Jugendjahre - VHS Velbert/Heiligenhaus
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Jugendjahre - VHS Velbert/Heiligenhaus
Dezember 2012 Nr 87 Heiligenhauser Seniorenzeitung Herausgeber: Volkshochschule Velbert/Heiligenhaus Jugendjahre Aus dem Inhalt: Ein Kind seiner Zeit Ein Jahr in einer Jugendgruppe auf dem Lande in den 1960-er Jahren Meine Jugendjahre in den 60igern Jugend in Kriegszeiten Mein Büdchen, eine liebevolle Erinnerung Meine Jugendjahre 1942-1951 Kaleidoskop einer Jugend Jugendjahre 1963—1972 Jugendjahre 1945 – 1948 Befriedigung, die ich nach außen träumte, Kam nun von innen selber in mein Dach. Das Leben rächt ja stets, was es versäumte: Ich hole meine Jugendjahre nach. Franz Grillparzer, (1791 - 1872) Bitte mitnehmen Inhalt/Vorwort Inhalt Vorwort Ursula Schwarze 2 Ein Kind seiner Zeit Dagmar Haarhaus 3 Ein Jahr in einer Jugendgruppe auf dem Lande in den 1960-er Jahren Armin Merta 4 Meine Jugendjahre in den 60igern Dagmar Haarhaus 7 Jugend in Kriegszeiten Marianne Fleischer 9 Mein Büdchen – eine liebevolle Erinnerung Dagmar Haarhaus 10 Meine Jugendjahre 1942-1951 Annemarie Vinck 11 Kaleidoskop einer Jugend Norbert Sindermann 13 Jugendjahre 1963—1972 Rosemarie Koch 15 Jugendjahre 1945 – 1948 Marianne Fleischer 16 Buchbesprechung 19 Treffpunkte/Termine 20 Redaktion 21 Liebe Leserin und lieber Leser, der Blick auf die Jugendjahre ist mitunter im Rückblick auch ein Blick auf Wegkreuzungen: was wäre gewesen wenn..? Und wenn wir anders abgebogen wären? Wäre es wirklich ein so „anderes Leben“ geworden, wie hätte es aussehen können? Fragen die man sich manchmal erst im Alter auf das Leben zuvor stellt. Im besten Fall kann man sich sagen hören: „Und es war gut so, wie es war.“ Vielleicht geht es Ihnen auch so bei den Jugenderinnerungen. Jede Episode läßt in der Erinnerung eine neue aus und immer mehr Menschen lösen sich aus der Vergangenheit. Unsere Redakteur/Innen lenken den Blick auf ihre Jugend zwischen dem 14 und 21 Lebensjahr. Zeitzeugnisse, die schon die nächste Generation nur bestaunen kann. Aber auch die moralisch, soziale und gesetzliche Atmosphäre oder soll ich sagen, „Dunstglocke“ – erklärt, wie wir aufwuchsen. Diese Dunstglocke ist mir - in den 50ziger und 60zigern aufgewachsen - sehr gut in Erinnerung! Meine Generation lebte die politischen Erneuerung der 70ziger Jahre und ich kann mich gut erinnern, mit wieviel Unsicherheit und auch Trotz wir diese neuen Wege gingen. Wir wollten Freiheit von Zwängen und begreifen vielleicht erst heute im Alter wie unfrei wir auch mitunter dadurch waren. Ich persönlich finde mich erst im Alter mit weißen Haaren „fast frei“. Ich bin gespannt, zu welchen Entdeckungen Sie ihre eigene Reise anregt. Mit 30 Jahren hat unsere Zeitschrift das frühe Erwachsenenalter erreicht und muß nun dafür kämpfen, dass dieser Weg weitergeht. 2013 zwingen uns finanzielle Einsparungen zu neuen Wegen, wenn es diese Zeitung weiter geben soll. Noch ist nicht klar, in welche Richtung der Weg führen wird. Für das künftige Bestehen dieser Zeitung hoffen wir auf Ihr weiteres Wohlwollen und benötigen weitere Sponsoren, die uns durch Spenden und Werbung unterstützen. Wir hoffen, das dieses Heft nicht das letzte Heft von „Wir Älteren“ in Heiligenhaus sein wird. Ihnen eine gute Advents- und Weihnachtszeit und auf ein hoffentliches „Wiederlesen“ im neuen Jahr. Ihre Ursula Schwarze 2 Ein Kind seiner Zeit Ein Kind seiner Zeit Ute Moll Wir alle sind geprägt durch die jeweils gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen der Zeit in der wir leben und nicht nur durch unsere charakterlichen Anlagen. Die sozialen Verhältnisse werden wiederum geprägt durch unsere Geschichte und durch die aktuelle Gestaltung unseres politischen Systems. So ist auch das „Private das Politische“ und umgekehrt. Auch ich bin das Kind meiner Zeit. Meine persönliche Lebensgeschichte ist beeinflusst durch die 50iger Jahre. Meine Erinnerung geht zurück in das Jahr 1954, als ich 10 Jahre alt war. Meine Eltern und ich wohnten in der großen Wohnung zusammen mit den Großeltern in der Stadt Mülheim a.d.Ruhr. Die Großeltern nahmen uns nach dem Kriege auf, weil die elterliche Wohnung zerbombt war. Wir zogen dann in den „Ruhrpott“ nach Oberhausen, damals Oberhausen/Rhl. Mutter und Vater freuten sich, endlich in eine eigene Wohnung zu ziehen. Für mich war es ein großer Abschied, da ich meine geliebten Großeltern, meine Freundin und meine Schulkameradinnen verlassen musste. Aber die Zukunft lockte, Vater konnte eine neue Stelle über Tage im Büro antreten, wir bekamen die nagelneue Wohnung mit einem Bad und einem eigenen Zimmer für mich. Es war ein Gefühl von Luxus, mussten wir doch vorher nacheinander in einer Zinkwanne in der Küche baden und die Toilette auf halber Treppe benutzen. Ins neue Bad kam eine elektrische Waschmaschine namens Constructa. So war das Wirtschaftswunder auch bei uns angekommen. Mutter versorgte den Haushalt, sie hatte keine Ambitionen wieder berufstätig zu werden. Vater, so sagte sie, wolle seine Familie alleine ernähren. Wir waren die typische Kleinfamilie, in die der Mann stolz darauf war, der Alleinernährer seiner Familie zu sein. Endlich eine gute Selbstbestätigung, nach dem der sinnlose Krieg viele Männer in eine Sinnkrise gestürzt hatte. Im Deutschen Recht durfte bis 1977 eine Ehefrau nur mit Erlaubnis des Ehemannes eine Arbeitsstelle annehmen. Diese konnte auch vom Ehemann gekündigt werden. Das Vermögen blieb ebenfalls in der Hand des Mannes. In Oberhausen gab es eine nette Nachbarsfamilie, die von meiner Mutter aber auf Abstand gehalten wurde, weil sie nicht katholischen Glaubens, sondern evangelisch war. Für mich klang das, als gäbe es richtige und falsche Menschen. Eine andere Nachbarin ging einige Stunden einer Erwerbstätigkeit nach. Meine Mutter deklassierte sie zur „Schlampe“, da sie nach ihrem Empfinden doch lieber mehr im Haushalt hätte tun sollen. Am Verhalten meiner Eltern spürte ich immer wieder die Ungleichbehandlung der Geschlechter, obwohl Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen seit 1949 ein einklagbares Recht war. Aber im Beruf, in Ehe und Familie und in der sozialen Sicherung waren Frauen weiter benachteiligt. Das Recht auf Selbstbestimmung musste erst noch in allen Köpfen ankommen. Die Realschule in Oberhausen wurde zu meiner Entwicklungschance. Dort begegnete ich aufgeschlossenen, guten und lebenserfahrenen Lehrern, durch die ich meinen Horizont erweitern konnte. Ich lernte „über den Tellerrand“ zu sehen. Während meiner Realschulzeit, in der auch meine Pubertät begann, durfte ich nicht fernsehen. Es wurde auch kein Gerät gekauft. Um doch Filme im Fernsehen zu sehen, log ich dann, ich würde mit anderen noch Vokabeln lernen. Diese Schulzeit war für mich eine Zeit der zwei Welten, die enge und strenge moralische Welt meiner Eltern und die offene aber unkontrollierbare Welt durch Schule und soziale Kontakte. 3 Ein Kind seiner Zeit / Ein Jahr in einer Jugendgruppe Eigentlich war ich ein verwöhntes Mädchen, hatte kaum Aufgaben und Verpflichtungen in der Familie zu übernehmen. So konnte ich mich gut auf Schule und Freizeit konzentrieren, war aber eine mittelmäßige Schülerin, weil ich jeden Spaß mitmachen und schon gar keine Streberin sein wollte. Als Einzelkind lechzte ich nach Freundschaften. Die Deutschlehrerin sensibilisierte uns Schüler für die Politik Adenauers, indem sie uns Zeitungsausschnitte mit den zahlreichen Heimkehrer-Berichten ausschneiden und zu einer Sammlung verarbeiten ließ. Auch gingen wir durch ihre Anregung für die Kriegsgräberfürsorge Geld sammeln. Meine Eltern zogen sich auf ihre Privatsphäre zurück, verständlich nach dem Grauen und den Entbehrungen des Krieges. Das Thema Nationalsozialismus und Hitler wurde zum Tabu erklärt. Es gab aber auch eine schöne Seite meiner Jugend. Sie zeigte sich darin, dass ich ein gutes Fahrrad bekam und die Tanzschule besuchen durfte. Natürlich mit großer Kontrolle, da ich mich dem anderen Geschlecht nicht allzu sehr nähern sollte. Trotzdem stärkte und bügelte meine Mutter die für das Tanzen benötigten Pettycoats, damit die Röcke der Mode entsprechend ganz weit abstehen konnten. Das Schönste meiner Jugend aber war die Möglichkeit, alle meine Ferien bei Onkel und Tante auf der Insel Norderney zu verbringen. Dort war ich außer Reichweite meiner strengen Eltern und genoss die lockere und unverkrampfte Art meiner Verwandten. Damals konnten sich nur wenige Familien Urlaub leisten und ich ließ mich zu Hause ob meiner Bräune jeweils bewundern. Erst heute weiss ich, dass ich Ein Jahr in einer Jugendgruppe auf dem Lande in den 1960-er Jahren Armin Merta In dem kleinen Ort (rund 3000 Einwohner), in dem ich meine Jugendjahre verbrachte, gab es kaum Möglichkeiten, mit öffentlichen Verkehrsmitteln eben mal schnell wo hin zu fahren. Die Eltern besaßen noch kein Auto. Also blieb man in der Freizeit am Ort. In der Gegend in Mittelfranken, in der ich aufwuchs, lebten bis Kriegsende nur Menschen mit evangelischer Konfession. Meine Eltern waren, wie viele Andere auch, als Heimatvertriebene dorthin gekommen und sie waren katholisch. Ich merkte, obwohl ich erst 1948 geboren wurde, dass es auch in den 1960-er Jahren Spannungen zwischen den Bewohnern unterschiedlicher Konfessionen gab. Die kleine katholische Gemeinde feierte ihre Gottesdienste in einem relativ kleinen Raum. Anfang der 60-er Jahre konnte sich die katholische Gemeinde ein eigenes Gotteshaus bauen mit Pfarrwohnung und mit verschiedenen Gemeinderäumen. Es gab einen Pfarrsaal und im Keller Räume, die für die Jugend gedacht waren. Es bildete sich eine katholische Jugendgruppe, der ich mich ziemlich zu Beginn ihres Bestehens anschloss. Gerade von 1963 – 1968 war diese Gruppe sehr aktiv. Hier konnte ich einen Großteil meiner Freizeit einbringen, in den Jahren 1966 und 1967 sogar als Leiter. Ich erinnere mich gerne an die vielen Veranstaltungen und gemeinsamen Unternehmungen, die auch junge Menschen aus Nachbarorten anzogen. Ein Jahr in und mit dieser Jugendgruppe sah etwa so aus. Wer Kennt unsere Stadt? Wer erkennt die nebenstehende Stuckarbeit und kann sagen wo sie sich befindet? Auflösung in der nächsten Ausgabe. 