaubens, sondern evangelisch war. Für mich
klang das, als gäbe es richtige und falsche
Menschen. Eine andere Nachbarin ging einige
Stunden einer Erwerbstätigkeit nach. Meine
Mutter deklassierte sie zur „Schlampe“, da sie
nach ihrem Empfinden doch lieber mehr im
Haushalt hätte tun sollen.
Am Verhalten meiner Eltern spürte ich immer
wieder die Ungleichbehandlung der Geschlechter, obwohl Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen seit 1949 ein einklagbares Recht
war. Aber im Beruf, in Ehe und Familie und in
der sozialen Sicherung waren Frauen weiter
benachteiligt. Das Recht auf Selbstbestimmung
musste erst noch in allen Köpfen ankommen.
Die Realschule in Oberhausen wurde zu meiner
Entwicklungschance. Dort begegnete ich aufgeschlossenen, guten und lebenserfahrenen Lehrern, durch die ich meinen Horizont erweitern
konnte. Ich lernte „über den Tellerrand“ zu sehen.
Während meiner Realschulzeit, in der auch
meine Pubertät begann, durfte ich nicht fernsehen. Es wurde auch kein Gerät gekauft. Um
doch Filme im Fernsehen zu sehen, log ich
dann, ich würde mit anderen noch Vokabeln
lernen. Diese Schulzeit war für mich eine Zeit
der zwei Welten, die enge und strenge moralische Welt meiner Eltern und die offene aber
unkontrollierbare Welt durch Schule und soziale
Kontakte.
3
Ein Kind seiner Zeit / Ein Jahr in einer Jugendgruppe
Eigentlich war ich ein verwöhntes Mädchen,
hatte kaum Aufgaben und Verpflichtungen in
der Familie zu übernehmen. So konnte ich mich
gut auf Schule und Freizeit konzentrieren, war
aber eine mittelmäßige Schülerin, weil ich jeden
Spaß mitmachen und schon gar keine Streberin
sein wollte. Als Einzelkind lechzte ich nach
Freundschaften.
Die Deutschlehrerin sensibilisierte uns Schüler
für die Politik Adenauers, indem sie uns Zeitungsausschnitte mit den zahlreichen Heimkehrer-Berichten ausschneiden und zu einer
Sammlung verarbeiten ließ. Auch gingen wir
durch ihre Anregung für die Kriegsgräberfürsorge Geld sammeln. Meine Eltern zogen sich auf
ihre Privatsphäre zurück, verständlich nach
dem Grauen und den Entbehrungen des Krieges. Das Thema Nationalsozialismus und Hitler
wurde zum Tabu erklärt.
Es gab aber auch eine schöne Seite meiner Jugend. Sie zeigte sich darin, dass ich ein gutes
Fahrrad bekam und die Tanzschule besuchen
durfte. Natürlich mit großer Kontrolle, da ich
mich dem anderen Geschlecht nicht allzu sehr
nähern sollte. Trotzdem stärkte und bügelte
meine Mutter die für das Tanzen benötigten
Pettycoats, damit die Röcke der Mode entsprechend ganz weit abstehen konnten.
Das Schönste meiner Jugend aber war die
Möglichkeit, alle meine Ferien bei Onkel und
Tante auf der Insel Norderney zu verbringen.
Dort war ich außer Reichweite meiner strengen
Eltern und genoss die lockere und unverkrampfte Art meiner Verwandten. Damals konnten sich nur wenige Familien Urlaub leisten und
ich ließ mich zu Hause ob meiner Bräune jeweils bewundern. Erst heute weiss ich, dass ich
Ein Jahr in einer Jugendgruppe auf dem
Lande in den 1960-er Jahren
Armin Merta
In dem kleinen Ort (rund 3000 Einwohner), in
dem ich meine Jugendjahre verbrachte, gab es
kaum Möglichkeiten, mit öffentlichen Verkehrsmitteln eben mal schnell wo hin zu fahren. Die
Eltern besaßen noch kein Auto. Also blieb man
in der Freizeit am Ort.
In der Gegend in Mittelfranken, in der ich aufwuchs, lebten bis Kriegsende nur Menschen mit
evangelischer Konfession. Meine Eltern waren,
wie viele Andere auch, als Heimatvertriebene
dorthin gekommen und sie waren katholisch.
Ich merkte, obwohl ich erst 1948 geboren wurde, dass es auch in den 1960-er Jahren Spannungen zwischen den Bewohnern unterschiedlicher Konfessionen gab. Die kleine katholische
Gemeinde feierte ihre Gottesdienste in einem
relativ kleinen Raum. Anfang der 60-er Jahre
konnte sich die katholische Gemeinde ein eigenes Gotteshaus bauen mit Pfarrwohnung und
mit verschiedenen Gemeinderäumen. Es gab
einen Pfarrsaal und im Keller Räume, die für
die Jugend gedacht waren. Es bildete sich eine
katholische Jugendgruppe, der ich mich ziemlich zu Beginn ihres Bestehens anschloss. Gerade von 1963 – 1968 war diese Gruppe sehr
aktiv. Hier konnte ich einen Großteil meiner
Freizeit einbringen, in den Jahren 1966 und
1967 sogar als Leiter. Ich erinnere mich gerne
an die vielen Veranstaltungen und gemeinsamen Unternehmungen, die auch junge Menschen aus Nachbarorten anzogen.
Ein Jahr in und mit dieser Jugendgruppe sah
etwa so aus.
Wer Kennt unsere Stadt?
Wer erkennt die nebenstehende
Stuckarbeit und kann sagen wo
sie sich befindet?
Auflösung in der nächsten Ausgabe.
4
Ein Jahr in einer Jugendgruppe
Zur Faschingszeit gab es meist zwei Veranstaltungen, einmal einen reinen Jungenfasching,
der immer unter einem Motto stand. So wählten
wir einmal das Thema „Bar zum zahnlosen Haifisch“. Natürlich zogen wir uns alle wie Seeräuber oder Matrosen an. Wir machten Spiele und
sangen zusammen Lieder. Beim Faschingsball
wurde getanzt, es gab Tanzspiele. Hier freute
man sich, dem anderen Geschlecht etwas näher kommen zu können. Ein Tanzspiel ging folgendermaßen. Die Jungen bildeten außen einen Kreis, die Mädchen innen. Jemand legte
die Platte auf mit der Melodie „Mir san die lustigen Holzhackerbuam“. Nun bewegten sich sowohl die Jungen wie auch die Mädchen in Form
einer Polonaise im Kreis, aber entgegengesetzt. Wenn die Musik aufhörte, forderte man
genau die junge Dame zum Tanz auf, die einem am nächsten war. Im Alter von etwa bis zu
16 oder gar 17 Jahren hatte man keine feste
Freundin. Erste sexuelle Erfahrungen kamen in
dieser Zeit erst später.
Im Mai folgte manchmal ein gemeinsamer Wochenendausflug in eine Jugendherberge, zunächst nur mit den Jungen allein. Eine in jedem
Jahr sehr gelungene Veranstaltung war die gemeinsame Fahrt in den Sommerferien mit dem
Fahrrad in ein Zeltlager. Die erste solche Reise
ging ins Schwabenland. Ich empfand sie als die
Angstrengendste. Wir brachen schon um 4 Uhr
morgens auf. Die Fahrräder waren schwer bepackt. Wir mussten ja alle persönlichen Sachen
und viele Ausrüstungsgegenstände mitnehmen.
Verstaut wurden sie in den Fahrradtaschen und
auf dem Gepäckträger. Jeder war stolz, mal eine Zeit lang den Wimpel an einer langen Stange an seinem Fahrrad zu haben. Nur die ganz
großen Dinge wie die Zelte und die Kochausrüstung brachte jemand mit einem Pkw ans
Ziel. Nach 20 km gab es den ersten Platten.
Das bedeutete, alles vom Fahrrad abbauen und
den Reifen flicken. Es blieb nicht der einzige
Plattfuß an dem Tag, Es war sehr heiß. Irgendwo bei Schwäbisch Hall kam ein sehr langer
Anstieg, bei dem wir die Räder natürlich schieben mussten. Nach 14 Stunden und fast 150
km erreichten wir erschöpft das Ziel. Nun hieß
es aber noch Zelte aufbauen und einrichten. Ich
kann mich daran erinnern, dass ich nach getaner Arbeit wohl schnell ins Zelt verschwunden
und eingeschlafen bin. An jedem Tag waren
zwei von uns eingeteilt, einzukaufen, die Mahlzeiten zuzubereiten (wir kochten am offenen
Lagerfeuer selber) und Geschirr zu waschen.
Tagsüber gönnten wir uns Baden im See, kurze
Ausflüge in schöne naheliegende Städtchen.
Zum Shoppen, wie das heute heißt, kamen wir
nicht. Das Geld für das tägliche Essen und Trinken war schon knapp bemessen, ebenso knapp
war das mitgegebene Taschengeld, das wir im
Sommer hauptsächlich für Getränke brauchten.
Eben mal die Eltern anzurufen, ging auch nicht.
Erstens existierten noch keine Handys, zweitens hatten die meisten Bewohner damals noch
gar kein eigenes Telefon. Die einzige Verbindung zu den Eltern ergab sich nur dadurch, eine Ansichtskarte nach Hause zu schreiben.
Einmal gab es bei so einem Zeltlager die Gelegenheit, gegen eine Gruppe aus der Gegend
Fußball zu spielen, einmal hatten wir in der Nähe eine Waldwirtschaft, einmal ein Weinfest.
Am aufregendsten war die Übertragung des
Endspiels der Fußballweltmeisterschaft in England, das wir bei Verwandten von mir sehen
durften. Was haben wir uns darüber aufgeregt
und sogar gestritten, weil eben dieses Wembley
-Tor gegeben worden war.
Das erste Zeltlager, bzw. die Fahrt dorthin in
der großen Hitze, forderte bei mir seinen Preis.
5
Ein Jahr in einer Jugendgruppe
Durch die übergroße Anstrengung suchte sich
der Schweiß bei mir andere Bahnen. An beiden
Armen und Beinen entstanden kleine Wasserblasen. So schickte man mich mit dem Zug
nach drei Tagen nach Hause in Begleitung eines Jungen, der sowieso früher nach Hause
sollte.
Nach den Sommerferien konzentrierten wir uns
auf die nächste große Aufgabe. Im November /
Dezember führten wir mit unserer Gruppe ein
Theaterstück auf, meist ein Volksstück mit Familiencharakter. Ich war derjenige, der die
Hauptrolle bekam, weil ich mich mit dem Auswendiglernen am leichtesten tat, aber wohl
auch mit am besten spielte. Natürlich brauchten
wir zu den Stücken die Mädchen aus der Gemeinde. Die Aufführungen fanden immer im
Saal einer Dorfgastwirtschaft statt, der im Winter nur durch einen großen gusseisernen Ofen
warm gehalten werden konnte. Auf der neuen
Bühne der neu gebauten Volksschule kamen
wir nicht an. Der Rektor war evangelisch. Da
merkte man schon noch die Zurückhaltung der
alten Einheimischen gegenüber den Katholiken.