4 Ein Jahr in einer Jugendgruppe Zur Faschingszeit gab es meist zwei Veranstaltungen, einmal einen reinen Jungenfasching, der immer unter einem Motto stand. So wählten wir einmal das Thema „Bar zum zahnlosen Haifisch“. Natürlich zogen wir uns alle wie Seeräuber oder Matrosen an. Wir machten Spiele und sangen zusammen Lieder. Beim Faschingsball wurde getanzt, es gab Tanzspiele. Hier freute man sich, dem anderen Geschlecht etwas näher kommen zu können. Ein Tanzspiel ging folgendermaßen. Die Jungen bildeten außen einen Kreis, die Mädchen innen. Jemand legte die Platte auf mit der Melodie „Mir san die lustigen Holzhackerbuam“. Nun bewegten sich sowohl die Jungen wie auch die Mädchen in Form einer Polonaise im Kreis, aber entgegengesetzt. Wenn die Musik aufhörte, forderte man genau die junge Dame zum Tanz auf, die einem am nächsten war. Im Alter von etwa bis zu 16 oder gar 17 Jahren hatte man keine feste Freundin. Erste sexuelle Erfahrungen kamen in dieser Zeit erst später. Im Mai folgte manchmal ein gemeinsamer Wochenendausflug in eine Jugendherberge, zunächst nur mit den Jungen allein. Eine in jedem Jahr sehr gelungene Veranstaltung war die gemeinsame Fahrt in den Sommerferien mit dem Fahrrad in ein Zeltlager. Die erste solche Reise ging ins Schwabenland. Ich empfand sie als die Angstrengendste. Wir brachen schon um 4 Uhr morgens auf. Die Fahrräder waren schwer bepackt. Wir mussten ja alle persönlichen Sachen und viele Ausrüstungsgegenstände mitnehmen. Verstaut wurden sie in den Fahrradtaschen und auf dem Gepäckträger. Jeder war stolz, mal eine Zeit lang den Wimpel an einer langen Stange an seinem Fahrrad zu haben. Nur die ganz großen Dinge wie die Zelte und die Kochausrüstung brachte jemand mit einem Pkw ans Ziel. Nach 20 km gab es den ersten Platten. Das bedeutete, alles vom Fahrrad abbauen und den Reifen flicken. Es blieb nicht der einzige Plattfuß an dem Tag, Es war sehr heiß. Irgendwo bei Schwäbisch Hall kam ein sehr langer Anstieg, bei dem wir die Räder natürlich schieben mussten. Nach 14 Stunden und fast 150 km erreichten wir erschöpft das Ziel. Nun hieß es aber noch Zelte aufbauen und einrichten. Ich kann mich daran erinnern, dass ich nach getaner Arbeit wohl schnell ins Zelt verschwunden und eingeschlafen bin. An jedem Tag waren zwei von uns eingeteilt, einzukaufen, die Mahlzeiten zuzubereiten (wir kochten am offenen Lagerfeuer selber) und Geschirr zu waschen. Tagsüber gönnten wir uns Baden im See, kurze Ausflüge in schöne naheliegende Städtchen. Zum Shoppen, wie das heute heißt, kamen wir nicht. Das Geld für das tägliche Essen und Trinken war schon knapp bemessen, ebenso knapp war das mitgegebene Taschengeld, das wir im Sommer hauptsächlich für Getränke brauchten. Eben mal die Eltern anzurufen, ging auch nicht. Erstens existierten noch keine Handys, zweitens hatten die meisten Bewohner damals noch gar kein eigenes Telefon. Die einzige Verbindung zu den Eltern ergab sich nur dadurch, eine Ansichtskarte nach Hause zu schreiben. Einmal gab es bei so einem Zeltlager die Gelegenheit, gegen eine Gruppe aus der Gegend Fußball zu spielen, einmal hatten wir in der Nähe eine Waldwirtschaft, einmal ein Weinfest. Am aufregendsten war die Übertragung des Endspiels der Fußballweltmeisterschaft in England, das wir bei Verwandten von mir sehen durften. Was haben wir uns darüber aufgeregt und sogar gestritten, weil eben dieses Wembley -Tor gegeben worden war. Das erste Zeltlager, bzw. die Fahrt dorthin in der großen Hitze, forderte bei mir seinen Preis. 5 Ein Jahr in einer Jugendgruppe Durch die übergroße Anstrengung suchte sich der Schweiß bei mir andere Bahnen. An beiden Armen und Beinen entstanden kleine Wasserblasen. So schickte man mich mit dem Zug nach drei Tagen nach Hause in Begleitung eines Jungen, der sowieso früher nach Hause sollte. Nach den Sommerferien konzentrierten wir uns auf die nächste große Aufgabe. Im November / Dezember führten wir mit unserer Gruppe ein Theaterstück auf, meist ein Volksstück mit Familiencharakter. Ich war derjenige, der die Hauptrolle bekam, weil ich mich mit dem Auswendiglernen am leichtesten tat, aber wohl auch mit am besten spielte. Natürlich brauchten wir zu den Stücken die Mädchen aus der Gemeinde. Die Aufführungen fanden immer im Saal einer Dorfgastwirtschaft statt, der im Winter nur durch einen großen gusseisernen Ofen warm gehalten werden konnte. Auf der neuen Bühne der neu gebauten Volksschule kamen wir nicht an. Der Rektor war evangelisch. Da merkte man schon noch die Zurückhaltung der alten Einheimischen gegenüber den Katholiken. Die Aufführungen fanden großen Anklang. Im 2.Stück spielte ich einen Bürgermeister, der gerne groß angab und dann doch eines Besseren belehrt wurde. Nach dem Theaterabend wurde ich von der katholischen Bevölkerungsgruppe noch lange als „Herr Bürgermeister“ angesprochen. Anfang 1968 ließ ich mich nicht mehr als Jugendleiter wählen. Es stand das Abitur bevor. Außerdem wusste ich, dass ich danach zum Wehrdienst musste. Die Aktivitäten in der Jugendgruppe ließen stark nach, je mehr von uns nun stärker beruflich eingespannt waren oder sogar schon früh heirateten, um so mehr ließ das Interesse an gemeinsamen Veranstaltungen nach. Aus der nachfolgenden Gruppe mit Jüngeren fand sich niemand, der die Leitung, die Verantwortung und das Engagement übernehmen wollte. Die Leidenschaft zum Theaterspielen hat sich bis heute erhalten. Als Lehrer baute ich eine Theater-AG an der Schule auf und übte einige Jahre lang Komödien ein. Die Schulaula war immer dreimal restlos ausverkauft. Heute habe ich in der ZWAR-Gruppe wieder die Gelegenheit gefunden, Theater zu spielen. Die Leidenschaft zum Organisieren hat sich ebenfalls bis heute erhalten. Für unsere Siedlergemeinschaft macht es sehr viel Spaß, in jedem Jahr Einiges auf die Beine zu stellen. 6 Wer hat Interesse sich zu beteiligen? Dokumentarfilmautorin der ARD sucht für ihren WDR-Film "Späte Bekenntnisse" Menschen, die im Alter ein lange gehütetes Geheimnis oder etwas, das ihnen auf der Seele brennt, doch noch ihren Kindern oder Enkeln oder sonst wie Nahestehenden anvertrauen möchten. Hierbei geht es um Familiengeheimnisse oder andere, bis heute verborgene, verschwiegene Dramen, die man am Ende doch nicht mit ins Grab nehmen möchte. Dieser Film will den dadurch entstehenden Dialog zwischen den Generationen dezent beobachten und die daraus folgende Entwicklung zeigen, ein meist für beide Parteien erleichternder und versöhnlicher Prozess. Bei Interesse bitte melden bei Liz Wieskerstrauch, Erikastr. 129, 20251 Hamburg, 0171 5475667, [email protected], siehe auch www.wieskerstrauch.com. Meine Jugendjahre in den 60igern Meine Jugendjahre in den 60igern Dagmar Haarhaus Aufgewachsen in einer Siedlung in Wuppertal, erlebten wir in dieser ländlichen Wohnidylle eine unbeschwerte Jugend. Wir spielten in den Gärten, bauten unsere Bude im Wald, der Wiesengrund war im Winter die ideale Skipiste. Wir hatten das Gefühl, die Freiheit wäre grenzenlos. Respekt vor den Älteren, Höflichkeit, Pünktlichkeit und Gehorsam waren selbstverständlich, und die familiären Rituale regulierten das Zusammenleben und das Verhalten. Mein Tag begann mit der sogenannten Katzenwäsche. Zwar hatten wir im kleinen Badezimmer fließendes Wasser, aber leider kalt. So freute ich mich auf den Sonntag, der als Badetag bezeichnet wurde. Ein wenig Nivea-Creme ersetzte die nicht vorhandene Schminke. Nach dem Frühstück zog ich mich für den Kirchgang an. Das Kleid, Kniestrümpfe und die flachen Schuhe wurden nur sonntags angezogen, mit der Ermahnung, mich bitte nicht schmutzig zu machen. Der Nachmittag ließ wenig Freiraum, er war ausgebucht mit Wanderungen oder Verwandtenbesuchen. Unter der Woche, nachmittags, trug ich, um die Schulkleidung zu schonen, eine abgelegte und blank gewetzte Lederhose von meinem älteren Vetter. Meine Mutter nähte mir dazu ein kurzärmeliges Buschhemd, T-Shirts gab es noch keine. Meine Füße steckten in Söckchen und Sandalen. Im Winter wurde ein Pullover angezogen. Die kratzigen braunen langen Strümpfe wurden am Leibchen mit breitem Gummiband und am Strumpfrand mit Wäscheknöpfen befestigt. Halbhohe Schuhe schützten die Füße vor Matsch und Schnee. Großes Glück hatte ich, dass meine ältere Schwester kleiner war als ich. So blieb mir erspart, ihre Kleidung aufzutragen. Unsere Mutter strickte Pullover, änderte Kleider und aus alten Stoffen, wurde Neues angefertigt. Da wir noch keinen großen Einfluss auf unsere Kleidung hatten, waren wir auf den Geschmack der Mutter oder Tante angewiesen. Erst Ende der 60er Jahre, mit Beginn des Mini-Rocks und der Te- xas-Hose (Jeans), entwickelten wir langsam unseren Modestil. Meine Konfirmation war dann das erste große Ereignis in meiner Jugend. Das schwarze Taftkleid, die ersten