Die Aufführungen fanden großen Anklang. Im
2.Stück spielte ich einen Bürgermeister, der
gerne groß angab und dann doch eines Besseren belehrt wurde. Nach dem Theaterabend
wurde ich von der katholischen Bevölkerungsgruppe noch lange als „Herr Bürgermeister“ angesprochen.
Anfang 1968 ließ ich mich nicht mehr als Jugendleiter wählen. Es stand das Abitur bevor.
Außerdem wusste ich, dass ich danach zum
Wehrdienst musste. Die Aktivitäten in der Jugendgruppe ließen stark nach, je mehr von uns
nun stärker beruflich eingespannt waren oder
sogar schon früh heirateten, um so mehr ließ
das Interesse an gemeinsamen Veranstaltungen nach. Aus der nachfolgenden Gruppe mit
Jüngeren fand sich niemand, der die Leitung,
die Verantwortung und das Engagement übernehmen wollte.
Die Leidenschaft zum Theaterspielen hat sich
bis heute erhalten. Als Lehrer baute ich eine
Theater-AG an der Schule auf und übte einige
Jahre lang Komödien ein. Die Schulaula war
immer dreimal restlos ausverkauft. Heute habe
ich in der ZWAR-Gruppe wieder die Gelegenheit gefunden, Theater zu spielen.
Die Leidenschaft zum Organisieren hat sich
ebenfalls bis heute erhalten. Für unsere Siedlergemeinschaft macht es sehr viel Spaß, in jedem Jahr Einiges auf die Beine zu stellen.
6
Wer hat Interesse sich zu beteiligen?
Dokumentarfilmautorin der ARD sucht für
ihren WDR-Film "Späte Bekenntnisse"
Menschen, die im Alter ein lange gehütetes Geheimnis oder etwas, das ihnen auf
der Seele brennt, doch noch ihren Kindern oder Enkeln oder sonst wie Nahestehenden anvertrauen möchten. Hierbei
geht es um Familiengeheimnisse oder
andere, bis heute verborgene, verschwiegene Dramen, die man am Ende doch
nicht mit ins Grab nehmen möchte. Dieser Film will den dadurch entstehenden
Dialog zwischen den Generationen dezent beobachten und die daraus folgende
Entwicklung zeigen, ein meist für beide
Parteien erleichternder und versöhnlicher
Prozess.
Bei Interesse bitte melden bei Liz
Wieskerstrauch, Erikastr. 129, 20251
Hamburg,
0171
5475667,
[email protected], siehe auch
www.wieskerstrauch.com.
Meine Jugendjahre in den 60igern
Meine Jugendjahre in den 60igern
Dagmar Haarhaus
Aufgewachsen in einer Siedlung in Wuppertal,
erlebten wir in dieser ländlichen Wohnidylle eine unbeschwerte Jugend. Wir spielten in den
Gärten, bauten unsere Bude im Wald, der Wiesengrund war im Winter die ideale Skipiste. Wir
hatten das Gefühl, die Freiheit wäre grenzenlos.
Respekt vor den Älteren, Höflichkeit, Pünktlichkeit und Gehorsam waren selbstverständlich,
und die familiären Rituale regulierten das Zusammenleben und das Verhalten.
Mein Tag begann mit der sogenannten Katzenwäsche. Zwar hatten wir im kleinen Badezimmer fließendes Wasser, aber
leider kalt. So freute ich mich
auf den Sonntag, der als Badetag bezeichnet wurde. Ein
wenig Nivea-Creme ersetzte
die
nicht
vorhandene
Schminke.
Nach dem Frühstück zog ich
mich für den Kirchgang an.
Das Kleid, Kniestrümpfe und
die flachen Schuhe wurden
nur sonntags angezogen, mit
der Ermahnung, mich bitte
nicht schmutzig zu machen.
Der Nachmittag ließ wenig Freiraum, er war
ausgebucht mit Wanderungen oder Verwandtenbesuchen.
Unter der Woche, nachmittags, trug ich, um die
Schulkleidung zu schonen, eine abgelegte und
blank gewetzte Lederhose von meinem älteren
Vetter. Meine Mutter nähte mir dazu ein kurzärmeliges Buschhemd, T-Shirts gab es noch keine. Meine Füße steckten in Söckchen und Sandalen. Im Winter wurde ein Pullover angezogen. Die kratzigen braunen langen Strümpfe
wurden am Leibchen mit breitem Gummiband
und am Strumpfrand mit Wäscheknöpfen
befestigt. Halbhohe Schuhe schützten die Füße
vor Matsch und Schnee.
Großes Glück hatte ich, dass meine ältere
Schwester kleiner war als ich. So blieb mir erspart, ihre Kleidung aufzutragen. Unsere Mutter
strickte Pullover, änderte Kleider und aus alten
Stoffen, wurde Neues angefertigt. Da wir noch
keinen großen Einfluss auf unsere Kleidung
hatten, waren wir auf den Geschmack der Mutter oder Tante angewiesen. Erst Ende der 60er
Jahre, mit Beginn des Mini-Rocks und der Te-
xas-Hose (Jeans), entwickelten wir langsam
unseren Modestil.
Meine Konfirmation war dann das erste große
Ereignis in meiner Jugend. Das schwarze Taftkleid, die ersten Perlonstrümpfe, Pumps mit
kleinem Absatz, trugen dem festlichen Anlass
Rechnung. Aber ich war froh, als ich wieder in
meine geliebte Manchesterhose (Cordhose)
schlüpfen konnte.
Bei schlechtem Wetter hatte ich die Möglichkeit
zu lesen oder meine Briefmarken zu sortieren.
Besuch von anderen Spielkameraden war zwar
gestattet, kam aber eigentlich nie vor. Wir trafen
uns lieber im Freien.
Wir schnitzten Pfeile für unseren Flitzebogen,
bastelten aus Astgabeln, mit einem Weckglasgummi versehen, Fletschen.
Erklommen Bäume, sammelten Eidechsen und Frösche,
wobei es strikt verboten war,
diese mit nach Hause zu
bringen.
Da wir beim Spielen die Zeit
vergaßen, ertönte der Pfiff
meiner Mutter kurz vor 18.00
Uhr, Signal an mich, nach
Hause zu kommen.
Da Autos eher selten waren,
Busse und Bahnen nur in der
Innenstadt fuhren, hatte ich
jeden Tag einen langen Fußmarsch zur Schule
zu bewältigen.
Waren die Schulaufgaben erledigt, durfte ich
nach draußen. Dort warteten schon die Spielkameraden. Mit zunehmendem Alter ersetzten wir
unsere Heuer (Murmeln) gegen 10 Pfennigstücke, die wir aus einer gewissen Entfernung gegen eine Mauer warfen. Wer mit seinem Geldstück am nächsten lag, bekam den gesamten
Einsatz. Mit viel Geschick und Glück konnten
wir so unser Taschengeld erhöhen.
Der Schulalltag in der Mädchen-Realschule begann Montag morgens und endete Samstag
mittags. Die Lehrer waren Respektspersonen
und die Schulstunden verliefen ohne wesentliche Störungen. Spezifisch weibliche Fächer wie
Handarbeit und Kochen waren obligatorisch. In
das Fach Biologie wurde auch Aufklärung integriert. In dieser Stunde wurde uns erzählt,
was wir uns schon heimlich angelesen hatten,
aber noch nicht wissen durften. Aber viel
schlauer bin ich danach auch nicht gewesen.
Noch vier Jahre nach meiner Volksschulzeit
trug ich meinen Lederschulranzen auf dem Rü7
Meine Jugendjahre in den 60igern
cken. Mit zunehmendem Alter wurde dieser gegen eine braune Aktentasche ausgetauscht.
Darin befand sich neben den Schulutensilien
auch mein Pausenbrot in einer Brotdose aus
Blech. Milch und Kakao konnten in der Schule
gekauft werden.
Samstags, nach Schulschluss, trafen wir uns,
auch mit Jungens der Knaben-Realschule, in
der nah gelegenen Eisdiele. Erst in der Berufsschule teilten wir mit gleichaltrigen Jungen die
Klasse. Aus dieser Gemeinschaft entwickelten
sich erste harmlose Freundschaften. Komplikationslose Flirts, eigentlich mehr auf der Basis
von Kameradschaft, entstanden. Wir tauschten
zwar unsere Sexual-Kenntnisse aus, aber so
richtig war keiner aufgeklärt. Deshalb war auch
das Küssen mit Vorsicht zu genießen, aus
Angst vor einer ungewollten Schwangerschaft.
Dabei war die Verabredung eigentlich mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Diese erfolgte
entweder mündlich, per Telefon, falls im Haushalt vorhanden, aus dem Telefonhäuschen oder
in der Post.
Partys, mit Kartoffelsalat und Würstchen, Musik
vom Tonband, mit rotem Krepppapier abgedunkelte Wandlampen, waren besondere Ereignisse unserer Jugend.
Wir Jugendliche wurden erst mit 21 Jahren volljährig, somit hatte ich pünktlich, um 22.00 Uhr,
daheim zu sein. Aber klaglos fügten wir uns diesen Regeln. Da wir alle davon betroffen waren
gab es keine Auflehnung, es war eben normal.
Der Dual-Plattenspieler wurde zum Hit. In Stereo erklangen Twist und Beat und eroberten die
Wohnung und bereicherten unseren Musikgeschmack.
Der Besuch der Tanzschule war selbstver8
ständlich, galt diese auch als eine Art Einführung in die Erwachsenenwelt. Anstand und Höflichkeit wurden gleichzeitig mit dem Erlernen
der verschiedenen Tänze gelehrt und verfeinert.
Kurs-Höhepunkt war der Abschlussball. Selbstverständlich wurden wir daheim vom Tanzpartner abgeholt. Wir jungen Mädchen hatten Mühe, unser Kleid, aufgebauscht durch das Tragen eines Petticoats, knitterfrei zu halten.
Die neuen Tanzschritte wussten wir nun in elegante Bewegungen umzusetzen, zumal nachmittägliche Tanztees sehr beliebt waren.
Die Italiener waren die ersten Ausländer, die
Eisdielen betrieben. Später folgten Würstchen
Buden, in denen man Pommes frites aus Holland mit Mayonnaise und Ketchup, so wie Brat–
und Currywurst kaufen konnte.
Das Wirtschaftswunder ermöglichte uns den
Kauf unseres ersten schwarz-weiß Fernsehers.
Das Programm begann am Nachmittag und endete mit einem Signal um Mitternacht. Besonders erinnere ich mich an drei Sendungen. Mit
Spannung saßen wir auf dem Sofa als Bernhard Grzimek uns die Tierwelt ins Haus brachte. Die Übertragung der Mondlandung und das
Wunder von Legende gehörten zu den unvergesslichen Fernsehübertragungen der damaligen Zeit.
Auch das Weihnachtsfest wurde modernisiert.
Am Tannenbaum, der bisher mit Wachskerzen
bestückt war, wurden diese durch
eine elektrische Lichterkette ersetzt. Dadurch wurde die Brandgefahr an den Weihnachtstagen
gebannt und der Weihnachtsbaum
konnte unbeaufsichtigt den ganzen Tag leuchten. Auch künstliche
Tannenbäume kamen groß raus.
Irgendwann begann die Zeit der
Emanzipationsbewegung. Aus der
Anrede „Fräulein“ für unverheiratete Frauen jeden Alters entwickelte sich die Anrede „Frau“, ob
verheiratet oder nicht.
Sehr gerne erinnere ich mich und
möchte auch die Zeit nicht missen, in der ich eine zufriedene und
glückliche Jugend erlebte.
Diese endete mit der Schulzeit und dem Abschluss der Ausbildung, die Grundlage war für
einen guten Job, finanzielle Sicherheit und eine
sorgenfreie Zukunft.
Jugend in der Kriegszeit
Jugend in Kriegszeiten
Marianne Fleischer
Nach dem mündlichen Bericht eines guten
Freundes
1939 bei Beginn des 2. Weltkrieges war ich 14
Jahre alt. Ich besuchte die 4. Klasse eines reinen Jungen-Gymnasiums. Seit dem 10. Lebensjahr war ich automatisch in der Hitlerjugend, hatte mich aber für die Flieger-HJ entschieden, weil ich später „Pilot“ werden wollte.
Wir bastelten Flugzeugmodelle und nahmen
später an Segelflugkursen teil. In der Nähe
meines Heimatortes gab es auf einem Hügel
einen Segelflugplatz. Wir machten erste Flugversuche: Starten und Landen. Seilwinden gab
es noch nicht. Wir zogen die Flugzeuge an
Gummiseilen über die Wiese und mussten
dann im richtigen Moment loslassen, was ich
einmal verpasste! Ich fiel hin und das Seil
schrammte durch meine Kniekehlen!
Ich konnte längere Zeit nur mit großen Schmerzen laufen. Das tat der Liebe zur Fliegerei aber
keinen Abbruch. Ich legte bald die A-, B-und CPrüfung ab.
Daneben war ich aber auch Ministrant in der
katholischen Kirche und einer Krankenhauskapelle. Manchmal trug ich unter dem Ministrantengewand meine Uniform, weil ich hinterher
HJ-Dienst hatte, der oft auf den Sonntag gelegt
wurde, um Kinder und Jugendliche am Besuch
des Gottesdienstes zu hindern.
In der Nähe unserer Schule befand sich
das Mädchen-Lyzeum. Natürlich erwachte in
unserem Alter mit 15-16 Jahren das Interesse
am anderen Geschlecht. Aus meinem Vorort
hatten einige Mädchen aus meiner Nachbarschaft den gleichen Schulweg wie wir Jungen.
Ein Mädchen mit blonden Locken gefiel mir besonders gut. Sie hieß „Anna“, hatte ich bald herausgefunden. Für mich war sie die Schönste!
Schon bald versuchte ich unser Haus so zu
verlassen, dass ich gleichzeitig mit ihr den
Schulweg antreten konnte. Zunächst blieb ich
auf Distanz, wenn keine Freundinnen dazukamen, schloss ich dann langsam zu ihr auf. Es
dauerte eine Weile, bis ich mich traute sie anzusprechen. Sie schien nicht abgeneigt sich
mit mir zu unterhalten, und so gingen wir schon
bald gemeinsam zu Schule und warteten aufeinander!
Wir trafen uns auch gelegentlich in und vor der
Kirche bei Andachten, besonders im Mai gegen
18 Uhr bei der Mai-Andacht. Auf dem Nach-
hauseweg wurde es schon dämmrig, die ersten
Straßenlaternen (Gaslaternen) brannten, und
wir wagten schon mal uns an der Hand zu halten. Die Klassenkameraden lästerten natürlich:
„Du gehst mit ihr!“ hieß es damals.
Mit 16 Jahren wurde ich “Flak-Helfer“, das bedeutete folgendes: In der Nähe der Stadt wurde
eine Batterie Flugabwehr-Geschütze stationiert,
denn es fanden häufiger feindliche Bombenangriffe statt. Wir Schüler der 10. Klasse wurden
mit Bussen nach dem Unterricht in eine Kaserne gefahren und wurden dort von Soldaten in
die Bedienung der Geschütze eingewiesen. Die
Nacht verbrachten wir in der Kaserne und
mussten die Soldaten nachts bei ihrem Beobachtungsdienst unterstützen. Wir kamen uns
sehr wichtig vor in unserer Rolle als
„Beschützer des Vaterlandes“. In den Schlafsälen war eins der Hauptthemen „Mädchen“! Die
Wochenenden verbrachten wir zu Hause und
so konnte ich auch „Anna“ häufig sehen.
Meine Mitschüler redeten immer wieder vom
„Küssen“, und ich konnte noch nicht mitreden.
Also nahm ich mir eines Tages vor, wenn du
heute mit Anna spazieren gehst, machst du einen Versuch sie zu küssen! Um mir Mut zu machen setzte ich mir beim nächsten Treffen in
der Dämmerung ein Ziel: Bei der vierten Laterne küsst du sie- dann war es die sechste, ich
schaffte es nicht - plötzlich standen wir vor ihrer
Haustür - zu spät!
Meinen ersten richtigen Kuss bekam ich
erst, als ich mit 18 Jahren zu den Soldaten eingezogen wurde beim Abschied. Ich nahm ihn
wie einen Schatz mit mir durch zwei Kriegsjahre
- nicht als Pilot - sondern bei den Bodentruppen
- und später durch drei harte Jahre Kriegsgefangenschaft in Frankreich.
Mit 23 Jahren kehrte ich aus der Gefangenschaft zurück, nicht in die Heimat! Meine
Mutter und mein Bruder waren aus Oberschlesien geflüchtet. Über das „Rote Kreuz“ fand ich
sie in Hameln an der Weser. Anna habe ich nie
wiedergesehen und meine Heimat erst nach
vielen Jahrzehnten- sie war mir sehr fremd geworden! Viele meiner Ideale waren zerbrochen.
Man hatte mir meine Jugend geraubt- glaubte
ich! Ich musste von vorne anfangen, mein Abitur nachmachen, Geld verdienen um studieren
zu können und mich selbst finden. Das gelang
mir erst im Studium!
Ich war ein Anderer geworden!
9
Mein Büdchen
Mein Büdchen – eine liebevolle Erinnerung
Dagmar Haarhaus
Meine kleine Geschichte handelt eigentlich von
etwas Nebensächlichem. Aber für uns Jugendliche waren es Dinge, die uns zu jener Zeit interessierten.
In meiner Heimatstadt Barmen war der Name
„Büdchen“ für den heutigen Kiosk weit verbreitet. Eben dieses besagte Büdchen stand an einer Hauptstraße, die ich von daheim aus, nach
einem längeren Fußmarsch durch einen Waldweg erreichte.
Der Teil dieses Weges gehörte zum weiteren
Verlauf, um zu meiner Realschule zu gelangen.
Das Büdchen war aus Holz, weiß gestrichen.
Aus dem Dach,
welches mit Teerpappe
gedeckt
war, ragte ein kleiner Schornstein.
Eine
raus
gesteckte Langnese-Eisfahne signalisierte,
das
dass Büdchen geöffnet hatte und
die
angelehnte
Langnese-Eistafel
zeigte auf, dass
Eis am Stiel, das
wässrige
CapriEis und DominoHappen vorrätig
waren.
Ab 07.00 Uhr verkaufte der Inhaber Zeitungen,
Zigaretten, alkoholfreie Getränke, Süßigkeiten
und Eis. Aber für mich, als Jugendliche, waren
nur die Bonbongläser interessant, die übereinandergestellt, mit einer bunten Vielfalt von Köstlichkeiten bestückt waren. Auch dem Eis am Stil
war ich nicht abgeneigt.
Da mich aber der morgendliche Schulweg bergab führte, das Frühstücksbrot gerade erst gegessen war, hatte ich noch keinen Bedarf, mich
mit Süßigkeiten oder Eis einzudecken. Lediglich
die Auslage wurde angeschaut und die diversen Klümpchen (Bonbons) ausgesucht und gedanklich schon in eine Papiertüte gepackt.
Wollte ich doch mein Taschengeld sinnvoll einsetzen, da dieses äußerst knapp war.
Auf dem beschwerlichen Heimweg, der nur
bergauf führte, freute ich mich über die flatternde Langnese-Eisfahne. Das Büdchen war ge10
öffnet und der lang ersehnte Einkauf konnte
stattfinden.
Da die Bude für den Besitzer, nur durch eine
kleine Türe begehbar war, erfolgte der Verkauf
durch ein Schiebefenster. Für je 1 Pfennig stellte ich aus den Bonbongläsern mein Sortiment
zusammen, welches in eine Papiertüte untergebracht wurde. Zu kaufen gab es außerdem
Brausepulver, rosa und weiße Brauseherzen,
Lakritzstangen, Lakritzschnecken, Salmiakpastillen, mit denen man einen Stern auf den
Handrücken formte und daran leckte. Bunte
Lakritzstäbchen, wobei die roten besonders beliebt waren, befeuchteten wir mit der Zunge und
bemalten uns damit die Lippen.
Puffreis, Kaugummikugeln, mit denen man eine
sehr schöne Blase
machen konnte,
sowie Eis am Stil
gehörten ebenso
zum
Sortiment,
wie die angebotenen Wundertüten,
die ich besonders
verführerisch und
aufregend fand.
Anfänglich waren
diese mit Zuckerkram gefüllt oder
mit kleinem Spielzeug. Für die Jungen gab es Autos,
Figuren oder Flugzeuge, die Mädchen
erhielten
kleine Ringe mit einem roten Herzen, Nuckelfläschchen, gefüllt mit Liebesperlen oder
Kleinstmöbel für die Puppenstube. Später dann,
wurden die Wundertüten auch mit Sammelbildchen gefüllt. Obwohl damals billig, schmolz
beim Kauf dieser Tüten oder einem Eis am Stil
das Taschengeld jeweils um 20 Pfennig.
Mein Büdchen musste erst für immer weichen,
als die damalige B326, die Wuppertal mit Düsseldorf verband, zur heutigen A 46 ausgebaut
wurde.
Den Hang zu den Bonbons aus meinen Jugendjahren habe ich bis heute beibehalten, und
mein Vetter schickt mir jedes Jahr zu meinem
Geburtstag eine „Wundertüte Süßigkeiten“. Der
einzige Unterschied zu damals besteht darin,
die Bonbons sind wesentlich teurer geworden
und die kleine Papiertüte wurde durch eine größere Cellophantüte ersetzt.