Perlonstrümpfe, Pumps mit kleinem Absatz, trugen dem festlichen Anlass Rechnung. Aber ich war froh, als ich wieder in meine geliebte Manchesterhose (Cordhose) schlüpfen konnte. Bei schlechtem Wetter hatte ich die Möglichkeit zu lesen oder meine Briefmarken zu sortieren. Besuch von anderen Spielkameraden war zwar gestattet, kam aber eigentlich nie vor. Wir trafen uns lieber im Freien. Wir schnitzten Pfeile für unseren Flitzebogen, bastelten aus Astgabeln, mit einem Weckglasgummi versehen, Fletschen. Erklommen Bäume, sammelten Eidechsen und Frösche, wobei es strikt verboten war, diese mit nach Hause zu bringen. Da wir beim Spielen die Zeit vergaßen, ertönte der Pfiff meiner Mutter kurz vor 18.00 Uhr, Signal an mich, nach Hause zu kommen. Da Autos eher selten waren, Busse und Bahnen nur in der Innenstadt fuhren, hatte ich jeden Tag einen langen Fußmarsch zur Schule zu bewältigen. Waren die Schulaufgaben erledigt, durfte ich nach draußen. Dort warteten schon die Spielkameraden. Mit zunehmendem Alter ersetzten wir unsere Heuer (Murmeln) gegen 10 Pfennigstücke, die wir aus einer gewissen Entfernung gegen eine Mauer warfen. Wer mit seinem Geldstück am nächsten lag, bekam den gesamten Einsatz. Mit viel Geschick und Glück konnten wir so unser Taschengeld erhöhen. Der Schulalltag in der Mädchen-Realschule begann Montag morgens und endete Samstag mittags. Die Lehrer waren Respektspersonen und die Schulstunden verliefen ohne wesentliche Störungen. Spezifisch weibliche Fächer wie Handarbeit und Kochen waren obligatorisch. In das Fach Biologie wurde auch Aufklärung integriert. In dieser Stunde wurde uns erzählt, was wir uns schon heimlich angelesen hatten, aber noch nicht wissen durften. Aber viel schlauer bin ich danach auch nicht gewesen. Noch vier Jahre nach meiner Volksschulzeit trug ich meinen Lederschulranzen auf dem Rü7 Meine Jugendjahre in den 60igern cken. Mit zunehmendem Alter wurde dieser gegen eine braune Aktentasche ausgetauscht. Darin befand sich neben den Schulutensilien auch mein Pausenbrot in einer Brotdose aus Blech. Milch und Kakao konnten in der Schule gekauft werden. Samstags, nach Schulschluss, trafen wir uns, auch mit Jungens der Knaben-Realschule, in der nah gelegenen Eisdiele. Erst in der Berufsschule teilten wir mit gleichaltrigen Jungen die Klasse. Aus dieser Gemeinschaft entwickelten sich erste harmlose Freundschaften. Komplikationslose Flirts, eigentlich mehr auf der Basis von Kameradschaft, entstanden. Wir tauschten zwar unsere Sexual-Kenntnisse aus, aber so richtig war keiner aufgeklärt. Deshalb war auch das Küssen mit Vorsicht zu genießen, aus Angst vor einer ungewollten Schwangerschaft. Dabei war die Verabredung eigentlich mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Diese erfolgte entweder mündlich, per Telefon, falls im Haushalt vorhanden, aus dem Telefonhäuschen oder in der Post. Partys, mit Kartoffelsalat und Würstchen, Musik vom Tonband, mit rotem Krepppapier abgedunkelte Wandlampen, waren besondere Ereignisse unserer Jugend. Wir Jugendliche wurden erst mit 21 Jahren volljährig, somit hatte ich pünktlich, um 22.00 Uhr, daheim zu sein. Aber klaglos fügten wir uns diesen Regeln. Da wir alle davon betroffen waren gab es keine Auflehnung, es war eben normal. Der Dual-Plattenspieler wurde zum Hit. In Stereo erklangen Twist und Beat und eroberten die Wohnung und bereicherten unseren Musikgeschmack. Der Besuch der Tanzschule war selbstver8 ständlich, galt diese auch als eine Art Einführung in die Erwachsenenwelt. Anstand und Höflichkeit wurden gleichzeitig mit dem Erlernen der verschiedenen Tänze gelehrt und verfeinert. Kurs-Höhepunkt war der Abschlussball. Selbstverständlich wurden wir daheim vom Tanzpartner abgeholt. Wir jungen Mädchen hatten Mühe, unser Kleid, aufgebauscht durch das Tragen eines Petticoats, knitterfrei zu halten. Die neuen Tanzschritte wussten wir nun in elegante Bewegungen umzusetzen, zumal nachmittägliche Tanztees sehr beliebt waren. Die Italiener waren die ersten Ausländer, die Eisdielen betrieben. Später folgten Würstchen Buden, in denen man Pommes frites aus Holland mit Mayonnaise und Ketchup, so wie Brat– und Currywurst kaufen konnte. Das Wirtschaftswunder ermöglichte uns den Kauf unseres ersten schwarz-weiß Fernsehers. Das Programm begann am Nachmittag und endete mit einem Signal um Mitternacht. Besonders erinnere ich mich an drei Sendungen. Mit Spannung saßen wir auf dem Sofa als Bernhard Grzimek uns die Tierwelt ins Haus brachte. Die Übertragung der Mondlandung und das Wunder von Legende gehörten zu den unvergesslichen Fernsehübertragungen der damaligen Zeit. Auch das Weihnachtsfest wurde modernisiert. Am Tannenbaum, der bisher mit Wachskerzen bestückt war, wurden diese durch eine elektrische Lichterkette ersetzt. Dadurch wurde die Brandgefahr an den Weihnachtstagen gebannt und der Weihnachtsbaum konnte unbeaufsichtigt den ganzen Tag leuchten. Auch künstliche Tannenbäume kamen groß raus. Irgendwann begann die Zeit der Emanzipationsbewegung. Aus der Anrede „Fräulein“ für unverheiratete Frauen jeden Alters entwickelte sich die Anrede „Frau“, ob verheiratet oder nicht. Sehr gerne erinnere ich mich und möchte auch die Zeit nicht missen, in der ich eine zufriedene und glückliche Jugend erlebte. Diese endete mit der Schulzeit und dem Abschluss der Ausbildung, die Grundlage war für einen guten Job, finanzielle Sicherheit und eine sorgenfreie Zukunft. Jugend in der Kriegszeit Jugend in Kriegszeiten Marianne Fleischer Nach dem mündlichen Bericht eines guten Freundes 1939 bei Beginn des 2. Weltkrieges war ich 14 Jahre alt. Ich besuchte die 4. Klasse eines reinen Jungen-Gymnasiums. Seit dem 10. Lebensjahr war ich automatisch in der Hitlerjugend, hatte mich aber für die Flieger-HJ entschieden, weil ich später „Pilot“ werden wollte. Wir bastelten Flugzeugmodelle und nahmen später an Segelflugkursen teil. In der Nähe meines Heimatortes gab es auf einem Hügel einen Segelflugplatz. Wir machten erste Flugversuche: Starten und Landen. Seilwinden gab es noch nicht. Wir zogen die Flugzeuge an Gummiseilen über die Wiese und mussten dann im richtigen Moment loslassen, was ich einmal verpasste! Ich fiel hin und das Seil schrammte durch meine Kniekehlen! Ich konnte längere Zeit nur mit großen Schmerzen laufen. Das tat der Liebe zur Fliegerei aber keinen Abbruch. Ich legte bald die A-, B-und CPrüfung ab. Daneben war ich aber auch Ministrant in der katholischen Kirche und einer Krankenhauskapelle. Manchmal trug ich unter dem Ministrantengewand meine Uniform, weil ich hinterher HJ-Dienst hatte, der oft auf den Sonntag gelegt wurde, um Kinder und Jugendliche am Besuch des Gottesdienstes zu hindern. In der Nähe unserer Schule befand sich das Mädchen-Lyzeum. Natürlich erwachte in unserem Alter mit 15-16 Jahren das Interesse am anderen Geschlecht. Aus meinem Vorort hatten einige Mädchen aus meiner Nachbarschaft den gleichen Schulweg wie wir Jungen. Ein Mädchen mit blonden Locken gefiel mir besonders gut. Sie hieß „Anna“, hatte ich bald herausgefunden. Für mich war sie die Schönste! Schon bald versuchte ich unser Haus so zu verlassen, dass ich gleichzeitig mit ihr den Schulweg antreten konnte. Zunächst blieb ich auf Distanz, wenn keine Freundinnen dazukamen, schloss ich dann langsam zu ihr auf. Es dauerte eine Weile, bis ich mich traute sie anzusprechen. Sie schien nicht abgeneigt sich mit mir zu unterhalten, und so gingen wir schon bald gemeinsam zu Schule und warteten aufeinander! Wir trafen uns auch gelegentlich in und vor der Kirche bei Andachten, besonders im Mai gegen 18 Uhr bei der Mai-Andacht. Auf dem Nach- hauseweg wurde es schon dämmrig, die ersten Straßenlaternen (Gaslaternen) brannten, und wir wagten schon mal uns an der Hand zu halten. Die Klassenkameraden lästerten natürlich: „Du gehst mit ihr!“ hieß es damals. Mit 16 Jahren wurde ich “Flak-Helfer“, das bedeutete folgendes: In der Nähe der Stadt wurde eine Batterie Flugabwehr-Geschütze stationiert, denn es fanden häufiger feindliche Bombenangriffe statt. Wir Schüler der 10. Klasse wurden mit Bussen nach dem Unterricht in eine Kaserne gefahren und wurden dort von Soldaten in die Bedienung der Geschütze eingewiesen. Die Nacht verbrachten wir in der Kaserne und mussten die Soldaten nachts bei ihrem Beobachtungsdienst unterstützen. Wir kamen uns sehr wichtig vor in unserer Rolle als „Beschützer des Vaterlandes“. In den Schlafsälen war eins der Hauptthemen „Mädchen“! Die Wochenenden verbrachten wir zu Hause und so konnte ich auch „Anna“ häufig sehen. Meine Mitschüler redeten immer wieder vom „Küssen“, und ich konnte noch nicht mitreden. Also nahm ich mir eines Tages vor, wenn du heute mit Anna spazieren gehst, machst du einen Versuch sie zu küssen! Um mir Mut zu machen setzte ich mir beim nächsten Treffen in der Dämmerung ein Ziel: Bei der vierten Laterne küsst du sie- dann war es die sechste, ich schaffte es nicht - plötzlich standen wir vor ihrer Haustür - zu spät! Meinen ersten richtigen Kuss bekam ich erst, als ich mit 18 Jahren zu den Soldaten eingezogen wurde beim Abschied. Ich nahm ihn wie einen Schatz mit mir durch zwei Kriegsjahre - nicht als Pilot - sondern bei den Bodentruppen - und später durch drei harte Jahre Kriegsgefangenschaft in Frankreich. Mit 23 Jahren kehrte ich aus der Gefangenschaft zurück, nicht in die Heimat! Meine Mutter und mein Bruder waren aus Oberschlesien geflüchtet. Über das „Rote Kreuz“ fand ich sie in Hameln an der Weser. Anna habe ich nie wiedergesehen und meine Heimat erst nach vielen Jahrzehnten- sie war mir sehr fremd geworden! Viele meiner Ideale waren zerbrochen. Man hatte mir meine Jugend geraubt- glaubte ich! Ich musste von vorne anfangen, mein Abitur nachmachen, Geld verdienen um studieren zu können und mich selbst finden. Das gelang mir erst im Studium! Ich war ein Anderer geworden! 