Meine Jugendjahre 1942-1951
Meine Jugendjahre 1942-1951
Annemarie Vinck
1942 war das Jahr, in dem ich konfirmiert wurde. Es herrschte Krieg und somit Schwierigkeiten bei der Kleiderbeschaffung. Wir hatten eine
Hausschneiderin, die regelmäßig kam und uns
reihum neue Kleider nähte, meist aus „Alt mach
Neu“. Meiner Mutter war es gelungen, schwarzen Taft aufzutreiben, wofür einige „Punkte“,
d.h. Abschnitte der Kleiderkarte geopfert werden mussten. Für ein Damenkleid musste man
im Krieg 23 „Punkte“ abgeben, aber Jugendlichen wurden nur 13 „Punkte“ berechnet, weil
sie schnell wuchsen.
Noch nie hatte ich einen Faltenrock besessen,
deswegen bestand ich auf einem solchen. Ich
sehe mich noch heute vor meinem inneren Auge auf dem Weg zur Kirche. Der Faltenrock war
außerordentlich üppig. Er „stand“ regelrecht um
mich herum, er raschelte und wippte, er wogte
auf und nieder, ähnlich wie bei der „Schwälmer
Tracht“. Das störte mich kein bisschen. Hauptsache: ich hatte endlich einen Faltenrock.
Vom Krieg bekamen wir in unserem 2000Seelen-Dorf in Rheinhessen nicht viel mit.
Wenn aber die Bombengeschwader der Alliierten nachts zu hören waren, dann rannten wir
alle – auch ohne dass eine Sirene ertönte - in
unseren Weinkeller. So manches Mal überlegte
ich, was passieren würde, wenn eine Bombe
ein Fass träfe. Ob wir dann alle im Wein ertrinken müssten?
Die weiterführende Schule besuchte ich in der
Kreisstadt Alzey.
In einer Unterrichtsstunde beim Direktor versenkte ich eines Tages aus purer Langeweile
meinen Radiergummi im Tintenfass, weshalb
ich der Schule verwiesen wurde wegen
„Sabotage am Führer“. Eine Klassenkameradin
legte „ein gutes Wort“ für mich ein und ich wurde wieder „in Gnaden“ aufgenommen.
„Sabotage am Führer“ war es auch, wenn immer wieder, durch die vorbei laufenden Schuhe
der Schülerinnen, die bereit stehenden Sandtüten zu rieseln begannen.
Mit 14–15 Jahren schwärmten meine Freundin
und ich für Filmschauspieler wie Hannes Stelzer, Rudolf Prack oder Joachim Brennecke und
sammelten Autogrammkarten. Dafür opferten
wir unser knappes Taschengeld. Eines Tages
schickte Joachim Brennecke mir sein Konterfei
zurück und hatte außer seinem Namen noch
das Wort „Herzlichst“ hinzugefügt. Das war sen-
sationell. Am folgenden Tag konnte ich Christa,
meiner Freundin, vor dem Unterricht gerade
noch zuraunen, dass Joachim Brennecke geschrieben habe, was sie mit zustimmendem Nicken beantwortete. Dann begann der Unterricht
und ich nahm ein Zettelchen und schrieb: „Hat
er bei Dir auch, wie bei mir…“. In diesem Moment stand Frl. Krämer, die Lehrerin, neben mir
und nahm mir das Zettelchen aus der Hand mit
dem Befehl, nach dem Unterricht zu ihr zu kommen. Da wollte sie die Bedeutung wissen von:
„Hat er bei Dir auch wie bei mir…“. Wahrheitsgemäß berichtete ich, dass ich wissen wollte,
ob auf Christas Autogramm ebenfalls als Zusatz das Wort „Herzlichst“ stand. „Ist das alles?“
fragte Frl. Krämer?
In diesen Jahren begannen wir, uns für das andere Geschlecht zu interessieren. Christa
schwärmte für einen blendend aussehenden
Jüngling mit Namen Klaus Geibel. Der Angebetete hat nie im Leben erfahren, dass er der
Traum unserer schlaflosen Nächte war. Damit
unsere Klassenkameradinnen nicht merkten,
dass wir von Jungen sprachen, gaben wir denen, die unser Interesse fanden Mädchennamen. Klaus Geibel war „Hulda“, sein Bruder
Berthold „Berta“. Wegen Klaus Geibel lasen wir
Gedichte von Klaus Groth und Emanuel Geibel.
Eines Tages verkündete Christa, dass sie mit
Klaus Schluss mache, dabei hatte sie nie auch
nur ein Sterbenswörtchen mit ihm geredet.
Prompt sagte ich, als handele es sich um eine
Ware, „dann nehme ich ihn!“. Von Stund an
schwärmte ich ihr vom tollen Klaus vor, der
auch hiervon nie etwas erfuhr, bis Christa mein
Getue zu viel wurde, sie ihren Klaus zurückhaben wollte. Hergeben!!! wollte ich Klaus nicht
und schlug vor, dass er nun uns beiden gehört!
Und wir schwuren uns in die Hand, nie im Leben wegen eines Mannes in Streit zu geraten!
Unsere Oberschule hatte die Hauswirtschaftliche Form. Wir lernten Kochen und Gartenbau.
Im letzten Kriegsjahr 1944/45 stellte unsere
Bimmelbahn, mit der wir zum Besuch der Oberschule in die Kreisstadt fuhren, ihren Betrieb
ein. Jetzt hieß es, etwa 10 km mit dem Rad fahren oder sogar über die Felder und Hügel
Rheinhessens per pedes zur Schule laufen. Dabei rettete ich mich einmal vor einem Tieffliegerangriff hinter die Grabsteine eines Friedhofes. Erst als alles still war, setzte ich meinen
Heimweg fort.
Im Frühjahr 1945 kam die Front näher. Vergeblich hatten wir immer noch auf den Einsatz ei11
Meine Jugendjahre 1942-1951
ner „Wunderwaffe“ gehofft. Täglich hörten wir
den Geschützdonner der Artillerie. Daraufhin
übersiedelte die ganze Familie in den Weinkeller. Auf den ständig rutschenden Kartoffelbergen, die dort für Mensch und Tier lagerten, wurden Decken ausgebreitet, dort schliefen wir. Auf
einem Kanonenöfchen wurden Süppchen gekocht. Eines Tages war es soweit: amerikanische Panzer rollten ins Dorf. Ein „Ami“ betrat
unseren Hof. Durch einen Spalt in der Kellertür
schauten wir neugierig und angstvoll. Es war
ein Farbiger! Noch nie im Leben hatten wir einen schwarzen Mann gesehen. Er betrat unsere Küche, machte die erst beste Schublade auf,
und was zog er heraus und beäugte es neugierig? Es war das von der roten Fahne abgetrennte weiße Rund mit dem schwarzen Hakenkreuzzeichen! Mama hatte gedacht, dass es
zum Putzen noch gute Dienste leisten könnte.
Der Soldat sah es an, steckte es wieder in die
Schublade zurück und setzte seinen kurzen
Rundgang durchs Haus fort.
Dann wurde Ausgangssperre verhängt. Die Sieger patrouillierten auf den Straßen, und wir lugten durch Blumenkästen und Gardinen auf die
Besatzer. Ich war inzwischen fast 17 Jahre alt.
Sehr bald erging der Befehl, dass alle Frauen
und Mädchen ab 16 Jahren allmorgendlich anzutreten hätten, um für die in der Schule untergebrachten Soldaten Kartoffeln zu schälen und
Gemüse zu putzen.
Kurz darauf erging die Aufforderung durch den
Ortsdiener mit der großen Schelle an alle Mädchen von 16 bis 25 Jahren, sich am folgenden
Samstag zum Tanze einzufinden. Mit den
„Siegern“ zu tanzen…dazu waren meine
Schwester und ich keinesfalls bereit. So such12
ten wir unseren Hausarzt auf, der meiner
Schwester den Arm eingipste und mir das Bein.
Das enthob uns der Pflicht, mit den Yankees
tanzen zu müssen, womöglich noch mit einem
Farbigen! Schließlich waren sie unsere Feinde!
Beim zweiten anberaumten Tanztermin gab es
genügend Freiwillige.
Bis Frühjahr 1946, als ich fast 18
Jahre zählte, gab es keinen Schulunterricht. Meine Schwester und
ich arbeiteten in den Weinbergen,
im Garten und Haushalt. Als der
Schulbetrieb wieder aufgenommen
wurde hieß es, das letzte Schuljahr
solle wiederholt werden, weil sehr
viel Unterricht ausgefallen war. Ein
Jahr bis zum Abitur hatte ich ohnehin noch vor mir, aber nun wurde
zusätzlich ein 9. Oberstufenjahr
eingeführt. Ich rechnete mir aus,
dass ich erst mit 21 Jahren das Abi
in der Tasche haben würde, und
entschloss mich, nicht weiter zur
Schule zu gehen.
Aber was sollte aus mir werden? Vetter Arno
meinte, jedes Mädchen müsse kochen können
und Stenografie lernen. Im Nachbarhaus wohnte ein in Mainz ausgebombter Stenolehrer, bei
dem meine Schwester Ina und ich nun täglich
Unterricht hatten. Stenografie faszinierte mich
von Anfang an, und ich benutze sie noch heute.
Wir lebten auf dem Land, litten keinen Hunger,
was uns fehlte, war Butter, Milch, Obst. So
machten wir uns auf zu Hamstertouren. Aber
das sind andere Geschichten.
Irgendwann in dieser Zeit wurde im kleinen
Saal eines Gasthauses ein Tanzstundenkurs
abgehalten. Wir waren mit Begeisterung dabei,
lernten Langsamen Walzer, Foxtrott, Tango und
Walzer. Als der Abschlussball näher kam tauchte die Kleiderfrage auf. Kurzerhand wurden die
geblümten Voile-Übergardinen aus dem GästeSchlafzimmer von der Hausschneiderin zu einem Kleid für meine Schwester verwandelt, für
mich die weißen ungemusterten Voile-Gardinen
aus Mamas Schlafzimmer in für ebensolches
Kleid.
1946/47, ich war nun gut 18 Jahre alt, übersiedelte ich nach Frankfurt am Main und besuchte
die Berlitz School. Hier machte ich die Auslandskorrespondenten- und später die Dolmetscher-Prüfung. Im zerstörten Frankfurt fand ich
ein möbliertes Zimmer, in dem die Tapete in
Fetzen von der Wand hing, mit einer wackeli-
Meine Jugendjahre 1942-1951 / Kaleidoskop einer Jugend
gen Kommode, auf der eine Waschschüssel mit
Krug stand. Es gab einen eisernen Kanonenofen, aber selten etwas zum Heizen; und wenn
ja, dann war es nasses Holz, das das ganze
Zimmer in Qualm hüllte. Also konnte ich immer
nur in dicke Steppdecken gewickelt lernen. Ein
warmes Essen konnte ich täglich bei einer früheren Klassenkameradin meiner Mutter einnehmen. Aber ich war mein eigener Herr.