9 Mein Büdchen Mein Büdchen – eine liebevolle Erinnerung Dagmar Haarhaus Meine kleine Geschichte handelt eigentlich von etwas Nebensächlichem. Aber für uns Jugendliche waren es Dinge, die uns zu jener Zeit interessierten. In meiner Heimatstadt Barmen war der Name „Büdchen“ für den heutigen Kiosk weit verbreitet. Eben dieses besagte Büdchen stand an einer Hauptstraße, die ich von daheim aus, nach einem längeren Fußmarsch durch einen Waldweg erreichte. Der Teil dieses Weges gehörte zum weiteren Verlauf, um zu meiner Realschule zu gelangen. Das Büdchen war aus Holz, weiß gestrichen. Aus dem Dach, welches mit Teerpappe gedeckt war, ragte ein kleiner Schornstein. Eine raus gesteckte Langnese-Eisfahne signalisierte, das dass Büdchen geöffnet hatte und die angelehnte Langnese-Eistafel zeigte auf, dass Eis am Stiel, das wässrige CapriEis und DominoHappen vorrätig waren. Ab 07.00 Uhr verkaufte der Inhaber Zeitungen, Zigaretten, alkoholfreie Getränke, Süßigkeiten und Eis. Aber für mich, als Jugendliche, waren nur die Bonbongläser interessant, die übereinandergestellt, mit einer bunten Vielfalt von Köstlichkeiten bestückt waren. Auch dem Eis am Stil war ich nicht abgeneigt. Da mich aber der morgendliche Schulweg bergab führte, das Frühstücksbrot gerade erst gegessen war, hatte ich noch keinen Bedarf, mich mit Süßigkeiten oder Eis einzudecken. Lediglich die Auslage wurde angeschaut und die diversen Klümpchen (Bonbons) ausgesucht und gedanklich schon in eine Papiertüte gepackt. Wollte ich doch mein Taschengeld sinnvoll einsetzen, da dieses äußerst knapp war. Auf dem beschwerlichen Heimweg, der nur bergauf führte, freute ich mich über die flatternde Langnese-Eisfahne. Das Büdchen war ge10 öffnet und der lang ersehnte Einkauf konnte stattfinden. Da die Bude für den Besitzer, nur durch eine kleine Türe begehbar war, erfolgte der Verkauf durch ein Schiebefenster. Für je 1 Pfennig stellte ich aus den Bonbongläsern mein Sortiment zusammen, welches in eine Papiertüte untergebracht wurde. Zu kaufen gab es außerdem Brausepulver, rosa und weiße Brauseherzen, Lakritzstangen, Lakritzschnecken, Salmiakpastillen, mit denen man einen Stern auf den Handrücken formte und daran leckte. Bunte Lakritzstäbchen, wobei die roten besonders beliebt waren, befeuchteten wir mit der Zunge und bemalten uns damit die Lippen. Puffreis, Kaugummikugeln, mit denen man eine sehr schöne Blase machen konnte, sowie Eis am Stil gehörten ebenso zum Sortiment, wie die angebotenen Wundertüten, die ich besonders verführerisch und aufregend fand. Anfänglich waren diese mit Zuckerkram gefüllt oder mit kleinem Spielzeug. Für die Jungen gab es Autos, Figuren oder Flugzeuge, die Mädchen erhielten kleine Ringe mit einem roten Herzen, Nuckelfläschchen, gefüllt mit Liebesperlen oder Kleinstmöbel für die Puppenstube. Später dann, wurden die Wundertüten auch mit Sammelbildchen gefüllt. Obwohl damals billig, schmolz beim Kauf dieser Tüten oder einem Eis am Stil das Taschengeld jeweils um 20 Pfennig. Mein Büdchen musste erst für immer weichen, als die damalige B326, die Wuppertal mit Düsseldorf verband, zur heutigen A 46 ausgebaut wurde. Den Hang zu den Bonbons aus meinen Jugendjahren habe ich bis heute beibehalten, und mein Vetter schickt mir jedes Jahr zu meinem Geburtstag eine „Wundertüte Süßigkeiten“. Der einzige Unterschied zu damals besteht darin, die Bonbons sind wesentlich teurer geworden und die kleine Papiertüte wurde durch eine größere Cellophantüte ersetzt. Meine Jugendjahre 1942-1951 Meine Jugendjahre 1942-1951 Annemarie Vinck 1942 war das Jahr, in dem ich konfirmiert wurde. Es herrschte Krieg und somit Schwierigkeiten bei der Kleiderbeschaffung. Wir hatten eine Hausschneiderin, die regelmäßig kam und uns reihum neue Kleider nähte, meist aus „Alt mach Neu“. Meiner Mutter war es gelungen, schwarzen Taft aufzutreiben, wofür einige „Punkte“, d.h. Abschnitte der Kleiderkarte geopfert werden mussten. Für ein Damenkleid musste man im Krieg 23 „Punkte“ abgeben, aber Jugendlichen wurden nur 13 „Punkte“ berechnet, weil sie schnell wuchsen. Noch nie hatte ich einen Faltenrock besessen, deswegen bestand ich auf einem solchen. Ich sehe mich noch heute vor meinem inneren Auge auf dem Weg zur Kirche. Der Faltenrock war außerordentlich üppig. Er „stand“ regelrecht um mich herum, er raschelte und wippte, er wogte auf und nieder, ähnlich wie bei der „Schwälmer Tracht“. Das störte mich kein bisschen. Hauptsache: ich hatte endlich einen Faltenrock. Vom Krieg bekamen wir in unserem 2000Seelen-Dorf in Rheinhessen nicht viel mit. Wenn aber die Bombengeschwader der Alliierten nachts zu hören waren, dann rannten wir alle – auch ohne dass eine Sirene ertönte - in unseren Weinkeller. So manches Mal überlegte ich, was passieren würde, wenn eine Bombe ein Fass träfe. Ob wir dann alle im Wein ertrinken müssten? Die weiterführende Schule besuchte ich in der Kreisstadt Alzey. In einer Unterrichtsstunde beim Direktor versenkte ich eines Tages aus purer Langeweile meinen Radiergummi im Tintenfass, weshalb ich der Schule verwiesen wurde wegen „Sabotage am Führer“. Eine Klassenkameradin legte „ein gutes Wort“ für mich ein und ich wurde wieder „in Gnaden“ aufgenommen. „Sabotage am Führer“ war es auch, wenn immer wieder, durch die vorbei laufenden Schuhe der Schülerinnen, die bereit stehenden Sandtüten zu rieseln begannen. Mit 14–15 Jahren schwärmten meine Freundin und ich für Filmschauspieler wie Hannes Stelzer, Rudolf Prack oder Joachim Brennecke und sammelten Autogrammkarten. Dafür opferten wir unser knappes Taschengeld. Eines Tages schickte Joachim Brennecke mir sein Konterfei zurück und hatte außer seinem Namen noch das Wort „Herzlichst“ hinzugefügt. Das war sen- sationell. Am folgenden Tag konnte ich Christa, meiner Freundin, vor dem Unterricht gerade noch zuraunen, dass Joachim Brennecke geschrieben habe, was sie mit zustimmendem Nicken beantwortete. Dann begann der Unterricht und ich nahm ein Zettelchen und schrieb: „Hat er bei Dir auch, wie bei mir…“. In diesem Moment stand Frl. Krämer, die Lehrerin, neben mir und nahm mir das Zettelchen aus der Hand mit dem Befehl, nach dem Unterricht zu ihr zu kommen. Da wollte sie die Bedeutung wissen von: „Hat er bei Dir auch wie bei mir…“. Wahrheitsgemäß berichtete ich, dass ich wissen wollte, ob auf Christas Autogramm ebenfalls als Zusatz das Wort „Herzlichst“ stand. „Ist das alles?“ fragte Frl. Krämer? In diesen Jahren begannen wir, uns für das andere Geschlecht zu interessieren. Christa schwärmte für einen blendend aussehenden Jüngling mit Namen Klaus Geibel. Der Angebetete hat nie im Leben erfahren, dass er der Traum unserer schlaflosen Nächte war. Damit unsere Klassenkameradinnen nicht merkten, dass wir von Jungen sprachen, gaben wir denen, die unser Interesse fanden Mädchennamen. Klaus Geibel war „Hulda“, sein Bruder Berthold „Berta“. Wegen Klaus Geibel lasen wir Gedichte von Klaus Groth und Emanuel Geibel. Eines Tages verkündete Christa, dass sie mit Klaus Schluss mache, dabei hatte sie nie auch nur ein Sterbenswörtchen mit ihm geredet. Prompt sagte ich, als handele es sich um eine Ware, „dann nehme ich ihn!“. Von Stund an schwärmte ich ihr vom tollen Klaus vor, der auch hiervon nie etwas erfuhr, bis Christa mein Getue zu viel wurde, sie ihren Klaus zurückhaben wollte. Hergeben!!! wollte ich Klaus nicht und schlug vor, dass er nun uns beiden gehört! Und wir schwuren uns in die Hand, nie im Leben wegen eines Mannes in Streit zu geraten! Unsere Oberschule hatte die Hauswirtschaftliche Form. Wir lernten Kochen und Gartenbau. Im letzten Kriegsjahr 1944/45 stellte unsere Bimmelbahn, mit der wir zum Besuch der Oberschule in die Kreisstadt fuhren, ihren Betrieb ein. Jetzt hieß es, etwa 10 km mit dem Rad fahren oder sogar über die Felder und Hügel Rheinhessens per pedes zur Schule laufen. Dabei rettete ich mich einmal vor einem Tieffliegerangriff hinter die Grabsteine eines Friedhofes. Erst als alles still war, setzte ich meinen Heimweg fort. Im Frühjahr 1945 kam die Front näher. Vergeblich hatten wir immer noch auf den Einsatz ei11 Meine Jugendjahre 1942-1951 ner „Wunderwaffe“ gehofft. Täglich hörten wir den Geschützdonner der Artillerie. Daraufhin übersiedelte die ganze Familie in den Weinkeller. Auf den ständig rutschenden Kartoffelbergen, die dort für Mensch und Tier lagerten, wurden Decken ausgebreitet, dort schliefen wir. Auf einem Kanonenöfchen wurden Süppchen gekocht. Eines Tages war es soweit: amerikanische Panzer rollten ins Dorf. Ein „Ami“ betrat unseren Hof. Durch einen Spalt in der Kellertür schauten wir neugierig und angstvoll. Es war ein Farbiger! Noch nie im Leben hatten wir einen schwarzen Mann gesehen. Er betrat unsere Küche, machte die erst beste Schublade auf, und was zog er heraus und beäugte es neugierig? Es war das von der roten Fahne abgetrennte weiße Rund mit dem schwarzen Hakenkreuzzeichen! Mama hatte gedacht, dass es zum Putzen noch gute Dienste leisten könnte. Der Soldat sah es an, steckte es wieder in die Schublade zurück und setzte seinen kurzen Rundgang durchs Haus fort. Dann wurde Ausgangssperre verhängt. Die Sieger patrouillierten auf den Straßen, und wir