Langsam erwachte das Kulturleben und ich entdeckte meine Liebe fürs Theater. Das Opernhaus war ausgebrannt, im großen Börsensaal
fanden die Vorstellungen statt. Jede Woche ein
oder gar zweimal stellte ich mich an der Schlange an, um eine Karte zu ergattern. Ich war begeistert.
Am 20. Juni 1948 kam die Währungsreform. Ich
kaufte mir für die 40.- DM zwei Bände MozartKlaviersonaten. Die Läden füllten sich plötzlich
mit lange entbehrten Waren. Ich nahm einen
Job an bei der Neuen Juristischen Wochenzeitschrift und im Sommer 1949 machte ich meine
erste Urlaubsreise nach Mittenwald.
Dann wurde ein Traum wahr: meine StenoFreundin Elisabeth und ich konnten mit dem
Jugendsymphonie-Orchester und dem Hot-Club
per Bus eine Woche nach Paris reisen.
Den Besuch im Louvre werde ich nicht vergessen: Aug in Aug mit der Mona Lisa, danach Aug
in Aug mit überlebensgroßen, nackten Götterstatuen in Marmor! Noch nie hatte ich einen
nackten Mann gesehen! Hier hatte ich die Gelegenheit, aber…ich traute mich nicht, meine Blicke in die unteren Regionen schweifen zu lassen, obwohl niemand meine Blicke hätte kontrollieren können!
Mit der Paris-Reise hatte ich den Duft der großen, weiten Welt verspürt. Es drängte mich hinaus. Zwei Monate später reiste ich an den Gada-See und bewunderte Venedig. Im Juni desselben Jahres übersiedelte ich für ein ganzes
Jahr als Au-pair-Mädchen nach London.
Mich lockte die Welt, ich wollt’ sie sehen; vor
Fernweh wollt’ ich schier vergehen!
E
Kaleidoskop einer Jugend
Norbert Sindermann
Als ich im 13. Lebensjahr war, verstarb mein
Stiefvater, den ich damals noch für meinen richtigen Vater hielt. 1958 war kein gutes Jahr. Neben den Mandeln im Oktober wurde mir im Dezember kurz vor Weihnachten auch noch der
Blinddarm entfernt. Auf Grund dieser Ereignisse
kam ich im Jahr darauf zu einer Kinderkur nach
Bad Soden/Salmünster. An diese Zeit kann ich
mich noch gut erinnern, denn der ganze Kurbetrieb wurde von Ordensschwestern geleitet.
Sie waren sehr streng zu uns. Wenn jemand
etwas angestellt hatte, dann kam er alleine in
den Schuhputzraum und musste Schuhe putzen. Ich war natürlich dabei.
Mit 14 Jahren verließ ich die Katholische Volksschule an der Vellwigstraße in Herne-Börnig.
Meine Schulzeugnisse ließ ich mir damals von
unserem Pfarrer beglaubigen weil es kostenlos
war.
Beim Berufswunsch hatte ich ganz besondere
Vorstellungen: Ich wollte Fernmeldemonteur
werden. Mir gefiel es damals, wenn die Monteure mit ihren Steigeisen die Masten hoch spazierten. Meine Mutter hatte jedoch ganz andere
Vorstellungen und meldete mich zur Aufnahmeprüfung an der Handelsschule an, beeinflusst
durch meinen ältesten Bruder. Ich bestand die
Aufnahmeprüfung und schlug ungewollt meine
kaufmännische Laufbahn ein. Während der Zeit
auf der Handelsschule kam der erste Kontakt
zum weiblichen Geschlecht. Wir waren damals
noch sehr schüchtern und hatten keine Vorstellung von der „Liebe“.
Deshalb gingen wir lieber zu den Jugendgruppen der katholischen Kirchengemeinde,
oder den St. Georgs-Pfadfindern.
13
Kaleidoskop einer Jugend
Bei der Abschlussprüfung an der Handelsschule habe ich im Fach Deutsch einen Aufsatz
über mein Hobby, das Sammeln von Briefmarken geschrieben und dafür die Note „gut“ erhalten. Ich glaube, in den anderen Fächern war ich
ein Durchschnittsschüler, aber ich hatte es geschafft.
Für den Abschlussball auf der Handelsschule
mussten wir jedoch im Sportunterricht das Tanzen lernen. Mir gefielen schon damals die Tänze, bei denen man zusammentanzte. Für mich
war es der „Gammelfox“, zwei Schritte nach
links und einen nach rechts.
Nun ging es darum, eine Lehrstelle zu finden.
Dies war zur damaligen Zeit nicht einfach. An
den Tests und Aufnahmeprüfungen in den großen Firmen in Herne nahmen bis zu 60 Jungen
und Mädchen teil.
Ich weiß nicht mehr genau, bei wie vielen Firmen ich es damals versucht habe. Aber es waren damals die größten Arbeitgeber in Herne:
z.B. Maschinenfabrik Bein, Zeche Hibernia,
Krankenkassen, die Stadtwerke Herne und die
Stadt Herne.
Bei den Stadtwerken Herne klappte es dann mit
einer Lehrstelle. Wir waren drei Jungen von der
Handelsschule, die gleichzeitig die Lehre bei
den Stadtwerken begannen.
Als politisches Ereignis aus dieser Zeit ist mir
die Ermordung des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy noch gut in Erinnerung.
Die Medien waren ja noch nicht so vernetzt wie
heute, und so habe ich diesen Mord am Morgen
des 23. November 1963 - es war ein Samstag aus der Zeitung erfahren und geweint. Dieser
Tag war einer der schrecklichsten in meinem
jungen Leben. Meine ganze Hoffnung auf eine
bessere Welt wurde zerstört.
Während der Lehrzeit war ich mit dem Stenografenverein, einer politischen Jugendorganisation und verschiedenen anderen Jugendgruppen in Berlin. Die geteilte Stadt hat mich damals sehr interessiert, so dass ich später immer
wieder aus beruflichen und privaten Gründen
nach Berlin gefahren bin. Es hat mich auch immer gereizt, wenn es möglich war, Ostberlin zu
besuchen.
Als die Einberufung zur Bundeswehr näher
kam, habe ich noch einen letzten Versuch gemacht, dem zu entgehen. Eine der Möglichkeiten war eben nach Berlin zu wechseln. Also
ging ich bei einem Besuch zum Berliner Arbeitsamt. Die Antwort war jedoch frustrierend:
„Wenn sie Handwerker wären, dann könnten
14
sie gleich da bleiben, aber Kaufleute haben wir
in Berlin genug“.
So blieb mir die Bundeswehr nicht erspart, da
ich bei der Musterung für „tauglich“ eingestuft
wurde.
Bevor ich jedoch zur Bundeswehr einberufen
wurde, verbrachte ich den Sommer in einem
internationalen Jugendzeltlager in St. Blasien
im Schwarzwald. Es war ein Zeltlager mit Jugendlichen aus ganz Westeuropa. In diesem
Zeltlager lernte ich drei Mädchen kennen, mit
denen ich anschließend eine Brieffreundschaft
hatte. Marthy aus Luxemburg und Francoise,
aus der Bretagne sowie Barbara aus Hamburg.
Glücklicherweise schrieben die beiden aus dem
Ausland in deutscher Sprache, so dass ich keine Übersetzungsprobleme hatte. Leider habe
ich beide Mädchen aus dem Zeltlager nicht
mehr wieder gesehen. Barbara dagegen habe
ich während der Grundausbildung beim Bund in
Goslar einmal in Hamburg besucht. Statt nach
Hause ins Ruhrgebiet zu fahren, habe ich die
kürzere Strecke nach Hamburg gewählt. Nach
Abschluss der Grundausbildung beim Luftwaffen-Ausbildungsregiment 5 in Goslar wurde ich
zum Fernmelderegiment 71 nach Osnabrück
versetzt. Bei der Versetzung kamen mir meine
kaufmännischen Kenntnisse zu gute. Man
suchte einen Flieger, der Stenografie und
Schreibmaschine konnte. Weil aber diese Stelle
in der ersten Zeit noch besetzt war, wurde ich
der Truppen- und Stabsbücherei zu geordnet.
Der Vorgesetzte war ein Oberstabsfeldwebel,
der uns mit immer neuen Aufgaben an die Arbeit kriegen wollte.
Beim ersten Ausgehen in Osnabrück lernte ich
Hannelore kennen. Sie wohnte direkt an der
Bremer Brücke, dem Stadion des VfL Osnabrück. Wir gingen einige Male zum Fußball.
Ich war zwar bei der Luftwaffe, habe aber während der gesamten Wehrdienstzeit kein Flugzeug gesehen. Das einzige, was mich damals
bei meinen Besuchen zu Hause gefreut hat,
war das Tragen der blauen Uniform. Wenn ich
dann mit meinem Freund Karl-Heinz von der
Handelsschule zusammen ausging, waren wir
ein tolles Gespann. Er war bei der Marine und
ich bei der Luftwaffe. So haben wir manche
Nächte getrunken, ohne etwas zu bezahlen.
Die alten Landser haben uns in „Kaisers gute
Stuben“ so machen Drink spendiert.
Zum Schluss meiner Wehrdienstzeit kam ich
doch noch ins Vorzimmer eines Hauptmanns
und musste nun Diktate aufnehmen und Berich-
Jugendjahre 1963-1972
te schreiben.
Die Bundeswehr hat mir im Nachhinein nicht
geschadet. Es war eine kameradschaftliche
Zeit, in der alle das gleiche Los getragen haben.
Während der gesamten 15 Monate in Osnabrück blieb ich mit Hannelore zusammen. Meine Mutter nannte sie „Hubschrauber“, weil sie
beim ersten Besuch in Herne eine Schleife im
Haar hatte, die einem Propeller ähnlich sah.
Auch nach der Bundeswehrzeit blieben wir
noch ein halbes Jahr zusammen. In dieser Zeit
hatte ich ein Zimmer in der Nähe des Schwarzwaldhauses, ein Tanzlokal in Osnabrück, in
dem damals Kapellen spielten. Meine Leidenschaft zum Tanzen habe ich ja in meinem letzten Artikel beschrieben. Mein damaliger Personalchef bei den Stadtwerken Herne vermittelte
mir dann für Sonntags einen Job als Discjockey
im Heidekrug in Dortmund. Die Zeit dort hat viel
Spaß gemacht. Aber nach Ende der
„Vorstellung“ brachte ich Hannelore noch nach
Osnabrück. Irgendwann war mir das zu stressig
und so ging diese Liebe auseinander. „Eine
neue Liebe ist wie ein neues Leben...“, so kam
es, wie es kommen musste.
Auf einer Party in Herne lernte ich Marianne
kennen. Sie war bei einem Kieferorthopäden
beschäftigt. Solange wir in der Clique waren
hielt die Verbindung, dann war es aus.