lugten durch Blumenkästen und Gardinen auf die Besatzer. Ich war inzwischen fast 17 Jahre alt. Sehr bald erging der Befehl, dass alle Frauen und Mädchen ab 16 Jahren allmorgendlich anzutreten hätten, um für die in der Schule untergebrachten Soldaten Kartoffeln zu schälen und Gemüse zu putzen. Kurz darauf erging die Aufforderung durch den Ortsdiener mit der großen Schelle an alle Mädchen von 16 bis 25 Jahren, sich am folgenden Samstag zum Tanze einzufinden. Mit den „Siegern“ zu tanzen…dazu waren meine Schwester und ich keinesfalls bereit. So such12 ten wir unseren Hausarzt auf, der meiner Schwester den Arm eingipste und mir das Bein. Das enthob uns der Pflicht, mit den Yankees tanzen zu müssen, womöglich noch mit einem Farbigen! Schließlich waren sie unsere Feinde! Beim zweiten anberaumten Tanztermin gab es genügend Freiwillige. Bis Frühjahr 1946, als ich fast 18 Jahre zählte, gab es keinen Schulunterricht. Meine Schwester und ich arbeiteten in den Weinbergen, im Garten und Haushalt. Als der Schulbetrieb wieder aufgenommen wurde hieß es, das letzte Schuljahr solle wiederholt werden, weil sehr viel Unterricht ausgefallen war. Ein Jahr bis zum Abitur hatte ich ohnehin noch vor mir, aber nun wurde zusätzlich ein 9. Oberstufenjahr eingeführt. Ich rechnete mir aus, dass ich erst mit 21 Jahren das Abi in der Tasche haben würde, und entschloss mich, nicht weiter zur Schule zu gehen. Aber was sollte aus mir werden? Vetter Arno meinte, jedes Mädchen müsse kochen können und Stenografie lernen. Im Nachbarhaus wohnte ein in Mainz ausgebombter Stenolehrer, bei dem meine Schwester Ina und ich nun täglich Unterricht hatten. Stenografie faszinierte mich von Anfang an, und ich benutze sie noch heute. Wir lebten auf dem Land, litten keinen Hunger, was uns fehlte, war Butter, Milch, Obst. So machten wir uns auf zu Hamstertouren. Aber das sind andere Geschichten. Irgendwann in dieser Zeit wurde im kleinen Saal eines Gasthauses ein Tanzstundenkurs abgehalten. Wir waren mit Begeisterung dabei, lernten Langsamen Walzer, Foxtrott, Tango und Walzer. Als der Abschlussball näher kam tauchte die Kleiderfrage auf. Kurzerhand wurden die geblümten Voile-Übergardinen aus dem GästeSchlafzimmer von der Hausschneiderin zu einem Kleid für meine Schwester verwandelt, für mich die weißen ungemusterten Voile-Gardinen aus Mamas Schlafzimmer in für ebensolches Kleid. 1946/47, ich war nun gut 18 Jahre alt, übersiedelte ich nach Frankfurt am Main und besuchte die Berlitz School. Hier machte ich die Auslandskorrespondenten- und später die Dolmetscher-Prüfung. Im zerstörten Frankfurt fand ich ein möbliertes Zimmer, in dem die Tapete in Fetzen von der Wand hing, mit einer wackeli- Meine Jugendjahre 1942-1951 / Kaleidoskop einer Jugend gen Kommode, auf der eine Waschschüssel mit Krug stand. Es gab einen eisernen Kanonenofen, aber selten etwas zum Heizen; und wenn ja, dann war es nasses Holz, das das ganze Zimmer in Qualm hüllte. Also konnte ich immer nur in dicke Steppdecken gewickelt lernen. Ein warmes Essen konnte ich täglich bei einer früheren Klassenkameradin meiner Mutter einnehmen. Aber ich war mein eigener Herr. Langsam erwachte das Kulturleben und ich entdeckte meine Liebe fürs Theater. Das Opernhaus war ausgebrannt, im großen Börsensaal fanden die Vorstellungen statt. Jede Woche ein oder gar zweimal stellte ich mich an der Schlange an, um eine Karte zu ergattern. Ich war begeistert. Am 20. Juni 1948 kam die Währungsreform. Ich kaufte mir für die 40.- DM zwei Bände MozartKlaviersonaten. Die Läden füllten sich plötzlich mit lange entbehrten Waren. Ich nahm einen Job an bei der Neuen Juristischen Wochenzeitschrift und im Sommer 1949 machte ich meine erste Urlaubsreise nach Mittenwald. Dann wurde ein Traum wahr: meine StenoFreundin Elisabeth und ich konnten mit dem Jugendsymphonie-Orchester und dem Hot-Club per Bus eine Woche nach Paris reisen. Den Besuch im Louvre werde ich nicht vergessen: Aug in Aug mit der Mona Lisa, danach Aug in Aug mit überlebensgroßen, nackten Götterstatuen in Marmor! Noch nie hatte ich einen nackten Mann gesehen! Hier hatte ich die Gelegenheit, aber…ich traute mich nicht, meine Blicke in die unteren Regionen schweifen zu lassen, obwohl niemand meine Blicke hätte kontrollieren können! Mit der Paris-Reise hatte ich den Duft der großen, weiten Welt verspürt. Es drängte mich hinaus. Zwei Monate später reiste ich an den Gada-See und bewunderte Venedig. Im Juni desselben Jahres übersiedelte ich für ein ganzes Jahr als Au-pair-Mädchen nach London. Mich lockte die Welt, ich wollt’ sie sehen; vor Fernweh wollt’ ich schier vergehen! E Kaleidoskop einer Jugend Norbert Sindermann Als ich im 13. Lebensjahr war, verstarb mein Stiefvater, den ich damals noch für meinen richtigen Vater hielt. 1958 war kein gutes Jahr. Neben den Mandeln im Oktober wurde mir im Dezember kurz vor Weihnachten auch noch der Blinddarm entfernt. Auf Grund dieser Ereignisse kam ich im Jahr darauf zu einer Kinderkur nach Bad Soden/Salmünster. An diese Zeit kann ich mich noch gut erinnern, denn der ganze Kurbetrieb wurde von Ordensschwestern geleitet. Sie waren sehr streng zu uns. Wenn jemand etwas angestellt hatte, dann kam er alleine in den Schuhputzraum und musste Schuhe putzen. Ich war natürlich dabei. Mit 14 Jahren verließ ich die Katholische Volksschule an der Vellwigstraße in Herne-Börnig. Meine Schulzeugnisse ließ ich mir damals von unserem Pfarrer beglaubigen weil es kostenlos war. Beim Berufswunsch hatte ich ganz besondere Vorstellungen: Ich wollte Fernmeldemonteur werden. Mir gefiel es damals, wenn die Monteure mit ihren Steigeisen die Masten hoch spazierten. Meine Mutter hatte jedoch ganz andere Vorstellungen und meldete mich zur Aufnahmeprüfung an der Handelsschule an, beeinflusst durch meinen ältesten Bruder. Ich bestand die Aufnahmeprüfung und schlug ungewollt meine kaufmännische Laufbahn ein. Während der Zeit auf der Handelsschule kam der erste Kontakt zum weiblichen Geschlecht. Wir waren damals noch sehr schüchtern und hatten keine Vorstellung von der „Liebe“. Deshalb gingen wir lieber zu den Jugendgruppen der katholischen Kirchengemeinde, oder den St. Georgs-Pfadfindern. 13 Kaleidoskop einer Jugend Bei der Abschlussprüfung an der Handelsschule habe ich im Fach Deutsch einen Aufsatz über mein Hobby, das Sammeln von Briefmarken geschrieben und dafür die Note „gut“ erhalten. Ich glaube, in den anderen Fächern war ich ein Durchschnittsschüler, aber ich hatte es geschafft. Für den Abschlussball auf der Handelsschule mussten wir jedoch im Sportunterricht das Tanzen lernen. Mir gefielen schon damals die Tänze, bei denen man zusammentanzte. Für mich war es der „Gammelfox“, zwei Schritte nach links und einen nach rechts. Nun ging es darum, eine Lehrstelle zu finden. Dies war zur damaligen Zeit nicht einfach. An den Tests und Aufnahmeprüfungen in den großen Firmen in Herne nahmen bis zu 60 Jungen und Mädchen teil. Ich weiß nicht mehr genau, bei wie vielen Firmen ich es damals versucht habe. Aber es waren damals die größten Arbeitgeber in Herne: z.B. Maschinenfabrik Bein, Zeche Hibernia, Krankenkassen, die Stadtwerke Herne und die Stadt Herne. Bei den Stadtwerken Herne klappte es dann mit einer Lehrstelle. Wir waren drei Jungen von der Handelsschule, die gleichzeitig die Lehre bei den Stadtwerken begannen. Als politisches Ereignis aus dieser Zeit ist mir die Ermordung des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy noch gut in Erinnerung. Die Medien waren ja noch nicht so vernetzt wie heute, und so habe ich diesen Mord am Morgen des 23. November 1963 - es war ein Samstag aus der Zeitung erfahren und geweint. Dieser Tag war einer der schrecklichsten in meinem jungen Leben. Meine ganze Hoffnung auf eine bessere Welt wurde zerstört. Während der Lehrzeit war ich mit dem Stenografenverein, einer politischen Jugendorganisation und verschiedenen anderen Jugendgruppen in Berlin. Die geteilte Stadt hat mich damals sehr interessiert, so dass ich später immer wieder aus beruflichen und privaten Gründen nach Berlin gefahren bin. Es hat mich auch immer gereizt, wenn es möglich war, Ostberlin zu besuchen. Als die Einberufung zur Bundeswehr näher kam, habe ich noch einen letzten Versuch gemacht, dem zu entgehen. Eine der Möglichkeiten war eben nach Berlin zu wechseln. Also ging ich bei einem Besuch zum Berliner Arbeitsamt. Die Antwort war jedoch frustrierend: „Wenn sie Handwerker wären, dann könnten 14 sie gleich da bleiben, aber Kaufleute haben wir in Berlin genug“. So blieb mir die Bundeswehr nicht erspart, da ich bei der Musterung für „tauglich“ eingestuft wurde. Bevor ich jedoch zur Bundeswehr einberufen wurde, verbrachte ich den Sommer in einem internationalen Jugendzeltlager in St. Blasien im Schwarzwald. Es war ein Zeltlager mit Jugendlichen aus ganz Westeuropa. In diesem Zeltlager lernte ich drei Mädchen kennen, mit denen ich anschließend eine Brieffreundschaft hatte. Marthy aus Luxemburg und Francoise, aus der Bretagne sowie Barbara aus Hamburg. Glücklicherweise schrieben die beiden aus dem Ausland in deutscher Sprache, so dass ich keine Übersetzungsprobleme hatte. Leider habe ich beide Mädchen aus dem Zeltlager nicht mehr wieder gesehen. Barbara dagegen habe ich während der Grundausbildung beim Bund in Goslar einmal in Hamburg besucht. Statt nach Hause ins Ruhrgebiet zu fahren, habe ich die kürzere Strecke nach Hamburg gewählt. Nach Abschluss der Grundausbildung beim Luftwaffen-Ausbildungsregiment 5 in Goslar wurde ich zum