Nach dem Wechsel zu den Fried. Krupp Hüttenwerken lernte ich meine Frau kennen.
Ein Lied von Ute Freudenberg drückt diese Zeit
der Jugendlieben aus:
„Er sprach von Liebe, dabei waren sie noch
nicht mal 15 Jahr. Schwor große Worte und er
küsste sie und streichelte ihr Haar.
Sie sprach von Träumen und wie gerne würde
sie ihm alles glauben, und malte mit ihm Bilder
von dem Leben, das sie sich dann bauten.
Jugendliebe bringt den Tag, wo man beginnt
alles um sich her ganz anders anzusehen. Lachen trägt die Zeit, die unvergessen bleibt,
denn alles ist so traumhaft schön.“
r
Jugendjahre 1963—1972
Rosemarie Koch
Am 1. April 1963 begann für mich der so genannte Ernst des Lebens. Gerade erst 14 Jahre
geworden, folgte nach 8 jähriger Schulzeit eine
3 jährige Kaufmannslehre bei Seifen - Dietrich.
Im ersten Ausbildungsjahr erhielt ich monatlich
75,-- DM.
Für Berufskleidung, Schulmaterial, Fahrgeld
und anderes reichte mein Lehrgeld nicht aus,
also war es selbstverständlich, dass ich bis auf
20,-- DM Taschengeld den Rest zu Hause abgab.
Der Betrieb verfügte über 7 Filialen in Essen
und die Lehrlinge mussten wechselweise in jedem Geschäft einige Wochen arbeiten. Morgens um 8 Uhr wurden nach Öffnung des Ladens erst die Fensterrahmen abgewaschen,
egal ob es regnete oder fror. Bei zu kalten Temperaturen wurde etwas Salz ins Wasser geschüttet und der Lappen nicht zu nass gemacht. Dann wurde der Gehweg vor der Geschäftsfront gefegt, im Winter vom Schnee geräumt.
Zu den Aufgaben der Lehrlinge gehörte auch
der morgendliche Frühstückseinkauf für die
Verkäuferinnen im nahe gelegenen Konsum.
Ware auffüllen, Regale säubern, Lieferungen
im Lager einräumen, Einkäufe den Kunden zustellen, wenn es gewünscht wurde. Da meistens immer ein kleines Trinkgeld dabei heraussprang, wurden diese Aufgaben besonders gerne erledigt.
Für die Mittagspause brachte man sich das Essen im Henkelmann meist von zu Hause mit.
Pommesbuden, Pizzerien oder ähnliches gab
es noch nicht. Das entsprechende Kleingeld
dafür hatten die Wenigsten .
Am Abend, Geschäftsschluss war um 18,30
Uhr, wurde das Ladenlokal mit Schmierseife
15
Jugendjahre 1963-1972 / Jugendjahre 1945 – 1948
und heißem Wasser geschrubbt. An einen
Putzvorfall erinnere ich mich heute noch mit einem Schmunzeln. In meinem Eifer stellte ich
den Wassereimer hinter mich und beim Rückwärtslaufen mit dem Schrubber trat ich in den
vollen Eimer. Alle, außer mir lachten aus voller
Brust. Das Unangenehmste war für mich der
Heimweg – Wasser im
Schuh, Hosenbein nass
– ca. eine halbe Stunde
Fußweg. Zum Glück war
es Sommer und nicht
kalt.
Wenig Spaß machten
die Fahrten in die Filialen. Straßenbahnen und
Busse fuhren im Halbstundentakt.
Natürlich
waren, wenn man umsteigen musste, die Anschlusslinien gerade kurz vorher weg. Im Regen oder Schnee war es besonders unangenehm, denn Unterstände gab es nicht. Wenn
ich im Winter durchgefroren und bibbernd nach
Hause kam, taute meine Mutter mir meine
durchgekühlten Zehen mit geriebenen Zwiebelverbänden wieder auf.
Mit 16 Jahren besuchte ich zusammen mit einer
Arbeitskollegin eine Tanzschule. Meine Erinnerungen an diese Zeit sind Tänzer, die besonders steif und unrhythmisch waren. Trotzdem
hatten wir auch Spaß dabei.
Die Wochenenden wurden im Kreise der Familie verbracht, da es für Minderjährige keine große Auswahl an Attraktionen gab. Außerdem
mussten die Aufgaben für die Berufsschule erledigt werden.
Mit 18 Jahren machte ich meinen Führerschein.
Meine Mutter eröffnete ein Lebensmittelgeschäft und ich lernte den Umgang mit Lieferanten, Behörden und Firmeninhabern. Zu meinen
Aufgaben gehörte unter anderem der Einkauf in
der Molkerei, auf dem Schlachthof und dem
Großmarkt, sowie die Vorarbeiten für den Steuerberater. Nach zwei Jahren eröffneten wir ein
zweites Geschäft, das ich leitete. Wir übernahmen einen Lehrling, den ich mit vielen zusätzlichen Stunden nach Feierabend erfolgreich
durch die Prüfung brachte.
Für mich waren diese Jahre eine schöne Zeit,
der Umgang mit Kunden, Kollegen und Mitmenschen hat mir immer viel Freude gemacht. In
Discotheken oder „auf die Rolle gehen“ habe
ich nicht vermisst.
16
Jugendjahre 1945 – 1948
Marianne Fleischer
Nach unserer Flucht aus Oberschlesien am
18.Januar 1945 landeten wir vier Wochen später in Berlin bei einer Schwester meines Vaters ,– Tante Anni -. Sie brachte uns in der leer
stehenden Wohnung von
Freunden unter, die sich
vor den häufigen Bombenangriffen auf dem
Land in Sicherheit gebracht hatten.
Eines Tages erhielten
wir durch Tante Anni
eine Nachricht unseres
Vaters, dass er als Sanitäter in einem Lazarett in
Eilenburg an der Mulde
in Sachsen gelandet
war. Er bat uns, zu ihm zu kommen. Da die
Bombenangriffe in Berlin ständig zunahmen,
und wir fast jede Nacht im Luftschutzkeller saßen, entschloss sich unsere Mutter, mit uns
noch einmal die Bahn zu besteigen. Anfang April machten wir uns auf den Weg. Die Freude
bei unserem Wiedersehen lässt sich nicht beschreiben! Vater hatte für uns auf einem Bauernhof ein Zimmer gefunden und notdürftig eingerichtet. Wasser musste an einer Pumpe im
Hof geholt werden und das Klo war ebenfalls im
Hof. Aber wir hatten eine Bleibe und waren alle
zusammen. Schon das grenzte an ein Wunder!
Die Front rückte näher. Vater wurde ostwärts in
ein Feldlazarett versetzt. Eines Tages standen
die Amerikaner draußen vor der Stadt – Eilenburg war eine Lazarettstadt - und sie hofften
ohne Widerstand einrücken zu können. Ein fanatischer Stadtkommandant aber gab den Befehl die Stadt zu verteidigen. Die Amerikaner
zogen sich zurück und begannen mit schweren
Geschützen die Stadt in Schutt und Asche zu
legen. Wir verbrachten eine Woche mit vielen
hundert Menschen in einem unterirdischen
Bunker, in dem früher eine kriegswichtige Fabrik untergebracht war. Mutter und mein ältester
Bruder brachen täglich im Morgengrauen auf,
um in unserem Zimmer, das in der Nähe lag,
eine Suppe zu kochen. Jedes Mal warteten wir
voller Angst auf ihre Rückkehr.
Eines Tages rollten dann die amerikanischen Panzer in die Stadt. Wir waren sehr erleichtert. Als sich dann auch noch unser Vater
zu uns durchschlagen konnte – er musste
Jugendjahre 1945 – 1948
durch die Mulde schwimmen, denn auf dem anderen Ufer waren die Russen auf dem Vormarsch nach Berlin – war unsere Freude riesengroß!
In den letzten Kriegstagen, am 1. Mai feierte ich
meinen 14. Geburtstag (Waffenstillstand war
am 8. Mai). Aus einer roten Fahne, von der
meine Mutter das Hakenkreuz abgetrennt hatte
(den Kreis sah man noch), war ein Rock entstanden, unten mit schwarzer Samtborte verziert. Sie hatte auch versucht einen Kuchen zu
backen – ohne Treibmittel – es war ein
„Klunschkuchen“ geworden – aber ein Geburtstagskuchen! Mein Bruder schenkte mir einen Strauß Stiefmütterchen, die er im Garten
einer zerstörten Villa gepflückt hatte. Wir waren
glücklich! Wir hatten Flucht und Krieg überstanden, waren zusammen und unverletzt!
In den Straßen patrouillierten Amerikaner. Mein
Vater musste für ein paar Wochen in ein Gefangenenlager, denn er brauchte einen Entlassungsschein. Völlig abgemagert tauchte er eines Tages wieder bei uns auf.
Es fanden Friedensverhandlungen statt, und
Grenzen wurden neu gezogen! Eines nachts
hörten wir Geräusche von Lastwagen und Panzern. Die Amerikaner zogen ab, wir waren
plötzlich „Russische Besatzungszone“.
Da Vater kein Parteigenosse gewesen war, bekam er sehr schnell seine erste Lehrerstelle in
Schenkenberg an einer zweiklassigen Dorfschule in der Nähe der Stadt Delitzsch. Der
Hauptlehrer, ein Ortsgruppenleiter in der Nazizeit, war aus dem Schuldienst entlassen worden, wollte aber das Lehrerhaus nicht räumen.
So ließen wir uns vorübergehend in den ungenutzten Klassenräumen nieder. Nach einem
Monat bezogen wir endlich das Haus. Wir hatten ein „zu Hause“!
Kaum hatten wir das Haus bezogen, erhielten
wir eine Nachricht unserer Großeltern aus
Oberschlesien, Sie mussten entweder für Polen
optieren, d.h. die polnische Staatsbürgerschaft
annehmen oder das Land verlassen. Sie verließen Hindenburg, wurden im Zug beraubt und
kamen völlig erschöpft bei uns an. Nun wohnten in dem kleinen Lehrerhaus drei Generationen: meine Eltern mit uns fünf Kindern, die Eltern meiner Mutter, eine Schwester meiner Mutter und zwei Schwestern meines Vaters. Reibereien blieben nicht aus! Großmutter war der ruhende Pol in diesem Durcheinander. Sie begann den Schulgarten zu bebauen, schaffte Kaninchen und Hühner an und versuchte so einen
Beitrag zu unserer Versorgung zu leisten. Die
Ernährungslage war noch sehr schlecht und so
arbeiteten mein älterer Bruder und ich oft auf
den Feldern eines Rittergutes, das damals noch
nicht enteignet war. Wir halfen beim
„Rübenverziehen“. Wir bekamen einige Reihen
Rübenpflanzen zugewiesen und mussten jeweils 6 Pflanzen mit einer Hacke entfernen, jede 7. Pflanze durfte stehen bleiben.