Fernmelderegiment 71 nach Osnabrück versetzt. Bei der Versetzung kamen mir meine kaufmännischen Kenntnisse zu gute. Man suchte einen Flieger, der Stenografie und Schreibmaschine konnte. Weil aber diese Stelle in der ersten Zeit noch besetzt war, wurde ich der Truppen- und Stabsbücherei zu geordnet. Der Vorgesetzte war ein Oberstabsfeldwebel, der uns mit immer neuen Aufgaben an die Arbeit kriegen wollte. Beim ersten Ausgehen in Osnabrück lernte ich Hannelore kennen. Sie wohnte direkt an der Bremer Brücke, dem Stadion des VfL Osnabrück. Wir gingen einige Male zum Fußball. Ich war zwar bei der Luftwaffe, habe aber während der gesamten Wehrdienstzeit kein Flugzeug gesehen. Das einzige, was mich damals bei meinen Besuchen zu Hause gefreut hat, war das Tragen der blauen Uniform. Wenn ich dann mit meinem Freund Karl-Heinz von der Handelsschule zusammen ausging, waren wir ein tolles Gespann. Er war bei der Marine und ich bei der Luftwaffe. So haben wir manche Nächte getrunken, ohne etwas zu bezahlen. Die alten Landser haben uns in „Kaisers gute Stuben“ so machen Drink spendiert. Zum Schluss meiner Wehrdienstzeit kam ich doch noch ins Vorzimmer eines Hauptmanns und musste nun Diktate aufnehmen und Berich- Jugendjahre 1963-1972 te schreiben. Die Bundeswehr hat mir im Nachhinein nicht geschadet. Es war eine kameradschaftliche Zeit, in der alle das gleiche Los getragen haben. Während der gesamten 15 Monate in Osnabrück blieb ich mit Hannelore zusammen. Meine Mutter nannte sie „Hubschrauber“, weil sie beim ersten Besuch in Herne eine Schleife im Haar hatte, die einem Propeller ähnlich sah. Auch nach der Bundeswehrzeit blieben wir noch ein halbes Jahr zusammen. In dieser Zeit hatte ich ein Zimmer in der Nähe des Schwarzwaldhauses, ein Tanzlokal in Osnabrück, in dem damals Kapellen spielten. Meine Leidenschaft zum Tanzen habe ich ja in meinem letzten Artikel beschrieben. Mein damaliger Personalchef bei den Stadtwerken Herne vermittelte mir dann für Sonntags einen Job als Discjockey im Heidekrug in Dortmund. Die Zeit dort hat viel Spaß gemacht. Aber nach Ende der „Vorstellung“ brachte ich Hannelore noch nach Osnabrück. Irgendwann war mir das zu stressig und so ging diese Liebe auseinander. „Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben...“, so kam es, wie es kommen musste. Auf einer Party in Herne lernte ich Marianne kennen. Sie war bei einem Kieferorthopäden beschäftigt. Solange wir in der Clique waren hielt die Verbindung, dann war es aus. Nach dem Wechsel zu den Fried. Krupp Hüttenwerken lernte ich meine Frau kennen. Ein Lied von Ute Freudenberg drückt diese Zeit der Jugendlieben aus: „Er sprach von Liebe, dabei waren sie noch nicht mal 15 Jahr. Schwor große Worte und er küsste sie und streichelte ihr Haar. Sie sprach von Träumen und wie gerne würde sie ihm alles glauben, und malte mit ihm Bilder von dem Leben, das sie sich dann bauten. Jugendliebe bringt den Tag, wo man beginnt alles um sich her ganz anders anzusehen. Lachen trägt die Zeit, die unvergessen bleibt, denn alles ist so traumhaft schön.“ r Jugendjahre 1963—1972 Rosemarie Koch Am 1. April 1963 begann für mich der so genannte Ernst des Lebens. Gerade erst 14 Jahre geworden, folgte nach 8 jähriger Schulzeit eine 3 jährige Kaufmannslehre bei Seifen - Dietrich. Im ersten Ausbildungsjahr erhielt ich monatlich 75,-- DM. Für Berufskleidung, Schulmaterial, Fahrgeld und anderes reichte mein Lehrgeld nicht aus, also war es selbstverständlich, dass ich bis auf 20,-- DM Taschengeld den Rest zu Hause abgab. Der Betrieb verfügte über 7 Filialen in Essen und die Lehrlinge mussten wechselweise in jedem Geschäft einige Wochen arbeiten. Morgens um 8 Uhr wurden nach Öffnung des Ladens erst die Fensterrahmen abgewaschen, egal ob es regnete oder fror. Bei zu kalten Temperaturen wurde etwas Salz ins Wasser geschüttet und der Lappen nicht zu nass gemacht. Dann wurde der Gehweg vor der Geschäftsfront gefegt, im Winter vom Schnee geräumt. Zu den Aufgaben der Lehrlinge gehörte auch der morgendliche Frühstückseinkauf für die Verkäuferinnen im nahe gelegenen Konsum. Ware auffüllen, Regale säubern, Lieferungen im Lager einräumen, Einkäufe den Kunden zustellen, wenn es gewünscht wurde. Da meistens immer ein kleines Trinkgeld dabei heraussprang, wurden diese Aufgaben besonders gerne erledigt. Für die Mittagspause brachte man sich das Essen im Henkelmann meist von zu Hause mit. Pommesbuden, Pizzerien oder ähnliches gab es noch nicht. Das entsprechende Kleingeld dafür hatten die Wenigsten . Am Abend, Geschäftsschluss war um 18,30 Uhr, wurde das Ladenlokal mit Schmierseife 15 Jugendjahre 1963-1972 / Jugendjahre 1945 – 1948 und heißem Wasser geschrubbt. An einen Putzvorfall erinnere ich mich heute noch mit einem Schmunzeln. In meinem Eifer stellte ich den Wassereimer hinter mich und beim Rückwärtslaufen mit dem Schrubber trat ich in den vollen Eimer. Alle, außer mir lachten aus voller Brust. Das Unangenehmste war für mich der Heimweg – Wasser im Schuh, Hosenbein nass – ca. eine halbe Stunde Fußweg. Zum Glück war es Sommer und nicht kalt. Wenig Spaß machten die Fahrten in die Filialen. Straßenbahnen und Busse fuhren im Halbstundentakt. Natürlich waren, wenn man umsteigen musste, die Anschlusslinien gerade kurz vorher weg. Im Regen oder Schnee war es besonders unangenehm, denn Unterstände gab es nicht. Wenn ich im Winter durchgefroren und bibbernd nach Hause kam, taute meine Mutter mir meine durchgekühlten Zehen mit geriebenen Zwiebelverbänden wieder auf. Mit 16 Jahren besuchte ich zusammen mit einer Arbeitskollegin eine Tanzschule. Meine Erinnerungen an diese Zeit sind Tänzer, die besonders steif und unrhythmisch waren. Trotzdem hatten wir auch Spaß dabei. Die Wochenenden wurden im Kreise der Familie verbracht, da es für Minderjährige keine große Auswahl an Attraktionen gab. Außerdem mussten die Aufgaben für die Berufsschule erledigt werden. Mit 18 Jahren machte ich meinen Führerschein. Meine Mutter eröffnete ein Lebensmittelgeschäft und ich lernte den Umgang mit Lieferanten, Behörden und Firmeninhabern. Zu meinen Aufgaben gehörte unter anderem der Einkauf in der Molkerei, auf dem Schlachthof und dem Großmarkt, sowie die Vorarbeiten für den Steuerberater. Nach zwei Jahren eröffneten wir ein zweites Geschäft, das ich leitete. Wir übernahmen einen Lehrling, den ich mit vielen zusätzlichen Stunden nach Feierabend erfolgreich durch die Prüfung brachte. Für mich waren diese Jahre eine schöne Zeit, der Umgang mit Kunden, Kollegen und Mitmenschen hat mir immer viel Freude gemacht. In Discotheken oder „auf die Rolle gehen“ habe ich nicht vermisst. 16 Jugendjahre 1945 – 1948 Marianne Fleischer Nach unserer Flucht aus Oberschlesien am 18.Januar 1945 landeten wir vier Wochen später in Berlin bei einer Schwester meines Vaters ,– Tante Anni -. Sie brachte uns in der leer stehenden Wohnung von Freunden unter, die sich vor den häufigen Bombenangriffen auf dem Land in Sicherheit gebracht hatten. Eines Tages erhielten wir durch Tante Anni eine Nachricht unseres Vaters, dass er als Sanitäter in einem Lazarett in Eilenburg an der Mulde in Sachsen gelandet war. Er bat uns, zu ihm zu kommen. Da die Bombenangriffe in Berlin ständig zunahmen, und wir fast jede Nacht im Luftschutzkeller saßen, entschloss sich unsere Mutter, mit uns noch einmal die Bahn zu besteigen. Anfang April machten wir uns auf den Weg. Die Freude bei unserem Wiedersehen lässt sich nicht beschreiben! Vater hatte für uns auf einem Bauernhof ein Zimmer gefunden und notdürftig eingerichtet. Wasser musste an einer Pumpe im Hof geholt werden und das Klo war ebenfalls im Hof. Aber wir hatten eine Bleibe und waren alle zusammen. Schon das grenzte an ein Wunder! Die Front rückte näher. Vater wurde ostwärts in ein Feldlazarett versetzt. Eines Tages standen die Amerikaner draußen vor der Stadt – Eilenburg war eine Lazarettstadt - und sie hofften ohne Widerstand einrücken zu können. Ein fanatischer Stadtkommandant aber gab den Befehl die Stadt zu verteidigen. Die Amerikaner zogen sich zurück und begannen mit schweren Geschützen die Stadt in Schutt und Asche zu legen. Wir verbrachten eine Woche mit vielen hundert Menschen in einem unterirdischen Bunker, in dem früher eine kriegswichtige Fabrik untergebracht war. Mutter und mein ältester Bruder brachen täglich im Morgengrauen auf, um in unserem Zimmer, das in der Nähe lag, eine Suppe zu kochen. Jedes Mal warteten wir voller Angst auf ihre Rückkehr. Eines Tages rollten dann die amerikanischen Panzer in die Stadt. Wir waren sehr erleichtert. Als sich dann auch noch unser Vater zu uns durchschlagen konnte – er musste Jugendjahre 1945 – 1948 durch die Mulde schwimmen, denn auf dem anderen Ufer waren die Russen auf dem Vormarsch nach Berlin – war unsere Freude riesengroß! In den letzten Kriegstagen, am 1. Mai feierte ich meinen 14. Geburtstag (Waffenstillstand war am 8. Mai). Aus einer roten Fahne, von der meine Mutter das Hakenkreuz abgetrennt hatte (den Kreis sah man noch), war ein Rock entstanden, unten mit schwarzer Samtborte verziert. Sie hatte auch versucht einen Kuchen zu backen – ohne Treibmittel – es war ein „Klunschkuchen“ geworden – aber ein Geburtstagskuchen! Mein Bruder schenkte mir einen Strauß Stiefmütterchen, die er im Garten einer zerstörten Villa gepflückt hatte. Wir waren glücklich! Wir hatten Flucht und Krieg überstanden, waren zusammen und unverletzt! In den Straßen patrouillierten Amerikaner. Mein Vater musste für ein paar Wochen in ein