Die Reihen dehnten sich endlos! Wir halfen
auch bei der Kartoffel- und Getreideernte. Bezahlt wurde in Naturalien (Gemüse, Kartoffeln,
Getreide). So konnten wir ein wenig zur Versorgung der großen Familie beitragen.
Im Winter fehlte es an Brennmaterial! Wir zogen mit unserer Mutter mit einem Bollerwagen
zu einer stillgelegten Braunkohlengrube – Tagebau – stiegen ein und warfen Stücke Braunkohle zu unserer Mutter nach oben, die sie in
den Bollerwagen stapelte. Vater konnte an solchen Aktionen nicht teilnehmen, denn er war
Beamter!
Schon im Herbst 1945 nahmen die Schulen den
Unterricht wieder auf und die Lage entspannte
sich. Die drei jüngeren Geschwister gingen
noch in die Volksschule. In Delitzsch gab es eine Städt. Oberschule für Jungen. Nun mussten
plötzlich auch Mädchen aufgenommen werden.
Seit der Flucht hatten wir keine Schule mehr
besucht. Uns fehlten also acht Monate Unterricht. Trotzdem wurden wir in die Klassen aufgenommen in die wir ohne Unterbrechung gehörten. Ich kam in die 5. Gymnasialklasse mit
20 Jungen und 5 Mädchen. Ich wählte den mathematischen Zweig. Wir waren ein bunt zusammengewürfelter Haufen: einige Einheimische, Flüchtlinge aus den verschiedensten Gegenden Deutschlands, ehemalige Flakhelfer,
später kam sogar noch einer dazu, der bereits
in Kriegsgefangenschaft geraten war. Schon
bald waren wir eine verschworene Gemeinschaft, fühlten uns für einander verantwortlich
und halfen einander wo immer Hilfe nötig war.
Ich erinnere mich, Mengen von Fausthandschuhen und Stirnbändern gestrickt zu haben – in
„Norweger Muster“! Als Dank lag dann manchmal ein handgeschriebenes Gedicht auf dem
Platz, wenn ich in die Schule kam. So kam ich
in Berührung mit Gedichten von Rilke und Hesse. Ich besitze sie noch heute!
Natürlich wurden wir wenigen Mädchen auch
umschwärmt. Wie mir später ein ehemaliger
Klassenkamerad gestand, wurden irgendwann
Wetten abgeschlossen, wer es zuerst schaffen
17
Jugendjahre 1945 –1948
würde, mich zu küssen ( ich glaubte damals
noch vom Küssen bekäme man Kinder). Die
Aufklärung war durch die Flucht auf der Strecke
geblieben, und ich wollte nach all den Erlebnissen auf der Flucht auch nicht gerne „ Frau“ werden. Ich schwärmte für den zuletzt in die Klasse
gekommenen älteren Mitschüler, der sich allein
durchschlagen musste, da er seine Familie
nach der Gefangenschaft nicht wiedergefunden
hatte und bei Freunden wohnte. Er beachtete
mich aber kaum. Und ich litt still vor mich hin.
Ganz schlimm wurde es, als im letzten Schuljahr eine neue Schülerin in unsere Klasse kam,
die das Schuljahr wiederholen musste. Sie war
groß, schlank, sehr hübsch und älter. Bald lagen ihr fast alle Jungen aus der Klasse zu Füßen – mein Schwarm auch! Ich war schrecklich
eifersüchtig!
Ein Jahr vor dem Abitur nahmen wir zwei Parallelklassen gemeinsam an einer Tanzstunde teil.
Das Tanzen machte mir sehr viel Spaß. Zum
Abschlussball lieh ich mir ein weißes langes
Kleid und kam mir vor wie eine Prinzessin. Mein
Partner und ich gewannen den ersten Preis!
Mein Vater wurde nach einiger Zeit Rektor
an einer Volksschule in Delitzsch und wir
zogen in die Stadt. Wir wohnten jetzt sehr
zentral in der Nähe der Schule und wurden
eine Anlaufstelle für einige Fahrschüler, die
auf ihre Züge warten mussten. Wir hatten
ein sehr offenes Haus!
Neben der Schule betätigten sich mein Bruder und ich in der kath. Jugend. Wir lebten
in der Diaspora, und erst durch die Flüchtlinge entstand eine größere kath. Gemeinde. Ein Vikar, jung und sehr fortschrittlich
kam als Priester zu uns. Wir zogen mit ihm
auf Fahrrädern über die Dörfer Die Jungen
waren Messdiener, wir Mädchen beteten
vor. Sogar Kirchenfahnen haben wir genäht.
Eine Pfarrjugendgruppe wurde gegründet für
Jungen und Mädchen gemeinsam. Wir sangen
am Lagerfeuer zur Gitarre, machten mit dem
Fahrrad Ausflüge und schwammen in kleinen
Heideseen, die aus stillgelegten TagebauBraunkohlengruben entstanden waren.
Es war eine wunderschöne, romantische Zeit!
Daneben gab es natürlich von der Schule aus
„Politische Schulungswochenenden“ an denen
man teilnehmen musste! Das Thema eines dieser Wochenenden lautete: „Politik kommt aus
dem Kochtopf“. Wir schrieben darüber Aufsätze.
Die Schulungen fanden in Schulungsheimen
18
statt. Jungen und Mädchen schliefen getrennt
in großen Schlafsälen und benutzten getrennt
große Duschräume. Dort habe ich zum ersten
Mal in meinem Leben geduscht! Da ich, wie
meine Mutter sagte eine „ knabenhafte Figur“
hatte, erfasste mich Neid, als ich meine gut entwickelten Klassenkameradinnen in der Dusche
sah.
Fast bekam ich Minderwertigkeitskomplexe,
aber meine Mutter tröstete mich, und sie sollte
Recht behalten. Ich war eine Spätentwicklerin!
Das Abitur rückte näher. Ich bestand es ganz
ordentlich, aber man teilte mir sofort mit, dass
ich keine Aussicht auf einen Studienplatz in absehbarer Zeit hätte. Mein Vater war Akademiker
und in der falschen Partei, im „Centrum“. Ich
war nicht Mitglied in der FDJ „Freien Deutschen
Jugend“ und hatte mich zu stark in der kath. Jugend betätigt , lautete die Begründung. Ich beschloss die DDR zu verlassen.
Vier Wochen später gelangte ich mit Hilfe eines
Fluchthelfers schwarz über die innerdeutsche
Grenze. Dieser Grenzübergang ist eine eigene
Geschichte über den ich später einmal berichte.
Ich konnte mich von niemandem verabschieden, keiner meiner Freunde durfte etwas wissen, außer unserem Vikar und der Familie. Ich
machte mich zum ersten Mal ganz allein auf
den Weg, mit 18 Jahren! In der Manteltasche
hatte ich lediglich einen Zettel mit der Anschrift
eines Heimes, in dem ich als Küchenpraktikantin arbeiten sollte. Unser Vikar hatte ihn mir gegeben. So stand ich eines Tages mit einem
kleinen Koffer auf einem Bahnhof im Paderborner Land.
Mein Leben als Erwachsene begann!
Buchbesprechung
Ein weltweit
Kunstwerk
anerkanntes
literarisches
Ruth Ortlinghaus
Die Jugend nach dem Zweiten Weltkrieg, vorwiegend in den 50er und 60er Jahren, kann
nicht allgemeingültig definiert werden. Und das
weitaus weniger als in allen vorherigen und
nachkommenden Jahrzehnten. Da sind einmal
die Kriegskinder, die heute als „vergessene Generation“ bezeichnet werden und von denen
viele schwer unter dem Trauma grauenhafter
Erlebnisse bis in die Gegenwart leiden und das
Verständnis zu Kindern und Enkelkindern im
gegenseitigen Miteinander belastet; dann die
jungen Menschen die mit dem Prinzip Hoffnung
in die Zukunft blickten und die spärlichen Gegebenheiten der Gegenwart nach einem verlorenen Krieg in Frieden freudig genossen. Sie erfuhren kaum etwas von den tatsächlichen grauenhaften Verbrechen der nationalsozialistischen Diktatur. Der Lehrplan in den Schulen
streifte das Thema nur in wenigen nackten Fakten und die ältere Generation hüllte sich meist
in Schweigen. Aber da gibt es Jugendliche, besonders in den 50er Jahren , die plötzlich
durch Zufall mit den Gräueltaten der jüngsten
Kriegsvergangenheit und dem Rassenwahn
konfrontiert wurden, die sie ein Leben lang mit
tiefen Spuren nicht mehr losließen. Solch ein
Schicksal verarbeitete der 1944 geborene
Rechtswissenschaftler Bernhard Schlink literarisch. „DER VORLESER“ heißt das Buch, das
bereits in 40 Sprachen übersetzt und auch verfilmt wurde. Mittlerweile gehört es zur Pflichtlektüre in der Oberstufe der weiterührenden Schulen.
Bernhard Schlink: Der Vorleser. Zürich: Diogenes Taschenbuch-Verlag. 206 S. Euro 9.90
ISBN 978.3-257-225953-0
Als Michael die wesentlich ältere Hanna kennen
lernt, wird sie für den 15jährigen zur schicksalhaften Begegnung – und das für ein ganzes Leben. Es beginnt eine leidenschaftliche Liebesgeschichte – immer nach dem gleichen Ritual
innerhalb der Begegnungen: Michael muss vorlesen, dann heißt es duschen, lieben und kuscheln. Die Frau ist reizbar, rätselhaft, geheimnisvoll und hütet verzweifelt zwei Geheimnisse.
Eines Tages ist sie spurlos verschwunden.
Selbst in neuen Liebesbeziehungen kommt Michael in der Erinnerung von dieser Frau nicht
los. Nach jahrelanger vergeblicher Suche sieht
er sie als Jura-Student in einem Prozess wieder. Er muss erleben, dass seine leidenschaftliche Geliebte während der Nazizeit eine KZAufseherin war und gleichzeitig erkennen, dass
sie als Analphabetin schamvoll gelitten hat.
Aus Scham ihr Analphabetentum zu verraten,
bekennt sie sich zu einem vernichtenden NS
Dokument das sie niemals schrieb, ihr aber lebenslange Haft einbrachte. Michael fehlt die
Souveränität zur direkten Kontaktaufnahme mit
Hanna, er schickt ihr aber über zwei Jahrzehnte
Kassetten mit von ihm selbst gelesener Literatur der Weltgeschichte in Romanen und Dokumenten ins Gefängnis. Dadurch lernt die Analphabetin letztlich lesen und schreiben. Sie verschlingt alle Bücher über die Verbrechen in
den Konzentrationslagern. Als Michael sie nach
Verbüßung der Haftstrafe aus dem Gefängnis
zur Integration in die Gesellschaft, abholen will,
endet die Geschichte tragisch.
Das Buch wird durch seine einfühlsame, erlesen schöne sprachliche Diktion und erstaunliche Präzision von hohem literarischem Seltenheitswert innerhalb der deutschen Gegenwartsliteratur weltweit gefeiert. “Ich wollte keine Holocaustgeschichte schreiben, sondern eine Geschichte über meine Generation im Verhältnis
zur Elterngeneration und zu dem was sie während des Dritten Reiches gemacht haben. Das
ist ein wichtiger Punkt. Auch meine Protagonistin Hanna war kein Monster. Wenn alle Täter
innerhalb des Verbrechens im Dritten Reich immer Monster gewesen wären, wäre ihre Beund Verurteilung einfach. Sie sind es aber
nicht. Meine Generation hat das vielfach erlebt,
beim Lehrer oder Professor, beim Pfarrer oder
Arzt, beim Onkel oder sogar beim Vater als deren nationalsozialistische Vergangenheit eines
Tages offenbar wurde. Diese bittere Erkenntnis
passte ganz und gar nicht zum Respekt, zur
Bewunderung oder sogar zur Liebe, die unser
Verhältnis zu ihnen bestimmt hatte, “ betonte
der Autor in einem Interview. Wie der Protagonist Michael mit der Vita seiner einstigen Geliebten Hanna während des Dritten Reiches
umgeht, wird kritisch und analytisch spannend
erzählt.
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Treffpunkte/Termine
Seniorentreff der Arbeiterwohlfahrt, Schulstr. 8, Tel 69212
Leitung: Anke Brandmähl-Gaubys
Mo – Fr 10 – 13 und 14 - 17 Uhr / nur Mi - Mittagstisch ab 12 Uhr
Tanztee
2. Sonntag im Monat
ab
14.30 Uhr
Familienfrühstück
3. Sonntag im Monat (bitte anmelden)
Gem.Frühstück „Büffett“
1. Montag im Monat (bitte anmelden)
ab
10.00 Uhr
Sticken,Spielen,Quatschen
1. Montag im Monat
10.30 - 11.30 Uhr
Kochgruppe
3. Montag im Monat
14.00 Uhr
Singkreis
3. Montag im Monat
14.00 17.00 Uhr
Hausbewohnertreff
letzter Montag im Monat
15.00 Uhr
Bingo
letzter Montag im Monat
18.00 Uhr
Gymnastik
dienstags
10.30 - 11.30 Uhr
Schach
dienstags
ab
12.30 Uhr
Senioren Männer Chor
dienstags
18.00 Uhr
Bowlennachmittag
letzter Dienstag im Monat (bitte anmelden)
14.30 Uhr
Deftige Hausmannskost
mittwochs
12.00 Uhr
Englisch für Senioren
donnerstags
10.00 – 12.00 Uhr
Rummicub
2. Donnerstag im Monat
14.30 Uhr
Christas Kaffeklatsch
1. Freitag im Monat (Selbstgebackenes)
14.30 Uhr
Dämmerschoppen
letzter Freitag im Monat
17.00 – 20.00 Uhr
Medizinische Fußpflege Frau Brandmähl-Gaubys montags bis freitags nach Termin
Seniorentreff der Caritas-Gesellschaft, Ludgerusstr 2a, Tel 21189
Leitung: Christel Prätorius
Fit in den Morgen
montags
Altersgerechte Gymnastik
dienstags
(mit und rund um den Stuhl / anschl. gemütl. Beisammensein mit Kaffee/Kuchen)
Englisch für Fortgeschrittene
mittwochs
Osteoporose Gymnastik
donnerstags
(anschl. gemütl. Beisammensein)
Betreuung Demenzkranker/Mittagstisch
freitags
Seniorentanz mit Frau Erhardt
1. Montag im Monat
Bingo
3. Montag im Monat
Angehörigenaustausch der dementiell Erkrankten
mit gemeinsamen Frühstück
1. Freitag im Monat
Frühstück
14tägig mittwochs
Lektürekreis
14tägig donnerstags
Gesellschaftsspiele
2. u. 4. Sonntag im Monat
(und gemütl. Beisammensein bei Kaffee und Kuchen)
10.00 - 11.00 Uhr
14.45 – 15.30 Uhr
14.00 - 15.30 Uhr
14.30 - 15.30 Uhr
09.30 - 11.30 Uhr
15.00 - 17.00 Uhr
15.00 – 16.30 Uhr
08.15 - 09.30 Uhr
09.30 - 11.30 Uhr
15.00 - 17.00 Uhr
Beratung für Behinderte im Bürgerbüro Rathaus: Gabriele Zscherpe, Tel. 69224
14 tägig mittwochs
9.00 -11.00 Uhr (mit Seniorenbeauftragter)
Freundeskreis der Behinderten: Ingeborg Esmeier, Tel. 3175
2. und 4. Mittwoch im Monat
18.00 Uhr
Harfe Heiligenhauser Agentur für das Ehrenamt, Stadtverwaltung Heiligenhaus,
Ralf Jeratsch, Rathaus Zimmer 226, Tel 13-502
Seniorensprechstunde im Bürgerbüro, Stadtverwaltung Heiligenhaus
Seniorenbeauftragte Chr. Donalies , Tel. 20838,
14 tägig mittwochs
9.00 – 11.00 Uhr
ZWAR - „Zwischen Arbeit und Ruhestand“, Ludgerus-Treff, Ludgerustraße 2a
Klaus Niedergesäß, Tel 69148
Norbert Sindermann, Tel 0170/9322675
14 tägig dienstags
20
19.00 Uhr – 21 Uhr
Treffpunkte/Termine
Demenzkalender
Redaktion
Abschied von Wir Älteren
aufzuhören. Danken möchte ich allen Lesern für
Rita Walter
die mir gegebene Anerkennung und Ermutigung.
Dem verbleibenden Redaktionsteam wünsche ich
Alles hat seine Zeit, auch das Niederschreiben weiterhin Freude am Gestalten.
von Gedanken und Erlebnissen.
Von den Zeiten der Zugehörigkeit zur Re- Ihre Rita Walter
daktion bin ich mit 14 Jahren die Älteste. Ich
d
habe noch mit den Gründungsmitgliedern
Die Gesamtheit der Text- und Bildgestaltung
der Zeitung zusammengearbeitet.
Wir Älteren hat sich im Laufe der Zeit immer bei der Verwirklichung eines geistigen Bilwieder verändert – vor allem in der Art der Lay- des
outerstellung, das den Computermöglichkeiten Reiner Ruhl
angepasst wurde. In meinen Artikeln hatte ich
stets den älteren Leser im Blick und war darauf So wird der Begriff Layout im Lexikon beschrieben.
bedacht, den Inhalt so zu gestalten, dass man "Das wirst du doch wohl noch hinkriegen" meinsich identifizieren konnte oder etwas zum te Ursula Schwarze, als sie mich fragte ob ich
Schmunzeln, oder auch Nachdenken hatte. in der Redaktion nicht die Verantwortung für
Meine besten Artikel – aus meiner Sicht – war das Layout von "Wir Älteren“ übernehmen
einer über das Glück und ein anderer über un- möchte. Auf die Idee kam sie, weil ihr bekannt
sere selbst gestaltete Amerikareise mit gemie- war, dass ich mich berufslebenslang, und hobtetem PKW durch mehrere Nationalparks und bymäßig immer noch, sehr viel mit Computern,
Canyons in Kalifornien, Arizona, Colorado und Software und Fotografie befasse. Durch meine
Nevada. Inzwischen gibt es nach so vielen Jah- Fotohobby werde ich dem einen oder anderen
ren kaum ein Thema, das ich nicht in irgendei- sicher auch schon bekannt sein.
ner Form schon durchdacht und bearbeitet ha- Gereizt hat mich Ursulas Vorschlag einerseits,
be. Deshalb ist jetzt für mich der Zeitpunkt ge- weil ich das Projekt "Wir Älteren" kenne, solan(Fortsetzung auf Seite 22)
kommen, mit dem Schreiben für Wir Älteren
21
Redaktion
Impressum
Herausgeber:
VHS-Zweckverband Velbert/Heiligenhaus
Leitung:
Ursula Schwarze
Redaktion:
Marianne Fleischer, Dagmar Haarhaus, Rosemarie Koch, Armin Merta, Ute Moll,
Gertraud Rauhaus, Norbert Sindermann, Annemarie Vinck.
Die Redaktion freut sich über eingesandte
Manuskripte, übernimmt jedoch keine Abdruckgarantie.
Gastbeitrag:
Ruth Ortlinghaus
Layout/Bildbearbeitung:
Reiner Ruhl
Druck:
Völkerdruck Heiligenhaus
Nächste Ausgabe:
Juni 2013
Die aktuelle Ausgabe ist jeweils online zu
lesen unter: Volkshochschule
Velbert/Heiligenhaus – Projekte Der Arbeitskreis dieser Zeitung begrüßt immer herzlich neue Mitglieder.
Interessenten bitte melden bei Ute Moll (siehe
Leserbriefe) oder mail: [email protected]
Interessenten außerhalb von Heiligenhaus schicken bitte Briefmarken im Wert von 1,45 Euro
an:
Rosemarie Koch,
Gerhart-Hauptmannstr. 34
42579 Heiligenhaus
d
(Fortsetzung von Seite 21)
ge es existiert und ich es gut und wichtig finde.
Zum anderen habe ich den Eindruck, dass es
der Zeitung durch einige inhaltliche Ergänzungen gelingen könnte ein breiteres Altersspektrum zu erreichen. Außerdem finde ich das optische Erscheinungsbild nicht mehr ganz auf der
Höhe der Zeit. Es scheint mir weniger geeignet
Menschen des fortgeschrittenen Mittelalters auf
sich aufmerksam zu machen. Während das Erscheinungsbild schwerpunktmäßig zum Verantwortungsbereich des Layouts gehört, verstehe
ich die Anmerkung zum Inhalt selbstverständlich nur als Anregung, die meinen Beobachtungen entspringt. Jedenfalls würde ich gerne
langfristig mit meinen Kenntnissen dem Projekt
zu Verfügung stehen. Richtig sinnvoll würde die
Mitarbeit für mich, wenn die angesprochenen
Themen allmählich mit in Angriff genommen
werden um einen möglichst langen Fortbestand
von "Wir Älteren" zu erreichen.
Spenden erbitten wir auf das Konto der VHS
Velbert/Heiligenhaus
Konto Nummer:
0018 000 380
BLZ
301 502 00
Kassenzeichen
35000 15020 Wir Älteren
Kreissparkasse Düsseldorf
Ich bin an der kostenlosen Zustellung von
„Wir Älteren“ interessiert:
Wenn Sie die Zeitung „Wir Älteren“ innerhalb
von Heiligenhaus zugestellt haben wollen, schicken Sie bitte beigefügten Abschnitt an Ute Moll
Leserbriefe bitte an:
Straße
Redaktion „Wir Älteren“
Ute Moll,
Moselstr. 127
42579 Heiligenhaus
Tel.: 02056-4424
22
Name, Vorname
Datum
Unterschrift
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