Gefangenenlager, denn er brauchte einen Entlassungsschein. Völlig abgemagert tauchte er eines Tages wieder bei uns auf. Es fanden Friedensverhandlungen statt, und Grenzen wurden neu gezogen! Eines nachts hörten wir Geräusche von Lastwagen und Panzern. Die Amerikaner zogen ab, wir waren plötzlich „Russische Besatzungszone“. Da Vater kein Parteigenosse gewesen war, bekam er sehr schnell seine erste Lehrerstelle in Schenkenberg an einer zweiklassigen Dorfschule in der Nähe der Stadt Delitzsch. Der Hauptlehrer, ein Ortsgruppenleiter in der Nazizeit, war aus dem Schuldienst entlassen worden, wollte aber das Lehrerhaus nicht räumen. So ließen wir uns vorübergehend in den ungenutzten Klassenräumen nieder. Nach einem Monat bezogen wir endlich das Haus. Wir hatten ein „zu Hause“! Kaum hatten wir das Haus bezogen, erhielten wir eine Nachricht unserer Großeltern aus Oberschlesien, Sie mussten entweder für Polen optieren, d.h. die polnische Staatsbürgerschaft annehmen oder das Land verlassen. Sie verließen Hindenburg, wurden im Zug beraubt und kamen völlig erschöpft bei uns an. Nun wohnten in dem kleinen Lehrerhaus drei Generationen: meine Eltern mit uns fünf Kindern, die Eltern meiner Mutter, eine Schwester meiner Mutter und zwei Schwestern meines Vaters. Reibereien blieben nicht aus! Großmutter war der ruhende Pol in diesem Durcheinander. Sie begann den Schulgarten zu bebauen, schaffte Kaninchen und Hühner an und versuchte so einen Beitrag zu unserer Versorgung zu leisten. Die Ernährungslage war noch sehr schlecht und so arbeiteten mein älterer Bruder und ich oft auf den Feldern eines Rittergutes, das damals noch nicht enteignet war. Wir halfen beim „Rübenverziehen“. Wir bekamen einige Reihen Rübenpflanzen zugewiesen und mussten jeweils 6 Pflanzen mit einer Hacke entfernen, jede 7. Pflanze durfte stehen bleiben. Die Reihen dehnten sich endlos! Wir halfen auch bei der Kartoffel- und Getreideernte. Bezahlt wurde in Naturalien (Gemüse, Kartoffeln, Getreide). So konnten wir ein wenig zur Versorgung der großen Familie beitragen. Im Winter fehlte es an Brennmaterial! Wir zogen mit unserer Mutter mit einem Bollerwagen zu einer stillgelegten Braunkohlengrube – Tagebau – stiegen ein und warfen Stücke Braunkohle zu unserer Mutter nach oben, die sie in den Bollerwagen stapelte. Vater konnte an solchen Aktionen nicht teilnehmen, denn er war Beamter! Schon im Herbst 1945 nahmen die Schulen den Unterricht wieder auf und die Lage entspannte sich. Die drei jüngeren Geschwister gingen noch in die Volksschule. In Delitzsch gab es eine Städt. Oberschule für Jungen. Nun mussten plötzlich auch Mädchen aufgenommen werden. Seit der Flucht hatten wir keine Schule mehr besucht. Uns fehlten also acht Monate Unterricht. Trotzdem wurden wir in die Klassen aufgenommen in die wir ohne Unterbrechung gehörten. Ich kam in die 5. Gymnasialklasse mit 20 Jungen und 5 Mädchen. Ich wählte den mathematischen Zweig. Wir waren ein bunt zusammengewürfelter Haufen: einige Einheimische, Flüchtlinge aus den verschiedensten Gegenden Deutschlands, ehemalige Flakhelfer, später kam sogar noch einer dazu, der bereits in Kriegsgefangenschaft geraten war. Schon bald waren wir eine verschworene Gemeinschaft, fühlten uns für einander verantwortlich und halfen einander wo immer Hilfe nötig war. Ich erinnere mich, Mengen von Fausthandschuhen und Stirnbändern gestrickt zu haben – in „Norweger Muster“! Als Dank lag dann manchmal ein handgeschriebenes Gedicht auf dem Platz, wenn ich in die Schule kam. So kam ich in Berührung mit Gedichten von Rilke und Hesse. Ich besitze sie noch heute! Natürlich wurden wir wenigen Mädchen auch umschwärmt. Wie mir später ein ehemaliger Klassenkamerad gestand, wurden irgendwann Wetten abgeschlossen, wer es zuerst schaffen 17 Jugendjahre 1945 –1948 würde, mich zu küssen ( ich glaubte damals noch vom Küssen bekäme man Kinder). Die Aufklärung war durch die Flucht auf der Strecke geblieben, und ich wollte nach all den Erlebnissen auf der Flucht auch nicht gerne „ Frau“ werden. Ich schwärmte für den zuletzt in die Klasse gekommenen älteren Mitschüler, der sich allein durchschlagen musste, da er seine Familie nach der Gefangenschaft nicht wiedergefunden hatte und bei Freunden wohnte. Er beachtete mich aber kaum. Und ich litt still vor mich hin. Ganz schlimm wurde es, als im letzten Schuljahr eine neue Schülerin in unsere Klasse kam, die das Schuljahr wiederholen musste. Sie war groß, schlank, sehr hübsch und älter. Bald lagen ihr fast alle Jungen aus der Klasse zu Füßen – mein Schwarm auch! Ich war schrecklich eifersüchtig! Ein Jahr vor dem Abitur nahmen wir zwei Parallelklassen gemeinsam an einer Tanzstunde teil. Das Tanzen machte mir sehr viel Spaß. Zum Abschlussball lieh ich mir ein weißes langes Kleid und kam mir vor wie eine Prinzessin. Mein Partner und ich gewannen den ersten Preis! Mein Vater wurde nach einiger Zeit Rektor an einer Volksschule in Delitzsch und wir zogen in die Stadt. Wir wohnten jetzt sehr zentral in der Nähe der Schule und wurden eine Anlaufstelle für einige Fahrschüler, die auf ihre Züge warten mussten. Wir hatten ein sehr offenes Haus! Neben der Schule betätigten sich mein Bruder und ich in der kath. Jugend. Wir lebten in der Diaspora, und erst durch die Flüchtlinge entstand eine größere kath. Gemeinde. Ein Vikar, jung und sehr fortschrittlich kam als Priester zu uns. Wir zogen mit ihm auf Fahrrädern über die Dörfer Die Jungen waren Messdiener, wir Mädchen beteten vor. Sogar Kirchenfahnen haben wir genäht. Eine Pfarrjugendgruppe wurde gegründet für Jungen und Mädchen gemeinsam. Wir sangen am Lagerfeuer zur Gitarre, machten mit dem Fahrrad Ausflüge und schwammen in kleinen Heideseen, die aus stillgelegten TagebauBraunkohlengruben entstanden waren. Es war eine wunderschöne, romantische Zeit! Daneben gab es natürlich von der Schule aus „Politische Schulungswochenenden“ an denen man teilnehmen musste! Das Thema eines dieser Wochenenden lautete: „Politik kommt aus dem Kochtopf“. Wir schrieben darüber Aufsätze. Die Schulungen fanden in Schulungsheimen 18 statt. Jungen und Mädchen schliefen getrennt in großen Schlafsälen und benutzten getrennt große Duschräume. Dort habe ich zum ersten Mal in meinem Leben geduscht! Da ich, wie meine Mutter sagte eine „ knabenhafte Figur“ hatte, erfasste mich Neid, als ich meine gut entwickelten Klassenkameradinnen in der Dusche sah. Fast bekam ich Minderwertigkeitskomplexe, aber meine Mutter tröstete mich, und sie sollte Recht behalten. Ich war eine Spätentwicklerin! Das Abitur rückte näher. Ich bestand es ganz ordentlich, aber man teilte mir sofort mit, dass ich keine Aussicht auf einen Studienplatz in absehbarer Zeit hätte. Mein Vater war Akademiker und in der falschen Partei, im „Centrum“. Ich war nicht Mitglied in der FDJ „Freien Deutschen Jugend“ und hatte mich zu stark in der kath. Jugend betätigt , lautete die Begründung. Ich beschloss die DDR zu verlassen. Vier Wochen später gelangte ich mit Hilfe eines Fluchthelfers schwarz über die innerdeutsche Grenze. Dieser Grenzübergang ist eine eigene Geschichte über den ich später einmal berichte. Ich konnte mich von niemandem verabschieden, keiner meiner Freunde durfte etwas wissen, außer unserem Vikar und der Familie. Ich machte mich zum ersten Mal ganz allein auf den Weg, mit 18 Jahren! In der Manteltasche hatte ich lediglich einen Zettel mit der Anschrift eines Heimes, in dem ich als Küchenpraktikantin arbeiten sollte. Unser Vikar hatte ihn mir gegeben. So stand ich eines Tages mit einem kleinen Koffer auf einem Bahnhof im Paderborner Land. Mein Leben als Erwachsene begann! Buchbesprechung Ein weltweit Kunstwerk anerkanntes literarisches Ruth Ortlinghaus Die Jugend nach dem Zweiten Weltkrieg, vorwiegend in den 50er und 60er Jahren, kann nicht allgemeingültig definiert werden. Und das weitaus weniger als in allen vorherigen und nachkommenden Jahrzehnten. Da sind einmal die Kriegskinder, die heute als „vergessene Generation“ bezeichnet werden und von denen viele schwer unter dem Trauma grauenhafter Erlebnisse bis in die Gegenwart leiden und das Verständnis zu Kindern und Enkelkindern im gegenseitigen Miteinander belastet; dann die jungen Menschen die mit dem Prinzip Hoffnung in die Zukunft blickten und die spärlichen Gegebenheiten der Gegenwart nach einem verlorenen Krieg in Frieden freudig genossen. Sie erfuhren kaum etwas von den tatsächlichen grauenhaften Verbrechen der nationalsozialistischen Diktatur. Der Lehrplan in den Schulen streifte das Thema nur in wenigen nackten Fakten und die ältere Generation hüllte sich meist in Schweigen. Aber da gibt es Jugendliche, besonders in den 50er Jahren , die plötzlich durch Zufall mit den Gräueltaten der jüngsten Kriegsvergangenheit und dem Rassenwahn konfrontiert wurden, die sie ein Leben lang mit tiefen Spuren nicht mehr losließen. Solch ein Schicksal verarbeitete der 1944 geborene Rechtswissenschaftler Bernhard Schlink literarisch. „DER VORLESER“ heißt das Buch, das bereits in 40 Sprachen übersetzt und auch verfilmt wurde. Mittlerweile gehört es zur Pflichtlektüre in der Oberstufe der weiterührenden Schulen. Bernhard Schlink: Der Vorleser. Zürich: Diogenes Taschenbuch-Verlag. 206 S. Euro 9.90 ISBN 978.3-257-225953-0 Als Michael die wesentlich ältere Hanna kennen lernt, wird sie für den 15jährigen zur schicksalhaften Begegnung – und das für ein ganzes Leben. Es beginnt eine leidenschaftliche Liebesgeschichte – immer nach dem gleichen Ritual innerhalb der Begegnungen: Michael muss vorlesen, dann heißt es duschen, lieben und kuscheln. Die Frau ist reizbar, rätselhaft, geheimnisvoll und hütet verzweifelt zwei Geheimnisse. Eines Tages ist sie spurlos verschwunden. Selbst in neuen Liebesbeziehungen kommt Michael in der Erinnerung von dieser Frau nicht los. Nach jahrelanger vergeblicher Suche sieht er sie als Jura-Student in einem Prozess wieder. Er muss erleben, dass seine leidenschaftliche Geliebte während der Nazizeit eine KZAufseherin war und gleichzeitig erkennen, dass sie als Analphabetin schamvoll gelitten hat. Aus Scham ihr Analphabetentum zu verraten, bekennt sie sich zu einem vernichtenden NS Dokument das sie niemals schrieb, ihr aber lebenslange Haft einbrachte. Michael fehlt die Souveränität zur direkten Kontaktaufnahme mit Hanna, er schickt ihr aber über zwei Jahrzehnte Kassetten mit von ihm selbst gelesener Literatur der Weltgeschichte in Romanen und Dokumenten ins Gefängnis. Dadurch lernt die Analphabetin letztlich lesen und schreiben. Sie verschlingt alle Bücher über die Verbrechen in den Konzentrationslagern. Als Michael sie nach Verbüßung der Haftstrafe aus dem Gefängnis zur Integration in die Gesellschaft, abholen will, endet die Geschichte tragisch. Das Buch wird durch seine einfühlsame, erlesen schöne sprachliche Diktion und erstaunliche Präzision von hohem literarischem Seltenheitswert innerhalb der deutschen Gegenwartsliteratur weltweit gefeiert. “Ich wollte keine Holocaustgeschichte schreiben, sondern eine Geschichte über meine Generation im Verhältnis zur Elterngeneration und zu dem was sie während des Dritten Reiches gemacht haben. Das ist ein wichtiger Punkt. Auch meine Protagonistin Hanna war kein Monster. Wenn alle Täter innerhalb des Verbrechens im Dritten Reich immer Monster gewesen wären, wäre ihre Beund Verurteilung einfach. Sie sind es aber nicht. Meine Generation hat das vielfach erlebt, beim Lehrer oder Professor, beim Pfarrer oder Arzt, beim Onkel oder sogar beim Vater als deren nationalsozialistische Vergangenheit eines Tages offenbar wurde. Diese bittere Erkenntnis passte ganz und gar nicht zum Respekt, zur Bewunderung oder sogar zur Liebe, die unser Verhältnis zu ihnen bestimmt hatte, “ betonte der Autor in einem Interview. Wie der Protagonist Michael mit der Vita seiner einstigen Geliebten Hanna während des Dritten Reiches umgeht, wird kritisch und analytisch spannend erzählt. q 19 Treffpunkte/Termine Seniorentreff der Arbeiterwohlfahrt, Schulstr. 8, Tel 69212 Leitung: Anke Brandmähl-Gaubys Mo – Fr 10 – 13 und 14 - 17 Uhr / nur Mi - Mittagstisch ab 12 Uhr Tanztee 2. Sonntag im Monat ab 14.30 Uhr Familienfrühstück 3. Sonntag im Monat (bitte anmelden) Gem.Frühstück „Büffett“ 1. Montag im Monat (bitte anmelden) ab 10.00 Uhr Sticken,Spielen,Quatschen 1. Montag im Monat 10.30 - 11.30 Uhr Kochgruppe 3. Montag im Monat 14.00 Uhr Singkreis 3. Montag im Monat 14.00 17.00 Uhr Hausbewohnertreff letzter Montag im Monat 15.00 Uhr Bingo letzter Montag im Monat 18.00 Uhr Gymnastik dienstags 10.30 - 11.30 Uhr Schach dienstags ab 12.30 Uhr Senioren Männer Chor dienstags 18.00 Uhr Bowlennachmittag letzter Dienstag im Monat (bitte anmelden) 14.30 Uhr Deftige Hausmannskost mittwochs 12.00 Uhr Englisch für Senioren donnerstags 10.00 – 12.00 Uhr Rummicub 2. Donnerstag im Monat 14.30 Uhr Christas Kaffeklatsch 1. Freitag im Monat (Selbstgebackenes) 14.30 Uhr Dämmerschoppen letzter Freitag im Monat 17.00 – 20.00 Uhr Medizinische Fußpflege Frau Brandmähl-Gaubys montags bis freitags nach Termin Seniorentreff der Caritas-Gesellschaft, Ludgerusstr 2a, Tel 21189 Leitung: Christel Prätorius Fit in den Morgen montags Altersgerechte Gymnastik dienstags (mit und rund um den Stuhl / anschl. gemütl. Beisammensein mit Kaffee/Kuchen) Englisch für Fortgeschrittene mittwochs Osteoporose Gymnastik donnerstags (anschl. gemütl. Beisammensein) Betreuung Demenzkranker/Mittagstisch freitags Seniorentanz mit Frau Erhardt 1. Montag im Monat Bingo 3. Montag im Monat Angehörigenaustausch der dementiell Erkrankten mit gemeinsamen Frühstück 1. Freitag im Monat Frühstück 14tägig mittwochs Lektürekreis 14tägig donnerstags Gesellschaftsspiele 2. u. 4. Sonntag im Monat (und gemütl. Beisammensein bei Kaffee und Kuchen) 10.00 - 11.00 Uhr 14.45 – 15.30 Uhr 14.00 - 15.30 Uhr 14.30 - 15.30 Uhr 09.30 - 11.30 Uhr 15.00 - 17.00 Uhr 15.00 – 16.30 Uhr 08.15 - 09.30 Uhr 09.30 - 11.30 Uhr 15.00 - 17.00 Uhr Beratung für Behinderte im Bürgerbüro Rathaus: Gabriele Zscherpe, Tel. 69224 14 tägig mittwochs 9.00 -11.00 Uhr (mit Seniorenbeauftragter) Freundeskreis der Behinderten: Ingeborg Esmeier, Tel. 3175 2. und 4. Mittwoch im Monat 18.00 Uhr Harfe Heiligenhauser Agentur für das Ehrenamt, Stadtverwaltung Heiligenhaus, Ralf Jeratsch, Rathaus Zimmer 226, Tel 13-502 Seniorensprechstunde im Bürgerbüro, Stadtverwaltung Heiligenhaus Seniorenbeauftragte Chr. Donalies , Tel. 20838, 14 tägig mittwochs 9.00 – 11.00 Uhr ZWAR - „Zwischen Arbeit und Ruhestand“, Ludgerus-Treff, Ludgerustraße 2a Klaus Niedergesäß, Tel 69148 Norbert Sindermann, Tel 0170/9322675 14 tägig dienstags 20 19.00 Uhr – 21 Uhr Treffpunkte/Termine Demenzkalender Redaktion Abschied von Wir Älteren aufzuhören. Danken möchte ich allen Lesern für Rita Walter die mir gegebene Anerkennung und Ermutigung. Dem verbleibenden Redaktionsteam wünsche ich Alles hat seine Zeit, auch das Niederschreiben weiterhin Freude am Gestalten. von Gedanken und Erlebnissen. Von den Zeiten der Zugehörigkeit zur Re- Ihre Rita Walter daktion bin ich mit 14 Jahren die Älteste. Ich d habe noch mit den Gründungsmitgliedern Die Gesamtheit der Text- und Bildgestaltung der Zeitung zusammengearbeitet. Wir Älteren hat sich im Laufe der Zeit immer bei der Verwirklichung eines geistigen Bilwieder verändert – vor allem in der Art der Lay- des outerstellung, das den Computermöglichkeiten Reiner Ruhl angepasst wurde. In meinen Artikeln hatte ich stets den älteren Leser im Blick und war darauf So wird der Begriff Layout im Lexikon beschrieben. bedacht, den Inhalt so zu gestalten, dass man "Das wirst du doch wohl noch hinkriegen" meinsich identifizieren konnte oder etwas zum te Ursula Schwarze, als sie mich fragte ob ich Schmunzeln, oder auch Nachdenken hatte. in der Redaktion nicht die Verantwortung für Meine besten Artikel – aus meiner Sicht – war das Layout von "Wir Älteren“ übernehmen einer über das Glück und ein anderer über un- möchte. Auf die Idee kam sie, weil ihr bekannt sere selbst gestaltete Amerikareise mit gemie- war, dass ich mich berufslebenslang, und hobtetem PKW durch mehrere Nationalparks und bymäßig immer noch, sehr viel mit Computern, Canyons in Kalifornien, Arizona, Colorado und Software und Fotografie befasse. Durch meine Nevada. Inzwischen gibt es nach so vielen Jah- Fotohobby werde ich dem einen oder anderen ren kaum ein Thema, das ich nicht in irgendei- sicher auch schon bekannt sein. ner Form schon durchdacht und bearbeitet ha- Gereizt hat mich Ursulas Vorschlag einerseits, be. Deshalb ist jetzt für mich der Zeitpunkt ge- weil ich das Projekt "Wir Älteren" kenne, solan(Fortsetzung auf Seite 22) kommen, mit dem Schreiben für Wir Älteren 21 Redaktion Impressum Herausgeber: VHS-Zweckverband Velbert/Heiligenhaus Leitung: Ursula Schwarze Redaktion: Marianne Fleischer, Dagmar Haarhaus, Rosemarie Koch, Armin Merta, Ute Moll, Gertraud Rauhaus, Norbert Sindermann, Annemarie Vinck. Die Redaktion freut sich über eingesandte Manuskripte, übernimmt jedoch keine Abdruckgarantie. Gastbeitrag: Ruth Ortlinghaus Layout/Bildbearbeitung: Reiner Ruhl Druck: Völkerdruck Heiligenhaus Nächste Ausgabe: Juni 2013 Die aktuelle Ausgabe ist jeweils online zu lesen unter: Volkshochschule Velbert/Heiligenhaus – Projekte Der Arbeitskreis dieser Zeitung begrüßt immer herzlich neue Mitglieder. Interessenten bitte melden bei Ute Moll (siehe Leserbriefe) oder mail: [email protected] Interessenten außerhalb von Heiligenhaus schicken bitte Briefmarken im Wert von 1,45 Euro an: Rosemarie Koch, Gerhart-Hauptmannstr. 34 42579 Heiligenhaus d (Fortsetzung von Seite 21) ge es existiert und ich es gut und wichtig finde. Zum anderen habe ich den Eindruck, dass es der Zeitung durch einige inhaltliche Ergänzungen gelingen könnte ein breiteres Altersspektrum zu erreichen. Außerdem finde ich das optische Erscheinungsbild nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit. Es scheint mir weniger geeignet Menschen des fortgeschrittenen Mittelalters auf sich aufmerksam zu machen. Während das Erscheinungsbild schwerpunktmäßig zum Verantwortungsbereich des Layouts gehört, verstehe ich die Anmerkung zum Inhalt selbstverständlich nur als Anregung, die meinen Beobachtungen entspringt. Jedenfalls würde ich gerne langfristig mit meinen Kenntnissen dem Projekt zu Verfügung stehen. Richtig sinnvoll würde die Mitarbeit für mich, wenn die angesprochenen Themen allmählich mit in Angriff genommen werden um einen möglichst langen Fortbestand von "Wir Älteren" zu erreichen. Spenden erbitten wir auf das Konto der VHS Velbert/Heiligenhaus Konto Nummer: 0018 000 380 BLZ 301 502 00 Kassenzeichen 35000 15020 Wir Älteren Kreissparkasse Düsseldorf Ich bin an der kostenlosen Zustellung von „Wir Älteren“ interessiert: Wenn Sie die Zeitung „Wir Älteren“ innerhalb von Heiligenhaus zugestellt haben wollen, schicken Sie bitte beigefügten Abschnitt an Ute Moll Leserbriefe bitte an: Straße Redaktion „Wir Älteren“ Ute Moll, Moselstr. 127 42579 Heiligenhaus Tel.: 02056-4424 22 Name, Vorname Datum Unterschrift 23 24